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Aristoteles-Rezeption und Entstehung einer syrischen Scholastik Peter Bruns 1. Kirchenväter und Scholastik- Nachwirkung eines Klischees Das Wort "Scholastiker" hat in der Theologiegeschichte vielfach einen negativen Klang. Als Sprachrohr für die unterschwellige Aversion gegen diesen Begriff und die damit gemeinte Sache mag eine Äußerung des Dogmengeschichtlers Gustav Krüger dienen, der in seiner Studie über "Das Dogma von der Dreieinigkeit und Gottmenschheit" (Tübingen 1905, 259) folgendes konstatiert: "Für uns Heutige hat der Name Scholastiker keinen guten Klang. Wenn wir von einem Gelehrten, zumal von einem Theologen, wissen oder zu wissen meinen, daß er, ohne die Probleme der Gegenwart lebensvoll zu erfassen, unter dem Druck einer autoritativ wirkenden Vergangenheit mit abgestandener Methode einen abgestandenen Inhalt vergeblich zu beleuchten versucht, so nennen wir ihn einen Scholastiker." Das Klischee von der "abgestandenen" Scholastik durchzieht die historische Forschung des 19. wie des 20. Jahrhunderts. Auch die Patrologie zeigt sich von solcher Polemik nicht unberührt. Noch Hans Campenhausen ließ in seiner beachtenswerten Studie über die griechischen Kirchenväter die Epoche der "Kirchenväter" am Vorabend des Konzils von Chalkedon mit der Begründung zu Ende gehen, daß seit dem fünften Jahrhundert die Methode und kirchliche Stellung der Theologie "scholastisch" geworden sei, was für ihn soviel bedeutet wie: die Autorität der alten, der Vergangenheit zugehörigen Kirchenväter (S. l lf) habe in der Kirche mehr und mehr die Vollmacht und die geistige Eigenverantwortung des gegenwärtigen Lehrers überschattet. 1 Zwar werden Männer wie Maximus Confessor und auch Johannes von Damaskus noch im Nachwort 2 erwähnt, doch wird im gleichen Atemzug ironisch vermerkt, die "Väter" seien so heilig geworden, daß sie zuletzt keine Söhne mehr zeugen konnten. 3 Dahinter steht die im lateinischen Westen nicht selten verbreitete Vorstellung, die Synode von Chalkedon markiere den Abschluß der Christologie, und was ihr folge, sei im letzten Epilog und daher nicht mehr von Belang für die Vätertheologie. 4 Die Patristik sei mit Cyrill von Alexandrien zu Ende, die ursprünglich flüssige Gestalt der Überlieferung sei nunmehr zu einer festen Doktrin geronnen, die Lebendigkeit der Frühzeit damit erschöpft. Für das 5. und 6. Jahrhundert nämlich konstatiert 1 Vgl. Campenhausen, Griechische Kirchenväter 11 f. 2 Vgl. Campenhausen, Griechische Kirchenväter 165-169. 3 Vgl. Campenhausen, Griechische Kirchenväter 169. 4 Vgl. Campenhausen, Griechische Kirchenväter 168.

Bruns, P., “Aristoteles-Rezeption und Entstehung einer syrischen Scholastik,” in: P. Bruns (ed.), Von Athen nach Bagdad. Zur Rezeption griechischer Philosophie von der Spätantike

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Greek philosophy, Aristotle

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  • Aristoteles-Rezeption und Entstehung einer syrischen Scholastik

    Peter Bruns

    1. Kirchenvter und Scholastik- Nachwirkung eines Klischees

    Das Wort "Scholastiker" hat in der Theologiegeschichte vielfach einen negativen Klang. Als Sprachrohr fr die unterschwellige Aversion gegen diesen Begriff und die damit gemeinte Sache mag eine uerung des Dogmengeschichtlers Gustav Krger dienen, der in seiner Studie ber "Das Dogma von der Dreieinigkeit und Gottmenschheit" (Tbingen 1905, 259) folgendes konstatiert: "Fr uns Heutige hat der Name Scholastiker keinen guten Klang. Wenn wir von einem Gelehrten, zumal von einem Theologen, wissen oder zu wissen meinen, da er, ohne die Probleme der Gegenwart lebensvoll zu erfassen, unter dem Druck einer autoritativ wirkenden Vergangenheit mit abgestandener Methode einen abgestandenen Inhalt vergeblich zu beleuchten versucht, so nennen wir ihn einen Scholastiker."

