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Braucht die EZB eine „neue“ geldpolitische Strategie?cl- · Zusammenfassung Die geldpolitische Strategie der EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK (EZB), die so genannte Zwei-Säulen-Strategie,

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Braucht die EZB eine „neue“ geldpolitische Strategie?

von

Friedrich Kißmer und Helmut Wagner

Diskussionsbeitrag Nr. 315Januar 2002

Kürzere Fassung erscheint in:

LIST FORUM für Wirtschafts- und Finanzpolitik, Heft 1, 2002.

FernUniversität Hagen

Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Makroökonomik

Eugen-Schmalenbach-Gebäude

Universitätsstraße 41

58084 Hagen

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Zusammenfassung

Die geldpolitische Strategie der EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK (EZB), die so genannteZwei-Säulen-Strategie, steht im Mittelpunkt vieler Diskussionen in Wissenschaft undPraxis. In den drei Jahren seit Bekanntgabe durch den EZB-Rat ist diese Strategieimmer wieder heftiger Kritik ausgesetzt gewesen. Viele Kritiker werfen der EZB vor,dass die Zwei-Säulen-Strategie keine klare Kommunikation mit der Öffentlichkeiterlaubt und eine öffentliche Bewertung der Geldpolitik auf der Basis einer verständ-lichen Konzeption verhindert. Darüber hinaus wird der mangelnde Zusammenhangzwischen „Theorie und Praxis“ der Zwei-Säulen-Strategie bemängelt. Geringe Trans-parenz, fehlende Konsistenz und der diskretionäre Charakter der EZB-Strategie sind dieHauptkritikpunkte in der öffentlichen und akademischen Diskussion.

Die EZB hat verschiedentlich eingeräumt, dass ihre Strategie einen komplexen zentral-bankinternen Entscheidungsprozess beinhaltet, der nur schwer in der Öffentlichkeit ver-ständlich dargestellt werden kann. Sie begründet die spezifische, „diversifizierte“ Aus-gestaltung ihrer Strategie zu einem großen Teil mit dem Phänomen der Unsicherheitund den besonderen Bedingungen zu Beginn der Währungsunion. Neben Problemen,die aus Daten- und Strukturunsicherheiten resultieren, führt die EZB hierzu vor allemUnsicherheiten über die „richtige Theorie“ (Modellunsicherheit) an, die sie nach eige-nem Bekunden zum Anlass nimmt, sich nicht einseitig auf eine einzige Theorie, aufeinen einzigen Indikator oder eine einfache geldpolitische Regel festzulegen. DemWunsch nach zentralbankinterner Flexibilität steht jedoch die Forderung gegenüber,auch von der Öffentlichkeit als konsistent handelnd wahrgenommen zu werden. DieFlexibilität der EZB-Strategie geht zu Lasten einer leichten Verständlichkeit.

Aus unserer Sicht sollte die EZB ihre Ziele stärker verdeutlichen. Die Klarheit der EZB-Strategie könnte verbessert werden, wenn die EZB ihr vorrangiges Ziel nicht wie bisherals Korridor sondern als Punktziel für die Inflationsrate veröffentlichen würde. Außer-dem sollte die EZB zusätzlich zu den gesamtwirtschaftlichen Projektionen ihre Schätz-ungen über die Kombinationen von Inflations- und Outputvariabilitäten veröffentlichen,die sie beim herrschenden Stand der geldpolitischen Kontrolltechnik für erreichbarhält. Ein solches Vorgehen würde der Öffentlichkeit verdeutlichen, welche Vorstellungdie EZB über Verlauf und Lage der TAYLOR-Kurve im Euroraum besitzt. DurchVeröffentlichung einer Zielzone für die gewünschte Kombination aus Inflations- undOutputstabilität könnte sie ihre Präferenzen verdeutlichen. Die EZB sollte darüberhinaus deutlicher darstellen, an welcher Säule ihrer Strategie bzw. an welchen Indika-toren sie sich „normalerweise“ orientieren will. Das bisherige Vorgehen der EZB lässtimmer wieder die Vermutung aufkommen, dass sich die EZB der Rechenschaftspflichtentziehen will.

Schlüsselwörter: EZB, Geldpolitik, Strategie, Europäische Währungsunion

JEL-Klassifikation: E52, E58

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

2 Die geldpolitische Strategie der EZB – eine kurze Einführung 3

2.1 Die Veröffentlichung einer Definition von Preisstabilität 5

2.2 Die Zwei Säulen der geldpolitischen Strategie 8

2.2.1 Monetäre Analyse und der Referenzwert für das M3-Wachstum 9

2.2.2 Realwirtschaftliche Analyse und die Inflationsprognose 10

2.3 Synopse wesentlicher Merkmale der EZB-Strategie 11

3 Die geldpolitische Strategie der EZB im Spiegel der Kritik 12

3.1 Kritik an der Konzeption der Zwei-Säulen-Strategie 13

3.1.1 Die Zielebene 13

3.1.1.1 Ungenauer Politikhorizont für das vorrangige Ziel

der EZB 14

3.1.1.2 Widersprüche beim vorrangigen Ziel der EZB? 19

3.1.1.3 Ist das Inflationsziel zu ambitioniert? 20

3.1.2 Die „Navigations“- und Kommunikationsebene 22

3.1.2.1 Kritik von Befürwortern eines Inflation Targeting 23

3.1.2.2 Kritik von Befürwortern einer Geldmengensteuerung 25

3.1.2.3 Zur Begründung der EZB hinsichtlich der Ausgestal-

tung der „Navigations“- und Kommunikationsebene 28

3.2 Kritik an der Implementierung der Zwei-Säulen-Strategie 31

3.2.1 Spezielle Probleme mit der ersten Säule der EZB-Strategie 32

3.2.2 Spezielle Probleme mit der zweiten Säule der EZB-Strategie 37

4 Schlussfolgerungen 40

Literaturverzeichnis 43

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1 Einleitung

Die geldpolitische Strategie der EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK (EZB), die so genannte

Zwei-Säulen-Strategie, steht im Mittelpunkt vieler Diskussionen in Wissenschaft und

Praxis.1 In den drei Jahren seit Bekanntgabe durch den EZB-Rat ist diese Strategie

immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt gewesen. Zahlreiche Erläuterungen in EZB-

Publikationen, Reden und Erklärungen der Direktoriumsmitglieder in Pressekon-

ferenzen und vor dem geldpolitischen Ausschuss des Europäischen Parlaments wie auch

Änderungen und Modifikationen der Strategie selbst konnten bislang nicht verhindern,

dass der kritische Grundton nach wie vor überwiegt.

So wird der EZB von Kritikern aus unterschiedlichen wirtschaftstheoretischen Lagern

attestiert, dass die Zwei-Säulen-Strategie infolge einer unklaren Gewichtung der beiden

Säulen eine geringe Transparenz aufweist und diskretionär ausnutzbare Entscheidungs-

und Handlungsspielräume eröffnet. Die Komplexität der EZB-Strategie erlaubt aus

Sicht vieler Kommentatoren keine klare Kommunikation mit der Öffentlichkeit und

verhindert eine öffentliche Bewertung der Geldpolitik auf der Basis einer verständ-

lichen, nachvollziehbaren Konzeption. Der Mangel an Transparenz und Regelorien-

tierung wird für die Kritiker der EZB-Strategie noch durch Unklarheiten über die

Analysen innerhalb der zwei Säulen und durch Unbestimmtheiten im Zusammenhang

mit der geldpolitischen Zielformulierung verstärkt.2

Außer konzeptionellen Punkten beklagen Kritiker der EZB-Strategie eine unzurei-

chende Konsistenz zwischen „Theorie und Praxis“ der Zwei-Säulen-Strategie. Vielfach,

und nahezu übereinstimmend, stellen EZB-Beobachter und andere Wissenschaftler fest,

1 Ursprünglich legte die EZB besonderen Wert auf die Feststellung, dass die Geldpolitik nicht der EZBallein, sondern dem EUROPÄISCHEN SYSTEM DER ZENTRALBANKEN (ESZB), also der EZB und den natio-nalen Notenbanken der EU-Mitgliedsländer, übertragen wurde. Da nicht alle EU-Mitgliedstaaten Teil-nehmer der Währungsunion sind, wurde die Bezeichnung „EUROSYSTEM“ eingeführt, womit die EZB unddie nationalen Notenbanken der Staaten, die den Euro als einheitliche Währung eingeführt haben, gemeintist. Das EUROSYSTEM bezeichnet demnach die Struktur, über die das ESZB seine grundlegenden Aufga-ben wahrnimmt (EZB (1999b)). In der öffentlichen Diskussion ist jedoch trotzdem häufig von der EZBauch dann die Rede, wenn in der Abgrenzung des EZB-Rats eigentlich das EUROSYSTEM gemeint ist.Mittlerweile spricht selbst die EZB im Zusammenhang mit ihrer Strategie nicht mehr vom EUROSYSTEM,sondern von der Strategie der EZB. Vgl. zur unterschiedlichen Handhabung der Terminologie z.B. dieMonatsberichte der EZB (1999a), S. 43ff., und EZB (2000), S. 41ff.2 Eine vollständige Liste mit Quellen zur Strategiekritik würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen, dadie EZB-Strategie „(...) continues to be severely criticized by practically all external observers andcommentators“ (SVENSSON (2001a), S. 2). Jüngere Beiträge hierzu sind ALESINA et al. (2001a), GROS etal. (2001), SVENSSON (2001a), BLINDER et al. (2001), SACHVERSTÄNDIGENRAT (2001) sowie VON HAGEN

und BRÜCKNER (2001).

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dass die EZB, im Widerspruch zur proklamierten Strategie und offiziellen Rhetorik, das

Wachstum der Geldmenge M3 in der Praxis faktisch nicht beachtet bzw. ihre Zins-

schritte im Hinblick auf die monetäre Entwicklung nicht kohärent erläutert, wie es eine

Bindung an die eigene Strategie verlangen würde.3 Geringe Transparenz, fehlende Kon-

sistenz und der diskretionäre Charakter der EZB-Strategie sind also die Hauptkritik-

punkte in der öffentlichen und akademischen Diskussion.

Die EZB hat verschiedentlich eingeräumt, dass ihre Strategie einen komplexen zentral-

bankinternen Entscheidungsprozess beinhaltet, der nur schwer in der Öffentlichkeit ver-

ständlich dargestellt werden kann.4 Sie begründet die spezifische, „diversifizierte“ Aus-

gestaltung ihrer Strategie zu einem großen Teil mit dem Phänomen der Unsicherheit

und den besonderen Bedingungen zu Beginn der Währungsunion. Neben Problemen,

die aus Daten- und Strukturunsicherheiten resultieren, führt die EZB hierzu vor allem

Unsicherheiten über die „richtige Theorie“ (Modellunsicherheit) an, die sie nach eige-

nem Bekunden zum Anlass nimmt, sich nicht einseitig auf eine einzige Theorie, auf

einen einzigen Indikator oder eine einfache geldpolitische Regel festzulegen.5 Dem

Wunsch nach zentralbankinterner Flexibilität steht jedoch die Forderung gegenüber,

auch von der Öffentlichkeit als konsistent handelnd wahrgenommen zu werden. Die

Flexibilität der EZB-Strategie geht zu Lasten einer leichten Verständlichkeit.

In Abschnitt 2 werden zunächst die Kernelemente der Zwei-Säulen-Strategie kurz dar-

gestellt. Anschließend verdeutlichen wir in Abschnitt 3 die zentralen Kritikpunkte.

Hierbei berücksichtigen wir auch Verteidigungsargumente der EZB bzw. deren „Kritik

an ihren Kritikern“. In Abschnitt 4 diskutieren wie mithilfe der wesentlichen Hauptkri-

tikpunkte aus Abschnitt 3 mögliche Modifikationen der EZB-Strategie, von denen wir

glauben, dass sie den trade-off zwischen Flexibilität und Verständlichkeit verbessern

können.

3 Vgl. Quellen in Fn. 2 und z.B. VON HAGEN (1999), BOFINGER (1999), BORCHERT et al. (2001a).4 Vgl. z.B. EZB (2000), S. 51f., EZB (2001d), S. 55.5 ECB (2001a), EZB (2000, 2001a, 2001b), ISSING et al. (2001).

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2 Die geldpolitische Strategie der EZB – eine kurze Einführung

Die geldpolitischen Ziele sind der EZB durch den EG-Vertrag vorgegeben: Das vorran-

gige Ziel der einheitlichen Geldpolitik in der Europäischen Währungsunion muss es

sein, die Preisstabilität zu gewährleisten. Die Geldpolitik soll außerdem die allgemeine

Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft mit der Maßgabe unterstützen, zur Verwirkli-

chung der Gemeinschaftsziele beizutragen. Diese Unterstützungsklausel steht allerdings

unter dem Vorbehalt, dass die Preisstabilität nicht beeinträchtigt wird. Der EG-Vertrag

enthält somit eine klare Zielhierarchie, er vermeidet jedoch eine völlig eindimensionale

Zielzuweisung. Darüber hinaus wird vertraglich nicht festgelegt, was genau unter Preis-

stabilität zu verstehen ist, und schon gar nicht enthält der Vertrag präzise Vorschriften

für den EZB-Rat, wie die vertraglichen Ziele geldpolitisch erreicht werden sollen. Die

institutionellen Rahmenbedingungen sind vielmehr so beschaffen, dass die Geldpolitik

unabhängig von Weisungen der Regierungen und der Organe der Gemeinschaft betrie-

ben werden kann. Insbesondere ist der EZB-Rat rechtlich unabhängig in seinen Ent-

scheidungen darüber, wie die Ziele der Geldpolitik im Rahmen der vorgegebenen Ziel-

hierarchie operationalisiert und auf welche Weise sie erreicht werden sollen.6

Der EG-Vertrag schafft somit die Voraussetzungen, dass die EZB ihre Geldpolitik prin-

zipiell flexibel gestalten kann. Dennoch hat es der EZB-Rat als sinnvoll erachtet, den

vertraglich gesicherten Spielraum durch das öffentliche Versprechen zur Einhaltung

einer bestimmten geldpolitischen Strategie zu begrenzen. Diese so genannte Zwei-

Säulen-Strategie der EZB enthält Präzisierungen und Verpflichtungen hinsichtlich der

geldpolitischen Ziele und bezüglich der mittel- bis längerfristig gültigen Verfahren, mit

denen die EZB über den Einsatz ihrer geldpolitischen Instrumente entscheidet und der

Öffentlichkeit ihre Geldpolitik erläutert. Die angesprochenen Verfahren betreffen

6 In der Literatur wird dies häufig mit Ziel- und Instrumentenunabhängigkeit charakterisiert. Hierbei giltes jedoch zu beachten, dass der EG-Vertrag sicherlich nicht beliebige Interpretationen des Zielssystemszulässt, so dass von Zielunabhängigkeit der EZB lediglich in einem eingeschränkten Sinne die Rede seinkann. Dennoch ist es aus unserer Sicht ein fundamentaler Unterschied, ob die Operationalisierung derEndziele (wie im Falle der EZB) einer Notenbank überlassen oder teilweise in Form konkreter Inflations-ziele direkt von der Regierung (wie z.B. im Falle der BANK OF ENGLAND) vorgegeben wird. Obwohl auchEinschränkungen der Unabhängigkeit der EZB im Vertragswerk vorliegen, insbesondere in Fragen desWechselkurssystems, gilt es als unstrittig, dass die EZB (genauer das EUROSYSTEM) als besonders unab-hängig einzustufen ist, und zwar sowohl im historischen Kontext als auch im Vergleich mit anderen zur-zeit gültigen Notenbankverfassungen. Diese Aussagen beziehen sich auf die „rechtliche“ Unabhängigkeit,die sich von der „tatsächlichen“ unterscheiden kann. Zu den makroökonomischen Effekten von Zentral-bankunabhängigkeit vgl. KIßMER und WAGNER (1998).

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sowohl die Struktur der zentralbankinternen Entscheidungsfindung als auch die Kom-

munikation mit der Öffentlichkeit („Navigations“- u. Kommunikationssystem).7

Die EZB begründet die öffentliche Festlegung auf eine geldpolitische Strategie vor

allem mit dem auf zeitlicher Inkonsistenz basierenden Glaubwürdigkeitsproblem in der

Geldpolitik.8 In der Theorie werden mit diesem Glaubwürdigkeitsproblem vor allem

zwei ökonomische Problemkreise verbunden, nämlich (a) der „inflation bias“ und (b)

der „stabilization bias“.

Die konventionelle Begründung des „inflation bias“ in der Tradition von BARRO und

GORDON (1983) stellt darauf ab, dass die Geldpolitik neben dem Ziel der Preisstabilität

ein zu ambitioniertes Outputziel verfolgt und aus Sicht der Lohnsetzer dem Anreiz

unterliegt, ex post (d.h. nach Festlegung der Nominallöhne) eine höhere als die ex ante

optimale Inflationsrate zu realisieren. Ohne einen bindenden Mechanismus, der die

Realisierung der ex ante optimalen Inflationsrate sicherstellt, kommt es zu einer sub-

optimal hohen Inflationsrate, die mit keinen realwirtschaftlichen Vorteilen verbunden

wird („inflation bias“).

