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343 Bautechnik 87 (2010), Heft 6 Berichte Wilhelm III. wider besseres Wissen auf seinem Posten belassen, der Vor- hut der von Westen anstürmenden französischen Eroberer die Stadt 1806 kampflos übergab. Das begleitende „Abfackeln“ der Straßenbrücke über die Oder hatte deren Verteidigern nicht wirklich helfen können. An- schließend haben die Franzosen sie erneuert. Anderen Küstrinern, wie dem späteren Reichsbahner Rudolf Ker- ger, widerfuhr nicht die Gnade, in solche Annalen einzugehen, obwohl dieser qua seiner unbestrittenen Ver- dienste durchaus ein Kandidat gewe- sen wäre [5]. Die Folgen der Eisenbahn Mit dem Einzug der Eisenbahn in Küstrin wurden dort ab 1857 weitere Brücken erforderlich. Die erste die Stadt berührende Eisenbahnstrecke Küstrin, eine Stadt an der Oder Es ist ein zumindest heute kein be- sonders bekannter Ort mehr, die 1232 gegründete Stadt Küstrin an den bei- den Ufern des Oderstroms. Küstrin ist eine Stadt sogar an zwei Strömen, denn die Ansiedlung erfolgte dort, wo die Warthe in die Oder mündete und somit ein Gebilde entstand, das gleich mehrmals vom fließenden Wasser durchschnitten wurde, was wohl für den Zusammenhalt der Teilstädte sehr erschwerend gewesen ist. Die Datie- rung folgt der Erwerbung durch den Templerorden. 1390 wird erstmals eine Brücke über die Oder erwähnt, auf der die spätere Reichsstraße 1 von Aachen über Berlin nach dem ost- preußischen Königsberg geleitet wurde. Es war natürlich eine Holz- brücke, die so bis 1881 bestand, bevor eine eiserne Nachfolgerin an deren Stelle trat. Damals war die Stadt schon Festung; die Durchführung der Straße durch die Rundum-Festungs- anlagen wurde als militärisches Ri- siko angesehen und musste beson- ders geschützt werden. Eine bildliche Darstellung der Holzbrücke von Na- gel aus dem Jahr 1780 trägt die er- klärende Unterschrift: „Die Brücke behielt immer die von Johann gege- bene Lage. Wasser, Eis und Verkehr machten unendlich viele Reparaturen nötig. 1764 meinte Petri: Die alte Brücke sei keine Reparatur mehr wert. Es wurde aber weiter repariert. Der Pfähle waren so viele, daß das Wasser schlecht durchfloss“ [1] bis [4]. Bekannt geworden ist der Ort auch durch den als „Feigling von Küstrin“ benannten Oberst Friedrich von Ingersleben, der als Kommandant der Feste Küstrin von König Friedrich Brückenknoten Küstrin Michael Braun Bild 1. Die Karte aus der Mitte des 19.Jahrhunderts zeigt das östliche Ufer der Oder mit der Stadt Küstrin und ihrem Hinter- land [Sammlung Braun]

Brückenknoten Küstrin

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Wilhelm III. wider besseres Wissenauf seinem Posten belassen, der Vor-hut der von Westen anstürmendenfranzösischen Eroberer die Stadt 1806kampflos übergab. Das begleitende„Abfackeln“ der Straßenbrücke überdie Oder hatte deren Verteidigernnicht wirklich helfen können. An -schließend haben die Franzosen sieerneuert. Anderen Küstrinern, wie demspäteren Reichsbahner Rudolf Ker-ger, widerfuhr nicht die Gnade, in solche Annalen einzugehen, obwohl dieser qua seiner unbestrittenen Ver-dienste durchaus ein Kandidat gewe-sen wäre [5].

Die Folgen der Eisenbahn

Mit dem Einzug der Eisenbahn inKüstrin wurden dort ab 1857 weitereBrücken erforderlich. Die erste dieStadt berührende Eisenbahnstrecke

Küstrin, eine Stadt an der Oder

Es ist ein zumindest heute kein be-sonders bekannter Ort mehr, die 1232gegründete Stadt Küstrin an den bei-den Ufern des Oderstroms. Küstrinist eine Stadt sogar an zwei Strömen,denn die Ansiedlung erfolgte dort, wodie Warthe in die Oder mündete undsomit ein Gebilde entstand, das gleichmehrmals vom fließenden Wasserdurchschnitten wurde, was wohl fürden Zusammenhalt der Teilstädte sehrerschwerend gewesen ist. Die Datie-rung folgt der Erwerbung durch denTemplerorden. 1390 wird erstmalseine Brücke über die Oder erwähnt,auf der die spätere Reichsstraße 1 vonAachen über Berlin nach dem ost-preußischen Königsberg geleitetwurde. Es war natürlich eine Holz-brücke, die so bis 1881 bestand, bevoreine eiserne Nachfolgerin an deren

Stelle trat. Damals war die Stadtschon Festung; die Durchführung derStraße durch die Rundum-Festungs-anlagen wurde als militärisches Ri-siko angesehen und musste beson-ders geschützt werden. Eine bildlicheDarstellung der Holzbrücke von Na-gel aus dem Jahr 1780 trägt die er-klärende Unterschrift: „Die Brückebehielt immer die von Johann gege-bene Lage. Wasser, Eis und Verkehrmachten unendlich viele Reparaturennötig. 1764 meinte Petri: Die alteBrücke sei keine Reparatur mehrwert. Es wurde aber weiter repariert.Der Pfähle waren so viele, daß dasWasser schlecht durchfloss“ [1] bis[4].

Bekannt geworden ist der Ortauch durch den als „Feigling von Küstrin“ benannten Oberst Friedrichvon Ingersleben, der als Kommandantder Feste Küstrin von König Friedrich

Brückenknoten Küstrin Michael Braun

Bild 1. Die Karte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt das östliche Ufer der Oder mit der Stadt Küstrin und ihrem Hinter-land [Sammlung Braun]

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ist die sogenannte „Ostbahn“ gewe-sen, die – in staatlichem Auftrag ge-baut – nach ihrer endgültigen Fertig-stellung einmal Berlin direkt mit Kö-nigsberg verbinden sollte. Aufgrunddes gewaltigen Bauvolumens undaußerordentlich schwieriger Finan-zierung hat sich der Bau über fast20 Jahre erstreckt.

