BMWi Leitfaden Tourismusperspektiven in Laendlichen Raeumen

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BMWi Leitfaden Tourismusperspektiven in Laendlichen RaeumenBundesministerium für Wirtschaft und Technologie, 2013, Räumen, Tourismus, Markenbildung

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  • Tourismusperspektivenin lndlichen Rumen Handlungsempfehlungen zur Frderung des Tourismus in lndlichen Rumen

    Tourismusperspektivenin lndlichen Rumen Handlungsempfehlungen zur Frderung des Tourismus in lndlichen Rumen

  • Impressum

    HerausgeberBundesministerium fr Wirtschaft und Technologie (BMWi)ffentlichkeitsarbeit11019 Berlinwww.bmwi.de

    Das Bundesministerium fr Wirtschaft und Technologie ist mit dem audit berufundfamilie fr seine familienfreundliche Personalpolitikausgezeichnet worden. Das Zertifikat wird von der berufundfamilie gGmbH, einer Initiative der Gemeinntzigen Hertie-Stiftung, verliehen.

    StandJanuar 2013

    Druck Bonifatius GmbH, Paderborn

    Gestaltung und Produktion PRpetuum GmbH, Mnchen

    Bildnachweis Murat Subatli Fotolia (Titel), small_frog iStockphoto (S. 4), Werner Hilpert Fotolia (S. 6), blas Fotolia (S. 8), goodluz Fotolia (S. 10, 11), Petair Fotolia (S. 11), http://office.microsoft.com/de- de/images (S. 12, 13), tina7si Fotolia (S. 15), Ben Chams Fotolia (S. 17), Tom Fotolia (S. 20), Edler von Rabenstein Fotolia (S. 21), Spiber Fotolia (S. 22), Svenni Fotolia (S. 25), Christa Eder Fotolia (S. 28), koszivu Fotolia (S. 31), fotoali Fotolia (S. 34), Sven Bhren Fotolia (S. 40), electriceye Fotolia (S. 44), Kzenon Fotolia (S. 47), Michael S. Schwarzer Fotolia (S. 51), peppi18 shutterstock (S. 53), Igor Yaruta Fotolia (S. 57)

    Text und Redaktion PROJECT M GmbHAndreas Lorenz, Hagen Melzerwww.projectm.de

    Projekttrger Deutscher ReiseVerband e. V. (DRV)Schicklerstrae 5710179 BerlinProjektleitung: Hans-Gustav KochProjektkoordination: Walter Krombachwww.drv.de

    Diese Broschre ist Teil der ffentlichkeitsarbeit des Bundes ministeriums fr Wirtschaft und Technologie. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Nicht zulssig ist die Verteilung auf Wahlveranstaltungen und an Informationsstnden der Parteien sowie das Einlegen, Auf drucken oder Aufkleben von Informationen oder Werbemitteln.

  • 1Inhaltsverzeichnis

    Vorworte ................................................................................................................................................................................................................ 2

    1. Einfhrung und Hintergrund .................................................................................................................................................................... 4

    2. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder ......................................................................................................................... 6 2.1 Breites Untersuchungsspektrum ..................................................................................................................................................... 6 2.2 Marktentwicklung und Potenziale .................................................................................................................................................. 7 2.3 Herausforderungen an das System Tourismus in lndlichen Rumen .......................................................................15 2.4 Knftige Handlungsfelder .................................................................................................................................................................22 2.5 Schlsselstrategien und Best Practice ..........................................................................................................................................23

    3. Tourismus in lndlichen Rumen: Schlsselstrategien und Handlungsempfehlungen ..........................................25 3.1 Handlungsfeld nachhaltige touristische Entwicklung lndlicher Lebensrume ...................................................25 3.2 Handlungsfeld Produktinszenierung ...........................................................................................................................................28 3.3 Handlungsfeld Netzwerke und Kooperationen ......................................................................................................................31 3.4 Handlungsfeld Infrastruktur ............................................................................................................................................................34 3.5 Handlungsfeld Markenbildung .......................................................................................................................................................37 3.6 Handlungsfeld Kommunikation und Vertrieb ........................................................................................................................40 3.7 Handlungsfeld Organisationsstrukturen im ffentlichen Bereich ................................................................................44 3.8 Handlungsfeld Fachkrfte .................................................................................................................................................................47 3.9 Handlungsfeld Mobilitt ....................................................................................................................................................................50 3.10 Handlungsfeld Barrierefreiheit .......................................................................................................................................................53

    4. Fazit: Perspektiven fr den Tourismus in lndlichen Rumen ..............................................................................................57

    Abkrzungsverzeichnis .................................................................................................................................................................................59

    Glossar ...................................................................................................................................................................................................................60

    Mitglieder des Fachbeirats ...........................................................................................................................................................................63

  • 2Vorworte

    Ernst Burgbacher,

    MdB, Parlamentarischer

    Staatssekretr beim Bundes-

    minister fr Wirtschaft und

    Technologie und Beauftrag-

    ter der Bundesregierung fr

    Mittelstand und Tourismus

    Mit knapp 2,9 Millionen direkt im Tourismus Beschf-tigten kommt der Tourismusbranche eine hohe ko-nomische Bedeutung zu. Gerade in eher struktur-schwachen lndlichen Rumen kann der Tourismus einen wichtigen Beitrag fr die Sicherung von Arbeits-pltzen und Einkommen liefern.

    Die lndlichen Rume in Deutschland besitzen ein groes touristisches Potenzial. Gesellschaftliche Ent-wicklungen wie das wachsende Interesse der stdtischen Bevlkerung am Landleben oder die zunehmende Suche nach unverflschten, authentischen und echten Erlebnissen sowie die wachsende Sehnsucht nach Abstand und Natur bieten vielfltige Chancen fr die Entwicklung des Tourismus in lnd lichen Rumen.

    Dieses Potenzial ist noch nicht berall ausreichend entdeckt und aktiviert. Im Vergleich zum Stdtetouris-mus verzeichnen lndliche Regionen ein geringeres Wachstum.

    Woraus aber resultiert diese geringere Wachstums-dynamik? Vor welchen Herausforderungen steht der Tourismus in lndlichen Rumen? Welche Ideen und innovativen Anstze aus der Tourismusbranche und dem ffentlichem Tourismusmarketing werden sich im Umgang mit zentralen Herausforderungen im lnd lichen Tourismus durchsetzen? Welche neuen Trends und Zielgruppen gibt es in diesem Feld? Worauf mssen sich Anbieter und ihre Partner einstellen?

    Diesen und weiteren Fragen gehen die Tourismusper-spektiven in lndlichen Rumen nach. Der vorlie-gende Praxisleitfaden stellt essenzielle Handlungsfel-der fr den Tourismus in lndlichen Rumen vor. Mit interessanten Beispielen, erfolgreichen Strategien und Innovationen aus der Praxis werden Mglichkeiten fr den Tourismus im lndlichen Raum aufgezeigt.

    Alle Akteure des Tourismus in lndlichen Rumen werden Anregungen fr den Umgang mit den Heraus-forderungen des Tourismussystems lndlicher Rume finden.

    Mein herzlicher Dank gilt vor allem dem Deutschen ReiseVerband, der als Projekttrger dieses Projekt erfolgreich durchgefhrt hat. Mein Dank geht auch an meinen Kollegen Dr. Gerd Mller. Bei dem Projekt haben wir eng mit dem Bundesministerium fr Ernh-rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zusam-mengearbeitet.

    Ernst BurgbacherMdB, Parlamentarischer Staatssekretr beim Bundesminister fr

    Wirtschaft und Technologie und Beauftragter der Bundesregierung

    fr Mittelstand und Tourismus

  • 3Vorworte

    Jrgen Bchy,

    Prsident des Deutschen

    ReiseVerbandes (DRV)

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    dieser Leitfaden zeigt ganz eindeutig: Tourismus in Deutschlands Regionen bietet positive Perspektiven. Immer mehr Menschen wnschen sich Urlaub und Freizeit in lndlicher Umgebung mit Natur. Aktivitten wie Radfahren, Wandern, Wassersport sind gefragt ebenso wie lndliche Kultur, regionale Kstlichkeiten und natrlich auch der gute alte Bauernhof. Lndliche Rume bieten beste Voraussetzungen fr Erholung, Naturerlebnis oder Aktivsein und Gesunderhaltung. Ganz gleich, ob es sich dabei um den Tagesausflug, einen Kurztrip bers Wochenende oder den Jahres-urlaub im Sommer oder Winter handelt.

    Sie halten mit diesem Leitfaden und den dazugeh-rigen Kurzreports mit vielen Praxisbeispielen und ntzlichen Checklisten die Ergebnisse des Projekts Tourismusperspektiven in lndlichen Rumen in den Hnden. Sie sind als Handlungsempfehlung und Orientierungshilfe fr Akteure im Tourismus im lnd-lichen Raum gedacht. Das Projekt hat der Deutsche ReiseVerband (DRV) im Auftrag des Bundesministeri-ums fr Wirtschaft und Technologie (BMWi) durchge-fhrt. Unser herzlicher Dank gilt dem BMWi fr die finanzielle Untersttzung sowie dem Fachbeirat und der Steuerungsgruppe fr die fachliche und inhaltliche Begleitung des Projekts. Dabei sollten Mglichkeiten und Chancen aufgezeigt werden, wie der Tourismus in lndlichen Regionen in unserem Lande an das Wachs-tum des boomenden Stdte- und Deutschlandtouris-mus anknpfen kann.

    Der Reiseboom der Deutschen begann in den 50er und 60er Jahren mit Busreisen und Bahn-Pauschal-reisen in berwiegend deutsche Ferienziele in den Alpen und an der See. Mit dem aufkommenden Boom der Flugpauschalreisen und der rasanten Zunahme der eigenen Automobilitt ebbte diese Reiseform inner-halb Deutschlands zugunsten der selbst buchenden Kunden und direkt vermarktenden Leistungstrger langsam ab, versiegte aber nie. In den vergangenen Jahren haben zunehmend kleine und groe Reisever-anstalter Deutschland wieder als attraktives und profi-tables Produkt entdeckt und prsentieren eine Flle von Angeboten pro Saison auf tausenden Katalog- und Internetseiten. Dies ist nicht zuletzt zukunftsorientier-ten Hoteliers vor allem aus Stdten und bekannten Ferienregionen zu verdanken, die die bedeutende Rolle der Reiseveranstalter und Reisebros fr das Marketing und Vertriebs-Mix und insbesondere zur Neukundengewinnung erkannt haben. Weniger be -kannte Regionen in lndlichen Rumen bieten fr beide Seiten noch erhebliches Potenzial, das es auszu-schpfen gilt. Anregungen und Beispiele aus der Praxis finden sich in diesem Leitfaden.

    Ich ermuntere alle Interessierten, sich mit den vorlie-genden Ergebnissen dieses durch intensive Mitarbeit vieler Branchenprofis erarbeiteten Projekts zu beschf-tigen. Ich bin mir sicher, dass viele von Ihnen hiermit wertvolle Anregungen erhalten um vorhandene, aber bislang vielleicht noch nicht erkannte Chancen zu nut-zen. Oder auch, um bestehende Hrden zu berwin-den. Profitieren auch Sie in lndlichen Rumen vom Boom des Deutschlandtourismus.

    Herzlichst,

    Ihr

    Jrgen Bchy Prsident des Deutschen ReiseVerbandes (DRV)

  • 41. Einfhrung und Hintergrund

    Lust auf Natur, raus aus der Stadt, weg vom Alltag! Wer denkt da nicht an einen entspannten Trip aufs Land, an eine Radelpartie durch herrliche Landschaft mit kleinen Drfern, der Landwirt grt freundlich Gesttzt wird dies durch gesellschaftliche Trends wie Rckbesinnung auf Regionalitt, Nachhaltigkeit, stei-gendes Umweltbewusstsein, Gesundheit und Ent-schleunigung. Die Growetterlage fr den Tourismus in Deutschlands lndlichen Rumen scheint gnstig. Trotzdem profitieren bisher vor allem die groen Stdte von den Nachfragezuwchsen der letzten Jahre im Deutschlandtourismus.

    Viele gute Grnde sprechen dafr, dies zu ndern, denn gerade in lndlichen Rumen kann ein lebendi-ger Tourismus die Lebensqualitt deutlich erhhen: Arbeitspltze vor Ort werden gesichert oder neu geschaffen und so Abwanderung verhindert. Damit knnen die rtlichen Angebote und die ffentliche Infrastruktur erhalten und verbessert werden, die wie-derum Voraussetzung fr touristische Nachfrage sind: Der ffentliche Nahverkehr, kulturelle und Freizeitan-gebote, Gasthfe und Geschfte finden ihre Kunden.