In der jüngeren Literatur wird jedoch das Glaubwürdigkeitsproblem in der Geldpolitik

auch ohne Rückgriff auf die Annahme eines zu ambitionierten Outputziels der Geld-

politik begründet. Zeitliche Inkonsistenz basiert hier auf der Berücksichtigung einer

neo-keynesianischen Angebotsfunktion, die die aktuelle Inflationsrate über das Preis-

setzungsverhalten der Unternehmen positiv mit der für die Zukunft erwarteten Inflati-

onsrate verbindet. Inflation und Output würden besser stabilisiert, wenn die Notenbank

im Falle von Angebotsschocks glaubhaft machen könnte, dass sie auch in Zukunft auf

Schocks der Vergangenheit reagiert. Dies würde z.B. bei inflationären Angebotsschocks

für die Persistenz einer restriktiven Geldpolitik sorgen und die Inflationserwartung

senken. Daher könnten Inflationsschocks zu einer vergleichsweise geringeren, jedoch

persistenten Reduktion der Produktionslücke führen. Ohne einen bindenden Mecha-

nismus, der für eine Geldpolitik „mit Geschichte“ sorgt, besteht jedoch das Problem,

dass die Zentralbank in der Zukunft keinen Anreiz hat, auf vergangene Störungen zu

reagieren. Daher kommt es bei diskretionärer Geldpolitik nicht zu einer stabilisierenden

7 Zum Begriff „Navigationssystem“ im Zusammenhang mit den zwei Säulen der EZB-Strategie vgl.BOFINGER (1999).8 EZB (2001d), S. 44, und ISSING et al. (2001), S. 32ff.

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Senkung der Inflationserwartungen. Die ökonomischen Konsequenzen bestehen darin,

dass die Geldpolitik Outputschwankungen vergleichsweise zu stark und Inflations-

schwankungen zu wenig dämpft („stabilization bias“).9

Die Etablierung einer unabhängigen und konservativen Notenbank im Sinne von

ROGOFF (1985) reduziert zwar die Kosten einer diskretionären Geldpolitik, kann jedoch

allein nicht dafür sorgen, dass sich eine Notenbank sinnvollerweise so verhalten sollte,

als sei sie an die optimale Regelpolitik gebunden. Die Ankündigung, eine bestimmte

geldpolitische Strategie einhalten zu wollen, gründet daher auf der Vorstellung, dass die

getroffenen institutionellen Vorkehrungen in der Europäischen Währungsunion,

nämlich die Unabhängigkeit des EUROSYSTEMs und die Verpflichtung der Geldpolitik

auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität, allein nicht ausreichen, um die negativen

Folgen des Glaubwürdigkeitsproblems im gewünschten Maße zu reduzieren. Dabei

unterstellt die EZB zwar eine grundsätzlich diskretionäre Handlungssituation, in der es

jedoch möglich ist, im Laufe der Zeit Reputation bzw. Glaubwürdigkeit durch Einhal-

tung einer geldpolitischen Strategie aufzubauen.10

In der offiziellen Diktion besteht die geldpolitische Strategie der EZB aus drei wesent-

lichen Komponenten:11

(i) der Veröffentlichung einer Definition für das vorrangige geldpolitische Ziel

Preisstabilität,

(ii) der herausragenden Rolle der Geldmenge (1. Säule) und

(iii) der breit fundierten Beurteilung der Preisperspektiven im Euroraum (2. Säule).

2.1 Die Veröffentlichung einer Definition für Preisstabilität

Der EZB-Rat hat Preisstabilität als Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex

(HVPI) für den Euroraum von unter 2% gegenüber dem Vorjahr definiert. In diesem

Zusammenhang betont die EZB, dass Preisstabilität mittelfristig beizubehalten ist.

9 Vgl. CLARIDA et al. (1999).10 Vgl. ISSING et al. (2001), S. 38f., EZB (2001d), S. 44.11 EZB (1999a, 2000).

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Aus Sicht der EZB wird durch diese Ankündigung der Öffentlichkeit nicht nur verdeut-

licht, wie der EZB-Rat das vertraglich vorgegebene, vorrangige Ziel der einheitlichen

Geldpolitik interpretiert. Hiermit soll den Privaten ein nomineller Anker für die Erwar-

tungsbildung hinsichtlich der zukünftigen Preisentwicklung und eine Messgröße zur

Beurteilung des geldpolitischen Erfolgs zur Verfügung gestellt werden.12

Die Interpretation von Preisstabilität durch den EZB-Rat enthält einige Eigenschaften,

die zunächst lediglich kurz erläutert werden sollen:

a) Keine regionale Verantwortlichkeit: Die Definition von Preisstabilität bezieht sich

auf die Preisentwicklung im gesamten Euroraum. Da der HVPI des Euroraums ein

gewichteter Durchschnitt der nationalen HVPI’s ist, schließt diese Definition nicht

aus, dass einzelne Teilnehmerländer eine von Preisstabilität abweichende Preisent-

wicklung selbst dann erfahren können, wenn im Euroraum Preisstabilität im Sinne

des EZB-Rats vorliegt.

b) „Headline-Inflation“ statt Kerninflationsrate: Die Definition des EZB-Rats bezieht

sich auf einen Verbraucherpreisindex (HVPI), der aufgrund seiner Harmonisierung

in der Währungsunion und der weitreichenden Bedeutung von Konsumentenpreisen,

z. B. bei Lohnverhandlungen, gewählt wurde. Die Messung von Preisstabilität an

der Jahresinflationsrate des HVPI ist nicht (wie dies bei Verwendung einer Kernin-

flationsrate der Fall wäre) explizit darauf ausgelegt, permanente von transitorischen

Inflationsentwicklungen und/oder allgemeine von sektorspezifischen Preisverände-

rungen unterscheiden zu können.

c) „Zielkorridor“ statt Punktziel: Die Definition des EZB-Rats enthält kein explizites

Punktziel für die gewünschte Inflationsrate im Euroraum. Die EZB begründet dieses

Vorgehen damit, dass die optimale Höhe der Inflationsrate innerhalb des Zielkorri-

dors nicht exakt bekannt ist.13

d) Mittelfristigkeit und Preisniveauverschiebungen: Die EZB betont, dass Preisstabili-

tät mittelfristig beibehalten werden soll, und dass es nicht möglich ist, die Inflation

monatlich oder vierteljährlich in Übereinstimmung mit dem Zielkorridor zu halten.14

Dies wird von der EZB häufig in dem Sinne erläutert, dass vorübergehende Abwei-

chungen der Preisentwicklung von obiger Definition infolge der time-lags in der

12 EZB (1999a), S. 50, EZB (2001a), S. 57, ECB (2001a), S. 38.13 ISSING et al. (2001), S. 70.14 Vgl. ECB (2001a), S. 38.

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Geldpolitik, der Unsicherheit über Stärke und Variabilität der Wirkungsverzögerung

sowie der mangelnden Kenntnis über die Persistenz von Schocks nicht bekämpft

werden und sich die EZB darauf konzentriert, eine Ausbreitung bzw. Verfestigung

inflationärer bzw. deflationärer Tendenzen zu verhindern.15 Eine solche Interpreta-

tion spricht dafür, dass die EZB Preisniveauverschiebungen zulassen wird und nicht

versucht, einen stationären Trend für das Preisniveau zu realisieren.

e) Ungenauer Politikhorizont: Darüber hinaus verzichtet die EZB jedoch darauf,

„Mittelfristigkeit“ näher zu spezifizieren. Die EZB begründet dies mit Unsicherheit

über den optimalen Zeitraum, in dem Preisstabilität gewährleistet sein sollte. Der

optimale Zeithorizont zur Erreichung von Preisstabilität sei abhängig von der Aus-

gangslage sowie Herkunft und Stärke etwaiger Schocks. Deshalb könne der

optimale zeitliche Horizont für die Zielerreichung nicht für alle möglichen

Umstände im Voraus genau festgelegt werden.16

f) Unbekannter HVPI-Messfehler als Untergrenze des Zielkorridors: Die Definition

des EZB-Rats verdeutlicht, dass weder eine am HVPI gemessene Null-Inflation

noch gar eine gemessene Deflation im Euroraum mit Preisstabilität vereinbar ist.

Dennoch lässt die EZB die genaue Höhe der Untergrenze offen. Die EZB begründet

dies mit der möglichen Existenz eines HVPI-Messfehlers, der jedoch in seiner Höhe

nicht völlig bekannt sei.17 Damit wird implizit der HVPI-Messfehler zur Unter-

grenze der Zielkorridors. Die EZB schätzt, dass dieser Messfehler positiv ist, jedoch

unter dem für die USA gemessenen „BOSKIN“-Wert von 1,1% pro Jahr liegt.18

Die explizite Vorgabe eines Zielkorridors für die mit Preisstabilität kompatible Inflati-

onsrate erinnert an die Bekanntgabe eines Inflationsziels bzw. Inflationszielkorridors,

wie sie im Rahmen einer Strategie des Inflation Targeting üblich ist. Allerdings exis-

tieren zwei wesentliche Unterschiede zur Praxis einiger Notenbanken, die ein Inflation

Targeting betreiben. Zum Ersten wird von der EZB der Zeitraum zur Erreichung des

Inflationsziels nicht eindeutig festgelegt. Demgegenüber wird im Rahmen des Inflation

Targeting der Politikhorizont häufig explizit vorgegeben. Zum Zweiten ist die Opera-

tionalisierung des vorrangigen Ziels Preisstabilität keine politische Vorgabe. In diesem

Sinne sind jedoch die Inflationsziele einiger Notenbanken zu verstehen, die ihr Inflati-

15 Vgl. ANGELONI et al. (1999), S.13 , ISSING (2000), S. 363 u. S. 366.16 ISSING et al. (2001), S. 69, vgl. auch Abschnitt 3.1.1.1.17 Trotz methodischer Fortschritte bei den Berechnungsverfahren scheinen Laspeyres-Indizes, wie derHVPI, die tatsächliche Preisentwicklung zu überzeichnen. Zu den Gründen vgl. z.B. REMSPERGER (1999).18 Vgl. EZB Monatsbericht April 1999, S. 35, ECB (2001), S. 38.

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onsziel von der Regierung zugewiesen bekommen bzw. das Inflationsziel in Absprache

mit der Regierung festlegen.19

2.2 Die zwei Säulen der geldpolitischen Strategie

Die EZB beschreibt die zwei Säulen ihrer Strategie (vgl. auch Abbildung 1) als „(...)

einen Rahmen für die Aufbereitung, Analyse und Überprüfung der zahlreichen volks-

wirtschaftlichen Daten, die den geldpolitischen Entscheidungsträgern zur Verfügung

stehen.“20

Abbildung 1: Schematische Darstellung der geldpolitischen Strategie der EZB

Quelle: EZB (2000), S. 43.

Diese Interpretation stellt vor allem darauf ab, dass aus den zwei Säulen eine

Verpflichtung erwächst, im Vorfeld geldpolitischer Entscheidungen Analysen

strukturiert entsprechend den zwei Säulen durchzuführen und die Geldpolitik selbst der

19 Politisch vorgegebene bzw. in Absprache mit der Regierung festgelegte Inflationsziele erhalten z.B. dieBANK OF ENGLAND, RESERVE BANK OF NEW ZEALAND, BANK OF CANADA und die RESERVE BANK OF

AUSTRALIA. Feste Zeiträume für das Inflationsziel gibt es in z.B. Brasilien, Kanada und Tschechien, vgl.MISHKIN und SCHMIDT-HEBBEL (2001). Auch die operativen Verfahren der BANK OF ENGLAND und derSVERIGES RIKSBANK laufen darauf hinaus, dass faktisch ein zweijähriges Inflationsziel angestrebt wird,obwohl das Ziel selbst zeitlich unbestimmt definiert wurde, vgl. GOODHART (2001).20 EZB (2000), S. 43.

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Öffentlichkeit mithilfe dieser Säulen systematisch zu erläutern. Hieraus folgt jedoch

keine vorab festgelegte Verpflichtung, auf den Informationsgehalt einer Säule bzw. von

Teilaspekten einer Säule unmittelbar oder in immer gleicher Weise („mechanistisch“) zu

reagieren. Die EZB interpretiert damit die Zwei-Säulen-Strategie im Sinne einer Ana-

lyse- bzw. Verfahrensregel und nicht als einfache Handlungsregel.21

2.2.1 Monetäre Analyse und der Referenzwert für das M3-Wachstum

Die erste Säule besteht in der herausragenden Rolle der Geldmenge, die vor allem in der

Ankündigung eines quantifizierten Referenzwerts für das Wachstum der Geldmenge

M3 zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus enthält die erste Säule eine (implizite) Ver-

pflichtung, etwaige Abweichungen des Geldmengenwachstums vom Referenzwert

öffentlich zu erläutern. Die Analyse monetärer Entwicklungen umfasst außerdem noch

die Untersuchung des Informationsgehalts der Geldmengenaggregate, ihrer Kompo-

nenten und bilanzieller Gegenposten.22

Der Referenzwert soll zum einen in Übereinstimmung mit der Definition von Preissta-

bilität stehen, und zum anderen sollen erhebliche und anhaltende Abweichungen des

M3-Wachstums vom Referenzwert unter „normalen“ Umständen Risiken für die Preis-

stabilität signalisieren. Aus diesen Gründen muss M3 mittelfristig in einer stabilen

Beziehung zum Preisniveau stehen (Stabilität der Geldnachfrage) und über gute Vor-

laufeigenschaften bezüglich der zukünftigen Inflation verfügen. Die EZB geht nach

internen Untersuchungen und auf Grund der sonstigen empirischen Datenlage davon

aus, dass die weit abgegrenzte Geldmenge M3 beide benötigten Eigenschaften für die

Ankündigung eines Referenzwerts erfüllt.23

Der EZB-Rat versteht den Referenzwert für das M3-Wachstum jedoch nicht als

Zwischenziel der Geldpolitik. In der Vorgabe des Referenzwerts sieht die EZB keine

Verpflichtung, kurzfristige Abweichungen des M3-Wachstums vom Referenzwert

21 EZB (2001d), S. 56f.22 Vgl. EZB (2001b), S. 43ff.23 Vgl. EZB (1999a, 2000, 2001b). Der Referenzwert für das Wachstum der Geldmenge M3 wird –analog zum früheren Vorgehen der DEUTSCHEN BUNDESBANK - entsprechend der „Potenzialformel“hergeleitet. Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, werden bestimmte Probleme mit derAbgrenzung von M3 und den veröffentlichten M3-Wachstumsraten erst im Zusammenhang mit der Kritikan der EZB-Strategie dargestellt, vgl. Abschnitt 3.2.1.

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mithilfe ihrer geldpolitischen Instrumente zu korrigieren. Deshalb muss auch das

Geldmengenaggregat nicht schon auf kurze Sicht durch die geldpolitischen Instrumente

kontrollierbar sein. Hierin liegt nach Auffassung der EZB hinsichtlich der Geldmengen-

orientierung einer der Hauptunterschiede zur früheren Politik der DEUTSCHEN

BUNDESBANK.24

2.2.2 Realwirtschaftliche Analyse und die Inflationsprognose

Im Rahmen der zweiten Säule analysiert die EZB eine Palette von Frühindikatoren aus

realwirtschaftlichen Variablen und Finanzmarktdaten, die Aufschluss über die zukünf-

tige Preisentwicklung und deren Bewertung durch andere Marktteilnehmer geben

sollen.25 In Abänderung seiner ursprünglichen Strategie hat der EZB-Rat mittlerweile

beschlossen, zweimal jährlich (im Frühjahr und Herbst) gesamtwirtschaftliche Projekti-

onen der EZB für die Wachstums- und Inflationsaussichten im Euro-Währungsgebiet

(erstmals geschehen im Monatsbericht Dezember 2000) in Form von Bandbreiten zu

veröffentlichen. Die Projektionen beziehen sich auf einen zweijährigen Projektions-

zeitraum. Im Zusammenhang mit der Interpretation der Projektionen bezüglich der

Inflationsaussichten sind folgende Gesichtspunkte besonders zu beachten:

(a) Es handelt sich offiziell nicht um die Inflationsprognosen des EZB-Rats, sondern

um die Projektionen der „Arbeitsgruppe Prognosen“.

(b) Die Prognosen basieren auf der Annahme einer für den Prognosezeitraum unverän-

derten Geldpolitik der EZB (in diesem Sinne sind die Projektionen als bedingte

Prognosen zu verstehen). Hierbei wird unterstellt, dass im Projektionszeitraum

24 ISSING (1999a), S. 105, vgl. auch ISSING et al. (2001), S. 84 und ANGELONI et al. (1999), S. 19f.,MASUCH et al. (2001), S. 122. Die geringere Bindungskraft eines Referenzwerts im Vergleich zu einemM3-Zwischenziel soll auch durch die Bekanntgabe eines Punktziels zum Ausdruck gebracht werden. EinZielkorridor könnte aus Sicht des EZB-Rats zu dem Missverständnis in der Öffentlichkeit führen, dass dieZinsen „automatisch“ angepasst werden, wenn die M3-Wachstumsrate den Korridor verlässt. Ebenfalls inAbweichung zum Vorgehen der DEUTSCHEN BUNDESBANK gibt die EZB den Referenzwert nicht alsVerlaufsrate gegenüber einer festen Basisperiode vor, sondern als gleitenden Dreimonatsdurchschnitt dermonatlichen Jahreswachstumsraten. Dieses Verfahren soll den Einfluss erratischer monatlicherSchwankungen von M3 auf das statistisch ausgewiesene Geldmengenwachstum verringern.25 Hierzu gehören so genannte Überhangsmessgrößen (Produktionslücke, Kapazitätsauslastung, Arbeits-losenquote und andere realwirtschaftliche Konjunkturindikatoren), Maßstäbe für die Lohnkosten (Lohn-entwicklung, Lohnstückkosten), Finanz- und Devisenmarktindikatoren (Wechselkurse, Aktienkurs-indizes, Zinsstrukturkurve), fiskalpolitische Indikatoren (indirekte Steuern, administrierte Preise) sowieBranchen- und Verbraucherumfragen, vgl. EZB (2000), S. 46ff., ISSING et al. (2001), S. 90ff.

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sowohl die kurzfristigen Zinsen als auch die bilateralen Euro-Wechselkurse konstant

bleiben. Auf Grund dieser Zusammenhänge handelt es sich bei den veröffentlichten

Inflationsprognosen nicht etwa um die besten Voraussagen über die zukünftige

Inflation, sondern um die Einschätzungen der Experten des Eurosystems für den

Fall, dass die Geldpolitik der EZB unverändert bleibt. Damit sind diese Projektionen

mit den Prognosen anderer Institutionen nicht vergleichbar.

