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KRITISCH GELESEN Kommentar Typ-2-Diabetiker profitieren von der Selbstmessung nicht. Seit dem 1. Oktober 2011 sind Harn- und Blutzuckerteststreifen nach einer Entschei- dung des G-BA nur noch dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ver- ordnungsfähig, wenn sie für Patientinnen und Patienten wirkliche Vorteile haben. Diese Entscheidung war immer umstritten und fußte auf einer ziemlich widersprüchli- chen Studienlage. Nun hat eine in Deutsch- land unter den hierzulande üblichen Pra- xisbedingungen durchgeführte Studie er- geben, dass ein Großteil der 900 Millionen Euro, der im Bereich der GKV für Harn-und Blutzuckerteststreifen ausgegeben wird, wahrscheinlich nicht an der richtigen Stelle investiert ist. Prof. Dr. med. H. S. Füeßl Prof. Dr. med. H. Holzgreve Internist, Kardiologische Praxis, München Prof. Dr. med. C. Diehm SRH Klinikum Karlsbad- Langensteinbach Prof. Dr. Dr. D. Reinhardt Kinderklinik u. Poliklinik i. Haunerschen Kinderspital, München Prof. Dr. med. H. S. Füeßl Privatpraxis für integrative Innere Medizin, München Prof. Dr. med. M. Storr Medizinische Klinik II, Klinikum Großhadern 32 AKTUELLE MEDIZIN 32 MMW MMW-Fortschr. Med. -Fortschr. Med. 2014; 156 (14) 2014; 156 (14) Blutzucker-Selbstkontrolle: viel Aufwand, wenig Nutzen Es klingt im ersten Moment paradox: Die intensive Blutzucker-Selbst- kontrolle und die Mitteilung des HbA 1c -Werts führen bei mit einer konventionellen Insulintherapie be- handelten Typ- 2-Diabetikern nicht zu einer verbesserten Stoffwechsel- einstellung. - Bei Typ- 1-Diabetikern ist die regelmä- ßige Selbstkontrolle des Blutzuckers zur Dosisanpassung von Insulin eine unab- dingbare Voraussetzung für eine gute Stoff- wechselführung. Ob das auch für Typ- 2- Diabetiker zutri a a , ist dagegen umstritten. In einer prospektiven und kontrol- lierten Studie wurden jeweils etwa 150 Typ-2-Diabetiker unter stabiler erapie mit einem Basal- oder einem Kombina- tionsinsulin in vier Gruppen randomi- siert. Gruppe 1 führte einmal pro Woche ein Blutzuckertagesprofil mit vier Mess- zeitpunkten durch, Gruppe 2 dagegen keine Blutzuckerselbstkontrolle. In den beiden anderen Gruppen erfolgten re- gelmäßige Kontrollen des HbA 1c , wobei den Patienten der Gruppe 3 diese Werte mitgeteilt wurden, nicht dagegen den Patienten der Gruppe 4. Primärer Stu- dienendpunkt war der Abfall des HbA 1c zwölf Monate nach Studienbeginn. © mbz1 / Fotolia.com Sowohl in Gruppe 1 wie auch ein Gruppe 2 fiel das durchschnittliche HbA 1c von 7,3% auf 7,0%. Auch die Mit- teilung des Ergebnisses der HbA 1c -Mes- sung hatte keinen signifikanten Einfluss auf den HbA 1c -Wert am Ende der Studie. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der behandelnde Arzt die Insulin- dosis möglicherweise aufgrund der Blut- zucker-Selbstmessung geändert hat, al- lerdings führte diese mögliche Ände- rung im Endeffekt nicht zu einer wesent- lichen Verbesserung des HbA 1c . M. A. Nauck et al. (Korres.: [email protected]): A randomised, controlled trial of self-monitoring of blood glucose in patients with type 2 diabetes recei- ving conventional insulin treatment. Diabetologia 2014; 57: 868877.