    Es lohnt sich also, nach den Ursachen der vergleichs-weise geringen Wachstumsdynamik in lndlichen Rumen zu suchen. Und mit dem Blick nach vorn zu fragen: Wie funktioniert Tourismus in lndlichen Ru-men? Welche grundlegenden Voraussetzungen mssen im ffentlichen und privaten Bereich des Tourismus erfllt werden? Was ist rund ums touristische Produkt zu tun, um Nachfragepotenziale zu erzeugen? Welche Vertriebswege sind knftig richtig und warum? Wie lassen sich neue Anstze fr Kooperation und Zusam-menarbeit umsetzen?

    Das Projekt Tourismusperspektiven in lndlichen Rumen Handlungsempfehlungen zur Frderung des Tourismus in lndlichen Rumen ging diesen und weiteren Fragen nach. Gefrdert durch das Bundes-ministerium fr Wirtschaft und Technologie (BMWi), wurde es vom Deutschen ReiseVerband (DRV) durch-gefhrt. Ziel war es, den Status Quo im Tourismus lndlicher Rume zu ermitteln sowie Perspektiven und modellhaft Lsungswege fr Anbieter, Vermarkter, Netzwerke und die ffentliche Hand in wichtigen Handlungsfeldern aufzuzeigen. Das Bewusstsein fr

  • Wege zum Erfolg soll durch umfassende Kommunika-tion der Ergebnisse bei den relevanten Akteuren gestrkt werden.

    In einem mehrstufigen Analyseverfahren wurden das Tourismussystem lndlicher Rume analysiert, Chan-cen und Herausforderungen bewertet und knftige Handlungsfelder sowie entsprechende Schlsselstrate-gien und Erfolgsfaktoren abgeleitet.

    Das Projekt zielte dabei auf eine grtmgliche Praxis-nhe. Untersetzt durch wissenschaftliche Expertise wurden zahlreiche Best-Practice-Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum zur Ableitung der Handlungs-empfehlungen herangezogen. ber einen bundeswei-ten Beteiligungsaufruf konnten hierfr mehr als 450 Beispiele aus Angebotsgestaltung, Vermarktung, Ver-trieb, Netzwerkbildung, Fachkrftesicherung und Mobi-litt in lndlichen Rumen ermittelt werden. ber 350 Fachleute aus Tourismuswirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung wurden in Experten gesprchen und auf vier Regionalkonferenzen einbezogen. Chancen und Herausforderungen wurden er mittelt, die Beispiele analysiert und schlielich Erfolgsfaktoren und Hand-lungsempfehlungen fr den Tourismus in lndlichen Rumen abgeleitet. Ein Fachbeirat mit 30 Vertretern und Vertreterinnen aus Tourismus, Wissenschaft sowie Politik und Verwaltung (Liste der Mitglieder siehe S. 63) begleitete zudem das Projekt.

    Im Fokus des Projektes:

    Analyse des Systems Tourismus in lndlichen Rumen: Potenziale, Herausforderungen, Hand-lungsfelder.

    Ableitung von Schlsselstrategien und Erfolgsfaktoren: Nachweis der Erfolgschancen anhand erfolgreicher und beispielhafter Projekte, Produkte, Netzwerkanstze, Marketing- und Vertriebsplatt-formen aus Tourismusbranche und ffentlicher Hand mit Bezug zu allen relevanten Angebotsthe-men.

    Kompakte und praxisnahe Checklisten fr Anbie-ter, Vermarkter und ffentliche Hand.

    51. Einfhrung und Hintergrund

    Aufbau des Leitfadens

    Der Leitfaden definiert zunchst das Verstndnis des Tourismus in lndlichen Rumen entsprechend des Projektauftrages und gibt einen berblick ber den Status Quo des lndlichen Tourismussystems mit seinen Potenzialen und Treibern sowie Herausforde-rungen und Hemmnissen. Auf dieser Basis werden zehn Handlungsfelder definiert und die wichtigsten Strategien und Erfolgsfaktoren errtert. Diese werden anhand von Praxisbeispielen erlutert. Fachbegriffe und Abkrzungen werden am Ende des Leitfadens erklrt.

    Info Der Leitfaden gibt einen berblick ber die Projekt-ergebnisse. Vertiefende Informationen und Details zu den einzelnen Handlungsfeldern mit ihren Lsungs-anstzen, weiteren Praxisbeispielen und den Checklis-ten werden in zehn Kurzreports verffentlicht. Diese werden ab Mitte Februar 2013 als Downloads unter www.tourismus-fuers-land.de und www.bmwi.de bereitgestellt.

  • 62. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    2.1 Breites Untersuchungsspektrum

    Tourismus in lndlichen Rumen ist weit mehr als Urlaub auf dem Bauernhof und seine Varianten wie Urlaub beim Winzer oder Urlaub beim Fischer. Das Spektrum beinhaltet aktuelle Produktlinien oder Marken einzelner Bundeslnder wie Urlaub auf dem Lande (z. B. Mecklenburg-Vorpommern), Kinderland (Bayern), Grner Sden (Baden-Wrttemberg) ebenso wie Angebote rund um lndliche Traditionen/Lebens-art. Aber auch Angebote ohne Bezug zur Landwirt-schaft und Regionalkultur, Aktivitten in der Natur wie Radtourismus, Wandern oder Wintersport und auch das Erlebnis vielfltiger Kultur- und Naturlandschaften zhlen dazu. Die Bandbreite ist so gro wie die Land-schaftsformen in Deutschland: Ksten, Mittelgebirge, Flachland oder Alpen. Tourismus in lndlichen Ru-men umfasst alle hier vorkommenden Angebotsformen!

    Handlungsempfehlungen mssen daher zwangslufig auf einer umfassenden Herangehensweise an die Thematik basieren. Dazu wurde ein an Kriterien der Raumordnung orientierter Ansatz gewhlt: Lndliche Rume umfassen demnach Gemeinden unter 5.000 Einwohnern und Regionen mit einer Einwohnerdichte von weniger als 150 Einwohnern/km2 1, also alle Regionen auerhalb stdtischer Verdichtungsrume. Dies entspricht etwa 60 % der Flche Deutschlands. Eine Begrenzung allein auf diese Gemeindegren und Bevlkerungsdichte kann jedoch nicht erfolgen, denn sonst knnten Wechselbeziehungen zwischen etwas greren Kommunen (beispielsweise in Folge von Gebietsreformen/Eingemeindungen) und dem wirk-lich lndlichen Umland nicht einbezogen werden. Ebenso sind auch lndliche Gebiete innerhalb von Ballungsrumen einzubeziehen. Betrachtet werden demnach:

    1 Werte auf Basis des BBSR 2010 und in Anlehnung an OSV-Tourismusbarometer 2010.

  • 72. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    touristisch strker und geringer entwickelte Regionen,

    zentrale und periphere Rume sowie

    bernachtungsintensive und tagestouristisch relevante Gebiete.

    Somit wird ein breites touristisches Angebotsspektrum sowohl mit als auch ohne direkten Bezug zu Landwirt-schaft und Regionalkultur in den Blick genommen. Gerade dies ermglicht eine intensivere Errterung wichtiger, fr das Funktionieren des touristischen Sys-tems lndlicher Rume relevanter Belange. Diese sind z. B. Kooperationspotenziale, Wertschpfungsbezie-hungen oder Vermarktungsoptionen.

    2.2 Marktentwicklung und Potenziale

    Der Deutschlandtourismus ist mit zuletzt 394 Millio-nen bernachtungen (2011) anhaltend auf Wachs-tumskurs. Whrend die Nachfrage in den greren Stdten (Gemeinden ber 50.000 Einwohner) ab 2004 jhrlich um ca. 4,6 % auf knapp 130 Millionen und in Gemeinden bis 50.000 Einwohnern um 1,6 % jhrlich auf 169 Millionen bernachtungen wuchs, stagniert jedoch die Nachfrage in kleinen Gemeinden bis 5.000 Einwohnern mit 0,3 % jhrlichem Wachstum auf zuletzt 95,6 Millionen bernachtungen.2

    2 Quellen: Statistisches Bundesamt, FUR Reiseanalyse 2012.

    Abbildung 1: Anzahl der bernachtungen nach Gemeindegrenklassen 2001 bis 2011

    80

    100

    2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

    2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

    120

    140

    160146,1

    141,1 142,2150,9 153,3

    154,7158,7 160,9 160,0

    162,4168,7

    CAGR**20012003

    * Daten ab 2004 inklusive Camping ** CAGR: fr den betracjhteten Zeitraum durchschnittliche jhrliche Wachstumsrate (Compound Annual Growth Rate)

    CAGR**20042011

    CAGR**20012003

    CAGR**20042011

    92,289,8 86,6

    94,499,4

    105,7110,4 113,2

    112,8

    122,2129,7

    88,3 86,6 86,393,5 91,3 90,9 92,8

    95,5 95,9 95,7 95,6

    43,1 42,4 43,0

    49,853,2

    55,6

    61,765,6

    41,4 42,145,8 47,3

    48,3 49,850,8 50,3

    55,3

    22,2 21,7 21,2 23,523,5 23,7 24,4

    25,3 25,7 25,9 26,5

    180

    20

    0

    30

    40

    50

    60

    70

    bernachtungen 20012011* in Mio.

    Anknfte 20012011* in Mio.

    56,956,9

    42,1

    52,447,2

    -1,34 % +1,61 %

    -0,99 % +4,64 %

    -3,22% +0,32 %

    -0,08 % +4,82 %

    +0,003 % +2,73 %

    -2,35% +1,73 %

    Quelle: Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt 2012, Daten ab 2004 inklusive Camping.

    Gemeinden bis 5.000 Einwohner Gemeinden 5.00050.000 Einwohner Gemeinden ber 50.000 Einwohner

  • 8 2. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    35 % der Deutschen verbringen ihren Haupturlaub in Deutschland, der Deutschlandtourismus ist somit nach wie vor von der Inlandsnachfrage geprgt: In den gr-eren Stdten machen Deutsche ca. 70 % der Nach-frage aus, in lndlichen Rumen etwa 90 %. Dennoch ist der Incomingtourismus (Reisen auslndischer Gste nach Deutschland) der grte Wachstumstreiber der letzten Jahre. Dies gilt vor allem fr den Stdtetouris-mus, doch auch in lndlichen Rumen ist ein positiver Trend zu verzeichnen. Daher scheint auch in diesem Bereich das Potenzial noch nicht ausgeschpft. Gerade in grenznahen Gebieten sowie in den etablierten Bin-nen- und Kstenregionen und hier vor allem im Natur- und Aktivtourismus3 knnen noch mehr Gste aus den Nachbarlndern gewonnen werden.

    3 Quelle: DZT 2012 Marktinformationen.

    Kleinteilig geprgter Beherbergungssektor im Umbruch

    Gegenber der von der Hotellerie dominierten Beher-bergungsstruktur in den (Gro-)Stdten ist das ber-nachtungsgewerbe im lndlichen Raum deutlich viel-schichtiger aufgestellt. Kleinere Unterkunftsformen wie Privatvermieter, Ferienwohnungen, Pensionen, Gasthfe, aber auch der Camping-Sektor stellen einen deutlich hheren Anteil an den Kapazitten.

    Die statistisch nicht erfassten Betriebe unter 9 Betten4 haben eine weitaus grere Bedeutung als in Stdten und sind in manchen Regionen nach wie vor angebots-prgend. Gerade diese Betriebe werden berwiegend im Nebenerwerb gefhrt. Es ist davon auszugehen, dass

    hier in den kommenden fnf bis zehn Jahren eine Marktbereinigung stattfinden wird: Einerseits werden infolge ungelster Nachfolgeregelungen viele kleine Beherbergungsbetriebe schlieen, andererseits lohnt sich Tourismus im Nebenerwerb fr viele Landwirt-schaftbetriebe immer weniger, da die erforderlichen personellen Ressourcen zunehmend fr die Bewirt-schaftung grer werdender Anbauflchen gebunden werden und vergleichsweise wenig Ertrag in Relation zum erforderlichen Aufwand generiert wird.