Zunächst mit nur einem Gleis er-richtet, knickte die Strecke unmittel-bar nach dem Erreichen des westli-chen Oderufers nach Süden ab undmündete bei Frankfurt an der Oder ineine schon bestehende Strecke ein.Berlin war von Osten her nun schonerreichbar, jedoch nicht auf direktemWeg. Diesem Anspruch wurde erst10 Jahre später Genüge getan. 1868mit dem dann zweigleisigen Ausbauder Ostbahn erfolgte im Grunde le-diglich eine (Ver-)Dopplung der bis-herigen Situation, nur dass die Brü -ckenzwillinge nicht wie ihre Vorgän-

ger als Gitterträger ausgebildet, son-dern Parabel-Fachwerküberbauten wa-ren. Dieses uneinheitliche Erschei-nungsbild hat über die Jahre viel Ver-stimmung hervorgerufen, war jedochals Zugeständnis an den technischenFortschritt im Brückenbau vernünf-tig. Der nahezu geradlinige Brücken-zug der Ostbahn über insgesamt vierWasserläufe hatte von Westen nachOsten gesehen folgende Gestalt: 1. über den Odervorflutkanal: 175 mlang mit 11 gleichlangen Überbauten 2. über den Oderstrom: 277 m langmit 9 gleichlangen Überbauten undeiner Drehbrücke für den Schiffs-durchlass 3. über den Warthevorflutkanal: 146 mlang mit zwei gleichlangen größerenund sechs kleineren ebenfalls gleich-langen Überbauten 4. über den Warthestrom: 196 m langmit sechs gleichlangen Überbautenzuzüglich einer Drehbrücke für den

Schiffsdurchlass alle in Schweißeisenausgeführt.

In der Summe bedeutete das an-sehnliche knapp 700 m eiserner Über-bauten, die dem damaligen Aben-teuer der Ansiedlung an den beidenWasserläufen geschuldet waren. DieBrü cken sind anschließend fast un-verändert geblieben, Straßen und Ei-senbahnbrückenzug lagen in Sicht-weite zueinander und zum KüstrinerSchloss. Im Endausbau der Eisen-bahn hat Küstrin immerhin dreiBahnhöfe besessen. Ein Modell derersten Oderbrücke mit Gitterträgernbefand sich bis Kriegsende im Ver-kehrs- und Bau museum Berlin [6].

Neubauten des 20. Jahrhunderts

Nach knapp 60 Jahren im Grundeständig steigender Beanspruchung in-folge wachsender Betriebslasten – eineVergrößerung allein des statischenAnteils um den Faktor 3 ist anzuset-zen gewesen – war eine umfassendeVerstärkung und/oder Erneuerungder Eisenbahn-Brücken ins Auge ge-fasst, wegen des 1. Weltkriegs zu -nächst jedoch zurückgestellt worden.Nach weiteren 10 Jahren Betriebszeitindes war der Erneuerungsprozess un-aufschiebbar geworden. Einen eben-solchen Austausch bei laufendem Be-trieb mit weitestgehender Beibehal-tung der Konstruktionsparameter undder Pfeilerstellung, wie dem an derOdervorflutbrücke in den Jahren1923/1924, hat man dann allerdingsfallengelassen, stattdessen einem voll-ständigen Neubau des gesamten rest-lichen Brückenzuges etwa 7 m strom-aufwärts und mit um 1,4 m (Oder),bzw. 1,93 m (Warthe) angehobener

Bild 2. Auf dieser Architekturskizze sind Ansichten der hölzernen Straßenbrücke und ihrer Teile vereint, mit einer Detail -ansicht des Klappenteils, 1842 [Sammlung Braun]

Bild 3. Dieselbe Brücke in einer zeitgenössischen Zeichnung von Nagel, ca. 1780[Sammlung Braun]

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Gradiente den Vorzug gegeben. DerVorteil des Vorgehens ist gewesen,dass damit wasserwirtschaftlich un -günstige Parameter der alten Kon-struktion insbesondere bei Hochwas-ser dauerhaft beseitigt und mit demkünftigen Wegfall der DrehbrückenWünsche der Schifffahrt berücksich-tigt wurden. Einen erstem Eindruckvon der Wucht des Oderhochwassershatte man schon 1888 gewinnen kön-nen, als ein Pfeiler um mehr als einenMeter absackte und die Eisenbahn-strecke ganze zwei Wochen lang ge-sperrt werden musste [3]. Nicht zu-

Bild 4. Der Schematische Darstellung der Eisenbahn-Brückenzüge über Oder und Warthe zeigt die prinzipielle Analogie bei-der, ca. 1868 [Sammlung Braun]

Bild 5. Schema der Gegenüberstellung von alter und neu zu bauender Brücke am Beispiel der Oderquerung durch die Eisen-bahn. Die Verhältnisse an der Warthe stellen sich vollkommen analog dar, der Brückenzug ist dort um einen Überbau ver-kürzt, ca. 1925 [Sammlung Braun]

letzt war durch den versetzten Neu-bau ein ungestörter Bauablauf ohneBehinderung des Eisenbahnverkehrsmöglich. Die entstandenen Mehr -kosten gegenüber einem Trivialaus-tausch hätte laut § 39 des Reichs-bahngesetzes die Reichswasserstra -ßenverwaltung mit einem Anteil von2,7 Millionen Mark an den gesamtenKosten in Höhe von 6 Millionen Markzu tragen gehabt, die Bauzeit wurdeauf etwa zwei Jahre veranschlagt.

