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BUND-Vision für Flusslandschaften in Deutschland Eine Studie zur Lage und zu den Perspektiven der Flüsse und Ströme in Deutschland

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BUND-Vision für Flusslandschaften in Deutschland

Eine Studie zur Lage und zu den Perspektiven der Flüsse und Ströme in Deutschland

Broschüre Flüsse_Langfassung_19.7_neu bio 21.07.11 12:22 Seite 1

BUND2

Für die Bereitstellung und Aufarbeitung von Informationenfür diese Studie und die Unterstützung danke ich Dr. Christoph Aschemeier, Daniel Badillo, Iris Brunar, Dr. Ernst Paul Dörfler, Dr. Hans-Joachim Grommelt, Stephan Gunkel, Dr. Hans Jürgen Hahn, Vera Konermann ,Dr. Ralph Köhler, Mechthild Klocke , Manfred Krauss, Dr. Christine Margraf sowie Dr. Sandra Richter und Prof. Dietrich Borchardt.Nikolaus Geiler, Limnologe, Freiburg, Mai 2011

ImpressumBund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND)Friends of the Earth Germany · Am Köllnischen Park 110179 Berlin · Tel.: 0 30/2 75 86-40 · Fax: 0 30/2 75 86-4 40Text: Nikolaus Geiler, Winfried Lücking, Sebastian Schönauer · Titelbild: Dr. Ernst Paul Dörfler V.i.S.d.P.: Dr. Norbert Franck · Gestaltung: N & U GmbH

Broschüre Flüsse_Langfassung_19.7_neu bio 21.07.11 11:29 Seite 2

Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland 3

Zusammenfassung

Im Jahr 2005 konnte das Bundesumweltministeriumseinen Anspruch, eine „neue Flusspolitik“ zu formulie-ren, nicht mehr einlösen. Veränderte politische Priori -

täten, personelle Überlastung und die anspruchsvolleUm setzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)ließen das Projekt „neue Flusspolitik“ schnell versanden.Die Bestandsaufnahmen und die Bewirtschaftungsplänenach der EU-Wasserrahmenrichtlinie haben aber mitt-lerweile gezeigt, dass der Zustand der Flüsse und Strömein Deutschland schlechter ist als erwartet. Für denBUND ist dies Grund genug, die Vision einer „neuenFluss politik“ zu formulieren.

Eine neue Flusspolitik bedeutet für den BUND, dassSchleusen, Wehre und andere Querbauwerke nicht län-ger das Fließkontinuum der Bäche, Flüsse und Strömeunterbrechen. Die BUND-Vision umfasst drei Berei che,die wir die „drei Dimensionen“ nennen. Die erste Dimen-sion betrifft die Längsdurchgängigkeit, die wir wieder-herstellen wollen. Die zweite Dimension ist die Querver-netzung zwischen Flüssen und Auen. Dazu müssen diewenigen verbliebenen Restbestände unserer Stromauendeutlich ausgeweitet werden – das trägt gleichermaßendazu bei, Hochwasser zurückzuhalten wie auch dieArtenvielfalt zu sichern. Das bislang weitgehend igno-rierte Sand- und Kieslückensystem unterhalb der Strom-sohlen bildet die „dritte Dimension“.

Um dem Klimawandel zu begegnen, müssen wir zudemunsere Fließgewässer fit für Wassermangel und Dürrenmachen. Entgegen dem tradierten „Rohrdenken“ – allesWasser möglichst schnell abzuleiten – wird es künftigdarauf ankommen, möglichst viel Wasser natürlich inder Landschaft zu halten. Eine neue Flusspolitik mussauch intensiver als bislang den Umgang mit pflanzli-chen (Neophyten) und tierischen Einwanderern (Neo-zoen) bedenken. Und nicht zuletzt kommt es darauf an,die nach wie vor zu hohe Belastung unserer Fließgewäs-ser mit Nährstoffen (Phosphor- sowie Stickstoffverbin-dungen) und Mikroschadstoffen zu reduzieren.

Genau genommen erfordert die „neue Flusspolitik“ eineweitere, eine „vierte Dimension“: nämlich die Bereit-schaft, über die eingeschränkten Ziele der EU-Wasser-rahmenrichtlinie hinauszudenken, den personellen Kahl schlag in der Wasserwirtschafts- und Naturschutz-verwaltung zu beenden und mehr Bürgerbeteiligung inder wasserwirtschaftlichen Planung zuzulassen.

Die BUND-Vision einer „neuen Flusspolitik“ gilt für alledeutschen Stromlandschaften. Darüber hinaus unter-breitet diese Studie auch spezielle Vorschläge zur Auf-wertung der Stromlandschaften von Oder, Elbe, Weser,Ems, Rhein und Donau – immer gemäß dem Motto: WasLachs, Biber und Fischotter nutzt, nutzt auch dem Men-schen. Die neue Flusspolitik will mithin eine Synthesevon Naturschutz, Hochwasserrückhalt, Naherholung undKulturlandschaft!

Broschüre Flüsse_Langfassung_19.7_neu bio 21.07.11 11:29 Seite 3

Inhaltsverzeichnis

4 BUND

Zusammenfassung 3Vorwort: Professor Dr. Hubert Weiger 6Vorwort: Sebastian Schönauer 7

1 Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland 8

2 Mehr Freiheit für die Ströme 92.1 Freifließende Flüsse 9

2.1.1 Was der Vision im Wege steht – das Flusskontinuum ist unterbrochen 92.1.2 Die „Omnibuslösung“ – ein pragmatischer Weg? 102.1.3 Der Fluch der bösen Tat … die Flüsse fressen sich in ihren Untergrund 112.1.4 Die Zukunft der Flüsse und unser Strombedarf 122.1.5 Kleinwasserkraftwerke – klein auch bei der CO2-Einsparung 132.1.6 Staustufen und das Problem der Methangasbildung 142.1.7 Scheitert der Lachs auf der letzten Meile? 142.1.8 Wie ökologieverträglich ist das Binnengüterschiff? 162.1.9 „Alians“ im Schlepptau der Binnenschifffahrt 182.1.10Mit dem Motorsport den Haubentaucher aufscheuchen? 19

2.2 Mehr Raum für den Fluss: Breite Auen mit hoher Dynamik 192.2.1 Bauen im Überschwemmungsgebiet: Schutz von Leben vor Nutzung! 192.2.2 Alle Parteien für naturnahen Hochwasserrückhalt 202.2.3 Die Aue – ein Lebensraum höchster Artenvielfalt 212.2.4 Die Flussauen – Hotspots der Artenvielfalt 232.2.5 Wasserrahmen- und FHH-Richtlinie zusammen denken! 242.2.6 Für multifunktionale Gewässerrandstreifen 252.2.7 Die Gewässer für den Klimawandel fit machen! 26

2.3 Die Flusssohle: die unterschätzte „dritte Dimension“ 27

3 Chemie: An was kranken die deutschen Flüsse? 303.1 Phosphor – ein neues altes Problem 303.2 Stickstoff – die Minderungsziele reichen nicht aus! 313.3 Mikroverunreinigungen als Makroproblem? 323.4 Ein „Sandoz II“ muss verhindert werden! 33

4 Über die EU-Wasserrahmenrichtlinie hinaus denken! 354.1 Der Problemaufriss der EU-Wasserrahmenrichtlinie 354.2 Flucht in die Fristverlängerung 364.3 Eine nachhaltige Finanzierungsstrategie für die WRRL-Umsetzung! 384.4 Schäden an der Gewässerökologie – wer muss zahlen? 394.5 Grenzflüsse – oder die Grenzen nationaler Gewässerschutzpolitik 394.6 Den Kahlschlag in der Wasserwirtschafts- und Naturschutzverwaltung stoppen! 40

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5 Die neue Flusspolitik ist eine Bürgerbeteiligungspolitik! 415.1 Bürgerbeteiligung in der wasserwirtschaftlichen Planung: BUND initiiert Flusskonferenzen 415.2 FlussgebietsmanagerInnen oder FlussraummanagerInnen als Katalysatoren zur effizienteren

Umsetzung der WRRL 425.3 Deichrückverlegungen mehrheitsfähig machen 425.4 Finanzierung der Maßnahmen – flexibler Mitteleinsatz! 42

6 Einzelvorschläge für Oder, Elbe, Weser, Ems, Rhein und Donau 446.1 Die Oder – weit weg vom „guten ökologischen Zustand“ 44

6.1.1 Zu viel Algen-Nährstoffe in der Oder 466.1.2 Braunkohleabbau mit Folgen für das Oder-Einzugsgebiet 466.1.3 Dürre in Ostdeutschland 476.1.4 Der Nationalpark Unteres Odertal – immer noch ungeliebt 476.1.5 Der drohende Ausbau der Grenzoder 496.1.6 Katastrophenhochwasser durch Eisversatz 49

6.2 Die Elbe – auf dem Weg zu einer deutschen Loire 506.2.1 Was die Algen in der Elbe mästet 526.2.2 Die Renaturierung der Unteren Havel 536.2.3 Der Ausbau der Tideelbe 53

6.3 Die Weser – Spitzenreiter bei der Salz- und Nährstoffbelastung 546.4 Die Ems – Fluss in (Sauerstoff-) Not 56

6.4.1 Die Tideems 576.4.2 Renaturierung durch Kanalbau? 58

6.5 Der Rhein – zwischen höchster Industriedichte und höchster Naturwertigkeit 596.5.1 Der Rhein als größtes Biotopverbundsystem in Deutschland 596.5.2 Uferrevitalisierung unter dem Schutz von Längsbauwerken 606.5.3 Unter dem Strand die Altlast 616.5.4 Den Leinpfad tiefer legen! 626.5.5 Spurenstoffe im Rhein, im Aal und im Trinkwasser 626.5.6 Wie viel naturnaher Hochwasserrückhalt am Rhein ist noch möglich? 63

6.6 Donau – blaues Band der Biodiversität 64

7 Was wir lieben, zerstören wir 697.1 Knapp und dreckig: Wasser in der Hauptstadt 697.2 Damit der aquatische Naturschutz nicht unter die Räder kommt 70

8 Für eine Synthese von Naturschutz, Hochwasserrückhalt, Naherholung und Kulturlandschaft! 71

9 Anmerkungen 72

5Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Vorwort

Wasser ist Leben, Leben ist Vielfalt und Vielfalt ist bunt/BUND!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns eine guteZusammenarbeit zur Umsetzung der BUND-Visionen, dienach der Lektüre hoffentlich auch Ihre sein werden.

Ihr Hubert Weiger

BUND Vorsitzender

Die Vielfalt der Welt wird an ihren Flüssen beson-ders deutlich. Sie verbinden, sie trennen, sieschöpfen Neues, sie zerstören. Sie sind keine klar

abzugrenzenden Lebensräume, sondern stehen imwechselseitigen Kontakt mit benachbarten Biotopen.Diese Interaktionen machen Flüsse mit ihren Auen zuökologisch wertvollen, artenreichen und unbedingtschützenswerten Landschaften.

Die vorliegende Studie des BUND beschäftigt sich daherin einem ersten Teil mit diesem einzigartigen Lebens-raum, analysiert seinen gegenwärtigen biologischen undökologischen Zustand anhand der Kriterien der Wasser-rahmenrichtlinie und bewertet die bisherige Umsetzungund Flusspolitik. Der zweite Teil der Studie beschreibtEntwicklungspotenziale, die ein zukunftsfähiges Gleich-gewicht zwischen Schutz und Nutzung des Ökosystemsberücksichtigen. In Ergänzung dieser Studie überarbeitetder BUND seine Verbandsaussagen, um sich den aktuel-len politischen Veränderungen zu stellen und den not-wendigen Wandel zu befördern.

Mit dieser Studie entwirft der BUND seine Visionen vonfreifließenden Flüssen, lebendigen Auen und sauberenGewässern für die fünf großen deutschen Flussgebiete.Er bietet einen tiefen Einblick in die Lage der Flüsse undleitet daraus Perspektiven für eine gesunde und biolo-gisch vielfältige Flusslandschaft ab. Der BUND wird sichüber seine Orts- und Kreisgruppen, Landesverbände undehrenamtlich Aktiven lokal, regional und bundesweit fürdiese Vision einsetzen. Wir wollen artenreiche undnaturnahe Flusslandschaften mit hohem Erholungswertund darüber in einen konstruktiven Dialog treten mitPolitik und Verwaltung und all jenen, die Flüsse öko -nomisch nutzen wollen.

6 BUND

Broschüre Flüsse_Langfassung_19.7_neu bio 21.07.11 11:29 Seite 6

Dennoch, wo man den Flusslandschaften halbwegs ihrennatürlichen Charakter belässt, schlägt ein kräftiger Pulsin diesen Lebensadern, bleiben sie eine wichtige Lebens-grundlage der Bevölkerung. Sie bilden die Basis für einenachhaltige Regionalentwicklung, vor allem für sanftenTourismus und nachhaltige Landwirtschaft. Doch dies ist der Öffentlichkeit und der Politik in Mitte-leuropa nur selten bewusst. Auch in der Umwelt- undNaturschutzszene wird der Zustand der Flüsse häufigunzutreffend bewertet.

Eine Chance für echte Wiedergutmachung an den jahr-hundertelang geschundenen und degradierten Gewäs-sern bot im Jahr 2000 die EU-Wasserrahmenrichtlinie(WRRL). Sie folgt einem ganzheitlichen Ziel für denSchutz und die Verbesserung der aquatischen Umwelt.Um Gewässerhabitate für die Ansprüche nachfolgenderGeneration zu erhalten und wiederherzustellen, will sieeine naturverträgliche und nachhaltige Wassernutzungerreichen. Gleichermaßen wirkt Natura 2000 für unsereGewässer. Das Ziel der WRRL – der „gute Zustand derGewässer“ bis zum Jahr 2015 – stellt angesichts destatsächlichen Zustandes der Gewässer in Europa einegewaltige Herausforderung dar. Ihre Ziele finden sichauch in den deutschen Umwelt- und Naturschutzgeset-zen wieder und harren der Umsetzung.

Der BUND hat sich den Schutz und die Renaturierungunserer Fließgewässer zur Aufgabe gemacht. Wir setzenuns deshalb mit aller Kraft dafür ein, dass Lachs undMeerforelle, Stör und Neunauge ihre einstigen Lebens-räume wiederbesiedeln können. Und dass auch derMensch die Gewässer vor seiner Haustüre bald wiederohne Einschränkung zur Ernährung, Erholung und Erbau-ung nutzen kann.

Schließen Sie sich dieser BUND-Vision an. Helfen Sie uns,dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen. Gewässerschutz istNaturschutz. Echter Naturschutz ist unbedingter Gewäs-serschutz. Und beides dient dem Wohl des Menschen.

Sebastian Schönauer, Sprecher AK Wasser, BUND

Flüsse und Flusslandschaften zählen zu den schönsten,artenreichsten, zugleich auch sensibelsten Lebensräu-men Mitteleuropas. Aus gutem Grund gelten Bäche undFlüsse, zusammen mit den sie umrahmenden Auen, nichtnur als „Lebensadern der menschlichen Zivilisation“, son-dern auch als „ökologisches Rückgrat“ unseres Landes.Flüsse und Bäche mit ihren Überschwemmungsgebietenprägen die Landschaften und sind für die biologischeVernetzung von unschätzbarem Wert.

Doch kaum ein Teil der Natur wird so geschunden wie dieFlüsse. Aufgrund vielfacher Nutzung durch Siedlungen,Industrie, Verkehrswege, Hochwasserschutz und intensi-ve Landwirtschaft, aber auch durch Zehntausende vonWasserkraftanlagen sind unsere Fließgewässer zu Stau-stufenlandschaften verkommen. Ihr Fließgewässerkonti-nuum ist weitgehend unterbrochen, diffuse Belastungen,vornehmlich Stickstoff und Pestizide aus der Landwirt-schaft, verunreinigen sie. Die Flüsse sind als Lebensräu-me für Pflanzen und Tiere schwer geschädigt worden,rund 80 Prozent der Flussauen sind verloren gegangen. Die Gefahr eines Hochwassers steigt, wenn Flussbetteneingeengt, begradigt und eingedeicht werden. Erst lang-sam setzt sich die Erkenntnis durch, dass der „Ausbau“der Flüsse zu Wasserstraßen – wie der Aufstau und dieKanalisierung schamhaft umschrieben werden – dieFließgewässer ökologisch erheblich beeinträchtigt, dieHochwassergefahr weiter erhöht und wertvolle Auenle-bensräume vernichtet hat.

Den Berichten der Europäischen Umweltagentur zufolgehat sich die Gewässerverschmutzung seit 1980 nichtgenerell verbessert und vor allem bei kleineren Fließge-wässern und dem Grundwasser sogar verschlimmert. DerWasserausbeutungsindex (water exploitation index) hatsich seit 1985 um 20 Prozent ausgeweitet, und in vielenKüstenregionen macht sich eine Grundwasserversalzungbemerkbar. Diese Verschlechterung der Gewässersituati-on fand statt, während zur gleichen Zeit die EU über 25Richtlinien und Verordnungen erließ, die die europäi-schen Gewässer schützen sollten: eine Verordnungsflutohne Wert und ohne Wirkung.

Vorwort

7Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Broschüre Flüsse_Langfassung_19.7_neu bio 21.07.11 11:29 Seite 7

1 Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Vision zu beteiligen. Die vorgeschlagenen Ziele sind ehr-geizig. Sie erfordern erhebliche Anstrengungen bei derpolitischen Umsetzung, denn wir müssen festgefahreneDenk- und Nutzungsweisen verändern.~Die Vision der Internationalen Rheinschutzkommission„Rhein 2000“ lautete die Vision der InternationalenKommission zum Schutz des Rheins (IKSR) in den 90erJahren. Nach der verheerenden „Sandoz-Giftwelle“ von1986 war es das visionäre Ziel der Rheinschutzkommis-sion, den Fluss wieder in einen sauberen Zustand zu versetzen – so sauber, dass Lachse bis in den Oberrheinaufsteigen und in den Nebenflüssen des Mittelrheinsablaichen würden. Dieses Ziel hat das damalige Aktions-programm „Rhein 2000“ erreicht. Für einen weiterenMotivationsschub wurde „Eine neue Vision – Rhein2020“2 entworfen. Darin heißt es:

„Die Bilanz zum Aktionsprogramm Rhein hat bewiesen:Visionen können wahr werden, wenn man ihre Verwirkli-chung mit Energie und in realistischen Schritten angeht.(…) Es gibt eine neue Vision vom Rhein: Ein grünes Bandvon Auen begleitet den Strom, nimmt Hochwasser aufund strotzt vor amphibischen Leben. Die Artenvielfaltvon rheintypischen Tieren und Pflanzen steigt weiter an.Lachse wandern bis in den Raum Basel und erhaltenihren Bestand ohne Besatz. Rheinfische und Rheinmu-scheln sind wieder zahlreich vertreten. (…) Hochwasser-vorsorge und Auenentwicklung sollen eng miteinanderverzahnt werden. Verstärkter Wasserrückhalt in ehema-ligen Auen und im gesamten Einzugsgebiet verbessertdie Hochwasservorsorge für den Menschen. Gleichzeitigsichert mehr Raum für den Fluss die biologische Vielfaltin den Auen und damit den Schatz natürlicher Ressour-cen am Rhein.“ ~

Die vorliegende Vision knüpft an eine Idee des Bun-desumweltministeriums aus dem Jahr 2005 an.Damals hatte das Bundesumweltministerium alle

interessierten Kreise zu einer Diskussionsveranstaltungüber eine „neue Flusspolitik“ nach Berlin eingeladen.Vorgesehen war die Entwicklung einer „Gesamtkonzepti-on zur neuen Flusspolitik in Deutschland“.1 In der Dis-kussion hatte das Umweltbundesamt vorgeschlagen, eine„Vision“ als „übergreifende Klammer“ für alle deutschenStromlandschaften zu entwerfen. Eine visionäre Flusspo-litik sei notwendig, um langfristig angelegte konzeptio-nelle Gewässerschutzziele zu formulieren, die an Rhein,Donau und Elbe über die aktuelle Bewirtschaftungspla-nung hinausgehen könnten. Noch weitergehender willdiese Broschüre Denkverbote und Tabus aufbrechen.Könnte beispielsweise auf lange Frist die Güter schiff fahrtauf der Elbe und auf anderen schwach befahrenen Flüs-sen ein Ende finden? Darüber hinaus müs sen wir dieQuerverbauungen zur Wasserkraftnutzung grundsätzlichin Frage stellen.

Die Wasserwirtschaftsverwaltungen in Bund und Län-dern wurden in den Folgejahren vom Tagesgeschäft beider Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)derart in Beschlag genommen, dass für die Konzeptioneiner visionären Flusspolitik kein Freiraum mehr blieb.Insbesondere die Beschäftigten der Wasserwirtschafts-verwaltungen der Länder gehen bei der Umsetzung derWRRL in Messprogrammen und Berichtspflichten unter.Was als „neue Flusspolitik“ gestartet war, versandete inkürzester Zeit. Nach Auffassung des BUND gibt es aberein Leben jenseits der WRRL, das mit visionären Vorstel-lungen gefüllt werden muss – mit der provozierendenVision frei fließender Ströme. Unsere „neue Flusspolitik“beruht auf dem Grundsatz „Nicht nur rein, sondern auchökologisch intakt!“. Gewässerschutz ist deutlich mehrals der Bau von Kläranlagen. Insofern schließt sich derBUND der nachstehenden Vision der InternationalenRheinschutzkommission an – und bedauert gleichzeitig,dass die anderen Flusskommissionen an Weser, Elbe,Oder und Donau nicht gleichartige Visionen ihremTagesgeschäft vorangestellt haben. Der BUND lädt alleInteressierten dazu ein, sich an der Diskussion um diese

8 BUND

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2 Mehr Freiheit für die Ströme!

Menge. Allein an der Weißen Elster – einem Nebenflussder Saale – wurden zu historischen Zeiten 23.000 Fluss -perlmuscheln aus den reichhaltig vorkommendenMuschelbänken „geerntet“.4

Von Fischen, Krebsen und Muscheln reich bevölkerteBäche und Flüsse sind derzeit noch eine Utopie, weilzahlreiche Staustufen, Schleusen und Kraftwerksanla-gen das Fließgewässerkontinuum der großen deutschenFlüsse unterbrechen. Für den Lachs, den Stör und denAal sowie für andere Lang distanzwanderfische wie denMaifisch (siehe Kasten) stellen diese „Querbauwerke“kaum passierbare Wanderungshindernisse dar. Auch diemeisten Mitteldistanzwanderfische sind davon betrof-fen. Fischtreppen wirken eher als Krücken, die dasManko der fehlenden Durchwanderbarkeit nicht grund-legend beseitigen. Denn selbst die besten Fischtreppenweisen nur einen begrenzten Wirkungsgrad auf. Wennderzeit 50 Prozent der Schuppenträger die Fischtreppefinden und dann auch tatsächlich passieren, ist dasschon ein guter Wert.5 Nach der zweiten Fischtreppesind es dann aber nur noch 25 Prozent der im Unterlaufgestarteten Fische. Die dritte Fischtreppe wird nur nochvon 12,5 Prozent der aufstiegswilligen Fische durch-schwommen usw. usf. Da die Zahl der „Querbauwerke“von den Ästuarien bis zu den Laichbiotopen in den Mit-telgebirgsbächen oft mehr als ein Dutzend betragenkann, lässt sich leicht ausrechnen, wie viel bzw. wiewenig Fische angesichts der abnehmenden geometri-schen Reihe nach beispielsweise zwölf Fischtreppennoch in ihren angestammten Laichbiotopen ankommenwerden. Und bei der Abwärtswanderung zurück insMeer wiederholt sich das Problem. Bei der Rückwande-rung orientieren sich die Fische an der stärksten Strö-mung – und die führt durch die Turbinen der Wasser-kraftanlagen. Bei Turbinenanlagen ohne entsprechendeSchutzeinrichtungen kommt es zu erheblichen Verlustenabwandernder Fische,6, 7 so dass am unteren Ende derWasserkraftkaskade kaum noch ein abwandernder Fischdas Meer erreichen wird.