    4 Hinweis: Ab 2012 werden durch die Statistik Betriebe unter 10 Betten nicht erfasst.

    konomische Bedeutung

    Die kleinteilige und oft wenig professionelle Angebots-struktur bedingt ein deutlich niedrigeres Preisniveau im Vergleich zu den Stdten. Auch bedingt durch die geringere Attraktions- und Angebotsdichte bewegen sich die allgemeinen Urlaubsausgaben auf niedrigerem Niveau. In der Folge werden lediglich 12 % der touristi-schen Wertschpfung auf dem Land generiert, obwohl fast 32 % der bernachtungskapazitten hier zu finden sind.5

    5 Eigene Berechnungen auf Basis von: Deutsches Wirtschaftswissenschaftliches Institut fr Fremdenverkehr (dwif) 20022010.

    Es zeichnen sich einige grundlegende Entwicklungen ab, die knftig mageblich eine positive Wachstums-dynamik beeinflussen. Zu nennen sind nderungen im Wertegefge, Verschiebungen auf Anbieter- und Ver-marktungsseite und auch die demographische Ent-wicklung, die bei aller Problematik Chancen auf Nach-fragesteigerung bietet.

    Vernderungen im Wertegefge

    Die Alltagswelt wird schneller und hektischer, Patch-work-Familien (z. B. Mutter, Kind, Groeltern, zweiter Lebenspartner) und alternative Lebensmodelle sind auf dem Vormarsch. In der globalisierten Welt drohen zudem Identitten zu verschwimmen. Wurden die ver-gangenen Dekaden noch vom Streben nach Selbstver-wirklichung oder Prestigedenken geprgt, so wird der aktuelle Zeitgeist zunehmend durch die Suche nach Authentischem, Tradition und auch Heimat bestimmt.

  • 92. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Abbildung 2: Anzahl der angebotenen Betten in 2011 nach Gemeindegrenklassen und Betriebsart

    Schulungsheime 1 %

    3 %

    2 % 1 %

    23 %

    5 %

    2 %1 %

    2 %2 %

    8 %

    2 %7 %

    4 %

    4 %

    4 %

    6 %

    7 %

    27 %

    Ferienzentren 3 %

    Vorsorge- und Rehakliniken 4 %

    Jugendherbergen und Htten 4 %

    Hotels garnis 4 %

    Pensionen 4 %

    Erholungs- und Ferienheime 5 %

    Gasthfe 8 %

    Campingpltze 35 %

    Struktur des Gastgewerbes in ...

    ... Gemeinden bis 5.000 Einwohner ... Gemeinden mit 5.000 bis 50.000 Einwohnern

    ... Gemeinden mit ber 50.000 Einwohnern

    Quelle: Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt 2012, Daten ab 2004 inklusive Camping

    - zustzlich hohe Bedeutung des privaten Sektors- rund 33,5 Mio. bernachtungen in privaten Betrieben (Berechnungen nach dwif 2006)

    Hotels(ohne Hotels garnis)

    17 %

    Feha/Fewo 15 %

    9 %27 %

    54 %

    Abbildung 3: Treiber fr Tourismus in lndlichen Rumen

    Quelle: Eigene Darstellung

    Vernderungen im Wertegefge Demographischer Wandel

    nderungen und Innovationen auf Anbieterseite

    Suche nach Authentizitt, Echtheit, Tradition und Heimat als Gegenreaktion auf zunehmende Globalisierung und Hektik des Alltags Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit als Selbstverstndlichkeit zunehmende Bedeutung von Regionalitt und intakter Natur

    steigende Nachfrage lterer Menschen fr Tourismus in lndlichen Rumen zunehmende Afnitt zu Naturerlebnissen mit steigendem Alter wachsendes Interesse auch bei lteren Menschen fr die Themen Nachhaltigkeit und Klimabewusstsein

    steigender Wettbewerbs- und Prolierungsdruck der Reisebranche steigende Nachfrage nach buchbaren Kapazitten rasant voranschreitende technologische Entwicklung zunehmende Professionalisierung

    Tourismus in lndlichen Rumen

  • 10 2. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit werden fr immer breitere Bevlkerungsschichten selbstverstnd-licher Bestandteil des eigenen Lebensentwurfs. Intakte Natur sowie die Regionalitt von Lebensmitteln ber Konsumgter bis zu Dienstleistungen werden wichtiger.

    Damit verknpft ist das Streben nach entschleunigten Alltags- und Freizeitwelten. Vor allem fr in stdti-schen Ballungsrumen lebende Menschen rcken lndliche Rume als attraktive Natur-, Kultur- und damit Lebensrume und somit idealtypischer Gegen-entwurf zum eigenen Alltag ins Bewusstsein. Das medial derzeit stark prsente Thema Landleben spie-gelt also einerseits den Zeitgeist wider, andererseits weist es auf einen langfristigen, wenngleich zunchst vor allem auf urbane und berufliche Eliten (u. a. hohe Bildung und Einkommen) beschrnkten Trend und vielleicht sogar Lebensstil hin: Bereits heute betrifft das von Zeitschriften wie Landlust (Auflage 2012: eine Million) aufgegriffene Thema Landleben viele Lebensbereiche, von der Architektur und Innenein-richtung ber Kleidung und Mode, Essen und Genuss bis hin zu Medien und Literatur.

    Demographische Vernderungen/nderungen in der regionalen Bevlkerungsstruktur

    Mit zunehmendem Alter steigt meist auch die Affinitt zu Naturerlebnis und Aktivitten in der Freizeit.6 Dies bedeutet: Das Nachfragepotenzial fr lndliche Rume wird infolge der demographischen Entwicklung in den kommenden Jahren zunehmen. Hinzu kommt: Themen wie Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit

    betreffen bei weitem nicht nur junge, urbane Eliten oder Familien, sondern prgen bereits heute die brgerliche Mitte.

    6 FUR Reiseanalyse 2012.

    Paradoxerweise wirkt die in den letzten Jahren teils massive Abwanderung vieler jngerer Menschen in stdtische Rume im Gegenzug wie ein touristischer Nachfrageturbo. Auf der Suche nach Authentizitt oder den eigenen Wurzeln gewinnen lndliche Rume pltzlich wieder an Attraktivitt.

    nderungen und Innovationen auf Anbieterseite

    Der harte Wettbewerbs- und Profilierungsdruck zwingt auch die klassische Reisebranche (Reiseveran-stalter und Reisebros) zum Handeln. Durch die sich abzeichnenden Nachfragetendenzen wird der teils noch lckenhaft erschlossene deutsche Markt (insbe-sondere die lndlichen Rume) zunehmend attraktiv. Auch die groen Veranstalter bauen, den Spezialisten folgend, ihre Deutschland-Programme aus oder stei-gen neu in diesen Markt ein. Mit dem gesteigerten Angebot wird die Nachfrage nach buchbaren Kapazi-tten in lndlichen Rumen weiter steigen.

    Die rasant voranschreitende technologische Entwick-lung ermglicht immer einfachere und kostengnsti-gere Lsungen vor allem im kommunikativen und vertriebsorientierten Bereich, so dass auch kleinere Angebote oder Regionen im Marketing und Vertrieb wahrnehmbar werden. Insbesondere durch die Digita-lisierung der Landschaft, d. h. die Vor-Ort-Verfgbar-keit von Informationen jeglicher Art mithilfe mobiler Endgerte wie Smartphones oder Tablet-PCs, werden auch online-affine Zielgruppen erreicht.

    Marktbereinigung kann zu Professionalisierung fh-ren: Insbesondere in Regionen mit touristischen ber-kapazitten werden nicht tragfhige (Kleinst-)Betriebe, vor allem solche im Nebenerwerb, mittelfristig kaum mehr bestehen knnen. Tourismus, genauso wie auch Landwirtschaft, kann eine Kernbranche werden: Der starke Wettbewerb in und zwischen den Regionen erfordert ein klares Konzept sowie entsprechende Strukturen und Ressourcen zur Umsetzung. Es ist

  • 112. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    davon auszugehen, dass der Professionalisierungsgrad der verbleibenden Anbieter, getrieben durch die nach-folgende jngere Generation, deutlich hher liegen wird als aktuell. Qualifizierung und Weiterbildung bleiben dabei ein Dauerthema.

    Angebot und Nachfrage

    Das in lndlichen Rumen vorzufindende Themen-spektrum ist breit gefchert. Eine bergreifende und dennoch przise Zielgruppensegmentierung ist daher schwierig bis unmglich. Dennoch lassen sich wichtige Themen und grundlegende Gstetypen fr lndliche Regionen und Eckpfeiler ihrer Verhaltensmuster und Anforderungsprofile ableiten. Fr die konkrete Markt-bearbeitung durch eine Region oder einen Anbieter ist eine detaillierte Zielgruppenanalyse unerlsslich.

    Touristische Kernthemen

    Die touristische Nachfrage fr lndliche Rume wird zunchst von eher allgemeinen Urlaubswnschen nach Erholung, Ausruhen, Entspannen oder Erlebnis bestimmt. Zugleich gewinnen einige thematische Urlaubssegmente infolge der steigenden Nachfrage eine besondere Bedeutung:

    NaturUrlaub: Zentrale Motive sind Natur-Attrak-tionen, Aktivitten wie Wandern und Radfahren, aber auch Wasserwandern/Wassersport und Win-tersport, vor allem Ski nordisch. Hohes Potenzial besteht vor allem fr die deutschen Mittelgebirge bzw. die Natur- und Landschaftsrume mit den entsprechenden Voraussetzungen.

    Strand/Badeurlaub (Kste und Binnengewsser): Im Mittelpunkt stehen die Entspannung am Strand/beim Baden, hedonistische Motive wie Schnheit und Sonnenbrune, aber auch Spiel und Sport. Naturge-m besitzen primr die Ksten und einige der gro-en Binnengewsser eine entsprechende Attraktivitt. Sie knnen langfristig sogar vom Klimawandel profi-tieren, da mit Nachfrageverschiebungen durch Urlaubsgste aus dem als berhitzt empfundenen Mittelmeerraum zu rechnen ist. Zunehmend nachge-fragt werden wetterunabhngige Angebote (Indoor-spielplatz, Themenwelten usw.). Die Bedeutung des Hinterlands der Ksten steigt. (Leichte) Aktivitten, Naturerlebnis und Regionalitt sind hier gefragt.

    AktivUrlaub: Obwohl eng mit Natururlauben ver-knpft, ist die Motivationslage geprgt durch die Fokussierung auf Erlebnis und Spa beim Wan-dern, Radfahren, Reiten, Wasserwandern, Golf, aber auch Aktivitten wie Wintersport, Mountainbiking oder Rennradfahren.

    Urlaub auf dem Bauernhof: Einer der Klassiker gerade fr Familien. Im Mittelpunkt fr die Gste stehen das Hoferlebnis, Tiere und Familienleben.

    Gesundheit: Gefragt sind Angebote aus den Be rei chen Natur und Aktiv mit gesundheitlichem Mehr wert (z. B. therapeutisch begleitetes Gesund-heitswandern), Gesundheitsangebote fr alle Indikationsstufen und Wellnessangebote.

    Die Kernthemen weisen starke berschneidungen auf. Fr entsprechend profilierte Anbieter oder Regionen bedeutet dies nicht unerhebliche Synergiepotenziale.

  • Definierte Gstetypen

    Die aktuelle und knftige Nachfrage fr die touristi-schen Kernthemen wird von fnf durch ihr Wertesys-tem definierte Gstetypen7 bestimmt, die konkretes Interesse am jeweiligen Thema zeigen und denen die

    damit verknpften Kernmotive besonders wichtig sind. Sie haben sowohl im Tages- als auch bernach-tungstourismus groe Relevanz.

    7 Hinweis zu Gstetypen: Best Ager (Leute im besten Alter): Menschen 50+, hohe Konsum- und Genussorientierung, Sportliche Performer (Leistungsorientierte), Details siehe Abbildung 5.

    Abbildung 4: Zielgruppen fr Tourismus im lndlichen Raum

    Wasserorientierte Erholungssuchende (6,3 Mio.*)

    Naturbegeisterte Best Ager (5,1 Mio.)

    12 2. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Sportliche Performer (4,4 Mio.)

    Landaffine Familienmenschen (3,7 Mio.)

    Konservative Gesundheits-orientierte (3,5 Mio.)

    * Personen mit Interesse an den Kernthemen und Inlandsinteresse 20112013, Basis: Reiseanalyse 2011 der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V.

