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www.motorradonline.de test + technik 49 MOTORRAD 48 test + technik 17/2004 MOTORRAD BUKOWSKI FÄHRT Ein glühender Nachmittag im Juni. In Charles Bukowskis Stammkneipe parkt eine giftblaue Yamaha R1. Wider- stehlich wie ein kühles Pils. Yamaha-YZF-R1-Story * * Achtung: Das Lesen dieser politisch völlig unkorrekten Story könnte Sie in den Alkoholismus treiben

BUKOWSKI - rolfhenniges.de · Der Schriftsteller Charles Bukowski wurde als Sohn deutsch-polnischer Eltern 1920 in Andernach am Rhein geboren. Als er zwei Jahre alt war, wanderte

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Page 1: BUKOWSKI - rolfhenniges.de · Der Schriftsteller Charles Bukowski wurde als Sohn deutsch-polnischer Eltern 1920 in Andernach am Rhein geboren. Als er zwei Jahre alt war, wanderte

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BUKOWSKI FÄHRT Ein glühender Nachmittag imJuni. In Charles BukowskisStammkneipe parkt eine giftblaue Yamaha R1. Wider-stehlich wie ein kühles Pils.

Yamaha-YZF-R1-Story *

* Achtung: Das Lesen dieser politisch völlig unkorrekten Story könnte Sie in den Alkoholismus treiben

MO17048D.qxd 20.07.2004 08:04 Seite 48

Page 2: BUKOWSKI - rolfhenniges.de · Der Schriftsteller Charles Bukowski wurde als Sohn deutsch-polnischer Eltern 1920 in Andernach am Rhein geboren. Als er zwei Jahre alt war, wanderte

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das mit deinem Ich verschmolz, deineGedanken las und sie umsetzte. Eins zu eins. Das Bestreben, die Ideallinie zu treffen, war wie ein guter, morgend-licher Bierschiss. Leichtes Drückenreicht. Bremsen mit der Wirkung einesgut gezielten Tiefschlags. Und das miteinem Finger. Diese einfachen Schräg-lagenwechsel konnten einen Idiotengeil machen. Ich war nur ein Halbidiot.Also zog ich am Kabel. Drive like you stole it. Je weniger man an das Leben glaubt, desto weniger hat manzu verlieren.

Eine Ampel. Rot. Mitten im Nie-mandsland. Konnte froh sein, dass ichsie überhaupt respektierte. Nieder-trächtiges Gegrummel neben mir. Einervon der grünen Fraktion. Ninja. Wennsie nicht gewinnen, bringen sie sichum, heißt es. Nun, die Welt schien ehzu klein für uns beide. Ich gewann denSprint. Null auf 200 km/h in weniger als acht Sekunden. Aber wisst ihr, wiesich das anfühlt? Schreckgespenst eigener Schatten, sag’ ich nur. DieseDrehzahlgier. Der pulsierende Atem.Das unvermeidliche Risiko. Bei 2000/min fühlst du die Macht unter dir.Schub. Gesättigt. Fromm. Erhaben. Ab5000 wird es fett. Dann kommt er. DerTiger knurrt, bereit zum Sprung. Über7000 regiert die reine Wollust. Unersätt-lich dreht dieses feinstmechanischeWunderwerkzeug. Kennt keine Täler,keine Berge. Ein atomarer Schlag, demnur der Begrenzer bei 15 000/min Ein-halt gebietet. Wenn du den Mut hast,durchzuziehen.

Zwischen 8000 und 15 000/mingleicht der R1-Torpedo einem letztenwaghalsigen Schritt auf einer morschenTreppe in tiefster Finsternis. Bis hierherhast du es geschafft. Dann der letzteTritt. Zentimeter um Zentimeter eineEwigkeit. Dein Fuß setzt ins Nichts. Tiefer und tiefer. Kein Halt. VollendeteLeere. Pochendes Herz. Wellender Na-cken. Kribbelnder Magen. Das Schreck-

Am 13. die Miete, am 14. die Ali-mente, am 15. die nächste Rate

für eine größere, mittlerweile verdampf-te Bierlieferung. Heute war der 16. Ich hatte einen langen Clinch mit demAlkohol hinter mir. In den Taschenschepperten einige Cent, und ich hingan der Theke. Glas. Gebürstetes Metall.Verlebte Aschenbecher. Meine Linkemit einem Weinglas verzahnt. Rotwein.Französisch. Die Rechte zwischen den Schenkeln dieser gottverdammtenKleinen. Mitte Dreißig, einen wunder-baren Zentner schwer. In ihren Augendiese Gier nach Leben. Du könntest siehaben, Alter, wenn du dich anstrengst,sagte ich mir. Würdest dich aber nurunglücklich machen. Drum schmink’dir’s ab und bleib ein verklemmter Voyeur. Ich müsste bloß irgendetwasfinden, was mich ein bisschen vomTrinken abhält. Zum Beispiel heute.