Die Konstruktion der neuen Brü-ckenzüge war geplant als Halbpara-belträger mit abgeschrägten Enden

und einfachem Strebenzug mit Zwi-schengefachen, wobei das Gewichtder neuen Überbauten gegenüber de-nen von 1857 im Schnitt um 160 %,gegenüber den schon geringfügig op-timierten von 1868 um sogar 260 %erhöht war, alles in moderner Niet-Bauweise unter Verwendung der we-sentlich stärker belastbaren StahlsorteSt 48 anstelle von Schweißeisen. Ausden Zahlen ergibt sich ein nicht un-beträchtlicher Mehraufwand gegen -über dem bisherigen Zustand, ein Zu-geständnis an die enorm vergrößertenStützweiten. Andererseits muss kon-

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statiert werden, dass bis dahin inpunkto Sicherheit ein erheblichesDefizit bestand. Die Brückenüber-bauten für die Oder- und Warthe -strombrücken selbst sind nach einemBaukasten-System entworfen nahezugleich gestaltet gewesen, jeweils einelange Schifffahrtsöffnung und drei(Oder) bzw. zwei (Warthe) identischeStromöffnungen. Ein schönes Bei-spiel für wirtschaftliches Bauen. Diebisherige enge Pfeilerstellung wurdevollkommen verlassen, die Pfeileran-zahl drastisch gesenkt. Damit war zu -künftigen Eisversetzungen wirksambegegnet, der Durchflussquerschnittsignifikant erhöht. Die Brücke überden Warthe-Vorflutkanal indes ist inMassiv-Eisenbeton mit roter Back-stein-Verkleidung ausgeführt worden.

Erst Ende Juni 1925 war eine Fi-nanzierungs-Vereinbarung zwischenden Verantwortlichen der Reichsbahnund der Reichswasserstraßenverwal-tung perfekt, so dass nach der Aus-schreibung im Juli im darauffolgen-den Monat mit dem Bau begonnenwerden konnte. Zunächst hat mandie weitgestellten Pfeiler von Ostenher in üblicher Senkkastenbauweiseauf zuvor geschütteten Inseln errich-tet. Diese Phase ist im Januar 1926beendet gewesen. Die Aufmauerungder Pfeiler geschah im Schutz vonhölzernen, abgedichteten und dannausgepumpten Kästen. Die Hoch-führung der Widerlager war ebenfallsunauffällig. Für die Aufstellung derEisenteile dienten auf gerammtenHolzjochen befestigte Rüstungen. Un-mittelbar nach jeder Brückeninbe-triebnahme hat man die Altüberbau-ten beseitigt. Bemerkenswert ist dieAbbruchtechnologie für die altenPfeiler unter Zuhilfenahme der „Tüb-ben-Lindemannschen Sprengpumpe“gewesen. Dieses Gerät konnte das Mauerwerk mit Wasserdruck von biszu 800 Atmosphären elegant in trans-portgerechte Stücke auseinander-drücken.

Inklusive Abbruch der Altbautenwaren die Arbeiten im Dezember 1926abgeschlossen, ausführende Firmenfür die Stahlarbeiten sind gewesen:Beuchelt & Co., Grünberg/Schl.,Druckenmüller, Berlin, Steffens &Nölle, Berlin, Hein, Lehmann & Co.,Berlin, sowie Brass & Hertslet, Ber-lin. Tiefbau- und Betonarbeiten lagenin den Händen von Philip Holzmann,Grün & Bilfinger sowie Hamann. Die

Bild 7. Alte (links) und neue Eisenbahnbrücke über die Oder im Blick von Westen.Schön zu erkennen die damalige filigrane Gitterkonstruktion im Kontrast zumwuchtigen Fachwerk, 1926 [Sammlung Braun]

Bild 8. Die gleiche Situation von Nordost her gesehen. Die alte Brücke ist teil-weise schon demontiert, 1926 [Sammlung Braun]

Bild 6. Ein Blick von Westen in die Öffnungen der neuen 80-m-Überbauten derEisenbahnbrücke über die Oder, 1926 [Sammlung Braun]

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Firma Brass und Hertslet schoss denVogel ab, indem sie das von ihr zu lie-fernde Brückenteil zunächst für dieVerstärkung der nahegelegenen undzeitgleich zu Küstrin verstärkten Oder -brücke bei Frankfurt/Oder benutzteund erst dann endgültig verbaute.

Nach der Erneuerung hat dasBrückenkonvolut viele Jahre lang an-standslos seinen Zwecke erfüllt, im-merhin rollten im Grunde bis zumEnde des 2. Weltkrieges darüber vieleSchnellzüge, darunter sämtliche insferne Königsberg, und insbesondereGüterzüge weiter bis an die russischeGrenze. Es ist davon auszugehen,dass der militärische Aufmarsch derWehrmacht im 2. Weltkrieg auchüber ebendiese Linie erfolgt ist [6] bis[9].

Krieg und Niedergang

Bei ihrem Rückzug in westliche Rich-tung hatten die deutschen Truppengetreu der Vorgabe der „verbranntenErde“ bis zum März 1945 bereitszwölf Brücken über die Oder hintersich zerstört. Ihnen folgten die Brü -cken bei Küstrin am 28. und 29. März1945. Den nachrückenden Russenfielen nur noch Trümmer in dieHände, und es blieb ihnen nicht er-spart, mit zusätzlichen Pontonbrü -cken den Nachschub für ihren Vor-stoß Richtung Berlin zu organisieren.Dann begann ein kurzes Kapitel desEndkampfes, das heute noch vielfachunbekannt ist. Sogenannte Selbstop-ferungseinsätze fanatischer Nazipilo-ten mit an Sprengstoff vollgepacktenFlugzeugen sollten die Gegner vomSturmangriff auf Berlin abhalten. Am16. und 17. April 1945 stürzten sichca. 50 solcher Kamikaze-Flieger u. a.auf Küstrin. Mit dabei der Oberleut-nant Baumann in einer Ju 88 inklu-sive vier Tonnen Sprengstoff. 17 Brü -cken, darunter die Pontonbrücken,lagen anschließend in Trümmern, einegrauenvolle Bilanz [10]. Einer ande-ren Quelle ist zu entnehmen, dass dieDeutschen auch die Warthebrückengesprengt hatten. Am Verlauf desKrieges änderte das nichts. Die Oder-brücken wurden nach jeder Beschä-digung eben wegen ihrer enormen mi-litärischen Bedeutung in Rekordzeitrepariert, am 24. April waren die Rus-sen mit der Eisenbahn in Berlin ange-kommen, der Krieg war eine Wochespäter zu Ende [11].

