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Bregenzer Festspiele 2010 Das Gesamtprogramm im Detail Regisseur Graham Vick und Bühnenbildner Paul Brown haben Verdis monumentale Wüstenoper Aida am Bodensee im Sommer 2009 kurzerhand ins Wasser versetzt und mit ihrer eigenwilligen Interpretation Besucher und Kritiker begeistert. Aida ist auch im Sommer 2010 wieder als Spiel auf dem See zu sehen. Das weitere Programm des Festivals steht ganz in Zeichen der Thematik „In der Fremde“. Im Mittelpunkt steht eine Werkretro- spektive des vergessenen polnischen Komponisten Mieczysł aw Weinberg (1919-1996), in deren Rahmen vom 31. Juli bis 2. August auch ein Weinberg-Symposium stattfinden wird. Die unglückliche Liebesgeschichte zwischen der äthiopischen Prinzessin Aida – einst als Sklavin an den Nil verschleppt – und dem ägyptischen Feldherrn Radames, war im Sommer 2009 in Bregenz in einer ganz neuen Interpretation zu sehen. Das Regieteam nutzte den Bodensee für Giuseppe Verdis monumentale Oper nicht nur als grandiose Kulisse, sondern als integralen Bestandteil der Inszenierung: So entstanden zahlreiche Auftritts- orte für Sänger und Darsteller, die nicht nur am, sondern auch im Wasser liegen. Die aus Teilen einer zerborstenen Statue bestehende Bühne wird allabendlich mittels zweier riesiger Kräne vor den Augen des Publikums zusammengesetzt. Zu sehen ist Aida auch im Sommer 2010, Premiere des Spiels auf dem See ist am 22. Juli 2010. Als Oper im Festspielhaus ist 2010 Mieczysław Weinbergs Die Passagierin zu sehen. Das Werk basiert auf dem gleichnamigen Roman der polnischen Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz. 1968 vollendet, wurde die Oper rund um die schicksalhafte Begegnung der ehemaligen SS-Aufseherin Lisa mit der KZ-Gefangenen Martha erst 2006 in konzertanter Form in Moskau uraufgeführt. Die Passagierin gilt als Werk von außergewöhnlicher Originalität und gigantischen Ausmaßen. Premiere ist am 21. Juli 2010. Was ist Kunst – und darf man Geld mit ihr verdienen? Mit Das Portrait, seiner satirischen Oper nach Nikolai Gogol rund um einen Künstler in Existenz- und Ge- wissensnöten, wandte sich Mieczysław Weinberg nach der Ablehnung der Passagierin durch die sowjetischen Behörden einem politisch harmloseren Thema zu. Er schuf ein thematisch zeitloses Werk und stellte gleichzeitig sein komisches Talent unter Beweis. Premiere im Theater am Kornmarkt ist am 31. Juli 2010. -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Bregenzer Festspiele 2010 Seite 1 von 23

Bregenzer Festspiele 1999 - cdn1.vol.atcdn1.vol.at/2009/11/Bregenzer_Festspiele_20101.pdf · Zwetajewa, Anna Achmatowa und Joseph Brodsky. Die Schauspielreihe bringt im Sommer 2010

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Bregenzer Festspiele 2010

Das Gesamtprogramm im Detail

Regisseur Graham Vick und Bühnenbildner Paul Brown haben Verdis monumentale

Wüstenoper Aida am Bodensee im Sommer 2009 kurzerhand ins Wasser versetzt und mit

ihrer eigenwilligen Interpretation Besucher und Kritiker begeistert. Aida ist auch im Sommer

2010 wieder als Spiel auf dem See zu sehen. Das weitere Programm des Festivals steht

ganz in Zeichen der Thematik „In der Fremde“. Im Mittelpunkt steht eine Werkretro-

spektive des vergessenen polnischen Komponisten Mieczysław Weinberg (1919-1996), in

deren Rahmen vom 31. Juli bis 2. August auch ein Weinberg-Symposium stattfinden wird.

Die unglückliche Liebesgeschichte zwischen der äthiopischen Prinzessin Aida – einst als

Sklavin an den Nil verschleppt – und dem ägyptischen Feldherrn Radames, war im Sommer

2009 in Bregenz in einer ganz neuen Interpretation zu sehen. Das Regieteam nutzte den

Bodensee für Giuseppe Verdis monumentale Oper nicht nur als grandiose Kulisse,

sondern als integralen Bestandteil der Inszenierung: So entstanden zahlreiche Auftritts-

orte für Sänger und Darsteller, die nicht nur am, sondern auch im Wasser liegen. Die aus

Teilen einer zerborstenen Statue bestehende Bühne wird allabendlich mittels zweier

riesiger Kräne vor den Augen des Publikums zusammengesetzt. Zu sehen ist Aida auch im

Sommer 2010, Premiere des Spiels auf dem See ist am 22. Juli 2010.

Als Oper im Festspielhaus ist 2010 Mieczysław Weinbergs Die Passagierin zu sehen.

Das Werk basiert auf dem gleichnamigen Roman der polnischen Auschwitz-Überlebenden

Zofia Posmysz. 1968 vollendet, wurde die Oper rund um die schicksalhafte Begegnung der

ehemaligen SS-Aufseherin Lisa mit der KZ-Gefangenen Martha erst 2006 in konzertanter

Form in Moskau uraufgeführt. Die Passagierin gilt als Werk von außergewöhnlicher

Originalität und gigantischen Ausmaßen. Premiere ist am 21. Juli 2010.

Was ist Kunst – und darf man Geld mit ihr verdienen? Mit Das Portrait, seiner

satirischen Oper nach Nikolai Gogol rund um einen Künstler in Existenz- und Ge-

wissensnöten, wandte sich Mieczysław Weinberg nach der Ablehnung der Passagierin

durch die sowjetischen Behörden einem politisch harmloseren Thema zu. Er schuf ein

thematisch zeitloses Werk und stellte gleichzeitig sein komisches Talent unter Beweis.

Premiere im Theater am Kornmarkt ist am 31. Juli 2010.

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In seinen tief bewegenden Orchesterwerken hat Mieczysław Weinberg ein Dasein in

Emigration und Verfolgung nicht nur verarbeitet: Allen Widrigkeiten zum Trotz ist es ihm

gelungen, Zeit seines Lebens Gelassenheit und Friedfertigkeit zu bewahren. Die

Orchesterkonzerte der Wiener Symphoniker, des Symphonieorchesters Vorarl-

berg und des Kammerorchesters MusicAeterna aus Nowosibirsk präsentieren seine

eindrucksvollsten Werke. Am Pult der Wiener Symphoniker steht sowohl am 25. Juli als

auch am 1. August der dem Festspielpublikum bestens bekannte russische Dirigent Vladi-

mir Fedoseyev. Im Rahmen von Musik & Poesie ist im Seestudio Weinbergs intimere

Kammermusik zu erleben, gepaart mit Gedichten von Ossip Mandelstam, Marina

Zwetajewa, Anna Achmatowa und Joseph Brodsky.

Die Schauspielreihe bringt im Sommer 2010 das Wiedersehen mit alten Bekannten:

Das Deutsche Theater Berlin ist zurück in Bregenz! Die „Berliner“ haben den

Festspielbesuchern in den 1990er Jahren zahlreiche unvergessliche Theaterabende

beschert, im neuen Jahrtausend war es neben der Wiener Josefstadt dann das

Hamburger Thalia Theater. Nun kehrt das Deutsche Theater unter seinem neuen

Intendanten Ulrich Khuon, ehemals künstlerischer Leiter des Thalia Theaters, an den

Bodensee zurück. Zu sehen ist ein Klassiker, Joseph Conrads Herz der Finsternis,

und ein neues Stück Gegenwartstheater, Lukas Bärfuss’ Öl.