    Quelle: Eigene Darstellung nach NIT

  • Abbildung 5: Charakteristika der Zielgruppen fr Tourismus im lndlichen Raum

    132. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Naturbegeisterte Best Ager 50+, krperlich fit

    Werte und Orientierung: Sympathie gg. traditionellen Werten, aber gg. Trendthemen wie Umwelt, Nachhaltigkeit und

    Klimaschutz aufgeschlossen, Drauen sein als Wert an sich, zunehmende MarkenorientierungUrlaubsinteressen: Bewegung in mglichst unberhrter Natur, im Urlaub etwas fr die Gesundheit tun kulturelle Angebote sowie regionaler Charakter von Gastronomie und Dienstleistungen

    Reise- und Informationsverhalten: individuelles Reiseverhalten, Anreise per Pkw/Wohnmobil, bevorzugt Pension Fewo noch klassisches Informationsverhalten, Online-Affinitt steigend

    Anforderungen: flexible Erholungs- und Aktivangebote, Komfort und Genuss, nachhaltiger Charakter

    Sportliche Performerjngeres, mittleres Alter, v. a. Mnner

    Werte und Orientierung: ehrgeizige, hedonistische Grundeinstellung, wollen Spa haben, sehr technikaffin,

    hohe Markenorientierung (mit Bezug zur jeweiligen Aktivitt)

    Urlaubsinteressen: Natur bezwingen, sich bewegen, aktiv sein, geringes Interesse an kulturellen Angeboten

    Reise- und Informationsverhalten: Anreise mit Pkw, alle Unterkunftstypen, Affinitt zu mobilem Internet und Social Media

    Anforderungen: Erlebnisse und Aktivitt (mit Leistungsbezug)

    Landaffine FamilienmenschenEltern, Groeltern mit Kindern im

    Kindergartenalter und Grundschulalter

    Werte und Orientierung: hohe Familienorientierung, Wohl der Kinder steht an erster Stelle, Bewusstsein fr Nachhaltigkeit

    und Klimaschutz

    Urlaubsinteressen: Ruhe genieen, den Kindern Natur, Tiere und Landleben vermitteln, Regionalitt und Authentizitt

    Reise- und Informationsverhalten: v. a. Schulferien, Anreise per Pkw, bevorzugt Fewo, Bauernhof Nutzung von Printmedien und Internet

    Anforderungen: persnlicher Kontakt zu Gastgeber, vielfltiges Freizeitangebot, kinderfreundliche Einrichtung

    Wasserorientierte Erholungssuchendemittleres Alter, meist Familien

    Werte und Orientierung: Orientierung am Mainstream, gesellig, unauffllig

    Urlaubsinteressen: Nichts tun, baden, ausruhen, Ausflge ins Hinterland (bei schlechtem Wetter)

    Reise- und Informationsverhalten: bevorzugt Fewo, Hotels in Strandnhe vorab hoher, vor Ort geringer Informationsbedarf

    Anforderungen: Gesamtangebote fr die ganze Familie, Verzahnung Strand und Hinterland

    Konservative Gesundheitsorientiertelteste Zielgruppe, viele Ruhestndler,

    relativ hufig gesundheitliche Einschrnkungen

    Werte und Orientierung: konservative Grundeinstellung, traditionelle Werte, bodenstndig

    Urlaubsinteressen: sich verwhnen lassen, Geselligkeit und Unterhaltung, Gesundheits- und Kureinrichtungen,

    Naturattraktionen und Sehenswrdigkeiten

    Reise- und Informationsverhalten: oft allein, gleichmig ber das Jahr verteilt, Anreise meist mit Pkw, Bahn-/Busanteil hher, Hotels

    und Pensionen (wichtig: Komfort und Barrierefreiheit) Info und Buchung ber klassische Kanle, Internet wird aber wichtiger

    Anforderungen: Orientierung (verlssliche Kriterien), Sicherheit und Komfort

    Quelle: Eigene Darstellung nach NIT

  • 14 2. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Fr die einzelnen Kernthemen sind klare Zielgruppen-zuordnungen erkennbar. Das Thema Natur spricht die Naturbegeisterten Best Ager an, jedoch auch Landaffine Familienmenschen und Sportliche Performer. Diese wiederum sind die wichtigste Zielgruppe des Themensegments Aktiv. Entsprechend der erkennba-ren Urlaubsmotive und -aktivitten lassen sich klare Empfehlungen fr Produktgestaltung und Marktan-sprache ableiten.

    Die Affinitt der einzelnen Gstetypen zu den Kernthe-men ist dabei zwar unterschiedlich stark ausgeprgt, dennoch bestehen Gemeinsamkeiten in den Interes-sen, die fr das Angebot nutzbar sind. Naturbegeisterte Best Ager etwa haben kein dominantes, jedoch ein durchaus vorhandenes Interesse an Gesundheitsange-boten. Das entsprechende Thema sollte dabei mit Blick auf das jeweilige Hauptmotiv aufgearbeitet werden, z. B. Gesundheitsangebote fr Naturorientierte Best Ager mit Bezug zu Natur und Landschaft (z. B. Land-schaftstherapie), Radfahren oder Wandern fr Familien in Kombination mit Unterwegs-Attraktionen, Natur-angebote fr Wasserorientierte Erholungssuchende nahe am Urlaubsort usw.

    Der Blick auf Lebensumstnde, Wertesysteme sowie das sich daraus ableitende Reiseverhalten und Infor-mationsbedrfnis verdeutlicht:

    Lndliche Rume knnen als echte und gleichzeitig moderne Gegenwelt zum Alltag positioniert werden.

    Bei der Positionierung und Ausgestaltung des eige-nen Angebots ist eine klare Zielgruppenanalyse und -festlegung vorzunehmen.

    Gefordert sind zunehmend Angebotskombinatio-nen und Mischformen, vor allem aus den Berei-chen Natur, Aktiv und Gesundheit.

    Zielgruppen definieren sich ber ihr Wertesystem und ihren Lebensstil. Aspekte wie Nachhaltigkeit, Regionalitt oder Entschleunigung gewinnen an Bedeutung.

    Angebote mssen auch die aktuellen Lebens- und Haushaltsformen bercksichtigen, z. B. ber eine Ausrichtung auf Patchworkfamilien und ihre Bedrfnisse.

    Abbildung 6: Relevanz der Zielgruppen fr Kernthemen

    Zielgruppe

    Kernthema

    NaturbegeisterteBest Ager

    Landafne Familienmenschen

    Sportliche Performer Wasserorientierte Erholungssuchende

    Konservative Gesundheits-orientierte

    Natur ++ + + o +

    Bauernhof + ++ - o o

    Aktiv + o ++ o o

    Strand o + + ++ -

    Gesundheit o - o - ++

    Legende: ++ hohes Interesse + Interesse o kommt darauf an - wenig Interesse -- kein Interesse

    Quelle: Eigene Darstellung nach NIT

  • 152. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Komfortorientierte und barrierefreie Gestaltung der Angebote, nicht nur in Kurorten, wird erforder-lich.

    Aufgrund der teils starken Markenorientierung der Zielgruppen sollten auch in lndlichen Rumen touristische Marken entwickelt werden.

    Die rasant zunehmende Nutzung mobiler Endge-rte wie Smartphones oder Tablets, auch durch ltere, birgt groe Chancen fr Kommunikation und Vertrieb der lndlichen Angebote, erfordert aber auch die Bereitstellung der Informationen in digitaler Form.

    2.3 Herausforderungen an das System Tourismus in lndlichen Rumen

    Die touristische Entwicklung in lndlichen Rumen steht vor groen Herausforderungen. Diese lie-gen einerseits in den Charakteristika der Branche selbst begrndet, andererseits ist der Tourismus unmittelbar von strukturellen und politischen Rahmenbedingungen abhngig.

    Abbildung 7: Herausforderungen fr das Tourismussystem lndlicher Rume

    Quelle: Eigene Darstellung

    Strukturelle und bergreifende Einussfaktoren: Charakteristika der Tourismusbranche:

    Politische und organisatorische Bedingungen:

    Kleinteiligkeit und Semiprofessionalitt geringe Marken- und Vertriebsorientierung Investitionsstau Fachkrftemangel

    politische Rahmenbedingungen Zersplitterung im ffentlichen Tourismusmarketing

    Tourismussystem lndlicher Rume

    demographischer Wandel Klimawandel Strukturwandel in der Landwirtschaft und Energiewende

    Strukturelle und bergreifende Einflussfaktoren

    Folgen des demographischen Wandels

    Bis 2060 wird die deutsche Bevlkerung von etwa 82 auf 65 bis 70 Millionen Menschen, also um bis zu 21 %, zurckgehen.8 Damit einher geht eine Verschie-bung in der Alterspyramide: Betrug der Anteil der ber 65-Jhrigen in 2010 noch 21 % der Bevlkerung, so wird er 2030 bereits bei 29 % liegen, Prognose fr 2060: 34 %. Vor allem einige lndliche Regionen in Ost-deutschland, aber zunehmend auch in anderen Landes-teilen, werden aufgrund von Abwanderung jngerer

    8 BMI: Demographiebericht 2011.

  • 16 2. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Bevlkerungsschichten in wirtschaftlich strkere Stdte und Regionen berdurchschnittliche Rckgnge und strkere beralterung hinnehmen mssen.

    In der Folge der geringeren Nachfrage nach Infrastruk-turleistungen der Grundversorgung (ffentlicher Ver-kehr, Einkaufsmglichkeiten, rztliche Versorgung, kulturelle Einrichtungen, Gastronomie usw.) sind diese nur mit grerem Ressourceneinsatz aufrechtzuerhal-ten und werden teilweise auch ganz aufgegeben. Ebenso sind soziale drfliche Strukturen und damit auch die lokale bzw. regionale Identitt in ihrem Fort-bestand gefhrdet. Die Attraktivitt vieler lndlicher Standorte als Lebens- und Arbeitsort sinkt. Fr die Tourismusbranche bedeutet dies vor allem:

    Verringerung der Angebote, fehlende Nahversor-gung sowie Authentizittsverluste im Produkt durch schwindende lndliche Identitt der Gastgeber.

    Abnehmende Erreichbarkeit und Vernetzung der Angebote durch ffentlichen Verkehr und damit Gefahr des Nachfragerckgangs: Der Fernverkehr der Bahn bedient oder streift allenfalls grere Zentren lndlicher Regionen. Anschlussverbindun-gen mit dem Regionalverkehr, auch fr den Umstieg auf den Bus, sind oft nicht optimal vertak-tet. PNV-Netze werden vielerorts in der Linien- und Taktfrequenz ausgednnt oder sogar einge-stellt. Rufbus- oder Sammeltaxi-Systeme sind meist nur eine unzureichende Alternative. CarSharingSysteme (siehe Glossar) operieren bislang nur selten in lndlichen Rumen. Den Anforderungen touris-tischer Zielgruppen wird kaum entsprochen (z. B. barrierefreie Ausstattung von Verkehrsmitteln, Platz fr Freizeitausrstung, Radmitnahme in Bussen und Zgen).

    Sicherung ehrenamtlicher Ttigkeiten bei der Pflege touristischer Wege (Wandern, Fahrrad, Reiten, Loipe und andere) gefhrdet: Zwar sind noch immer 600.000 Menschen z. B. in den die Wander-wege pflegenden Wanderverbnden organisiert, doch sind auch hier beralterung und Abwande-rung bei geringen Neuzugngen bereits deutlich sprbar. Zudem sinkt generell die Bereitschaft, sich mit festem Engagement an einen Verein zu binden.

    So schrumpfte zum Beispiel die Mitgliederzahl des Sauerlndischen Gebirgsvereins von etwa 50.000 Mitgliedern im Jahr 1999 auf etwa 40.000 im Jahr 2011. Neue Konzepte fr Erhalt und Frderung ehrenamtlicher Ttigkeiten sind dringend erforder-lich.

    Klimawandel

    Die Experten prognostizieren fr Deutschland auch positive touristische Effekte der globalen Erwrmung durch Nachfragezuwchse, z. B. an den deutschen Ks-ten (unter anderem durch bisherige Mittelmeerurlau-ber). Lndliche Rume und hierbei insbesondere die oft auch auf den Wintersport spezialisierten Mittelgebirge stehen jedoch vor groen Herausforderungen:

    Wintersport, alpin wie nordisch, wird langfristig nur noch in den absoluten Hochlagen der meisten Mittelgebirge und Alpen und nur mithilfe knst-licher Beschneiung zuverlssig mglich sein. Die Investitionen in Beschneiungstechnik werden in den Mittelgebirgen nur eine vorbergehende Lsung fr die Problematik wrmerer Winter brin-gen. Mittel- bis langfristig werden deshalb fr die meisten der Wintersportzentren der Mittelgebirge Um- und Neupositionierungen erforderlich. Ganz-jahresstrategien, orientiert an langfristig mglichen und schneeunabhngigen Themen wie Wandern oder Gesundheit (z. B. Winterberg/Sauerland, www.winterberg.de), mssen zumeist erst noch erarbeitet werden.