Es handelt sich nicht um Prognosen auf der Basis eines einheitlichen Modells, sondern

es gehen zahlreiche unterschiedliche Modellansätze und nicht modellgestützte

Expertenurteile ein.26 Der EZB-Rat versteht die Inflationsprognose nicht als Zwischen-

ziel der Geldpolitik. Analog zum Vorgehen bei der Ankündigung des Referenzwerts für

das Wachstum von M3 wird in der Veröffentlichung der Prognosen vor allem eine

Verpflichtung zur Erläuterung und Rechtfertigung gegenüber der Öffentlichkeit

gesehen.

2.3 Synopse wesentlicher Merkmale der EZB-Strategie

Legt man einer Interpretation der Zwei-Säulen-Strategie die offiziellen Verlautbarungen

der EZB zu Grunde, so lassen sich aus theoretischer Sicht vor allem die folgenden

Merkmale festhalten:

a) Die Zwei-Säulen-Strategie betont die Verantwortung der EZB für die mittelfristige

Sicherung des vorrangigen Ziels Preisstabilität.

b) Die Zielvorgaben des EG-Vertrags (die man im Sinne einer unvollständigen allge-

meinen Zielregel interpretieren kann) werden durch die EZB zwar hinsichtlich des

vorrangigen Ziels näher bestimmt, jedoch sind die von der EZB intendierten Ver-

pflichtungen zu allgemein und zu komplex formuliert, um sie als Ausdruck einer

spezifischen oder gar einfachen spezifischen Zielregel charakterisieren zu können.27

26 Vgl. ISSING et al. (2001), S. 94ff.27 Wir nutzen hier die Begriffe Ziel-, Zwischenziel- und Instrumentenregel im Sinne von SVENSSON

(2001c und 1999). Unter (allgemeine) Zielregel versteht SVENSSON lediglich die Verpflichtung einerZentralbank, eine bestimmte Zielfunktion zu optimieren. Ohne weitere Einschränkungen derHandlungsbedingungen, die eine Reoptimierung der Zielfunktion in jeder Periode verhindern, entsprichteine allgemeine Zielregel also einer diskretionär betriebenen Geldpolitik. Die geldpolitische Zielfunktionwird in der Theorie der Geldpolitik häufig als (quadratische) Verlustfunktion dargestellt, die die Kostender Zentralbank im Falle von Abweichungen der geldpolitischen Endziele von den gewünschten

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c) Die Zwei-Säulen-Strategie enthält kein (eindeutiges) Zwischenziel für die Geld-

politik und keine Verpflichtung, die geldpolitischen Instrumente so einzusetzen, als

seien einzelne Indikatoren (Zwischen-) Ziele der Geldpolitik (keine Zwischenziel-

regel). Die EZB folgt einem Multi-Indikatoren-Ansatz, bei dem jedoch der Geld-

menge eine herausgehobene Rolle durch die Ankündigung eines Referenzwerts für

das Wachstum von M3 zugewiesen wird.

d) Die EZB interpretiert die Zwei-Säulen-Strategie im Sinne einer Analyse- bzw.

Verfahrensregel und nicht als Anwendung einer (modellspezifisch) optimalen oder

gar einfachen Handlungs- bzw. Instrumentenregel.28

e) Die Zwei-Säulen-Strategie gleicht in einigen wesentlichen Punkten einer hybriden

Strategie, die sowohl Elemente der Geldmengensteuerung als auch der „direkten“

Inflationssteuerung (Inflation Targeting) enthält, ohne jedoch einer dieser beiden

Strategien völlig zu entsprechen. Die Zwei-Säulen-Strategie verbindet mit ihrem

hybriden Charakter auch unterschiedliche strategische Traditionen einzelner Noten-

banken des EUROSYSTEMs.

3 Die geldpolitische Strategie der EZB im Spiegel der Kritik

Die Diskussion um die Zwei-Säulen-Strategie findet hauptsächlich vor dem Hintergrund

einer Kontroverse zwischen den Protagonisten einer Strategie der „direkten“ Inflations-

steuerung auf der einen Seite und Vertretern einer Geldmengensteuerung auf der

Zielwerten zum Ausdruck bringt. Von Zwischenzielen wird gesprochen, wenn die Verlustfunktion derZentralbank nicht bzw. nicht ausschließlich die Endzielabweichungen, sondern auch Abweichungen desZwischenziels der Geldpolitik, wie z.B. das Geldmengenwachstum oder die eigene Inflationsprognose,vom gewünschten Zielwert enthält. Spezifische Zielregel meint im Gegensatz zur allgemeinen Zielregeleine Verpflichtung der Zentralbank, bestimmte Anforderungen für die Zielgrößen einzuhalten. DieVorgabe eines festen Politikhorizonts (vgl. Abschnitt 3.1.1.1) ist ein Beispiel für eine einfache spezifischeZielregel. So könnte eine Zentralbank sich z.B. verpflichten, ihre Instrumente so einzusetzen, dass dieInflationsprognose für den Politikhorizont dem Inflationsziel entspricht. Eine spezifische Zielregel engtalso den Handlunsspielraum der Zentralbank im Vergleich zu einer allgemeinen Zielregel weiter ein,beinhaltet jedoch keine Verpflichtung der Zentralbank, auf bestimmte vorher festgelegte Indikatorenmechanistisch zu reagieren. Demgegenüber ist mit Instrumentenregel gerade die Verpflichtung einerZentralbank zur Einhaltung einer exakten Reaktionsfunktion gemeint. Eine solche Reaktionsfunktionbringt im Falle einer einfachen Instrumentregel die Reaktion des geldpolitischen Instruments inAbhängigkeit von wenigen, prädeterminierten Variablen zum Ausdruck. Eine Zentralbank, die sich zurEinhaltung der TAYLOR-Regel verpflichtet, folgt z.B. einer einfachen Instrumentenregel. Eine Zielregelbeinhaltet für ein gegebenes Modell der Volkswirtschaft implizit eine spezifische Zielregel bzw. eineInstrumentenregel. Allerdings fällt die optimale Regel in einem gegebenen Modell für gewöhnlich nichtmit einer einfachen Regel zusammen, sondern ist von komplexer Natur. Die von SVENSSON vorgenommeKlassifikation und Interpretation von Regeln wird in der Literatur nicht generell geteilt.

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anderen Seite statt.29 Einige Empfehlungen zur Modifikation der Zwei-Säulen-Strategie

basieren vor allem auf der Idee, die EZB-Strategie der jeweils eigenen theoretischen

Grundposition stärker anzupassen. Die EZB erhält deshalb aus der Wissenschaft teil-

weise diametral entgegengesetzte Analyse- und Handlungsempfehlungen. Neben diesen

grundsätzlichen Differenzen existieren in der aktuellen Kritik allerdings auch Detailun-

terschiede, die sich nicht immer vor dem Hintergrund der Diskussion um Inflation

Targeting vs. Geldmengensteuerung erfassen lassen. Darüber hinaus würde eine zu

starke Orientierung der folgenden Darstellung an den Unterschieden dieser beiden

Strategien Gefahr laufen, die gemeinsame „Speerspitze“ der Kritik zu verdecken. Diese

besteht letztlich darin, der EZB ein Ausmaß an Klarheit und (Regel-) Bindung abzu-

verlangen, zu dem die EZB zurzeit nicht bereit ist. Die Forderungen nach mehr Trans-

parenz und geringeren Ermessensspielräumen betreffen sowohl die Konzeption des

Ziel- als auch des „Navigations“- und Kommunikationssystems der EZB-Strategie (Ab-

schnitt 3.1). Darüber hinaus wird der mangelnde Zusammenhang der tatsächlichen

EZB-Politik mit der Konzeption der Zwei-Säulen-Strategie kritisiert (Abschnitt 3.2).

3.1 Kritik an der Konzeption der Zwei-Säulen-Strategie

3.1.1 Die Zielebene

Üblicherweise hält man Ziele und Strategien zur Erreichung der Ziele auseinander. In

Fragen der Geldpolitik erweist sich eine strikte Trennung zwischen Ziel- und Strategie-

ebene jedoch nicht immer als adäquat. Der Grund liegt darin, dass die Endziele der

Geldpolitik häufig lediglich vage in Gesetzes- und Vertragstexten vorliegen. Die End-

ziele müssen also zunächst in eine („präzise“) ökonomische Sprache übersetzt werden.

Bereits hiermit können strategische Aspekte verbunden sein. So ist es durchaus

möglich, dass die konkrete Operationalisierung der geldpolitischen Endziele Einfluss

28 EZB (2001d), S. 56f.29 BALTENSPERGER (2000). Diese Auseinandersetzung begleitete schon den Entscheidungsprozess für dieFestlegung auf eine Strategie im Vorfeld der Währungsunion. Das EUROPÄISCHE WÄHRUNGSINSTITUT

hatte als Vorgänger der EZB fünf mögliche Strategien, die Zins-, Wechselkurs-, nominelle BIP- und dieGeldmengenstrategie sowie die direkte Inflationssteuerung hinsichtlich bestimmter Kriterien analysiertund beurteilt. Die ersten drei Strategien wurden aus unterschiedlichen Gründen verworfen, so dass vorallem die Geldmengensteuerung und das Inflation Targeting im Mittelpunkt der Diskussion standen (undimmer noch stehen), vgl. auch WAGNER (1999).

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darauf hat, wie gut die Ziele letztlich erreicht werden.30 Vor allem jedoch das Ausmaß

an Präzision, mit der eine Zentralbank ihre Ziele bzw. ihre „Zielfunktion“ der Öffent-

lichkeit mitteilt und somit transparent macht, ist Teil des modernen Strategiebegriffs.

Im Zusammenhang mit der Zieldefinition der EZB sind verschiedene Aspekte in der

Literatur aufgegriffen worden, die vorwiegend - jedoch nicht nur - im Zusammenhang

mit der Frage stehen, welche Zielverpflichtung und Transparenz der Ziele die EZB

durch ihre Strategie eingeht bzw. verfolgen sollte. So ist insbesondere kritisiert worden,

dass die EZB im Zusammenhang mit ihrer Definition von Preisstabilität den Zeitraum

für das vorrangige Endziel lediglich vage als „mittelfristig“ beschreibt und darüber hin-

aus nicht recht verdeutlicht, ob die Vermeidung von Outputschwankungen ein, wenn

auch nachgeordnetes, Ziel der Geldpolitik ist (vgl. Abschnitt 3.1.1.1). Ebenfalls unter

dem Stichwort mangelnde Transparenz der Ziele kann die Diskussion um eine Wider-

sprüchlichkeit beim vorrangigen Endziel subsumiert werden. Dieses Problem resultiert

aus dem Umstand, dass die EZB keine Präferenz hinsichtlich eines bestimmten Punkt-

ziels (π*) innerhalb des Zielkorridors (0% < π < π* < 2%) für die Inflationsrate (π)

explizit nennt und die Untergrenze ( π) des Korridors nicht eindeutig festlegt, jedoch in

anderen Zusammenhängen implizit ein Punktziel für die Inflationsrate unterstellt (vgl.

Abschnitt 3.1.1.2). Ein weiterer Vorwurf ist, dass die Obergrenze von 2% für den Ziel-

korridor der Inflationsrate zu restriktiv ist, da nicht berücksichtigt werde, dass die Infla-

tionsraten in den aufholenden Ländern der Währungsunion strukturell bedingt ver-

gleichsweise hoch sein werden (vgl. Abschnitt 3.1.1.3).31

3.1.1.1 Ungenauer Politikhorizont für das vorrangige Ziel der EZB

Der EZB-Rat hat sich darauf festgelegt, Preisstabilität „mittelfristig“ zu gewährleisten.

Der mittelfristige Zeithorizont für das vorrangige Ziel wird von der EZB u.a. mit den

Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik und dem Umstand begründet, dass die Inflati-

30 Es kann z.B. ein Unterschied für die Preisstabilität im Euroraum sein, ob die EZB ihr vorrangiges Zielim Sinne einer Verpflichtung zur Realisierung eines stationären Preisniveaupfads versteht oder Preisni-veauverschiebungen zulassen will, ob sie ihr Ziel kurz- oder mittelfristig interpretiert, ob sie Punktzieleoder Bandbreiten (Korridore) vorgibt, welchen Preisindex die EZB ihrer Zieldefinition zu Grunde legtund ob sie Rücksicht auf Outputschwankungen nimmt.31 Die Obergrenze von 2% für die Inflationsrate ist auch deshalb als zu niedrig kritisiert worden, weil derHVPI nicht um besonders volatile Größen bereinigt ist (also die Messung sich nicht auf eine Kerninflati-onsrate bezieht), vgl. GROS et al. (2000).

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onsentwicklung gemessen am HVPI kurzfristig auch durch nicht-monetäre volatile

Faktoren beeinflusst wird. Relativ kurze Zeiträume für die Erreichung des Ziels würden

für die EZB das Problem bergen, häufig Zielverfehlungen zugestehen zu müssen, ob-

wohl sich die Zentralbank möglicherweise optimal verhalten hat. Darüber hinaus wird

befürchtet, dass ein kurzer Zeithorizont die EZB nötigen könnte, zu oft bzw. inadäquat

mit Zinsänderungen auf temporäre Schocks zu reagieren. Ein weiterer Grund für die

EZB, Preisstabilität nicht kurzfristig zu verfolgen, kann darin gesehen werden, dass die

EZB möglicherweise außer Preisstabilität noch eine geringe Volatilität des Outputs an-

strebt. In einer Reihe von Arbeiten wurde gezeigt, dass die Rücksichtnahme einer

Zentralbank auf Output- und Zinsvolatilitäten eine langsamere bzw. graduelle Anpas-

sung der Inflationsrate in den Zielbereich impliziert.32 Darüber hinaus wird der optimale

Politikhorizont von der Frage beeinflusst, ob die EZB Preisstabilität im Sinne eines

Preisniveau- oder Inflationsziels versteht. So zeigen die Ergebnisse von SMETS (2000),

dass die EZB, sollte sie sich glaubwürdig an einen Zeitraum zur Erreichung des vorran-

gigen Ziels binden wollen, dann einen vergleichsweise längeren Zeitraum wählen sollte,

wenn sie ein Preisniveauziel statt eines Inflationsziels verfolgt und wenn sie die Ver-

meidung von Outputvolatilitäten als weiteres geldpolitisches Ziel verfolgt.33

Die EZB vermeidet es bislang, präzise zu bestimmen, was unter „mittelfristig“ zu ver-

stehen ist.34 Damit bleibt der zeitliche Horizont für die Erreichung des vorrangigen Ziels

der Geldpolitik im Euroraum vage. Dieses Vorgehen hat der EZB den Vorwurf einge-

tragen, die Erwartungsbildung der Privaten zu erschweren und sich der Rechenschafts-

32 Vgl. SVENSSON (1997), SMETS (2000).33 SMETS (2000), vgl. auch BATINI und NELSON (2000). Im Zusammenhang mit der geldpolitischen Ziel-setzung werden in der ökonomischen Theorie unterschiedliche Zeitpunkte bzw. -räume genannt, die nichtimmer völlig zweifelsfrei unterschieden werden. Drei Zeithorizonte sollten jedoch klar getrennt werden:der Politikhorizont, der feedback-Horizont und der Kontrollhorizont. Unter Politikhorizont versteht manden Zeitpunkt, an dem die Inflationsrate nach Störungen wieder in den Zielkorridor mündet bzw. wiederdem Zielwert entspricht. Hiervon sollte der optimale feedback-Horizont unterschieden werden. EinigeInterpretationen von Zentralbankpolitik gehen davon aus, dass Notenbanken einfachen Instrumentenre-geln, wie z.B. der TAYLOR-Regel, folgen bzw. folgen sollten. So wird zuweilen die Praxis von InflationTargeting betreibenden Notenbanken nicht im Sinne von SVENSSON als Zielregel, sondern als eine ein-fache Reaktionsfunktion bzw. Instrumentenregel für den Notenbankzins (it) charakterisiert, die besagt,dass die Notenbank ihren Zins bei Abweichungen der für die Zukunft erwarteten Inflationsrate (Et(πt+k))vom Zielwert (π*) entsprechend anpasst: it = i* + a(Et(πt+k) - π*) mit a > 0. In der Diskussion um denoptimalen feedback-Horizont geht es um die Frage, wie groß k sein sollte. Der Politikhorizont sollte auchvom Kontrollhorizont unterschieden werden. Der Kontrollhorizont ist durch den Zeitpunkt definiert, andem die Geldpolitik die größte Wirkung auf die Inflation ausübt. Er wird also durch die Wirkungsverzö-gerungen der Geldpolitik bestimmt, vgl. APEL et al. (1999).34 Im Zusammenhang mit der Erläuterung der EZB-Strategie definieren ANGELONI et al. „mittelfristig“als „(...) a time horizon that we view as intermediate between the short run – in which ‘money does notmatter‘ for prices – and the long run – in which ‘only money matters‘ (...)“. ANGELONI et al. (1999), S.21.