Im Rahmen von Kunst aus der Zeit wird das Festspielmotto „In der Fremde“ aus etwas

anderen Blickwinkeln beleuchtet: Dies geschieht im kommenden Sommer mit der

Uraufführung der Oper Jacob’s Room des amerikanischen Elektronik-Pioniers Morton

Subotnick und mit Out of Context des bekannten belgischen Choreographen Alain

Platel, der mit seiner Ballettkompanie C de la B in Bregenz gastiert.

Die Jugendreihe crossculture bietet jungen Menschen die Chance, in und außerhalb

der Festspielzeit ihre Kreativität zu entfalten und herauszufinden, was ihnen Spaß macht

und wo ihre Talente liegen. Neben Klassikern wie der crossculture night und dem Fest

des Kindes finden 2010 auch Neuauflagen der crossculture week und der akademie der

bregenzer festspiele statt. Bei den Familienkonzerten rocky roccoco und Saiten! stehen

rockiger Barock sowie die unglaubliche Verwandlung von Pfeil und Bogen zum Streich-

instrument auf dem Programm.

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Spiel auf dem See

Eigenwillige Wüstenoper begeistert im und am Bodensee

Aida von Giuseppe Verdi

Regisseur Graham Vick und Bühnenbildner Paul Brown haben Verdis monumentale

Wüstenoper Aida am Bodensee im Sommer 2009 kurzerhand ins Wasser versetzt und

mit ihrer eigenwilligen Interpretation Besucher und Kritiker begeistert. Aida ist auch im

Sommer 2010 wieder am Bodensee zu sehen, Premiere ist am 22. Juli 2010.

Sänger im Wasser

Vick und Brown war es ein großes Anliegen, den Bodensee für Aida nicht nur als

grandiose Kulisse, sondern als integralen Bestandteil der Inszenierung zu nutzen:

Schließlich liegt und lebt Ägypten seit Jahrtausenden am Nil. Sie erschufen Schiffe und

Plattformen, Bühnenteile, die sich aus dem Wasser erheben, Auftrittsorte für Sänger,

Choristen und Statisten, die nicht nur am, sondern stellenweise auch im Wasser liegen.

Die aus Teilen einer zerborstenen Statue bestehende Bühne am Bodensee wird mittels

zweier riesiger Kräne allabendlich vor den Augen des Publikums zusammengesetzt – was

im Sommer 2009 nicht nur knapp 200.000 Besucher, sondern auch die Kritiker

begeisterte: „Man fragt nicht, man staunt, und wird von der Wucht der live und gigan-

toman sich zusammensetzenden Opernbilder bezaubert und überwältigt“, hieß es etwa in

der Zeitung „Die Welt“.

Eine Oper der Superlative

Die unglückliche Liebesgeschichte zwischen der äthiopischen Prinzessin Aida – einst als

Sklavin an den Nil verschleppt – und dem ägyptischen Feldherrn Radames begeisterte

schon bei der Premiere 1871 in Kairo das Publikum. Seitdem ist sie zu einem der

beliebtesten und meistgespielten Werke der Opernliteratur avanciert.

Verdi hatte Aida von Anfang an als eine Oper der Superlative konzipiert, die alle Elemente

der Gattung perfekt in sich vereint: Prunkvolle Chorszenen und mitreißende Marschrhyth-

men, lyrische Naturschilderungen, prächtige Arien und romantische Duette stehen harmo-

nisch nebeneinander, in ihrer Wirkung noch vertieft durch das exotische Kolorit der Musik.

Der bekannte Triumphmarsch mit seinen schmetternden Fanfaren und prächtigen Chören

markiert musikalisch wie szenisch einen der Höhepunkte der „Großen Italienischen Oper“.

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Liebe bis in den Tod

Lebendig eingemauert als Strafe für ihre Liebe und seinen Verrat – so enden die schöne

Aida und der stolze Radames. Ein Tod, wie er erbarmungsloser nicht sein könnte, und

doch ein Ende erfüllt von Klängen, die das grausame Schicksal, das die beiden erwartet,

nicht ahnen lassen. Denn genau in diesem Moment erhebt sich der Schlussgesang „O

terra addio, addio valle di pianti“ – „Leb wohl, o Erde, o du Tal der Tränen“ – so zart, so

rein, so lichterfüllt und strahlend, als könne nichts und niemand dieser Liebe etwas

anhaben. Der gemeinsame Tod trägt Aida und Radames hinfort, ein letztes Mal vereint in

ewiger Umarmung.

Große Leidenschaften, tragische Konflikte

Giuseppe Verdi sei einfach ein idealer Komponist für die Bregenzer Seebühne, sagt

Intendant David Pountney: „Es kommt natürlich nicht von ungefähr, dass ich mich

entschlossen habe, mit Aida wieder eine Oper von Giuseppe Verdi auf die Seebühne zu

bringen. Denn sie ist einfach ein grandioser Ort für all das, was dieser Komponist am

besten beherrschte: große Leidenschaften und tragische Konflikte in mitreißende Musik

zu verwandeln. Aber Aida ist auch eine sehr moderne Parabel über Nationalismus,

Kriegslust und Feindeshass und ein Stück, das zeigt, dass es in einem Krieg nur Verlierer

geben kann.“

Ein Italiener, drei Briten – und ein erfahrener Seebühnen-Profi

Die musikalische Leitung von Aida liegt beim italienischen Dirigenten Carlo Rizzi, es

inszeniert der bekannte britische Regisseur Graham Vick, die Ausstattung stammt von

seinem Landsmann Paul Brown. Für die Choreographie zeichnet Ron Howell

verantwortlich und für das Licht der bereits mehrfach „seebühnenerprobte“ Wolfgang

Göbbel.

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Festspielschwerpunkt „In der Fremde“

Ein Leben Zwischen Licht und Nacht

Werkretrospektive Mieczysław Weinberg

Unter dem Titel „In der Fremde“ steht der Sommer 2010 ganz im Zeichen des

vergessenen polnisch-russischen Komponisten Mieczysław Weinberg. Die Bregenzer

Festspiele widmen ihm aber nicht nur einen eigenen Schwerpunkt: In einem Symposium

vom 31. Juli bis 2. August beleuchten Künstler und Musikwissenschaftler die

Hintergründe von Weinbergs Leben und Werk.

Mieczysław Weinberg (1919-1996) gilt als der eigenständigste und bedeutendste aller

Schostakowitsch-Nachfolger. 1919 als Sohn jüdischer Eltern in Warschau geboren,

studierte Weinberg zunächst in seiner Heimatstadt Klavier. Direkt nach seiner

Abschlussprüfung 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus. Weinberg gelang es zwar Polen

1941 rechtzeitig vor dem Anrücken der deutschen Armee in Richtung Sowjetunion zu

verlassen, die Nazis töteten aber seine Eltern und seine Schwester. Bis 1941 setzte er

seine Studien zunächst am Konservatorium von Minsk fort. 1943 ging Weinberg nach

Moskau, wo er sein ganzes Leben als freischaffender Komponist und Pianist tätig war

und zu einem sehr engen Freund des Komponisten Dmitri Schostakowitsch wurde.

