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Bluescollected und Woodside Saxophone Quartet Jazz-Club Balingen 22.10.2016 Eine Premiere gab es am vergangenen Samstag im Balinger Jazz-Club: ein Konzertabend mit zwei sehr unterschiedlichen Formationen, die sich nacheinander mit je zwei Sets die Bühne teilten: „Bluescollected“ und das „Woodside Saxophone Quartet“. Einerseits „einfacher“ Country-Blues und andererseits der komplexe Klang von vier Saxophonen. Musikalische Flexibilität war also für die Konzertbesucher angesagt. „I`ve Got The Blues“ (Ich bin so niedergeschlagen). Dieses Klischee, dass der Blues immer nur dramatisch und traurig sei, hängt ihm nach. Dabei war der Blues von Anfang an beides: Drama und Komödie. Es gab immer schon die andere Seite: Der Blues kann auch ironisch, albern, leicht, vergnüglich, tanzbar und frivol sein. Und wenn zwei geistreiche und musikalisch versierte Schwaben den Blues spielen und singen, dann geht das so: „Er stillt dah Honger, hilft gega dah Durscht, goht vom Herz direkt en dah Fuß- des isch dah Blues“. „Bluescollected“ eröffneten den Konzertabend. Jochen Lanius und Carlheinz Nisi bespielen (mit profunder Fingerstyle-Gitarre und virtuos geblasener Bluesharp) und besingen (auch auf Schwäbisch) vor allem diese andere Seite des Blues mit Ironie, Wortwitz und Humor: „Hau, Hau, Hau, - des muaß i hau“ (ich kaufe, also bin ich), „Blei in de Schua“ (die Tücken des Alkohols), „Mei heilix Rädle“ (seit dem Pedelec-Hype glaubt jeder Rad fahren zu müssen), „Jeder Seggel kennt dih, und macht dih von dr Seide a“ (der Facebook-Wahn der Selbstdarstellung), „Denk Positiv“ (die Kunst des Älterwerdens). Den zweiten Set der beiden „Blues Brothers“ prägten Klassiker des Genres: „I`m In The Mood For Love“ (John Lee Hooker), „The Letter“ (The Box Tops), oder „If Walls Could Talk“ (Little Milton). Lanius und Nisi erweisen sich nicht nur als hervorragende Musiker, sondern auch als großartige Kommunikatoren, so dass schnell der Funke zum Publikum überspringt. Der Ton des Saxophons kann der erotischste und sinnlichste aller Instrumente sein. Und deshalb wurde es lange Zeit von kirchlichen Tugendwächtern und autokratischen Herrschern verdammt. Kein anderes Instrument verbindet man so sehr mit dem Jazz. Auf keinem anderen Instrument brachte der Jazz so viele herausragende Innovatoren hervor. Der Jazz ist „saxophoniert“. Das „Woodside Saxophone Quartet“ mit Frieder Welsch (Sopran und Alt), Frank Eger (Alt), Marian Potyka (Tenor) und Daniel Tillinger (Bariton) zelebrieren mit ihrem Ensemble die beeindruckende Klangfülle, die das Zusammenspiel ihrer unterschiedlichen Saxophone hergeben. Ihr Auftritt wird zu einem Tour-de-force-Ritt, kraftvoll, präzise und intensiv. Besonders beeindruckend die Titelmusik aus „The Magnificant Seven“;„November Spring“ von Andre Cimiotti, „Ulla in Afrika“ (Heiner Wiberny)„Night In Tunesia“ (Dizzy Gillespie), „Pick Up The Pieces“ (Average White Band), „I Feel Good“ von James Brown. Das Quartett erweist sich dabei als wunderbar homogener Klangkörper, zu dem sich beim zweiten Set noch Gast-Schlagzeuger Maik Merle gesellt. Faszinierend sind die bunt schillernden Klangfarben der Saxophone: das knorrige Bariton, das ununterbrochen den Rhythmus vorgibt und liefert und von Daniel Tillinger mit einer bewundernswerten Gelassenheit gespielt wird; der jubilierende und schmelzende Klang der Altsaxophone von Frank Eger und Frieder Welsch; der sonore und kraftvolle Ton des Tenors von Marian Potyka; schließlich das Sopransaxophon, wiederum von Welsch gespielt, mal keck tänzelnd, mal lyrisch leicht. Das begeisterte Publikum erklatschte sich noch eine Zugabe: „How Deep Is Your Love“. Richtig. Von den Bee Gees. Eigentlich eine sehr heftige Schnulze. Hier aber von dem Quartett mit einer Musikalität und Beseeltheit gespielt, dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass die Saxophone tatsächlich singen, gleichsam einem Vokal-Ensemble. Am Ende konnten sich die „Jazz-Club-Macher“ sicher sein: Experiment geglückt! Manfred Plog