Bild 9. Die Abbrucharbeiten an den Altüberbauten laufen, deutlich zu sehen istder [Sammlung Braun]

Bild 10. Ebenfalls eine Szene von der Oder mit teilabgebrochenener Altbrücke,1926 [Sammlung Braun]

Bild 11. Das Bild zeigt einen Zwischenzustand beim Umbau der Eisenbahnbrückeüber die Warthe. Links der alte, noch befahrene Überbau, daneben die Neukon-struktion mit den Montage-Kränen von Westen gesehen, 1926 (vgl. Bild 7) [HS DB AG]

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Stromöffnungen, die an das deutscheUfer anschlossen, waren Total-Ver-lust, ebenso mindestens einer der kur-zen Vorland-Überbauten; mindestensein Pfeiler war stark beschädigt, dieStromöffnungen sind teilweise ge -hoben und zum Erhalt einer Schiff-fahrtsöffnung zerschnitten, die Resteauf Behelfspfeiler gesetzt worden; Vor-flutbrücke vollständig zerstört und imWasser liegend, Überbauten jedochrelativ unbeschädigt 2. Straßenbrücke: total gesprengt undauf Grund gesetzt, von den sechsHalbparabelüberbauten mit unten -liegender Fahrbahn über den Oder-strom war nur der westlichste relativunbeschädigt geblieben, ein weiter öst-lich gelegener stark beschädigt; die bei-den verbliebenen mussten als Quasi-Totalverlust bezeichnet werden, wa-ren aber noch vorhanden.

Überhaupt keine Informationenexistieren bislang über den Zustandund eventuell erforderliche Reparatur -arbeiten am östlichen Teil der nun zugut 60 % in Polen liegenden Brücken-züge u. a. der über die Warthe. Es istaber davon auszugehen, dass die rus-sische Siegermacht sowohl den Eisen-bahn- als auch den Straßenverkehrs-zug mit pioniermäßigen Holzbehelfs-brücken ständig in Betrieb gehaltenhat. Dafür waren beide Adern in mi-litärstrategischer Beziehung einfachviel zu wichtig, als dass man dort eineauch nur zeitweise Sperrung hättehinnehmen können. Dafür spricht,dass 1. die beiden sehr stark zerstör-ten Gleise Richtung Berlin sofort wie-der repariert wurden, 2. Anstrengun-gen auf dem Verordnungswege aus-gelöst wurden, den Bahnhof auf demWestufer neu zu errichten und 3.selbst die provisorischen russischenHolzbehelfe in den strikten Hoch-wasser- und Eisschutz einbezogen

Bild 12. Die in Stein gemauerte Warthevorflutbrücke ist eine Ausnahme unterden Brücken aus Stahl in Küstrin, 1925 [Sammlung Braun]

Bei Kriegsende hatten sich aufdem Oder-Ostufer beträchtliche Mas-sen von entwurzelten und westwärtsströmenden Menschen gestaut. Siegerieten dort in eine äußerst unüber-sichtliche Kampfsituation. Aufgrundder verstopften Verkehrswege war ih-nen allen ein Entkommen aus derFalle zunächst verwehrt [12].

Aufgrund der faktischen Installa-tion der Oder-Neiße-Linie als deut-scher Ostgrenze nach dem Abschlussder Potsdamer Tagung der Sieger-mächte lag mit Wirkung vom 2. Au-gust 1945 die Grenzlinie zu Polen inder Oder-Flussmitte, das hieß, dass nurder westlichste Strom-Überbau voll-

ständig zu Deutschland gehörte. DerVorflutkanal und die Brücken darüberhingegen verblieben vollständig aufdeutschem Territorium. Entsprechendgelagert war die damit verbundenestaatliche Verantwortlichkeit.

Das Schadensbild an den Brü -cken nach dem Ende der Kampfhand-lungen kann anhand nachgerade spär-lichster Berichte nur sehr grob be-schrieben werden und sah auf deut-scher Seite in etwa folgendermaßenaus: 1. Eisenbahnbrücke: beide Brücken-züge gesprengt und nach Luftaufnah-men vollständig im Wasser liegend;die beiden 80-m-Überbauten in den

Bild 13. Werbeanzeige der FirmaDruckenmüller, 1930-er Jahre (nachFusion mit Krupp) [Sammlung Braun]

Bild 14. Bei einem Blick aus dem Zug Richtung Berlin bekam man dieses Panorama mit dem Küstriner Schloss und der Straßenbrücke zu sehen, ca. 1935[Sammlung Braun]

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waren, was bei extremen Wetterlageneine 24-Stunden-Rundumbewachungbedeutete [13].

Einen zivilen Eisenbahn-Perso-nenverkehr sollte es jedoch in dendarauffolgenden 45 Jahren nicht mehrgeben. So dienten die Brücken undGleise nur noch dem Militär und demGüterverkehr.