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pflicht entziehen zu wollen.35 Insbesondere von den EZB-Beobachtern des CENTRE FOR

EUROPEAN POLICY STUDIES (CEPS) ist die EZB aufgefordert worden, ihre Präferenzen

zu verdeutlichen und ein auf Jahresbasis definiertes Inflationsziel in Form einer Kernin-

flationsrate vorzugeben. Die Messung des Inflationsziels an einer Kerninflationsrate, die

besonders volatile Komponenten des HVPI ausklammert, würde es nach Ansicht von

GROS et al. (2000) der EZB erlauben, den vagen Begriff der „Mittelfristigkeit“ durch

ein mit Bandbreiten versehenes Inflationsziel zu ersetzen.36

Die EZB begründet ihre mangelnde Bereitschaft, den Zeithorizont für das vorrangige

Endziel präziser zu bestimmen, mit dem Argument, dass der optimale Zeitraum von

verschiedenen veränderlichen Faktoren, insbesondere von Ausgangsbedingungen sowie

Herkunft und Ausmaß etwaiger Störungen, abhängig ist.37 Aus Sicht der EZB ist es

aufgrund der Vielzahl potenzieller Störungen nicht möglich, den optimalen Zeithorizont

quasi in Form eines bedingten Plans oder im Sinne einer einfachen Regel mit escape-

clauses in Abhängigkeit von möglichen Schocks vorab festzulegen. Für die EZB über-

wiegen hier offenkundig die Vorteile diskretionären Handelns. Diese liegen in der

Flexibilität, mit der die EZB auf Schocks reagieren kann. Die Nachteile dieses Vor-

gehens sind der Mangel an Transparenz und Überprüfbarkeit. Diese Nachteile werden

jedoch für die EZB durch den Umstand relativiert, dass alternative Verfahren zur Präzi-

sierung des Politikhorizonts, die die mangelnde direkte Kontrollierbarkeit der

Inflationsrate durch die Geldpolitik berücksichtigen, ebenfalls Handlungs- und Bewer-

tungsspielräume nicht völlig ausschließen. So wird z.B. in der geldpolitischen Praxis ein

genau bestimmter Politikhorizont durch weite Zielkorridore, durch escape-clauses

und/oder durch Fokussierung auf die Kerninflationsrate ergänzt. Inflationsziele tragen

trotz eines präzisen Zeithorizonts jedoch um so weniger zur „Ankerfunktion“ bei, je

weiter die Korridore festgelegt werden, je komplizierter das Verfahren ist, mit dem die

Notenbank ex post die Überprüfung von ex ante festgelegten escape-clauses vornimmt,

und je weniger verständlich die Interpretation der Basisinflation im Falle einer Fokus-

35 BUITER (1999), GROS et al. (2000), GALÍ (2001). In diesem Sinne sind auch (insbesondere von Prota-gonisten des Inflation Targeting) die mangelnde Bereitschaft der EZB, ein Punktziel (statt eines Korri-dors) für die Inflationsrate, sowie die Sitzungsprotokolle und interne Inflationsprognosen zu veröffent-lichen, kommentiert worden, vgl. BUITER (1999).36 Konkret wird eine Kerninflationsrate (HVPI ohne Energie und Saison-Nahrungsmittel) von 1,5% miteiner Bandbreite von ± 1% vorgeschlagen. Hiermit könne auch das zu ambitionierte Inflationsziel derEZB nach oben korrigiert werden, da die Kerninflationsrate im Euroraum bislang unterhalb der Headline-Inflation liegt. GROS et al. (2000), S. 23, vgl. auch ALESINA et al. (2001a) und GALÍ (2001).37 ISSING et al. (2001), S. 69.

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sierung auf die Kerninflationsrate ist.38 So kann man gegen den Vorschlag des CEPS

einwenden, dass zurzeit keine Definition für die Kerninflation im Euroraum existiert,

die gleichzeitig alle statistischen und theoretischen Anforderungen erfüllt und darüber

hinaus von der Öffentlichkeit gut wahrgenommen wird. Insofern würde also bei einer

Umsetzung dieses Vorschlags eine Unklarheit, nämlich die über den Zeithorizont, durch

eine andere, die der Interpretation der Messergebnisse, ersetzt werden.39

Allerdings korrespondieren die Unklarheiten bezüglich des zeitlichen Horizonts für das

vorrangige Ziel der EZB mit Unsicherheiten hinsichtlich der geldpolitischen Zielfunk-

tion der EZB. Die von der EZB reklamierte Flexibilität hinsichtlich des Politikhorizonts

wird zuweilen auch als Versuch der EZB interpretiert, ihre wahren Absichten zu ver-

bergen. Die Ausführungen der EZB zu „nachrangigen“ Zielen, wie etwa die Vermei-

dung von Outputschwankungen, sind tatsächlich nicht eindeutig. Auf der einen Seite

begründet die EZB ihre mittelfristige Orientierung gerade auch mit der Vermeidung

„unnötiger“ Output- und Zinsvolatilitäten. Auf der anderen Seite wird jedoch häufig,

vor allem mit Hinweis auf unvollständige Kenntnisse der Geldpolitiker hinsichtlich

Strukturen und Wirkungsverzögerungen, die Sinnhaltigkeit eines „stabilisierungspoli-

tischen“ Auftrags, ganz in der Tradition der Friedman’schen Argumentation, in Frage

gestellt.40 Auch die Frage, ob die EZB das Ziel der Preisstabilität im Sinne eines

„Inflationsziels“ oder „Preisniveauziels“ versteht, lässt sich aus den Veröffentlichungen

und dem Verhalten der EZB bislang nicht völlig eindeutig klären.41 Jedenfalls geben die

Uneindeutigkeiten hinsichtlich des Zeithorizonts Anlass zur Spekulation über die

„wahren“ Motive der EZB. VON HAGEN und BRÜCKNER (2001) vermuten, dass die

ungenaue Definition des Politikhorizonts vor politischem Druck schützen soll. Diese

Unklarheit würde von der EZB möglicherweise strategisch „genutzt“, um u.a. ein ambi-

38 Vgl. ISSING et al. (2001), S. 73f.39 Vgl. z.B. EZB (2001c). Wir betrachten hier die Kerninflation unter dem Gesichtspunkt der geldpoli-tischen Ziele. Technisch gesprochen geht es also um die Frage, ob das Inflationsziel in der Zielfunktionder Notenbank mithilfe einer Kerninflation oder einer „Headline-Inflation“ erfasst und der Öffentlichkeitangekündigt werden sollte. Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, ob die Kerninflationsrate als ein Indi-kator der Geldpolitik genutzt werden sollte. Letzteres kann auch dann sinnvoll sein, wenn die Zielinflati-onsrate mit einer „Headline-Inflation“ ausgedrückt wird, vgl. hierzu APEL et al. (1999) und EZB (2001c).40 Vgl. z.B. ISSING et al. (2001), S. 67f. und S. 73, ISSING (2000), S. 13. Vgl. SVENSSON (1999) zuInterpretationsversuchen hinsichtlich der EZB-Zielfunktion und CUKIERMAN (2001).41 Gleichwohl sprechen die veröffentlichten Begründungen der EZB eher dafür, dass die EZB keinenstationären Trendpfad für das Preisniveau anstrebt. Vgl. VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), S. 7ff. undS. 23, vgl. auch Abschnitt 2.1.

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tioniertes Preisniveauziel (statt eines Inflationsziels) bei geringerem politischen Wider-

stand verfolgen zu können.42

Obwohl in der Theorie die ökonomischen Vorteile einer Transparenz der geldpoliti-

schen Ziele nicht völlig geklärt sind, überwiegt doch die Ansicht, dass schon aus

Gründen der demokratischen Verantwortlichkeit eine unabhängige Notenbank rechen-

schaftspflichtig hinsichtlich ihrer Ziele und ihres Erfolgs sein sollte.43 Dies setzt jedoch

voraus, dass die Ziele klar definiert und überprüfbar sind. Fraglich ist jedoch, ob die

Verpflichtung auf einen genauen Zeithorizont tatsächlich der adäquate Weg ist, die

erforderliche Transparenz zu schaffen.44 Die bisherigen Forschungen zum optimalen

Politikhorizont zeigen, dass die Ergebnisse zum einen sehr modellsensitiv sind und zum

anderen selbst bei Nichtberücksichtigung der Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik

längerfristige Zeiträume implizieren würden.45 Mehrjährige Zeiträume erschweren

jedoch die Überprüfbarkeit der Zielerreichung durch die Öffentlichkeit und werfen

42 VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), S. 8f. Die übliche Interpretation von derartigen Ermessenspiel-räumen besteht jedoch darin, dass gerade sie den politischen Druck erhöhen.43 Zu den ökonomischen Vorteilen einer größeren Transparenz hinsichtlich der geldpolitischen Ziele vgl.z.B. FAUST und SVENSSON (2001) und CUKIERMAN (2001). Zu den Kosten vgl. JENSEN (2001), vgl. auchWALSH (2001).44 In der ökonomischen Theorie wird Geldpolitik häufig als dynamisches Optimierungsproblem beschrie-ben, bei dem eine Zentralbank eine intertemporale Verlustfunktion unter Nebenbedingungen minimiert.Diese Nebenbedingungen entsprechen den Strukturgleichungen der Modellökonomie und einer Annahmedarüber, ob die Notenbank regelgebunden oder diskretionär agiert. Die Bedingungen 1. Ordnung einessolchen Standard-Optimierungsproblems ergeben nun allerdings keinen Hinweis darauf, einen bestimm-ten Zeithorizont (im Sinne einer „Handlungsvariable“) zu bevorzugen. Vgl. BATINI und NELSON (2000),S. 10f. und SVENSSON (2001e), S. 11, vgl. auch MEYER (2001a, c). Insofern besteht unter dem Gesichts-punkt der Transparenz die grundsätzliche Alternative zur Vorgabe eines festen Politikhorizonts in derVerdeutlichung der geldpolitischen Verlustfunktion selbst. Eine Notenbank müsste hierzu also die Argu-mente und Parameter ihrer Zielfunktion exakt offenbaren. Zu den praktischen Möglichkeiten hierzu vgl.die Diskussion zwischen GOODHART (2001) und SVENSSON (2001e). Der Vorschlag von PARKIN, dass dieBANK OF CANADA eine Zielzone für die angestrebte Kombination aus Inflation- und Outputvariabilitätveröffentlichen sollte, ist ein Schritt in diese Richtung, vgl. PARKIN (2000), S. 251.45 Vgl. hierzu SMETS (2000) sowie BATINI und NELSON (2000). Hinsichtlich des optimalen Politikhori-zonts existieren in der Literatur zwei unterschiedliche Ansätze. BATINI und NELSON (2000) leiten denoptimalen Politikhorizont unter der Annahme ab, dass die Zentralbank ein Standard-Optimierungs-problem bei glaubwürdiger Regelbindung löst. Der Politikhorizont ergibt sich implizit und ist keineHandlungsvariable der Notenbank. Er würde also z.B. zeigen, wie lange es cet. par. im Anschluss aneinen bestimmten Schock dauert, bis die Zielinflationsrate wieder erreicht ist, vorausgesetzt, die Zentral-bank verhält sich optimal. Demgegenüber charakterisiert SMETS (2000) den Politikhorizont als Hand-lungsvariable, d.h. dem Standard-Optimierungsproblem wird eine spezifische (implizite) Zielregel alsNebenbedingung hinzugefügt, die im Falle einer Inflationssteuerung (Preisniveausteuerung) besagt, dassdie (das) für eine zukünftige Periode t+h erwartete Inflationsrate (Preisniveau) dem Zielwert entsprechenmuss, also z.B. Et(πt+h) = π*. In diesem Fall ist die Bestimmung des optimalen h Teil der Geldpolitik.Auch SMETS unterstellt Glaubwürdigkeit; hier verstanden als einen Mechanismus, der es der Notenbankerlaubt, sich glaubwürdig an einen bestimmten Politikhorizont zu binden. Die Ergebnisse von SMETS

sowie BATINI und NELSON implizieren Zeiträume von teilweise weit über zwei Jahren. Vgl. auchGOODHART (2001), der trotz allem den zweijährigen Horizont der BANK OF ENGLAND verteidigt. DieSCHWEIZER NATIONALBANK (SNB) hat ihr Inflationsziel über einen dreijährigen Zeitraum definiert,

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Fragen der Glaubwürdigkeit auf. Aus diesem Grund und wegen der Wirkungsverzö-

gerungen der Geldpolitik wird häufig gefordert, die ex post Rechenschaftspflicht um

Verfahren der ex ante Rechenschaftspflicht zu ergänzen. Dies kann z.B. so geschehen,

dass die Zentralbank ihre Inflationsprognosen für den relevanten Zeitraum publik

macht. Seit Dezember 2000 veröffentlicht die EZB im Rahmen ihrer Zwei-Säulen-

Strategie halbjährlich bedingte Inflationsprognosen für einen Prognosezeitraum bis zwei

Jahre. Wie später erläutert wird, handelt es sich hierbei jedoch nicht um die besten

Voraussagen der EZB hinsichtlich der zukünftigen Inflation. Darüber hinaus wird die

Begrenzung des Prognosezeitraums auf zwei Jahre nicht im Sinne eines Politikhori-

zonts, sondern mit den Prognoseunsicherheiten bei einem längeren Prognosehorizont

begründet.46

3.1.1.2 Widersprüche beim vorrangigen Ziel der EZB?

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Widersprüchlichkeit im Hinblick auf die Höhe des

Inflationsziels.47 Die EZB hat auf die Bekanntgabe eines Punktziels für die Inflations-

rate verzichtet, da aus ihrer Sicht die Höhe der optimalen Inflationsrate innerhalb des

Korridors (0% < π < π* < 2%) nicht exakt bekannt ist.48 Gleichwohl wird in anderen

Zusammenhängen praktisch ein Punktziel für die gewünschte Inflationsrate unterstellt.

So legt die Herleitung des Referenzwerts für das Wachstum der Geldmenge M3

(∆m3Ref) die Vermutung nahe, dass das Inflationsziel π* = 1,5% ist.49

während die RESERVE BANK OF AUSTRALIA den Durchschnitt der Inflationsraten über einenKonjunkturzyklus betrachtet.46 Vgl. ISSING (2001), S. 19.47 SVENSSON (1999), S. 95f.48 Vgl. ISSING et al. (2001), S. 70.49 Dies folgt aus der Potenzialformel: ∆m3Ref = π* + ∆yTrend - ∆vTrend. Bei der Herleitung des ersten Refe-renzwerts Anfang Dezember 1998 ist der EZB-Rat davon ausgegangen, dass das Trendwachstum für dasEuro-Währungsgebiet (∆yTrend) zwischen 2% und 2,5% und die trendmäßige Abnahme der Umlaufsge-schwindigkeit (∆vTrend) zwischen 0,5% und 1% liegt. Basierend auf diesen Annahmen und der Definitionvon Preisstabilität kündigte der EZB-Rat einen Referenzwert von 4,5% pro Jahr für das Wachstum derGeldmenge M3 an. Diese Annahmen und der Referenzwert selbst wurden in den Jahren 1999, 2000 und2001 (jeweils im Dezember) überprüft und vom EZB-Rat bestätigt. Unterstellt man nun, dass bei derHerleitung des Referenzwerts jeweils die Mittelwerte der Intervalle für die Trendwachstumsraten (also2,25% für ∆yTrend und -0,75% für ∆vTrend) benutzt wurden, so folgt, dass der Referenzwert für dasWachstum der Geldmenge M3 mit einer mittelfristig gewünschten Inflationsrate von π∗ = 1,5%kompatibel ist, vgl. SVENSSON (1999), S. 95, ANGELONI et al. (1999), S. 21. In jüngeren Monatsberichtengeht die EZB auch häufiger auf die „reale Geldlücke“ ein. In der Form, wie die EZB dieses Konzept(grafisch) darstellt und erläutert, ist ebenfalls ein Punktziel unterstellt. Zur realen Geldlücke vgl. auchAbschnitt 3.1.2.

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Nach unserer Auffassung wird diese Widersprüchlichkeit hinsichtlich der Zielinflations-

rate durch den Hinweis der EZB verstärkt, dass sich der Referenzwert für das Wachs-

tum von M3 auch aus der Einkommenselastizität empirisch geschätzter Geldnachfrage-

funktionen für den Euroraum ableiten ließe.50 Einige Untersuchungen zur langfristigen

Geldnachfragefunktion im Euroraum kommen zum Ergebnis, dass die Einkommens-

elastizität (β) der M3-Nachfrage deutlich über 1 liegt. Schätzungen der DEUTSCHEN

BUNDESBANK (2001) und von BRAND und CASSOLA (2000) laufen auf einen Wert von

ca. 1,3 für β hinaus.51 Die EZB selbst nimmt in ihrem Monatsbericht von Mai 2001

ebenfalls einen Wert von 1,3 für die Einkommenselastizität an. Unterstellt man in der

langen Frist stationäre Realzinsen, so folgt ∆m3Ref = π* + β.∆yTrend für den Referenz-

wert.52 Da die EZB für das Potenzialwachstum (∆yTrend) 2% - 2,5% angenommen und

4,5% für das Wachstum von M3 veröffentlicht hat, würde mit β = 1,3 ein Zielkorridor

von 1,25% bis 1,9% für die Inflationsrate und, im Falle eines symmetrisch definierten

Korridors, eine Zielinflationsrate von 1,575% folgen. Bei dieser Begründung durch die

EZB müsste man also zwingend unterstellen, dass die bislang nicht öffentlich genannte

Untergrenze π für die Inflationsrate deutlich über 1% liegt. Dies widerspricht jedoch

den Ausführungen der EZB, wonach der („positive“) HVPI-Messfehler implizit die

Untergrenze darstelle und dieser, zwar nicht genau in der Höhe bekannt, unterhalb des

für die USA gemessenen „BOSKIN-Werts“ von 1,1% pro Jahr liege.53

3.1.1.3 Ist das Inflationsziel der EZB zu ambitioniert?

Die Frage, wie niedrig oder hoch das Inflationsziel einer Notenbank sein sollte, ist im

Kern keine EWU-spezifische Fragestellung. Wenn wir hier dennoch auf die optimale

Inflationsrate kurz eingehen, dann deshalb, weil die Rolle zunehmender Inflationsdiffe-

renzen zwischen den Teilnehmerländern in der Währungsunion zu einer erneuten

Diskussion über die angemessene Höhe der „Zielinflationsrate“ geführt hat.

50 EZB (2001b), S. 48. Gemeint sind hier die Arbeiten von BRAND und CASSOLA (2000) sowie COENEN

und VEGA (1999).51 DEUTSCHE BUNDESBANK (2001), S. 56, BRAND und CASSOLA (2000), S. 24.52 Vgl. z.B. MASUCH et al. (2001), S. 128f.53 Vgl. EZB Monatsbericht April 1999, S. 35, ECB (2001a), S. 38 und Abschnitt 2.1.