In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhundertshatte die Flussverschmutzung in Westdeutschlandihren Höhepunkt erreicht. Der Rhein war wegen der

hohen organischen Belastung kurz vor dem „Umkippen“.Im August 1969 verendeten praktisch alle Fische von derUntermain-Mündung bis nach Rotterdam. Millionen vonFischen trieben „kieloben“ im übel riechenden Rhein-strom. Damals hätte sich wohl niemand vorstellen können, dass der Rhein wieder eine Wasserqualitäterreichen würde, die das Baden und Schwimmen ermög-lichen würde. Was damals eine Utopie war, ist heute aufweiten Strecken des Rheins Realität. Die Milliardeninve-stitionen in den Bau von Kläranlagen im Rheineinzugs-gebiet haben aus der damaligen „Pissrinne“ Europaseinen Fluss gemacht, in dem inzwischen selbst der Lachsversucht, seine einstigen Laichbiotope zurückzuerobern.

Eine neue Flusspolitik heißt, den Flüssen Freiheitsgradein drei Dimensionen zurückzugeben. Die erste Dimensi-on bedeutet, dass die Flüsse in der Länge wieder durch-gängig sind. Die zweite Dimension zielt auf die Querver-netzung der Ströme mit ihren Auen. Und die dritteDimension geht in die Tiefe, nämlich in das Sand- undKieslückensystem unterhalb der Stromsohle.

2.1 Freifließende Flüsse

2.1.1 Was der Vision im Wege steht –das Flusskontinuum ist unterbrochen

Unsere Vision ist kühn – so kühn wie die Voraussage vor50 Jahren, dass der Rhein eines Tages wieder ein passa-bles Badegewässer abgeben könnte. Lachs, Stör undHuchen sollen in großer Zahl die Einzugsgebiete derdeutschen Ströme bevölkern. Zumindest unsere Kindersollen an ökologisch intakten Flüssen wieder einenFischreichtum erleben, wie er vor 200 Jahren vorhandenwar. Damals trat beispielsweise die Nase in derartigdichten Schwärmen auf, dass sie an den Nebenflüssendes südlichen Oberrheins mit Mistgabeln in riesigenStückzahlen aus den Flüssen herausgestochen und alsDünger für Kartoffeläcker verwendet worden ist.3 AuchMuscheln gab es in einer heute kaum noch vorstellbaren

9Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Broschüre Flüsse_Langfassung_19.7_neu bio 21.07.11 11:29 Seite 9

Rheinabschnitt ausgesetzt. Zuvor erhalten die Maifisch-larven am Gehörknöchelchen eine farbige Markierung,die später eine Erfolgskontrolle möglich macht. FünfJahre nach dem Abwandern in die Nordsee ist mit einerRückkehr der ausgewachsenen Maifische in den Rhein zurechnen – wenn die Fische alle Hindernisse überwinden.

In den südfranzösischen Flüssen Garonne und Dordognebefanden sich bislang die letzten größeren Maifischbe-stände in Europa. Allerdings gehen sie dort dramatischzurück. Die Ursachen hierfür werden noch kontroversund spekulativ diskutiert.10 Durch den Bestandsrück-gang in den letzten verbliebenen Populationen ist auchdas LIFE-Projekt am Rhein gefährdet.~Weil so viele Fische an den Wasserkraftanlagen inDeutsch lands Flüssen verenden, ist ein ganzes Bündelvon Maßnahmen notwendig:1. Die bestehenden Fischaufstiegshilfen müssen einer

qualitativen und quantitativen Erfolgskontrolle unter-worfen werden.

2. Bei schlechtem Wirkungsgrad müssen die Fischwan -der hilfen so optimiert werden, dass von jeder vorkom-menden Fischart genügend Exemplare auf- und ab -stei gen können, um eine Reproduktionsrategewährleisten zu können.11

3. Mittelfristig müssen Erfolgskontrolle und Optimierungauch beim Fischabstieg stattfinden.

4. Die Öffentlichkeit muss Zugang zu den Monitoringer-gebnissen erhalten.

2.1.2 Die „Omnibuslösung“ – ein pragmatischerWeg?

Drastische Bestandseinbrüche beim Aal lassen befürch-ten, dass die Aale in Mitteleuropa vom Aussterbenbedroht sind. Die langen Aale sind besonders bedroht, inTurbinen von Wasserkraftanlagen, ohne entsprechendeSchutzeinrichtungen tödlich verletzt zu werden.An den oberen Staustufen der Mosel fängt der Kraft-werksbetreiber, die RWE POWER, deshalb die abwärtswandernden Blankaale ab. Die Aale werden mit dem Lkwbis Koblenz gefahren und dann im Rhein ausgesetzt.

~Eine letzte Chance für den Maifisch?

Vor den großen Flussregulierungen war der Flussfischdie Hauptnahrungsquelle zur Absicherung des Protein-bedarfs unserer Bevölkerung. Noch vor rund 100 Jahrenzogen mehrere 100.000 Maifische pro Jahr im Mai zurFortpflanzung in den Rhein. Für die Berufsfischerei warder Maifisch bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhundertseine unverzichtbare Einnahmequelle. Noch heute erin-nern Namen wie der Maifischmarkt in Düsseldorf oderdas Poller Maispill in Köln an die Jahrhunderte alteTradi tion der Maifischfischerei.

Der bis zu drei Kilogramm schwere Maifisch (Alosaalosa) wanderte früher den Rhein hoch bis nach Baselund fand sich in großen Stückzahlen auch in Neckar,Main und Mosel. Heute kennt kaum noch jemand denMaifisch, der zur Familie der Heringe gehört. Dabeiwurde der Maifisch in den Niederlanden noch vor 150Jahren in Stückzahlen von mehreren 100.000 gefangen.Damit wies der Maifisch größere Fangzahlen als derLachs auf. Für die Berufsfischer am Rhein war der Mai-fisch von wichtiger ökonomischer Bedeutung. In jedemFrühling sicherte er ein regelmäßiges Einkommen, bevorim Sommer die Lachsfischerei einsetzte. „Der Maifischwar in dieser Zeit eine Delikatesse, die in jedem großenBrauhaus entlang des Rheins angeboten wurde.“8

Durch Überfischung, Gewässerverschmutzung und Stau-stufenbau in den Rheinnebenflüssen schrumpften inner-halb weniger Jahrzehnte die ehemals riesigen Beständegegen null. Heute findet sich der Maifisch nur noch ver-einzelt im Rheineinzugsgebiet. Der Maifisch gilt als vomAussterben bedroht.9

In einem Life-Projekt bemüht man sich derzeit in Hessenund Nordrhein-Westfalen um die Wiedereinbürgerungdes Maifisches im Rhein. Dazu werden aufsteigendeMaifische in der Garonne und in der Dordogne abgefan-gen und mit Hormonen behandelt, um ein Ablaichen zuerzwingen. Die Maifischlarven werden in Aufzucht-becken angefüttert und dann in Millionenstückzahlenseit 2008 im hessischen und nordrhein-westfälischen

10 BUND

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dann dieses Geschiebe – die Folge: Erosion und Sedi-mentation sind nicht mehr im dynamischen Gleichge-wicht. Mangels Geschiebenachschub gräbt sich derFluss ständig tiefer in sein Bett. Die Geschiebedefiziteergeben sich auch daraus, dass den Strömen die Mög-lichkeit zur Seitenerosion genommen worden ist. Wenndie Uferstrecken mit Steinwurf oder gar Beton festge-legt worden sind, kann der Strom an seinen Rändernnicht mehr Kies und Sand mobilisieren.

Um der fortschreitenden Tiefenerosion zu begegnen,muss man nach der Logik der Wasserbauer entwederweitere Staustufen bauen oder künstlich Geschiebe hin-zugeben. „Es ist der Fluch der bösen Tat, dass sie ständigneues Böses gebären muss“, hatte in den 70er Jahrender damalige baden-württembergische Landwirtschafts-minister Gerhard Weiser anlässlich der Inbetriebnahmeder Staustufe Iffezheim diesen Zwang bildhaft beschrie-ben: Wer angefangen hat, Staustufen im Oberlauf einesFlusses zu bauen, ist dazu verdammt, durch ständigeflussbauliche Maßnahmen zur Sohlstabilisierung odersogar durch den Bau weiterer Staustufen flussab derTiefenerosion entgegenzuwirken. Dies gilt nicht nur fürden Oberrhein, sondern auch für die Donau, die Werra,die Elbe und die Oder. Die bestehenden Staustufen wie-der für Geschiebe durchgängig zu machen, ist nurschwer bis gar nicht möglich. Auch deshalb sollten wirdarüber nachdenken, langfristig die Querbauwerke animmer schwächer befahrenen Bundeswasserstraßenabzubauen. Zudem muss mehr geforscht werden, wiedas Geschiebe die Querbauwerke passieren kann.

Soweit der Geschiebetransport bereits in den Neben-flüssen unterbrochen wird, ergibt sich im Hinblick aufden Geschiebemangel in den großen Strömen zudem einorganisatorisches Problem: Während für die Ströme alsBundeswasserstraße die Bundeswasserstraßenverwal-tung zuständig ist, wären für den Geschiebetransport inden Nebenflüssen, sofern diese nicht ebenfalls als Bun-deswasserstraßen ausgewiesen sind, die Bundesländerzuständig. Um die Geschiebeproblematik ganzheitlich zubetrachten, müssten sich also Bund und Länder imjeweiligen Stromeinzugsgebiet an einen Tisch setzen.

Umgekehrt hat der Betreiber der Wasserkraftanlagenam Oberrhein – der französische Strommulti Electricitéde France (EdF) – vorgeschlagen, die aufwärts wandern-den Rheinlachse an der untersten Staustufe abzufangen,um die Langdistanzwandersalmoniden an den zehnOberrheinkraftwerken vorbei im Lkw bis Basel zu trans-portieren. Die EdF bezeichnet diese „Omnibuslösung“ alspragmatischen Weg, der zudem noch dem Gebot derKosteneffizienz nach den Vorgaben der EU- WRRL ent-spricht (siehe Kasten zur EU-Wasserrahmenrichtlinie inKapitel 4.1). ~

Omnibuslösung für Lachse auch an der LahnEine Art „Omnibus-Lösung“ für den Lachs wird seit Jah-ren auch an der Lahn praktiziert. Ehrenamtliche Lachs-warte der Interessengemeinschaft Lahn holen aus demRhein in die Lahn aufsteigende Lachse vor dem erstenWehr bei Lahnstein aus dem Wasser und bringen sie mitLastwagen zur Hälterungsanlage in Villmar-Aumenau.Dort wird Laich entnommen und erbrütet. Die Jungfischewerden in den Lahn-Nebenflüssen Dill und Weil ausge-setzt, von wo sie den Weg zurück ins Meer antreten.12

~Diesem Pragmatismus stellen wir eine konkrete Utopieentgegen: Zumindest an den Flüssen, auf denen sich dieBinnenschifffahrt tendenziell nicht mehr lohnt, solltenam Ende der Abschreibungszeiträume die Staustufenkontrolliert abgebaut werden. Elbe und Weser könntendann wieder zu frei fließenden Flüssen werden, in denensich Wanderfische ungehemmt verbreiten und vermeh-ren könnten. An der Donau und ihren Nebenflüssenbekämen Sterlet und Huchen wieder eine Chance.

2.1.3 Der Fluch der bösen Tat … die Flüsse fressensich in ihren Untergrund

Staustufen, Schleusen- und Wasserkraftanlagen stellenaber nicht nur ein Wanderungshindernis für Fische dar.Auch der sogenannte Geschiebetransport kommt durchdie Staustufen weitgehend zum Erliegen: Geröll, Kiesund Sand bleiben in den oberen Staustufen der Flussein-zugsgebiete liegen. In den Mittel- und Unterläufen fehlt

11Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

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belastet.15 Hinzu kommt, dass in Folge des Klimawandelsdie Flusstemperaturen ansteigen und möglicherweise dieNiedrigwasserphasen zunehmen werden. Die Flüsse kön-nen dann nicht mit der nötigen Zuverlässigkeit ausrei-chend Kühlwasser liefern. Deshalb muss der Missbrauchder Flüsse zum Abladen von „Wärmemüll“ auch unterdem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit grundsätz-lich hinterfragt werden. Ärger lich ist zudem, dass dieWasserentnahmeentgelt-Gesetze der Bundesländer dieBetreiber der großen Wärmekraftwerke großzügig privi-legieren: Im Gegensatz zur Normalbevölkerung und zuanderen Industrie- und Gewerbebetrieben müssen dieStromkonzerne für die Kühlwasserentnahmen nur mini-male oder sogar gar keine Entgelte bezahlen. Diese Privi-lege sind auch vor dem Hintergrund des in der WRRL verankerten Gebotes zur Erhebung kostendeckender Was-serpreise kritisch zu bewerten. Die Richtlinie empfiehltzudem, in den Wasserpreisen auch die Umweltkosten zuberücksichtigen, die durch Wassernutzungen entstehenkönnen.16 Die Minimal- oder gar Nulltarife der Strom-konzerne decken die beträchtlichen Umweltschädendurch Kühlwasserentnahmen und Abwärmeeinleitungennicht an näh ernd.

~Der energetische Stellenwert der Wasserkraft:

Beispiel Rheinland-PfalzWährend in den norddeutschen Bundesländern derWas ser kraftverstromung mangels Gefälle eher eine un -ter geordnete Bedeutung zukommt, spielt sie in Baden-Württemberg und in Bayern eine ungleich grö ße re Rolle:Mit jeweils mehreren 1.000 MW Leistung produzieren indiesen beiden Bundesländern zumeist abgeschriebeneWasserkraftanlagen kostengünstig Grundlaststrom.

Auch in Rheinland-Pfalz mit seinen eher niedrigenGebirgen hat die Wasserkraft einen nicht geringen Stel-lenwert, kann sie doch etwa ein Zehntel der Jahres-stromproduktion eines großen Atomreaktorblocks erset-zen. An den rheinland-pfälzischen Gewässern sind 179Wasserkraftanlagen in Betrieb. Ihre Ausbauleistungbeträgt 43 MW an kleinen und mittleren sowie 200 MWan großen Anlagen. Sie produzieren damit (unterAnnahme von über 4.000 Volllaststunden pro Jahr)

Wir werden ein bis zwei Generationen brauchen, umzumindest für einige ausgewählte Flüsse bzw. Fließ -gewässerstrecken den freifließenden Zu stand wieder zuerreichen. Es ist deshalb nachvollziehbar, wenn für dieMaßnahmen zur „Entfesselung“ der Flüsse die Fristver -längerungen zur Umsetzung nach WRRL bis 2024 unddarüber hinaus in Anspruch genommen werden. Diesaber nur dann, wenn in Flussverträgen entsprechendeWeichenstellungen zum freifließenden Zustand verbind-lich vereinbart werden.13, 14 Das Vorhaben, wenigstenseinige ausgewählte Stromabschnitte grundlegend zurevitalisieren, anstatt nur einzelne wenige Uferpartienaufzuhübschen, gleicht dem Bohren dickster Bretter: Eswird nur mit sehr viel Ausdauer erfolgreich sein. Gewäs-serschützer setzen sich im Bewusstsein der langen Weg-strecke dafür ein, dass jetzt die Diskussion für die hierfürerforderlichen Weichen stellungen beginnt. Dies bedeutetauch, nach Möglich keiten zur Reaktivierung desGeschiebetriebs zu suchen.

2.1.4 Die Zukunft der Flüsse und unser StrombedarfDa die Staustufen in der Regel aber nicht nur der Bin-nenschifffahrt, sondern auch der Stromgewinnung die-nen, hängt die Realisierung unserer Vision untrennbarmit der Zukunft unseres Strombedarfs zusammen. Nurwenn es gelingt, • unseren Bedarf an Elektrizität signifikant zu reduzie-ren,

• regenerative Stromgewinnungskapazitäten jenseitsder Wasserkraft massiv auszubauen

• und die diskontinuierlich produzierte Leistung ausregenerativen Energiequellen gleichmäßig verfügbarzu machen,

wird man genügend Akzeptanz für den kontrolliertenAbbau großer Wasserkraftanlagen an ausgewähltendeutschen Flüssen erreichen können. Eine nachhaltigeFlusspolitik hängt also eng mit einer nachhaltigen Ener-giepolitik zusammen.

Dies auch deshalb, weil die konventionelle Stromgewin-nung in den fossil- bzw. atomar-„befeuerten“ Großkraft-werken vor allem den Rhein und seine Nebenflüsse unddas Elbe-Ästuar mit viel zu hohen Abwärmeeinträgen

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aller Wasserkraftanlagen, nämlich etwa 7.300 Anlagenmit weniger als 1 MW Leistung (Kleinwasserkraftwerke),produzieren rund 2 TWh (ca. 10 %).

Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass diese Stromproduk-tion von insgesamt 20 TWh aus den Wasserkraftanlagengerade einmal 4 Prozent unseres Stromverbrauchs aus-machen und die 2 TWh der 7.300 Kleinwasserkraftanla-gen einen Anteil am Gesamtstromverbrauch von nur 0,4Prozent haben. Damit ist die Kleinwasserkraft von äußerstgeringer Bedeutung für die Energiegewinnung, hat aber,gerade auch bedingt durch die Vielzahl der Anlagen, oftverheerende Folgen für die Gewässerökologie.Das Umweltbundesamt hat deshalb bereits im Jahr 2001festgestellt:„Die betriebswirtschaftlichen Berechnungen zeigen, dassvor allem bei kleinen Wasserkraftanlagen bis 100 Kilo -watt (kW)Leistung in allen drei Fällen – Neubau, Reakti -vierung und Modernisierung – die Selbstkostenpreiseüber den Sätzen der Vergütung nach dem Stromein -speisungsgesetz liegen und damit selbst in günstigerLage in vielen Fällen kaum wirtschaftlich Strom erzeugtwerden kann. Die ökonomischen Betrachtungen zeigen,dass eine die Betriebskosten kleiner Wasserkraftwerkedeckende Förderung – insbesondere für Anlagen unter100 kW – zu hohe volkswirtschaftliche Kosten für dieVermeidung von Kohlendioxid-Emissionen hat. Der wei-teren Erschließung des Potenzials kleiner Wasser kraft -anlagen kommt daher vor dem Hintergrund der negati-ven ökologischen Auswirkungen keine Priorität imKlimaschutz zu.“18

Durch die mehrmalige Anhebung der Vergütung für eingespeisten Wasserkraftstrom im Erneuerbaren Ener-gien-Gesetz (EEG) rechnen sich inzwischen auch dieKleinwasserkraftwerke wieder. Dies führt in einigenBun desländern zu einem Boom von Genehmigungsan-trägen für den Bau von Kleinwasserkraftanlagen. Dabeiist nicht einmal garantiert, dass die ökologischen Anfor-derungen nach dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG), dasder Biodiversität Vorrang gibt, auch nur ansatzweiseeingehalten werden. Im aktuellen „ErfahrungsberichtEEG“19 machen das Bundesumweltministerium und

996 GWh Strom pro Jahr. Zum Vergleich: Ein großesAtomkraftwerk produziert 9.400 GWh im Jahr. An derJahresstromerzeugung in Rheinland-Pfalz (14,9 Milliar-den KWh; Stand: 2007) hat die Wasserkraft einen Anteilvon 6,7 Prozent. Betrachtet man exemplarisch die Was-serkraftnutzung im rheinland-pfälzischen Moselein-zugsgebiet, so findet der überwiegende Teil der Wasser-kraftverstromung an den Staustufen der Mosel statt:Die zehn Anlagen haben insgesamt eine Ausbauleistungvon 180 MW. Auch an fast allen Zuflüssen der Moselwird die Wasserkraft zur Stromerzeugung genutzt. Hier-bei sind besonders die Sauer (6,3 MW) mit der Wasser-kraftanlage Rosport, die Dhron (6,1 MW) mit der Dhron-Talsperre und die Our (4,2 MW) zu nennen.

Besonders problematisch ist die Wasserkraftgewinnungan der Kyll, einem weiteren Moselzufluss. Die Kyll ist alseuropäisch bedeutsames Fischgewässer eingestuft undgehört zu den Schwerpunktgewässern, die mit zeitlicherPriorität den „guten Zustand“ im Sinne der WRRL errei-chen sollen. Das Vorhaben ist deshalb ambitioniert, weilan der Kyll 16 Wasserkraftanlagen mit einer installiertenAusbauleistung von 1,5 Megawatt (1.551 KW) das Lauf-kontinuum dieses Mittelgebirgsflusses erheblich beein-trächtigen. 17 ~2.1.5 Kleinwasserkraftwerke – klein auch bei der

CO2-EinsparungWährend die großen Flusswasserkraftwerke in derSumme immerhin vierstellige Megawatt-Beträge elek-trischer Leistung produzieren, kommen viele Wasser-kraftanlagen an Bächen und kleinen Flüssen kaum über100 Kilowatt hinaus. Ein bundesweites Kataster vonWasserkraftanlagen in Deutschland existiert nicht. Des-halb geht man nach einer Faustformel davon aus, dass10 Prozent aller Wasserkraftanlagen 90 Prozent desWasserkraftstroms produzieren – 90 Prozent der Was-serkraftanlagen kommen gerade auf 10 Prozent Wasser-kraftstromproduktion. Nach einer groben Internetre-cherche sieht das Verhältnis sogar noch extremer aus: 5Prozent aller Wasserkraftanlagen, etwa 350 Anlagen miteiner Leistung von mehr als 1 Megawatt (MW), produ-zieren 18 Terawattstunden (TWh) und ca. 95 Prozent

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mehr, womit selbst kleinere Mengen von Methanbildungdurchaus interessant werden. Damit ist selbstverständ-lich auch die Summe der vielen kleineren aufgestautenGewässern in Betracht zu ziehen, womit auch die 7.300Kleinwasserkraftwerke eine ganz neue Dimensionbekommen. Die Klimabilanz der Wasserkraft muss auf-grund dieser neuen wissenschaftlichen Erkenntnissegrund sätz lich neu berechnet werden.

2.1.7 Scheitert der Lachs auf der letzten Meile?Wenn der Lachs von Grönland aus wieder in den Rhein,die Weser oder in die Elbe zurückgewandert ist, hat erviertausend Meilen hinter sich, 2.000 Meilen auf demWeg nach Grönland und wieder 2.000 Meilen auf demWeg zurück. Die beachtliche Schwimmleistung scheintdem „Langdistanzwanderfisch“ aber nichts zu nutzen:Denn der Einfluss der Kleinwasserkraftlobby und dasUnverständnis so mancher Genehmigungsbehörden las-sen den Lachs buchstäblich auf der letzten Meile schei-tern. Doch der Reihe nach: Damit es überhaupt einenAnflug von Hoffnung gibt, dass der Lachs wieder halb-wegs sich selbst reproduzierende Bestände in Rhein,Weser und Elbe aufbauen kann, muss er auch seine an -gestammten Laich- und Jungfischhabitate in den Flüs-sen und Bächen der deutschen Mittelgebirge erreichen.Dazu werden jetzt Fischtreppen an den Staustufen undWasserkraftanlagen der großen Flüsse gebaut bzw. vor-handene „Fischwanderhilfen“ werden optimiert. Damitsollen die Mittelgebirgsgewässer als Laich- und Jung-fischbiotope für Lachs, Meerforelle und Meerneunaugeerschlossen werden.

