4
Martin Häusling, MEP 1 Briefing zum Einspruch gegen Kommissions-Vorschlag für eine neue EU-Verordnung zur Verwendung von Bisphenol A in Lebensmittelkontaktmaterialien 10.01.2018 Um was geht es? Im August 2017 hat die Europäische Kommission ihren Verordnungsvorschlag 1 für Bisphenol A (BPA) in Lebensmittelkontaktstoffen veröffentlicht: dieser soll die Verwendung von Bisphenol A in Lacken und Beschichtungen sowie Plastikmaterialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, regeln. Der Kommissionsvorschlag setzt die Migrationsgrenzwerte 2 von BPA in Lebensmittelkontaktmaterialien herab: von 0.6 mg auf 0.05mg/kg Lebensmittel. Außerdem verbietet er BPA in Schnabeltassen für Kleinkinder komplett. In Babyflaschen ist BPA bereits seit 2011 verboten. Die Grünen sind der Ansicht, dass eine Absenkung der Migrationsgrenzwerte für BPA nicht ausreicht. BPA muss komplett verboten werden. Deshalb hat Martin Häusling Einspruch erhoben gegen den Kommissionsvorschlag. Abgeordnete der Liberalen, Konservativen und Sozialdemokraten haben den Einspruch mitgezeichnet. Am 11. Januar 2018 wird der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments über den Einspruch abstimmen. Wird er angenommen, erfolgt in der Folgewoche die Plenarabstimmung. Stimmt auch das Plenum des Europäischen Parlaments der Resolution zu, so muss die Kommission ihren Gesetzesvorschlag überarbeiten. Was ist Bisphenol A (BPA)? Die Chemikalie Bisphenol A wird als Ausgangsstoff für die Herstellung des Kunststoffes Polycarbonat sowie von Epoxidharzen eingesetzt. Polycarbonat findet sich z.B. in Plastik- Trinkflaschen, Plastikbesteck oder Plastikdosen. Epoxidharze werden von der Lebensmittelindustrie für die Innenbeschichtung von Konservendosen und Deckeldichtungen verwendet. Die Chemikalie BPA bleibt aber nicht in der Verpackung, sondern geht auf die Lebensmittel über und gelangt durch den Verzehr der verpackten Lebensmittel auch in den menschlichen Körper, wo sie ins Hormonsystem eingreift. Je nach Säuregehalt des Lebensmittels, Temperaturschwankungen bei der Lagerung und Anzahl des 1 http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=pi_com:Ares(2017)4140854 2 Diese Migrationsgrenzwerte geben an, welche Menge der Chemikalie höchstens in ein Lebensmittel übergehen darf

Briefing zum Einspruch gegen Kommissions-Vorschlag für ... · Kommissions-Vorschlag für eine neue EU-Verordnung zur Verwendung von Bisphenol A in Lebensmittelkontaktmaterialien

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Briefing zum Einspruch gegen Kommissions-Vorschlag für ... · Kommissions-Vorschlag für eine neue EU-Verordnung zur Verwendung von Bisphenol A in Lebensmittelkontaktmaterialien

Martin Häusling, MEP

1

Briefing zum

Einspruch gegen

Kommissions-Vorschlag für eine neue EU-Verordnung

zur Verwendung von Bisphenol A in Lebensmittelkontaktmaterialien

10.01.2018

Um was geht es?

Im August 2017 hat die Europäische Kommission ihren Verordnungsvorschlag1 für

Bisphenol A (BPA) in Lebensmittelkontaktstoffen veröffentlicht: dieser soll die Verwendung

von Bisphenol A in Lacken und Beschichtungen sowie Plastikmaterialien, die mit

Lebensmitteln in Kontakt kommen, regeln.

Der Kommissionsvorschlag setzt die Migrationsgrenzwerte2 von BPA in

Lebensmittelkontaktmaterialien herab: von 0.6 mg auf 0.05mg/kg Lebensmittel.

Außerdem verbietet er BPA in Schnabeltassen für Kleinkinder komplett. In Babyflaschen

ist BPA bereits seit 2011 verboten.

Die Grünen sind der Ansicht, dass eine Absenkung der Migrationsgrenzwerte für BPA nicht

ausreicht. BPA muss komplett verboten werden. Deshalb hat Martin Häusling Einspruch

erhoben gegen den Kommissionsvorschlag. Abgeordnete der Liberalen, Konservativen und

Sozialdemokraten haben den Einspruch mitgezeichnet. Am 11. Januar 2018 wird der

Umweltausschuss des Europäischen Parlaments über den Einspruch abstimmen. Wird er

angenommen, erfolgt in der Folgewoche die Plenarabstimmung. Stimmt auch das Plenum

des Europäischen Parlaments der Resolution zu, so muss die Kommission ihren

Gesetzesvorschlag überarbeiten.

Was ist Bisphenol A (BPA)?