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Die Definition von Preisstabilität des EZB-Rats bezieht sich auf die Inflationsrate im

gesamten Euroraum: Eine Verantwortung für die regionale Inflationsentwicklung über-

nimmt die EZB damit ausdrücklich nicht. Nun hat die Tatsache, dass die Streuung der

nationalen Inflationsraten seit Beginn der dritten Stufe der Währungsunion tendenziell

wieder etwas zugenommen hat, zu der Forderung geführt, die Obergrenze des EZB-

Inflationszielskorridors von 2% auf 2,5% anzuheben.54 Hintergrund hiervon ist die

These, dass die beobachteten Inflationsdifferenzen zwischen den Teilnehmerländern

quasi Ausdruck eines realwirtschaftlichen Konvergenzprozesses sind, der - entspre-

chend des BALASSA-SAMUELSON-Effekts - eine erhöhte Inflation in den aufholenden

Ländern der Währungsunion mit sektoral unterschiedlichen Produktivitätsentwick-

lungen induziert. Dieser strukturell bedingte Inflationsdruck, der im Zuge einer

etwaigen Osterweiterung noch an Bedeutung gewinnen würde, führt zu einer

Deflationsgefahr in hoch entwickelten Ländern der Währungsunion mit geringen

Unterschieden im sektoralen Produktivitätswachstum, wenn die EZB ihr Stabilitätsziel

an einer zu knapp bemessenen Durchschnittsgröße orientiert.55

Strukturell bedingte Inflationsunterschiede in einem signifikanten Ausmaß würden die

EZB vor ein schwieriges Abwägungsproblem stellen. Auf der einen Seite kann vermutet

werden, dass eine nachträgliche Anhebung der Obergrenze für Preisstabilität der

Glaubwürdigkeit der noch jungen EZB schadet. Darüber hinaus würde die Berücksich-

tigung nationaler Deflationsgefahren die Frage aufwerfen, warum die EZB nicht eine

noch weiter reichende regionale Verantwortlichkeit besitzen sollte.56 Auf der anderen

Seite besteht die Gefahr, dass zumindest kurzfristig andere Anpassungsformen in der

Lohn-, Wettbewerbs- und Fiskalpolitik nicht greifen. Insofern ist fraglich, ob ein offi-

zielles Festhalten an der derzeitigen Stabilitätsnorm bei strukturell bedingten Deflati-

onsgefahren in großen Ländern der Währungsunion tatsächlich der Glaubwürdigkeit

einer EWU-weiten Perspektive förderlich wäre. Schon jetzt wird zumindest teilweise

vermutet, dass die EZB sich tatsächlich an den Interessen bevorzugter Teilnehmerländer

orientiert hat.57 Es ist zurzeit sicher verfrüht, wollte man die aktuelle Diskussion hierzu

54 SINN und REUTTER (2001), S. 11. Dies gilt unter der Annahme, dass das Inflationsziel für Deutschland1,5% beträgt. Der im Folgenden erläuterte strukturell bedingte Inflationsdruck wird von SINN undREUTTER mit 1% für den ursprünglichen Euro-11 Raum geschätzt.55 Vgl. WAGNER (2002) zu einer Diskussion im Zusammenhang mit dem E(W)U-Erweiterungsprozess.56 ISSING (2001), S. 9.57 Vgl. VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), S. 19. Es besteht dabei jedoch kein direkter Zusammenhangmit dem BALASSA-SAMUELSON-Effekt. Darüber hinaus wird die These einer regional orientierten EZB-

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endgültig zusammenfassen. Gleichwohl scheint sich der Eindruck zu verfestigen, dass

zumindest die quantitative Bedeutung des BALASSA-SAMUELSON-Effekts in der

Währungsunion nicht die ursprünglich von SINN und REUTTER (2001) konstatierten

Ausmaße aufweist.58 Geringe strukturell bedingte Inflationsdifferenzen sind jedoch

auch in einem einheitlichen Währungsraum nicht ungewöhnlich und könnten durch die

aktuelle Obergrenze für das Inflationsziel aufgefangen werden.

3.1.2 Die „Navigations“- und Kommunikationsebene

Die zwei Säulen der geldpolitischen Strategie stehen offenkundig im Spannungsfeld

zwischen Geldmengensteuerung und Inflation Targeting.59 So kann man die Zwei-

Säulen-Strategie als ein Verfahren begreifen, das im Rahmen eines modifizierten

Inflation Targeting der Geldmengenentwicklung (erste Säule) eine bedeutende Rolle

beimisst. Umgekehrt ist es jedoch genau diese explizit herausgehobene Bedeutung der

Geldmenge und insbesondere die formale Herleitung und Ankündigung eines

Referenzwerts für das Geldmengenwachstum, die die EZB-Strategie von den zurzeit

verfolgten Strategien anderer Notenbanken unterscheidet. Insofern ähnelt die

Konzeption der EZB-Strategie einer „potenzialorienten“ Geldmengenstrategie, die

zusätzlich explizit eine Vielzahl von nicht-monetären Frühindikatoren für die

zukünftige Preisentwicklung (zweite Säule) berücksichtigt.

Die Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern dieser alternativen Strategien dreht

sich im Kern um die Frage, welche Rolle die Geldmenge (bzw. die Inflationsprognose)

im zentralbankinternen Entscheidungsprozess und in der Kommunikation mit der

Öffentlichkeit spielen sollte. Bezogen auf die geldpolitische Strategie der EZB wird dies

häufig mit der Frage nach dem relativen Gewicht der beiden Säulen der EZB-Strategie

gleichgesetzt. So ist aus Sicht des Inflation Targeting die hervorgehobene Rolle der

Geldmenge, wie sie in der monetären Analyse und öffentlichen Ankündigung eines

Referenzwerts für das Wachstum von M3, also in der ersten Säule der EZB-Strategie,

Politik in anderen Untersuchungen nicht bzw. nicht eindeutig bestätigt, vgl. hierzu ALESINA et al. (2001a)und FAUST et al. (2001).58 Vgl. SACHVERSTÄNDIGENRAT (2001), Ziffer 480ff. und die dort angegebene Literatur. Der SACH-VERSTÄNDIGENRAT kommt in eigenen Untersuchungen zu einem strukturell bedingten Inflationsdruckvon 0,5%, vgl. Ziffer 496.59 Zu einem Vergleich dieser Strategien siehe WAGNER (1999).

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zum Ausdruck kommt, weder theoretisch noch empirisch gerechtfertigt. Befürworter

eines Inflation Targeting, wie z. B. die EZB-Beobachter des CENTRE FOR ECONOMIC

POLICY RESEARCH (CEPR), des CENTRE FOR EUROPEAN POLICY STUDIES (CEPS) und

SVENSSON verlangen daher die Abschaffung der ersten Säule.60 Im klaren Gegensatz

dazu fordern Vertreter der Geldmengensteuerung, wie z.B. die EMU-MONITOR Gruppe,

die Ökonomen des ECB OBSERVER und die Mehrheit im SACHVERSTÄNDIGENRAT die

EZB auf, gerade die erste Säule stärker in den Mittelpunkt ihrer Strategie zu stellen.61

3.1.2.1 Kritik von Befürwortern eines Inflation Targeting

Die EZB-Beobachter des CEPR betonen vor allem drei Aspekte:62 Erstens wird der

kurzfristige empirische Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation als schwach

und in der Zeit variabel angesehen. Deshalb weisen monetäre Aggregate a priori keine

im Vergleich zu anderen Indikatoren überlegenen Vorlaufeigenschaften auf. Alle zur

Bildung von Inflationsprognosen relevanten Informationen sollten daher zu einer Säule

zusammengefasst werden. Zweitens wird betont, dass eine Geldmengensteuerung in

einer Umwelt mit möglicherweise großen Störungen in der Geldnachfrage zu unnötigen

Output- und Inflationsschwankungen führt. Drittens führe die Koexistenz von zwei

Säulen mit möglicherweise widersprüchlichen Signalen zu einer geringen Transparenz

der Geldpolitik und erschwere die Kommunikation mit der Öffentlichkeit.

Vermutlich ist kein Name so sehr mit der Konzeption des Inflation Targeting verbun-

den, wie der des schwedischen Ökonomen LARS SVENSSON. Seine Kritik an der Zwei-

Säulen-Strategie der EZB fällt ähnlich aus wie die des CEPR. Allerdings werden zwei

Aspekte gegenüber der CEPR-Argumentation stärker akzentuiert. Da ist zum einen die

Vorstellung, dass die nominale Geldmenge im Transmissionsprozess der Geldpolitik

keine Rolle spielt und die EZB mit der Ankündigung eines Referenzwerts für das

Wachstum von M3 eine tatsächlich irrelevante Größe betont. SVENSSON (1999) unter-

60 ALESINA et al. (2001a), GALÍ (2001), GROS et al. (2001), SVENSSON (2001a, 2000a, 2000b, 1999).61 EMU Monitor (1999), VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), VON HAGEN (2000), BORCHERT et al.(2001a, 2001b), SACHVERSTÄNDIGENRAT (1999, 2000). Im jüngsten Jahresgutachten 2001/2002 desSACHVERSTÄNDIGENRATS wird jedoch empfohlen, die Bedeutung der beiden Säulen von ihrem Informa-tionsgehalt abhängig zu machen.62 Vgl. hierzu BEGG et al. (1999), ALESINA et al. (2001a), GALÍ (2001). Zusätzlich zu diesenkonzeptionellen Gründen wird darüber hinaus festgestellt, dass die EZB selbst die erste Säule nichtbeachtet. Vgl. hierzu Abschnitt 3.2.

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stellt hierbei, dass die Geldpolitik durch Variation des Nominalzinses direkt den Real-

zins und mit einer zeitlichen Verzögerung die Produktionslücke beeinflussen kann. Mit

einer weiteren Verzögerung reagiert dann die Inflationsrate auf die Veränderung der

Produktionslücke. Aus dieser Sicht betrachtet erscheint die Geldmenge nicht als

Zwischengröße im geldpolitischen Transmissionsprozess, sondern sie steht quasi am

Ende der Wirkungskette.63 Eine Zentralbank, deren vorrangiges Ziel Preisstabilität ist,

wird angesichts dieser Wirkungsverzögerungen sinnvollerweise ein „Inflation Forecast

Targeting“ betreiben, bei dem die Zentralbank den Zinspfad so setzt, dass die hiermit

korrespondierende bedingte Inflationsprognose konsistent mit dem Inflationsziel ist.

Zum anderen geht SVENSSON (1999, 2000a) davon aus, dass die zeitliche Verzögerung

zwischen dem geldpolitischen Impuls und der hauptsächlichen Wirkung auf die Inflati-

onsrate ca. 1,5 - 2 Jahre beträgt. Die Rolle der Geldmenge reduziert sich für ihn damit

auf die Frage, ob sie ein wichtiger Input in der Inflationsprognose für diesen Zeitraum

sein sollte. Die Untersuchungen von GERLACH und SVENSSON (2001) sowie NICOLETTI-

ALTIMARI (2001) deuten daraufhin, dass die auf M3 basierende „reale Geldlücke“ bzw.

„Preislücke“ entsprechend dem P*-Ansatz über gute Vorlaufeigenschaften für einen

Prognosezeitraum von 1 bis 2 Jahren verfügt, jedoch das Wachstum der Geldmenge M3

allein als Indikator für längere Zeiträume (> 2 Jahre) relevant ist.64 Für SVENSSON folgt,

dass die Ergebnisse zum P*-Ansatz zwar der „realen Geldlücke“ eine herausragende

Rolle zuweisen, jedoch nicht für eine Orientierung der EZB am Vergleich zwischen

dem Wachstum von M3 und dem Referenzwert sprechen.65 Die EZB sollte also ihre

zwei Säulen zu einer Säule konsolidieren und alle Informationen in die Inflationsprog-

nose einfließen lassen.

63 Vgl. SVENSSON (1999) und WAGNER (1999). Abstrahiert man von der speziellen Lag-Struktur, dieSVENSSON unterstellt, so stimmt die passive Rolle des Geldes im SVENSSON-Modell im Kern mit vielenAnsätzen der jüngeren Theorie der Geldpolitik überein, vgl. z.B. MCCALLUM (2001), MEYER (2001b).64 GERLACH und SVENSSON (2001), NICOLETTI-ALTIMARI (2001), vgl. auch EZB (2001b). SVENSSON

(2000b) geht davon aus, dass das nominale Geldmengenwachstum allein keine relevanten Informationenfür die zukünftige Inflation bis zu einem Prognosezeitraum von 3 Jahren enthält. Unter „realer Geldlücke“versteht man das Verhältnis von der tatsächlichen zur gleichgewichtigen realen Geldmenge. Die auf M3basierende reale Geldlücke verwendet zur Abschätzung der gleichgewichtigen realen Geldmenge eineSchätzung bezüglich der langfristigen Nachfrage nach M3. Diese reale Geldlücke wird auch als auf M3basierende Preislücke (P*-Indikator) bezeichnet. Die EZB veröffentlicht jedoch eine reale Geldlücke, dievon einer anderen Gleichgewichtsdefinition ausgeht. Die gleichgewichtige reale Geldmenge im Sinne derEZB-Definition entspricht der nominalen Geldlücke abzüglich der Abweichung der tatsächlichen Inflati-onsrate von der „Definition von Preisstabilität“. Die nominale Geldlücke wird berechnet als Abweichungder tatsächlichen Geldmenge M3 von einem hypothetischen Geldbestand, der sich ergeben hätte, wenndie Geldmenge M3 in der Höhe des Referenzwerts gewachsen wäre, vgl. EZB (2001b).

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Auch die EZB-Beobachter des CEPS plädieren (mittlerweile) dafür, dass die EZB die

erste Säule aus ihrer Strategie nimmt, nachdem die EZB erhebliche Probleme im

Zusammenhang mit der Abgrenzung und Interpretation der Geldmengendaten einge-

räumt hat (vgl. Abschnitt 3.2.1). In ihren ersten Gutachten hatte das CEPS der EZB

geraten, die erste Säule in ihrer Bedeutung zu reduzieren, jedoch nicht völlig zu igno-

rieren. Hintergrund dieses Ratschlags war die Vorstellung, dass die EZB ihre Geldpo-

litik unter „normalen“ Bedingungen an der zweiten Säule ausrichten, jedoch die

monetäre Entwicklung im Hinblick auf Gefahren für eine Inflation der Aktivapreise, die

sich nicht unmittelbar in den Indikatoren und Prognosen der zweiten Säule wieder-

finden, weiterhin genau analysieren sollte.66

3.1.2.2 Kritik von Befürwortern einer Geldmengensteuerung

Man kann daher sagen, dass Protagonisten des Inflation Targeting eine Strukturierung

und Erläuterung der Geldpolitik mithilfe von zwei Säulen ablehnen. Aber auch Vertreter

der Geldmengensteuerung erkennen in der Koexistenz der zwei Säulen die Gefahr zu

großer Ermessenspielräume für den EZB-Rat und einen Mangel an Transparenz in der

Geldpolitik. Allerdings plädieren sie nicht für eine grundsätzliche Abschaffung der zwei

Säulen, sondern für eine eindeutige und stärkere Gewichtung der ersten Säule.67

Für die Ökonomen der EMU-MONITOR-Gruppe entspricht die erste Säule der EZB-

Strategie faktisch der Geldmengensteuerung in der Tradition der DEUTSCHEN

BUNDESBANK, wenn auch mit einer veränderten Rhetorik.68 Aus ihrer Sicht trägt vor

allem die unklare Rolle der zweiten Säule zu einem Mangel an Transparenz und der

65 SVENSSON (2000b). Wie wir gleich darstellen werden, ist diese Argumentation sehr ähnlich zu derEinschätzung der Gruppe des ECB OBSERVER, die jedoch weiterhin dafür eintritt, dass die EZB die ersteSäule besonders stark gewichten soll.66 GROS et al. (2000) und (2001).67 Seit dem jüngsten Jahresgutachten 2001/2002 muss diese Aussage im Hinblick auf den SACHVER-STÄNDIGENRAT insofern modifiziert werden, als er nicht (mehr) für eine grundsätzlich stärkere Gewich-tung der ersten Säule zu plädieren scheint. Vgl. SACHVERSTÄNDIGENRAT (2001), Ziffer 355. Allerdingsbeziehen sich wohl alle jüngsten Vorschläge des SACHVERSTÄNDIGENRATs zur „Nachbesserung“ derEZB-Strategie lediglich auf den Fall, dass (...) nicht grundsätzlich an der Zwei-Säulen-Strategie gerütteltwerden (...)“ soll, vgl. Ziffer 350.68 HAYO et al. (1998). VON HAGEN und BRÜCKNER (2001) interpretieren jedoch die Zwei-Säulen-Strategiemittlerweile als eine Strategie ohne Zwischenziel, in der die erste Säule lediglich eine Verpflichtung derEZB darstellt, die monetäre Entwicklung im Hinblick auf drastische Fehlentwicklungen zu analysieren.Dementsprechend gering wäre das Gewicht der ersten Säule in „normalen“ Zeiten und dementsprechendhoch in Zeiten deutlicher Fehlentwicklungen in der Geldmenge.