Doch die Sicherheit in der Sowjetunion währte nur kurz: Dem Zugriff der Häscher des

einen größenwahnsinnigen Diktators entkommen, fiel Weinberg bald schon in die Hände

des nächsten. Denn ab dem Jahre 1948 bedeutete das Leben unter Stalins Regime für

den Juden Weinberg eine neue Gefahr derselben Art. Im Februar 1953 wurde er im Zuge

von Stalins antisemitischen Pogromen festgenommen – unter dem absurden Vorwurf, an

einem Komplott zur Gründung einer jüdischen Republik auf der Krim beteiligt zu sein.

Zwar setzte sich Schostakowitsch für Weinbergs Freilassung ein, doch erst Stalins Tod

im März 1953 öffnete die Gefängnistore für ihn und viele andere.

Weinberg stand seiner Zeit in Haft recht gleichmütig gegenüber: „Sie haben

Komponisten immer ziemlich gut behandelt. Ich kann nicht behaupten, wirklich verfolgt

worden zu sein.“ Natürlich haben all diese Ereignisse – die Schrecken des Zweiten

Weltkriegs, des Holocausts und der Gulags – sein Schaffen entscheidend beeinflusst.

Weinberg verschloss jedoch weder die Augen vor dem, was geschehen war, noch beugte

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er sich dem sowjetischen Diktat, nur noch Musik für glückliche Fabrikarbeiter zu

schreiben: „Viele meiner Werke befassen sich mit dem Thema des Krieges. Dies war

leider nicht meine eigene Wahl. Es wurde mir von meinem eigenen Schicksal diktiert und

vom tragischen Schicksal meiner Familie. Ich sehe es als meine moralische Pflicht, vom

Krieg zu schreiben, von den Gräueln, die der Menschheit in unserem Jahrhundert

widerfuhren.“

Vom Requiem bis zur Zirkusmusik

Weinberg behandelte diese Themen mit derselben Gelassenheit wie seine Haft. Er

scheint sich an die schrecklichsten Dinge mit großer Emotionalität und dennoch voller

Ruhe zu erinnern. Seine Musik ist voller Leidenschaft und Deutlichkeit, aber auch voller

Schönheit und Frieden. So, als sei er stets in der Lage gewesen, auch in dunkelster

Nacht den Lichtschein am Horizont wahrzunehmen. Humor und Tragik nehmen in

Weinbergs Schaffen einen gleichermaßen wichtigen Platz ein. Seine Arbeit umfasst

neben einer Vielzahl von Orchesterkompositionen und Kammermusik vor allem Ballette

und Opern. Er verfasste aber auch Werke für Kino und Theater sowie Hörspiele. Die

Spannweite seiner Kompositionen reicht vom Requiem bis zur Zirkusmusik, Lyrik und

Dramatik ergänzen sich zu einem Gesamtwerk von seltener menschlicher Tiefe.

Kein „kleiner Schostakowitsch“

Warum also gerät ein solcher Komponist in Vergessenheit? Einer der Gründe dafür mag

gewesen sein, dass viele von Weinbergs Werken an Schostakowitsch erinnern. Eine

Tatsache, die selbst Weinberg nie bestritten hat. Ganz im Gegenteil: Er lobte die Arbeit

seines Freundes stets über alle Maßen. Die beiden spielten sich gegenseitig ihre

neuesten Werke vor und zitierten sich auch sehr gerne gegenseitig. Wie

Schostakowitsch komponierte auch Weinberg offene, expansive, tonale Musik voller

großer Gesten und langer Melodiebögen. Doch obwohl man ihn bisweilen den „kleinen

Schostakowitsch“ nannte, war es nicht selten Weinberg, der seinen Freund beeinflusste

– und nicht umgekehrt: So lassen sich etwa viele Elemente jüdischer Musik in

Schostakowitschs Werk auf Weinberg zurückführen.

Fundamentaler Optimismus

Aber es gibt auch klare Unterschiede zwischen Weinberg und Schostakowitsch: Wein-

bergs Musik ist voller Ironie und auch Humor, er gestaltete seine musikalischen Angriffe

weitaus zurückhaltender als Schostakowitsch. Alles Aufwühlende und Trostlose mündet -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Bregenzer Festspiele 2010 Seite 6 von 23

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bei Weinberg in einen fundamentalen Optimismus. Die häufigen Diminuendos am Ende

seiner Werken bedeuten nicht etwa Resignation und Tod, sondern Frieden. Auch war

Weinberg romantischer veranlagt als Schostakowitsch, was seine musikalische Sprache

blumiger machte. Und gerade seine späteren Werke, darunter einige Kammersym-

phonien, verströmen lyrische Schönheit und nachdenkliche Beschaulichkeit.

Oper im Festspielhaus

Vergehen der Vergangenheit

Mieczysław Weinbergs Die Passagierin im Festspielhaus

Zwei junge Frauen, beide unterwegs in ein neues, anderes Leben, werden auf einem

Schiff von ihrer gemeinsamen Geschichte eingeholt: Mieczysław Weinbergs Die

Passagierin, basierend auf dem gleichnamigen Roman der polnischen Auschwitz-

Überlebenden Zofia Posmysz, ist im Sommer 2010 als Oper im Festspielhaus zu sehen.

1968 vollendet, wurde das Werk des polnisch-russischen Komponisten erst 2006 in

konzertanter Form in Moskau uraufgeführt. Premiere von Die Passagierin ist am 21. Juli

2010.

Die Passagierin spielt in den frühen 60er Jahren auf einem Ozeanliner, der in Richtung

Brasilien unterwegs ist. An Bord befindet sich auch ein deutscher Diplomat, der in

Begleitung seiner jungen Ehefrau Lisa nach Südamerika reist, um dort einen neuen

Posten anzutreten. Zu ihrem großen Schrecken erkennt Lisa unter den anderen

Passagieren eine Frau, die sie eigentlich für tot hält. Angesichts dieser schockierenden

Begegnung offenbart sie ihrem Ehemann, dass sie einst SS-Aufseherin in Auschwitz war.

Von nun an wechselt der Schauplatz der Oper zwischen dem Schiff und dem Konzentra-

tionslager Auschwitz hin und her: Während Lisa versucht, die Erinnerung an ihre zwiespältige

Beziehung zu der Lagergefangenen Martha zu bewältigen, kämpft ihr Mann mit der Enthül-

lung einer Vergangenheit, die ihm seine Frau in einem völlig neuen Licht zeigt.

Erschütternd, prägnant, dramatisch

Die Passagierin gilt als Werk von außergewöhnlicher Originalität und gigantischen

Ausmaßen. Schostakowitsch selbst nannte Weinbergs Oper ein Meisterwerk und

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versuchte, all seinen Einfluss geltend zu machen, um sie auf die Bühne zu bringen: „Ich

werde nicht müde, mich für diese Oper zu begeistern. Die Musik erschüttert mit ihrer

Dramatik. Sie ist prägnant und bildhaft, es gibt in ihr keine einzige ‚leere’, gleichgültige

Note.“ Doch auch dieses flammende Plädoyer half nichts: Obwohl vier sowjetische

Opernhäuser damals großes Interesse an einer Aufführung bekundeten, legten die

kulturellen Autoritäten jedes Mal ihr Veto ein.

Neben Intendant David Pountney haben auch die anderen Mitglieder des Regieteams für

Die Passagierin ihr Können auch schon in Bregenz unter Beweis gestellt: Gemeinsam mit

Bühnenbildner Johan Engels und Marie-Jeanne Lecca, die für die Kostüme verantwortlich

zeichnet, hat Pountney im Sommer 2005 bereits Carl Nielsens farbenfrohe Oper Maskerade

inszeniert, Am Pult der Wiener Symphoniker steht Teodor Currentzis.