    Das Klischee von der "abgestandenen" Scholastik durchzieht die historische Forschung des 19. wie des 20. Jahrhunderts. Auch die Patrologie zeigt sich von solcher Polemik nicht unberhrt. Noch Hans Campenhausen lie in seiner beachtenswerten Studie ber die griechischen Kirchenvter die Epoche der "Kirchenvter" am Vorabend des Konzils von Chalkedon mit der Begrndung zu Ende gehen, da seit dem fnften Jahrhundert die Methode und kirchliche Stellung der Theologie "scholastisch" geworden sei, was fr ihn soviel bedeutet wie: die Autoritt der alten, der Vergangenheit zugehrigen Kirchenvter (S. l lf) habe in der Kirche mehr und mehr die Vollmacht und die geistige Eigenverantwortung des gegenwrtigen Lehrers berschattet. 1 Zwar werden Mnner wie Maximus Confessor und auch Johannes von Damaskus noch im Nachwort2 erwhnt, doch wird im gleichen Atemzug ironisch vermerkt, die "Vter" seien so heilig geworden, da sie zuletzt keine Shne mehr zeugen konnten.3 Dahinter steht die im lateinischen Westen nicht selten verbreitete Vorstellung, die Synode von Chalkedon markiere den Abschlu der Christologie, und was ihr folge, sei im letzten Epilog und daher nicht mehr von Belang fr die Vtertheologie.4 Die Patristik sei mit Cyrill von Alexandrien zu Ende, die ursprnglich flssige Gestalt der berlieferung sei nunmehr zu einer festen Doktrin geronnen, die Lebendigkeit der Frhzeit damit erschpft. Fr das 5. und 6. Jahrhundert nmlich konstatiert

    1 Vgl. Campenhausen, Griechische Kirchenvter 11 f. 2 Vgl. Campenhausen, Griechische Kirchenvter 165-169. 3 Vgl. Campenhausen, Griechische Kirchenvter 169. 4 Vgl. Campenhausen, Griechische Kirchenvter 168.

    Lagus74Sticky NoteBruns, P., Aristoteles-Rezeption und Entstehung einer syrischen Scholastik, in: P. Bruns (ed.), Von Athen nach Bagdad. Zur Rezeption griechischer Philosophie von der Sptantike bis zum Islam (Hereditas: Studien zur Alten Kirchengeschichte 22; Bonn: Borengsser, 2003), 29-41.

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    Campenhausen, da sich nunmehr die aristotelische Logik innerhalb der Theologie Heimatrecht verschafft und mit der neuplatonischen Tradition der Vter kombiniert habe. 5 Das Ergebnis sei die "Scholastik" der Vterzeit, jene "Apparatur von furchterregender Kompliziertheit, die im Grunde doch nicht aus sich selber lebt, sondern jeweils nach den besonderen metaphysisch-theologischen Stzen zurechtgebogen wird, die sie begrnden soll", eine "siebenfach gepanzerte, wissenschaftliche Theologie, in der sich nur noch die gelehrtesten Fachleute, Mnche und Kleriker, zurechtfinden knnen."6

    Als bewertender Begriff in der Vtertheologie erscheint der Ausdruck "Scholastik" auch heute noch eher negativ besetzt und darin lebt das alte Klischee fort; 7 in historisch-deskriptiver Klassifizierung hingegen wird er gegenwrtig - so die Definition im Lexikon fr Theologie und Kirche (3. Aufl) - auf das Mittelalter als einer bestimmten Epoche der Wissenschaftsgeschichte beschrnkt.8 Zuzglich zur zeitlichen Eingrenzung auf das sog. "Mittelalter" tritt die sprachlich-kulturelle hinzu, insofern man eigentlich nur die lateinische Literatur wahrnimmt und etwa verwandte Phnomene in der griechischen Patristik - wie z. B. Maximus Confessor, Johannes von Damaskus, von den anderen Orientalen ganz zu schweigen - ausklammert. Da die fr die Scholastik so charakteristische Tendenz zur Verwissenschaftlichung mit ihrer Distanzierung zur Autoritt von Schrift und Tradition sowie ihrem ausgeprgten Rationalisierungsimpuls methodisch bereits auf die Sptantike (Boethius) zurckgeht,9 wird allenfalls noch am Rande vermerkt. Doch hatte bereits Martin Grabmann in seinem Standardwerk ber die "Geschichte der scholastischen Methode" (Freiburg 1909) ein beachtliches Kapitel den Anfngen der scholastischen Methode in der Vterzeit gewidmet und dabei auf die "Kontinuitt zwischen patristischer und scholastischer Theologie", welche nicht zuletzt eine "Kontinuitt der wissenschaftlichen Methode" sei, hingewiesen. 10 Grabmann war es denn auch, der in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Orientalen verwies und mit Philoxenus von Mabbug einen prominenten "Scholastiker" syrischer Zunge prsentierte. 11

    5 Vgl. Campenhausen, Griechische Kirchenvter l 68f. 6 Vgl. Campenhausen, Griechische Kirchenvter 168. 7 Auch Brox, Frhchristentum 285, sieht mit Campenhausen im fnften Jahrhundert das Ende der Patristik und den Anfang der Scholastik gekommen. Die sptere Epoche wirkt gegenber der "Originalitt und Dynamik der Vtertheologie" inferior, starr und mechanisch. 8 Honnefelder, Scholastik, in: LThK3 S. 199-203, nimmt eine Dreiteilung des Phnomens vor und spannt den Bogen von der Frhscholastik, einsetzend mit dem 9./10. Jh ber die Kulmination in der Hochscholastik (12./13. Jh.) und der Nachblte in der Barockscholastik 15./16. Jh. bis hin zur sog. Neuscholastik 19./20. Jh. 9 Vgl. dazu den Beitrag von Christian Schrer (S. l 15ff.) in diesem Band. 1 Fr die griechischen Vter vgl. Grabmann, Scholastische Methode 76-116, zu den Lateinern vgl. vgl. a. a. 0., 116-147, und ein ausfhrliches Kapitel zu Boethius, vgl. a, a. 0 148-177. \ 11 Vgl. Grabmann, Scholastische Methode 97f.