    Die Wegeinfrastruktur, z. B. Wanderwegenetze, ist durch Wetterextreme knftig strker betroffen: Untersplungen durch Starkregen, Sturmschden an Mblierung und Beschilderung nehmen zu. Der Pflegeaufwand erhht sich. Aktuell bercksichtigen Netz- und Neuplanungen fr Qualittswege dies kaum. Die auf Dauer hheren Kosten bei der Pflege und die begrenzten Kapazitten des Ehrenamts erfordern bereits kurzfristig zwingend die Entwick-lung zuverlssig zu pflegender und klimafester regionaler Wegenetze.

  • 172. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Strukturwandel in der Landwirtschaft und Energiewende

    Die gesamte Landwirtschaft befindet sich im Umbruch. Harter Wettbewerb und die Auflagen des CrossComplianceProgramms9 zwingen zur Professionalisierung und Effizienzsteigerung. In der Folge werden Betriebe vergrert, die knapper werdenden landwirtschaft-lichen Flchen intensiv genutzt. Aufgrund des Effi-zienzdrucks nimmt der Anteil der Monokulturen stark zu. Landschaftspflege und Erhalt der traditionellen und kleinteiligen Kulturlandschaft geraten fr die Landwirte in den Hintergrund. Zudem sinkt infolge der Flchenknappheit, teilweise auch aufgrund des Bedarfs fr andere Nutzungen wie Verkehr, die Bereit-schaft vieler Landwirte, Flchen und Wege fr touristi-sche Nutzungen zu opfern.

    9 Prmienzahlungen an Landwirte durch die Europische Union bei Einhaltung von Umweltstandards. Die Einhaltung der Standards ist Voraussetzung fr den Erhalt der Prmienzahlungen.

    Auch die ffentliche Hand untersttzt zunehmend grere Einheiten. Profitierten frher vor allem klei-nere, traditionell arbeitende und damit auch das Land-schaftsbild erhaltende Betriebe von staatlichen Son-derprogrammen wie dem Bergbauernprogramm fr benachteiligte aber touristisch oftmals hchst attrak-tive Gebiete (z. B. Hanglagen in Mittelgebirgen), so wurden die Regularien in einigen Bundeslndern zugunsten grerer Betriebe gendert. Das Sterben kleinerer Hfe setzt sich fort.

    Der infolge der Energiewende zunehmende Anbau von Energiepflanzen wie Mais erhht zustzlich den Anteil von Monokulturen und hat bereits ganze Landschafts-bilder verndert. Kommunen und Landbesitzer wgen mit Aussicht auf Gewerbesteuern und Pachteinnah-men durch Windkraft- und Solaranlagen nur selten die Interessen der Energieerzeugung mit touristischen Anforderungen an das Landschaftsbild ab. Solar- und Windkraftanlagen ebenso wie Pumpspeicherkraft-werke beeinflussen die Landschaftscharakteristik zunehmend auch in den Mittelgebirgen.

    Abwechslungsreiche Kulturlandschaften als einer der zentralen Attraktivittsfaktoren vor allem fr den Aktiv- und Naturtourismus in lndlichen Rumen sind damit vielerorts bereits stark verndert bzw. in ihrem Fortbestand gefhrdet. Das Bewusstsein fr den Wert

    der Kulturlandschaft sowohl fr Einheimische als auch fr den Tourismus und damit fr die Notwendigkeit, die verschiedenen Interessen ausgleichen zu mssen, reift erst allmhlich.

    Charakteristika der Tourismusbranche in lndlichen Rumen

    Kleinteilige und oft wenig professionell geprgte Anbieter- und Angebotsstruktur

    Die touristische Angebots- und Anbieterstruktur in lndlichen Rumen ist traditionell durch familir gefhrte Klein- und Kleinstunternehmen geprgt, die zudem weit in der Flche verstreut liegen. Dies gilt sowohl fr das Gastgewerbe als auch fr weitere Freizeitanbieter.

    Zwar besitzt diese Kleinteiligkeit ihren Reiz vor allem in der Beziehung zum Kunden, da sie persnliche Kontakte ermglicht und lndliche Authentizitt ver-mittelt. Zugleich birgt sie aber auch eine Reihe von Hemmnissen:

    Begrenzte und nicht konstante zeitliche Verfgbarkeit von Angeboten infolge geringer personeller Ressourcen: Viele Angebote knnen nicht eine ganze Saison bzw. an den nachfragerelevanten Ter-minen vorgehalten werden. Kurzfristige Anfragen knnen zum Teil nicht bedient werden.

  • 18 2. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Geringer Grad an Kooperationsfhigkeit und bereit schaft: Groe Entfernungen, Wissensdefizite und begrenzte personelle Ressourcen erschweren den Austausch untereinander. Durch regionale Marketingorganisationen ins Leben gerufene Netz-werk-Initiativen verpuffen oftmals wegen man-gelnder klarer Zielsetzung, Aufgabenverteilung oder fehlender finanzieller Grundlagen. Partner-schaftliche und branchenbergreifende Wert-schpfung wird nicht generiert.

    Mangelhafte Wahrnehmbarkeit am Markt: Oft-mals bestimmen austauschbare Produkte ohne Wiedererkennungswert und ohne eine eigene emotionale Geschichte dahinter die Angebotsland-schaft. Infolge der auerdem oft fehlenden Inte-gration in regionale Strategien, Produktlinien und in das Auenmarketing sowie begrenzter eigener Budgets werden Zielgruppen und Quellmrkte nur schwer erreicht.

    Qualittsdefizite: Trotz Fortschritten durch um -fangreiche Qualifizierungsangebote und -manah-men z. B. der Tourismusorganisationen bestehen noch immer Defizite. Teils macht sich auch der hohe Anteil von ehrenamtlichen und nicht ausge-bildeten Arbeitskrften bemerkbar. Viele Leistungs-trger und Angebote erfllen zwar die Basisquali-ttsnormen wie DEHOGA-Hotel klassifizierung, DTV-Ferienwohnung-Zertifikat oder Service-Q. Eine Ausrichtung auf die spezifischen Wnsche unterschiedlicher Zielgruppen eine Erlebnisqualitt fehlt jedoch hufig. Auch die Basisqualitts-normen zielen mit ihren Kriterien hierauf kaum ab.

    Anpassungsbedarf von Kommunikation und Vertrieb auf Anbieterseite und im ffentlichen Tourismusmarketing an aktuelle Anforderungen

    Die digitale Welt ist lngst Alltag. Sie hat das Informa-tions- und Buchungsverhalten stark verndert und ins Internet verlagert. Jedes touristisch relevante Objekt oder Produkt einer Destination kann durch Anbieter,

    Akteure oder Kunden online gestellt und laufend ergnzt werden, wie durch Fotos (z. B. flickr.com), Videos (z. B. youtube.com), Bewertungen, Reisetipps, Empfehlungen und Meinungen zu Anbietern (z. B. holidaycheck.de, tripadvisor.de) usw. Viele Regionen und Anbieter gerade in lndlichen Rumen sind jedoch weder in ihrer Kommunikation noch im Vertrieb auf diese neuen Mglichkeiten eingestellt. Zudem fehlen hufig noch infrastrukturelle Voraussetzungen wie Breitband- oder LTE-Anbindung (siehe Glossar). In Vertriebsfragen kommen weitere Hemmnisse hinzu:

    Professionelle Vertriebskanle von Reiseveranstaltern und Reisebros eignen sich aufgrund der Anforderun-gen nach stabilen Standardprodukten und der Kontin-gentzwnge nur bedingt und ab einer bestimmten Grenordnung des Anbieters. Allerdings bestehen selbst bei fr den Veranstaltervertrieb geeigneten Betrieben noch hufig Vorbehalte gegenber Provisi-onszahlungen. Obwohl eine Provision nur im Fall einer Buchung fllig wird, fehlt hier das Verstndnis, dass Provisionen im Gegenzug umfassende Marketing-effekte durch flchendeckende Prsenz in Reisebros, Buchungsportalen und Katalogen erzeugen und das Angebot so bei den anvisierten Zielgruppen wahr-nehmbar wird. Ursache sind vor allem Wissensdefizite in Bezug auf Zielgruppenanforderungen und Marke-ting. Auch seitens der kleineren Anbieter werden geeignete Alternativen im Online-Bereich aufgrund von Unkenntnis ber das Vorhandensein derartiger Buchungstools zumeist nicht genutzt.

    Doch auch im ffentlichen Tourismusmarketing besteht ein eher verunsichertes Verhltnis zum Ver-trieb: Whrend sich einige DestinationsManagementOrganisationen (DMO, siehe Glossar) an das Thema heranwagen, bestehen bei anderen DMO massive Vor-behalte und Wissensdefizite. Viele DMO-Aktivitten im Vertrieb fhren oft nur zu migem Buchungserfolg. Ein wesentliches Problem besteht dabei in der zu - g runde liegenden technischen Infrastruktur: Die eige-nen Buchungssysteme (IRS10) der DMO sind technisch oft nicht mehr auf dem neuesten Stand. Schnittstellen11 zu weiteren Buchungssystemen (um die Angebote

    10 IRS: Informations- und Reservierungssysteme, Anbieter kann sein Angebot in diese Datenbank einstellen, Angebot wird damit unter ande-rem auf Website der Region und ggf. den Websites weiterer Partner-Buchungsplattformen sichtbar.

    11 Schnittstelle: Software, welche die Kompatibilitt und Austauschbarkeit der Daten zwischen Buchungssystemen, die mit verschiedenen Datenstandards arbeiten, sichert.

  • 192. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    auch dort sichtbar zu machen) sind teils technisch nicht mglich oder von den Systembetreibern nicht gewollt. In der Folge sind die IRS vieler DMO isoliert und knnen die Vorteile einer flchendeckenden Pr-senz des Angebots ber mehrere Kanle nicht nutzen die Zielgruppen werden nicht ausreichend erreicht.

    Die sich rasant entwickelnde Technik bei den privat betriebenen Buchungsportalen zeigt dabei eines deut-lich: Der Aufbau und Unterhalt technischer Infrastruk-tur fr den Vertrieb ist kostenintensiv und lohnt sich fr eine DMO nur selten. Bereits jetzt knnen Koope-rationsmodelle mit privaten Portalbetreibern geschlos-sen werden, die den DMO eine technisch aktuelle und mit anderen Systemen kompatible Infrastruktur kos-tenlos zur Verfgung stellen.

    Der Verzicht auf eigene technische Infrastruktur bedeutet jedoch keineswegs den kompletten Rckzug des regionalen Tourismusmarketings aus dem Vertrieb, sondern vielmehr eine wichtigere Rolle als Zulieferer von Angeboten: Die regionalen Organisationen kennen die Potenziale und Anbieter. Diese sollten bei der Gestaltung vertriebsfhiger Angebote untersttzt wer-den. Doch es geht auch um Inhalte; gerade die beson-deren Angebote mit Regional- und Lokalkolorit sind es, welche Reiseveranstalter, Reisebros und auch Buchungsportale bentigen. Das Wissen hierfr sollte bei den DMO vorhanden sein.

    Fehlende Markenorientierung des regionalen Tourismus-marketings

    Die Kleinteiligkeit des Angebots kann nur ber eine Bndelung der Produkte und die Kommunikation vor allem ber die DMO berwunden werden. Markenstra-tegien knnen hier entscheidend sein: Marken greifen vor Ort gelebte Werte und Identitt auf, integrieren sie in potenziell nachfragestarke touristische Themen und ermglichen damit Alleinstellung im Wettbewerb. Die Angebote orientieren sich in ihrer konkreten Ausrich-tung daran und werden gemeinsam vermarktet. Dem Gast wird damit ein alleinstellendes und emotional ansprechendes Leistungsversprechen gegeben.

    Markenstrategien werden bislang noch eher selten rea-lisiert (positives Beispiel: Allgu, www.allgaeu.info). Hufig bestehen Wissensdefizite in den regionalen Tourismusorganisationen oder es werden keine perso-nellen Ressourcen fr die Markenfhrung bereitge-stellt. Zustzlich hemmen teilweise komplexe und nicht an den Marktanforderungen ausgerichtete Orga-nisationsstrukturen oder tourismusferne, von der rt- lichen/regionalen Politik geprgte Aufsichtsgremien gezielte Markenentwicklungen.

    Investitionsstau

    Die Freizeit- und Tourismusinfrastruktur in lndlichen Rumen ist vor allem auerhalb erfolgreicher Orte oftmals beraltert, rumlich verstreut und gengt vie-lerorts nicht mehr den aktuellen Ansprchen der Ziel-gruppen. Dies gilt fr touristische Wegenetze und standortbezogene Einrichtungen (z. B. Bder, Thermen, Hotels), unabhngig davon, wer der Trger oder Betrei-ber ist. ffentliche und privat betriebene Angebote sind gleichermaen betroffen.