David Pountney über Die Passagierin

Man kann die Realität eines Konzentrationslagers nie und nimmer auf die Bühne bringen,

am allerwenigsten in einer Oper. Es war uns von Anbeginn an klar, dass wir in Die

Passagierin nur eine Abstraktion der historischen Realität zeigen können.

Zofia Posmyszs Buch ist eine sehr eingehende Untersuchung der Beziehung zwischen der

KZ-Gefangenen Martha und der SS-Aufseherin Lisa. Eine Beziehung, die sich unter

außergewöhnlichen Umständen in einer von der Außenwelt hermetisch abgeriegelten

Umgebung entwickelt. Das Faszinierende ist nicht nur, dass die Geschichte auf realen

Personen basiert, sondern vor allem, dass es Posmysz gelingt, aus der SS-Aufseherin

weder ein Monster noch eine Karikatur zu machen: Sie zeigt Lisa als ganz normale junge

Frau und stellt weniger die Frage, wer nun die Guten und wer die Bösen waren, sondern

geht vielmehr den äußeren Umständen nach, die dazu führen konnten, dass jemand wie

Lisa „auf der Seite des Bösen“ endet. Lisa und ihr Ehemann Walter sind plötzlich ge-

zwungen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Und damit, wie viel von dem,

was geschehen ist, sie wirklich auf ebendiese „Umstände“ schieben können.

David Pountney

Regie Die Passagierin

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Überleben und Erinnern: Zofia Posmysz

Zofia Posmysz (geb. 1923), die Autorin des 1962 erschienenen Romans Die Passagierin,

wurde 1942 mit gerade einmal 18 Jahren von der Gestapo verhaftet, weil sie in Krakau

Flugblätter gegen die deutsche Besatzung verteilt hatte. Sie kam zunächst in das

berüchtigte Gefängnis in der Montelupich-Straße in Krakau. Nach sechs Wochen unter

grausamen Haftbedingungen wurde Posmysz dann in das Frauenkonzentrationslager von

Auschwitz deportiert, wo sie im Landwirtschaftskommando arbeiten musste.

„Im Mai 1942 kam ich nach Auschwitz. Obwohl ich von diesem Ort gehört hatte, konnte

ich mir damals nicht vorstellen, dass es noch schlimmer werden würde als die Tage bei

der Gestapo“, erzählt die heute 86jährige. Nachdem Zofia Posmysz zweieinhalb Jahre im

Stammlager Auschwitz-Birkenau überstanden hatte, wurde sie im November 1944 in

einem dreitägigen Fußmarsch nach Ravensbrück evakuiert, wo sie am 2. Mai 1945 von

den Amerikanern befreit wurde. Da Zofia Posmysz nach dem Krieg keine Arbeit in Krakau

finden konnte, zog sie nach Warschau, wo sie 1946 das Abitur bestand.

Nach einem Studium der Polonistik begann sie, in der Literarischen Abteilung des Polni-

schen Rundfunks zu arbeiten, wo sie zahlreiche Reportagen und Hörspiele realisierte, die

später zum Ausgangspunkt von erweiterten Stücken wurden. Ihre traumatischen

Jugenderlebnisse habe sie durch das Schreiben verarbeitet, wie sie selbst sagt. Die

Lager-Thematik kam erstmals in ihrem Hörspiel Die Passagierin zur Sprache, aus dem

später, nach vielen Umgestaltungen, das gleichnamige Buch entstand, welches 1963

auch verfilmt wurde.

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Satirische Oper am Kornmarkt

Die Kunst verraten, das Leben verkauft

Mieczysław Weinbergs Das Portrait im Theater am Kornmarkt

Was ist Kunst - und darf man Geld mit ihr verdienen? Mit Das Portrait, seiner satirischen

Oper nach Nikolai Gogol rund um einen Künstler in Existenz- und Gewissensnöten,

wandte sich Mieczysław Weinberg nach der Ablehnung der Passagierin durch die

sowjetischen Behörden einem politisch harmloseren Thema zu. Er schuf ein thematisch

zeitloses Werk und stellte gleichzeitig sein komisches Talent unter Beweis. Premiere im

Theater am Kornmarkt ist am 31. Juli 2010.

Das Portrait, Weinbergs satirische Oper nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von

Nikolai Gogol, zeichnet das treffende Bild einer korrupten Kunstgesellschaft. Der

talentierte, aber erfolglose Maler Chartkov wird mithilfe eines verfluchten Portraits, das

in seine Hände gerät, zum gefeierten Societykünstler. Die Reichen und Berühmten der

Stadt liegen ihm zu Füßen, Chartkovs Einnahmen fließen, er ist auf jeder Party und in

aller Munde. Als der Maler jedoch erkennt, dass er damit die eigentliche Kunst verraten

hat, zieht er radikale Konsequenzen.

Doppelte Bedrohung eines Künstlers: David Pountney über Weinberg und Gogol

Nachdem seine Oper Die Passagierin aus antisemitischen Gründen abgelehnt wurde,

wandte sich Weinberg politisch harmloseren, russischen Themen zu, darunter Dosto-

jewskis Der Idiot und Gogols Das Portrait. Gogols wahnwitzige Satiren rund um das

Leben in St. Petersburg sind eine gelungene Kombination aus der kritischen Beob-

achtung der Ausschweifungen einer neureichen Elite und einem grotesken Sinn für die

Morbidität, die ständig droht, das filigrane Gefüge der feinen St. Petersburger Ge-

sellschaft zu zerstören.

St. Petersburg ist eine Stadt, die auf kaiserlichen Befehl in einen Sumpf gebaut wurde.

Architektonischer Prunk gewaltigen Ausmaßes sitzt inmitten unbehaglichen Morasts,

eingehüllt in Nebelschleier unwirtlichen Schlamms. Diesen Nebeln entsteigen all die

morbiden Geister, die die aufgesetzte Fassade des pulsierenden St. Petersburg zu

zersetzen drohen. Gogols Satire zielt in zwei Richtungen: Einerseits offenbart der

Anspruch der Petersburger Elite, stets im besten Licht gezeigt zu werden, deren Eitel-

keit. Andererseits nimmt Gogol auch den Künstler Chartkov aufs Korn, der, vom Geld

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korrumpiert, seine künstlerische Integrität preisgibt.

Das Phänomen des finanziell erfolgreichen Künstlers, der immer seichtere Imitationen

ein- und desselben leeren Konzepts als immer teurere Kunst abliefert, kennt man heute

genauso wie damals. Doch für Leute wie Weinberg, die im Kontext der damaligen

Sowjetunion tätig waren, hatte Gogols Geschichte auch noch eine ganz andere

Bedeutung. Deportation in den Gulag, ein gewaltsamer Tod: Die Möglichkeit einer

beruflichen oder gar persönlichen Auslöschung war stets präsent; so wie die allzeit dro-

hende Armut die Entscheidungen des Künstlers Chartkov diktierte. In einem solch er-

barmungslosen Klima war jeder gezwungen, einen persönlichen Kompromiss zwischen

Überleben und künstlerischem Selbstverrat zu finden.

Der Oper Das Portrait liegt also die doppelte Bedrohung eines Künstlers zugrunde: das

Grauen, längst der eigenen künstlerischen Verantwortung entsagt zu haben und nur mehr

Fälschungen zu verkaufen, und die Angst, den direkten Weg nach Sibirien antreten oder in

der Gosse verrecken zu müssen, wenn man den Wünschen der Parteibonzen oder

Wirtschaftsbosse nicht gerecht wird. Man braucht Courage, um aus Existenzängsten eine

makabre Komödie zu machen. Die leidenschaftlichen Emotionen seiner Musik zeichnen

Weinberg aber als einen Menschen aus, der seine grundlegende künstlerische Identität nie

verraten hat. Auch nicht im Angesicht der finstersten Bedrohung.