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    In der Dogmengeschichte gilt gerade das sechste Jahrhundert als "l'ge scolastique" des christlichen Orients. 12 Alle Autoren, unabhngig von ihrer konfessionellen Zugehrigkeit, seien sie nun Monophysiten, Neuchalkedonier oder strenge Chalkedonier, erlagen der Faszination aristotelischer Philosophie: Heraclianus von Chalkedon, so Photius, sei ein bemerkenswerter philosophischer Kopf gewesen, 13 die beiden Leontii (von Byzanz und Jerusalem), 14 Theodor von Rhaltou (Sinai) schpften aus Aristoteles, ebenso Oecumenius, Sergius der Grammatiker und sein Namensvetter von Reschaina. Fr den Grammatiker Sergius, der innerhalb monophysitischen Bewegung fr einige Unruhe sorgte, war Aristoteles der Geist ( 6 vo~) schlechthin. 15 Die Scholastik jener Epoche manifestierte sich auf zweifache Weise: in der Verwendung der aristotelischen Kategorien (und zwar in Form der Isagoge des Porphyrius), welche auf die christologischen und metaphysischen Streitigkeiten angewandt wurden, und in dem Anwachsen der Quaestiones et responsiones-Literatur, die ihrerseits als Kennzeichen einer zunehmenden Verschulung der Theologie zu werten ist. Befand sich der Aristotelismus in der gelehrten dogmatischen Theologie des sechsten Jahrhunderts auf dem Vormarsch, so hielt der Neuplatonismus das gesamte Feld der mystischen Theologie besetzt. Genannt seien an dieser Stelle Autoren wie Ps-Dionysius, Evagrius Ponticus und Stephanus bar Sudaili, deren Schriften die syrische Mnchsspiritualitt nachhaltig beeinflut haben; letztgenannter Autor wurde von Philoxenus u. a. wegen seiner Apokatastasislehre heftig attackiert. Im sechsten Jahrhundert ffneten sich auch die Alexandriner um Johannes Philoponos mehr und mehr der Begrifflichkeit des Stagiriten. 16 Der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Usie, der partikularen und der allgemeinen "Natur", hatte Auswirkungen auf die Trinittslehre wie auch auf die Christologie, in der nicht wenige Theologen einen doppelten Naturbegriff zugrunde legten. 17 Manche suchten die Harmonisierung des kappadozischen Hypostasebegriffs18 mit der

    12 Vgl. dazu Moeller, Chalcedonisme, 638-642. Fr die einzelnen Autoren sei im folgenden auf die berblicksartikel im Lexikon der antiken christlichen Literatur verwiesen. 13 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 262-264; Photius, Bibi. cod. 85: PG 103,288f. 14 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 196-241 (Leontius von Byzanz); 286-332 (Leontius von Jerusalem). 15 Vgl. hierzu Moeller, Chalcedonisme, 638f. 16 Vgl. dazu die Untersuchung von Uwe Lang, John Phi/oponus. 17 Das dogmatiSche Problem des sog. "Tritheistenstreites" kann hier nur angedeutet werden: Legt man den ersten aristotelischen Usiebegriff in der Trinitt zugrunde, dann gelangt man folgerichtig auch zu drei Individualnaturen (EQLKai oua(at) in Gott, welche aber die Einheit des gttlichen Wesens sprengen mten. Die Theologie des sechsten Jahrhunderts war in einer hnlichen Lage wie die aristotelisch geprgten Arianer der zweiten Generation (Aetius, Eunomius etc.), die die Homousie des Gottessohnes mit dem Vater verwarfen, weil fr sie der Wesensbegriff gleichfalls individuell gefat war. 18 Vgl. dazu die Studien von Erdin, Hypostasis, sowie Hammerstaedt, Hypostasis. Fr die Kappadozier ist der zweite aristotelische Wesensbegriff der erste geworden, wenn sie von

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    Individualnatur aristotelischer Prgung in der christlichen Trinittslehre herbeizufhren, was jedoch auf heftigen Widerstand anderer Theologen19 stie.

    Die Vter syrischer Zunge standen in dieser Diskussion keineswegs abseits; Mnner wie Philoxenus oder Babai konnten auf eine gediegene theologische Ausbildung an den renommierten Schulen des Zweistromlandes (Edessa und Nisibis) zurckblicken und trugen durch ihre reiche schriftstellerische Ttigkeit dazu bei, den Aristotelismus im nichtgriechischen Orient zu verbreiten. 20