Aber wegen der hohen EEG-Vergütung für Wasserkraft-strom haben auch die Kleinwasserkraftbetreiber einbegehrliches Auge auf die gefällestarken Mittelgebirgs-gewässer geworfen. Die Kleinwasserkraftbetreiberlocken mit folgendem Angebot: Wenn wir an vorhande-nen Wehrabstürzen ein Kleinwasserkraftwerk bauendürfen, dann errichten wir parallel dazu eine Fischtrep-pe. Da freut sich der Lachs und wir können grünen Was-serkraftstrom produzieren. Das Angebot der Kleinwas-serkraftbetreiber hat jedoch einen Haken: Nur einbestimmter Prozentsatz der Fische findet die Fischtrep-

seine Gutachter sogar klar, dass diese Anforderungenweder richtig kontrolliert noch eingehalten werden kön-nen. Trotzdem wird in einigen Bundesländern von wei-terem Ausbaupotential ausgegangen. Dies ist ein klarerVerstoß gegen das WHG und die WRRL.

2.1.6 Staustufen und das Problem der Methangasbildung

Die Methangasbildung ist seit Jahren ein Streitpunktzwischen den Naturschützern und den Befürwortern derWasserkraft. Methangasemissionen entstehen durch dieZersetzung von Biomasse in den abgelagerten Sedimen-ten der Stau bereiche. Anerkanntermaßen gibt es diesesPhänomen in den tropischen Klimazonen, während seineExis tenz in den gemäßigten Zonen umstritten ist.

Doch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse weisen dar-auf hin, dass diese Prozesse auch in unseren Gewässernunter Methangasbildung stattfinden, in zwar geringe-ren, aber durchaus relevanten Mengen. Insofern mussdie Diskussion über die Wasserkraft diese Erkenntnisseberücksichtigen. Eine neuere Studie der Universität Lin -köping in Schweden zeigt, dass selbst Bäche und Flüssezur Methangasbildung beitragen.20 Inwieweit dabeizwischen stehenden und fließenden Gewässern unter-schieden wurde, ist dem Abstract nicht zu entnehmen.Fest steht aber, dass auch unsere Gewässer zur Methan-gasbildung beitragen. Doch diese Erkenntnisse sindoffensichtlich nicht so neu, denn schon Untersuchun genan der Saale von 1989 belegen Methan bildung.21

Klarere Aufschlüsse lassen allerdings die Untersuchungenan den Stauseen Aare und Wohlensee in der Schweiz zu.22

„Hochgerechnet auf die gesamte Fläche produziert derAare-Stausee jährlich 150 Tonnen Methan. Das ist etwaso viel wie rund 2000 Kühe pro Jahr an die Atmosphäreabgeben oder entspricht bezüglich Klimawirksamkeitdem CO2-Ausstoß von 25 Millionen gefahrenen Autoki-lometern.“

Methan heizt die Erdatmosphäre etwa 25-mal stärkerauf als Kohlendioxid – unter Umständen sogar noch

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besserungen für das Fließgewässer zu bescheinigen. Aberauch bei fachlich qualifizierten Gutachter(innen) bestehtdurch die Auftragsvergabepraktik die hohe Wahrschein-lichkeit von „Gefälligkeitsgutachten". Wirkungskontrol-len bezüglich der (insbesondere kumulativen) Schädi-gung von Wanderfischarten liegen in der Regel nicht vor.

Deshalb fordert der BUND:1. Für den BUND hat der Erhalt natürlicher und naturna-

her Fließgewässer stets Vorrang vor einer Wasserkraft-nutzung. Den Neubau von Wasserkraftanlagen lehnenwir deshalb ab. Dies gilt auch für vorhandene Quer-bauwerke, die bisher keine Wasserkraftnutzung haben.

2. Zur besseren Umsetzung der Ziele der WRRL und desWHG zur Erreichung des „guten ökologischenZustands“ und zur nachhaltigen Nutzung fordert derBUND eine länderspezifische ökologische Priorisierungvon Fließgewässern und Fließgewässerabschnitten, indenen keine Querbauwerke mehr zulässig sein sollen.Dort müssen vorhandene Wanderhindernisse beseitigtund z. B. durch raue Rampen und Sohlgleiten ersetztwerden. Dies gilt auch für Wasserkraftanlagen, siemüssen spätestens nach Ablauf ihrer Konzessionsdau-er zurückgebaut werden.

3. Um das energetische Ziel des BUND („100 ProzentErneuerbare Energien“) nicht zu gefährden, sollte derWegfall von Wasserkraftanlagen in priorisiertenGewässerabschnitten mit einer Steigerung der Ener-gieeffizienz und der Nutzung des energetischen Poten-tials bei gleichzeitiger ökologischer Optimierung in„Nicht-Vorranggebieten“ kompensiert werden.

4. Die ökologische Optimierung von Anlagen außerhalbder priorisierten Gebiete („Nicht-Vorranggebiete“)kann über die Vergütung nach EEG erfolgen, wenn dieökologischen Verbesserungen eindeutig erbracht undnachgewiesen sind.

pen bei der Aufwärtswanderung (siehe Kapitel 2.1.). Beimehreren Fischtreppen entlang eines Flusses kommt esdeshalb auf dem Weg nach oben jeweils zu einem „Aus-dünnungseffekt“. Dasselbe gilt für die Abwärtswande-rung. An „Lachsprogrammgewässern“ muss man sichdes halb entscheiden: Lachs oder Wasserkraft! Wennman beides zusammen versucht, wird das Lachswieder-einbürgerungsprogramm notwendigerweise scheiternmüssen.

Grundaussagen des BUND zur WasserkraftBisher gibt es keine konsequente Umsetzung der Wasser-rahmenrichtlinie (WRRL)2000j60/EG des EP und desRates vom 23. Oktober 2000. Die 2004 deutschlandweit,im Zuge der Umsetzung der WRRL, durchgeführteBestandsaufnahme zeigte deutlich, dass die fehlendeDurchgängigkeit der Fließgewässer bereits zu massivenProblemen, bis hin zu einem Artenverlust von 94 % derkieslaichenden Fischarten geführt hat. Die Fische sindZeigerorganismen für die Bewertung der Fließgewässer-Morphologie. Die Wiederherstellung des guten Zustandsder Gewässer ist erklärtes Ziel aller EU-Staaten. DiesesZiel kann im gesetzten Zeitrahmen (bis 2015 bzw. 2017)nur erreicht werden, wenn die fischbiologische, wie mor-phologische Durchgängigkeit der Fließgewässer wiederhergestellt wird.

Art. 4 (7) WRRL und WHG 31 (2) 3 schließen die Erstellungeiner wasserrechtlichen Erlaubnis für den Neubau einerWasserkraftanlage durch die zuständige Behörde in derRegel aus, da die Ziele, die mit der Änderung des Gewäs-sers verfolgt werden, mit anderen geeigneten Maßnah-men effizienter erreicht werden können. Hier fehlt jedochauf behördlicher Ebene häufig die gewässerkundlicheKompetenz, da die Bewilligung den Landrats ämternobliegt und lediglich das Benehmen mit den Fischerei-und Naturschutzbehörden hergestellt werden muss.

Der im EEG geforderte Nachweis der ökologischen Ver-besserung wurde bisher nicht qualifiziert erbracht.Umweltgutachter(in) mit einer Zulassung in dem BereichElektrizitätserzeugung aus Wasserkraft sind aus reinfachlichen Gründen nicht in der Lage ökologische Ver-

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bauen – also große Talsperren im Einzugsgebiet derStröme, die bei niedrigen Wasserständen zusätzlichesWasser abgeben, so dass die Binnenschifffahrt weiter-gehen kann. Die hessische Edertalsperre beispielsweiseübernimmt seit vielen Jahrzehnten die Funktion zugun-sten der Schifffahrt auf der Weser. Mit wachsenderSchiffsgröße und steigenden Anforderungen an stabileWasserstände sind somit gewässerökologische Prämis-sen immer weniger vereinbar. Die Fortführung der Bin-nenschifffahrt zieht den Zwang nach sich, ehemalsfreifließende Flüsse mit immer mehr technischen Syste-men (Beton, Stahlspundwände, Steinschüttungen) aus-zustatten. ~

Basisdaten zu den „Bundeswasserstraßen“Das heutige Netz der Bundeswasserstraßen in Deutsch-land umfasst Binnenwasserstraßen mit einer Gesamt-länge von rund 7.300 Kilometern. Die Binnenwasser-straßen teilen sich auf in 2.537 Kilometer (35 Prozent)freifließende Flüsse, 3.027 Kilometer staugeregelte Flüs-se (41 Prozent) sowie 1.742 Kilometer Kanalstrecken (24Prozent). Staugeregelt sind beispielsweise Neckar, Mainund Mosel – mit jeweils zehn und mehr Staustufen. AlsKanalstrecken fungieren etwa der Dortmund-Ems-Kanal, der Rhein-Herne-Kanal, der Mittellandkanal alswichtige Ost-West Verbindung zwischen Elbe undWeser (und mittelbar zwischen Rhein und Oder) und derRhein-Main-Donau-Kanal als Verbindung zwischen demSchwarzen Meer und der Nordsee. Zu den Anlagen anden Bundeswasserstraßen zählen unter anderem 326Schiffsschleusen und 337 Wehranlagen, vier Schiffshe-bewerke, zwei Talsperren und etwa 1.300 Brücken. 80bis 90 Prozent des Güterverkehrs finden auf dem Rheinund seinen angebundenen Nebenflüssen Mosel, Neckarund Main statt. Das restliche Verkehrsaufkommen ver-teilt sich auf die übrigen Flüsse und Kanäle. Besondersim Osten unseres Landes ist die Güterschifffahrt an demVerkehrsaufkommen nur marginal beteiligt. Aufgrundbegrenzter Finanzmittel hat das Bundesverkehrsministe-rium Anfang 2011 die Bundeswasserstraßen nach Ver-kehrsaufkommen in sieben Kategorien eingeteilt. Dem-nach sollen nur noch stark befahrene Wasserstraßen

5. Da die Gewährleistung des im EEG geforderten Nach-weises zur ökologischen Verbesserung bisher nichtausreichend qualifiziert realisiert wird, fordert derBUND zur Sicherstellung eines qualifizierten Nachwei-ses, dass diese von gewässerökologisch zertifiziertenIngenieurbüros erarbeitet werden und die zuständigenWasserbehörden entscheiden, ob die ökologischenMindestanforderungen an WKAs erfüllt sind.

6. Sichergestellt werden muss dabei, dass die WKAs öko-logische Mindestanforderungen dauerhaft erfüllenund die technischen Anlagen den neuesten wissen-schaftlichen Erkenntnissen angepasst werden.Das gilt für:• Fischaufstieg• Fischabstieg • Geschiebemanagement und• Restwasserregulierung

2.1.8 Wie ökologisch verträglich ist das Binnen-güterschiff?

Die Binnengüterschifffahrt profitiert in der Öffentlich-keit und in der Politik von dem Mythos, besonders „um -welt freundlich“ zu sein. Das sympathische Image vomgemütlichen Käpt’n auf seinem betagten Motorgüter-schiff findet sich allerdings in der Realität immer weni-ger. Auch in der Binnenschifffahrt herrscht inzwischenein knallharter Rationalisierungskurs und Verdrän -gungs wettbewerb – und damit verbunden der Zwang zuimmer größeren Schiffseinheiten und Schubverbändenmit immer höherer Tonnage. Der wirtschaftliche Druck,die Flüsse an die Kolosse anzupassen und eine möglichstganzjährige Befahrbarkeit herzustellen, nimmt ständigzu.24 Selbst mit Küstenmotorschiffen will man immerweiter flussaufwärts in die Stromsysteme eindringen.Gleichzeitig scheint durch den Klimawandel die Verläss-lichkeit schifffahrtsgeeigneter Wasserstände abzuneh-men. Dadurch nimmt der Druck noch zu, die Flüsse fürden Schifffahrtsverkehr herzurichten. Zusätzliche Ufer-verbauungen und Aufweitungen der Flussläufe mit wei-teren Stauhaltungen und Schleusen wären die Folge.25

Inzwischen wird seitens der Binnenschifffahrtslobbyoffen darüber nachgedacht, Niedrigwasserspeicher zu

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kommen teilt das Bundesverkehrsministerium nun ineinigen Punkten endlich unsere Einschätzung, nach derder millionenschwere und naturzerstörende Ausbau derFlüsse am tatsächlichen Bedarf vorbeigeht. Der Pla-nungsstopp an der Spree (VDE 17) und der Baustopp derKleinmachnower Schleuse, als auch die Ausweisung derSaale als „Restwasserstraße“ und damit das Aus für densinnlosen Kanalausbau an Saale und Elbe sind die logi-sche Konsequenz dieses Umdenkens und schaffen neueMöglichkeiten, die Flüsse wieder in einen besseren öko-logischen Zustand zu versetzen, der Auftrag und Ziel derWRRL ist. Der BUND bedauert, dass im Gegensatz dazubei der Bewertung von Donau und Main bisher nicht dienotwendigen, aus dem tatsächlichen Verkehrsbedarfsich ergebenden Konsequenzen gezogen werden.

Die Reform ist im Vollzug neuer Gesetze und Verordnun-gen überfällig und muss für die ökonomische und ökolo-gische Weiterentwicklung des Wasserstraßennetzesgenutzt werden.

Der BUND hat seine Schlussfolgerungen für eine nach-haltige Fluss- und Binnenschifffahrtspolitik in vierwesent lichen Forderungen zusammengefasst: 26

1. Integrierte Konzepte für lebendige FlüsseUnter dem Motto „lebendige Flüsse“ sind in ZukunftFlüsse und Auen wieder in ihrer Funktion als natürli-cher Lebens- und Retentionsraum herzustellen.

2. Kein weiterer Flussausbau auf Kosten der NaturDie Integration der Binnenschifffahrt in eine intermo-dale Güterverkehrslogistik hat sich an den natürlichenAngebotspotenzialen der Flüsse zu orientieren.

3. Die Binnenschifffahrt den Anforderungen einer mo -der nen Transportlogistik anpassen. Marktchancenwird die Binnenschifffahrt nur dann haben, wenn siekonsequent ihre Innovationspotenziale nutzt.

4. Ökologische Güterverkehrskonzepte umsetzenEin an ökologischen Kriterien orientierter verkehrs -übergreifender Güterverkehr ist überfällig.

Der BUND plädiert für eine tabulose Debatte über Sinnund Unsinn eines hochsubventionierten Güterverkehrsauf Strömen, wo man am Tag oft nur zwei oder drei

ausgebaut und unterhalten werden. Die unteren Kate-gorien werden abgestuft unterhalten oder aufgegeben.Damit sind die sogenannten „Restwasserstraßen“ alssiebte Kategorie zur Renaturierung freigegeben. Inwie-weit das Bundesverkehrsministerium diesen Plan in dieTat umsetzt, bleibt abzuwarten – massiver Widerstandhat sich bereits dagegen formiert.~Der zunehmende Druck größerer Binnenschiffe betrifftnicht nur den Rhein als die meistbefahrene „Wasser-straße“ in Europa – immerhin gut 80 Prozent des Güter-transportes der Binnenschifffahrt in Deutschland findenhier statt. Auch an den nur noch wenig genutzten Strö-men – also vornehmlich Weser, Elbe und Oder – fordertdie Binnenschifflobby eine ungehemmte Anpassung derFließgewässer an wachsende Frachtschiffgrößen. Nachder Wiedervereinigung lag die Priorität der Maßnahmenfür den Unterhalt und Ausbau der Wasserstraßen in denneuen Bundesländer und es ist viel Geld dort investiertworden. Der Einsatz von ca. 3,7 Milliarden EURO hat aberkeine zusätzlichen Verkehre auf die Binnenwasserstraßenverlagert, im Gegenteil, der Güterverkehr hat stetig wei-ter abgenommen und wird nach der Prognose 2025 (Pro-gnose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen2025/Nov. 2007 (im Auftrag BMVBS) im Osten auch nochweiter abnehmen. Nach 20 Jahren hat sich gezeigt, dassder Mitteleinsatz sich nicht rentiert hat.

Volkswirtschaftlich macht dies immer weniger Sinn, daparallel zu diesen schwach frequentierten „Bundeswas-serstraßen“ die Eisenbahn genügend freie Kapazität auf-weist. Die derzeit noch auf Weser, Elbe und Oder trans-portierten Frachten ließen sich ohne Weiteres auch perGüterbahn transportieren. Auch in diesem Fall muss sichdie Gesellschaft fragen, wie lange sie sich die paralleleSubventionierung aller Verkehrsträgern noch leisten will.

Der BUND begrüßt die Priorisierung der Bundeswasser-straßen nach dem Verkehrsaufkommen als Schritt in dierichtige Richtung (s. Kasten oben), die grundsätzlichunsere Unterstützung findet. Mit der Neubewertung derWasserstraßen nach ihrem tatsächlichen Verkehrsauf-

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Arten, wie beispielsweise der heimischen KöcherfliegeHydropsyche sp. 27

Welche langfristigen Folgen diese gravierenden Ver-schiebungen in der Artenzusammensetzung auf dasNahrungsgefüge in den Strömen haben, lässt sich bis-lang nur höchst spekulativ beantworten. So ist es nachder „versehentlichen“ Einschleppung von planktischenKrebstieren in den USA zu einem Populationseinbruchvon Lachsen gekommen. Das wiederum führte zu einerAbwanderung der Weißkopfseeadler. Ein anderes Bei-spiel: Die Schwarzmundgrundel konnte sich in Öster-reich im Donaueinzugsgebiet sowie in Deutschland imRhein und im Neckar erfolgreich etablieren. Nun könntedieser neu aufgetauchte Fisch die bisher heimischenBodenfischarten verdrängen. Ferner steht zu erwarten,dass sich der Fraßdruck auf Fischeier und Kleintiere derGewässersohle erhöht.

Tatsache ist jetzt bereits, dass die Neozoen die Gewäs-sergütebewertung nach den Vorgaben der WRRL deut-lich verschlechtern können. So hat die Verdrängungelbetypischer Arten durch Neozoen den Gewässerzu-stand in der Elbe von „gut“ auf „mäßig“ verschlechtert.Ähnliche Einbrüche bei der Gewässergüte können auchan Rhein und Donau beobachtet werden. 28, 29, 30

Während die Einwanderung osteuropäischer oder garüberseeischer Organismen in den Flüssen kaum auffällt,ist die Eroberung der Flussufer durch „Neophyten“ – alsobeispielsweise durch den japanischen Knöterich, dasindische Springkraut und die Herkulesstaude – nicht zuübersehen. Wie man mit der Neozoen-Problematikumgehen soll, wird derzeit äußerst strittig diskutiert –die Bandbreite der Argumente reicht von „Man kannohnehin nichts dagegen unternehmen“ bis zu „Wir müs-sen mit allen Mitteln dagegen vorgehen“.

Aus der Sicht des aquatischen Naturschutzes solltenzumindest die menschgemachten Faktoren für die Ver-breitung von Organismen aus entfernten geogra fischenRegionen stärker als bislang zu einem Thema in derGewässerschutzpolitik werden (beispielsweise im Hin-

Güterschiffe vorbeituckern sieht. Die weitere Zerstörungder Flussökologie, nur um Relikte einer einstmals stolzenBinnengüterschifffahrt zu retten, ist ökologisch nicht zurechtfertigen. In Zeiten einer Rekordverschuldung sinddie Subventionsmilliarden für diesen Zweck auch ökono-misch nicht mehr tragbar. Insbesondere Elbe und Oderhaben noch das Potenzial, als freifließende FlüsseErwerbsquellen jenseits der Binnenschifffahrt zu gene-rieren. Wir müssen diskutieren, inwieweit ein möglichstnaturverträglich ausgelegter Tourismus an und auf die-sen Strömen auf Dauer eine höhere Wertschöpfung alsdie stagnierende Binnenschifffahrt erzielen kann. Wobeidie entsprechenden Transformationsprozesse behutsamund intelligent gemanagt werden müssen. Schließlichkann nicht jeder Elbeschiffer zum Kellner in der elbena-hen Gastronomie umgeschult werden.

2.1.9 „Aliens“ im Schlepptau der BinnenschifffahrtTeilweise im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehtauch die zunehmende Verbreitung von eingewandertenOrganismen in unseren großen Strömen. Die enorme Ver-breitung der schon vor vielen Jahrzehnten aus Asien ein-geschleppten Wollhandkrabbe im Elbeeinzugsgebietzeigt, dass aber auch ohne Klimawandel ein ständigerEinwanderungsdruck auf unsere Stromsysteme besteht.Die Vernetzung der Stromsysteme durch Kanäle zu Gun-sten der Binnenschifffahrt hat dazu beigetragen, dassneu eingeschleppte Organismen (Neobiota) beste Ver-breitungschancen quer durch Mitteleuropa finden. Beiden Kleinkrabbeltieren auf der Gewässersohle (Makro-zoobenthos) kann für den Rhein konstatiert werden, dassbis zu 90 Prozent der Makrozoobenthos-Biomasse ausneu eingewanderten Tieren (Neozoen) bestehen.

Ein Beispiel für das Vordringen fremder Arten („Aliens“)über Kanalsysteme ist der Dikerogammarus villosus. Die-ser Höckerflohkrebs war in Europa ursprünglich nur in derunteren und mittleren Donau verbreitet. Über den 1992fertiggestellten Rhein-Main-Donau-Kanal gelangte derFremdling in den Rhein und von dort aus über den Mit-tellandkanal in Weser, Elbe und Oder. Die Ausbreitungund explosionsartige Vermehrung des Flohkrebses führteregional zu einem deutlichen Rückgang ur sprüng licher

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2.2. Mehr Raum für den Fluss: Breite Auen mit hoherDynamik

Aus Hochwasser muss wieder „Breitwasser“ werdenHochwasser gibt es dann, wenn es aus Kübeln regnet. Sohatte das Oderhochwasser von 1997 seine Ursachedarin, dass innerhalb weniger Tage 12 Milliarden Kubik-meter Regen über dem Odereinzugsgebiet niedergingen.Zum Vergleich: Der Bodensee beinhaltet 50 MilliardenKubikmeter Wasser. Schneeschmelze, Eisversatz sowieFlächenversiegelung und Bodenverdichtung können dieHochwassergefahr noch verschärfen. Zu Milliardenschä-den infolge von Hochwasser kommt es aber nur dann,wenn Flüsse nicht mehr in die Breite gehen können.Früher verlief sich das Hochwasser in den Kilometer brei-ten Auen der Ströme. Da man die Auen urbar gemacht,betoniert und versiegelt hat, sind die ehemaligen Über-schwemmungsgebiete weitgehend verschwunden.

2.2.1 Bauen im Überschwemmungsgebiet: Schutz von Leben vor Nutzung!

Fortschreitend wurden Wohnsiedlungen, Industriearea-le, Infrastruktureinrichtungen und landwirtschaftlicheNutzflächen in die ehemaligen Überschwemmungsge-biete gelegt. Wenn sich der Fluss bei einem Extremhoch-wasser seine ehemaligen Überschwemmungsflächenzurückerobert, sind PolitikerInnen um wohlfeile Worteselten verlegen: Den Flüssen müsse ihr angestammterRaum wieder zurückgegeben werden. Zur Umsetzungdieser Ankündigungen kommt es bislang jedoch kaum.Auch nach mehrmaligen Überflutungen wurde zerstörteBausubstanz erneut aufgebaut. Nach der verheerenden„Jahrtausendflut“ von 2002 im Elbeeinzugsgebiet versi-cherte der damalige sächsische Innenminister HorstRasch: „Wir sind hier doch nicht in China!“. Er spieltedamit darauf an, dass es Zwangsumsiedlungen selbst instark hochwassergefährdeten Regionen nicht gebenwird. Das ist insofern verständlich, weil historischeStadtzentren, Klöster und andere Kulturdenkmäler teil-weise schon vor Jahrhunderten in direkter Flussnäheerrichtet worden sind. Eine Aufgabe dieser historischenBausubstanz wäre mehr als schmerzlich.

blick auf Temperaturerhöhungen durch Kühlwasser undflusssystemverbindende Kanäle zu Gunsten der Binnen-schifffahrt).