Am Pult des Symphonieorchesters Vorarlberg steht der Bulgare Rossen Gergov, die

Regie von Das Portrait übernimmt der junge Brite John Fulljames, der bereits 2007 mit

dem Stück The Shops im Rahmen von Kunst aus der Zeit zu Gast in Bregenz war, Bühne

und Kostüme stammen von seinem Landsmann Dick Bird.

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Energisch, virtuos, ergreifend

Orchesterkonzerte 2010

In seinen hochemotionalen und tief bewegenden Orchesterwerken hat Mieczysław

Weinberg ein Dasein in Emigration und Verfolgung nicht nur verarbeitet: Allen

Widrigkeiten zum Trotz ist es ihm gelungen, Zeit seines Lebens Gelassenheit und Fried-

fertigkeit zu bewahren. Die Orchesterkonzerte der Wiener Symphoniker, des Symphonie-

orchesters Vorarlberg und des Kammerorchesters MusicAeterna aus Nowosibirsk

präsentieren die eindrucksvollsten Werke dieses vergessenen Komponisten.

Weinbergs Musiksprache erstreckt sich von folkloristisch geprägter Schlichtheit über

postromantische Fülle bis zur expressionistischen Explosivität. Aber auch seine

Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs und sein Exil haben den Charakter seines

Schaffens entscheidend geprägt.

Vladimir Fedoseyev wieder in Bregenz

Am Pult der Wiener Symphoniker steht sowohl am 25. Juli als auch am 1. August der dem

Bregenzer Festspielpublikum bestens bekannte russische Dirigent Vladimir Fedoseyev,

der im Festspielhaus bereits zahlreiche Opern und Orchesterkonzerte dirigiert hat. Für eine

Retrospektive des Werks von Mieczysław Weinberg hätte sich auch kaum ein besserer

finden lassen als Fedoseyev: Er gilt nicht nur als Spezialist für dessen Musik, sondern war

mit dem Komponisten auch eng befreundet. Seine 1984 komponierte, hochemotionale 17.

Symphonie, die am 25. Juli zu hören sein wird, hat Weinberg seinem Freund sogar

gewidmet. „Wenn ich heute eine Symphonie schreibe“, so sagte Weinberg 1988 einmal,

„dann hoffe ich, dass sie Vladimir Fedoseyev in die Hände fällt!“

Weinbergs 17. Symphonie, ein relativ spätes Werk, trägt den Untertitel Erinnerung und

ist die epische, persönliche Betrachtung des fragilen Lebens eines Individuums, das sich

mit der Maschinerie des Totalitarismus konfrontiert sieht. Kombiniert wird die

Symphonie mit dem späten Meisterwerk eines anderen Komponisten, in dem der

persönliche Zweifel ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt: Gustav Mahlers Das Lied von

der Erde. Der 1908-09 komponierte sinfonische Liederzyklus, 1911 posthum urauf-

geführt, basiert auf Nachdichtungen altchinesischer Lyrik des Dichters Hans Bethge, der

mit seinen Texten auch zahlreiche andere Komponisten inspirierte.

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Wiener Sängerknaben zu Gast am Bodensee

Am 1. August erhalten die Wiener Symphoniker prominente Unterstützung aus ihrer

Heimatstadt: Für Weinbergs ergreifende 6. Symphonie und sein in den Jahren 1965-67

entstandenes Requiem, beide komponiert für Knabenchor und Orchester, gastieren die

international bekannten Wiener Sängerknaben erstmals im Rahmen der Bregenzer

Festspiele am Bodensee.

„Ach könnte ich doch nur meinen Namen unter dieses Werk setzen“, soll Dmitri

Schostakowitsch einmal über Weinbergs 1963 uraufgeführte 6. Symphonie gesagt

haben. Die Arbeit an diesem Werk fällt wie die Oper Die Passagierin in eine Zeit, in der

Weinberg begann, sich stärker mit dem Holocaust auseinanderzusetzen. Wie in seinem

in dieser Matinee ebenfalls zu hörenden Requiem bedient sich Weinberg auch in der 6.

Symphonie der Poesie. Alle drei gesungenen Stellen schrieb er dabei für Knabenchor:

Kinderstimmen als Ausdruck verlorener Unschuld und vergebener Menschlichkeit. Und

dennoch ist die 6. Symphonie letztendlich ein lebensbejahendes Werk – und ein

schönes Beispiel für Weinbergs Fähigkeit, sich trotz furchtbarer Erlebnisse voller Ruhe zu

erinnern. Die 6. Symphonie endet mit den Worten: „Die Sonne wird wieder scheinen und

die Violinen werden singen vom Frieden auf Erden.“

Für sein eindringliches und tief bewegendes Requiem griff Weinberg sowohl auf die

Poesie als auch auf seine eigenen Erinnerungen an ein Leben in der Tyrannei zurück. Er

schuf einen gleichermaßen niederschmetternden wie universellen Aufruf gegen Krieg

und Unterdrückung: ein musikalisches Zeugnis für die im Zweiten Weltkrieg verursachten

Leiden von Millionen einzelner Menschen.

Leidenschaft für das Erzählen

Das dritte Orchesterkonzert präsentiert die ganz persönliche Musikauswahl einer

Komponistin, die im Rahmen der Bregenzer Festspiele 2011 eine bedeutende Rolle spie-

len wird: Die Rede ist von der Engländerin Judith Weir, die für das Konzert der Wiener

Symphoniker unter Dmitri Jurowski am 9. August zwei Musikstücke ausgewählt hat,

die beide ihre große Leidenschaft für das Geschichtenerzählen illustrieren.

Da ist zum einen Leoš Janačeks dramatische und packende Orchester-Rhapsodie Taras

Bulba. Während des Ersten Weltkriegs entstanden, basiert sie auf einer Novelle von

Nikolai Gogol, die die ukrainischen Befreiungskriege gegen die Polen im 17. Jahrhundert

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unter der Führung des Kosakenobristen Taras Bulba thematisiert.

Das zweite Werk ist Rimski-Korsakows farbenfrohe symphonische Dichtung

Scheherazade nach einer Geschichte aus Tausendundeiner Nacht, die durch ihre

exotischen Klänge und orientalische Orchestration besticht.

Darüber hinaus ist auch eine von Weirs eigenen Kompositionen zu hören, und zwar das

2008 uraufgeführte CONCRETE – Eine Motette über London, eine Hommage an die

kontinuierliche Neuerschaffung der Stadt London – sei das nach dem Feuer von 1666

oder dem sogenannten „Blitz“, den deutschen Luftangriffen 1940.

Virtuose Vorarlberger

In der Matinee des Symphonieorchesters Vorarlberg am 15. August steht unter der

Leitung von Gérard Korsten neben Auszügen aus Smetanas bekanntem Zyklus Mein

Vaterland Weinbergs Sinfonietta Nr. 1 und sein virtuoses, energiegeladenes Trompeten-

konzert im Mittelpunkt. Als Solist zu hören ist der junge Vorarlberger Trompeter Jürgen

Ellensohn, Solotrompeter im Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks und Mitglied

der renommierten Blechbläserensembles Pro Brass und hr-Brass, der seine Laufbahn bei

der Gemeindemusik Götzis und im Vorarlberger Landeskonservatorium begann.