    2. lunilius Africanus und die Perserschule in Nisibis21

    Die Schule von Nisibis geno bereits im vierten Jahrhundert durch die ausgedehnte Lehrttigkeit Ephrms des Syrers, der bis zum Fall der Stadt 363 dort dozierte, einen untadeligen Ruf. 489 wurde sie durch den aus Edessa vertriebenen Narsai neugegtndet und gelangte rasch zu hoher Bethmtheit. Sie vertrat, abgesehen von dem Dissidenten Henana aus der Adiabene, einen mehr oder minder strengen Nestorianismus. Vor allem Babai der Groe ist als der klassische Vertreter dieser Denkrichtung in die Geschichte eingegangen. Aber auch zahlreiche Bischfe und Katholikoi haben hier ihre Lehrzeit verbracht. Der Katholikos Acacius gtndete 465 eine nisibenische Tochterschule in der persischen Hauptstadt Seleucia-Ktesiphon; auch in Arbela, Beth-Sajade und auf dem Berg Izla entstanden weitere Ableger. Auf Grund der erhaltenen Statuten sind wir ber den Studienbetrieb in Nisibis gut unterrichtet. Der Elementarstudiengang umfate einen Dreijahreskurs. Das erste Jahr bestand neben verschiedenen Lektionen im Kopieren des Corpus Paulinum und des Pentateuchs sowie in einer Einfhrung in den Kirchengesang. Im zweiten kamen die Psalmen Davids, die Propheten und die liturgischen Hymnen hinzu, im dritten die Evangelien und das brige NT sowie die Oden der Nationaldichter Ephrm und Narsai. Ein Aufbaukursus umfate exegetische Vortrge und auch Vorlesungen ber Philosophie (Aristoteles, der bereits im 5. Jh. in Edessa ins Syrische bersetzt worden war) und Medizin. Den Hhepunkt bildete zweifelsohne die gelehrte Schrifttheologie nach der Methode des Theodor von Mopsuestia. Nach dem Ausbau der nestorianischen Theologenschule in Seleukia-Ktesiphon 541 und nach einer durch die islamische Eroberung erzwungene Neugtndung einer weiteren Akademie in Bagdad (830) verlor die Schule von Nisibis im 9. Jh. allerdings ihre Bedeutung.

    der einen Usie und den drei Hypostasen in Gott sprechen. Diese Formel wird von Eutychius als rechtglubig verteidigt und spekulativ auch auf die christologische Frage angewandt. 19 Als Beispiel sei der Konstantinopler Patriarch Eutychius erwhnt, der sein Eintreten fr das Konzil von Chalkedon mit mehrfacher Exilierung bezahlen mute, vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 512-514. Der Patriarch bestand auf dem Vorrang des kirchlichen Kerygmas und der Tradition der rechtglubigen Vter (Kappadozier) vor den Vernnfteleien aristotelisch gebildeter Theologen. 20 Vgl. dazu die Untersuchung von Brock, Syriac Attitudes, sowie den Beitrag desselben Autors in diesem Band. Zur dogmatischen Theologie der Syrer im allgemeinen s. die Untersuchung von Jugie, Theologia dogmatica. 21 Vgl. Bruns, Iunilius.

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    ber den theologischen Lehrbetrieb und das exegetische Programm informieren die instituta regularia eines gewissen Paul von Nisibis oder Paul des Persers, welche auf Veranlassung des karthagischen Bischofs Primasius von Iunilius Africanus aus dem Griechischen ins Lateinische bersetzt wurden und in dieser Form die institutiones des Cassiodor22 beeinflut haben. Auch wenn die Quelle nur lateinisch erhalten ist, ist die Schrift in ihrer Bedeutung kaum zu berschtzen. Sie diente nach dem Zeugnis des Ebedjesus23 als wesentliche Grundlage zur Erforschung der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testamentes in der Theologenschule zu Nisibis und wurde von den dortigen Schlern zusammen mit den Schriften des Pentateuch und den liturgischen Texten fr Messe und Stundengebet im ersten Studienjahr abgeschrieben. Sie gehrte zu den allgemeinen Grundlagen des orientalischen Schulbetriebs und diente als wichtigstes methodisches Handbuch.

    Die jetzige Einteilung des Werkes in zwei Hauptteile bzw. Bcher ist gewi sekundr.

    Lib. 1,2-1024 befat sich mit der ueren Gestalt der Heiligen Schrift: der Redegattung (species dictionis), der Autoritt (auctoritas), dem Verfasser (conscriptor), der Schreibform (modus scribendi) und der Anordnung (ordo) des Stoffes. Lib. 1,11-2025 behandelt inhaltliche Fragen ber die Lehren der Heiligen Schrift, zunchst ber Dasein und Wesen Gottes26, die Trinitt, die Heilskonomie an den Geschpfen mit groer Nhe zu den Autoritten der antiochenischen Tradition, vor allem Theodor von Mopsuestia. Lib. 2,1-1327 beschreibt den erlsungsbedrftigen Zustand der gegenwrtigen Welt, der jetzigen Katastase, handelt ferner von der Schpfung und dem gttlichen Weltregiment (gubernatio), vom Gesetz und seinen vier unterschiedlichen Formen (modi), dem Doppelgebot der Gottes- und Nchstenliebe als der Erfllung des Gesetzes. Lib. 2,14-2528 stellt dem gegenwrtigen Zustand die knftige Weltordnung gegenber, die sich in den vier Punkten manifestiert: in der Erwhlung (acceptio) bzw. Berufung (vocatio), in den Typen und Vorbildern (typus, forma, jigura), in den Weissagungen (praedictiones) der Propheten und Alten, die noch sub lege handelten, und schlielich die Erfllung (effectus vel exitus) in Christus und seiner Gnadenordnung.