Die Chemikalie Bisphenol A wird als Ausgangsstoff für die Herstellung des Kunststoffes

Polycarbonat sowie von Epoxidharzen eingesetzt. Polycarbonat findet sich z.B. in Plastik-

Trinkflaschen, Plastikbesteck oder Plastikdosen. Epoxidharze werden von der

Lebensmittelindustrie für die Innenbeschichtung von Konservendosen und

Deckeldichtungen verwendet. Die Chemikalie BPA bleibt aber nicht in der Verpackung,

sondern geht auf die Lebensmittel über und gelangt durch den Verzehr der verpackten

Lebensmittel auch in den menschlichen Körper, wo sie ins Hormonsystem eingreift. Je nach

Säuregehalt des Lebensmittels, Temperaturschwankungen bei der Lagerung und Anzahl des

1 http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=pi_com:Ares(2017)4140854

2 Diese Migrationsgrenzwerte geben an, welche Menge der Chemikalie höchstens in ein Lebensmittel

übergehen darf

Page 2: Briefing zum Einspruch gegen Kommissions-Vorschlag für ... · Kommissions-Vorschlag für eine neue EU-Verordnung zur Verwendung von Bisphenol A in Lebensmittelkontaktmaterialien

Martin Häusling, MEP

2

Erhitzens der Konserve zu Konservierungszwecken geht mehr oder weniger BPA aus der

Verpackung in das verpackte Lebensmittel über.

Die deutsche Bayer AG zählt zu den größten BPA-Produzenten. 70% der europäischen BPA-

Produktion finden in Deutschland statt. Pro Jahr werden weltweit etwa sechs Millionen

Tonnen BPA produziert3.

Gesundheitliche Auswirkungen von BPA

Hunderte Studien haben sich mit den möglichen gesundheitlichen Auswirkungen von BPA

beschäftigt. BPA ist ein endokriner Disruptor und wirkt als solcher aufs Hormonsystem. Die

Europäische Chemikalien-Agentur ECHA hat ihn im Juni 2017 als ‚besonders

besorgniserregenden Stoff4 ‘ klassifiziert, d.h. er kann potentiell in das Verzeichnis der

zulassungspflichtigen Stoffe aufgenommen werden5.

BPA wird in Verbindung gebracht mit:

- Fehlbildungen der Geschlechtsorgane

- Unfruchtbarkeit

- Lern- und Verhaltensstörungen bei Kindern

- Herz- und Kreislauferkrankungen

- Hormonell bedingte Krebsarten (Hoden-, Prostata-, Brustkrebs)

- Fettleibigkeit (Adipositas)

- Diabetes Typ 2

Warum ist der Kommissionsvorschlag nicht ausreichend?

1) Gesundheitsrisiko bleibt bestehen

A) Nur komplettes BPA-Verbot bedeutet risikofreies Essen

Als „besonders besorgniserregender Stoff“ hat BPA im Essen nichts zu suchen. Um

keinen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt zu sein, müssen Produkte völlig BPA-frei

sein.

Der Verordnungsvorschlag hingegen reduziert nur die bislang zulässigen

Migrationsgrenzwerte für BPA, aber er verbietet BPA nicht grundsätzlich. Lediglich

für Babyflaschen und Schnabeltassen verbietet er BPA komplett. Das reicht nicht aus

- denn realistischerweise werden Babys und Kleinkinder auch aus anderen

3 Quelle:

https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/chemie/chemie_bisphenol_a_in_konserven_hintergrund.pdf (Seite 2) 4 https://echa.europa.eu/documents/10162/ac9efb97-c06b-d1a7-2823-5dc69208a238

5 Mehr zum Zulassungsverfahren: http://www.reach-info.de/svhc.htm

Page 3: Briefing zum Einspruch gegen Kommissions-Vorschlag für ... · Kommissions-Vorschlag für eine neue EU-Verordnung zur Verwendung von Bisphenol A in Lebensmittelkontaktmaterialien

Martin Häusling, MEP

3

Trinkgefässen trinken bzw. mit anderen Lebensmittelverpackungen in Kontakt

kommen, die BPA enthalten.

B) Nicht alle Risikogruppen werden erfasst

Babys und Kleinkinder sind nicht die einzige Bevölkerungsgruppe, deren Gesundheit

durch BPA aufs Spiel gesetzt wird. Auch schwangere Frauen sowie ihre ungeborenen

Kinder und Teenager sind besonders gefährdet. Ein generelles Gesundheitsrisiko

besteht für alle Bevölkerungsgruppen.

C) ‚Cocktail-Effekt‘ ist nicht berücksichtigt

Hormonell wirksame Stoffe aus verschiedenen Produkten ergeben einen

gefährlichen Mix, z.B.: Phtalate aus dem Duschvorhang, Parabene aus dem

Shampoo, BPA aus der Konservenbüchse.

So zeigt zum Beispiel eine Studie von 2017 auf, dass die Auswirkungen von BPA auf

das Hormon Testosteron im Gewebe menschlicher Föten um das zehnfache steigen

kann, wenn BPA mit sieben anderen Chemikalien kombiniert wird6.