    Touristische Wege vernetzen einzelne Angebote, kn-nen aber fr sich selbst ein Produkt bilden (z. B. Rot-haarsteig, www.rothaarsteig.de). Zwar wurde vor allem im Bereich des Radfahrens und Wanderns in der letz-ten Dekade stark in den Ausbau von einzelnen Quali-ttswegen als regionales Aushngeschild investiert, dennoch bedrfen viele der Netze einer Anpassung. Kernproblem sind vielerorts zu dichte und damit kaum noch zu pflegende Netze. Wegefhrungen, Beschilde-rung und Mblierung (z. B. Ruhebnke) sind oft nicht mehr zeitgem. Regionale Prioritten fr eine erleb-nisreiche Inszenierung der Wege(netze) werden noch zu selten und nicht konsequent gesetzt.

    Bei der standortbezogenen Infrastruktur stehen vieler-orts Re- oder sogar Neuinvestitionen an, denn bei vielen Anlagen wurde selbst in wirtschaftlich guten Zeiten von den Eigentmern nur das Ntigste an Instandhaltung realisiert. Modernisierungen blieben aus, der Erlebniswert vieler Objekte ist damit gering. Die Nachfrage geht zurck, die Rentabilitt ist gefhr-det, Schlieungen drohen. Bei ffentlichen Einrichtun-gen bleiben angestrebte Folgeinvestitionen durch pri-vatwirtschaftliche Akteure aus, touristische Standorte stagnieren.

  • 20 2. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Finanzierungsengpsse durch knappe kommunale Kassen, rcklufige oder auslaufende Frdermglich-keiten durch ffentliche Programme sowie eine rest-riktive Haltung einiger Kreditinstitute bei Bewilligung und Verlngerung von Krediten, gerade auch fr Klein-unternehmen, hemmen die Betreiber.

    Fachkrftemangel

    Die Tourismusbranche speziell in lndlichen Rumen ist bereits heute massiv vom Fachkrftemangel betrof-fen. Die Abwanderung gut ausgebildeter Fachkrfte in Stdte hlt an. Personal fehlt auf allen Ebenen. Vor allem in der Hotellerie und Gastronomie fehlen Aus-zubildende. Die Nachfolgeproblematik ist in vielen Betrieben aller Grenordnungen ungelst. Dabei kristallisieren sich folgende zentralen Problemlagen heraus:

    Image und Realitt als Niedriglohnbranche: Tourismus steht in extremer Konkurrenz um Arbeits- und Ausbildungspltze mit deutlich besser bezahlenden Branchen der Industrie und Dienst-leistungen. Viele sddeutsche Regionen stehen in direktem Wettbewerb mit besser zahlenden und aktiv die Arbeitskrfte abwerbenden touristischen Arbeitgebern in den Alpenlndern. Neben der Bezahlung werden vielerorts kaum immaterielle Anreize geboten.

    Karriereperspektiven und Lebensbedingungen: Im Vergleich zu wirtschaftsstarken stdtischen Regionen werden die Lebensbedingungen und Kar-riereperspektiven im Tourismus auf dem Land als schlechter empfunden und sind es in Folge von demographischem Wandel und Abwanderung teils

    auch (z. B. Mobilittsdefizite, eingeschrnkte Grundversorgung, wenige Freizeitaktivitten).

    Die teilweise extrem ausgeprgte Saisonalitt des touristischen Geschfts verhindert die dauerhafte Bindung des Personals an den Standort. Anreize wie z. B. die Inanspruchnahme durch den Arbeitge-ber gestellter Unterknfte fr die Zeit whrend der Saison werden hierzulande anders als in sterreich als geldwerter Vorteil eingestuft und mssen bei berschreiten einer Freigrenze von 44 im Monat (inklusive MWSt) versteuert werden (Stand: Dez. 2012). Viele Betriebe greifen notge-drungen auf ortsfremdes Saisonpersonal zurck, was Verluste im authentischen Auftritt gegenber dem Gast bewirken kann.

    Das Rekrutieren von Arbeitskrften aus dem zwei-ten Arbeitsmarkt vor Ort ist aufgrund von Qualifi-kationsdefiziten problematisch. Auch ehrenamt-liche Untersttzer knnen nur fr bestimmte, zumeist einfache Ttigkeiten eingesetzt werden.

    Politische und organisatorische Bedingungen

    Politische Rahmenbedingungen

    Die Zustndigkeiten fr die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen fr den Tourismus in lndlichen Rumen sind nicht immer eindeutig geregelt. Sie liegen bei Bund und Lndern meist bei verschiedenen Ressorts und sind nicht immer genau abgegrenzt. Die Federfhrung liegt in der Regel bei den Wirtschafts-ministerien. Fr den Land- und Agrotourismus sind oftmals die Landwirtschaftsministerien zustndig. Weitere Ressorts wie Umwelt, Bau und Infrastruktur sind in spezifische Aufgaben zum Beispiel der Siche-rung touristischer und umweltfreundlicher Mobilitt eingebunden.

    Auf Bundesebene bndelt der Beauftragte der Bundes-regierung fr Tourismus die tourismuspolitischen Anliegen und gibt Impulse fr die Tourismuspolitik. So geht auch das Projekt Tourismusperspektiven in lndlichen Rumen auf eine Initiative des Tourismus-beauftragten zurck. Allerdings ist Tourismuspolitik in Deutschland in erster Linie Lndersache: Hier wird ber konkrete Manahmen zur Entwicklung des

  • 212. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Tourismus entschieden. Abstimmungsprozesse auf poli-tischer Ebene mssen dabei meist interministeriell und dies im Falle einiger deutscher Destinationen auch ber Bundeslandgrenzen hinweg erfolgen. Sie gestalten sich oft langwierig und finden hufig auch gar nicht statt. Die Folge sind voneinander losgelste Strategien und Marketingplne im selben Bundesland etwa fr Touris-mus und fr Urlaub auf dem Lande. Die Marktdurch-dringung ganzer Regionen verringert sich dadurch deutlich. Fr touristische Unternehmen bestehen oft Unklarheiten ber die zustndigen Ansprechpartner. Die unterschiedlichen Zustndigkeiten sind auch die Folge der vielfltigen Instrumente der EU-Frder politik. Hufig knnen nur durch den Einbezug verschiedener Ressorts die notwendigen Mittel fr die Durchfhrung tourismusrelevanter Aufgaben organisiert werden.

    Ein weiteres, seit Jahren beklagtes Hemmnis fr die Tourismusbranche besteht in dem fr den Zeitraum 20112017 auf durchschnittlich 80 Tage gestauchten Sommerferienzeitraum. Mglich wren 9092 Tage. Gerade fr lndliche Rume stellen Familien mit schulpflichtigen Kindern eine der Hauptzielgruppen dar. Die kurze Ferienzeit steigert die saisonalen Schwan-kungen zustzlich: Whrend der verkrzten Ferienzeit bestehen Kapazittsengpsse, in den Saisonrandzeiten stehen diese leer. Aufgrund der hohen Nach frage im Ferienzeitraum steigen die Preise markant. Vor allem fr Familien gestaltet sich die Suche nach einer finan-zierbaren Unterkunft schwierig. Dieses Problem kann allerdings nur auf der politischen Ebene gelst werden.

    Fr viele Anbieter auerhalb von Ortschaften be schrn -ken zudem die Regelungen fr das Baurecht im Auen-bereich beabsichtigte Investitionen bei der Erweiterung von Kapazitten. Hier sind vor allem die Kommunen gefordert, die vom Gesetzgeber belassenen Ermessens-spielrume zur Privilegierung nach 35 des Baugesetz-buchs zu nutzen.

    Zersplitterte und wenig professionelle Strukturen im ffentlichen Tourismusmarketing

    Eines der grten Hemmnisse der regionalen Touris-musentwicklung sind die noch immer vielerorts unab-gestimmt voneinander agierenden Tourismusorganisa-tionen. Kernprobleme sind:

    Knappe Kassen: Tourismus ist eine freiwillige kom-munale Aufgabe. Teils ist er unter-, oft jedoch nicht aufgabenadquat finanziert. Bestehende Finanzie-rungsoptionen (z. B. Kur- und Fremdenverkehrsab-gabe) sind teilweise politisch umstritten. Freiwillige Beteiligungen der Leistungsanbieter an der Touris-musfinanzierung sind bislang eher selten. Auch die Einnahmenseite der Tourismusorganisationen steht unter Druck: Die Vertriebssysteme sind im Umbruch (siehe Kapitel 3.6), Vermittlungsprovisio-nen brechen oft weg. ffentliche Frderung ist angesichts genderter EU-Frderbedingungen ab 2014 tendenziell rcklufig, Eigenanteile knnen durch die Kommunen hufig nicht erbracht werden.

    Keine aufgabenadquaten Tourismusstrukturen: Die touristischen Strukturen, bestehend aus Lan-desmarketingorganisation (LMO), Destinationsmar-ketingorganisation (DMO) und Tourismusorganisa-tionen auf lokaler Ebene haben sich verndert. Oft ist die lokale Ebene besser ausgestattet als die regio-nale. Zwischen den Ebenen gibt es hufig keine klare Aufgabenverteilung. Dies fhrt zur Doppel-, Nicht- oder nicht hinreichender Bearbeitung von Aufgaben. Hufig besteht auch Unklarheit ber die sinnvolle Aufgabenverteilung im jeweiligen regio-nalen relevanten touristischen Gesamtsystem.

    Kleinteiligkeit und Egoismus: Kirchturmdenken und Handeln auf kommunaler und teilregionaler Ebene verhindert oftmals eine Verwaltungsgrenzen bergreifende sinnvolle Zusammenarbeit. Touris-musorganisationen sind zu kleinteilig und parallel strukturiert. Lokal- bzw. regionalpolitisch (z. B. auf Ebene der Landkreise) gewollte Projekte ohne Marktorientierung werden hufig realisiert. Noch immer flieen unverhltnismig hohe Mittel in

  • 22 2. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    ineffizientes Auenmarketing kleiner Einheiten, die Integration in regionale Strategien erfolgt sehr begrenzt. Die Fehlverteilung ohnehin knapper Budgets schwcht die gesamte Tourismusentwicklung im regionalen System: Die Wahrnehmbarkeit ganzer Regionen im Markt wird eingeschrnkt. Einige DMO sind stark unterfinanziert, personell schwach und fachlich nicht immer ausreichend qualifiziert besetzt. Die regionale Steuerung von Tourismusent-wicklung und -marketing erfolgt nur in engen Grenzen, Kontakt zu und Durchgriff auf die Leis-tungstrger sind begrenzt. In der Folge verpuffen Destinations- und auch Landesstrategien. Poten zia le fr regionale am Markt wahrnehmbare touristi-sche Marken werden nicht realisiert. Den Leistungs-trgern fehlt ein klarer Orientierungsrahmen.

    Parallelstrukturen in der Vermarktung durch thematische Initiativent und Netzwerke: Gerade im Agrotourismus verfolgen sie eigene Marketingstra-tegien. Fr eine grere Effizienz bei allen Aufga-ben (z. B. Qualifizierung, Produktgestaltung, Ver-marktung) kann jedoch die organisatorische Eingliederung in die vorhandenen Tourismusorga-nisationen die bessere Option sein (z. B. LAG Urlaub auf dem Bauernhof Mecklenburg-Vorpommern integriert in Tourismusverband Mecklenburg-Vor-pommern, www.auf-nach-mv.de).

    So nicht ein typisches Beispiel Eine groe deutsche Ferienregion mit eigener DMO umfasst einige Landkreise. Jeder Landkreis besitzt aber auch eine eigene Tourismusorganisation und ist intensiv im Auenmarketing ttig. Eigene Websites, deren Namen dem der Region tuschend hnlich sind, werden geschaltet. Es mangelt nicht an Prospekten, je-doch an touristischen Produkten, einem Vertrieb oder einer aufeinander abgestimmten Wegeinfrastruktur. Auf Destinationsebene versuchen zwei Mitarbeiter, die Marke der Gesamtregion zu fhren. Ihnen stehen ein Vielfaches an Personal und Budget auf Landkreisebene gegenber. Kurzum: Die Aufgaben im regionalen Gesamtsystem sind nicht adquat verteilt, personelle und finanzielle Ressourcen werden verschwendet.