    22 Vgl. dazu auch den Beitrag von Steinhaufin diesem Band. 23 Vgl. Assemani, Bibliotheca Orientalis 3,2, 939. 24 Vgl. K.ihn, Iunilius, 471-482. 25 Vgl. Kihn, Iunilius, 482-491. 26 Auffllig ist eine starke Unterscheidung zwischen Existenz und Essenz Gottes. Die menschliche Vernunft gelangt nur bis zur Anerkennung einer Existenz Gottes, ber sein Wesen kann keine Aussage gemacht werden: Quid de Deo haec verba significant? - Non iuid est, sed quod est; quid enim sit Deus, comprehendi non polest. Kihn, Iunili11s, 483.

    7 Vgl. K.ihn, lunilius, 493-506. 28 Vgl. Kihn, Iunilius, 507-525.

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    Lib. 2,26-3029. Der Appendix enthlt einen Nachtrag zum Verhltnis von Vernunft und Glaube30, d. h. er schliet mit dem Aufweis, da streng rationale Gedankenfhrung auf der Basis der aristotelischen Philosophie und christlicher Glaube eng zusammenarbeiten.

    Die aristotelischen Kategorien begegnen bei Iunilius in lib. 2,2 ber die Weltschpfung. Die fnf Begriffe der porphyrischen Isagoge ytvoc,, doc,, tacpoga, '(fov, oueTJKOC, finden sich gleichfalls in Iunilius' biblischer Isagoge.31 Es ist interessant zu beobachten, wie nun im Werk des Iunilius diese logischen Begriffe mit aller Sorgfalt und Folgerichtigkeit auch auf das theologische Gebiet bertragen werden. Die bereits erwhnte species dictionis ist freilich nicht im Sinne des Artbegriffs aufzufassen, sondern meint die Erscheinungsform (forma et figura externa). Nach dem '(fov, dem proprium, und dem commune (Kotv6v) andererseits fragt Iunilius allenthalben, besonders in der Trinittslehre (lib. 1,12-17)32. Die Akzidentien (oueTJKTa), die traditionell in trennbare und untrennbare eingeteilt werden, sind ebenfalls dem Verfasser der biblischen Isagogik so wichtig, da er gleich in mehreren Kapitel (/ib. 2,11-13) auf sie zu sprechen kommt. Die diesseitige, kreatrliche Gotteserkenntnis (lib. 1,20) kommt auf dem doppelten Weg der Bejahung und Verneinung (confessione et negatione) zustande.33 Der Weg der Bejahung geht von der Erwgung aus, da Gott als zeitberlegener Schpfer (primus et novissimus) alle Vollkommenheiten in sich birgt, die der Kreatur nicht in gleicher Weise zukommen, whrend die Negation in Gott jegliche Unvollkommenheit, die sich in den Geschpfen findet, ausschliet.

    So zeigt dieser kurze berblick ber die biblische Isagoge des Iunilius, der gewi noch in vielen Punkten vertieft werden kann, die Vertrautheit des Verfasser mit dem aristotelischen Organon und den quinque voces des Porphyrius, sei es direkt oder indirekt ber die Kommentare und Schulbcher, wie sie in der Schule von Nisibis gelesen wurden.

    29 Vgl. Kihn, Iunilius 525-528. 30 Ubi sit fides religioni necessaria: Quodsi divinae scripturae probationibus sufficiunt, quid necessaria est religioni fides? - Fides nostra super rationem quidem est, non tarnen temerarie et irrationabiliter adsumitur: ea quae ratio docet, fides intellegit, et ubi ratio defecerit, fides praecurrit. Non enim utcumque audita credimus, sed ea quae ratio non improbat. Quae vero consequi ad plenum non pofest, fideli prudentia confitemur. (Kihn, Izmilius, 528). 31 Vgl. dazu im einzelnen Kihn, lunilius, 341. 32 Die Unterscheidung zwischen commune und proprium in der Trinitt geht auf die Kappadozier zurck. Vgl. auch Kihn, Juni!illS, 487f: Quae sunt his personis communia? -Omnia quae ad significationem aut essentiae auf operationis aut ad creaturas collationis pertinere noscuntur, unde et constat trinitatem 1111i11s esse substantiae (patris et filii et spiritus sancti vocabulis). Quid in his personis significatur? - Non quid sint, sed quod sunt; nam quid sint, ut supra de Deo diximus, sermo non potest explicare. 33 Vgl. Lib. 1,20: Per negationem autem collatio fit, cum praepositione privativa ea in Deo negantur, quae in creatura sunt, ut est ingenitus, inco1poreus, increatus, immqrtalis, incorruptibilis, impassibilis (Kihn, Junilius, 490). \

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    3. Philoxenus von Mabbug (i' nach 518)34