2.1.10 Mit dem Motorsport den Haubentaucher aufscheuchen?

Wo längst kein Binnengüterschiff mehr fährt und dieGewässerökologie beeinträchtigt, haben PS-strotzendeFreizeitkapitäne deren Rolle übernommen. „Sport“-Motorschiffe durchpflügen vor allem die Flüsse zwi-schen Oder und Elbe. Ein Teil dieser Gewässer soll nochstärker als bislang für die Nutzung mit „Sport“-Motor-schiffen erschlossen werden. Der Wellenschlag dieser„Sport“-Motorschiffe beeinträchtigt die Ufervegetation.Ferner beunruhigen die „Sport“-Motorschiffe auf denschmalen „Wasserstraßen“ mit ihrem Lärm und den ver-gleichsweise hohen Geschwindigkeiten die Vogelweltentlang dieser Gewässer.

Es ist Zeit für wasserbezogene Tourismuskonzepte, indenen sich der sogenannte „Sport“-Motorbootverkehrerübrigt – nicht zuletzt auch deshalb, weil der Treibstoff-verbrauch, die CO2-Emissionen und die Abgasbelastungaufgrund dieses Motor-„Sports“ per se als unökologischeinzustufen sind. Gefragt sind unter dem Stichwort„Gelenkter Tourismus“ Konzepte, bei denen die sensiblenostdeutschen „Wasserstraßen“, auf denen es keineGüterschifffahrt mehr gibt, auch von den PS-starkenMotorbooten der Freizeitkapitäne verschont bleiben.

Zwar findet Motor-„Sport“ auch auf dem Rhein statt.Dort werden die negativen Auswirkungen dieses soge-nannten Sports aber durch den intensiven Güterschiff-fahrtsverkehr überprägt. Vor allem an ökologisch sensi-blen Buchten und Altgewässern sollte man auch amRhein anfangen, diese Areale als Tabuzonen für jegli-chen Motor-„Sport“ auszuweisen.

Darüber hinaus setzt sich der BUND zur Umsetzung derKostengerechtigkeit bei den Verkehrsträgern dafür einauch die Motorboote an den Unterhaltungskosten derWasserstraßen in Form einer Vignette zu beteiligen.

19Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

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fen bei der Umsetzung des § 78 WHG keine falsche Toleranz praktizieren: Neubauten haben in potenziellenÜberschwemmungsgebieten nichts zu suchen. Auchlandwirtschaftliche Nutzflächen sollten nur dann zulässig sein, wenn sie extensiv und hoch wasserange-passt bewirtschaftet werden.

2.2.2 Alle Parteien für naturnahen Hochwasserrückhalt

Mit dem Verschwinden der Auen wurde auch der natür-liche Hochwasserrückhalt drastisch reduziert. Wo früherdas Hochwasser vergleichsweise schadlos in die Breitegehen konnte,31 „steilt“ es sich jetzt in den begradigtenFlussläufen auf – und richtet bei „Extremereignissen“Schäden in Milliardenhöhe an.

Was Umwelt- und Naturschutzverbände seit Jahren imHinblick auf den naturnahen Hochwasserrückhalt for-dern, hat im Jahr 2009 auch seinen Niederschlag imKoalitionsvertrag gefunden. Dort haben die Regierungs-fraktionen festgelegt: „Für den Natur- und Hochwasser-schutz sollen natürliche Auen reaktiviert und Flusstäler,wo immer möglich, renaturiert werden.“ Im Frühjahr2010 legte die Opposition nach. Die SPD im Bundestagplädierte für ein integriertes Hochwasserschutzkonzept.Ferner sollte der naturnahe Wasserhaushalt durchSchutz und Renaturierung von Nass- und Feuchtgebie-ten gefördert werden – Motto „Hochwassergefahrenmindern, Klima schützen“. Und die Grünen verlangtenein Auenschutzprogramm der Bundesregierung.32

In der Parlamentsdebatte um diese Anträge stimmte dieCDU/CSU diesen Anliegen grundsätzlich zu: Auch diechristlich-liberale Bundesregierung begrüße „die Reakti-vierung natürlicher Auen für den Natur- und Hochwas-serschutz sowie die Renaturierung von Flusstälern, woimmer möglich“, Kernbestandteil der entsprechendenPolitik der Bundesregierung sei „ein integrierter Ansatzim Bereich der Hochwasserrisikovorsorge“. Dazu gehöredie „Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung desWasserrückhalts in der Landschaft und (der) Rückbauvon Deichen zur Wiedergewinnung von Überschwem-mungsgebieten im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe‚

Gleichwohl sollte man angesichts der sich häufendenHochwasserkatastrophen ins Grübeln kommen. Infolgedes offenkundigen Klimawandels muss immer öfters mit„Jahrhunderthochwassern“ gerechnet werden. Die wär-mere Atmosphäre kann mehr Wasser aufnehmen, wasStarkniederschlagsereignisse nach sich zieht. Nun stelltsich die Frage, wie oft es sich die Gesellschaft leistenkann und will, immer aufs Neue Gelder für den Wieder-aufbau bereitzustellen. Die Versicherungswirtschaft hatdarauf schon eine Antwort gegeben: Für Hochwasser -risikogebiete stellen die Versicherungen in den meistenBundesländern keine neue Policen mehr aus. Die Aufga-be von Siedlungsraum ist allerdings ein hochemotiona-ler Akt. Und überall, wo man es versucht hat, warenmassive Konflikte die Folge – so beispielsweise an derDonau, wo angesichts der Entscheidung von Pro undKontra zu einer Umsiedlung die Fronten quer durch dasmehrfach überschwemmte Dorf verliefen. Ebenso an derfranzösischen Atlantikküste, wo die Bewohner einermehrfach überschwemmten Küstensiedlung im Jahr2010 zur Umsiedlung aufgefordert wurden. Politik undVerwaltung scheiterten mit dem Vorhaben.

Angesichts der massiven Schwierigkeiten, Siedlungenaus Hochwasserrisikogebieten zu verlegen, sollte zumin-dest die Devise gelten, dass keinerlei Gebäude, Infra-struktur- und Industrieanlagen in potenziellen Über -flutungsarealen neu errichtet werden dürfen. DasWasserhaushaltsgesetz (WHG) lässt dies im Prinzip auchnicht zu: Nach § 78 (2) WHG müssen kumulativ neunrestriktive Anforderungen erfüllt werden, um „baulicheAnlagen“ trotzdem in ausgewiesenen Überschwem-mungsgebieten platzieren zu können. Dank einer kreati-ven Auslegung dieser Vorschrift kommt es gleichwohlimmer wieder vor, dass fatalerweise neue Häuser imÜberflutungsbereich entstehen. Im schlimmsten Fall rui-niert diese Praxis nicht nur das Gebäude – sondern setztauch Menschenleben aufs Spiel.

Angesichts sich häufender Hochwasserereignisse bestehtdie Notwendigkeit, das heikle Thema der Um- und Aus-siedlung behutsam – aber beharrlich – anzu gehen. Diezuständigen Behörden (Kommunen und Landkreise) dür-

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bedroht sind. Ferner sind in der Aue so unscheinbareOrganismen wie die Bauchige Windelschnecke behei-matet, die nur wenige Millimeter misst, aber gleichwohlunter dem Schutz der FFH-Richtlinie steht. Auch zahl-reiche stark in ihrem Bestand bedrohte Fledermausartenfindet man vornehmlich in der Aue. Außerdem sind tau-sende Pflanzen auf das Mosaik zwischen feuchten undtrockenen Standorten in der Aue spezialisiert. Das Bun-desamt für Naturschutz (BfN) geht davon aus, dass inden mitteleuropäischen Auen 12.000 Arten beheimatetsind. Und in der Schweiz hat man kartiert, dass über 50Prozent aller Pflanzenarten auf nur 0,5 Prozent derFläche des Landes beheimatet sind – nämlich in denRestbeständen der Auen entlang der schweizerischenFließgewässer.

Um diese „Bioindikatoren“ für eine naturnahe Aue zufördern oder erneut heimisch werden zu lassen, bedarfes naturnaher Flussufer und breiter Auen entlang unse-rer Flüsse. Neben der Längsdurchwanderbarkeit derStröme kommt es also auch auf die Quervernetzungzwischen Fluss und angrenzender Aue an.

Lebendige Auen kennzeichnet die natürliche Dynamikvon Wassermangel und Überflutung. Deshalb ist eswichtig, diese Dynamik so naturnah wie möglich wiederherzustellen. Bei einer Stauraumbewirtschaftung imEinzugsgebiet der Ströme sollten auch kleinere Hoch-wasser die Stauräume passieren können. Damit kannsich auch in den unterhalb liegenden Auen wieder eineHochwasserdynamik entfalten. Strömen nur Extrem-hochwässer in die Aue, enthält man ihr die erforderlicheDynamik vor. Ebenso wichtig ist es, den Schwall- undSunkbetrieb in den oberhalb liegenden Wasserkraftwer-ken abzustellen. Der Schwall- und Sunkbetrieb bei derrenditeträchtigen Produktion von Spitzenlaststrom33

lässt den Wasserstand beim „Schwall“ unnatürlichschnell steigen und beim „Sunk“ gleichermaßen un na -türlich rasch sinken. Die abrupten Wasserstandsände-rungen im Fluss, am Ufersaum und vor allem in der Aueschädigen die dort lebenden Arten erheblich. Liegt dieAue im Rückstaubereich von Laufwasserkraftwerken,stellt sich wegen des gleichmäßig hohen Wasserstandes

Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-schutzes‘“. Gleichwohl seien Bundesregierung und Koa -li tionsparteien „an einer noch besseren Verknüpfung derBereiche naturnaher Wasserhaushalt, Renaturierungvon Feuchtgebieten und Schutz der Auen interessiert;denn davon würde wiederum auch der Hochwasser-schutz profitieren“. Allerdings sei aufgrund föderalerRestriktionen „ein eigenes Auenschutzprogramm derBundesregierung verfassungsrechtlich nicht möglich“.Auch wenn man insofern die Anträge der Oppositionablehnen müsse, sei man daran interessiert, mit denFraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ge -meinsame Gespräche zur Weiterentwicklung des natur-nahen Hochwasserrückhalt zu führen, so einer derCDU/CSU-Parlamentarier in der Bundestagsdebatte.

An diesen Worten müssen die Umweltverbände die Poli-tikerInnen der Koalition messen. Bei jeder passendenGelegenheit sollten sie an diese hehren Absichten erin-nert werden.

2.2.3 Die Aue – ein Lebensraum höchster Artenvielfalt

Neubaugebiete, Industrie- und Infrastrukturanlagenver hindern an vielen Flussabschnitten die notwendigeRevitalisierung der Aue. In dem Umfang, in dem es ge -lingt, die strombegleitende Altaue wieder zu aktivieren,verbessert sich nicht nur der Hochwasserrückhalt – auchdie Biodiversität in und entlang unserer Ströme nimmtwieder zu.

Damit werden auch Biber und Fischotter, Schwarzstorchund Rohrdommel, Bekassine und Mittelspecht, Pirol undEisvogel sowie die auentypische Fischfauna in relevanterStückzahl wieder „auftauchen“. Weitere Tierarten, dienicht nur in der Aue, aber vor allem auch in der Aue vor-kommen, sind beispielsweise Wiesenweihe, Wachtelkö-nig, Uferschnepfe, Schilfrohrsänger, Knäkente undSumpfohreule. Darüber hinaus bietet die Aue Lebens-raum für zahlreiche Amphibien, Reptilien und Insekten.Dazu zählen beispielsweise Libellenarten, die wie dieGrüne Mosaikjungfer, die Hochmoor-Mosaikjungfer unddie Späte Adonislibelle hierzulande vom Aussterben

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gen Gewässern zu machen. Aber wir müssen heute damitanfangen! Und jedes Extremhochwasser wird hoffentlichdas Bewusstsein dafür schärfen, dass wir den Strömenwieder den ihnen zustehenden Raum zurückgegebenmüssen. ~

Biodiversität kontra Nutzung?Die fehlende Sichtbarkeit von Leistungen und mone tärenWerten der Biodiversität in unserem Wirtschaftssystemführt häufig zu einer ineffizienten Nutzung oder gar Ver-nichtung von „Naturkapital“, der Grundlage unsererVolkswirtschaft. Der Wert eines ausgeglichenen Ökosys-tems lässt sich durchaus berechnen und ebenso lässt sichbeziffern, was es kostet, wenn die Natur aus dem Gleich-gewicht gerät. Eine Studie, die zur UN-Artenschutzkonfe-renz in Nagoya Oktober 2010 erschien, belegt dies undliefert zudem einen neuen Bewertungsansatz.34

In diesem Sinne müssen die Auen unserer Flüsse neubewertet werden und es stellt sich die Frage, welcheÖkosystemleistung sie haben. Welchen Nutzen habensie als Biotopverbund, als natürliche Klärwerke unsererFlüsse, als Laichgebiet und Kinderstube der Fische? Wasleisten sie bei der CO2-Speicherung, der Trinkwasserver-sorgung, beim Hochwasserschutz und letztendlich zumErhalt der biologischen Vielfalt? Wenn wir das richtigeinschätzen können, dann wissen wir auch, was wir ver-lieren, wenn die Auen verlorengehen – etwa durchÜberstauung für Wasserkraftwerke. In diesem Sinnegreift die Diskussion um die Einsparung von CO2-Men-gen bei der Stromproduktion zu kurz. Der scheinbareKonflikt zwischen der Biodiversitätskonvention und Klimarahmenkonvention muss aufgelöst werden.

Wie stark können sich die Ökosysteme an sich änderndeUmweltbedingungen anpassen? Diese Frage ist beson-ders wichtig, denn die Widerstandsfähigkeit der Ökosy-steme bildet eine Art „natürliche Versicherung“ gegenmögliche Störungen und den Verlust von Ökosystemlei-stungen. Um diese Widerstandsfähigkeit (Resilienz) zuerhalten, muss nach dem Vorsorgeprinzip die Biodiver-sität bewahrt und wiederhergestellt werden.

im Rückstaubereich oftmals der auentypische Wechselvon Niedrigwasser und Hochwasser gar nicht mehr ein.Das ist für die Lebensgemeinschaften der Auen fatal,denn sie brauchen außer Hochwasser auch periodischeNiedrigwasserstände und Trockenphasen.

Auengeprägte Wildnisgebiete, in denen sich die Naturmöglichst ohne menschliche Eingriffe frei entwickelnkann, sind heute deutschlandweit eine Seltenheit.Natur nahe Stromlandschaften wiederherzustellen, wür -de belegen, dass Deutschland seine Verpflichtungen zurArtenvielfalt („Biodiversität“) ernst nimmt. In der 2007beschlossenen Nationalen Strategie zur biologischenVielfalt hat sich die Bundesregierung ein wichtiges Zielgesetzt. Bis zum Jahr 2020 soll sich die Natur auf zweiProzent der Fläche Deutschlands wieder nach ihreneigenen Gesetzmäßigkeiten ungestört entwickeln dür-fen. Es soll also Wildnis entstehen. Dazu sind die Auenprädestiniert. „Wildnis“ bezogen auf die Auen würdebedeuten, dass sich dort wieder ein Mosaik unterschied-lichster Lebensräume mit den dafür „geeichten“ Lebens-gemeinschaften findet – mithin Rohböden mit Pionier-standorten, Seggenröhrichte, Stromtalwiesen, jungeWeichholzbestände und alt- und totholzreiche Eichen-Ulmen-Bestände, die durch ihren Lianenreichtum aneinen Urwald erinnern.

Lachs, Aal und Stör in den Flüssen, die in die Nord- undOstsee münden, Huchen und Sterlet in der Donau sowieBiber und Fischotter auch in den strombegleitendenAuen wären der lebendige Ausdruck einer Flussland-schaft, in der ein naturnaher Hochwasserrückhalt funk-tioniert – einer Flusslandschaft, in der Hochwasser wie-der zu „Breitwasser“ wird. Wo Biber und Fischotterkünftig ihren Lebensraum finden, kann sich das Hoch-wasser in breiten Auen wieder gefahrlos ausbreiten.

Natürlich lässt sich die Vision von breiten Auen entlangder großen Ströme nicht von heute auf morgen umset-zen. Aber auch der Bau von Kläranlagen und deren Opti-mierung hat über zwei Generationen beschäftigt. Viel-leicht muss man mit ebenso langen Zeiträumen rechnen,um die großen Flüsse in Deutschland wieder zu lebendi-

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anlagen). Der Nährstoffrückhalt in der Aue ergibt einenweiteren Nutzen in Höhe von 16 Millionen Euro pro Jahr.Ferner berechnete die BfN-Studie die allgemeine Wert-schätzung der natürlichen Auenlandschaften in Geldwer-ten. Ergebnis: Die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerungliegt bei 30 Millionen Euro jährlich.

Für das BfN ergibt sich folgendes Fazit aus dieserKosten-Nutzen-Analyse: Betrachtet man nur die Hoch-wasserschutzwirkung, würden naturverträgliche Deich -rück ver legungen ein negatives Nutzen-Kosten-Verhält-nis auf weisen. Berücksichtigen die Entscheidungsträgerauch den zusätzlichen Nutzen, der sich aus der Natur-schutz- und Gewässerschutzwirkung der Deichrückver-legungen ergibt, ist das Nutzen-Kosten-Verhältnis posi-tiv. Damit sind Deichrückverlegungen nicht nurnaturschutzfachlich, sondern auch volkswirtschaftlichsinnvoll. Das BfN geht davon aus, dass eine begrenzteZahl technischer Schutzmaßnahmen mit starker Hoch-wasserschutzwirkung an ausgewählten Stellen kombi-niert mit großflächigen Auenreaktivierungen mit ihrenvielfältigen ökologischen Vorteilen zu einem besonderswirkungsvollen und ökonomisch effizienten Schutzpro-gramm führen.35 ~2.2.4 Die Flussauen – Hotspots der ArtenvielfaltWie im vorangegangen Kapitel erläutert, gelten Flussau-en als die produktivsten natürlichen Lebensräume inMitteleuropa. In den ehemals vorhandenen breiten Auenentlang der Ströme war eine Artenvielfalt beheimatetwie ansonsten in keinem anderen Lebensraum.36 Vomeinstigen Reichtum der Auen ist in Deutschland nichtmehr viel übrig geblieben.37

~Für mehr Prozessnaturschutz –Flüsse leben von Katastrophen

Gewässerbiologen und Auenspezialisten sind sich einig:„Flüsse leben von den Katastrophen!“ Die generelle Kri-tik lautet: Die Raumplanung vernachlässigt die morpho-logischen Prozesse zu Gunsten einer viel zu statischenPlanung. Bedauerlicherweise lässt das Planungs- undGenehmigungsrecht keinen Raum für Experimente. Was

Dabei geht es natürlich um den Fluss als Ganzes, wozudie Aue gehört, aber auch um seine Dynamik, also dasser frei fließt, mäandriert, Geschiebe ablagert und trans-portiert, mal viel und mal wenig Wasser führt. Das allesund einiges mehr macht einen Fluss aus. Wenn ergestaut ist, fehlen diese Eigenschaften, die Folgen: Dieartspezifische Zusammensetzung im gestauten Bereichunterscheidet sich klar von der eines nicht gestautenFlussbereichs. ~

Naturnaher Hochwasserrückhalt rechnet sich!Auenrevitalisierungen werden bislang gegenüber demtechnischen Hochwasserschutz systematisch schlechtgerechnet. Die traditionellen Kosten-Nutzen-Analysenberechnen in der Regel nur den höheren Flächenbedarf imVergleich zu gesteuerten Poldern sowie die hochwassersenkende Wirkung. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN)hat 2010 eine Methodik erarbeiten lassen, die auch dieWirkung der Auen als Lebensraum für Pflanzen und Tiere,als Erholungsraum für die Menschen und als Filter fürSchadstoffe monetarisiert. Damit wird zusätzlich zumHochwasserrückhalteeffekt der ökonomische Nutzen derverschiedenen Ökosystemfunktionen einer revitalisiertenAue quantitativ erfasst.

Bei den BfN-Berechnungen ergab sich für die Auenrevita-lisierung entlang der Elbe ein Nutzen-Kosten-Verhältnisvon 3:1. Das bedeutet, dass der monetäre Wert des ökolo-gischen und ökonomischen Nutzens einer Auen-Revitali-sierung dreimal so hoch ist wie ihre Kosten. Kalkuliertwurde die Neuanlage von rund 35.000 Hektar Überflu-tungsflächen an der Elbe. Entsprechende Deich rück -verlegungen würden jährlich durchschnittlich 18 Millio-nen Euro kosten. Der hohe Nutzen ergibt sich zum einendaraus, dass Hochwasserschäden von durchschnittlich 6 Millionen Euro pro Jahr vermieden werden können. Zu Gunsten der Deichrückverlegung schlägt aber auch zuBuche, dass durch eine kürzere Deichlinie 5 Millionen EuroDeichpflegekosten pro Jahr eingespart werden kön nen.Außerdem entfallen nun an anderer Stelle Maßnahmen,die – wie es die WRRL vorschreibt – die Nährstofffrachtder Elbe mindern (etwa einschränkte land wirtschaftlicheNutzung oder gesteigerte Reinigungsleistungen der Klär-

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2.2.5 Wasserrahmen- und FHH-Richtlinie zusammen denken!

Die EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL, siehe Kapitel 4)umzusetzen, bedeutet Flüsse zu renaturieren und durch-gängig zu machen. Dabei sind die Schutzanforderungender europäischen FFH- und Vogelschutzrichtlinie zuberücksichtigen. Falls ihre Ansprüche divergieren, mussein Interessensausgleich her. Hierbei spricht sich derBUND für Lösungen mit Augenmaß und gegen dogmati-sche Festlegungen aus.

Insgesamt überwiegen aber die Synergien: In denStrom- und Flussauen lässt sich die Mehrzahl der dortbeheimateten FFH-Lebensraumtypen und -Arten nur mitmehr Dynamik dauerhaft in den „guten Erhaltungszu-stand“ bringen. Die Umweltberichte zur WRRL-Maßnah-menplanung der Bundesländer rechnen im Allgemeinennicht mit Konflikten zwischen WRRL- und FFH-Maß-nahmen. WRRL-Maßnahmen in ökologisch sensiblenGebieten (z. B. FFH-Gebiete, stromangrenzende Natur-schutzgebiete) erfordern Verträglichkeitsprüfungen. Beiumfangreichen Eingriffen ist eine ökologische Baube-gleitung notwendig. Die WRRL-Maßnahmen dürfen denSchutzzweck dieser Gebiete nicht in Frage stellen undmüssen erhebliche Beeinträchtigungen für die Artenund Lebensräume in den Schutzgebieten vermeiden.