Neubeginn

Gegen Ende des Jahres 1946 dann ist von der Reichsbahn in der damali-gen sowjetischen BesatzungszoneDeutschlands (SBZ) mit der Wieder-herstellung der Eisenbahnbrücke überdie Oder begonnen worden, nachdemper Befehl 21/260 der Besatzungs-macht Brücken zukünftig nicht mehrvon russischen Pioniertruppen wie-derherzustellen waren. Der Bauplatzbefand sich im wahrsten Sinne in einem „Zonenrandgebiet“, an einerzu dem außerordentlich sensiblen

Stelle der ohnehin hochgradig abge-schirmten neuen Grenze nach Polen.Man muss wissen, dass der GrenzflussOder hier zwischen dem polnischenFestland am östlichen Ufer und derdeutschen Oderinsel am westlichenUfer verläuft. Eigentlich war diesesUfer nur quasi-deutsch, denn die ge-samte Insel war sofort nach Kriegs-ende von der Besatzungsmacht aufDauer vereinnahmt und zum militäri-sches Sondergebiet innerhalb derSBZ erklärt worden, womit wohl einelückenlose Kontrolle des Grenzregi-mes auf der Eisenbahn und der nurwenige Meter davon entfernten Straßeangestrebt worden war, eines Grenz-verkehrs, dessen Hauptinhaltzunächst unbestreitbar die Abwick-lung der umfangreichen Reparati-onstransporte als auch der Truppen-Demobilisierung von der SBZ Rich-tung russische Grenze gewesen ist.Das bedeutete: Zugang für deutscheStaatsbürger eher unerwünscht.

Kennzeichen der nach demKriegsende entstandenen Staatenge-bilde unter sowjetischem Einfluss, ein-schließlich des östlichen Deutsch-lands, war es ja bekanntlich, dass siesich – allen lauten Beteuerungen derunverbrüchlichen Freundschaft zumTrotz – so gegeneinander abgrenzten,wie man es vor diesem schrecklichenKrieg nicht für möglich gehaltenhätte. Dementsprechend spärlich ge-rieten die Informationen ins Hinter-land. Lediglich zwei kleinere Passa-gen zur Brückenreparatur in der derStaatspartei nahestehenden „BerlinerZeitung“ hatten das Ereignis zum In-halt. So ist zunächst das 80 m lange,gesprengt gewesene Brückenteil indem Gleisstrang Deutschland–Polen –angeblich auf direkten Befehl vonStalin – in einem 5 1/2-monatigenBauvorgang unter Mitwirkung derBaufirma Mast gegen ein ebenso lan-ges Behelfsbrückenteil, ein sogenann-tes R-Brückengerät, getauscht, der an-dere Gleisstrang aber zunächst im be-schädigten Zustand belassen worden.Umso merkwürdiger klang dann dieBildunterschrift der offiziellen Bild -agentur ADN, die auf die Wiederher-stellung eines zukünftig freien, un -gestörten West-Ost-Verkehrs abhob.Am 27. Februar 1947 hatte die Probe-belastung stattgefunden, und immer-hin konnte der in Rede stehende Brü -ckenteil mit Anschluss an die Über -leitung zu der bisher befahrenen Holz-behelfsbrücke nach der Verkehrsfrei-gabe am 3. März 1947 mit 30 km/hbefahren werden. Die Einweihung istin überaus festlichem Rahmen erfolgt,Vertreter der zuständigen Behördenund der brandenburgischen Landes-regierung waren zugegen, ein verwa-schenes Pressefoto zeigt zudem rus -sische Militärs, Fahnenschmuck undein reichlich dimensioniertes Schildam oberen Querträger mit der Auf-schrift „Nie wieder Krieg“. Ein Son-derzug befuhr anschließend das Bau-werk Richtung Osten, die polnischeDelegation stieg aber erst auf ihrem„Hoheitsgebiet“ zu. Es kann vermutetwerden, dass die hölzernen Behelfs-brücken anschließend überflüssig ge-worden waren [14], [15]. Für den inder Direktion Berlin zuständigen Brü-ckendezernenten der Reichsbahn LaBaume war seinerzeit das Bauvorha-ben in Küstrin im Grunde banal; der-artige Reparaturen in der SBZ warennicht eben unüblich. Gerade im Jahr

Bild 15. Revers von Schloss aus gesehen dieselbe Szenerie zeichnerisch darge-stellt [Sammlung Braun]

Bild 16. Westkopf der Oderbrücke im März 1945 [Sammlung Braun]

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1947 häuften sich mit zunehmenderStabilisierung auch der wirtschaft -lichen Verhältnisse erfreulicherweiseBrückenwiederherstellungen, in vie-len Fällen mit Brückengeräten, dieeine ca. 15-jährige Lebensdauer zu er -reichen versprachen. Im Sommer 1948erst ist dann nach heftiger Kritik derRussen mit dem Anstrich der Brückebegonnen worden [16].

Ebenfalls etwa 1946 ist die Wie-derherstellung der zerstörten Straßen-brücke von der „Verwaltung der Mili -tärischen Wiederherstellungsarbeiten“angegangen worden. Unter Federfüh -rung des in Berlin-Oberschöneweideansässigen russischen Baustabs 103im Truppenteil 41757 von Oberst Gol-lub haben zunächst zwei relativ un -bekannte Charlottenburger Baufirmenden Kraftakt versucht, aus dem Chaoswieder eine belastbare Oderquerungherzustellen. Mit Stand Jahresende1946, wo die Berichterstattung vorerstendete, war geplant gewesen, aus denResten zweier beschädigter Überbau-ten einen verwendbaren zu zimmern.Ein Kontingent Stahl für die dannnoch verbleibende Lücke war nicht inSicht. Ihre liebe Not hatten die Bau-leiter mit der Sicherstellung der Ar-beitskräfte. So wurde auf strikte An-weisung der Russen zwar zweischich-tig und auch bei Frost gearbeitet, eindeutlicher Baufortschritt indes schiensich nicht einzustellen. Die verblei-benden Probleme ließen deshalb eine