    PhiJoxenus, von seinen Landsleuten auch "Aksenaia" genannt, wurde in der Mitte des 5. Jh. in Tahal in Bet Garmai (Persien) geboren und nahm um 460 an der berhmten Perserschule in Edessa seine Studien auf, zu einer Zeit, als Bischof Nonnus den Einflu der Vertreter einer antiochenischen Christologie (Anhnger des Theodor von Mopsuestia und Nestorius) zurckdrngte. Philoxenus selbst war ein eifriger Verteidiger der klassischen Mia-Physis-Formel in der damaligen christologischen Debatte. Der antiochenische Patriarch Petrus Fullo installierte ihn daher als Bischof von Mabbug (Hierapolis), wo er von 485 bis 499 unangefochten residierte. Als der orthodoxe-chalkedonische Bischof Flavian den antiochenischen Patriarchenstuhl bestieg, geriet Philoxenus zunehmend in Konflikt mit der erstarkten chalkedonischen Restauration. Durch zahlreiche Intrigen in Konstantinopel erwirkte er jedoch die Absetzung seines miliebigen Vorgesetzten, brachte seinen Gesin-nungsgenossen Severus an die Macht und konnte zudem noch den Stuhl von Jerusa-lem fr die monophysitische Partei gewinnen, mute sich dann aber unter dem stren-gen, chalkedontreuen Kaiser Justin 1. 518 endgltig geschlagen geben und seinen Bi-schofssitz verlassen. Wenige Jahre spter verstarb Philoxenus im Exil, bei allen Jakobiten im Orient hoch geehrt. Zusammen mit seinem Freund Severus von Antiochien gilt Philoxenus als der Dogmatiker der Monophysiten schlechthin. Aus seiner Feder stammen zehn Reden gegen Habib, in denen er die eine Natur des menschgewordenen Gott-Logos gegen Nestorianer und Chalkedonier verteidigt, sowie ein bedeutender Traktat ber Trinitt und Inkarnation. Letzteres Werk bietet ein frmliches System spekulativer Dogmatik. Den

    Schulcharakter des Werkes erkennt man leicht, wenn man den einzelnen Argumentationsstrngen folgt. De Trinitate ist mit Sorgfalt systematisch aufgebaut; an der Spitze des Traktates steht die Lehre von Gottes Dasein, sodann von seinem Wesen35, schlielich von seinen Eigenschaften36, und dann erst folgen die Ausfhrungen ber den dreifaltigen Gott37. Das Hauptaugenmerk des Autors ist

    34 Die umfassendste Studie zu diesem Kirchenvater ist noch immer das Werk von de Halleux, Philoxene. 35 Vgl. Vaschalde, tractatus, 5: Etenim sermo de natura Essentiae tractare debet. llle autem solus se intellegere polest, qui naturam suam prioribus hominibus et personas suas posterioribus revelavit. ltaque, ut didicimus, sie et credimus 1111am esse naturam divinam quae est sola, creatrix omnium, nec ab alia creata est. Quapropter ea sola est natura vera, et essentia immutabilis. lpsam exsistere solummodo didicimus; quo autem modo et ubi existat, nec mens assequi, nec sermo dicere valet. 36 Vgl. Vaschalde, tractatus 16. Da Gott die absolute Flle des Seins ist, enthlt er alles Gute und Schne der einzelnen kreatrlichen Seienden. Zugleich wendet der Autor gegen die Dualisten ein, da gut und bse keine gleichrangigen ontischen Prinzipien seien, da die Negation bzw. Abwesenheit des Guten im Bsen die zeitliche und seinsmige berlegenheit des einen ber das andere anzeigt. 37 Vgl. Vaschalde, tractatus 83: Haec sunt vero doctrinae quasfides tenet. Conjitetur Ens exsistere ingenitum et increatum, Deum et Patrem, et Filium Spiritumque Sanctum ex eo

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    allerdings nicht auf die Theologie und Trinittslehre im engeren Sinne, sondern auf die Christologie und Inkarnation gerichtet. Ein Charakteristikum von Philoxenus' theologischer Erkenntnislehre bildet die Vielnamigkeit Gottes38; diese fand er in der traditionellen syrischen Poetik vor (Ephrm).39 Philoxenus' Theologie steht also im Schnittpunkt von traditioneller syrischer Frmmigkeit einerseits und aristotelisch beeinfluter Metaphysik andererseits. Da hier ein - modern gesprochen -Paradigmenwechsel vorliegt, war schon Philoxenus damals durchaus bewut, wenn er den Kirchenvater, eine unbestrittene Autoritt unter den Syrern, wegen seiner unklaren Begrifflichkeit hinsichtlich der Trinitts- und Inkarnationslehre tadelt (qnomfl, kyflnfl).40 In der Inkarnationslehre41 gibt Philoxenus eine Beurteilung der verschiedenen sententiae, voces et locutiones, die von den Vertretern verschiedener christologischer Richtungen vorgebracht werden, eine Bewertung, die den Mastben der Vter und Lehrer der Kirche zu folgen hat.

    Gleichfalls verbreitet sich Philoxenus ber das Thema Glauben und Wissen in ausfhrlicher Weise. Er hebt hervor, da es sich hier um zwei selbstndig getrennte Gebiete handle. Die Wissenschaft mu mit natrlicher Denkkraft die kreatrlichen Dinge erforschen, der Glaube mu das bernatrliche in Ehrfurcht und Schweigen -darin folgt er Ephrm und seiner apophatischen Theologie 42 - hinnehmen. Christus, so Philoxenus, habe seine Geheimnisse nicht geoffenbart, damit sie begriffen, sondern, damit sie geglaubt werden. Der Glaube leistet dem Wissen auf natrlichem Gebiete Dienste, das Wissen wiederum ntzt zur Erklrung und Unterscheidung der Glaubensinhalte. 43