Eat, drink, f**k, drive – die Basicseines erfüllten Lebens. Letzteres hatteseit Wochen auf sich warten lassen.Wer immer diesen blauen Joghurt-becher direkt vor der Theke geparkthatte, er hatte den Zündschlüssel nichtabgezogen. Ich zupfte die Rechte ausder warmen Parkzone und stolperte derMaschine entgegen.

„Du machst dich nur unglücklich,Buk.“

„Yeh?“„Das ist ’ne Granate. Kein Ver-

gleich mit den abgetakelten Kübeln, auf denen du die letzten Jahre herum-gerutscht bist.“

Ich fischte eine Zigarette aus mei-ner Hemdtasche. Zündete sie, spie den Rauch aus wie ein auftauchenderWal, drehte den Schlüssel im Schloss,schnalzte den Seitenständer und ließmich nieder. Strammes Kissen, Tankund Wams arretiert, die Beine in Mis-sionarsstellung, beide Hände am Lenk-gestummel. Gutes Gefühl.

„Soll gut 172 Pferde loslassen.“„Klingt super.“„Der neue Obermieter hat sie hier

geparkt.“„Sein Fehler. Sag’ ihm, ich borg’ sie

kurz.“

Ich drückte den Anlasserknopf. Einkurzer Dreh. Boshaftes Fauchen. Frisu-ren explodierten, Zigaretten verglühten,sieben Gläser stieben vom Tisch. Oderacht. Zwei Sekunden später stand ichdraußen.

Großstadtluft blies mir entgegen. Es war Donnerstagabend in einer dergrausamsten Städte der Welt. Was,zum Teufel, wollte jemand mit 172 Pferden? Vor allem hier, in diesemBlechgewühl? Na, das Ding ging jeden-falls wie Hölle. Oder besser: Es gingscheinbar direkt dorthin. Gefühlte 3200PS. Vor mir eine Hundertschaft Dumpf-backen, die für die Weltmeisterschaftim Spritsparen trainierten. Ich ließ sierechts liegen. Und fand mich nahezu allein im Tunnel wieder. Ich lud durch.5000/min. Erster Gang. Einmal sachtebis zum Anschlag. Hoppla! Was wogdas Ding? Keine vier Zentner, hieß es. Und war laut wie ein Schwein imSchlachthof.

Direkt unter dir das satte, tiefeStöhnen aus dem Luftfilterkasten, hin-ten raus martialisches Fauchen ausbeiden Rohren. Reflektiert von Beton-wänden. Eine Mischung aus Hilfe-schrei und Orgasmus. Auf Knopfdruck.Oder besser: per Dreh. Jetzt wurde mir klar, warum der Obermieter denblauen Bock abgegriffen hatte. Alleinder Kampfschrei ist unbezahlbar.

Dann lagen sie vor mir. Kurven. Unzählig. Radien, so unterschiedlichwie Hendrix und Bohlen. Was soll ich sagen? Na, jedenfalls war R1 reitenwie guter Scotch oder ein Konterbiernach einer durchzechten Nacht. Totalbelebend. Da war diese manischeMacht, die dich von einer Schräglage indie nächste presste. Dieses Chassis,

Von Rolf Henniges; Fotos: Jörg Künstle gespenst grinst. Fahr’ ihm davon, zieheinfach durch.

Na ja, es war nicht nur der Sprint,der den Ninja alt aussehen ließ. Wirdrangen ein in diese verknotete Land-schaft. Ali vom Amt, Bruno vom Bauund Gott weiß wer hatten sich hier aus-

getobt, die Teerstreifen wie Senf ausder Tube gequetscht und vergessen,den Schilderwald wieder aufzufors-ten. 20 Prozent Steigung, 32 ProzentGefälle, 100 Prozent Einsatz. Passo di Abledro, sagte ich nur.