Eines der wesentlichen Ziele bei der Umsetzung derWRRL ist die Herstellung der Durchgängigkeit für Fischeund andere Organismen. Bei Konflikten zwischen derDurchgängigkeit und dem Schutz bestimmter Arten (z. B. des von der Krebspest bedrohten Edelkrebs oder derGekielten Smaragdlibelle) sollte nach Einzelfallprüfungin der Regel die Durchgängigkeit Vorrang haben.

Bei Renaturierungsmaßnahmen im Uferbereich, wennbeispielsweise Uferbefestigungen zurückgebaut und dasBachbett aufgeweitet werden, sind verbleibende Ufer-gehölze möglichst zu erhalten und der natürlichenDynamik zu überlassen. Von dieser Regel kann manabweichen, wenn es darum geht, Überflutungswiesenfür krautlaichende Fischarten (beispielsweise Hechte) zuschaffen, falls diese dort natürlich vorkommen. Denn

planfestgestellt wird, muss auf Dauer angelegt sein.Morphodynamik in der Aue kann aber nicht genau vor-ausgeplant werden. Insofern muss das Genehmigungs-recht etwas mehr Chaos zulassen, was von den Behör-den auch mehr Mut zum Risiko fordert. Der deutscheNaturschutz tut sich leider nach wie vor schwer mit derProzessorientierung. ~In Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Natur-schutz fordert der BUND deshalb, alle Möglichkeiten zurWiederherstellung der Auen zu nutzen. Aus der Sichtdes aquatischen Naturschutzes versagt die nationaleBiodiversitäts- und Auenschutzstrategie hier eklatant.Anstatt die Hochwasserdeiche zur Auenrevitalisierungund zum naturgemäßen Hochwasserrückhalt auf breiterFront zurückzuverlegen, ist man von Oder über Elbe,Weser und Rhein bis zur Donau über einige wenigePilotprojekte nicht hinausgekommen. Zwar sieht bei-spielsweise das Aktionsprogramm „Rhein 2020“ derInternationalen Rheinschutzkommission (IKSR) vor, biszum Jahr 2020 Uferstrecken in einer Gesamtlänge von800 Kilometern zu revitalisieren – tatsächlich ist dies bisjetzt nur auf einer Uferstrecke im einstelligen Kilome-terbereich gelungen.

Die bestehenden Instrumente zur Revitalisierung derAuen in der WRRL sowie in den beiden „NATURA 2000“-Richtlinien zum Vogelschutz und zu den Flora-Fauna-Habitaten (FFH) werden nur unzureichend genutzt undzusammengeführt. Das sieht auch das BfN so. Dabeiwären die Auen als Wechselzone zwischen Land undWasser wie kein anderer Lebensraum geeignet, denGewässerschutz nach der WRRL einerseits und denSchutz von Flora und Fauna und speziell von Vögelnüber die FFH-Richtlinie andererseits idealtypisch zukombinieren. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die AuenWanderkorridore darstellen, die Lebensräume für vieleseltene Pflanzen- und Tierarten in Deutschland vernet-zen. Beispielsweise nutzen Biber, Fischotter und Wild-katze die strombegleitenden Auen als Wanderwege zurEroberung neuer Lebensräume.

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2.2.6 Für multifunktionale Gewässerrandstreifen„Die kleine Schwester“ der ehemals oft kilometerbreitenStromauen sind an den Bächen und Flüssen die Gewäs-serrandstreifen. Intakte Gewässerrandstreifen an Sei-tenflüssen und Seitenbächen kommen letztlich auchden großen Strömen zu Gute: sie verlangsamen denHochwasserzufluss aus der Fläche in die Ströme undbegünstigen das WRRL-Ziel des „guten ökologischenZustandes“. Und nicht zuletzt dienen Gewässerrand-streifen der Verzweigung der Auen-Wanderkorridore indie Flusseinzugsgebiete hinein. Damit stellen sie einwichtiges natürliches Biotop-Verbundsystem dar.

Überall dort, wo WRRL-Maßnahmen geplant sind, sollteman möglichst durchgehend Uferrandstreifen auswei-sen, die in vielerlei Hinsicht entscheidenden Einfluss aufden „guten ökologischen Zustands“ haben.

Die WRRL berücksichtigt in ihrer Bestandsaufnahme nurFließgewässer mit einem Einzugsgebiet von mehr als 10Quadratkilometer. Die Gesamtlänge dieser Fluss-läufebeträgt ca. 130.000 Kilometer. Einschließlich aller klei-neren Fließgewässer beträgt die Gesamtlänge in Wirk-lichkeit aber 400.000 Kilometer. Damit wird die Bedeu-tung der Fließgewässer für die Biodiversität in derFläche sehr deutlich.

Breite Gewässerrandstreifen würden den allgemeinenNaturschutz und die Biodiversität in Deutschland ent-scheidend voranbringen – und zwar aus folgendenGründen:

• Gewässerrandstreifen bilden Wanderkorridore, überdie der Genfluss zwischen ansonsten isolierten Popu-lationen gewährleistet werden kann.

• Durch die Grenzlinieneffekte39 zwischen aquatischenund terrestrischen Lebensräumen zeigen Gewässer-randstreifen eine besonders hohe Artenvielfalt.

• Innerhalb der Gewässerrandstreifen ist eine begrenzteEigendynamik der Fließgewässer hilfreich, um Bächeund Flüsse bei geringen Kosten zu renaturieren: DieKraft des Hochwassers macht es möglich. Die Struk-turverbesserung im Gefolge von Gewässerrandstreifen

das wesentliche Manko entlang der Mittel- und Unter-läufe unserer Ströme ist, dass die überströmten Flach-wasser- und Grünlandbereiche verlorengegangen sind.Damit fehlen vielen Arten die notwendigen Jung-fischaufwuchshabitate.38 Wer die FFH-Richtlinie dog-matisch auslegt, würde die Entfernung von Ufergehöl-zen möglicherweise als Verstoß auslegen.~

Großes EU-Thema für 2010–2012: Natur- und Gewässerschutz

Die Generaldirektion Umwelt und die Wasserdirektorender EU-Mitgliedsländer haben die Zusammenhänge zwi-schen Natur- und Gewässerschutz als aktuelles Schwer-punktthema formuliert: „Water and biodiversity should bea priority for 2010–2012.“ Den Themenschwerpunkt habeman gewählt, weil weder die Zusammenhänge noch dieKonfliktfelder zwischen Natur- und Gewässerschutz beider Umsetzung der WRRL bislang genügend beachtet wor-den wären. Deshalb müsse man den Dialog zwischen derNatur- und Gewässerschutzszene vorantreiben. Vor allemmüssten die Verschränkungen bei der Umsetzung der EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) und der EG-Vogel-schutz-Richtlinie einerseits und der WRRL andererseitsverbessert werden. Um Natur- und Gewässerschutzakti-vitäten besser als bislang aufeinander abzustimmen, willdie Generaldirektion Umwelt ein programmatisches Papiervorlegen, das die Berührungspunkte zwischen FFH undWRRL analysiert. Konflikte könnten sich daraus ergeben,dass die FFH-Richtlinie eher von einem bewahrenden,konservierenden Naturschutz ausgeht. Demgegenüber willdie WRRL bestehende Zustände überwinden und dazuwenn nötig auch in FFH-Schutzgebiete eingreifen. EinLeitlinienpapier soll zudem Antworten auf häufig gestellteFragen zu den Verbindungen zwischen der WRRL einer-seits und der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie anderer-seits geben. Um diese potenziellen Konfliktfelder ebensowie Gemeinsamkeiten und Synergien von WRRL undNatura 2000 zu diskutieren, hat die GeneraldirektionUmwelt zu einem EU-weiten Konsultationsprozess einge-laden. Dabei sollen auch die Themenfelder analysiert wer-den, für die künftig weitergehende EU-Aktivitäten undLeitfäden erarbeitet werden müssen, um WRRL- und FFH-Aktivitäten auf einen Nenner zu bringen. ~

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Gesetzes wegen. Größtenteils existieren Gewässerrand-streifen nur virtuell, nämlich in den Landeswassergeset-zen. De facto ist entlang der meisten Bäche und Flüssekeine Spur von Gewässerrandstreifen zu entdecken. Eineder wichtigsten Aufgaben der weiter unten erwähnten„Flusskonferenzen“ und „Flussraummanager“ wird essein, von virtuellen zu realen Gewässerrandstreifen zukommen, dass also Gewässerrandstreifen nicht nur for-mal ausgewiesen werden, sondern tatsächlich „mitLeben gefüllt“ werden.

Wegen der viel zu geringen Zahl real existierenderGewässerrandstreifen schlägt der BUND eine „ergän -zende Maßnahme“ im Sinne der WRRL vor: die generelleAusweisung von mindestens zwanzig Meter breitenGewässerrandstreifen. Das sollte in den nächsten Novel -len des Wasserhaushaltsgesetzes sowie der Landes -wassergesetze umgesetzt werden. In begründeten Ausnahmen kann man davon absehen und den Zwanzig-Meter-Standard nach oben oder unten variieren werden.Ein Verstoß gegen die in Gewässerrandstreifen gelten denAuflagen und Verbote sollte mit Bußgeldern sank tio niertwerden. Vorrangig geht es aber darum, im Rahmen vonFlurbereinigungen und durch Gelände tausch möglichstviel Land in die Obhut von Ländern und Kommunen zubringen. Unerquickliche Interessenkon flikte über dieBewirtschaftung von Gewässerrand streifen können danneher vermieden werden. Platz für real existierendeGewässerrandstreifen schafft auch das „Ökopunktever-fahren“ bei Eingriffs-Ausgleichs-Rege lun gen. Im Übrigengilt immer noch Art. 14 GG: Eigen tum verpflichtet. Inso-fern haben die privaten Eigen tümer von Ufergrund-stücken und potenziellen Gewässerrandstreifen schonjetzt Anlass, auch ökologische Aspekte bei der Bewirt-schaftung ihrer flussnahen Grundstücke zu beachten!

2.2.7 Die Gewässer für den Klimawandel fit machen!Die Forderung nach breiten Auen müsste auch einBestandteil der deutschen Anpassungsstrategie an denKlimawandel sein – insbesondere wegen der bereitserläuterten Funktion der Auen im Hochwasserschutz. Ingewissem Umfang tragen intakte Auen auch zur Stabili-sierung des Landschaftswasserhaushaltes in Dürrephasen

• wird in der Regel auch dazu beitragen, dass sich der„gute ökologische Zustand“ in den Fließgewässernwieder einstellt.

• Innerhalb von Gewässerrandstreifen kann die Unter-haltung eingeschränkt werden, was ebenfalls Kostenspart. Diese Kostenreduktionen können langfristig dieKosten für Kauf oder Pacht der Gewässerrandstreifenbzw. Ausgleichs- und Entschädigungsmaßnahmen für betroffene Landwirtschaftsbetriebe und andereGewässeranlieger wieder kompensieren.

• Gewässerrandstreifen bremsen den Eintrag von Fein-stoffpartikeln und Nährstoffen in die Fließgewässerab. (Dort, wo Drainagen unter den Gewässerrandstrei-fen hindurch nährstoffreiches und pestizidbelastetesSickerwasser von den Äckern in die Fließgewässer ein-bringen, muss man die Drainagen möglicherweiseblockieren.)

• Ein naturnaher Gehölzsaum auf den Gewässerrand-streifen – und in geringerem Umfang auch die dortstockenden Hochstauden – verlangsamen den Hoch-wasserabfluss und ergänzen damit weitgehendkostenneutral die technischen und baulichen Maß-nahmen des Hochwasserrückhaltes und -schutzes.

• Noch mehr im Sinne der Gewässerökologie wäre es,wenn man den Fließgewässern von vornherein genü-gend breite Entwicklungskorridore zur „Selbstentfal-tung“ zugestehen würde. In Frankreich hat man die-sem Konzept den schönen Namen „Espace de Liberté“gegeben. Wenn den Bächen und Flüssen „freier Pen-delraum“ (so die schweizerische Bezeichnung) zuge-standen würde, könnten sich Gewässerrandstreifen„von selbst“ entwickeln!

Obwohl Gewässerrandstreifen als „Mehrzweckwaffe“dienen können, um die Ziele der WRRL zu erreichen, denaquatischen Naturschutz zu verbessern, Fein- und Nähr-stoffeinträge zu reduzieren und Hochwasser zurückzu-halten, kommt ihre Ausweisung in Deutschland nurschleppend voran. Das neue Wasserhaushaltsgesetz(WHG) vom März 2010 und die meisten Landeswasser-gesetze sehen bislang nur fünf Meter breite Gewässer-randstreifen vor. Manche Bundesländer verzichten völligauf die Ausweisung von Gewässerrandstreifen von

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Um den negativen Auswirkungen von möglicherweisezunehmenden Niedrigwasserphasen entgegenzuwirken,sollte man an kleineren Fließgewässern vermehrt Nied-rigwassergerinne anlegen. Diese Baumaßnahmen dürfenaber nicht überdimensioniert sein. Es besteht aber nochgewisser Forschungsbedarf, um Niedrigwassergerinne sozu bauen, dass das Hochwasser sie nicht zerstört, ver-legt oder zuschwemmt.

Eines ist klar: Der Gewässerschutz beinhaltet eine nichtunbeträchtliche Klimaschutzkomponente. Dies betrifftinsbesondere die Moore, die beträchtliche Kohlenstoff-mengen speichern. Die Trockenlegung der Moore in denletzten Jahrhunderten hat gewaltige Mengen an Koh-lendioxid freigesetzt. Ein stabiler Landschaftswasser-haushalt – beispielsweise durch die Wiedervernässungvon Mooren und anderen Feuchtgebieten – ist zudemein Beitrag zur Waldbrand-Prophylaxe. Sollte es künftigim Gefolge des Treibhauseffekts verstärkt zu lang anhal-tenden Dürreperioden kommen, wird auch in unserenBreiten die Waldbrandgefahr deutlich zunehmen.

2.3 Die Flusssohle: die unterschätzte „dritte Dimension“

Wenn derzeit über ökologisch halbwegs intakte Gewäs-ser debattiert wird, dann steht wegen der Anforderun-gen der WRRL die Längsdurchwanderbarkeit der Fließ-gewässer im Vordergrund. Dass auch eine seitlicheVernetzung mit der Aue erforderlich ist, wird schonweniger thematisiert. Und die dritte Dimension derDurchgängigkeit – nämlich in die Tiefe des Sand- undKieslücken-Systems des Flussbettes – fällt meistensganz unter den Tisch. Dabei leben schätzungsweise 90 Prozent der „Makrobenthosfauna“ (also der wirbello-sen Kleintiere) nicht in der fließenden Welle und amGewässergrund, sondern in dem Sand- und Kieslücken-system unter dem Flussbett! Dieser als „hyporheischesInterstitial“ bezeichnete Lebensraum kann sich mehreredutzend Meter unter der Flusssohle und hunderte Meterneben dem Flussbett ausbreiten.

bei. Und darauf kommt es in Zeiten des Klimawandelsimmer mehr an. Denn sollten die vorausgesagten Ände-rungen des Klimas tatsächlich eintreten, wird dies nichtnur zu ausgeprägten Hochwasserständen führen – wieim Sommer 2003 muss auch mit lang anhaltenden Dür-rephasen gerechnet werden. Soll man diesen Phänome-nen technisch begegnen, also mit neuen Niedrig- undHochwasserspeichern sowie mit weiteren flussbaulichenMaßnahmen zur Sicherung der Binnenschifffahrt? DieseMaßnahmen sind nur schwer bis gar nicht mit der Flus-sökologie in Einklang zu bringen. Im Sinne eines ganz-heitlichen Gewässerschutzes fordern wir deshalb, demKlimawandel und seinen hydrologischen Begleiterschei-nungen vornehmlich mit naturnahen Maßnahmen zubegegnen. Neben der Pufferfunktion der Auen gilt es,dazu die Wasserspeicherfähigkeit der Landschaft zu nut-zen: mit Staugräben sowie mit dezentraler Abwasserrei-nigung40 und -wiederverwertung. Dies zu sam men mitder Renaturierung von Mooren und anderen Feuchtge-bieten stützt in Niedrigwasserzeiten den Basisabfluss(siehe Kapitel 6.1.3 „Dürre in Ostdeutschland“).

Sollte sich abzeichnen, dass naturnahe und dezentraleMaßnahmen nicht ausreichen werden, um den hydrolo-gischen Effekten des Klimawandels zu begegnen, solltentechnischen Maßnahmen – insbesondere zum Hoch-wasserrückhalt – möglichst naturverträglich erfolgen.Dazu gehört beispielsweise, dass unabdingbare Hoch-wasserrückhaltebecken in den Einzugsgebieten derNeben gewässer möglichst im „Nebenschluss“ angelegtwerden. Dies bedeutet, dass – bei entsprechenden topo-graphischen Gegebenheiten – das Hochwasserrückhal-tebecken neben dem Bach angelegt wird. Damit zer-schneidet der Damm des Beckens nicht den Bachlauf,der Bach bleibt durchwanderbar. Das Hochwasserrück-haltebecken kann durch seitlich gelegene Einlauf- undAuslaufbauwerke gefüllt und entleert werden. Wenn inengen Taleinschnitten der Platz für Hochwasserrückhal-tebecken „im Nebenschluss“ fehlt, muss bei Becken „imHauptschluss“ das Auslaufbauwerk nach ökologischenPrämissen angelegt werden.

27Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

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Auf der Flusssohle bildet sich ein „Biofilm“ – also eindichter Belag von Algen und Bakterien, der die Flusssoh-le regelrecht verklebt. Diese weitgehende Abdichtungder Flusssohle bezeichnet man als Kolmatierung. DieKolmatierung kann nur aufgebrochen werden, wenn beiHochwasser Kies und Steine in Bewegung kommen, dieabgedichtete Stromsohle aufreißen und Sande wie einSandstrahlgebläse die Stromsohle wieder säubern.Wenn dann aber nach Abklingen des reinigenden Hoch-wassers erneut hohe Frachten an Feinsedimenten undSchwebstoffen die Flusssohle verstopfen und verkleben,geht das Sand- und Kieslückensystem für die Gewässer-organismen wiederum verloren.42

Durch die Kolmatierung funktioniert der Austausch zwi-schen Grund- und Flusswasser nicht mehr. Damit nimmtauch die Selbstreinigungskraft der Fließgewässersyste-me ab. Organische Partikel werden zudem unter Sauer-stoffzehrung mikrobiell abgebaut, so dass das Wasser imSand- und Kieslückensystem immer sauerstoffärmerwird. Die Kleinkrabbeltiere und der Fischlaich habenkeine Überlebenschance mehr.

Die Bewirtschaftungspläne thematisieren Kolmatierungund Verschlammung zwar am Rande, enthalten aberkeine zielgerichteten Maßnahmen zu ihrer Abwehr. Diedamit zum Ausdruck kommende Unterschätzung derweitreichenden Folgen der Vernichtung des hyporhei-schen Lebensraums ist von erheblicher Bedeutung. Denndie wenigen Wissenschaftler, die sich in Deutschlandmit diesem vernachlässigten Lebensraum beschäftigen,sind sich sicher: Die Kolmatierung und Verschlammungder Flusssohlen sind eine der wichtigsten Ursachendafür, dass die Artenvielfalt in unseren Flüssen sta-gniert.43 Wenn trotz guter Strukturgüte und Wasser-qualität die Artenvielfalt nicht zunimmt, dann muss alsErstes erkundet werden, wie es mit der vertikalenDurchwanderbarkeit in dem betreffenden Flussabschnittbestellt ist – also ob das Sand- und Kieslückensystemintakt oder von eingeschwemmten Schlammmengenbereits völlig erstickt ist.

Das Sand- und Kieslückensystem bedeutet für vieleFließgewässerorganismen bei Hochwasser ein überle-bensnotwendiges Rückzugsrefugium. Ohne diesen Rück-zugsraum würden sie bei Hochwasser von sich in Bewe-gung setzenden Sedimenten zermalmt. Und wenn derBach oder Fluss kaum noch Wasser führt, dann stellt derBereich unterhalb der Flusssohle ebenfalls einen wichti-gen Rückzugs- und Überlebensraum dar. Hier bleibtmeis tens genügend Wasser, um die Dürreperiode zuüberstehen. Die ersten Zentimeter des Sand- und Kies-lückensystems sind zudem die Kinderstube der kieslai-chenden Fische wie beispielsweise Forelle, Äsche undLachs. Im Lückensystem gut geschützt vor Fressfeindenkönnen sich die jungen Fische aus dem Laich entwickeln.

Eine weitere, auch wirtschaftliche Bedeutung hat dashyporheische Interstitial als „Kläranlage“, gewisser-maßen als Leber der Fließgewässer: Der Abbau vonSchadstoffen, die sogenannte Selbstreinigung, findetvor allem im Lückensystem der Gewässersohle statt.

Trotz der kaum zu überschätzenden Bedeutung desSand- und Kieslückensystems berücksichtigt die WRRLdiesen Lebensraum allenfalls indirekt. Und auch in derGewässerstrukturgütekartierung spielt der Zustand deshyporheischen Interstitials keine Rolle. Die Vernachläs-sigung der überlebenswichtigen Sand- und Kieslücken-systeme bei der Gewässergütebewertung ist fatal: Meistsind diese Systeme in unseren Bächen, Flüssen und Strö-men dermaßen verstopft, dass sie ihre Rolle als Rück-zugs- und Überlebensrefugien nicht mehr wahrnehmenkönnen.

Woher kommt die Verstopfung? Feinstoffe und Stäubewerden von Äckern und Weinbergen, aber auch vonStraßen und Hofflächen in die Gewässer einge-schwemmt. So geht beispielsweise das Dresdener Land-wirtschaftsministerium davon aus, dass alleine vonsächsischen Ackerflächen jährlich rund drei MillionenTonnen Boden abgespült werden.41 Und wenn die Nach-klärstufen in den Kläranlagen nicht optimal funktionie-ren, gelangen auch über diesen Weg Schwebstoffe in dieGewässer („Suspensa-Abtrieb“).

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29Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Wir sollten schon vor der nächsten Bewirtschaftungs -runde im Jahr 2015 die Verschlammung der Sand- undKieslückensysteme in unseren Bächen, Flüssen und Strö-men signifikant reduzieren. Das heißt konkret: Die pflug-lose Bodenbearbeitung und die Direktsaat müssen in derLandwirtschaft gefördert werden, Flussanrainer müssenausreichend breite Gewässerrandstreifen anlegen unddie Kommunen müssen ihre Kläranlagen optimieren. Die Bewirtschaftungspläne sollten zudem die dieAbschwemmung von Feinsedimenten in den Blick neh-men – indem sie die vielfältigen Entstehungsgebiete undEntstehungsherde erkunden, um dann zielgerichtetAbhilfemaßnahmen in Angriff zu nehmen. Da dieAbschwemmung von landwirtschaftlichen Nutzflächenin vielen Einzugsgebieten der wichtigste Faktor für dieVerschlammung darstellt, müssen spätestens mit deranstehenden EU-Agrarmarktreform im Jahr 2013 dieentsprechenden Stellschrauben bei der Prämienaus -zahlung gestellt werden: EU-Gelder werden nur nochüberwiesen – so unsere Forderung –, wenn die gute fach-liche Praxis bei der Erosionsminderung umfassender alsbislang definiert und stringent eingehalten wird.