    Es fehlt jedoch auch nicht an kritischen Stimmen im Chor der Aristoteles-Rezipienten.44 Obgleich fr Philoxenus die aristotelische Philosophie, berhaupt

    esse, unum genitum absque initio et tempore, et a/terum ex Ente procedentem ante omnia saecula et initia; eosque esse 1111am essentiam in tribus personis agnitam et tres personas in una essentia confitendas. 38 Vgl. Vaschalde, tractatus, 12: Nominibus diversis appellatus est, /icet apud se 11m1s sit absque nomine. Quodsi nomina habet, ex operibus ea accepit, nam in essentia sua 111111s est, quia mutatio in eo non est. Appellatus est iustus, rectus, vindex, rex, iudex Ante opera natura est sine nominibus et essentia sine appel/atione; ab operibus autem et deinceps nomina accesserunt, quia apparuerunt opera. 39 Vgl. dazu Bnms, Ephrm, 190-200. 40 Als Beispiel sei hier CSCO 231,51 angefhrt. 41 Zur Christologie des Philoxenus vgl. auch die Studie von Chesnut, Monophysite Christologies. Lebon, Christologie, behandelt Severus, der allerdings griechisch schrieb, und Philoxenus sowie die sog. Plerophorien. 42 Vgl. dazu Bruns, Ephrm, 190-193. 43 Vgl. Vaschalde, tractatus, 81: Non ignorandum est quod doctrina ecclesiastica scientiam renim mundarnm minine respuit, eam autem prohibet ne ad investiganda secreta et abscondita accedat. Patet enim ea quae sunt scientiae fide non indigere nec quae sunt fidei scientiii comprehendi posse. Sed utraque debet sua cognoscere: scientia ratione naturalia inq1tirere debet, et fides ea quae sunt supra naturam silentio tenere. 44 Als Beispiel fr eine Philosophiekritik der Theologen sei der anonyme Kommentar zur, Eisagoge des Porphyrius angefhrt. Offensichtlich haben sich Chalzedonier wie auch 1

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    jegliches respektloses Forschen im Bereich des bernatrlichen, nicht selten mit hretischen Anschauungen im Bunde steht (Eunomius und die Arianer45 , die "Teilnaturen" bei den Tritheisten, welche er abschtzig "Physiker" oder "Usiasten" nennt), so hat sie doch bereits im 5. Jahrhundert derart im wissenschaftlichen Denken der Theologen eingewurzelt, da sich selbst die syrischen Denker ihrem Einflu und ihrer werbenden Kraft auf Dauer kaum entziehen konnten.

    4. Babai der Groe

    Babai mit dem Beinamen der "Groe" gehrt neben Narsai zu den Sulen nestorianischer Theologie. Um 550 in Beth Ainatha geboren, verbrachte Babai seine Jugend in Beth Zabdai, bevor er in Nisibis als Lehrer ttig war. Schlielich trat er dem groen Kloster vom Berge Izla bei, wo er unter Abraham von Kaskar und Dadiso' ein monastisches Leben fhrte. Nach dem Tode des Katholikos Gregors 1. regierte Babai etwa von 608/609 bis 628 whrend der Sedisvakanz die persische Kirche. Kurz darauf, nachdem er vom Groknig die offizielle Anerkennung erhalten und Frieden mit dem Perserreich geschlossen hatte, verstarb er. Babai war ein ungewhnlich fruchtbarer Schriftsteller. Von den 83 Schriften, die Ebedjesu in seinem Schriftsteilerkatalog dem Katholikos zuschreibt, sind nur wenige auf uns gekommen, u. a. auch der dogmatische Haupttraktat liber de unione, der die Mysterien der Inkarnation und Eucharistie behandelt und der hier besonders behandelt werden soll. Bei diesem Traktat handelt es sich um ein Meisterwerk der nestorianischen Dogmatik, das streng formal aufgebaut ist:

    Kap. 1 behandelt den Glauben als die Grundlage fr jedes rechte Sprechen von Gott46 , Kap. 2 die Frage nach dem Wesen der gttlichen Natur, wobei die

    Nestorianer zur theoretischen Begrndung der Zweinaturenlehre auf das philosophische Standardwerk berufen. Der monophysitische Autor fhrt jedoch zu dieser Stelle aus: In den Teilen existiert das Ganze: d.h. in den Teilen, d. h. in den Hypostasen ist die Idee, was bedeutet da sie in ihnen existiert und diese in ihr, eben nach Meinung des Porphyrius, mitnichten aber nach der kirchlichen Meinung. Denn die kirchliche Meinung sagt dies, da das Ganze dasjenige ist, was aus den Teilen existiert, mitnichten das jenige, was in den Teilen existiert, damit gezeigt wird, da Christus aus zwei ist und keineswegs in zwei Naturen." (Baumstark, Aristoteles, 240). 45 Vgl. Vaschalde, tractatus, 62-66. Die Polemik gegen den Arianismus begegnet in der Gotteslehre des Philoxenus allenthalben. Es stellt sich die Frage, ob hier lediglich eine literarische Reminiszenz an die Kontroversen des vierten Jahrhunderts vorliegt oder ob es sich um eine kirchliche Reaktion auf die noch immer recht starke arianische Prsenz im Reich in Gestalt der Goten handelt. 46 Vgl. Vaschalde, Babai, 2-4: : Itaque nisifides, quae est ex auditu auris, et auditus auris, qui est ex verbo Dei, adsint, et nisi mens custodia mandatorum mundetur et poliatur, quis audebit in profunda incomprehensilium sese proiicere ad investigandum et scr11tand11m? (seq111111t11r .Mt 16.18. Mt 21, 44) Equidem sine hoc firmo fundamento fidei Iesu et causa omnium bonorum, turris morum in domibus virtutis non aedificatur, nec spes vitae jirmatur, nec caritas completur, nec ulla virtlls pe1ficit11r.