baldige Fertigstellung leider nicht er-warten. Eine Fortschreibung der An-gelegenheit gab es dann erst mit demlegendären Sowjetbefehl Nr. 40 zur„kapitalen Wiederherstellung“ einigerausgewählter Straßenbrücken ab demFrühjahr 1947. Offenbar hatten dieBefehlsgeber inzwischen die Pferdegewechselt und die u. a. im Unter-grundbahnbau ausgewiesene BerlinerBaufirma Habermann & Guckes da -für in die Pflicht genommen. Zuzüg-lich eines angemessenen Planungs-zeitraums ist dann im Herbst 1947anstelle dreier vormaliger Stahlüber-bauten ein von der Siemens Bauunionentworfener Stahlbetonhohlkasten mitdem Rastermaß 41,2 m vom östlichenUfer her erstellt worden. Trotz Ver -zögerungen infolge aufgekommenerwidrigster Witterung sind die Beto-nierungsarbeiten zufriedenstellend ver-laufen. Die militärische Probebelas -tung des Bauwerks indes konnte we-gen Unpäßlichkeit des vorgesehenenPanzers Mitte Februar 1948 nichtstattfinden. Zusammen mit zwei ver-bliebenen Stahlbrücken und einemvon der Reichsbahn entliehenen RW-Gerät am westlichen Ende konnte soder Strom vollständig und zunächstauf Dauer überquert werden. AllesHolz von der bislang benutzten Not-brücke und von der seit Januar 1949überflüssigen Schalung ist anschlie -ßend zur Weiterverwendung nachFrankfurt (Oder) abgefahren worden,

später hat man auch die restlichenSpundwände beseitigt. Über weitereAktivitäten legte sich dann für 45 Jahredie Starre des kalten Kriegs [17].

Normalisierung der Verhältnisse

Nach der Besiegelung eines „Freund-schaftsvertrags“ zwischen den Regie-rungen der DDR und Polens im Jahre1950 bekamen die zwischenstaatlichenBeziehungen eine definierte Grund-lage. Ganz schnell schossen dann auchFreundschaftsbeziehungen nachgeord-neter Verwaltungen ins Kraut, darun-ter auch der Reichsbahn und der pol-nischen Bahn. Vertreter beider wach-ten alsdann zu beiden Seiten der Küs-triner Oderbrücke über eine pünktli-che und ordnungsgemäße Übergabeder Eisenbahnzüge, mit denen zu jenerZeit schon deutsch-polnischer Waren-austausch praktiziert wurde [18].

Ab dem Jahr 1951 ist die vollstän -dig zweigleisige Wiederherstellungdes auf deutscher Seite gelegenenTeils des Brückenzuges dokumen-tiert. Interessant und zugleich sym-ptomatisch dabei bleibt, dass zuReparaturzwe cken mangels ausrei-chenden Stahlaufkommens Überbau-ten von für den Eisenbahnverkehr ananderer Stelle aufgegebenen Brückeneingesetzt wur den. Begonnen wor-den ist an der Odervorflutbrücke, woschon im August 1952 zwei von vor-mals drei Brückensträngen wieder-

Bild 17. Skizzenbild des Brückenzustands nach dem Kriegsende. Der von links (Westen) gesehen erste und der dritte Über-bau mussten ersetzt werden [Sammlung Braun]

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hergestellt waren. Für den dritten hatman aus Teilen der Kloer-Brücke beiBarth durch intelligentes Umformenelf pas sende Überbauten gewinnenkönnen.

Auch für die Reparatur der Strom-brücke sind leider keine lückenlosenUnterlagen überliefert. Bekannt ge-worden sind dagegen die ausführen-den Firmen. Die in Dessau ansässigeCarl Köckert Stahlbau war zum 1. Ja-nuar 1953 von der Reichsbahn alsStahlbau Dessau übernommen wor-

den, um u. a. „aus diesem rückschritt-lichen Privatbetrieb einen modernensozialistischen Betrieb zu schaffen“.Eine ihrer ersten Aufgabe sollten dieWiederherstellung des 80-m-Überbausin genietetem Fachwerk (475 t) zu-sammen mit der Firma ABUS (Säch-sischer Brücken- und Stahlhochbau)in Dresden im Gleis Polen–Deutsch -land und der Einbau eines Brücken-teils aus Karnin werden (Auftrag600005-8). Von der dortigen Peene-brücke war ein Überbau noch ein-

satzbereit und soll zu diesem Zweckper Schiffstransport auf dem Oder-strom an seinen zukünftigen Verwen-dungsort gelangt sein. Dieses Teilhatte eine ähnliche Gestalt wie die -jenigen in Küstrin, musste aber demneuen Verwendungszweck angepasstund von ursprünglich ca. 62 m Stütz -weite auf 54 m gekürzt werden, derZustand bleibt für den geübten Be-trachter so bis heute evident.

Dabei hatte man dort nochGlück gehabt. Die Demontage derKarniner Brückenrest war im Juli 1950nämlich von zwei ortsansässigen Fir-men derart brachial angegangen wor-den, dass nur durch Intervention derGeneraldirektion! für Kraftverkehrund Straßenwesen ein größerer Kol-lateralschaden verhindert werdenkonnte.

Wenig später ist das Brücken-gerät von 1947 im Gegengleis gegeneinen genieteten dauerhaften Über-bau nach dem Muster desjenigen vonABUS ausgetauscht worden. Bei bei-den war die bisherige Halb-Parabel-form beibehalten worden, der obereQuerträger im Eingangsportal indeswar nun gerade, statt vorher gerundet.Weiterhin beteiligt an den Umbau -arbeiten war die Firma Beuchelt/Kön-nern (Auftrag B 464).

Die Vorarbeiten dazu begannen1953 mit der Formulierung einesBau programms unter der Ägide einer

Bild 18. Auf dieser Skizze sind die Eisenbahnbrücke als auch die parallele Straßen-brücke im Zustand von 1948 dargestellt. Beide abgängige Brückenzüge wurdennach der Kriegszerstörung inzwischen mit Behelfsüberbauten ergänzt [Sammlung Braun]

Bild 19. Die Linie der neuen Grenze durchschnitt den Überbau 2. Dort fand in der ersten Zeit nach dem Krieg eine Kontrolleder Züge statt [Sammlung Braun]

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Ober bauleitung des Reichsbahnamts7 in Frankfurt/Oder, die Fertigung beider Firma Beuchelt in Könnern/Saaleund der anschließende Einbau zogensich aber hin und dürften erst 1955abgeschlossen gewesen sein. Die ge-samten Kosten sollen 1,2 Mio. Markbetragen haben, wovon auf die eigent-liche Fertigung 712000 Mark (1954)und den Einbau sowie Nebenarbeiten485000 Mark (1955) entfielen. Damitwaren die Wiederherstellungsarbei-ten be endet. Nach dem Frühjahr1953 war per bilateralem Überein-kommen mit Polen der deutschenSeite die endgültige Wiederherstel-lung übrigens dezidiert zur Pflicht ge-

macht, die Erfüllung permanent ab-gefragt worden.