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30 BUND

3 Chemie: An was kranken die deutschen Flüsse?

setzung der Kieselalgenpopulation aus. BestimmteFischarten (Kieslaicher) können ebenfalls unter der zustarken Algenproduktion leiden – auch deshalb, weil eingut gedüngter „Biofilm“ zur Kolmation der Flusssohlenbeiträgt (s. Kapitel 2.3). Zur vielfach unterschätztenBedeutung der immer noch zu hohen Phosphorbelastungstellt beispielsweise der Jahresbericht 2008 der Hessi-schen Landesanstalt für Umwelt- und Geologie fest:„Die Eutrophierung ist nach der Bewertung der WRRLeines der wesentlichen Gewässergüteprobleme. In denhessischen Oberflächengewässern stellt Phosphor denwesentlichen Eutrophierungsfaktor dar (Minimum -faktor). Die Phosphorbelastung ist praktisch ein flächen -deckendes Problem. 400 der 433 Oberflächenwasser -körper sind davon betroffen.“

Typisch für alle Bewirtschaftungspläne ist allerdings,dass sie nur wenig zwischen den unterschiedlich eutro-phierungswirksamen Phosphorfraktionen unterscheiden.Die Bedeutung der leicht bioverfügbaren Orthophos-phat-Fraktion wird unterschätzt. Die Behörden konzen-trieren sich damit im Wesentlichen nur auf den parti-kulär gebundenen Phosphor aus der Landwirtschaft undvernachlässigen den gelösten Phosphor aus den Kläran-lagen. Insofern wird auch in den Maßnahmenprogram-men auf einen stringenten Zeitplan für eine Optimie-rung der Phosphor-Eliminierung in den Kläranlagenverzichtet. Man belässt es – nicht nur in Hessen – beieinem „Szenario Phosphor“. Dieses Szenario der hessi-schen Wasserwirtschaftsverwaltung begnügt sich mitder „Prüfung der grundsätzlichen Machbarkeit“ derKlär anlagenoptimierung, einer „Perspektive“ zu denhierfür anfallenden Kosten sowie den „Grundlagen fürFristverlängerungen und ggf. verminderter Umweltzie-le“. Mit dieser „Brückenstrategie“ kommt man locker biszum Jahr 2027, dem vorläufigen Enddatum der WRRL.Und schlimmer noch: In Hessen und anderenorts zieltman offenbar auch darauf ab, mit „vermindertenUmweltzielen“ die Eutrophierung der dortigen Fließge-wässer (und damit letztlich auch des Meers) weiterhinzu tolerieren.

3.1 Phosphor – ein neues altes Problem

Mit phosphatfreien Waschmitteln und „Phosphor-Eliminierungsanlagen“ in den Klärwerken hatteman ge glaubt, die Überdüngung (Eutrophie-

rung) der Flüsse in Deutschland beseitigt zu haben. DieBestandsaufnahmen und die Gewässerüberwachung(Moni toring) wäh rend der ersten Umsetzungsphase derWRRL haben gezeigt, dass dies ein Irrtum war. Die Phos-phateinträge aus kommunalen Abwässern und aus land-wirtschaftlichen Abschwemm ungen sind weiterhin sohoch, dass es in den staugeregelten Flüssen zu gewässer-schädlichen Algenblüten kommt. Denn wenn die Algen inden Staubereichen von Neckar, Fulda und anderen Flüs-sen absterben, kommt es beim mikrobiellen Abbau derAlgen zu „Sauerstoff löchern“. Trotz aller Erfolge bei derAbwassersanierung muss deshalb weiterhin in den Stau-stufen der schiffbaren Flüsse mit periodischen Fischster-ben und einer Beeinträchtigung der Gewässerökologiegerechnet werden.

Obwohl in den größeren Kläranlagen (über 10.000 Ein-wohnerwerte – EW) nach der Abwasserverordnung einePhosphorentfernung (Eliminierung) vorgeschrieben ist,stellen die Kläranlagen in einigen Bundesländern „nochimmer die größte Quelle“ für den Phosphor-Eintrag in dieGewässer dar – genauer gesagt für die gelösten Phos -phorverbindungen (Orthophosphat-Eintrag). Danebengibt es noch die ungelösten Phosphorverbindungen, diebeispielsweise an kleinen Tonpartikelchen hängen kön-nen (partikulär gebundener Phosphor). Der partikulärgebundene Phosphor stammt teilweise aus der Landwirt-schaft, wo vor allem aufgrund der Erosion mit Phospha-ten belastete Erdkrume in die Bäche und Flüsse abge-schwemmt wird. Weil beim partikulär gebundenenPhosphor der Stoff fest an die Partikel gebunden ist,trägt er in unseren Fließgewässern kaum zur Überdün-gung bei.44 Demgegenüber mästet das gelöste Ortho-phosphat regelrecht die Algen – wobei diese Eutrophie-rung in besonderem Maß die langsam fließenden undstaugeregelten Fließgewässerstrecken schädigt. Aberauch in den schneller fließenden Gewässern drückt sichdie Überdüngung in Defiziten bei der Artenzusammen-

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31Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

überlassen es jedoch der Einsicht der kommunalen Klär-anlagenbetreiber, ihre Kläranlagen freiwillig aufzurü-sten. In aller Regel investieren die Kläranlagenbetreiberauf freiwilliger Basis aber keinen müden Euro. Erst ver-bindliche Vorschriften werden die Kommunen dazu ver-anlassen, tatsächlich ihre Abwasserreinigungsanlagenzu optimieren. Vor einer entsprechenden Verordnungschrecken Bund und Länder aber zurück. Sie lassen esdarauf ankommen, dass auch die Fische im Untermainund in den anderen staugeregelten Flüssen vor deneutrophierungsbedingten Sauerstofflöchern zurück-schrecken. Wenn das nicht funktioniert, geben sie eineweitere Studie in Auftrag und hängen die Umweltzieletiefer – oder verlängern einfach die Fristen zur Abschaf-fung der Sauerstofflöcher über 2015 und 2021 hinaus indie dritte Bewirtschaftungsrunde bis 2027.45

Um die Phosphorkonzentrationen signifikant zu redu -zieren, müssen bei der nächsten Novelle der Abwasser -verordnung in Anhang 1 auch die Überwachungswertefür Phosphor verschärft werden.

3.2 Stickstoff – die Minderungsziele reichen nicht aus!

Alle Bewirtschaftungspläne sind sich einig, dass dieStickstofffrachten größtenteils aus der Landwirtschaftstammen. Stickstoffverbindungen werden dafür verant-wortlich gemacht, dass die Überdüngung („Eutrophie-rung“) der Ästuare, des Wattenmeeres sowie der küsten-nahen Randbereiche von Nord- und Ostsee über dieletzten Jahrzehnte gravierende Ausmaße erreicht haben.Außerdem beeinträchtigen algenbürtige Schaumteppi-che und „Killeralgen“ an den Nordseeküsten und Insel-stränden sowie Sauerstofflöcher in der Ostsee dieMeere sumwelt. Im Watt entstehen aufgrund der Eu tro -phierung periodisch „Schwarze Flecken“. Und was derdeutsche Gewässerschutz zumeist vergisst: Die Donaumündet in das Schwarze Meer, wo die Eutrophierungs-erscheinungen noch deutlich dramatischer ausfallen alsin Nord- und Ostsee.

Für den Gewässerschutz ergibt sich deshalb folgendeSchussfolgerung: Die kommunalen Kläranlagen müssenden Wirkungsgrad der Phosphoreliminierung deutlichsteigern. In einigen besonders sensiblen Flusseinzugsge-bieten (wie beispielsweise am Untermain oder am Neck-ar) müssen zudem auch die kleineren Kläranlagen mitPhosphorfällungsanlagen aufgerüstet werden. Davorschrecken aber die Wasserwirtschaftsverwaltungeneiniger Bundesländer zurück. Diese Verschleppungsstra-tegie ist symptomatisch für die zögerliche Umsetzungder WRRL durch die Bundesländer.

Um die übermäßige Phosphorbelastung schon zum Ende der ersten Bewirtschaftungsrunde im Jahr 2015größtenteils in den Griff zu bekommen, liegt folgendeVorgehensweise auf der Hand: • Erstens müssen auch Kläranlagen unter 10.000 Ein-

wohnerwerten (EW) mit einer Phosphorfällung aus -gestattet werden. Die Auswahl erfolgt sinnvollerweisenach Flussgebieten. Dort, wo es in den Unterläufen Probleme gibt (z. B. Lahn, Neckar, Main, Mosel, Weser),müssen alle Kläranlagen über 1.000 EW mit Phosphor -eliminierungsstufen ausgestattet werden.

• Zweitens muss bei den größeren Kläranlagen der Wirkungsgrad der bislang betriebenen  Phosphor -fällung deutlich verbessert werden.

• Drittens müssen die zuständigen Behörden die alleinigeBilanzierung von pauschalen Jahresfrachten beenden.Das Ausmaß der Eutrophierung in den Flüssen undStrömen steuern weniger die durchschnittlichen Jahresfrachten, sondern vielmehr die Phosphat-Konzentrationen, die zu eutrophierungssensiblen Zeitpunkten zur Verfügung stehen. Deshalb muss dem Jahresgang der Ortho-Phosphat-Konzentrationenmehr Aufmerksamkeit als bislang geschenkt werden.

Auch bei den großen Kläranlagen gibt es noch Optimie-rungsbedarf, um Werte von 0,3 bis 0,4 mg/l zu errei-chen. Für noch niedrigere Werte (0,1 mg/l) bedarf eseiner Flockungsfiltration. Entsprechende Verfahren wer-den im Bodenseeeinzugsgebiet und in der Schweiz seitzwei Jahrzehnten und mit moderaten Mehrkosten erfol-greich praktiziert. Hessen und die anderen Bundesländer

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32 BUND

Auch aus der Sicht des Gewässerschutzes wäre es des-halb sinnvoll, weitaus mehr Bäuerinnen und Bauern alsin den letzten Jahren für eine Umstellung auf kontrolliertbiologische Landwirtschaft zu gewinnen. Hier sind dieBundesländer gefragt. Dazu gehört es auch, die Verbrau-cherInnen über die Vorteile des Bioanbaus für den Schutzdes Grundwassers – und damit des Trinkwassers – undder Oberflächengewässer aufzu klären, so dass ein stabi-ler Markt für Bioprodukte aus heimischer Landwirtschaftentsteht. Um die Stickstoff belastung aus der konventio-nellen Landwirtschaft weiter zu senken, bietet sich die2013 anstehende Neuausrichtung der EU-Landwirt-schaftspolitik als Steuerungsinstrument an: Bislang ver-teilt der milliar denschwere EU-Agraretat pauschaleFlächenprämien völlig undifferenziert an alle Landwirt-schaftsbetriebe. Gewässerschützer fordern, dass künftigdie Prämien nur unter bestimmten Voraussetzungen ver-geben werden, unter anderem nur dann, wenn derBetrieb einen grundwasserschonenden Landbau nach-weisen kann.

3.3 Mikroverunreinigungen als Makroproblem?

In dem Umfang, in dem die High-Tech-Analytik in im mergeringere Dimensionen vorstößt, lassen sich im Nano -grammbereich immer mehr Spurenstoffe oder Mikro ver -unreinigungen im Wasser unserer Ströme nach weisen.Dazu gehört eine unübersehbare Palette von Industrie-chemikalien. Aber auch Aufheller aus Waschmitteln undInhaltstoffe von Kosmetika oder Antikorrosionsmittel ausGeschirrspülmaschinenreinigern gehören zu diesen bio-logisch schwer abbaubaren Mikroschadstoffen. Undebenfalls im Spurenbereich von einigen MilliardstelGramm pro Liter lassen sich auch immer mehr Pharma-wirkstoffe – bis hin zu hormonell wirksamen Substanzenaus Verhütungsmitteln – in unseren Flüssen analytischerfassen. Eine (pseudo-)hormonelle Wirkung wird auchPhtalaten (Weichmachern) in Kunststoffen und Bisphe-nol A in Epoxidharzbeschichtungen (beispielsweise insanierten Trinkwasserhausinstallationen und Abwasser-leitungen) zugeschrieben. Der BUND hat mehrmals dar-auf hingewiesen, dass sich Bisphenol A auch in „hoch-

In den Bewirtschaftungsplänen für die deutschenStrom landschaften setzen die Wasserbehörden bei derEindämmung der Stickstofffrachten ihre Hoffnungenauf die Wirkung der Düngeverordnung. Das dürfte sichallerdings als eine Illusion herausstellen. Denn dieExperten des Umweltbundesamtes (UBA) schreiben, dassdie Düngeverordnung von 1996 „die von Seiten desUmweltschutzes mit ihr verbundenen Hoffnungen bis-her nicht“ erfüllt habe. Die UBA-Landwirtschaftsexper-ten zeigen sich skeptisch, „ob die 2007 verabschiedete,in einigen Punkten verschärfte Novelle der Düngever-ordnung hier eine wesentliche Verbesserung bringenwird“. Die Landwirtschaftspolitik müsse sich am Nach-haltigkeitsziel der Bundesregierung messen lassen:Danach hätte bis 2010 der Stickstoffüberschuss auf 80Kilogramm gesenkt werden müssen – was nach Ansichtdes UBA immer noch zu hoch ist. Denn im UBA fordertman „seit vielen Jahren, den Stickstoffüberschuss auf 50 Kilogramm pro Hektar zu senken“. Tatsächlich sta-gnieren die durchschnittlichen Stickstoff-Überschüsseimmer noch bei 100 Kilogramm pro Hektar. Insofernerachtet das UBA zum Schutz von Grund- und Ober-flächengewässern dringend weitere Reduktionen bei derStickstoffdüngung als erforderlich – denn: „Der Anteilder Landwirtschaft an den Nährstoffeinträgen in Ober-flächengewässer beträgt heute bei Stickstoff etwa zweiDrittel und bei Phosphor die Hälfte.“46

Um die Stickstoffbelastung aus der Landwirtschaft zureduzieren, bauen die Bewirtschaftungspläne allesamtauf freiwillige Maßnahmen in der Landwirtschaft. Dieländerspezifischen Agrarumweltprogramme sollen denBäuerinnen und Bauern Anreize bieten, weniger dasGrundwasser, sondern (noch) gezielter als bislang diePflanzen zu düngen. Dazu sollen zusätzlich eingestellteBeraterInnen die Landwirtschaftsbetriebe bei der grund-wasserschonenden Landbewirtschaftung unterstützen.Bisher ist dieser Ansatz mit wenig Erfolg gekrönt.

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33Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

eliminierung eine nachgeschaltete Filtrationsstufe erfor-dern, wird damit auch der Wirkungsgrad bei der Entfer-nung von Phosphorverbindungen (siehe vorstehendesKapitel) deutlich gesteigert. Die Mehrkosten pro Einwoh-ner und Jahr für diese weitergehenden Reinigungsstufenbewegen sich zwischen 8 und 16 Euro.49

Wir sollten – ähnlich wie in der Schweiz vorgesehen –innerhalb der nächsten 12 Jahre zumindest die Klär -anlagen an den Belastungsschwerpunkten mit weiterge-henden Reinigungsstufen zur Spurenstoffe liminierungausstatten. Gleichzeitig müssen wir alle vernünftigenMaßnahmen in Angriff nehmen, um das Eintreten vonproblematischen Spurenstoffen in den Abwasserpfad vonvornherein zu verhindern – angefan gen bei einer rigide-ren Stoffpolitik (Sichtwort: REACH) über eine verbindli-chere Kontrolle von Industrie- und Gewerbebetriebenbeim Stoffeinsatz (Stichwort: Polyfluorierte Tenside, PFT)bis hin zu einem ökologisch ausgerichteten Arzneimittel-design. Da diese Maßnah men an der Quelle wegen derenorm großen Palette von potenziell gewässerschädi-genden Mikroverunreini gun gen aller Voraussicht nachnur sehr langsam greifen werden, können wir nicht aufdie vergleichsweise schnell wirksamen Maßnahmen inden Kläranlagen – mit ihren zuvor beschriebenen Mehr-fachnutzen –verzichten.

3.4 Ein „Sandoz II“ muss verhindert werden

Industrie- und Gewerbebetriebe haben sich traditionellan Flussufern angesiedelt. Damit besteht eine latenteGefahr, dass bei Havarien, Extremhochwässern undBränden wassergefährdende Stoffe in die Flüsse gelan-gen. Die „Sandoz“-Giftwelle von 1986 im Oberrhein hatgezeigt, dass ein Großbrand in einem Chemielager jah-relange Bemühungen um eine Verbesserung der Gewäs-sergüte über Nacht zunichtemachen kann. Deshalb darfdie Vorsorge im innerbetrieblichen Gewässerschutznicht nachlassen. Und es gibt Anlass zur Sorge: Dempersonellen Aderlass in der staatlichen Gewässerüber-wachung steht eine Personalausdünnung in Industrieund Gewerbe gegenüber. Die fortlaufende Rationalisie-

wertigen“ Kunststoffen befindet, aus denen beispielswei-se Babytrinkflaschen gefertigt werden. Es mehren sichdie Anzeichen, dass dieser Cocktail von Spurenstoffen dieLebensgemeinschaften in den Strömen gefährdet. Hor-mone und hormonähnlich wirkende Industriechemikalienstehen mittlerweile im begründeten Verdacht, zu einerVerweiblichung von Fischpopulationen zu führen.47 Fer-ner besteht die Erwartung, dass mit einem wachsendenAnteil älterer Menschen der Arzneimittelkonsum nochansteigen könnte. Und unsere herkömmlichen Kläranla-gen können viele Pharmawirkstoffe nur unzureichendabbauen.

Wie kommt man dem Problem der Spurenstoffe ambesten bei? • Die europäische Umweltchemikalienpolitik versucht

über REACH, fortschreitend gewässerrelevante Indu-striechemikalien vom Markt zu nehmen. Wenn dasnicht möglich ist, dürfen diese Problemstoffe nur nochin Produktionsprozessen verwendet werden, in denenpraktisch ausgeschlossen ist, dass sie in den Abwas-serpfad gelangen.

• Mit den Pharmafirmen muss mit mehr Nachdruck alsbislang darüber verhandelt werden, dass das „Arznei-mittel-Design“ so konzipiert wird, dass die Pharma-wirkstoffe ihre nützliche Wirkung zwar im Körper ent-falten – dass sie dann aber ihre Wirkung spätestens inden Kläranlagen verlieren.

• Möglicherweise brauchen unsere Kläranlagen weiter-gehende Reinigungsstufen, die die Spurenstoffe imAbwasser eliminieren können. Erste Pilotanlagen lau-fen bereits in diversen Bundesländern und in derSchweiz. In der Schweiz ist vorgesehen, alle größerenKläranlagen mit Reinigungsstufen zur Spureneliminie-rung auszustatten.48 Einige der weitergehenden Reini-gungsverfahren zur Eliminierung von Mikroverunreini-gungen könnten zudem die hohe Konzentration vonBakterien und anderen Krankheitserregern im gereinig-ten Abwasser signifikant reduzieren. Dies wäre auchein Beitrag, um die Badewasserqualität in den Flüssenweiter zu verbessern. Herkömmliche Kläranlagen redu-zieren die Fracht an Mikroorganismen nur sehr unzu-reichend. Da praktisch alle Verfahren zur Spurenstoff-

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rung in der Industrie hat auch die Umweltabteilungenerfasst (siehe Kapitel 4.6). Es steht zu befürchten, dassbei einem Mangel von qualifiziertem Personal – glei-chermaßen bei den Gewässerschutzbehörden wie in derIndustrie – die Vorsorge Lücken bekommt: Der Krug gehtso lange zum Brunnen, bis er bricht. Ein Schadensereig-nis in der Größenordnung von „Sandoz“ würde denGewässerschutz am Oberrhein um Jahre zurückwerfen.Dies gilt umso mehr, als die Quervernetzung zwischenFluss und Aue wiederhergestellt ist. Wenn sich imschlimmsten Fall eine Giftwelle in den Auen verteilenwürde, würde der ökologische Schaden doppelt schwerwiegen. Der Schadensverhütung kommt auch insoferneine größere Bedeutung zu.

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35Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

4 Über die EU-Wasserrahmenrichtlinie hinaus denken!

• signifikante stoffliche Belastungen (Nährstoffe, Schad -stoffe)

• Wasserentnahmen und Überleitungen von Wasser

Zu den eher weniger von den Bewirtschaftungsplanun-gen erfassten Beeinträchtigungen zählen zudem dieweiträumigen Verluste im Auenbestand und die starkenBeeinträchtigungen der Auenrelikte. Mit dem Rückgangder strombegleitenden Auen wurde auch der natürlicheHochwasserrückhalt signifikant reduziert.

Fast alle Bewirtschaftungspläne erwähnen, dass derbetreffende Fluss wegen des unterbrochenen Geschie-betransports sein „inneres Gleichgewicht“ verloren hat:Die voranschreitende Tiefenerosion führt auch zuGrundwasserabsenkungen. Und dies birgt wiederum dieGefahr, dass die angrenzenden Auen austrocknen.

Zudem kommen einige regionalspezifische Belastungen.Die Bewirtschaftungspläne im Odereinzugsgebiet nen-nen die Folgen des aktiven und ehemaligen Braunkohle-bergbaus, an Werra und Weser die Salzbelastung. AmNiederrhein und einigen Zuflüssen in Nordrhein-West-falen werden der dortige Braunkohleabbau und vorallem die „Ewigkeitsfolgen“ des Steinkohlebergbaus(Bergsenkungen, Sümpfungswasser) noch lange ZeitProbleme bereiten. An den staugeregelten Abschnittender Ströme (insbesondere an den großen Nebenflüssendes Rheins) führen nach wie vor zu hohe Phosphatkon-zentrationen zur Eutrophierung (Überdüngung), wasperiodisch Sauerstoffüber- und –untersättigungen be -deutet. Sommerliche Sauerstofflöcher beeinträchtigenauch im Tidebereich der Unterelbe die Gewässergüte.Dass beispielsweise die Mittelelbe im Sommer eher aneine grün-braune Suppe gemahnt, liegt ebenfalls an zuhohen Algendichten. An der Unterelbe ebenso wie amOberrhein ist das Problem der schadstoffbelastetenSedimente nach wie vor ungelöst. Am Oberrhein und inder Mosel sind ältere Fische weiterhin schadstoffbela-stet. Insbesondere im hochindustrialisierten Rheinein-zugsgebiet macht sich der anthropogene Abwärmeein-trag über Kühlwasser aus Kraftwerken und großenIndustriebetrieben negativ bemerkbar.51

Mit einer zukunftsweisenden Vision für die deut-schen Flusslandschaften geht diese Studiedeutlich über die WRRL hinaus. Zum einen

steht die Richtlinie „mit beiden Beinen im Wasser“ –und vernachlässigt die wichtigen Wechselbeziehungenzwischen Fluss und angrenzender Aue. Zum anderen sollder Umsetzungsprozess der Richtlinie im Jahr 2027enden – die Zielsetzungen dieser Studie gehen aber sehrviel weiter. Ferner „schützt“ die Richtlinie die bestehen-den Nutzungen – wie beispielsweise Binnenschifffahrtoder Wasserkraftverstromung. An einigen Flüssen müs-sen jedoch aus ganzheitlicher Sicht bestimmte Nutzun-gen in Frage gestellt werden. Und vor allem sehen wirdie Flusslandschaften auch als dem Menschen dienendeKulturlandschaften – eine Sichtweise, die der WRRLziemlich fremd ist.

4.1 Der Problemaufriss der EU-Wasserrahmenrichtlinie

Auch wenn die WRRL in einigen wesentlichen Punktenzu kurz springt, hatte der Umsetzungsprozess immerhinden Vorteil, dass die Defizite beim Gewässerschutzsystematisch erhoben worden sind. Die Untersuchungs-ergebnisse aus den Bestandsaufnahmen und denBewirtschaftungsplänen für die Ströme in Deutschlandzeigen, dass der Zustand der aquatischen Ökosystemeschlechter als erwartet ist.50 Zwar konnten umfangrei-che Investitionen in den vergangenen Jahrzehnten dieBelastung der großen Flüsse in Deutschland erheblichreduzieren. In den Einzugsgebieten von Elbe, Werra undOder hatte zum Rückgang der Schadstoffbelastung auchdie Deindustrialisierung nach der Wende beigetragen.