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    Mglichkeit einer Gotteserkenntnis mit den Mitteln der menschlichen Vernunft ausfhrlich errtert wird.47 Babai kommt bei seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, da der Mensch wohl Gewiheit ber das Dasein Gottes48 und der Einzigartigkeit seiner Natur erlangen, aber nicht zu seinem transzendenten Wesen vordringen kann. Ein eigenes Kapitel ist dem Unendlichkeitsbegriff in der Gotteslehre gewidmet (Kap. 3)49 Nachdem die Frage nach der Einheit Gottes, der Vielheit seiner Namen50, der Unendlichkeit51 seines Wesens abgehandelt worden ist, wendet sich Babai in zwei Schritten der Offenbarung des dreifaltigen Gottes zu, die schattenhaft im Alten Bund prfiguriert (Kap. 4)52, erst im Neuen durch Christi Fleischwerdung definitiv den Menschen mitgeteilt wurde (Kap. 5)53 Kapitel 654 leitet mit der Frage, warum die zweite Hypostase der gttlichen Dreifaltigkeit Mensch geworden (unus ex Trinitate), zum christologischen Hauptteil ber, der Union von Gottheit und Menschheit im Prosopon. An diesen Traktat wiederum, auf den hier in extenso nicht eingegangen werden kann, schlieen sich Detailfragen zur Christologie (nomina sive appel/ationes Christi}55 an, die nach Art des exegetischen Kompendiums der Perserschule einer Lsung zugefhrt werden. Ausblick Im vierten Jahrhundert konnte Ephrm angesichts der nie enden wollenden Kontroversen um die Gottheit Christi ausrufen: "Selig der Mann, der nicht von

    47 Vgl. Vaschalde, Babai, 5-16. 48 Vgl. Vaschalde, Babai, 14: Et in ratione hominum posita est cognitio eius, non cognitio modi essentiae eius, sed existentiae eius; et per opera et actiones, quae a creaturis inte/leguntur, cognoscitur ab iis quorum i11dici11m non est excaecatum. 49 Vgl. Vaschalde, Babai, 16-21. 50 Vgl. Vaschalde, Babai, 14f: Nomen igitur Dei, distinctum et unicum et singulare, per differentiam modi sublimis, proprie, sine mutatione et variatione, ad ipsum pertinet naturaliter .... Ita et de ceteris aliis nominibus. Quaedam enim eorum data sunt propter eius potestatem et dominium et providentiam et iudicia; quaedam propter illa quae non habet, ad significandum eum ... incorn1ptibilis, immortalis, invisibilis ... ex his aliis nominibus v. gr. incorruptibilis, immortalis, invisibilis, qui non fatigatur, non domlit, non mutatur, non indiget, non apprehenditur, quaedam pertinent ad essentiam eius absconditam et significant ea quae in natura eius non sunt, quia in omnibus altior et sublimior est eis. Haec vero : Dominus, Princeps, Iudex, Fortis, Sapiens, et cetera huiusmodi, providentiam et iudicium et ceteras differentias in modis oeconomiae eius denotant. Quomodo autem exsistat in essentia sua excelsissima, angeli et omnes homines de divinis tractantes in silentio laudabili permanserunt. 51 Vgl. dazu auch Bruns, Finitum. 52 Vgl. Vaschalde, Babai, 21 f. 53 Vgl. Vaschalde, Babai, 21: Quasi in aenigmate et quasi per allegoriam quandam, ut puto, praesignata est in Vetere Testamento indicatio hypostaseon adorandan1m Patris et Filii et Spiritus Sancti in una natura aeterna, causii et creatrice omnium. Vgl. auch Vaschalde, Babai, 22: Misertus est Deus creationis suae et ad eam Filium suum misit, et per revelationem eius in carne nos docuit. 54 Vgl. Vaschalde, Babai, 29-41. 55 Vgl. Vaschalde, Babai, 161-184.

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    dem Gift der Griechen gekostet hat. "56 Im achten Jahrhundert schrieb der gelehrte Mnch David bar Paulos einem jungen Novizen einen Brief57 vom Nutzen der heidnischen Bildung, in dem er aus seiner Begeisterung fr Aristoteles keinen Hehl macht, wenn er ihn den Salomon unter allen griechischen Philosophen nennt. Zwischen beiden Autoren liegen nicht nur vier Jahrhunderte, sondern auch ein uerst wechselhafter Rezeptionsproze, in dessen Verlauf sich die syrischen Theologen von den energischsten Kritikern des Hellenismus zu dessen eifrigsten Befrwortern in dem nunmehr arabisch geprgten Orient gewandelt hatten.

    56 Ephrm, Hymni de Fide 11,1 (CSCO 154). 57 Dolapn, Egrateh d-Dawid 76-80.

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    Bibliographie Quellen:

    Peter Bruns

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