Blutzucker-Selbstkontrolle: viel Aufwand, wenig Nutzen

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KRITISCH GELESEN

Kommentar

Typ-2-Diabetiker pro� tieren von der Selbstmessung nicht.Typ-2-Diabetiker pro� tieren von der Selbstmessung nicht.

Seit dem 1. Oktober 2011 sind Harn- und Blutzuckerteststreifen nach einer Entschei-dung des G-BA nur noch dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ver-ordnungsfähig, wenn sie für Patientinnen und Patienten wirkliche Vorteile haben. Diese Entscheidung war immer umstritten und fußte auf einer ziemlich widersprüchli-chen Studienlage. Nun hat eine in Deutsch-land unter den hierzulande üblichen Pra-xisbedingungen durchgeführte Studie er-geben, dass ein Großteil der 900 Millionen Euro, der im Bereich der GKV für Harn-und er im Bereich der GKV für Harn-und erBlutzuckerteststreifen ausgegeben wird, wahrscheinlich nicht an der richtigen Stelle investiert ist.

Prof. Dr. med. H. S. Füeßl ■

Prof. Dr. med. H. HolzgreveInternist, Kardiologische Praxis, München

Prof. Dr. med. C. Diehm SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach

Prof. Dr. Dr. D. Reinhardt Kinderklinik u. Poliklinik i. Hauner schen Kinderspital, München

Prof. Dr. med. H. S. FüeßlPrivatpraxis für integrative Innere Medizin, München

Prof. Dr. med. M. Storr Medizinische Klinik II, Klinikum Großhadern

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AKTUELLE MEDIZIN

32 MMWMMWMMW-Fortschr. Med. -Fortschr. Med. -Fortschr. Med. 2014; 156 (14)2014; 156 (14)2014; 156 (14)

Blutzucker-Selbstkontrolle: viel Aufwand, wenig Nutzen

Es klingt im ersten Moment paradox: Die intensive Blutzucker-Selbst-kontrolle und die Mitteilung des HbA1c-Werts führen bei mit einer konventionellen Insulintherapie be-handelten Typ-2-Diabetikern nicht zu einer verbesserten Sto� wechsel-einstellung.

−Bei Typ-1-Diabetikern ist die regelmä-ßige Selbstkontrolle des Blutzuckers zur Dosisanpassung von Insulin eine unab-dingbare Voraussetzung für eine gute Sto� -wechselführung. Ob das auch für Typ-2-Diabetiker zutri� Diabetiker zutri� Dia , ist dagegen umstritten.

In einer prospektiven und kontrol-lierten Studie wurden jeweils etwa 150 Typ-2-Diabetiker unter stabiler � erapie mit einem Basal- oder einem Kombina-tionsinsulin in vier Gruppen randomi-siert. Gruppe 1 führte einmal pro Woche ein Blutzuckertagespro� l mit vier Mess-zeitpunkten durch, Gruppe 2 dagegen keine Blutzuckerselbstkontrolle. In den beiden anderen Gruppen erfolgten re-gelmäßige Kontrollen des HbA1c, wobei den Patienten der Gruppe 3 diese Werte mitgeteilt wurden, nicht dagegen den Patienten der Gruppe 4. Primärer Stu-dienendpunkt war der Abfall des HbA1c

zwölf Monate nach Studienbeginn.

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Sowohl in Gruppe 1 wie auch ein Gruppe 2 � el das durchschnittliche HbA1c von 7,3% auf 7,0%. Auch die Mit-teilung des Ergebnisses der HbA1c-Mes-sung hatte keinen signi� kanten Ein� uss auf den HbA1c-Wert am Ende der Studie. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der behandelnde Arzt die Insulin-dosis möglicherweise aufgrund der Blut-zucker-Selbstmessung geändert hat, al-lerdings führte diese mögliche Ände-rung im Ende� ekt nicht zu einer wesent-lichen Verbesserung des HbA1c.

■ M. A. Nauck et al.(Korres.: [email protected]): A randomised, controlled trial of self-monitoring of blood glucose in patients with type 2 diabetes recei-ving conventional insulin treatment. Diabetologia 2014; 57: 868–877.