Musikalische Juwelen aus Sibirien

Das Kammerorchester der Oper Nowosibirsk MusicAeterna unter der Leitung ihres mit-

reißenden Chefdirigenten Teodor Currentzis ist eine handverlesene Gruppe

leidenschaftlich engagierter russischer Musiker, die die Landschaft russischen Musik-

schaffens verwandelt hat: „Die Darbietungen dieses Orchesters weisen eine Detail-

genauigkeit auf, die Russlands traditionelleren Orchestern weitgehend fehlt. Gleichzeitig

zeigen diese Musiker, wie anders Musik klingen kann, wenn sie mit Feuer gespielt und

mit technischer Perfektion umgesetzt wird“, schwärmt Intendant David Pountney.

Die beiden Konzerte von MusicAeterna sind Teil des Weinberg-Wochenendes vom 31.

Juli bis 2. August und präsentieren im Festspielhaus und im Theater am Kornmarkt einige

von Weinbergs intimeren Kammerorchesterwerken, gepaart mit der hinreißenden Inter-

pretation von „Klassikern“ wie Beethovens 5. und Mozarts 40. Symphonie.

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Musik & Poesie

Stimmen aus der inneren Emigration

Kammermusik & -Literatur im Seestudio

Totalitarismus, ob von faschistischer oder kommunistischer Seite, trieb viele Menschen

ins Exil. Für jene, die blieben, war „inneres Exil“ eine mögliche Lösung. Kammermusik –

und auch Poesie – ist die höchste Ausdrucksform innerer Emigration. Für Weinberg,

Achmatowa und Schostakowitsch stellte sie eine intime Atempause von den streng

überwachten öffentlichen Äußerungen als Künstler unter totalitären Regimen dar, für

andere, wie Beethoven und Smetana, war sie eine Stimme aus der inneren Insel der

Taubheit, die sie umgab. Kammermusikkonzerte finden sich sonst nicht im Bregenzer

Festspielprogramm, aber Weinbergs starke, innige und leidenschaftliche Kammermusik

stellt einen wichtigen Teil seines riesigen Schaffens dar, und ein Festival, das sich seiner

Musik widmet, kann diesen Teil unmöglich auslassen. Unsere Freunde und Partner, die

Wiener Symphoniker, gestalten diese Reihe, und dies ist eine großartige Möglichkeit, die

herausragenden Musiker aus nächster Nähe zu erleben – mit Musik, die das

Festspielthema 2010 durch jede einzelne Note verbildlicht:

„In der Fremde“.

Ralph Dutli liest, russisch und deutsch, Texte von vier großen russischen Dichtern des

20. Jahrhunderts – Ossip Mandelstam, Marina Zwetajewa, Anna Achmatowa, Joseph

Brodsky – die heute weltweit als Klassiker der Moderne gelten. Zwei von ihnen –

Zwetajewa und Brodsky – waren Exilanten in Paris und New York, die beiden anderen –

Mandelstam und Achmatowa – waren bedeutende Vertreter einer „inneren Emigration“.

Mandelstam kam im Gulag um, Zwetajewa endete im Selbstmord, politische Verfemung

traf alle vier. In Gedichten schufen sie sich ein „portatives Vaterland“, wie Heinrich

Heine es nannte, eine prekäre Geborgenheit in der Sprache, eine letzte Möglichkeit der

Freiheit und des Atmens.

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Schauspiel 2010

Fremd und unentdeckt, schweigsam und schwarz

Deutsches Theater Berlin wieder zu Gast in Bregenz

Das Deutsche Theater Berlin ist zurück in Bregenz! Zum Auftakt der neuerlichen

Zusammenarbeit bringen die „Berliner“ einen Klassiker, Joseph Conrads Herz der

Finsternis, und ein neues Stück Gegenwartstheater, Lukas Bärfuss’ Öl, an den Bodensee.

Herz der Finsternis, Kapitän Marlows Fahrt ins Zentrum des schwarzen Kontinents, ist

ein Stück über den Weg des europäischen Virus durch den afrikanischen Körper, über

die Ängste und Denkweisen der Kolonisatoren und deren Wandlungen in der Begegnung

mit dem unbegreiflich Fremden. Premiere im Theater am Kornmarkt ist am 14. August.

Ein ähnliches Thema beschreibt der Dramatiker Lukas Bärfuss in seinem neuen Stück Öl,

zu sehen ab 19. August, allerdings über 100 Jahre später: das Vordringen in die Fremde,

den Willen zur Vereinnahmung des Unbekannten.

Das Deutsche Theater Berlin hat den Festspielbesuchern in den 1990er Jahren

zahlreiche unvergessliche Theaterabende beschert, im neuen Jahrtausend war es neben

der Wiener Josefstadt dann das Hamburger Thalia Theater. Nun kehrt das Deutsche

Theater unter seinem neuen Intendanten Ulrich Khuon, ehemals künstlerischer Leiter

des Thalia Theaters, an den Bodensee zurück. Lessings Nathan der Weise (1993),

Brechts Dreigroschenoper (1995) und Der kaukasische Kreidekreis (1998) sowie

Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame (1999) – das sind nur einige der bemerkens-

werten Theaterstücke, mit denen das Deutsche Theater zwischen 1993 und 2000 in Bre-

genz gastierte. Die „Stardichte“ war beachtlich: Zu sehen waren bekannte Schauspieler

wie Klaus Löwitsch, und der inzwischen verstorbene Ulrich Mühe (unvergessen durch

seine Rolle in dem oscargekrönten Streifen Das Leben der Anderen).

Auch das Thalia Theater hat unter Ulrich Khuon mit Stücken wie Thalia Vista Social Club

(2004), Die Präsidentinnen (2006) und Ein Sommernachtstraum (2007) für viele

nachdenkliche und unterhaltsame Abende gesorgt.

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Eine Reise in das Fremde in uns Selbst

Herz der Finsternis von Joseph Conrad

Es beginnt mit einem Traum, einem Kindertraum. Charles Marlow war schon immer

fasziniert von Landkarten, fremden, unbekannten Kontinenten und insbesondere von

dem einen großen, schwarzen Fluss, der sich ins Herz von Afrika hineinschlängelt.

Marlows Traum scheint Wirklichkeit zu werden, als er für eine belgische

Handelsgesellschaft als Kapitän eines Dampfschiffs anheuert, das den Kongo

hinauffahren soll, um einen Agenten namens Kurtz zurück nach Europa und zur Vernunft

zu bringen.

Denn Mr. Kurtz hat sich von der Firma losgesagt und aus der innersten Handelsstation

sein eigenes bizarres Reich gemacht, in dem er von den Eingeborenen wie ein Gott

verehrt wird. Und so wird Marlows Kongo-Fahrt zu einer Reise ins Herz der Finsternis, bei

der die Grenzen zwischen Zivilisation und Barbarei, Gut und Böse, Leben und Tod

verschwimmen und verschwinden. Joseph Conrads berühmteste Erzählung ist wie kaum

ein zweites literarisches Werk eine Studie des Fremden um und in uns, die Geschichte

einer Verwandlung aller Dinge in sich selbst.

„Meinst du, es gibt einen Weg zurück?“, hatte am Abend zuvor das Ausbeutungsmonster

Kurtz in Herz der Finsternis gefragt. Lukas Bärfuss und sein leiser, präziser Regisseur

Stephan Kimmig zeigen schmerzhaft, dass keine große Wahl mehr hat, wer einmal in die

Finsternis des eigenen Herzens schaute.