    2.4 Knftige Handlungsfelder

    Zweifelsohne gibt es groe Potenziale fr die Tourismus-entwicklung in lndlichen Rumen. Dennoch ist auch eine Vielzahl von Herausforderungen zu bewl tigen. Da -bei bestehen bislang sowohl Erkenntnis- als auch Umset-zungsdefizite bei vielen relevanten Akteuren wie Anbie-tern, Tourismusorganisationen, Politik und Verwaltung. Die vielfltigen Probleme und Hemmnisse erfordern eine bergreifende Zusammenarbeit in unterschiedlichen, aber in Zusammenhang stehenden Handlungsfeldern.

    Grundstzlich gilt: Basis fr eine positive Entwicklung des Tourismus in lndlichen Rumen sind und bleiben unternehmerischer Wille und die Fhigkeit der betref-fenden Partner. Diese gilt es zu strken. Dabei zeichnen sich die folgenden zehn Handlungsfelder ab:

    Nachhaltige touristische Entwicklung lndlicher Lebensrume: Schwerpunkte sind der Erhalt der Kulturlandschaft (auch mit Blick auf Energiewende und Klimawandel), insbesondere aber auch die Strkung regionaler Identitt als Grundlage fr Standortqualitt und touristische Attraktivitt.

    Produktinszenierung: Die zielgruppengerechte Aufbereitung des Angebots steht im Mittelpunkt knftiger Produktstrategien auf allen Ebenen. Dies setzt eine noch umfassendere Qualittsorientie-rung und Qualifizierung der Partner in allen Pha-sen des Marketingprozesses voraus.

  • 232. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Strkung und Weiterentwicklung von Netzwerken: Diese haben eine Schlsselfunktion bei der Verlngerung von Wertschpfungsketten gerade in der kleinteiligen und verstreuten Akteursstruktur lndlicher Rume.

    Infrastruktur und Investitionsmanagement: Mar-kenorientierte Infrastruktur (Objekte und Wege) schafft Reiseanlsse und ruft Folgeinvestitionen hervor. Wegeinfrastruktur trgt zur Vernetzung der touristischen Anbieter bei.

    Markenbildung: Marken sorgen fr mehr Ver-trauen beim Gast, Sicherheit fr den Unternehmer und Effektivitt im Marketing. Vor allem auf regio-naler Ebene beschreiben Marken eines der wir-kungsvollsten Instrumente fr zusammenfhrende Entwicklungsprozesse, fr Alleinstellung gegenber dem Gast und fr effektives Marketing.

    Kommunikation und Vertrieb: Groe Chancen lie-gen im Online-Bereich. Kommunikative Manah-men von Destinationen und Anbietern sind hierauf auszurichten, insbesondere auf das mobile Internet. Im Vertrieb wird die Einbindung starker privater Partner greres Gewicht erlangen. Erforderlich wird zugleich eine umfassende Qualifizierung von Anbietern und DMO gerade in Vertriebsfragen.

    Optimierung der Organisationsstrukturen: Schwerpunkt sollte in vielen Regionen die Ent-wicklung aufgabenorientierter Organisationsan-stze mit Bezug zum jeweiligen regionalen Gesamt-system sein. Eine besondere Aufgabe kommt dabei der Rolle der DMO als Lenker regionaler touristi-scher Entwicklungsprozesse und des Marketings zu.

    Fachkrftesicherung und professionalisierung: Qualifiziertes und motiviertes Personal ist Voraus-setzung fr jeden Dienstleistungsbetrieb. Das intensive Bearbeiten dieses Handlungsfelds ist Grundvoraussetzung fr den Fortbestand der Branche und einzelner Unternehmen.

    Mobilitt: Tourismus erfordert Mobilitt zum und vor Ort. ffentliche Alltags- und individuelle Frei-zeitmobilitt sind dabei zu verzahnen. Elektromo-bilitt und intermodale Konzepte unter Einbezug verschiedener Verkehrsmittel werden an Bedeu-tung gewinnen.

    Barrierefreiheit: Das Zukunftsfeld ist vor allem als regionale Aufgabe der Destinationsebene zu begrei-fen. Nur so knnen vollstndige Angebotsketten und die Integration in regionale Strategien gewhr-leistet werden.

    2.5 Schlsselstrategien und Best Practice

    Musterlsungen oder strategische Blaupausen werden der Vielfalt des Tourismus lndlicher Rume nicht gerecht. Die Problemlagen und Herausforderungen sind ebenso vielfltig wie die natrlichen Grundlagen, politischen Rahmenbedingungen und organisatori-schen Gegebenheiten im Tourismusmarketing.

    Die zehn Handlungsfelder definieren daher lediglich den Rahmen, innerhalb dessen knftig an die jeweiligen Gegebenheiten angepasste Lsungen gefunden werden sollen. Als Orientierungs- und vor allem Umsetzungs-hilfe hierfr wurden handlungsfeldbezogene, in der Praxis erfolgreich erprobte und grundstzlich ber-tragbare Schlsselstrategien definiert.

    Diese wurden unterlegt durch den Einbezug von ins-gesamt mehr als 450 Best-Practice-Beispielen im Tourismus lndlicher Rume fr folgende Bereiche:

    Lsungen fr die touristische Angebotslandschaft: Fr alle relevanten Segmente umfasst dies Angebote, Produkte/Pauschalen, Veranstaltungen, touristische Infrastruktur wie Beherbergung/ Gastronomie, Kultur/Freizeit/Sporteinrichtungen, Erlebniswelten, Besucherzentren, Freizeitparks.

    Lsungen fr Marketing und Vertrieb: Marketing- und Vertriebsplattformen: z. B. der DMO, LMO, Reisemittler wie Unterkunftsportale, Reiseveran-stalter, weitere Verbnde und Akteure.

  • 24 2. Potenziale, Herausforderungen, Handlungsfelder

    Lsungen fr Struktur und Netzwerke sowie Mobilitt: (branchenbergreifende) Anbieternetz-werke/Cluster, Organisationsstrukturen im ffent-lichen Bereich.

    Begriffe Unter Schlsselstrategien werden im Folgenden langfristig angelegte Anstze bezeichnet, die auf eine spezifische Herausforderung konkret reagieren bzw. diese vorweg nehmen. Sie zeichnen sich durch nach-weislich positive Effekte bei der Zielerreichung aus. Sie sind grundstzlich in ihren Realisierungsschritten auf andere Akteure, Regionen oder Kontexte bertragbar. Unter Best Practice wird ein bestes Verfahren, ein Erfolgsrezept oder eine Erfolgsmethode verstanden. Im unternehmensbezogenen Kontext bedeutet Best Practice den Einsatz bewhrter und ressourcenscho-nender Verfahren, technischer Systeme und Ge-schftsprozesse, die dann von anderen Unternehmen ebenfalls erfolgreich eingesetzt werden.

    Die Einordnung als Best Practices hngt dabei immer von der Perspektive des Betrachters ab. Was im ffent-lichen Tourismusmarketing noch brandneu oder inno-vativ erscheint, kann bereits in anderen Sparten wie der privatwirtschaftlichen Reisebranche (Reiseveran-stalter und Reisemittler) etabliert und selbstverstnd-lich sein. Die Bewertung der Best-Practice-Beispiele im Rahmen des Projekts erfolgte in einem mehrstufigen Verfahren anhand folgender Bewertungskriterien:

    Angebotscharakter: Erlebnisqualitt, Kundenori-entierung, Authentizitt, Zielgruppenorientierung, Basis- und Erlebnisqualitt, Barrierefreiheit, Mobili-tt und Erreichbarkeit, Nachhaltigkeitsanspruch.

    Marketing und Vertriebsorientierung: Kriterien der Auffindbarkeit, Vertriebsfhigkeit, Buchbarkeit allgemein, Integration in themen-/zielgruppenspe-zifische Marketingplattformen und Netzwerke, Marketing-Vernetzung mit (regionalen) Anbietern gleicher Sparte, branchenbergreifende Koopera-tion.

    Zukunftsfestigkeit und Innovationscharakter: signifikante Neuartigkeit und Originalitt, USP gegenber Wettbewerb, Erschlieung neuer Markt-segmente und/oder Zielgruppen, Trendrelevanz: Orientierung an Treibern im jeweiligen Segment.

    Wirkung fr Tourismus in lndlichen Rumen und wirtschaftliche Effekte: langfristige wirt-schaftliche Tragfhigkeit, volkswirtschaftliche Effekte wie Schaffung von Arbeitspltzen, Engage-ment in der Ausbildung, Auslsen von Folgeinvesti-tionen, Standortsicherung, Modellcharakter insge-samt.

  • 25

    3. Tourismus in lndlichen Rumen: Schlsselstrategien und Handlungsempfehlungen

    3.1 Handlungsfeld nachhaltige touristische Entwicklung lndlicher Lebensrume

    Herausforderung

    Lndliche Kultur- und Naturlandschaften, regionale und lokale Identitt und Kultur sind sowohl Lebens-grundlage fr die Bevlkerung als auch Basis fr den Tourismus in lndlichen Rumen. Diese Grundlage ist jedoch stark gefhrdet. Als direkter Nutznieer funk-tio nierender lndlicher Lebensrume kann und muss auch die Tourismuswirtschaft zu ihrem Erhalt und ihrer Entwicklung beitragen. Es gilt also, regionale Identitt und natrliche Grundlagen als Basis fr die Tourismusentwicklung in das touristische Denken und Handeln und in smtliche Entwicklungsprozesse ein-zubeziehen.

    Schlsselstrategie: Bewusstseinsbildung fr den Wert lndlicher Lebensrume

    Gerade die regionale Ebene im Tourismus- und Stand-ortmarketing ist gefordert, den Erhalt lndlicher Lebensrume in den Mittelpunkt der Entwicklung zu rcken. Denn lndliche Lebensrume haben dann eine Zukunft, wenn es gelingt, bei Einheimischen, Unter-nehmen und weiteren Institutionen ein Bewusstsein fr den Wert der eigenen Identitt und der eigenen Region zu verankern. Diese Werte sollten Grundlage fr alle weiteren Schritte einer touristischen Entwick-lung darstellen und sich in Angebotsgestaltung und Vermarktung abbilden. Ziel ist es, durch den Erhalt des ursprnglichen Lebensraums nachhaltigen wirtschaft-lichen Erfolg zu erzielen. Erfolgreiche (touristische) Strategien zur regionalen Bewusstseinsbildung zeich-nen sich aus durch:

    Steuerung des Prozesses auf regionaler Ebene, z. B. durch eine DMO, um regionales Bewusstsein breit und bei vielen Partnern zu streuen und in konkrete Kooperationsbeziehungen umzusetzen.

  • 26 3. Tourismus in lndlichen Rumen: Schlsselstrategien und Handlungsempfehlungen

    Existenz oder Entwicklung einer Vision, die den Erhalt des betreffenden Lebensraums mit natrli-chen Grundlagen und regionaler Identitt ein-schliet.

    Intensives Innenmarketing: Sensibilisierung von Kommunal- und Regionalpolitik, Industrie, Hand-werk, touristischen Leistungstrgern, Einzelhandel, weiteren nicht-touristischen Dienstleistern und Wirtschaftsfrderung fr den Wert von Natur und Landschaft, Rohstoffen, regionalen Produkten und Handwerk ebenso wie die Bedeutung des Touris-mus und seiner Grundlagen.

    Beratungs- und Coaching-Angebote vor allem fr die kommunale Ebene, z. B. bei Projekten, die in die Natur- und Kulturlandschaft eingreifen (unter anderem im Bereich der Energiewirtschaft). Dies kann/sollte Aufgabe der DMO und der Nationalen Naturlandschaften (NNL: Nationalparks, Biosph-renreservate, Naturparks, vgl. Glossar) sein.

    (ffentliche) Frderung des regionalen Einsatzes regionaler Rohstoffe und Technologien ber die Branchen hinweg und somit Sicherung und Aufbau regionaler Wirtschaftskreislufe. Dabei Schaffung authentischer Angebote (z. B. durch Verwendung regionaler Baustoffe in der Hotellerie) und damit auch eines Marketingmehrwertes.

    Kriterien fr Produkte und Dienstleistungen (und damit Anreize fr touristische Anbieter): Regionali-tt als Voraussetzung fr die Vermarktung z. B. durch die DMO.

    Erlebbarkeit der Regionalitt im touristischen Angebot: Aufbau entsprechender Angebote und Produktlinien auf Destinationsebene.

    Zentrale Bedeutung der Darstellung und des Ver-kaufs regionaler Produkte und Dienstleistungen im Marketing; Einsatz des Themas Nachhaltigkeit als verkaufsfrdernder Imagefaktor fr die gesamte Region.