Die politischen Verhältnisse er-laubten wohl eine weitergehende Pu-blizierung der Ergebnisse solcher Bau-vorhaben politisch sensiblen Ortennicht, wie die Unterlagen dazu dergrößtmöglichen Geheimhaltung un-terworfen waren. Mehrmals sind injenen Jahren Fach-Autoren für ihreangeblich zu großzügige inhaltlicheDarstellung solcher sensibler Vor -haben zurechtgewiesen worden. Der„Klassenfeind“ war eben allgegenwär-tig. Ein damals verbreitetes Gedichtsoll die Atmosphäre der einfach ge-strickten Wahrheiten verdeutlichen:

Brückenbauer stehn auf WachtWir stehn auf Wacht bei Tag undNachtWir bauen auf wir sind bereit Jeder Hammerschlag bei Nacht undTag Gilt nur der neuen besseren Zeit. ……Wir Brückenbauer stehen bei Tag undNacht Für den Aufbau des Sozialismus aufWacht!

Gern erzählte man sich aber auch dieGeschichte von zwei sich begegnen-den Hunden, die auf der Oderbrückeeinander nach dem Warum für ihreRichtung fragen. Hund 1: „Warumwillst du denn in die DDR?“, Hund 2:„Damit ich mich sattfressen kann,und warum du nach Polen?“, „Damitich einmal richtig bellen kann“. Demwar jedoch zumindest in Küstrin einRiegel vorgeschoben. Bei der allge-meinen Grenzöffnung zwischen derDDR und Polen an Neujahr 1972 warKüstrin als Übergang dezidiert ausge-nommen [13], [19] bis [22].

Aufbruch

Seit 1991 gibt es in Küstrin wieder grenzüberschreitenden Personenver-kehr mit der Eisenbahn. Als ein Jahrspäter auch die Straße benutzbar war,konnten viele Deutsche erstmals se-hen, wie sich die legendäre Trasse imOderbereich seit 1948 noch nahezuun verändert darstellte. Hier bestehtalso noch kräftiger Modernisierungs-bedarf.

Auf der Eisenbahn ist seither einStück Normalität eingekehrt, mo-derne Triebwagen der Oderlandbahnhaben die betagten Garnituren derDB AG abgelöst und bringen dieNachbarn einander näher.

Im Verlauf des Jahres 2008 wurdedie Ostbahn mit deutlichem Zusatz-verkehr beaufschlagt. Grund war dies-mal der Neubau der Oderüberquerungder nahezu parallel dazu südlich ver-laufenden Bahnstrecke Berlin–Frank-furt(Oder)–Posen (Poznan). Wie ver-lautet, haben die Küstriner Brückendiese Prüfung bestanden, allerdingsherrscht dort Langsamfahrgebot. Zu-mindest mittelfristig wird man auchhier an eine Erneuerung denken müs-sen, sicherheitshalber ist der Bestandschon mal dokumentiert, für die Teilewird eine Restnutzung von mindes -

Bild 21. Neue Freiheit im Personenverkehr nach Polen. Jeder darf auch auf dieOderbrücke 2007. Viel Rost hat sich dort angesammelt, der Karniner Brückenteilist insbesondere am anders ausgeführten Obergurt (Pfeil) gut auszumachen[Sammlung Braun]

Bild 20. Die Brücke im Jahre 1998. Die Überbauten 2 und 4 stammen aus derVorkriegszeit. Überbauten 1 und 3 sind neu, davon ist 3 das „Kuckuckskind“ ausKarnin [Sammlung Braun]

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Berichte

tens 15 Jahren prognostiziert, so dassab Dezember 2008 auch ein interna-tionaler Fernzug ohne Probleme inKüstrin die Oder passieren kann.

Voraussetzung für den Brücken-bau bei Frankfurt war bekanntlich einam 26. Februar 2008 mit Polen ge-schlossenes Regierungsabkommen.Demnach übernimmt „Deutschlandkünftig die Verantwortung für dieOder-Brücken bei Frankfurt (Oder),Küstrin und Neurüdnitz sowie fürzwei Neiße-Brücken“ – eine gute Ba-sis auch für die Verkehrsplanung inKüstrin [20], [23].

Das Verhältnis der beiden Küs -trin-Teilstädte ist derzeit geprägt vonTurbulenzen um die Streckenführungeiner neuen Straßenquerung über dieOder, beide Seiten haben da wohlnoch Gesprächsbedarf. Während diepolnische Neustadt sich vom Ballastvergangener Zeiten befreien möchteund mit einem regelmäßigen Musik-festival punktet, begeht man immer-hin die Festungstage schon zusam-men [24].

Derweil wird Küstrin aber auchdeutlich interessanter und auch be-kannter. Nicht zuletzt wegen der aufdeutscher Seite im Ortsteil Kietzschon seit den 1970-er Jahren be-kannten Erdölvorkommen. Die sindzwar zugegebenermaßen bescheiden,in Zeiten hoher Preise jedoch allemalwillkommen [25].

Literatur

[1] Juon, R. (Hrsg.): Küstrin 1232–1932.Frankfurt (Oder)/Berlin. 1932, S. 7,15,24, 25,78, 79, 90.

[2] Hinze, K.: Das 700-jährige Küstrin –Stadt an zwei Strömen. Küstrin 1932.