Durch das umfassende Bewertungssystem der WRRLwurde gleichwohl deutlich, dass Binnenschifffahrt,Staustufen, der abiotische Ausbau der Ufer und dieWasserkraftgewinnung nach wie vor schwerwiegendeZielverfehlungen nach sich ziehen. In den Bewirtschaf-tungsplanungen wurden als die wichtigen überregiona-len Wasserbewirtschaftungsfragen an den Strömen fol-gende drei Negativfaktoren identifiziert:• morphologische Veränderungen der Oberflächenge-

wässer, fehlende ökologische Durchgängigkeit

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36 BUND

al“. Die Bewirtschaftungspläne legen großen Wert dar-auf, dass es sich bei der hmwb-Einstufung keinesfallsum die Geltendmachung eines Ausnahmetatbestandeshandele. Verunstaltete Gewässerabschnitte seien nachArt. 4 (3) der WRRL eine eigenständige Einstufungskate-gorie. Umweltverbände haben allerdings den Verdacht,dass die Einstufung als „hmwb“ viel zu oft gewähltwurde, um Abstriche am Ziel eines „guten ökologischenZustands“ machen zu können.

Um den „guten ökologischen Zustand“ bzw. das „guteökologische Potenzial“ zu erreichen, sieht die WRRLMaßnahmen zur ökologischen Aufwertung der betref-fenden Gewässerabschnitte vor. Die Bewirtschaftungs-pläne listen die erforderlichen Maßnahmen aber nursehr pauschal als bundesweit einheitlich vorgestanzteMaßnahmenpakete auf. Was tatsächlich an einem Flussabschnitt zur Uferrenaturierung oder an einerWehranlage zur Durchgängigmachung unternommenwerden muss, ist aus den derzeit vorliegenden Maßnah-menplänen nicht herauszulesen. Einzig Baden-Würt-temberg hat punktgenaue Arbeitspläne vorgelegt, diedetaillierte Auskunft über die erforderlichen Maßnah-men für jeden Flussabschnitt geben. In den anderenBundesländern sind die Detailplanungen erst noch inArbeit – mithin aber auch eine Chance, dass sich BUND-Aktivisten und andere Interessierte in die Detailplanungan ihrem Bach oder Fluss noch einbringen können.

Die WRRL verlangt, die Maßnahmen, die zum „gutenökologischen Zustand“ führen sollen, kosteneffizient zuplanen: Welche Sanierungsmaßnahme erreicht ampreisgünstigsten den gewünschten Effekt?~4.2 Flucht in die Fristverlängerung

Alle Bewirtschaftungspläne gehen davon aus, dass diemeisten Fließgewässerabschnitte das in der WRRL for-mulierte Ziel „guter ökologischer Zustand“ bis zum Ziel-datum 2015 nicht erreichen werden.52 Das steht imGegensatz zur Position der Generaldirektion Umwelt der

~Die EU-Wasserrahmenrichtlinie für Einsteiger

Die im Dezember 2000 verabschiedete EU-Wasserrah-menrichtlinie (WRRL) formuliert Zielvorstellungen füreinen guten Zustand in Oberflächengewässern, inKüstengewässern und im Grundwasser. Die folgendenAusführungen beziehen sich nur auf Fließgewässer –und das auch nur in einer völlig vereinfachten Form.

Für Bäche und Flüsse strebt die WRRL einen „guten öko-logischen Zustand“ an. Ob der „gute ökologische Zu -stand“ in einem Gewässerabschnitt („Wasserkörper“)erreicht oder verfehlt wird, lässt sich anhand einer Ana-lyse der Artenzusammensetzung von • Algen, • Wasserpflanzen, • Kleinkrabbeltieren auf der Gewässersohle

(„Makrobenthosfauna“) • und Fischen im jeweiligen „Wasserkörper“ bestimmen. Der „guteökologische Zustand“ soll bis 2015 erreicht werden.Frist verlängerungen bis 2021 bzw. bis 2027 sind inbegründeten Fällen möglich. Wie bei der Sanierung derBäche und Flüsse vorgegangen werden soll, haltenBewirtschaftungspläne fest. Die Analyse der bis 2015geltenden ersten Bewirtschaftungspläne zeigt, dass diedeutschen Wasserwirtschaftsverwaltungen auf breiterFront die Flucht in die Fristverlängerung angetretenhaben. Für über 80 Prozent der Bäche und Flüsse, diederzeit nicht den „guten ökologischen Zustand“ errei-chen – und das ist die überwiegende Mehrzahl –, ver-sucht man sich mit Fristverlängerungen bis 2021 oder2027 über die Runden zu retten.

Wenn die ökologische Wertigkeit von Bächen durchWasserkraftwerke oder von Flüssen durch Schleusenund andere Schifffahrtseinrichtungen erheblich beein-trächtigt ist, können diese Gewässerabschnitte als „hea-vily modified waterbodys“ (hmwb) eingestuft werden.Da in diesen Gewässerabschnitten ohne die Aufgabe derNutzungen kein „guter ökologischer Zustand“ erreichtwerden kann, gilt für besonders verunstaltete Gewässerein herabgestuftes Ziel: das „gute ökologische Potenzi-

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37Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

eigendynamische Entwicklung bereitstellt. Zu denbereitgestellten Mitteln hat der baden-württembergi-sche Rechnungshof in einem Gutachten im April 2010festgestellt, dass die bislang vorgesehenen Jahresetatsbei weitem nicht ausreichen, um die Ziele der WRRL zuerreichen.53

Ohne Berücksichtigung von Baupreissteigerungen seimit einem jährlichen Defizit von mindestens 7,5 Millio-nen Euro zu rechnen. Wenn sich schon im vergleichs-weise wohlhabenden Baden-Württemberg eine derarti-ge Finanzlücke auftut, steht zu befürchten, dass es inanderen Bundesländern noch schlimmer aussieht. Hin-sichtlich einer Fristverfehlung bei der Umsetzung derRichtlinie warnt der Stuttgarter Rechnungshof: „Eineverzögerte Umsetzung der WRRL kann Vertragsverlet-zungs- und Zwangsgeldverfahren vor dem EuropäischenGerichtshof nach sich ziehen.“

Die erheblichen Investitionen und die vorgegebenen Fri-sten zur Umsetzung der WRRL erfordern nach Auffas-sung des baden-württembergischen Rechnungshofes„eine nachhaltige Finanzierungsstrategie“. Der Rech-nungshof empfiehlt, „Ablauf- und Finanzierungsplänezu erstellen bzw. vorhandene Ablauf- und Finanzie-rungspläne ständig zu aktualisieren“. Diese Pläne seienentsprechend dem Stand der Umsetzung jährlich pro-jektscharf fortzuschreiben.

„Sie sind die Grundlage, die jährlichen Finanzierungsra-ten und Verpflichtungsermächtigungen im Staatshaus-haltsplan und in der mittelfristigen Finanzplanung zuveranschlagen. Erst dann können die politischen Ent-scheidungsträger über die Finanzierung der Maßnahmenund etwaige Konsequenzen entscheiden.“

Damit stimmen die baden-württembergischen Rech-nungsprüfer mit der EU-Kommission überein. Die Gene-raldirektion Umwelt hatte bereits 2009 postuliert, dassdie Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie „von kla-ren finanziellen Verpflichtungen“ und einer „Festlegungder Verantwortlichkeiten“ gekennzeichnet sein müssen.54

EU-Kommission. Die Generaldirektion postuliert näm-lich, dass bis zum Jahr 2015 „zwar nicht alles, aber dasMeiste“ geschafft sein sollte. Nun kann man ein gewis-ses Verständnis für die Verteidigungsposition in denBewirtschaftungsplänen aufbringen. Dort entschuldigtman sich für die in Inanspruchnahme der Fristverlänge-rungen bis zum Jahr 2021 bzw. 2027 damit, dass dieWirkung der aufgesetzten Maßnahmen noch unsichersei und dass viele Maßnahmen erst mit großer zeitlicherVerzögerung Wirkung zeigen werden. Dies gilt beispiels-weise für das Zulassen einer eigendynamischen Ent-wicklung an den Ufern der großen Ströme. Die eigendy-namische Entwicklung nach dem Motto „Lassen stattmachen!“ benötigt Zeit. Vor allem bedarf es großer„gestaltbildender“ Hochwasserereignisse, die in der Lagesind, ehemals betonierte oder versteinte Flussufer wie-der aufzubrechen und in einen naturnäheren Zustand zuüberführen.

Stellvertretend sei hier der Bewirtschaftungsplan für dasdeutsche Einzugsgebiet der Oder zitiert (S. 140), der zuden Vorteilen einer eigendynamischen Entwicklung aus-führt:„Die maßgebliche Strategie zur Entwicklung typspezifi-scher Gewässerstrukturen besteht in der Förderung dereigendynamischen Entwicklung. Dazu werden initiieren-de Maßnahmen in und an den Gewässern ergriffen, diediesen Prozess befördern. Das Zulassen eigendynami-scher Entwicklungen stellt insgesamt die kostengünstig-ste Umsetzungsstrategie dar, um naturnahe, gewässer-typspezifische Gewässerstrukturen entstehen zu lassen.Maßgebliche Voraussetzung hierfür ist, dass entspre-chend geeignete Flächen im Gewässerumfeld zur Verfü-gung stehen. Zu beachten ist, dass diese Maßnahmen-strategie in Abhängigkeit der hydrologischen undstrukturellen Randbedingungen zum Teil sehr lange öko-logische Reaktionszeiten nach sich zieht, aber mittel- bislangfristig die nachhaltigsten Effekte bewirkt. (…).“

Mit dieser Argumentation sind wir einverstanden –allerdings nur unter der Voraussetzung, dass tatsächlicheine langfristige und verbindliche Finanzplanung hinrei-chend Mittel zum Erwerb der Uferflächen für eine

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38 BUND

verbände entsprechend dem Kostendeckungs- und Ver-ursacherprinzip sämtliche Wassernutzer für die Schädenfinanziell geradestehen, die sie verursachen –von derBinnenschifffahrt über die Braunkohleförderung bis zurWasserkraftnutzung. Da bislang alle Bundesregierungenbemüht waren, diese gewässerschädigenden Wassernut-zungen vor dem Verursacherprinzip zu schützen, wurdenindustrielle, verkehrliche und landwirtschaftliche Was-sernutzer aus der finanziellen Schusslinie herausgenom-men. Anderenfalls wäre es beispielsweise vorstellbar,dass die Wasserkraftbetreiber für die künstliche Geschie-bezugabe finanziell aufzukommen hätten. Denn schließ-lich bleibt aufgrund ihrer Wassernutzung in ihren Stau-stufen das Geschiebe hängen, was unterhalb derStaustufen zur zunehmenden Tiefenerosion der Strömeführt.

Von „Wasserdienstleistungen“und „Wassernutzungen“Nach Art. 2, Zi. 38 WRRL sind Wasserdienstleistungenalle Dienstleistungen, die für Haushalte, öffentliche Ein-richtungen oder wirtschaftliche Tätigkeiten jeder ArtFolgendes zur Verfügung stellen:a) Entnahme, Aufstauung, Speicherung, Behandlung

und Verteilung von Oberflächen- oder Grundwasser;b) Anlagen für die Sammlung und Behandlung von

Abwasser, die anschließend in Oberflächengewässereinleiten.

Nach Zi. 39 bedeuet Wassernutzung die zuvor genann-ten Wasserdienstleistungen „sowie jede andere Hand-lung [!] (…) mit signifikanten Auswirkungen auf denWasserzustand“.

Der Dachverband der Umweltverbände in den EU-Mit -gliedsländern – das Europäische Umweltbüro (eeb) – hatbei der EU-Kommission eine Beschwerde über Deutsch -land und andere EU-Mitgliedsstaaten wegen diesertrickreichen Auslegung des Kostendeckungs- und Ver -urs acherprinzips eingelegt.56 Das daraufhin erfolgteAnhörungsverfahren der EU-Kommission bezüglichDeutschland läuft derzeit noch. Die Umweltverbändesollten nicht locker lassen, die allzu enge Auslegung derWRRL durch alle bisherigen Bundes regierungen anzu-greifen. Es kann nicht sein, dass die größten Gewässer-schädiger finanziell freigestellt werden.

4.3 Schäden an der Gewässerökologie – wer muss zahlen?

Unsere Ströme werden mit Wärmemüll überlastet, derBraunkohletagebau in Nordrhein-Westfalen senkt qua-dratkilometerweise das Grundwasser bis zu 500 Meterab, Wasserkraftanlagen unterbrechen den Lauf der Flüs-se, die Binnenschifffahrt hat ehemals lebendige Flüssein sterile Bundeswasserstraßen verwandelt. Warumwerden die Verursacher dieser massiven Gewässerschä-den nicht zur Kasse gebeten? Der Erwägungsgrund 38der Präambel der WRRL sieht vor, dass beim „Grundsatzder Deckung der Kosten der Wassernutzung einschließ-lich umwelt- und ressourcenbezogener Kosten imZusammenhang mit Beeinträchtigungen oder Schädi-gungen der aquatischen Umwelt (…) insbesondere (…)das Verursacherprinzip berücksichtigt werden (sollte)“.Müssen also die Verursacher jedwelcher Gewässerschä-den einen finanziellen Obolus leisten?

Die Bundesregierung interpretiert die WRRL so eng, dassnur zwei Nutzergruppen Schäden in der Gewässerökolo-gie begleichen: die TrinkwasserkonsumentInnen sowiedie AbwassergebührenzahlerInnen. Da die Trinkwasser-und die Abwassergebühren in Deutschland weitestge-hend dem Kostendeckungsprinzip entsprechen, die mei-sten Bundesländer ein Wasserentnahmeentgelt erhebenund in ganz Deutschland Abwasserabgaben bezahlt wer-den müssen, sieht die Bundesregierung keinen weiterenHandlungsbedarf. Inwieweit auch Industrie und Land-wirtschaft – entsprechend Art. 9 WRRL – einen „ange-messen Beitrag“ für die von ihnen in Anspruch genom-menen Wasserdienstleistungen leisten müssen, bleibtabzuwarten.55

Die Bundesregierung interpretiert das Verursacherprinzipso eng, weil sie unter dem Begriff der „Wasserdienstlei-stung“ nur die Trinkwasserversorgung und die Abwasse-rentsorgung versteht. Tatsächlich erstreckt sich die Defi-nition der Wasserdienstleistungen in Art. 2, Zi. 38 WRRLüber die Wasserver- und Abwasserentsorgung hinausauch auf „wirtschaftliche Tätigkeiten jeder Art“ (sieheKasten). Insofern müssen nach Auffassung der Umwelt-

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39Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Auf der Basis gutnachbarschaftlicher Beziehungen undim Sinne der WRRL müssen die Grenzflüsse und ihre Ein-zugsgebiete ganzheitlich bewirtschaftet werden. Um dieÖkologisierung der Grenzflüsse zu forcieren, sollten dieGewässerschützerInnen an den deutschen Grenz flüssendie Zusammenarbeit mit den ökologisch gesinn ten Kräf-ten der Zivilgesellschaft in den Nachbarländern intensi-vieren.

4.5. Den Kahlschlag in der Wasserwirtschafts- undNaturschutzverwaltung stoppen!

Unter der neoliberalen Direktive „Schlanker Staat“ undunter dem Motto „Umweltverwaltungsreform“ findetseit über 20 Jahren in den Wasserwirtschafts- undNatur schutzverwaltungen von Bund und Ländern einfort-gesetzter personeller Aderlass statt.57, 58 Für einestringente Umsetzung der WRRL und der übrigenGewässerschutzgesetze sowie der FFH- und der Natur-schutzregelungen fehlt es immer mehr an fachkundigemund motiviertem Personal. Der Personalmangel in denVerwaltungen ist einer der Gründe, warum sich Plan-feststellungsverfahren für Gewässerrenaturierungenjahrelang hinziehen. Hinzu kommt eine hohe Fluktuati-on beim Fachpersonal, so dass auch die personelle Kon-tinuität nicht mehr gewahrt bleibt. Da in den oberenRängen der Wasserwirtschaftsverwaltungen – und beiden Wasser- und Schifffahrtsämtern sowieso – immernoch Bauingenieure (selten Bauingenieurinnen) dasSagen haben, mangelt es leider gelegentlich an ökologi-schem Verständnis. Und bei den JuristInnen, die in denWasserwirtschaftsabteilungen der Ministerien den Kursbestimmen, kann man auch nicht immer ökologischesGrundwissen voraussetzen. Wenn Gesellschaft und Poli-tik nicht bereit sind, die Wasserwirtschafts- und dieNaturschutzverwaltung auf den erforderlichen Perso-nalbestand aufzustocken, dann können auch unter die-sem Aspekt externe FlussraumbetreuerInnen einen par-tiellen Ausgleich schaffen.

4.4. Grenzflüsse – oder die Grenzen nationalerGewässerschutzpolitik

An Grenzflüssen stößt der Gewässerschutz immer nochan seine Grenzen. Wo Flüsse durch Grenzen geteilt wer-den, gleicht die Gewässerschutzpolitik einer Gratwande-rung zwischen dem ökologisch eigentlich Notwendigeneinerseits und den heiklen Nachbarschaftsbeziehungenandererseits. Zwar gilt das Gebot der WRRL zur ganz-heitlichen Bewirtschaftung von Flusseinzugsgebietenüber alle Grenzen hinweg. Aber an der Oder, an der Elbeund am Oberrhein überlagern nationale Egoismen denGewässerschutz: Bei der Binnenwasserstraßenpolitikwollen sich weder Polen an der Oder noch die Tschechi-sche Republik an der Elbe von den „ökologischen Besser-wessis“ aus Deutschland dreinreden lassen. Und amOberrhein bestimmen immer noch die Wasserkraftver-stromer der mächtigen Electricité de France (EdF) denKurs. So bestimmt § 353 des weiterhin gültigen VersaillerVertrags von 1918, dass Frankreich alle Rechte am südli-chen Oberrhein zukommen, einschließlich des Rechts derVerstromung des Rheinwassers: „Zu diesem Zweck wirdFrankreich allein berechtigt sein, in diesem Teil des Stro-mes alle Regulierungs-, Stau- oder sonstigen Arbeitenauszuführen, die es zur Gewinnung von Kraft für erfor-derlich hält.“ Nachdem Deutschland zwei verbrecheri-sche Kriege angezettelt hat, gelten der Versailler Vertragund seine Bestimmungen in Frankreich immer noch alsSakrileg. Und auch in Polen und der Tschechische Repu-blik sitzt das Misstrauen gegenüber Deutschland tief.Wenn Vorschläge zur ökologischen Aufwertung vonOberrhein, Elbe und Oder vermeintlich oder auch tat -sächlich wirtschaftliche Interessen der Nachbarstaatengefährden, wird der Verhandlungsspielraum ziemlicheng. Dies vor allem auch deshalb, weil zumindest inPolen und in der Tschechischen Republik eine mächtigeUmweltbewegung fehlt. Aber wenn die Ökologisierungder Grenzflüsse nicht maßgeblich durch polnische undtschechische Kräfte betrieben wird, hat man auf deut-scher Seite schlechte Karten – dies gilt sowohl für diestaatliche Gewässerschutzpolitik Deutsch lands als auchfür die Aktivitäten der deutschen Umwelt- und Natur-schutzverbände.

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40 BUND

Die geplante Reform der Bundeswasserstraßenverwal-tung bietet (s. 2.1.8.) nun die lang verpasste Changeeine moderne und effiziente Verwaltung zu gestalten,die auch den neuen ökologischen Aufgabenstellungengerecht wird.

Zwingend geboten ist zusätzlich die Schaffung vonStrukturen, die zusammen mit den Länderverwaltungendie Schnittstellen der Bewirtschaftung nach WRRL inden Flusseinzugsgebieten erarbeiten und umsetzen, dadie Maßnahmen nicht auf den Wasserkörper begrenztsind, sondern auch die Auen mit einbezogen werdenmüssen, die sich in der Regel in der Zuständigkeit derLänder befinden.

Die Politik muss den personellen Kahlschlag in den Was-serwirtschafts- und Naturschutzverwaltungen sofortstoppen! Ferner sollten mehr Posten als bislang mit was-seraffinen ÖkologInnen, BiologInnen und LimnologInnenbesetzt werden, und das auch auf den Führungsebenen.

4.6. Die Bundeswasserstraßenverwaltung ökologischumsteuern

Seit in den 80er Jahren ökologische Komponenten in dasWasserhaushaltsgesetz (WHG) aufgenommen wurden,hat die Bundeswasserstraßenverwaltung hinhaltendenWiderstand geleistet. Die Wasserstraßen- und Schiff-fahrtsverwaltung des Bundes fühlte sich weiterhin nurder Sicherheit und Leichtigkeit des Schifffahrtsverkehrsverpflichtet. Angesichts der notorischen Verweigerungs-haltung der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltungist es ein großer Erfolg, dass mit Inkrafttreten des neuenWHG im März 2010 die Bundeswasserstraßenverwaltungbei Unterhaltung und Ausbau der Bundeswasserstraßenauf ökologische Ziele verpflichtet worden ist. § 34 WHGordnet unter der Überschrift „Durchgängigkeit oberirdi-scher Gewässer“ an, dass die Wasser- und Schiff fahrts -verwaltung des Bundes bei Stauanlagen an Bundes-wasserstraßen die Durchwanderbarkeit herstellen muss.Tatsächlich wird diese neue Aufgabe im Bun des - verkehrsministerium und in der nachgeordneten Wasser-und Schifffahrtsverwaltung stringend ange gan gen. Soexperimentiert die Bundesanstalt für Ge wäs serkunde miteiner ökologisch ausgerichteten Unterhaltung der Bun-deswasserstraßen. Anstelle des üblichen Steinwurfeskönnten künftig mehr technisch-biologische Ufersiche-rungen zur Anwendung kommen. Und bei den ca. 300Stauanlagen an den Bundeswasserstraßen wird derzeituntersucht, wie dort die Durchwanderbarkeit wieder her-gestellt werden kann. Mit den jeweils betroffenen Bun-desländern erstellt die Wasser- und Schifffahrtsverwal-tung zudem einen Prioritätenkatalog. Dieser Katalog sollnach ökologischen und ökonomischen Kriterien festle-gen, in welcher Reihenfolge die Staustufen ökologischertüchtigt werden können.59

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41Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

5 Die neue Flusspolitik ist eine Bürgerbeteiligungspolitik!

wie die bereits an einigen Flüssen existierenden „Leben-diger Fluss“-Aktionen sollen auch die Flusskonferenzenmehr Menschen für ihre Flusslandschaft begeistern.Deshalb soll es auf den Flusskonferenzen nicht nur umoriginären Gewässerschutz, sondern auch um Erlebnis-exkursionen, Entdeckungstouren, Workcamps, Wasse-rerlebnispfade, heimatnahe Umweltbildung, Flussfesteund vergnügliche Flussevents gehen.60

Die Flusskonferenzen sind auch deshalb notwendig, weildie eigentlich für die Bürgerbeteiligung zuständigenWasserbehörden diesbezüglich auf Tauchstation gegan-gen sind. Nach den Anstrengungen der ersten Bewirt-schaftungsphase der WRRL ist den personell unterbe-setzten Wasserbehörden die Kraft zur Bürgerbeteiligungausgegangen. Diesbezügliche Versuche im ersten Jahr-zehnt dieses Jahrhunderts wurden eingestellt und sollenerst in der nächsten Bewirtschaftungsphase im Jahr2015 wieder aufgenommen werden. So unzulänglich diePartizipationsansätze der Bundesländer gewesen seinmögen – es ist ein Verlust, wenn jetzt alle in den Jahren2008 und 2009 gestarteten Initiativen zur aktiven Ein-bindung der interessierten Kreise wieder versanden. DerNeustart zur wasserwirtschaftlichen Partizipation imJahr 2015 wird umso schwieriger.