Und wahrlich, ich lederte. Blieb mit dem Angstnippel der rechten Fuß-raste an einem Bordstein hängen.Schliff ihn ab. Verschätzt. Wird spätergarantiert für Gesprächsstoff sorgen.Trieb der Pelle Sorgenfalten an die Kan-te. Presste das Motoröl durch seineAchterbahn, bis es schwindelig wurde.Und kam schließlich mit tickerndemMotor und ohne Verlierer im Schlepp-tau an einen Motorradtreffpunkt. Kaumbelebt um die Uhrzeit. Verlassene Applauskurve, verkohlte Bratwust, einpaar eckige Burnouts. Außer mir nurzwei Typen mit Bikes, denen man den Motor scheinbar falsch herum eingebaut hatte. Alte bayerische Sitte.Nun, jeder kommt einmal an den Punkt,wo er sich entscheiden muss, ob erhart bleiben oder davonlaufen will. Ichbeschloss, hart zu bleiben.

„. . . Fußrasten, in zwanzig Positio-nen verstellbar. Das Windschild ist op-tional in neunzehn Größen erhältlich . . .“

„Jungs“, sagte ich, um die Sacheklarzustellen, „mit den Bikes ist esdoch wie mit den Weibern.“

„Bitte?“„Wollt ihr eine, die Puschen holt,

abwäscht, vorm Essen betet und nurauf dem Gehsteig geht oder eine, dieeuch mal richtig rannimmt?“

„Rannimmt?“„Yep. Konnte ich mir denken. So,

wie ihr ausseht, ist der Zug abgefahren,oder?“

Ich murkste ein wenig an meinemGesicht herum. Vergebens. Das drecki-ge Sonnenlicht arbeitete sich langsamdurch den Raum und blieb an denSchenkeln der Kleinen hängen. Nun,man bereut immer nur das, was mannicht getan hat. Ich war steinalt undhatte nichts zu bereuen. Wir stiegen inihr Auto, gebraucht, wie sie selber. Inmeinen Taschen klimperten siebenCent. Aus der Ferne wehte ein Martins-horn herüber.

Da standen sie nun. Blickten wieHunde, die man beim Kacken auf denenglischen Rasen erwischt.

„Hier“, brummte ich zwischen derZigarette hinaus und zeigte auf die R1.„Das Ding hier lutscht euch auf nurzehn Kilometern die Seele aus denGore-Tex-Anzügen.“ Zwei Minuten unddreißig Sekunden verstrichen. Dannfuhren sie wortlos. Aber, wo wir schondabei sind: Nichts gegen beten und Puschen holen. Solange sie dich auchauf anderen Ebenen verwöhnen, gehtdas in Ordnung.

Da standen wir nun. Der eine kaummehr wert als seine herabhängendeHose. Die andere gegen 13 300 Steinefür jeden zu haben. Ich kratzte die vorletzten Cent zusammen und griff ein Bier ab. Druckbetankung. Seziertedie R1. Schmale Taille, schnittiger Vorbau, graziler Hintern. Der Blick ein einziger Vorwurf. Bremsscheiben großwie’s Rad. Die Bremssättel ein Kunst-werk. Eine Soziusbank, die, falls be-setzt, jedem, der hinterherfährt, einenknackigen Hintern in vollendeter Sprei-zung präsentiert. Apropos Hintern: Saßdie Kleine etwa noch in der Kneipe?

Die schnellste Verbindung zwischenzwei Punkten ist bekanntlich eine Ge-rade. Ich bog auf die Autobahn und zog am Kabel. Auf der linken Spur nurTypen, die auf der Standgasdüse unter-

wegs waren. Also fuhr ich ran. Schließ-lich müssen sie merken, dass man esernst meint. Die Stadt hatte mich wie-der. Ich segelte die Mainroad hinunterRichtung Westen, die deprimierendstealler Straßen. Ein vollgestopftes gläser-nes Nichts. Der Tacho zeigte rund 80km/h. Und ich stand. So ist das mit derWahrnehmung.

„Menschenskind Buk! Ist die Karrenoch ganz?“

„Sollte getankt werden.“„Und wie geht sie?“„Soll ich einem Blinden die Farbe

Rot erklären?“

Der Schriftsteller Charles Bukowskiwurde als Sohn deutsch-polnischerEltern 1920 in Andernach am Rheingeboren. Als er zwei Jahre alt war,wanderte die Familie nach Amerikaaus. Mit 35 Jahren begann er zuschreiben. Bukowski gilt heute alseiner der bedeutendsten Dichter Ame-rikas. Er starb 1994 in Los Angeles.MOTORRAD-Redakteur Rolf Hennigesnahm den zehnten Todestag desMeisters der Schmutzgeschichte alsAnlass für eine Was-wäre-gewesen-wenn-Story, eine Motorradfahrt im Stildes Poeten, der „ganz von unten kam“.

CHARLESBUKOWSKI

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