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Bluescollected und Woodside Saxophone Quartet Jazz-Club Balingen 22.10.2016

Eine Premiere gab es am vergangenen Samstag im Balinger Jazz-Club: ein Konzertabend mit zwei sehr unterschiedlichen Formationen, die sich nacheinander mit je zwei Sets die Bühne teilten: „Bluescollected“ und das „Woodside Saxophone Quartet“. Einerseits „einfacher“ Country-Blues und andererseits der komplexe Klang von vier Saxophonen. Musikalische Flexibilität war also für die Konzertbesucher angesagt.„I`ve Got The Blues“ (Ich bin so niedergeschlagen). Dieses Klischee, dass der Blues immer nur dramatisch und traurig sei, hängt ihm nach. Dabei war der Blues von Anfang an beides: Drama und Komödie. Es gab immer schon die andere Seite: Der Blues kann auch ironisch, albern, leicht, vergnüglich, tanzbar und frivol sein. Und wenn zwei geistreiche und musikalisch versierte Schwaben den Blues spielen und singen, dann geht das so: „Er stillt dah Honger, hilft gega dah Durscht, goht vom Herz direkt en dah Fuß- des isch dah Blues“. „Bluescollected“ eröffneten den Konzertabend. Jochen Lanius und Carlheinz Nisi bespielen (mit profunder Fingerstyle-Gitarre und virtuos geblasener Bluesharp) und besingen (auch auf Schwäbisch) vor allem diese andere Seite desBlues mit Ironie, Wortwitz und Humor: „Hau, Hau, Hau, - des muaß i hau“ (ich kaufe, also bin ich),„Blei in de Schua“ (die Tücken des Alkohols), „Mei heilix Rädle“ (seit dem Pedelec-Hype glaubt jeder Rad fahren zu müssen), „Jeder Seggel kennt dih, und macht dih von dr Seide a“ (der Facebook-Wahn der Selbstdarstellung), „Denk Positiv“ (die Kunst des Älterwerdens). Den zweiten Set der beiden „Blues Brothers“ prägten Klassiker des Genres: „I`m In The Mood For Love“ (John Lee Hooker), „The Letter“ (The Box Tops), oder „If Walls Could Talk“ (Little Milton). Lanius und Nisi erweisen sich nicht nur als hervorragende Musiker, sondern auch als großartige Kommunikatoren, so dass schnell der Funke zum Publikum überspringt.Der Ton des Saxophons kann der erotischste und sinnlichste aller Instrumente sein. Und deshalb wurde es lange Zeit von kirchlichen Tugendwächtern und autokratischen Herrschern verdammt.Kein anderes Instrument verbindet man so sehr mit dem Jazz. Auf keinem anderen Instrument brachte der Jazz so viele herausragende Innovatoren hervor. Der Jazz ist „saxophoniert“. Das „Woodside Saxophone Quartet“ mit Frieder Welsch (Sopran und Alt), Frank Eger (Alt), MarianPotyka (Tenor) und Daniel Tillinger (Bariton) zelebrieren mit ihrem Ensemble die beeindruckende Klangfülle, die das Zusammenspiel ihrer unterschiedlichen Saxophone hergeben. Ihr Auftritt wird zu einem Tour-de-force-Ritt, kraftvoll, präzise und intensiv. Besonders beeindruckend die Titelmusik aus „The Magnificant Seven“;„November Spring“ von Andre Cimiotti, „Ulla in Afrika“ (Heiner Wiberny)„Night In Tunesia“ (Dizzy Gillespie), „Pick Up The Pieces“ (Average White Band), „I Feel Good“ von James Brown. Das Quartett erweist sich dabei als wunderbar homogener Klangkörper, zu dem sich beim zweiten Set noch Gast-Schlagzeuger Maik Merle gesellt. Faszinierend sind die bunt schillernden Klangfarben der Saxophone: das knorrige Bariton, das ununterbrochen den Rhythmus vorgibt und liefert und von Daniel Tillinger mit einer bewundernswerten Gelassenheit gespielt wird; der jubilierende und schmelzende Klang der Altsaxophone von Frank Eger und Frieder Welsch; der sonore und kraftvolle Ton des Tenors von Marian Potyka; schließlich das Sopransaxophon, wiederum von Welsch gespielt, mal keck tänzelnd,mal lyrisch leicht. Das begeisterte Publikum erklatschte sich noch eine Zugabe: „How Deep Is YourLove“. Richtig. Von den Bee Gees. Eigentlich eine sehr heftige Schnulze. Hier aber von dem Quartett mit einer Musikalität und Beseeltheit gespielt, dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass die Saxophone tatsächlich singen, gleichsam einem Vokal-Ensemble. Am Ende konnten sich die „Jazz-Club-Macher“ sicher sein: Experiment geglückt!

Manfred Plog