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Gefahr eines „looking at everything“ bei. Hinsichtlich der ersten Säule wird davon aus-

gegangen, dass das M3-Wachstum einen Vorlauf vor der Inflation im Euroraum hat und

darüber hinaus die Geldnachfrage hinreichend stabil ist. Probleme werden jedoch insbe-

sondere hinsichtlich der Interpretation von M3 eingeräumt. Die EZB sollte besonders in

Zinssteigerungsphasen, in der M3 das Ausmaß der monetären Restriktion zu spät und

als zu gering anzeige, das enge Aggregat M1 stärker beachten.69 Die EZB sollte darüber

hinaus das Referenzwertkonzept um einen Zielkorridor ( ± ein Prozentpunkt um den

Referenzwert) für das Geldmengenwachstum erweitern. Insgesamt wird die EZB aufge-

fordert, die erste Säule ihrer Strategie grundsätzlich stärker zu beachten.70

In den Jahresgutachten hat die Mehrheit im SACHVERSTÄNDIGENRAT zur Begutachtung

der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die Zwei-Säulen-Strategie mehrfach massiv

kritisiert. Besonders im Jahresgutachten 1999/2000 wurde behauptet, dass infolge einer

unklaren und möglicherweise zeitvariablen Gewichtung der beiden Säulen die EZB

nicht in der Lage sei, Vertrauen in die Verlässlichkeit der Geldpolitik zu erzeugen. Die

Geldpolitik der EZB entziehe sich einem systematischen Begründungszwang für ihre

Entscheidungen. Der SACHVERSTÄNDIGENRAT betonte die Notwendigkeit einer potenzi-

alorientierten Geldmengenpolitik. Im Gutachten des Jahres 2000/2001 fiel der Grundton

erheblich milder aus. Hier wurde zugestanden, dass es zurzeit nicht möglich sei,

verlässliche empirische Aussagen über Spezifikation und Stabilität der „monetären

Grundrelationen“ zu treffen, die die Basis der beiden reinen Strategien, Inflation

Targeting und Geldmengensteuerung, bilden.71 Allerdings wird hervorgehoben, dass der

ständige Abwägungsprozess zwischen den beiden Säulen der Strategie für die EZB zu

der Komplikation führt, nur schwer die Konsistenz ihres Handelns verdeutlichen zu

können. Der SACHVERSTÄNDIGENRAT diskutiert in diesem Zusammenhang auch die

Veröffentlichung von Inflationsprognosen durch die EZB und mahnt an, dass diese eine

zentrale Rolle innerhalb der zweiten Säule einnehmen sollten. Der Rat sieht darin eine

69 VON HAGEN (2000). HAYO et al. (1998) plädieren ohnehin für die Verwendung eines eng abgegrenztenGeldmengenaggregats.70 VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), EMU Monitor (2001), NEUMANN (2001).71 Im jüngsten Jahresgutachten 2001/2002 gelangt der SACHVERSTÄNDIGENRAT - im Gegensatz zuanderen Untersuchungen - jetzt sogar zu dem (vorläufigen) Ergebnis, dass die geschätzte M3-Geldnach-fragefunktion für den Euroraum auch langfristig nicht stabil ist und eine hinreichende Kontrollierbarkeitdurch die EZB nicht gegeben ist. Vgl. SACHVERSTÄNDIGENRAT (2001), Ziffer 498ff. Die langfristigeStabilität der Nachfrage von M3 im Euroraum ist jedoch eine Grundvoraussetzung für die Ankündigungdes M3-Referenzwerts durch die EZB. Auch wegen der statistischen Abgrenzungsprobleme von M3 (vgl.Abschnitt 3.1.2.2) empfiehlt der Rat die Einführung eines Zielkorridors für das Geldmengenwachstum.Außerdem sollte geprüft werden, ob nicht der Übergang zu einem engeren Geldmengenkonzept ange-messen sei, vgl. SACHVERSTÄNDIGENRAT (2001), Ziffer 350ff.

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Möglichkeit, das „komplexe“ Indikatorenbündel der zweiten Säule der Öffentlichkeit

verständlicher zu vermitteln.72 Im jüngsten Jahresgutachten 2001/2002 empfiehlt der

SACHVERSTÄNDIGENRAT nun nicht mehr, die erste Säule generell stärker zu beachten,

sondern rät dazu, dass relative Gewicht beider (jedoch eindeutig definierter) Säulen vom

Informationsgehalt dieser Säulen für die zukünftige Preisentwicklung abhängig zu

machen.73

Für die Ökonomen des ECB OBSERVER ist die Zwei-Säulen-Strategie der EZB grund-

sätzlich sinnvoll.74 Allerdings solle der ersten Säule eine klare Priorität eingeräumt

werden, da die Geldmenge M3 eine nachweislich erhebliche Prognosequalität für die

zukünftige Inflation im Euroraum besitze. Keine andere Variable der zweiten Säule

verfüge über derartige Indikatorqualitäten. Die Projektionen im Rahmen der zweiten

Säule würden in ihrer jetzigen Form die Rolle der Geldmenge als Inflationsindikator

unterlaufen. In einer gleichberechtigten zweiten Säule wird die Gefahr gesehen, dass der

Schutz vor politischem Druck geringer wird. Allerdings sei erheblicher „Nachbesse-

rungsbedarf“ für die EZB-Strategie im Hinblick auf das Referenzwertkonzept der EZB

gegeben. Wenn hier von einer stärkeren Gewichtung der ersten Säule die Rede ist, so ist

damit nicht etwa gemeint, dass die EZB sich stärker an dem einfachen Vergleich

zwischen Geldmengenwachstum und Referenzwert orientieren sollte. Die Argumen-

tation stellt vielmehr auf die Indikatorqualität der „Preislücke“ bzw. (in der

SVENSSON’schen Terminologie) der „realen Geldlücke“ ab und nicht auf das rein

nominelle Wachstum der Geldmenge M3. Diese Preislücke ließe sich bei der Ableitung

des Referenzwerts für M3 in Form eines unvermeidlichen Preisdrucks aus der Vergan-

genheit berücksichtigen. Das bisherige Vorgehen der EZB enthalte infolge der Nichtbe-

rücksichtigung der realen Geldlücke einen systematischen Fehler bei der Ableitung des

Referenzwerts.75

72 SACHVERSTÄNDIGENRAT (2000), Ziffer 341.73 SACHVERSTÄNDIGENRAT (2001), Ziffer 355. Unter „eindeutig definierten Säulen“ scheint derSACHVERSTÄNDIGENRAT eine klar mit einem (einzelnen) Geldmengenaggregat „assoziierte“ erste Säuleund eine klar mit der Inflationsprognose der EZB „assoziierte“ zweite Säule zu verstehen, vgl.SACHVERSTÄNDIGENRAT (2001), Ziffer 354 und 355.74 Vgl. BORCHERT et al. (2001a), S. 12ff.75 Vgl. BORCHERT et al. (2001a), S. 17f., und (2001b), S. 31ff.

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3.1.2.3 Zur Begründung der EZB hinsichtlich der Ausgestaltung der Navigations- und

Kommunikationsebene

Die vorgestellten Kritikpunkte beinhalten trotz aller Unterschiedlichkeit u.a. den

gemeinsamen Kern, dass die EZB das relative Gewicht, das sie den beiden Säulen bzw.

einzelnen Elementen dieser Säulen (insbesondere dem Referenzwert für ein adäquat

abgegrenztes Geldmengenkonzept und der Inflationsprognose) zuordnet, deutlicher

machen müsste.76 Allerdings ist es u.a. gerade die Unterschiedlichkeit der Ratschläge,

bzw. deren theoretische und empirische Fundierung, die die EZB zum Anlass nimmt,

sich nicht eindeutig festzulegen. So wird insbesondere gegen eine ausschließliche

Orientierung an der ersten Säule eingewendet, dass in der kürzeren Frist die Volatilität

der Umlaufsgeschwindigkeit hoch und die Kontrollierbarkeit der Geldmenge gering ist.

Eine ausschließliche Auswertung der monetären Analyse würde systematisch Informa-

tionen der zweiten Säule ignorieren, die auch für den mittelfristigen Inflationsprozess

relevant sind und von den monetären Daten nicht immer sofort angezeigt werden. Eine

Fokussierung der Geldpolitik auf die kurzfristigen Indikatoren der zweiten Säule würde

aus Sicht der EZB dagegen die Gefahr bergen, dass vorübergehende Schocks sich zu

stark in der Geldpolitik niederschlagen können. Eine ausschließliche Orientierung an

den eigenen Inflationsprognosen der zweiten Säule würde nicht berücksichtigen, dass

die Unsicherheit der Projektionen mit Ausweitung des Prognosehorizonts wächst. Da

die Projektionen darüber hinaus wegen ihrer Unsicherheit auf einen zweijährigen Zeit-

raum begrenzt sind, könnte durch eine Fokussierung der Geldpolitik auf die Inflations-

prognosen der zweiten Säule angesichts der ungenauen Kenntnisse über den Kontroll-

horizont und den optimalen Politikhorizont möglicherweise eine Geldpolitik induziert

werden, die ebenfalls im Widerspruch zur mittelfristigen Ausrichtung steht.77

Eine eindeutigere Gewichtung ist jedoch nicht a priori mit einer ausschließlichen

Orientierung am Informationsgehalt einer Säule oder einzelner Elemente beider Säulen

gleichzusetzen. Bei Berücksichtigung einer Vielzahl von Indikatoren könnte quasi eine

76 Zumindest müsste das Verfahren, das zur Festlegung der möglicherweise variablen Gewichte führt,transparent sein. Die bisherigen Ausführungen der EZB erwecken den Eindruck, dass die Gewichtungsich endogen im Rahmen der Diskussion im EZB-Rat ergibt. Vgl. ISSING et al. (2001), S. 106f. Da dieserDiskussion eine bewertende Präsentation der Informationen der zwei Säulen durch den Chefökonomvorausgeht, sehen VON HAGEN und BRÜCKNER in der Nicht-Festlegung der Gewichtung den Versuch desChefökonomen bzw. der Mitglieder des Direktoriums, die Machtposition des Direktoriums gegenüber denanderen Mitgliedern des EZB-Rats zu stärken. VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), S. 14f.

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„Hierarchie der Argumente“ in dem Sinne festgelegt werden, dass bestimmt wird, mit-

hilfe welcher Größen „normalerweise“ über die Geldpolitik im Falle widersprüchlicher

Signale entschieden wird. Aber auch diesbezüglich legt sich die EZB bewusst nicht ein-

deutig fest. Sie begründet dieses Vorgehen mit dem Phänomen der „Modellun-

sicherheit“: Aus Sicht der EZB repräsentieren die zwei Säulen der Strategie vor allem

alternative Inflations- und Transmissionstheorien. Hierbei soll die erste Säule solche

Ansätze darstellen, die der Geldmenge bei der Erklärung der mittel- bis längerfristigen

Inflationsentwicklung eine bedeutende Rolle zuweisen. Demgegenüber basiere die

zweite Säule auf Inflationstheorien, die konjunkturelle und nicht-monetäre Größen für

den kurz- bis mittelfristigen Inflationsprozess betonen und der Geldmenge kaum einen

Erklärungswert hierfür zuordnen.78 Diese Unterteilung bringt die Vorstellung zum Aus-

druck, dass Inflation langfristig ein „monetäres Phänomen“ ist, in der kürzeren Frist

jedoch von anderen nicht-monetären Größen beeinflusst wird. So gesehen sollte das

relative Gewicht der ersten Säule bei konsistenter Befolgung der Strategie mit Aus-

weitung des Politikhorizonts und/oder des Prognosehorizonts für die zukünftige Inflati-

onsrate zunehmen.79

Da die EZB die mittlere Frist nicht genau definiert, kann vermutet werden, dass damit

ein Zeithorizont gemeint ist, für den aus Sicht der EZB unterschiedliche Inflations- und

Transmissionstheorien konkurrieren.80 Angesichts der Unsicherheit über die „wahre“

Inflations- und Transmissionstheorie will die EZB einem robusten Ansatz umfassender

Informationen folgen, der unterschiedlichen Paradigmen über die Volkswirtschaft

„standhält“.81 Es ist jedoch fraglich, ob das Argument der „Modellunsicherheit“ tat-

sächlich für die spezifische Ausgestaltung der EZB-Strategie spricht.82 Tatsächlich

stecken die Forschungen zur adäquaten geldpolitischen Reaktion auf die Unsicherheit

77 Vgl. zu diesen Begründungen EZB (2000), S. 50f., ECB (2001), S. 46ff., ISSING (2001), S. 19,ANGELONI et al. (1999), S. 9ff.78 Vgl. EZB (2000), S. 41ff., ECB (2001), S. 54, EZB (2001d), S. 58. Zu den mit dieser Unterteilungverbundenen Widersprüchlichkeiten hinsichtlich der Interpretation der Inflationsprognosen vgl. Abschnitt3.2.2. Vgl. auch VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), S. 11ff. zur Kritik an dieser Unterscheidung derbeiden Säulen.79 Vgl. auch ISSING et al. (2001), S. 106, die eine entsprechende Gewichtung beschreiben. Allerdingskann die Unterscheidung hinsichtlich des unterschiedlichen Zeithorizonts der zwei Säulen - also eine ehermittel- bis langfristig orientierte 1. Säule und eine kürzerfristig angelegte 2. Säule - nicht völlig über-zeugen. So zeigen zum einen selbst die Untersuchungen der EZB, dass die Indikatoren der ersten Säulefür ganz unterschiedliche Prognosehorizonte geeignet sind, vgl. z.B. EZB (2001b), NICOLETTI-ALTIMARI

(2001). Zum anderen weisen einzelne Indikatoren der zweiten Säule ebenfalls mittel- bis langfristigeWirkungsverzögerungen auf, vgl. SCHNEIDER und HARFF (2001), S. 8.80 Vgl. auch Fn. 34.81 EZB (2001a), S. 47ff., EZB (2000), S. 44.82 Vgl. die Kritik hierzu bei VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), S. 13f.

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über die das richtige Modell trotz einer Vielzahl von Untersuchungen zur optimalen

Geldpolitik bei Unsicherheit noch in den „Kinderschuhen“.83 Geht man davon aus, dass

eine Zentralbank unterschiedlichen Inflations- und Transmissionstheorien zumindest

zuordnen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie die einzelnen Ansätze für die

„wahre“ Beschreibung der Volkswirtschaft hält (so genannte Bayessche probabilistische

Unsicherheit bzw. Risikosituation), so ergibt sich ein mit diesen Wahrscheinlichkeiten

gewichteter Durchschnitt aller modellspezifisch optimalen Pfade als Lösung. Auch

wenn sich diese Wahrscheinlichkeiten im Laufe der Zeit durch Lernen ändern sollten,

so würde man doch erwarten, dass sich in kürzeren Zeiträumen eine stabile und damit

auch der Öffentlichkeit darstellbare Gewichtung ergeben sollte.84

Das Argument der „Robustheit“ gründet jedoch häufig auf der Idee, die Situation einer

Zentralbank sei hinsichtlich der „wahren“ Theorie durch „Knight’sche“ Unsicherheit

gekennzeichnet, in der es also gerade nicht möglich ist, unterschiedlichen Theorien

bestimmte Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen. Hier wird Robustheit zuweilen im Sinne

des Minimax-Prinzips verstanden, also nach Politiken gesucht, die die maximal denk-

baren Verluste in allen Modellen minimiert. Spricht ein solches Argument für das Vor-

gehen der EZB? Dies ist fraglich, da – abgesehen von dem Umstand, dass die optimalen

Entscheidungsregeln unter Knight’scher Unsicherheit umstritten sind – die Spezifizie-

rung der Zwei-Säulen-Strategie in ihrer derzeitigen Form sich ja gerade einer modell-

haften Überprüfung ihrer „Robustheit“ entzieht.85 Selbst wenn man die Argumentation

der EZB nachvollziehen wollte, so scheint jedenfalls diese Interpretation von Robustheit

83 In der Theorie wird „Modellunsicherheit“ von „Parameterunsicherheit“ und rein „additiver“ Unsicher-heit unterschieden. Geldpolitischen Modellen liegen häufig linear-quadratische Optimierungsaufgaben(quadratische Zielfunktion mit linearen Nebenbedingungen) zu Grunde, für die bei Berücksichtigung rein„additiver“ Störungen das Sicherheitäquvalenzprinzip im Handlungssinne gilt; d.h. die optimalen Poli-tiken unterscheiden sich von denen unter Sicherheit lediglich durch Berücksichtigung der Erwartungs-werte der Störgrößen. Bei „Parameterunsicherheit“ wird dagegen einbezogen, dass innerhalb einesModells bestimmte Elastizitäten bzw. Multiplikatoren nur ungenau bekannt sind. Hierdurch wird daslinear-quadratische Problem durchbrochen. Das „klassische“ Ergebnis von BRAINARD (1967), wonacheine optimale Geldpolitik ihre Instrumente umso vorsichtiger dosiert, je unsicherer der Wirkungsmecha-nismus ist, vgl. z.B. auch WAGNER (2001), wird in jüngeren, dynamischen Ansätzen zunehmend hinter-fragt, da eine aggressivere Politik möglicherweise ein effizienteres Lernen über die wahre Modellstrukturerlaubt. Zu einem Überblick vgl. WALSH (2000).84 Ähnlich VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), S. 13. Zu knappen Überblicken über Modellunsicherheitvgl. EZB (2001d), S. 54, EZB (2001a), S. 60ff., SVENSSON (2000c), STOCK (1999).85 Es ist auch nicht klar, warum hieraus „zwangsläufig“ ein komplizierter Ansatz folgen muss, vgl. auchVON HAGEN und BRÜCKNER (2001), S. 13. Eine mögliche Reaktion auf Knight’sche Unsicherheit bestehtin der Befolgung von „Daumenregeln“. Gerade unter diesem Aspekt werden TAYLOR-Regeln oderZwischenzielregeln (wie etwa die Geldmengenstrategie) häufig betrachtet. Vgl. TAYLOR (1999), derwegen der Robustheit der einfachen TAYLOR-Regel diese auch - mit geänderten Koeffizienten - für dieEZB vorschlägt. Vgl. auch BALTENSPERGER (2000) zur Begründung von zweistufigen Strategien.

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der Geldpolitik in einem trade-off zur Verständlichkeit und Transparenz der Strategie zu

stehen.