    Beispiel: Sdtirol Das Ziel ist klar umrissen: Begehrtester Lebensraum werden. Alles Handeln der Sdtirol Marketing Gesell-schaft zielt darauf ab, Mehrwert immer sowohl fr Gste als auch Einheimische zu schaffen. Der Gast soll Sdtirol als einen auch fr ihn attraktiven Lebensraum erfahren: Die Energieversorgung soll vollstndig auf regenerative Energien (vor allem Wasser) umgestellt werden, regionales Handwerk wird untersttzt. Touris-tische Betriebe, die regionale (nachhaltig wirtschaften-de) Zulieferer mit einbeziehen, erhalten Vorrang in der Vermarktung. Nachhaltigkeit und regionale Identitt werden damit zum Imagefaktor, nach auen wie nach innen. (www.smg.bz.it)

    Schlsselstrategie: Integration des Tourismus in Dorfentwicklungsprogramme

    Vitale Drfer spielen eine wesentliche Rolle fr den Erhalt sozialer Strukturen und lokaler Identitt. Dorf-entwicklungsprogramme als bewhrtes Instrument der Regionalentwicklung zielen hierauf ab. Zustzlich kn-nen sie direkt auf touristische Bedrfnisse ausgerichtet werden. Tourismus wird dabei zur Pflichtaufgabe fr die Dorfentwicklung.

    Alle in Dorfentwicklungsprogrammen definierten Ma-nahmen zielen sowohl auf die einheimische Bevlke-rung als auch das Erzeugen touristischer Nachfrage. Dies betrifft unter anderem die Verschnerung von Ortsbildern, die Bedarfsermittlung infrastruktureller Versorgungseinrichtungen (Einkaufen, rztliche Ver-sorgung usw.), die Festlegung der zu entwickelnden drflichen Sehenswrdigkeiten (Museen, Kirchen usw.) oder das Vorhalten von Angeboten und Einrichtungen fr Familien. Fr den dauerhaften Erfolg solcher Pro-zesse sind relevant:

    Kooperation von Landespolitik, Landesentwicklung, Landestourismusmarketing: Verknpfung verschiedener Frderanstze zur lndlichen und touristischen Entwicklung.

  • 273. Tourismus in lndlichen Rumen: Schlsselstrategien und Handlungsempfehlungen

    bergeordnete regionale bzw. landesweite Steuerung des Prozesses: wichtig fr den Erfahrungsaus-tausch untereinander.

    Ermittlung touristischer Nachfragepotenziale vor dem Start touristischer Planungen.

    Entwicklung von Umsetzungshilfen fr Kommunen fr die drflichtouristische Entwicklung: z. B. Checklisten fr Dorf- und Angebotsentwick-lung, Wissenstransfer durch Exkursionen zu ande-ren Drfern.

    Abstimmung mit der regionalen/landesweiten Tourismusstrategie: Ableitung touristischer Ange-bote und Integration in die regionale bzw. landes-weite Vermarktung, dabei Spiegelung der jeweiligen lokalen Identitt und Dorfkultur.

    Beispiel: Sachsens Drfer Der Zusammenschluss von derzeit 18 Drfern macht typisch schsische Traditionen und Dorfkultur touris-tisch erlebbar. Im Mittelpunkt stehen Angebote fr Familien und (naturorientierte) Best Ager. Die heute im Rahmen des Landesmarketings kommunizierte Initiative hat ihren Ursprung in einem Dorfentwick-lungsprozess, der von Beginn an auch auf touristische Anforderungen ausgerichtet wurde. (www.sachsensdoerfer.de)

    Schlsselstrategie: Integration lokaler Identitt in das touristische Produkt

    Identitt wird lokal geprgt. Und der Gast sucht auch genau dieses Echte. Touristische Angebote knnen einen aktiven Beitrag zum Identittserhalt vor Ort leis-ten, indem sie originre Themen und Traditionen auf-greifen. Dabei ist wichtig:

    Auswahl von Themen oder konkreten Angeboten mit hohem lokalen/regionalen Identittswert.

    Ausreichende Anzahl an Partnern vor Ort.

    Potenzial des Themas bzw. Angebots, Nachfrage und Wertschpfung erzeugen zu knnen bzw. Kombinierbarkeit mit weiteren (nachfragestarken) Themen und Angeboten.

    Integration der lokalen Anbieter und der Einhei-mischen: kein Vermitteln von Identitt ohne die Menschen vor Ort!

    Schaffung von Angeboten, die auch von Einhei-mischen genutzt werden; dabei keine knstliche ber spitzung, sondern Bewahren des echten Charakters.

    Beispiel: Bad Feilnbach (Bayern) Das Kulinarische Kino im Wirtshaus setzt Impul-se gegen das grassierende Wirtshaussterben: Bei dem jhrlichen Event zeigen sieben Wirtshuser der Initiative Kreativ & Kstlich acht Filme der Kategorie Neuer Heimatfilm. Die bayerische Wirtshaustradition, modernes Heimatkino inkl. Treffen mit den Filme-machern sowie ein 3-Gnge-Men sorgen fr volle traditionelle Wirtshuser. (www. bad-feilnbach.de/de/kulinarisches-kino- in-bad-feilnbach)

  • 28 3. Tourismus in lndlichen Rumen: Schlsselstrategien und Handlungsempfehlungen

    Konsequenzen und Erfordernisse

    Nachhaltige touristische Entwicklung lndlicher Lebensrume muss neben dem Erhalt von Natur- und Kulturlandschaft immer auch mit dem Ziel der Bildung lokaler bzw. regionaler Identitt verknpft werden. Fr die Zukunft bedeutet dies grundlegend:

    Bekenntnis zum Erhalt der Kultur und Naturlandschaft: Untersttzung nachhaltig wirtschaf-tender und (auch kleinerer) Landwirte, die das Landschaftsbild erhalten (z. B. Bergbauernhilfe); finanzielle und personelle Absicherung der natur- und landschaftserhaltenden Aktivitten der Nationalen Naturlandschaften (NNL).

    Konstruktiver Umgang mit den Anforderungen der Energiewirtschaft und des Tourismus: Einbe-ziehung von DMO und NNL in die Klrung von Fl-chenbedarf und Vorranggebieten.

    Profilierung des Tourismus als nachhaltigkeitsorientierte Branche: Ableitung von Infrastruktur und Angeboten mit Relevanz fr Gste und Einheimi-sche, Aufbau von regionalen Wirtschaftsbeziehun-gen, die identittsfrdernde Themen aufgreifen.

    Festlegung und Bercksichtigung touristischer Pflichtkriterien der regionalen Dorfentwicklung auf Bundeslandebene: Tourismus wird integrierter Teil der Dorfentwicklung.

    3.2 Handlungsfeld Produktinszenierung

    Herausforderung

    Die touristische Angebotsvielfalt in lndlichen Ru-men ist gro. Angebote sind jedoch hufig austausch-bar, es fehlen Erlebnisse mit Erinnerungswert. Chan-cen, im Heer der Anbieter aufzufallen, bestehen dann, wenn Angebote in Szene gesetzt und mit emotional ansprechenden Themen und Geschichten aufgeladen werden (siehe Infokasten). Die Zielgruppen suchen nach intensiven, neuen und ungewhnlichen Erfah-rungen: Egal, ob Glck, Spannung, Abenteuer oder Entspannung, Erlebnisse im Urlaub werden immer mehr zur geforderten Kernleistung touristischer Ange-bote. Es gilt daher:

    Die vorhandenen Angebotsmglichkeiten so aufzu-bereiten, dass dadurch emotionale Erlebnisse beim Gast ausgelst werden. Besondere oder spannende Geschichten, z.B. anhand regionaler Themen wie Brauchtum oder Historie, sind glaubwrdig zu erzhlen und der Zuhrer bzw. Gast emotional ein-zubinden (Storytelling). Dabei sind mglichst alle Sinne anzusprechen und der Gast ist so aktiv wie mglich einzubeziehen.

    Die gesamte Kette des Angebots von der An- bis zur Abreise ist einzubeziehen: Angebotsinszenierung bezieht sich nie nur auf Einzelerlebnisse, sondern auf eine Reihe aufeinander abgestimmter Ange-bote. Gerade kleinere Anbieter sind gefordert, auch mit Partnern vor Ort, innerhalb einer abgegrenzten Region oder entlang einer Route bzw. Themen-strae (z. B. Strae der Romanik www.strasse-der-romanik.net) zu kooperieren.

  • Info Die 5 Elemente/Instrumente der Inszenierung Der Rote Faden: Um den Besuchern eine Geschich-te zu erzhlen, muss zunchst ein Thema festgelegt werden. Inszenierungskonzept: Festzulegen sind Zielstellung, Zielgruppen, Ausarbeitung des Themas, Inszenierungs-bereiche, Kosten, Einbezug weiterer Akteure, externe Partner zur Umsetzung usw. Die einzelnen Inszenie-rungselemente sind aufeinander abzustimmen (z. B. Rume, Pltze, Wege, Fhrungen). Die Anforderungen und Bedrfnisse der anzusprechenden Zielgruppe sind dabei zu bercksichtigen. Geschichten erzhlen: Ziel der Inszenierung ist es, die Besucher anhand einer Geschichte auf spannende und glaubhafte Art und Weise in eine andere Welt zu versetzen. Dazu mssen Aufhnger, Erzhler und Charaktere festgelegt werden. Weiterhin ist zu definie-ren, wie die Geschichte in der Vermarktung eingesetzt werden kann. Schaffung von Erlebnisrumen12: Architektur, Design, Materialien, Licht usw. bestimmen die Szenerie einer Geschichte und erzeugen Emotionen. Mglichst alle Sinne sind anzusprechen! Wohlfhlmanagement: Erlebnisse knnen nur dann positiv wahrgenommen werden, wenn sich der Gast wohlfhlt. Es geht darum, Grund- und Sicherheits-bedrfnisse sowie spezielle zielgruppenspezifische Bedrfnisse sicherzustellen, beispielsweise durch eine eindeutige Beschilderungssystematik. Quelle: Landestourismusverband Sachsen, DSFT/PROJECT M 2010: Das A und O touristischer Attraktionen im lndlichen Raum.

    293. Tourismus in lndlichen Rumen: Schlsselstrategien und Handlungsempfehlungen

    12 Als Erlebnisraum wird die rumliche Einheit bezeichnet, die der Gast whrend seines Aufenthalts in einem Zusammenhang erlebt. Dies kann der Dorfplatz sein wie auch eine Burg. Das Erlebnis beginnt hier beispielsweise bereits auf dem Parkplatz bzw. auf der Anfahrt (bei entspre-chender Ausschilderung).

    Schlsselstrategie: Angebotsinszenierung auf Anbieterebene

    Die perfekte Inszenierung eines touristischen Angebo-tes zeichnet sich durch folgende Punkte aus:

    Das Thema sollte ber alle Elemente des Angebotes umsetzbar sein. Es sind alle Kontaktpunkte des Gas-tes einzubeziehen: Von der (Vorab-)Information auf der Website, ber die Kernangebote (z. B. bernach-tung, Gastronomie) bis zu Veranstaltungen und Werbeartikeln.

    Das Thema sollte tiefgrndig, nicht oberflchlich sein.

    Eine durchgngige Regie ist notwendig: Wo ist der Start, wo betritt der Gast den Erlebnisraum, wie wird er gelenkt, was sind die einzelnen Anlauf-punkte, was ist der Hhepunkt des Angebots?

    Glaubwrdigkeit des Angebotes: Das Beispiel Kul-turinsel Einsiedel (siehe Infokasten) beweist aller-dings, dass sogar Glaubwrdigkeit inszeniert wer-den kann. Die Geschichte des Volkes der Turiseder ist vollstndig erfunden aber perfekt inszeniert und glaubwrdig erzhlt! Das Beispiel Rhnschaf-Hotel-Krone (www.rhoenerlebnis.de) verdeutlicht auf der anderen Seite die Bedeutung von wirklicher Glaubwrdigkeit gerade bei authentischen, regio-nalen Themen.

    Ein klarer Pluspunkt ist die Glaubwrdigkeit des Anbieters als Person: Gste freuen sich ber direk-ten Kontakt mit den Einheimischen. Dazu zhlen die regionale Herkunft, Dialekt, Wissen um die regionale Historie und Kultur, Vernetzung mit wei-teren Erzeugern usw., Engagement im Naturschutz, bei Erhalt alter Arten (z. B. Obst, Nutztiere), persn-liche Prsenz des Anbieters gegenber dem Gast oder der Einbezug weiterer regionaler Originale.

    Regionale Produkte und Speisen oder kulturelle Traditionen sind wesentliche Bestandteile einer Angebotsinszenierungen fr naturorientierte Best Ager oder auch Familien.

  • 30 3. Tourismus in