Manuel Fernandez vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):

"Wir wollen keine Panik machen. Ein einzelner Stoff, wie Bisphenol A im

Plastikbehälter oder Propyl-Parabene in der Creme werden nicht krank machen.

Allerdings kommt es auf die Kombination an. Die Gefahr liegt in der Summe".

2) Bestehende strengere Auflagen in einzelnen EU-Ländern werden torpediert

Frankreich schafft es seit 2015, ohne BPA in Lebensmittelkontaktmaterialien auszukommen,

andere europäische Länder haben ebenfalls Anstrengungen unternommen, BPA zu

reduzieren bzw. zu ersetzen. Würde die KOM-Verordnung umgesetzt, wäre Frankreich nach

aktueller Rechtslage gezwungen, die lascheren EU-Regeln zu übernehmen, wenn es sich kein

Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission einhandeln will. Auch die

nationalen Standards, die andere EU-Länder sich geschaffen haben, wären dann in Gefahr.

Wäre die vorgeschlagene Verordnung erst einmal rechtskräftig, so hätten einzelne EU-

Länder wenig Motivation, an BPA-Alternativen zu arbeiten.

3) Warum etwas potentiell Giftiges nicht durch etwas Ungiftiges ersetzen?

Alternativen zu BPA existieren. Frankreich, Japan und andere Länder wie Schweden,

Dänemark und Belgien nutzen diese bereits und es gibt einzelne Firmen, die BPA in ihren

Lebensmittelverpackungen ersetzen bzw. dieses vorhaben7.

6 https://ehp.niehs.nih.gov/ehp1014/#tab1

7 http://www.independent.co.uk/life-style/health-and-families/health-news/major-producers-to-ditch-bpa-

from-packaging-2121837.html .

Page 4: Briefing zum Einspruch gegen Kommissions-Vorschlag für ... · Kommissions-Vorschlag für eine neue EU-Verordnung zur Verwendung von Bisphenol A in Lebensmittelkontaktmaterialien

Martin Häusling, MEP

4

Frankreich gibt an, je nach Lebensmittel, auf eine von 73 Alternativen zu BPA

zurückzugreifen. In einer öffentlich zugänglichen Datenbank können sich Hersteller über

diese Alternativen informieren8.

Natürlich ist es für die Nahrungsmittelindustrie einfacher, bestehende Betriebsabläufe

beizubehalten. Darf BPA nicht mehr eingesetzt werden, muss die Industrie Betriebsumläufe

umstellen und hat möglicherweise erhöhte Produktionskosten. Das rechtfertigt aber nicht

das Eingehen von Gesundheitsrisiken.

Was bedeutet der Einspruch für die weiteren politischen Verfahren?

Am 11. Januar 2018 wird der Einspruch im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments

diskutiert und anschließend abgestimmt. Wird er angenommen, wandert er ins Plenum, das

in der Folgewoche stattfindet. Wird er auch dort angenommen, muss die Europäische

Kommission ihren Vorschlag überarbeiten. Das kann bis zu zwei Jahre dauern.

Situation in Deutschland

- Der ehemalige Umweltminister in Nordrhein-Westfalen, Norbert Remmel, hat 2015

versucht, ein BPA-Verbot in Lebensmittelkontaktmaterialien zu erwirken9. Leider mit

weniger Erfolg als die Plastik-Industrie...10

- Die Bundesregierung sieht die Europäische Kommission in der Pflicht, den allgemeinen

Umgang mit endokrinen Disruptoren zu regeln. Einen nationalen Aktionsplan wie in

Frankreich lehnt sie ab.

- Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat von der Europäischen

Kommission gefordert, den ‚spezifischen Migrationsgrenzwert‘ (SML) für BPA abzusenken.

- Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat gegenüber EU-Verbraucherschutz-

Kommissar Andriukaitis im Januar 2015 darauf gedrängt, das Thema zu einem ‚politischen

Schwerpunkt‘ zu machen.

Schlußfolgerung

Im Sinne des Vorsorgeprinzips muss BPA in allen Plastikmaterialien und -artikeln sowie allen

Lacken und Beschichtungen, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, umgehend und

vollständig verboten werden.

Ein Beispiel für ein BPA-Verbot, initiiert vom Lebensmitteleinzelhandel ist die dänische Supermarktkette Coop: sie hat BPA und andere Bisphenole 2016 verboten - warum zeigt dieser Videoclip (englisch): https://www.youtube.com/watch?v=aY0hBpIP7gQ 8 Mehr Informationen: https://echa.europa.eu/de/regulations/substituting-hazardous-chemicals/examples-

from-real-life/safer-alternatives-for-bisphenol-a 9 https://www.bundestag.de/presse/hib/201602/-/405180

10 https://www.bpa-coalition.org/wp-content/uploads/2015/05/BPA-Coalition-Kommentierung-

Pressemeldung-Umweltministerium-NRW-draft.pdf