3.2 Kritik an der Implementierung der Zwei-Säulen-Strategie

Viele Kritiker werfen der EZB vor, eine schlechte Kommunikationspolitik zu betreiben

und ihre Zinsschritte nicht kohärent mit der eigenen Strategie zu begründen.86 Zwar

wird erkannt, dass die EZB in einem Währungsgebiet agiert, das u.a. auch durch hetero-

gene „Kommunikationskulturen“ gekennzeichnet ist, dennoch überwiegt bei Beobach-

tern der Eindruck, dass die Verständigungsprobleme ursächlich mit Schwächen in der

Zwei-Säulen-Strategie zusammenhängen. Da ist zum einen die - auch von der EZB

eingeräumte - Tatsache, dass der zentralbankinterne Entscheidungsprozess infolge der

von der EZB beanspruchten Flexibilität nur schwer verständlich nach außen dargestellt

werden kann. Die Zwei-Säulen-Strategie und die Heterogenität des Währungsraums

stellen deshalb ohnehin hohe Anforderungen an die Kommunikationspolitik der EZB.

Hinzu kommt jedoch zum anderen, dass einzelne Entscheidungen der EZB kaum in

Einklang mit einer selbst weit interpretierten Orientierung am Referenzwertkonzept für

das Wachstum von M3 zu stehen scheinen. So wird der EZB von vielen Beobachtern

vorgeworfen, dass ihre Zinspolitik die permanente und teilweise erhebliche Über-

schreitung der M3-Wachstumsrate über den Referenzwert nicht so beachtet, wie es eine

Bindung an die eigene Strategie verlangen würde. Darüber hinaus bleibt für viele Beob-

achter die Rolle der Inflationsprognosen im Rahmen der zweiten Säule und in der

praktischen Umsetzung der Geldpolitik unklar.

3.2.1 Spezielle Probleme mit der ersten Säule der EZB-Strategie

In der folgenden Tabelle „Zinspolitik des EZB-Rats“ sind die vom EZB-Rat bisher

beschlossenen Änderungen des Hauptrefinanzierungssatzes seit Beginn der dritten Stufe

der Währungsunion aufgeführt (Zinsschritte nach dem 11. September 2001 sind aus

naheliegenden Gründen nicht berücksichtigt).

86 ALESINA et al. (2001a), GROS et al. (2001), SACHVERSTÄNDIGENRAT (1999, 2000), VON HAGEN

(1999), BORCHERT et al. (2001a), BUITER (1999), vgl. auch BALTENSPERGER (2000). Neben den im

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Zinspolitik des EZB-Rats87

Datum

Hauptre-finan-

zierungssatz

M3-Wachs-

tum HVPIZins-lücke

M3-Wachs-tums-lücke

Inflations-lücke

01.01.1999 3,00% 5,30% 0,80% -1,00 0,80 -0,70 09.04.1999 2,50% 5,40% 1,10% -1,50 0,90 -0,40 05.11.1999 3,00% 6,00% 1,50% -1,00 1,50 0,0004.02.2000 3,25% 6,00% 2,00% -0,75 1,50 0,5017.03.2000 3,50% 6,50% 2,10% -0,50 2,00 0,6028.04.2000 3,75% 6,50% 1,90% -0,25 2,00 0,4009.06.2000 4,25% 5,50% 2,40% 0,25 1,00 0,9001.09.2000 4,50% 5,40% 2,30% 0,50 0,90 0,8006.10.2000 4,75% 5,10% 2,70% 0,75 0,60 1,2011.05.2001 4,50% 5,40% 3,40% 0,50 0,90 1,9031.08.2001 4,25% 6,90% 2,70% 0,25 2,40 1,20

Quelle: EZB Monatsberichte und eigene Berechnungen.Anmerkungen: M3-Wachstum = Gleitender Dreimonatsdurchschnitt (ab Mai 2001 bereinigt um Geld-marktfondsanteile im Besitz von EWU-Ausländern), HVPI = Inflationsrate, Zinslücke = Hauptrefinanzie-rungssatz minus 4%, M3-Wachstumslücke = M3-Wachstum minus Referenzwert (4,5%), Inflationslücke= Inflationsrate minus 1,5%.

Deutlich wird, dass der EZB-Rat nun über einen langen Zeitraum teilweise erhebliche

Überschreitungen des M3-Wachstums über den Referenzwert (4,5%) hingenommen hat.

Auch wenn die Phase zwischen November 1999 bis Mai 2001 durch Zinserhöhungen

gekennzeichnet war, so hat der EZB-Rat doch immerhin bis Juni 2000 negative Zins-

lücken toleriert, obwohl es über den gesamten Zeitraum zu positiven und zeitweise

steigenden M3-Wachstums- und Inflationslücken kam.88

Folgenden dargestellten Problemen wurden darüber hinaus die zeitweise uneindeutige Haltung der EZB-Ratsmitglieder zu Fragen der Devisenkursentwicklung bemängelt.87 Die genannten Zins- und Inflationslücken unterstellen, dass das Inflationsziel der EZB 1,5% ist.Darüber hinaus ist der „natürliche“ reale kurzfristige Zins im Euroraum mit 2,5% angenommen, vgl.hierzu ALESINA et al. (2001a), VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), FAUST et al. (2001). Insofern würdeder langfristig gewünschte nominale kurzfristige Zins 4% entsprechen.88 Die meisten Beobachter konstatieren ebenfalls eine relative „expansive“ Geldpolitik in diesem Zeit-raum. Hierfür werden zurzeit vor allem drei Thesen angeboten. FAUST et al. (2001) schätzen eineTAYLOR-Regel der Form, wie sie von CLARIDA et al. (1998) für die DEUTSCHE BUNDESBANK getestetwurde. Das Kernergebnis lautet, dass die EZB stärker auf die Produktionslücke (also der prozentualenAbweichung der Produktion von ihrem Potenzialwert) reagiert als die DEUTSCHE BUNDESBANK dies tunwürde. ALESINA et al. (2001a) versuchen jedoch zu zeigen, dass die Reaktionsfunktion der EZB einerhybriden Regel entspricht, die mit gleich starkem Gewicht auf die Inflationslücke (allerdings gemessenals Abweichung der Kerninflationsrate vom Zielwert 1,5%) und auf die Abweichung der Infla-tionsprognose vom Zielwert (1,5%) reagiert. Für eine Erklärung der Zinssenkung im Mai 2001 müssensie jedoch annehmen, dass die EZB das relative Gewicht der Inflationsprognose (relativ zu Lasten deraktuellen Kerninflationsrate) erhöht hat, vgl. ALESINA et al. (2001b). VON HAGEN und BRÜCKNER (2001)sehen in der Entwicklung ab Mitte 1999 eine Politik, die sich an den Interessen bevorzugter Teilnehmer-länder (Deutschland und Frankreich) orientiert.

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Die EZB hat ihre Entscheidungen teilweise mit Sonderfaktoren in der Geldmengenent-

wicklung gerechtfertigt. Insbesondere die Zinssenkungen im Mai und August 2001 sind

durch den Hinweis auf das starke Wachstum der marktfähigen Instrumente im Besitz

von EWU-Ausländern mit der ersten Säule „versöhnt“ worden. Protagonisten einer

direkten Inflationssteuerung fühlen sich hierdurch jedoch in der Ansicht bestärkt, dass

die EZB sich entsprechend einer Strategie des „Inflation Forecast Targeting“ verhält,

ohne dies in ihrer Kommunikationspolitik hinreichend deutlich zu machen.89 Selbst

einige Befürworter der Geldmengenorientierung sehen eine Nichtbeachtung des Refe-

renzwertkonzepts in der aktuell praktizierten Form als begründet an, da „(...) Abwei-

chungen der M3-Entwicklung von dem in der jetzigen Form abgeleiteten Referenzwert

tatsächlich wenig aussagekräftig für die Entwicklung der Inflation waren.“90

Eine Geldpolitik, deren vorrangiges Ziel die Gewährleistung von Preisstabilität ist, kann

sich nur dann an der Geldmengenentwicklung orientieren, wenn die Geldmenge in

einem stabilen Zusammenhang mit der Preisentwicklung steht und die Geldmenge über

Vorlaufeigenschaften verfügt, also aus der Beobachtung der Geldmenge auf Gefahren

für die zukünftige Preisentwicklung geschlossen werden kann. Die Verwendung der

Geldmenge als Zwischenziel im Sinne eines Monetary Targeting würde außerdem vor-

aussetzen, dass die Geldmenge durch die Instrumente der Geldpolitik hinreichend kon-

trollierbar ist. Wir haben bereits oben erläutert, dass die Bewertung der empirischen

Evidenz hinsichtlich dieser Kriterien (Stabilität der Geldnachfrage, Vorlaufeigenschaft,

Kontrollierbarkeit) die EZB bewogen hat, zwar einen Referenzwert, jedoch keinen

Zwischenzielwert für das weit gefasste Aggregat M3 anzukündigen.91

Gleichwohl wird mit der öffentlichen Ankündigung eines Referenzwerts die Aufmerk-

samkeit der Öffentlichkeit auf die monetäre Entwicklung gerichtet und ein gewisser

Rechtfertigungsdruck der EZB im Falle starker und anhaltender Abweichungen des M3-

Wachstums vom Referenzpfad etabliert. Ein Vorteil, der Geldmengenentwicklung eine

bedeutende Rolle in der Kommunikation mit (und der Rechtfertigung gegenüber) der

Öffentlichkeit zuzuweisen, wird häufig darin gesehen, dass Geldmengenzahlen „objek-

tive“ (d.h. nicht von subjektiven Beurteilungen oder Schätzungen abhängige) Größen

seien, die im Gegensatz zu anderen Indikatoren oder Inflationsprognosen außerdem

89 Vgl. ALESINA et al. (2001a und 2001b).90 BORCHERT et al. (2001a), S. 18. Wie dargestellt, plädieren die Autoren des ECB OBSERVER dafür, diereale Geldlücke bei der Herleitung des Referenzwerts zu berücksichtigen.

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noch zeitnah in der ausreichenden Qualität zur Verfügung stünden. Sieht man einmal

vom Problem ab, die theoretisch adäquate Abgrenzung der Geldmenge unter besonderer

Berücksichtigung heterogener Finanzmarktstrukturen und asymmetrischer Konjunktur-

zyklen in den Teilnehmerländer der Währungsunion zu finden 92, so erweist sich vor

allem das Argument bezüglich der Datenqualität zurzeit als Bumerang für die Befür-

worter einer Geldmengenorientierung. Vertreter der EMU-MONITOR-Gruppe beklagen

eine „statistische“ Intransparenz und eine theoretisch nicht gerechtfertigte Vorgehens-

weise der EZB im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der M3-Wachstumswerte,

die nicht auf den „Rohdaten“, sondern auf Indexzahlen basiert.93 Darüber hinaus hat die

EZB Probleme mit der statistisch korrekten Erfassung der Geldmenge M3 im Zusam-

menhang mit dem Erwerb von marktfähigen Papieren (Geldmarktfondsanteile, Geld-

marktpapiere und Schuldverschreibungen mit einer Ursprungslaufzeit von bis zu 2

Jahren) durch EWU-Ausländer eingeräumt.94 Zwei Problemkreise sind also zu unter-

scheiden:

Erstens ist für die EZB nicht der auf den originären Daten („Rohdaten“) basierende

Wachstumswert von M3 (genauer dessen gleitender Dreimonatsdurchschnitt der

monatlichen Jahreswachstumsraten) entscheidend, sondern eine um Umgruppierungen

und Neubewertungen korrigierte Veränderungsrate von M3. Ziel dieser Modifikationen

ist es, lediglich die „transaktionsbedingten“ Veränderungen auszuweisen. Demgegen-

über würden Umgruppierungen möglicherweise allein durch Veränderung des Kreises

der berichtspflichtigen Monetären Finanzinstitute (MFI) Bestandsveränderungen von

M3 signalisieren. Bei Neubewertungen geht es darum, dass einzelne Komponenten von

M3, insbesondere in Fremdwährung denominierte Instrumente, Kursschwankungen

unterliegen, und damit Veränderungen von M3 auch dann anzeigen, wenn diese nicht

transaktionsbedingt sind. Es ist fraglich, ob dieses Vorgehen der EZB sachlich ange-

messen ist, da durch Neubewertungen z.B. die Gefahr besteht, dass im Falle von Euro-

Abwertungen (Aufwertungen) das tatsächliche Inflationspotenzial unterschätzt (über-

schätzt) wird. Kritisch wird jedenfalls gesehen, dass die EZB ihr Vorgehen bislang nicht

91 Vgl. Abschnitt 2.92 Vgl. hierzu und zu den daraus folgenden Interpretationsproblemen hinsichtlich des M3-WachstumsDEUTSCHE BUNDESBANK (2001).93 NEUMANN (2001), VON HAGEN (2000).94 EZB Monatsberichte Mai 2001, S. 9ff., und November (2001), S.12ff.

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ausreichend erläutert hat und es zu erheblichen Abweichungen (vgl. Abbildung 2) in

den entsprechenden Wachstumsraten gekommen ist.95

Abbildung 2: Der Einfluss von Wechselkursänderungen auf das M3-Wachstum

Quelle: Neumann (2001), S. 11.

Zweitens müsste die Geldmenge M3 theoretisch ausschließlich solche Einlagen und

marktfähigen Instrumente enthalten, die EWU-Nichtbanken bei den Monetären

Finanzinstituten des Euroraums unterhalten. Einlagen und kurzfristige Papiere im Besitz

von EWU-Ausländern sollten hier nicht einbezogen werden. Nach Angaben der EZB

erweist es sich jedoch in der Praxis als außerordentlich schwierig, die Haltung von

marktfähigen Instrumenten zu ermitteln. Seit Dezember 2001 veröffentlicht die EZB

Zeitreihen für M3, die vollständig um alle marktfähigen Instrumente im Besitz von EU-

Ausländern bereinigt sind. Diese Revision der Daten war nötig geworden, da sich

entgegen den ursprünglichen Erwartungen der EZB erhebliche Verzerrungen im

Wachstum von M3 niedergeschlagen haben. Die Wachstumsrate der bereinigten Geld-

menge M3 ist nach den neuen Zahlen zeitweise um mehr als 1,5 Prozentpunkte geringer

als das Wachstum der unbereinigten Geldmenge gewesen (vgl. Abbildung 3). Die Aus-

wirkungen auf die reale Geldlücke (in der Definition der EZB) sind nach Angaben der

95 VON HAGEN und BRÜCKNER (2001), S. 22. NEUMANN zeigt, dass die Neubewertungen infolge derEuro-Abwertungen zu einer geringeren Wachstumsrate der bereinigten Geldmenge M3 führten. Im Laufe

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EZB sogar noch umfangreicher.96 Die bisherigen Einlassungen der EZB erwecken

jedenfalls den Eindruck, dass infolge dieses Abgrenzungsproblems das ausgewiesene

Wachstum von M3 die tatsächliche monetäre Expansion in erheblichem und zeitweise

zunehmendem Maße überzeichnet hat.

Abbildung 3: Jahreswachstumsraten der Geldmenge M3

M3 nicht bereinigt um die von Ansässigen außerhalb des Euro-Währungsgebiets gehaltenenmarktfähigen InstrumenteM3 bereinigt um die von Ansässigen außerhalb des Euro-Währungsgebiets gehaltenen Geld-marktfondsanteileM3 bereinigt um alle von Ansässigen außerhalb des Euro-Währungsgebiets gehaltenen markt-fähigen InstrumenteReferenzwert

Quelle: EZB Monatsbericht November 2001, S. 15.

Insgesamt erscheint uns damit die Interpretation des M3-Wachstums als außerordentlich

schwierig. Hat die ausgewiesene Wachstumsrate von M3 in der Vergangenheit infolge

der Neubewertungen durch die EZB die tatsächliche monetäre Expansion unterschätzt

oder wegen der Berücksichtung marktfähiger Instrumente im Besitz der EWU-Auslän-

der überschätzt? Bleiben die von der EZB behaupteten Indikatoreigenschaften der

Geldmenge M3 von einer Revision der Datenreihe tatsächlich unberührt? Die EZB

scheint u.a. angesichts dieser Interpretationsprobleme den Weg zu verfolgen, andere

monetäre Indikatoren ins Blickfeld zu rücken.97 So wird in jüngeren Publikationen der

EZB zunehmend betont, dass die erste Säule eben nicht ausschließlich aus dem

Referenzwertkonzept, sondern auch aus der Analyse von anderen monetären Indi-

katoren besteht. So verständlich dieses Vorgehen sein mag, läuft die EZB dadurch

jedoch Gefahr, sich im Hinblick auf die erste Säule nicht nur den bekannten - allerdings

des Jahres 2000 hat die Differenz zur unbereinigten Wachstumsrate bis zu einem halben Prozentpunkt(vgl. Abbildung 2) betragen, vgl. NEUMANN (2001), S. 11.96 EZB Monatsbericht November (2001), S. 15.97 So auch SACHVERSTÄNDIGENRAT (2001), Ziffer 351.

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nicht von jedermann geteilten - Vorbehalten gegenüber einer Geldmengenorientierung

auszusetzen, sondern überhaupt einer intransparenten ersten Säule bezichtigt zu werden.

3.2.2 Spezielle Probleme mit der zweiten Säule der EZB-Strategie

Ein Kernproblem der zweiten Säule bestand (bzw. besteht) für viele Beobachter darin,

dass die EZB zwar eine Reihe von Indikatoren für die zukünftige Preisentwicklung

genannt hat, jedoch letztlich nicht sichtbar wird, in welcher Weise diese Indikatoren

innerhalb der Beurteilung der Risiken für Preisstabilität berücksichtigt werden. Es ist

klar, dass eine derart umfassende Auswertung der verfügbaren Daten, wie sie in der

Analyse der zweiten Säule zum Ausdruck kommt, nur schwer der Öffentlichkeit in

einfacher Form vermittelt werden kann, wenn sie tatsächlich auf der Berücksichtigung

von unterschiedlichen Inflationsmodellen und subjektiven Bewertungen beruht. Die

EZB sah sich u.a. deshalb häufig dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie die Preis- und

Wachstumsaussichten in zu allgemeiner Form publik mache und insbesondere die

zentralbankinternen Inflationsprognosen überhaupt nicht veröffentliche. Mittlerweile

publiziert, wie oben beschrieben, die EZB zweimal jährlich (bedingte) Inflationsprog-

nosen.98

Dennoch bleibt für viele Beobachter die Rolle der Projektionen unklar. So wird insbe-

sondere, jedoch nicht ausschließlich, von Vertretern des Inflation Targeting bemängelt,

dass die EZB die Bedeutung der Prognosen in ihren Publikationen herunterspielt.99 Die

scheinbar begrenzte Relevanz der Projektionen kommt außerdem in der wiederholten

Feststellung der EZB zum Ausdruck, dass es sich nicht um die Prognosen des EZB-

Rats, sondern um die der Expertengruppen des EUROSYSTEMs handelt. Auch die Tat-

sache, dass die EZB ihre Projektionen lediglich in halbjährlichen Abständen zur Verfü-

gung stellt, kann im Sinne einer geringen Bedeutung der Projektionen gedeutet werden.