[3] Kriebel, Fr. K.: Wir von der Weichselund Warthe. Küstrin=Neudamm, 1934,s. auch: Küstrin, die Stadt an Oder undWarthe. Berlin, 1982, S. 27, 51.

[4] Ministerium der Finanzen und desHandels (Hrsg.): Bauausführungen despreussischen Staats. Berlin, 1842, Bl. 39,40.

[5] Schmarsow, F.: Der Feigling von Küs-trin. In: Brandenburger Blätter (Bei-lage zur Märkischen Oderzeitung) vom25. April 2005, s. auch: Braun, M.: Ru-dolf Kerger, ein Mann der ersten Stundein Berlin. In: Eisenbahningenieur 57(2006), Nr. 3, S. 46–7.

[6] Kado: Die Erneuerung der Ostbahn-brücken über Oder und Warthe bei Cüstrin. In: Die Bautechnik 5 (1927),Nr. 39, S. 533–46 vom 6. September1927, s. auch : Archiv DTMB, I.FA 56,Nr. 276, s. auch: Die Reichsbahn 11(1935) Sonderheft vom 14. Juli 1935,S. 136, Verkehrs- und Baumuseum Ber-lin: Amtlicher Führer durch die Samm-lungen. Berlin, 1941, S. 57, zu den Warthebrücken besonders s. Fizky, W.:Auch die Küstriner Warthebrücke hatihre Geschichte. In: Märkische Zei-tung 59 (2008), Nr. 11.

[7] anon.: Erneuerung der Oder- undWarthebrücken im Zuge der Ostbahnbei Cüstrin. In: Die Reichsbahn 1(1925), Nr. 30, S. 24.

[8] anon.: Brückenneubauten auf derOstbahn. In: Zeitung des Vereins deut-scher Eisenbahnverwaltungen 65 (1925),Nr. 33, S. 943 vom 13. August 1925.

[9] Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft:Ingenieurbauten der Deutschen Reichs-bahn-Gesellschaft. Berlin, 1928, S. 18,58, s. auch: Karig, J.: Neuere Stahlbrü -cken der Deutschen Reichsbahn Ge-sellschaft. Berlin, 1934, S. 122, 218–20.

[10] Thrams, H.: Küstrin 1945. Berlin,1992, S. 120, 135, s. auch: ARTE: Dasletzte Aufgebot. Fernsehdoku, 16. Juli2000, Krause, E. H.: Totentanz im Oder-land. Stegen, 2008, S. 296–301, die Mär-kische Oderzeitung vom 15./16. April2000 zum Thema nennt nachweislichfalsche Fakten.

[11] Märkische Oderzeitung vom 3. Sep-tember 2003, s. auch: Kwirikaschwili,S.: Der erste Zug in Lichtenberg. In:Fahrt Frei 17 (1965), nr. 17, S. 3.

[12] Ast, J., Mauersberger, K.: Zweite Hei-mat Brandenburg. Berlin, 200, S. 31, 37,s. auch: Bundesarchiv Berlin, BestandDM 1, Nr. 28.

[13] Bundesarchiv Berlin, Bestand DM 1,Nr. 3216, 26, 45, 1972, 3900, 73.

[14] Braun, M.: Eisenbahnbehelfsbrü -cken, eine Fußnote der Deutschen Bah-

nen. In: Bautechnik 83 (2006), H. 3,S. 214–23, insbes. S. 222.

[15] Berliner Zeitung vom 6. Februarund vom 5. März 1947, MärkischeVolksstimme vom 5. März 1947, s.auch: Bundesarchiv Berlin, BestandDM 1, Nr. 26, 83, 1840, 1864, Matz-nick, H.: Überblick der Entwicklungdes Reichs bahndirektionsbezirks Ber-lin 1945–1955. Berlin, 1987, S. 37.

[16] anon.: Personalnachrichten. In: DieBautechnik 24 (1947), Nr. 3, S. 71, s.auch: Landesarchiv Berlin, RepositurC 309, Nr. 3848.

[17] Bundesarchiv Berlin, Bestand DM 1,Nr. 73, 30012, 3561, 30228, 30180.

[18] Gensicke: Die Rbd Berlin ergriff dieInitiative. In: Mitteilungsblatt der Deut-schen Reichsbahn 3 (1952), Nr. 9.

[19] Bundesarchiv Berlin, Bestand DM 1,Nr. 3126, 3216, 1864, 1201.

[20] Henke, D.: 20 Jahre DR-StahlbauDessau als sozialistischer Betrieb. In:Signal und Schiene 17 (1973), Nr. 3,S. 95–100, s. auch Brückenarchiv derDeutschen Bahn AG, Akte Nr. 6078.

[21] Mitteilungsblatt der DeutschenReichsbahn 4 (1953), Nr. 2, s. auchHeidel: Brückenbauer stehn auf Wacht.In: Fahrt Frei 5 (1953), Nr. 8, S. 12.

[22] Gelling, O.: Pläne von Brücken fürden E-Fall. In: Bauplanung und Bau-technik 9 (1955), Nr. 1, S. 2, s. auch.Clough, P.: Aachen–Berlin–Königsberg.München, 2007, S. 153, Jajesniak-Quast,D., Stoklosa, K.: Geteilte Städte an Oderund Neiße. Berlin, 2000, S. 80.

[23] Märkische Oderzeitung vom 17. Ja-nuar und 4. Juli 2008 sowie vom24. September 2009, s. auch: DB Welt(2008), April, Welt am Sonntag vom16. November 2008.

[24] Märkische Oderzeitung vom 9. Au-gust, vom 6. und 7. November 2007und vom 26./27. April 2008.

[25] Berliner Zeitung vom 5./6. Juli 2008,s. auch: Rath, I.: Braunes Gold ausdem Oderbruch. In: Märkisch Oder-land Jahrbuch 2004, 11 (2005), S. 43–4.

Autor dieses Beitrages:Dr. Michael Braun, Fuchsbau 21, 15366 Hönow