Der Tagesspiegel, Berlin

Zivilisationsnomaden am Abgrund

Öl von Lukas Bärfuss

Es ist nicht das erste Land, durch das Eva und Herbert Kahmer ziehen, auf der Suche

nach Öl, nach Reichtum, nach lang ersehnter Ruhe. Modernen Nomaden gleich wandern

sie seit Jahren von potentiellem Ölvorkommen zu potentiellem Ölvorkommen. Herbert,

infiziert von dem Traum nach der großen Quelle, ist immer unterwegs mit seinem

Geschäftspartner Edgar, Eva dagegen wartet und weiß schon längst nicht mehr, was der

Sinn dieses Unternehmens, ihres Lebens ist. Allein gelassen in diesem Land, das ihr

Angst macht, mit einer Bediensteten, die fremd und undurchschaubar ist, schließt sie

sich in ihr Haus ein und verfällt auf seltsame Gedanken. Ihre Ehe, ihre Liebe zu Herbert

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scheint zermürbt und auch ihr andauerndes Verhältnis mit Edgar ist nur ein weiteres

Indiz dafür, dass etwas falsch ist mit ihrem Leben.

Als schließlich das Wunder geschieht und die beiden Männer auf einen Ölfund stoßen,

als zudem eine junge Frau auftaucht und Eva verunsichert, werden Hoffnungen geweckt

und Gefühle geschürt, von denen bisher keiner etwas ahnte.

Lukas Bärfuss, dessen Ruanda- Roman Hundert Tage preisgekrönt ist, hat zum

wiederholten Mal über die Profitgier, Schuld und die Naivität der Europäer geschrieben,

die auf unheilvolle Weise in die Geschicke der Welt verstrickt sind.

Die Hauptrolle in Öl spielt mit Nina Hoss eine der derzeit bekanntesten und

erfolgreichsten deutschen Schauspielerinnen. Für sie ist es kein „erstes Mal“ am

Bodensee: Bereits 2000 gastierte die damals 25jährige Hoss als Elisabeth in Schillers

Don Karlos in Bregenz, damals ebenfalls in einem Gastspiel des Deutschen Theaters

Berlin.

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Gefühle und Körper, Leben und Schuld

Kunst aus der Zeit 2010

Im Rahmen von Kunst aus der Zeit wird das Festspielmotto „In der Fremde“ aus etwas

anderen Blickwinkeln beleuchtet: Dies geschieht im kommenden Sommer mit der

Uraufführung der Oper Jacob’s Room des amerikanischen Elektronik-Pioniers Morton

Subotnick und mit Out of Context des bekannten belgischen Choreographen Alain Platel,

der mit seiner Ballettkompanie C de la B in Bregenz gastiert.

Kunst aus der Zeit – Musiktheater

Schatten der Vergangenheit

Jacob’s Room von Morton Subotnick

Jacob ist der Überlebende eines Völkermords – wann und wo bleibt der Fantasie der

Zuschauer überlassen. Er wird von seiner Vergangenheit heimgesucht, geplagt von der

Schuld, überlebt zu haben, was andere ihr Leben gekostet hat. Seine eigene Mutter hat

sich für ihn geopfert, und er war Zeuge dieser Tat. Jahre später versucht Jacob, sich von

all diesen Schuldgefühlen zu befreien. Der Titel der Oper bezieht sich auf einen „Denk-

raum“ in dem Jacob „The Guide“ trifft, ein Wesen, das ihn mitnimmt auf eine Reise

zurück in seine Kindheit.

Der Amerikaner Morton Subotnick (*1933) gilt als einer der wichtigsten Pioniere elek-

tronischer Musik in den USA. In den 1960er Jahren feierte er mit seinen psychedelisch-

experimentellen Kompositionen große Erfolge. In den 1990ern wurde er von der Electro-

nica-Bewegung wiederentdeckt und erfreut sich seither enormer Popularität. Die Oper

Jacob’s Room war eigentlich schon in den 1970er Jahren in Auftrag gegeben worden,

wurde jedoch aufgrund künstlerischer Differenzen nie in der geplanten Form

realisiert und erst 1989 konzertant uraufgeführt.

Jetzt, 30 Jahre später, werden die Bregenzer Festspiele Subotnicks abendfüllende Oper

Jacob’s Room am 5. und 7. August auf die Werkstattbühne bringen. Die Regisseurin

und Bühnenbildnerin Mirella Weingarten hat dafür eine dynamische Bühnenskulptur ent-

wickelt, die der Videokünstler Lillevan live als Projektionsfläche nutzen wird.

Subotnick war in den 1960er Jahren der erste Komponist, der von einem Plattenlabel

einen Kompositionsauftrag für elektronische Musik erhielt. Das daraus resultierende

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Album Silver Apples of the Moon, komponiert 1967 mit der ersten Version des Buchla-

Synthesizers, war ein Bestseller und schaffte es bis an die Spitze der US Classical

Charts. Mitte der 1960er Jahre war Subotnick unter anderem Musikdirektor des be-

rüchtigten „Electric Circus“, einer Art Multimedia-Disco, in der Künstler wie The Velvet

Underground oder The Grateful Dead auftraten.

Subotnicks Hauptinteresse als Komponist lag immer bei Tanz und Theater. Sein Theater-

verständnis entspricht dabei dem anderer amerikanischer Künstler seiner Generation

wie Robert Wilson, Meredith Monk und Robert Ashley. Als Komponist formt Subotnick

den Klang in den drei Dimensionen des theatralischen Raums.

Kunst aus der Zeit – Tanz

Zustand der extremen Gefühle

Out of Context von Alain Platel

„The scene is a place of urgency and the body / bodies in ecstasy”, schreibt der

Choreograph Alain Platel über seine neue Produktion, mit der seine Kompanie les ballets

C de la B aus Belgien am 13. und 14. August auf der Werkstattbühne gastieren wird.

„Eines der Themen, das in meinem Werk der vergangenen Jahre einen großen Stellen-

wert einnimmt, ist das des ‚Körpers im Zustand der Hysterie’. Ich beziehe mich dabei

nicht auf die Hysterie als Krankheit, sondern vielmehr als eine Art Übersensibilität dem

Leben gegenüber.

Wann immer auch Worte nicht mehr in der Lage sind, unsere tiefsten Gefühle auszu-

drücken, übernimmt unser Körper. Ich habe mit Tänzern gearbeitet um eine Körper-

sprache zu entwickeln, die auf genau diesem Prinzip basiert. Denn das ist der Tanz wohl

schon seit Anbeginn: eine physische Übersetzung extremer Gefühle. Die Angst vor dem

Unbehagen derer, die Zeuge eines Körpers in einem solchen Zustand werden, ist sehr

groß. Und dennoch glaube ich, dass es ein positives Erlebnis ist, einen solchen Zustand

zu beobachten, sich ihm zu nähern. Es versetzt uns in die Lage, dieses ganz spezielle

Verhalten zu verstehen, genauso wie andere Formen seltsamen – extremen und

provokativen – Benehmens, die alle Teil unseres menschlichen Selbst sind.“

Alain Platel – ein Grenzgänger zwischen Tanz, Theater, Musik und bildender Kunst

Der Choreograf und Tänzer Alain Platel verbindet auf der Bühne Dinge, die scheinbar

nicht zusammen gehören, und überschreitet mit seinen Choreographien immer wieder

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die Grenzen zwischen Tanz, Theater, Musik und bildender Kunst. Platel wurde 1956 im

belgischen Gent geboren. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Heilpädagogen

und betreute fünf Jahre lang schwer behinderte Kinder. 1984 gründete er gemeinsam

mit anderen Regisseuren und Choreographen das Tanzkollektiv les ballets C de la B. Mit

der Produktion Lets op Bach gelang ihm vier Jahre später der internationale Durchbruch.