98 Wir möchten an dieser Stelle nicht auf die gesamte Diskussion um das Für und Wider einer Veröffent-lichung von Inflationsprognosen eingehen, die die EZB bis Dezember 2000 begleitet hat. Diese Diskus-sion betraf nicht nur rein strategische Aspekte, sondern war eingebettet in eine generelle Auseinanderset-zung um die Rechenschaftspflicht bzw. demokratische Verantwortlichkeit der EZB. Vgl. hierzu dieKontroverse zwischen BUITER (1999) und ISSING (1999b). Unsere Ausführungen konzentrieren sich aufdie Rolle, die die Projektionen seit ihrer Einführung spielen. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass dieVeröffentlichung von Inflationsprognosen bislang die weitreichendste Modifikation der Zwei-Säulen-Strategie in ihrer offiziellen Darstellung ist.

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Hierfür spricht darüber hinaus die geringe Präzision der Prognosen und die im Ver-

gleich zur Praxis anderer Notenbanken relativ „oberflächlichen“ Erläuterungen zur

Unsicherheit der Prognosen.100

Ein umstrittener Punkt im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Inflationsprog-

nosen liegt darin, dass die EZB lediglich solche eigenen Prognosen veröffentlicht, die

auf der Annahme einer im Projektionszeitraum unveränderten Geldpolitik basieren.

Einige Protagonisten des Inflation Targeting fordern die EZB (und andere Noten-

banken) auf, ihre „besten“ Vorhersagen für die zukünftige Inflationsrate zu veröffent-

lichen.101 Ein Grund hierfür besteht darin, dass Prognosen auf der Basis unveränderter

Geldpolitik schlicht inkonsistent sind, wenn die aktuelle Lage offenkundig eine Verän-

derung der Geldpolitik nahe legen sollte.102 Der wesentliche Unterschied zwischen

diesen Prognoseformen besteht jedoch darin, dass die „besten“ Voraussagen normaler-

weise gerade nicht auf der Annahme einer unveränderten Geldpolitik basieren, sondern

quasi in Abhängigkeit des Verhaltens (d.h. insbesondere auf Basis alternativer Zins-

pfade) die zukünftige Inflationsrate prognostizieren. Die EZB, deren vorrangiges Ziel

die Gewährleistung von Preisstabilität in der mittleren Frist ist, müsste konsequenter-

weise gerade für diesen Zeitraum eine Inflationsrate prognostizieren, die mit Preisstabi-

lität im Sinne der Definition des EZB-Rats übereinstimmt. Damit bekäme allerdings die

99 SVENSSON (2001b), GALÍ (2001). Auch der SACHVERSTÄNDIGENRAT (2000) und (2001) fordert, dieProjektionen ins Zentrum der zweiten Säule zu stellen und sie nicht mit nachrangiger Relevanz zu behan-deln.100 So hat die EZB im Dezember 2000 für das Jahr 2001 eine Inflationsrate im Intervall von 1,8% bis2,8% vorhergesagt. Nach Angaben der EZB im Monatsbericht Dezember 2000, S. 55, entspricht dieseBandbreite von einem Prozentpunkt „(...) dem Doppelten des Durchschnitts der absoluten Werte derDifferenzen zwischen den tatsächlichen Entwicklungen und früheren makroökonomischen Projektionen(...)“. Dies bedeutet nach GALÍ tatsächlich die Zugrundelegung eines 57%igen Konfidenzintervalls (alsoeiner mehr als 40%igen Wahrscheinlichkeit, dass die tatsächliche Inflationsrate außerhalb dieserBandbreite liegen wird). Der üblicherweise angenommene 95%ige Vertrauensbereich würde eineerheblich größere Bandbreite für die Inflationsprognose implizieren. ALESINA et al. nennen einen Bereichvon 1,4% - 3,4%. GALÍ (2001), S. 31, ALESINA et al. (2001a), S. 45, vgl. auch VON HAGEN undBRÜCKNER (2001). Die EZB betont zwar immer wieder die Unsicherheit von Inflationsprognosen, um zubegründen, dass es für eine Zentralbank nicht sinnvoll sei, sich ausschließlich hieran zu orientieren.Gleichwohl legt sie sehr viel weniger Wert auf eine Darstellung dieser Prognoseunsicherheit als z.B. dieBANK OF ENGLAND oder die SVERIGES RIKSBANK.101 SVENSSON (2001b), ALESINA et al. (2001a). SVENSSON (2001b) hält seinen Vorschlag für zurzeit nichtdurchsetzbar und schlägt als Kompromiss die Veröffentlichung von Inflationsprognosen vor, die aufSchätzungen der privaten Markterwartungen hinsichtlich Zinsen und Wechselkursen basieren. Zur theo-retischen Verteidigung einer Veröffentlichung von bedingten Prognosen, die auf der Annahme einerkonstanten Geldpolitik basieren, vgl. BLINDER et al. (2001) und GOODHART (2001).102 Die Prognosen können auch allein schon inkonsistent sein, wenn ihnen Modelle zu Grunde liegen,deren Verhaltensgleichungen gerade auf der Annahme einer aktiven Geldpolitik basieren. Vgl. hierzu z.B.TARKKA und MAYES (2000) sowie, im Hinblick auf die EZB, SVENSSON (2001b).

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Inflationsprognose etwas Tautologisches.103 Der eigentliche Neuigkeitswert einer

solchen Veröffentlichung läge deshalb auch gar nicht in der Inflationsprognose, sondern

in der Veröffentlichung des wahrscheinlichsten Zinspfads, mit dem die EZB ihr vorran-

giges Ziel erreichen will. Mit anderen Worten, die EZB würde ihre eigenen (wahr-

scheinlichen) zukünftigen Zinsschritte voraussagen. Zu einer solchen Festlegung ist die

EZB zurzeit nicht bereit.104 Der Vergleich bedingter Inflationsprognosen in der derzei-

tigen Form mit dem Zielkorridor der EZB erlaubt es lediglich, auf die vermutliche

Richtung der Zinsschritte zu schließen.

Darüber hinaus bleiben unseres Erachtens die berücksichtigten Informationen bei der

Bildung der Prognosen undeutlich. Dies betrifft nicht nur das auch von anderen Noten-

banken bekannte „eklektische“ Verfahren, mit dem aus der Analyse einer Vielzahl von

Modellen, Einzelindikatoren und subjektiven Bewertungen Inflationsprognosen gebildet

werden.105 Es geht insbesondere um die Rolle, die monetäre Indikatoren im Zusammen-

hang mit den EZB-Inflationsprognosen spielen. Einige Ausführungen der EZB

erwecken den Eindruck, dass die Inflationsprognosen der zweiten Säule ausschließlich

auf solchen Modellen basieren, die der Geldmenge kaum eine Bedeutung beimessen.106

Nun weist die EZB jedoch immer wieder auf die Vorlaufeigenschaften der Geldmenge

(bzw. auf die Prognosequalitäten von auf M3 basierenden Indikatoren) hin. Daraus

könnte man schließen, dass die EZB ihre Prognosen der zweiten Säule auf eine Teil-

menge jener Informationen stützt, die sie selbst als relevant erachtet.107 Andere Ausfüh-

rungen der EZB betonen jedoch, dass sie ihre Informationsmenge nicht systematisch in

begrenzte Teilmengen entsprechend ihrer zwei Säulen zerlegt und darauf basierend

unterschiedliche „(...) assessments of future price developments (...)“ erstellt.108 Mit

diesen „Einschätzungen der zukünftigen Preisentwicklungen“ scheinen jedoch nicht die

veröffentlichen Inflationsprognosen der zweiten Säule gemeint zu sein (völlig zweifels-

frei ist dies jedoch nicht), sondern die „Inflationsprognosen“ des EZB-Rats.

103 Streng gesehen gilt dies nur, wenn man annimmt, dass auf mittlere Frist Preisstabilität das einzige Zielder EZB ist.104 Dies gilt allerdings wohl auch für die meisten Notenbanken, die ein Inflation Targeting verfolgen.Lediglich die RESERVE BANK OF NEW ZEALAND veröffentlicht ihr voraussichtliches zukünftiges Ver-halten.105 Vgl. hierzu ROBERTSON (2000).106 Vgl. z.B. ECB (2001), S. 48, EZB (2000), S. 44, ISSING (2000), S. 372, ISSING (2001), S. 17f.107 SVENSSON (2000b und 2001b).108 ISSING et al. (2001), S. 107.

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Es ist nun schwer vorstellbar, wie der EZB-Rat eine Beurteilung der zukünftigen

Preisentwicklung selbstverständlich auch auf Basis der ersten Säule vornehmen kann,

ohne dass dieselben Informationen Zugang zu den Inflationsprognosen der Mitarbeiter

des EUROSYSTEMs finden können. Das Argument der EZB, dass es bislang nicht

möglich sei, den Informationsgehalt der ersten Säule in konventionellen Prognosemo-

dellen zu berücksichtigen, verwechselt Prognose mit Modellprognose. Nach Darstellung

der EZB gehen in die Prognosen der zweiten Säule ja nicht nur modellgestützte

Prognosen, sondern auch subjektive Expertenurteile ein. Selbst wenn man also den

Informationsgehalt der beiden Säulen nicht modellmäßig verbinden könnte, so basiert

die Einschätzung des EZB-Rats über die zukünftige Preisentwicklung gleichwohl

gerade auf einer solchen, wenn auch möglicherweise nicht modellhaften, Ver-

knüpfung.109

Tatsächlich scheint es der EZB darum zu gehen, den Eindruck zu vermeiden, dass sie

ein „Inflation Forecast Targeting“ betreibt. Die Erläuterungen der EZB hierzu gehen

jedoch zu Lasten einer Verständlichkeit der Rolle, die die Projektionen im Rahmen der

Zwei-Säulen-Strategie einnehmen.

4 Schlussfolgerungen

Die Zwei-Säulen-Strategie belässt dem EZB-Rat diskretionäre Spielräume sowohl bei

der Operationalisierung der geldpolitischen Ziele als auch bei der Spezifizierung des

„Navigationssystems“. Die EZB hat sich mit der Veröffentlichung der Kernelemente

ihrer Strategie weder auf eine spezifische Zielregel bzw. Zwischenzielregel noch gar auf

eine Instrumentenregel festgelegt. Die Zwei-Säulen-Struktur vermeidet darüber hinaus

eine Verpflichtung der EZB auf eine Strategie der Geldmengensteuerung bzw. der

direkten Inflationssteuerung. Die Vorteile dieses Vorgehens liegen zum einen in der

Flexibilität, mit der die EZB auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren kann. Darüber

hinaus stellt die EZB-Strategie ein möglicherweise besonders konsensfähiges Konzept

dar, da sie unterschiedliche Traditionen der einzelnen nationalen Notenbanken des

109 Im Übrigen erstaunt dieses EZB-Argument angesichts der Tatsache, dass die EZB zunehmend mitihrem Konzept der realen Geldlücke einen P*-ähnlichen Indikator betont.

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EUROSYSTEMs verbindet.110 Die Nachteile offenbaren sich jedoch in einigen Wider-

sprüchlichkeiten und in der Komplexität der Strategie, die hohe Anforderungen an die

Kommunikation der EZB hinsichtlich der Klarheit und Verständlichkeit der Strategie

stellt.

Die Klarheit der EZB-Strategie könnte aus unserer Sicht verbessert werden, wenn die

EZB darauf verzichten würde, für das vorrangige Ziel der Geldpolitik lediglich einen

unpräzise definierten Zielkorridor zu benennen, aber gleichzeitig in anderen Zusam-

menhängen implizit (teilweise widersprüchliche) Punktziele zu verwenden. Falls die

EZB eine mögliche Diskussion um die optimale Höhe der Inflationsrate im Falle einer

Festlegung auf ein Punktziel fürchtet und bei einem Korridor verbleiben will, so müsste

schon aus Konsistenzgründen das Referenzwertkonzept für M3 in ein Korridorkonzept

überführt werden. Dies aber würde den Eindruck verstärken, dass die erste Säule doch

einer Konzeption der Geldmengensteuerung entspricht.

Die EZB sendet bislang widersprüchliche Signale aus zu der Frage, ob die Stabili-

sierung der gesamtwirtschaftlichen Produktion ein - wenn auch nachgelagertes - Ziel

ihrer Geldpolitik ist. Aus unserer Sicht sollte die EZB ihre Zielfunktion stärker

verdeutlichen. Dies könnte so geschehen, dass sie in Zukunft zusätzlich zu den gesamt-

wirschaftlichen Projektionen ihre Schätzungen über die Kombinationen von Inflations-

und Outputvariabilitäten veröffentlicht, die sie beim herrschenden Stand der geldpoli-

tischen Kontrolltechnik für erreichbar hält. Ein solches Vorgehen würde der Öffent-

lichkeit verdeutlichen, welche Vorstellung die EZB über Verlauf und Lage der TAYLOR-

Kurve im Euroraum besitzt. Durch Veröffentlichung einer Zielzone für die gewünschte

Kombination aus Inflations- und Outputstabilität könnte sie ihre Präferenzen

verdeutlichen.111 Abgesehen von methodischen Schwierigkeiten und Datenproblemen

besteht sicherlich das Hauptproblem eines solchen Vorgehens für die EZB darin, dass es

möglicherweise bestehende Präferenzunterschiede innerhalb und außerhalb der EZB

verdeutlichen und die Konsensfähigkeit belasten würde. Ein solcher Vorschlag gründet

110

SCHNEIDER und HARFF (2001), S. 6.111 Zu einem solchen Vorschlag für die BANK OF CANADA vgl. PARKIN (2000), S. 251. Mit TAYLOR-Kurve bezeichnet man die grafische Darstellung aller Kombinationen von Inflations- und Outputvariabi-litäten, die bei einer optimalen Geldpolitik möglich sind. Für TAYLOR selbst beschreibt diese Kurve denrelevanten dauerhaften trade-off in der Geldpolitik, vgl. TAYLOR (1993). Der Zusammenhang zwischender Variabilität von Inflation und Output ergibt sich indirekt durch parametrische Variation des Gewichts,das eine Zentralbank dem Ziel Outputstabilität (um das Produktionspotenzial) im Vergleich zum Ziel

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daher auf einer hohen Bewertung der Vorteile von Transparenz und Rechenschafts-

pflicht.

Angesichts der Vielzahl von kritischen Kommentaren zur Zwei-Säulen-Strategie und

den zahlreichen Nachbesserungsvorschlägen in der einschlägigen Literatur stellt sich

jedoch die Frage, ob die EZB eine grundsätzliche Änderung in der Strategie vornehmen

sollte. So lässt die vage Beschreibung von Politikhorizont und geldpolitischen Zielvor-

stellungen in Verbindung mit der Interpretation der Zwei-Säulen-Strategie als reine

Analyseregel die Frage unbeantwortet, woran sich die EZB unter „normalen“

Umständen orientiert. Durch die Ankündigung eines Referenzwerts für M3 betont die

EZB die Rolle des nominalen Geldmengenwachstums als Einzelindikator. Angesichts

der empirischen Evidenz dafür, dass das rein nominale Geldmengenwachstum relativ

gute Prognoseeigenschaften erst für Zeiträume von weit mehr als zwei Jahren aufweist,

könnte geschlossen werden, dass die EZB eine eher „längerfristige“ Interpretation der

„mittleren“ Frist zu Grunde legt. Jedoch kann man gerade aus der Tatsache, dass die

EZB nicht bereit ist, die „mittlere Frist“ deutlich in diesem Sinne zu definieren, und

darüber hinaus Inflationsprognosen bis zu einem Zeitraum von zwei Jahren veröf-

fentlicht, ableiten, dass unter „normalen“ Umständen gerade die Indikatoren und Prog-

nosen der zweiten Säule Eingang in die geldpolitischen Entscheidungen finden. Hinzu

kommt, dass die EZB erhebliche Revisionen und Verzerrungen ihrer Zahlenreihe für

das Wachstum von M3 zugestehen musste. Wie oben dargestellt, vermitteln die Ausfüh-

rungen der EZB zur Rolle der Projektionen jedoch ein ähnlich unklares Bild, wie die zur

Rolle des Referenzwerts für das Wachstum von M3. Auch die Kommunikation der EZB

im Zusammenhang mit der Erläuterung ihrer Zinsschritte kann als wenig kohärent mit

der EZB-Strategie angesehen werden. Letztlich besteht so die Gefahr, dass die Kommu-

nikationspolitik der EZB nicht zu verdeutlichen vermag, auf Grund welcher Kriterien

die relativen Gewichte der beiden Säulen bestimmt werden.

Es ist fraglich, ob die großen Ermessensspielräume und die damit verbundenen hohen

Anforderungen an die Kommunikationspolitik für den EZB-Rat auf Dauer tragfähig

sind, da häufig die Vermutung aufkommen wird, dass die EZB sich, aus welchen

Gründen auch immer, der Rechenschaftspflicht entziehen will. Zurzeit scheint die

Inflationsstabilität zuweist. Dieser Zusammenhang beschreibt im Übrigen nicht zwangsläufig einen trade-off.

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effektivste „Bestandsgarantie“ für die Zwei-Säulen-Strategie jedoch gerade die

Uneinigkeit der Kritiker über die „richtige“ Strategie zu sein.

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