Zu seinen wichtigsten Werken zählen Wolf (2003), Allemaal Indiaan (1999), La Tristeza

Complice (1995) und Bonjour Madame (1993). 2004 wurde Platel für sein Lebenswerk

mit dem Europäischen Theaterpreis ausgezeichnet.

Platel verbindet die Drastik einer Sozialreportage mit der Albernheit eines

Kindergeburtstags und kombiniert die vielen Geschichten wie ein Zirkusjongleur.

Berliner Zeitung

Kunst aus der Zeit – Konzerte

Der Fremde begegnen

Das Wort „fremd“ bezeichnet etwas, das uns nicht vertraut ist – etwas Andersartiges

oder weit Entferntes. Aber auch eine Region oder ein Fachbereich können als fremd

empfunden werden. Etwas „Fremdes“ kann von uns als etwas „Exotisches“ positiv

wahrgenommen werden, es kann aber auch Ängste auslösen.

Die drei Konzerte sind aus freien Assoziationen rund um den Begriff „fremd“ entstanden.

Christoph Stradner und Luca Monti, wohlbekannt für ihre radikalen und theatralischen

Konzepte, nennen ihr Programm 2010 „Suite Exotika“.

Das Ensemble Lux, das das Bregenzer Publikum im Sommer 2008 mit seiner

außergewöhnlichen Virtuosität bezaubert hat, präsentiert Werke von Komponisten, die

außerhalb ihrer Heimatländer leben und arbeiten, darunter auch zwei Auftragswerke von

Kunst aus der Zeit. Das oenm kehrt mit einem Konzertprogramm nach Bregenz zurück,

dessen Fokus auf der Kombination von Musik und Video liegt. Ein VJ, für den die Welt der

Neuen Musik genauso fremdartig und seltsam ist wie für manche Konzertbesucher, wird

live zur Musik seine Bilder kreieren.

Zusätzlich zu dieser Serie soll im Rahmen von Kunst aus der Zeit aber auch weiterhin

den Werken österreichischer Künstler ein besonderer Stellenwert zukommen. Diesmal

mit einem Portraitkonzert des Komponisten Johannes Maria Staud, gespielt vom Wiener

Concert Verein.

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Pfeil und Bogen, Händel und Rock

Kinder- und Jugendprogramm crossculture 2010

Neben den Fixpunkten Fest des Kindes, crossculture night, crossculture week,

workshops und akademie stehen in diesem Jahr bei den Konzerten für Familien und

Schulklassen rockiger Barock und die unglaubliche Verwandlung von Pfeil und Bogen

zum Streichinstrument auf dem Programm.

crossculture Konzerte für Familien und Schulklassen

rocky roccoco

Da staunen die beiden Musiker Rocky und Harry nicht schlecht: Nie im Leben hätten sie

sich träumen lassen auf Typen zu treffen, die glatt behaupten, aus dem Mittelalter zu

stammen. Bachs Fugen, Händels höfische Tänze – in Rocky Roccoco treffen am 5. 6. 7.

und 8. Juli im Theater Kosmos die über 300 Jahre alten Klänge auf aktuelle Musik und

moderne Jazz-Grooves. Die Musiker werden dicke Freunde und sehen die Ähnlichkeit in

der Musik als Begleiterin von Gefühlen. Freude und Liebe, aber auch Wut und Streit

klingen früher und heute ganz ähnlich.

saiten!

Wer hätte gedacht, dass der Bogen – für unsere Urahnen ein Kriegs- und Jagdgerät – die

Vorlage heutiger Streichinstrumente darstellt? Die Schwingung der Saiten beim Ab-

schießen des Pfeils wurde gebändigt und das Kriegsgerät verwandelte sich in ein

Musikinstrument. Vier Künstler spielen mit zahlreichen Instrumenten und lassen die

Verwandlung vor den Augen und Ohren der Zuhörer Revue passieren. Ein musikalischer

Streifzug, der mit moderner Computertechnik und Tanz zum einzigartigen Erlebnis wird.

Zu sehen am 14. und 15. August im Theater Kosmos.

Fest des Kindes

Noch bevor die Großen auf der Seebühne mit der Oper Aida Premiere feiern, sind unsere

jüngsten Festspielfreunde vom 12. bis zum 17. Juli eingeladen, in der Schule Weidach ihr

eigenes Musical auf die Beine zu stellen. Beim Fest des Kindes entwickeln Kinder von 6

bis 11 Jahren in verschiedenen Werkstätten alles, was man für eine Aufführung braucht:

Kulissen werden bemalt, Gesangsstücke geübt, Requisiten gebastelt und Tanzeinlagen

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einstudiert… Am Ende steigt die Spannung: Die Premiere vor Publikum steht bevor!

crossculture night

Das große Sommer-Event unter freiem Himmel für Schüler und Studenten von 14 bis 26

Jahren: Neben dem Besuch der Aida auf der Seebühne öffnet das Festspielhaus am 17.

Juli bereits am Nachmittag für Workshops, Führungen, Sound- und Bühnenchecks und

Stückeinführungen seine Türen. All diejenigen, die lieber draußen sind, genießen einfach

das Show-Programm auf der Open Air Bühne am Vorplatz.

crossculture week

Spontaneität, Spaß an der Musik und Leidenschaft: Zu Bandworkshops laden die

Musiker von Simon Kräutler & The Gang vom 12. bis zum 17. Juli im Theater Kosmos. So

wird der Probenraum zur musikalischen Werkstatt für junge Menschen von 14 bis 20

Jahren, die neben ihrem instrumentalen und gesanglichen Können auch das Zu-

sammenspiel mit anderen und ihre Bühnenpräsenz verbessern können. Zusätzlich wird

Know-how für Akustik, Licht und Songwriting vermittelt. Die Musikwoche endet mit einer

offenen Jam Session auf der Bühne und einem Auftritt bei der crossculture night auf dem

Vorplatz des Festspielhauses.

crossculture workshops

Ägypten zur Zeit der Pharaonen. Die Kulisse am Nil ist der Schauplatz für eine der

größten Liebestragödien der Opernliteratur: Die äthiopische Prinzessin Aida liebt den

ägyptischen Feldherrn Radames. Doch in Zeiten kriegerischer Unruhen hat die glühende

Liebe kaum Chancen. In den crossculture workshops erleben die Teilnehmer die

Geschichte und Musik von Giuseppe Verdis Aida sprichwörtlich am eigenen Leib und

finden im szenischen Spiel eigene Lösungen. Der „Opernschlüssel“ vermittelt daneben

schauspielerisches Know-how und Fakten zum Theaterleben.

akademie der bregenzer festspiele und der wiener symphoniker

Solisten der Wiener Symphoniker bereiten angehende Musiker auf ihre Berufslaufbahn

vor: Eine Teilnahme an der Akademie der Bregenzer Festspiele von 28. Juli bis 6. August

bietet in der einzigartigen Atmosphäre von Kunst und Natur am Bodensee neben den

Meisterkursen auch ein vielfältiges Rahmenprogramm: Proben- und Veranstaltungs-

besuche bei den Bregenzer Festspielen, Körperwahrnehmungsworkshops sowie Eröff-

nungs- und Schlusskonzert sind feste Bestandteile der Akademie.

© Babette Karner 2009

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Die Bregenzer Festspiele 2010 finden vom 21. Juli bis zum 22. August 2010 statt. Tickets und Infos unter +43 (0)5574

407-6 und www.bregenzerfestspiele.com.

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