Wir brauchen mehr Kontinuität bei der Bürgerbeteili -gung. Die Wasserbehörden könnten in allen Flussein -zugs gebieten Flusskonferenzen veranstalten, so wie sieder BUND in einigen ausgewählten Flusslandschaftenbeispielhaft initiiert hat. Diese periodisch tagendenFluss konferenzen würden den Prozess der Bürgerbetei -ligung verstetigen.

Völlig neu für das traditionelle und ehemals obrig-keitsstaatliche Denken der deutschen Wasser-wirtschaftsverwaltung war das Gebot der Bürger-

beteiligung in der WRRL. Art. 14 WRRL sieht bei allenwasserwirtschaftlichen Planungen eine umfassende undaktive Beteiligung aller interessierten Kreise vor (Partizi-pation). Die Umsetzung des Partizipationsgebotes istden meisten Bundesländern nur unzureichend gelungen.Zudem hat es sich gezeigt, dass eine Beteiligung derBürgerInnen nur kleinräumig gelingen kann. Der ganzeMain, die ganze Saale oder die ganze Havel sind zu großfür eine funktionierende Bürgerbeteiligung. In die was-serwirtschaftliche Planung können die potenziell inter-essierten BürgerInnen, Vereine und Kommunen nur ein-gebunden werden, wenn das zu bewirtschaftendeGe wässer noch halbwegs überschaubar ist. Geeignet füreine aktive Bürgerbeteiligung im Sinne von Art. 14WRRL sind Flüsse oder Flussabschnitte von nicht mehrals 50 Kilometer Länge.

5.1 Bürgerbeteiligung in der wasserwirtschaftlichenPlanung: BUND initiiert Flusskonferenzen

Die ohnehin nur unzureichend umgesetzte Bürgerbetei-ligung haben die Behörden in den deutschen Bundes-ländern nach Ende der ersten Umsetzungsphase derWRRL wieder gänzlich eingestellt. Erst in der Vorberei-tungsphase zur nächsten Bewirtschaftungsrunde imJahr 2015 soll es eine erneute Bürgerbeteiligung geben.Das ist zu wenig. Um die Bürgerbeteiligung zu verste -tigen, könnte der BUND an ausgewählten Gewässerab-schnitten Flusskonferenzen initiieren: Alle interessiertenVerbände, Kommunen und BürgerInnen werden eingela-den, in überschaubaren Flusseinzugsgebieten denGewässer- und Auenschutz voranzutreiben.

Interessierte BürgerInnen, Vereine, Angler-, Natur-schutz- und Umweltverbände, VertreterInnen von Kom-munen und Behörden, aber auch Wirtschaftsbetriebesollen eingeladen werden, um die Zukunft des jeweili-gen Flusseinzugsgebietes ganzheitlich zu diskutieren:„Wie soll unser Fluss im Jahr 2027 aussehen?“ Ebenso

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42 BUND

5.3 Deichrückverlegungen mehrheitsfähig machen

Ein kluges Management von Flusseinzugsgebieten istvor allem erforderlich, um Auenrevitalisierungsprojektemehrheitsfähig zu machen. Wenn derartige Projektemangels frühzeitiger Öffentlichkeitsbeteiligung un -glück lich beginnen, sind politische Mehrheiten fürDeichrückverlegungen und Auenrevitalisierungsmaß-nahmen wenig wahrscheinlich. Betroffene (oder oft:sich betroffen fühlende) AnwohnerInnen und Bäuerin-nen und Bauern werden erfahrungsgemäß eine fastunüberwindbare Phalanx bilden. FlussraummanagerIn-nen an den großen Flüssen müssen ihren Ehrgeiz daran-setzen, bereits im frühesten Planungsstadium Skeptikerund potenzielle Gegner in die Konzeption des Projekteseinzubinden. Die BürgerInnen wollen vorher gefragtwerden – und nicht erst dann, wenn vieles bereitsbehördenintern beschlossene Sache ist. Aber auch beieiner frühzeitigen Konsultation ist das Werben fürAkzeptanz eines naturnahen Hochwasserrückhalts undeiner Auenrevitalisierung eine äußerst schwierige Kom-munikationsaufgabe.65 Die Umwelt- und Naturschutz-verbände sollten sich deshalb weiterhin dabei profilie-ren, wenn es gilt, den misstrauischen AnliegerInnen dieVorteile naturnaher Lösungen aufzuzeigen. Allerdingsmüssen die Behörden auch verstehen, dass es echteÖffentlichkeitsbeteiligung nicht zum Nulltarif gibt!

5.4 Finanzierung der Maßnahmen – flexiblerMitteleinsatz!

Gewässer- und Auenschutz kosten Geld. Im Sinne einersparsamen Haushaltsführung kommt es jedoch daraufan, die zur Verfügungen stehenden Fördertöpfe kreativund flexibel zu kombinieren. Mittel aus der Abwasser -abgabe, den länderspezifischen Wasserentnahmeent -gelten, aus Agrarumwelt- und Interreg-Programmenmüssen so gebündelt werden, dass der aquatische Na tur -chutz den größten Effekt erzielen kann. Wenn wie beimGewässerentwicklungsprojekt Weser-Werre-Else66 dabeiauch noch soziale Aspekte (Weiterbildungs- und Be -schäf tigungsprogramme) mit berücksichtigt werden kön-

5.2 FlussgebietsmanagerInnen oder Flussraum -managerInnen als Katalysatoren zur effizienterenUmsetzung der WRRL

In der ersten Phase der Gewässerbewirtschaftung habendie Kommunen überwiegend Desinteresse an der WRRLgezeigt – obwohl sie in der Summe für die längste Fließ-gewässerstrecke in Deutschland zuständig sind. Dabeigibt es eine Fülle von Leitfäden zur aquatischen Aktivie-rung von Kommunen. Gerade wenn es gilt, die Ziele derWRRL auch an den kleineren Gewässern umzusetzen,kommt es darauf an, die BürgermeisterInnen der Anrai-nerkommunen für den „guten ökologischen Zustand“ zubegeistern. Aber offensichtlich fehlt es an erfolgreichen„Aktivatoren“ in der Umwelt- und Kommunalpolitik. InOberösterreich hat man im Einzugsgebiet der oberenTraun bereits sehr gute Erfahrungen mit einer „Flussraumbetreuerin“ gesammelt.61

FlussraumbetreuerInnen oder FlussraummanagerInnenfungieren bei der Umsetzung der WRRL als Bindegliedund als Katalysatoren zwischen Wasserwirtschaftsver-waltung, Kommunen, Emittenten und sonstigen Gewäs-sernutzern sowie den BürgerInnen.62, 63

FlussraummanagerInnen könnten auch an überschauba-ren Uferstrecken der großen Ströme die interkommunaleZusammenarbeit bei der Renaturierung der Ufer ver -bessern – und die hierfür erforderliche Zusammenarbeitmit der Bundeswasserstraßenverwaltung und den Län-derbehörden in die Wege leiten. Ferner würden die Fluss raummanagerInnen die zuvor genannten Flusskon-ferenzen vorbereiten, durchführen und auswerten. Auchder Aufbau einer Homepage für das jeweilige Flussein-zugsgebiet würde zu ihren Aufgaben gehören.64

Außerhalb des „normalen Geschäfts“ der Wasserwirt -schaftsverwaltung könnten künftig speziell geschulteFlussgebietsmanagerInnen die Bürgerbeteiligung und dieinterkommunale Zusammenarbeit fördern.

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nen, umso besser. Um beim flexiblen Umgang mit Fördergeldern keine Zweckentfremdung zu begünstigen,kommt es auf eine glasklare Transparenz an. Die interes-sierte Öffentlichkeit ist über die Herkunft der Mittel undihren Einsatz schon im Vorfeld zu informieren.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Verzicht aufüber flüssige Unterhaltungs- und AusbaumaßnahmenMittel freisetzt, die zumindest teilweise wieder demGewässerschutz zu Gute kommen sollten. Beispiel Elbe-Saale-Kanal: Sein Bau soll 100 Millionen Euro kosten.Ein Verzicht auf dieses Projekt würde erhebliche Mittelfür den Gewässerschutz, den aquatischen Naturschutzund den naturnahen Hochwasserrückhalt an den Bun-deswasserstraßen freimachen – vorausgesetzt, die Um -widmung der Mittel scheitert nicht an haushaltsrechtli-chen Bedenken. Vor allem kommt es aber darauf an,nach dem Motto „Weniger Steine, mehr Hirn!“ kosten-sparende Lösungen zu finden, die auf der eigendynami-schen Entwicklung von Gewässern basieren. Denn ange-sichts von Bankenrettung, Griechenlandhilfe undanderen milliardenschweren Rettungsschirmen ist frag-lich, ob der originäre Gewässerschutz die Finanzmittelerhält, die er benötigt.

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Da der Nutzungsdruck an Oder und Elbe vergleichs-weise gering ist, formulieren wir für diese beidenFlüsse sehr weitgehende Vorschläge. Für den inten-

siv genutzten Rhein und seine stark verbauten Nebenflüs-se (Mosel, Main, Neckar) werden groß angelegte Deich -rückverlegungen nur noch in Einzelfällen realisierbar sein.Deshalb beschreiben wir für den Rhein klein angelegteVerbesserungen. Die kleinen und kleinsten Schritte zurökologischen Aufwertung können selbstverständlich auchan den anderen Strömen umgesetzt werden.

Um Wiederholungen zu vermeiden, beschränkt sich diesePublikation auf exemplarische Vorschläge. Für die einzel-nen Ströme werden somit Maßnahmen erläutert, die dortbesondere Bedeutung haben. Viele der erwähnten Strom-spezifika gelten aber auch für die anderen Ströme, wennauch vielleicht mit etwas geringerem Stellenwert. Bei-spielsweise spielen die Negativfolgen des Braunkohle-bergbaus für das Odereinzugsgebiet eine große Rolle. Aberauch im Elbeeinzugsgebiet und im nordrhein-westfäli-schen Braunkohlerevier schädigt der Braunkohletagebaudie Gewässerökologie.

Aus Platzgründen gibt es hier keine Darstellung derBasisdaten der jeweiligen Ströme. Diese finden sich pro-blemlos im Internet. Äußerst umfangreiche Beschreibun-gen der jeweiligen Ströme enthalten die amtlichenBewirtschaftungspläne, die man für die einzelnen Strömeunter www.wasserblick.net abrufen kann. KritischeStellung nahmen zu den Entwurfsfassungen der amtli-chen Bewirtschaftungspläne stehen in der Regel auf denHomepages der stromanliegenden BUND-Landesverbän-de, unter www.flussbuero.de sowie auf den Homepagesder anderen Umweltverbände.

6.1 Die Oder – weit weg vom „guten ökologischenZustand“

Trotz einer Vielzahl von Staustufen im Bereich der Mitt-leren Oder ist dieser Strom immer noch ein Naturjuwel:Die Obere Oder kann mit einer der naturnähesten freienMäanderstrecken in Mitteleuropa glänzen. Und die Mitt-lere Oder weist einen der besten zusammenhängenden

Auwaldkomplexe in Mitteleuropa auf.67 Wegen derhohen Naturnähe der Unteren Oder gibt es beiderseitsdes Stroms jeweils einen Nationalpark. Dank des freienZugangs zur Ostsee – völlig unbehelligt von Staustufen –bietet die Oder auch beste Chancen für die Wiederein-bürgerung von anadromen Fischarten – also von Fischen,die zum Laichen vom Meer in die Flüsse aufsteigen.Wegen dem ungehemmten Übergang von der Ostsee ineinen über 400 Kilometer langen freifließenden Oderab-schnitt hat man diesen Strom ausgesucht, um den Störwieder heimisch werden zu lassen. Den urtümlichen Störgab es schon, als die Saurier die Erde bewohnten. DerMensch hat im letzten Jahrhundert diesen großartigenFisch in den mitteleuropäischen Strömen ausgerottet.Störe können Körperlängen von deutlich mehr als dreiMetern erreichen. Fische dieser Größe in der Oder wärenein in Mitteleuropa unvergleichliches Symboltier füreinen gelungenen Gewässerschutz in einem freifließen-den Tieflandstrom.

Bis dahin bedarf es aber noch viel Engagement. Denn fürdas deutsche Odereinzugsgebiet stellt der nationaleBewirtschaftungsplan nach den Vorgaben der WRRLfest, „dass der Zustand der aquatischen Ökosystemeschlechter als erwartet war“ – und das, obwohl dieBelas tung der Gewässer durch umfangreiche Investitio-nen in den vergangenen Jahrzehnten erheblich reduziertwerden konnte. Die Zielverfehlungen seien unter ande-rem darauf zurückzuführen, „dass die Anforderungender WRRL anspruchsvoller als frühere Umweltziele“seien. Um die Oder und ihre Nebengewässer ökologischaufzuwerten, hält der Bewirtschaftungsplan folgendeMaßnahmen für erforderlich:„Zum Erreichen des guten ökologischen Zustands derFließgewässer ist eine möglichst natürliche, anthropo -gen möglichst unbeeinflusste Gewässermorphologieerforderlich, die eine weitgehende Durchgängigkeit vonden Laichgebieten im Oberlauf bis zur Mündung in dasKüstengewässer aufweist. Die geschilderten Randbedin -gungen werden in den meisten Wasserkörpern im deut -schen Einzugsgebiet der Oder durch den Gewässer -aus bau insbesondere für die Schifffahrt, die Land -entwässe rung und den Hochwasserschutz verfehlt.“

6 Einzelvorschläge für Oder, Elbe, Weser, Ems, Rhein und Donau

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45Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Ferner unterstreicht der Bewirtschaftungsplan die Be - deu tung einer Durchwanderbarkeit der Oderflüsse:„Daher sind die langfristige Wiederherstellung bzw. derErhalt der Durchgängigkeit für die Langdistanzwander -fischarten und Rundmäuler sowohl an der Hauptwan -der route des Flusses Oder als auch in bedeutendenNebenflüssen der Flussgebietseinheit Oder ein wichtigesüberregionales bzw. länderübergreifendes Umwelt- bzw.Bewirtschaftungsziel“ – ein Ziel, dem der BUND uneinge-schränkt zustimmt.

Ebenso wie an den anderen großen Strömen kommt dieAusweisung von Fließpoldern auch an der Oder nurzögernd voran. Dabei gibt es mit dem WWF-Oder-Auen-Atlas68 eine hervorragende Grundlage für einen naturna-hen Hochwasserrückhalt. In dem Oder-Auen-Atlas wur-den neben vielen anderen auch die Räume untersucht,„die sich für Renaturierungsmaßnahmen eignen, d. h.Räume in der ausgedeichten, ehemaligen Aue, die sichdurch Dammöffnungen wieder an das natürliche Über-flutungsregime des Flusses anschließen lassen“.69 Fließ-polder – auch entlang des deutschen Oder-Abschnitts –könnten dem Fluss zum einem mehr Raum zur Ab schwä -chung von Hochwasserspitzen zur Verfügung stellen.Zum anderen könnten damit nach Auffassung von WWFund BUND „sehr dynamische, ökologisch höchst wertvol-le Auengebiete wieder zurück gewonnen werden“.

Nach der Berechnungsweise des nationalen Bewirt-schaftungsplanes für die Oder ist sie nach Rhein, Donau,Inn und Elbe der fünftgrößte Fluss in Deutschland. DerBewirtschaftungsplan geht für den deutschen Teil derFlussgebietseinheit Oder davon aus, dass bezogen aufdie Gesamtlänge ca. 97 Prozent der Wasserkörper den„guten ökologischen Zustand“ bzw. das „gute ökologi-sche Potenzial“ bis zum Zieldatum 2015 nicht erreichenwerden. Der als Küstengewässer im Mündungsbereichder Oder fungierende Wasserkörper musste gar in einenunbefriedigenden Zustand eingestuft werden. Zugleichbesitzen die Oder und einige ihrer Nebenflüsse nochnaturnahe Gewässerstrukturen. Dort gibt es ein hinrei-chendes Potenzial für eine kosteneffiziente Entwicklungzum „guten ökologischen Zustand“.

Da die Oder und die Lausitzer Neiße gleichzeitig dieStaatsgrenze zur Republik Polen bilden, können die Län-der Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sach-sen notwendige Maßnahmen zur Verbesserung derGewässerdurchgängigkeit sowie der hydromorphologi-schen Bedingungen nur in internationaler Abstimmungmit Polen realisieren. Ähnlich wie am französisch-deut-schen Oberrheinabschnitt und an der tschechisch-deut-schen Elbe gestaltet sich die grenzüberschreitendeZusammenarbeit äußerst komplex. Sie verlangt diplo-matisches Fingerspitzengefühl. Dies betrifft vor allemdie Frage der weiteren Ausgestaltung der Oder alsSchifffahrtsstraße. Entgegenkommen der polnischenSeite bei Fragen der Gewässerökologie ist wohl nur zuerwarten, wenn Deutschland auf anderen GebietenZugeständnisse signalisiert.

Eine gute Zusammenarbeit mit Polen ist an der Oderauch deshalb wichtig, weil nur etwa 7,7 Prozent desgesamten Einzugsgebietes der Oder auf die drei deut-schen Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg- Vor-pommern und Sachsen entfallen. Die meisten Stell-schrauben zur Verbesserung der Gewässerökologie imOdereinzugsgebiet liegen somit in Polen.

Um die ökologische Situation von Neiße und Oder zuverbessern, wurden im deutschen Gebietsteil der Fluss-gebietseinheit Oder zur Wiederherstellung bzw. für denErhalt der Durchgängigkeit insgesamt 18 Nebenflüsseals „regionale Vorranggewässer“ ausgewiesen. Die Vor-ranggewässer weisen eine hohe fischökologischeBedeutung auf und erscheinen für die weitere Gewässe-rentwicklung besonders geeignet.

Der Bewirtschaftungsplan für das deutsche Oderein-zugsgebiet geht davon aus, dass es „wegen des erhebli-chen baulichen Aufwands nicht möglich sein (wird),bereits bis 2015 an allen signifikanten Querbauwerkenin den Vorranggewässern eine Durchgängigkeit herzu-stellen“. Der Bewirtschaftungsplan schreibt weiter:„Aus diesem Grund ist es notwendig, auch innerhalb derVorranggewässer eine Prioritätenliste zu erstellen, umsich auf solche Wasserkörper zu konzentrieren, in denen

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der größte ökologische Nutzen im Verhältnis zu denerforderlichen Kosten zu erwarten ist. Dies sind i.d.R. sol-che, in denen noch hinreichend gute biologische Verhält-nisse bestehen und sich der technische Aufwand für dieHerstellung der Durchgängigkeit in Grenzen hält.“

Für die Bundeswasserstraßen im deutschen Oderein-zugsgebiet muss zudem in nicht ganz einfachen Ver-handlungen zwischen dem Bund und den drei betroffe-nen Bundesländern ein „abgestimmtes nationalesPrio risierungskonzept zur Erhaltung und Wiederherstel-lung der Fischdurchgängigkeit erarbeitet“ werden.~Die regionalen Vorranggewässer für die Wiederher-stellung der Durchgängigkeit im deutschen Teil des

Odereinzugsgebiets1. Lausitzer Neiße – Abschnitt in Brandenburg2. Grano-Buderoser-Mühlenfließ – ganzes Gewässer3. Alte Mutter – ganzes Gewässer4. Schwarzes Fließ – ganzes Gewässer5. Ucker – Brandenburg und Mecklenburg-

Vorpommern6. Strom – ganzes Gewässer7. Quillow – ganzes Gewässer8. Welse – Wolletzsee bis Mündung9. Salveybach – ganzes Gewässer

10. Stöbber – Abendrothsee bis Mündung11. Platkower Mühlenfließ – ganzes Gewässer12. Alte Oder (mit Hohensaaten-Friedrichsthaler

Wasserstraße) – ganzes Gewässer13. Finow – ganzes Gewässer14. Hellmühler Fließ – Liepnitzsee bis Mündung15. Schwärze – ganzes Gewässer16. Nonnenfließ – ganzes Gewässer17. Finowkanal – Finow bis Mündung18. Schlaube – Wirchensee bis Mündung

6.1.1 Zu viel Algen-Nährstoffe in der OderHinsichtlich der Nährstoffbelastung der Oder stellt derBewirtschaftungsplan mit einigem Understatement fest,dass „eine der Haupteintragsquellen“ für die Nährstoff-belastung der Oder die Landwirtschaft sei. Insofern gehe

„es besonders um eine Minimierung von Nährstoffüber-schüssen bei der landwirtschaftlichen Düngung sowieum die Verminderung von oberflächlichen Abschwem-mungen und der Nitratauswaschung in Grund- undOberflächenwasser“. Um dem fortgesetzten Nährstoff-überschuss zu begegnen, schlägt der Bewirtschaftungs-plan „Bewirtschaftungsauflagen im Rahmen von geför-derten kooperativen Agrarumweltmaßnahmen, dieWiedervernässung von Feuchtgebieten und der Fließge-wässerauen und die Anlage von Gewässerrandstreifenzur Vermeidung von Nährstoffeinträgen in Oberflächen-gewässer“ vor.

Der Maßnahmenkatalog für das deutsche Oder-Einzugs -gebiet ist gut – jetzt müssen ihn die zuständigen Behö r -den aber mit Nachdruck durchsetzen. Da der überwie -gen de Teil des Oder-Einzugsgebietes in Polen liegt, müssen dort ebenfalls die Maßnahmen zur Nährstoff -reduktion intensiviert werden. Besonders aus den ent-wässerten Niedermoorgebieten der Warthe (einem polnischen Nebenfluss der Oder) gelangen erheblicheNährstofffrachten in die Ostsee.

6.1.2 Braunkohleabbau mit Folgen für das Oder-Einzugsgebiet

Markant für das Oder- und Elbe-Einzugsgebiet ist derBraunkohlebergbau. Bezogen auf den deutschen Teil derFlussgebietseinheit wirkt sich insbesondere der großräu-mige Braunkohleabbau auf die hydrologischen Verhält-nisse des deutschen Einzugsgebiets der Lausitzer Neißeaus. Das Lausitzer Revier erstreckt sich über die östli-chen Regionen von Brandenburg und Sachsen. DerBraunkohleabbau schädigt dort in erheblichem Umfangnicht nur die Grundwasserleiter, sondern beeinträchtigtauch die Oberflächengewässer. Um die Braunkohle zufördern, wurden Flüsse und Bäche beseitigt, verlegt oderneu hergestellt. Um die vielen ausgebeuteten Tagebauewieder mit Wasser zu füllen, muss die hierfür zuständigeLausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsge-sellschaft auch weit entfernte Flussläufe voraussichtlichüber Jahrzehnte hinweg anzapfen.

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Der Bewirtschaftungsplan geht davon aus, dass man mitder fortdauernden Schädigung der Bäche und Flüssedurch das Braunkohlenbergbau-Unternehmen VattenfallEurope Mining AG leben muss:„Aufgrund der wirtschaftlichen und energiepolitischenBedeutung sowie der langfristigen Planung dieser Bran-che wird die Braunkohlenutzung nicht einge schränktwerden.“

Dem widersprechen wir entschieden: Der Ausstieg ausder CO2-emittierenden Braunkohleverstromung ist ausKlimaschutzgründen ohnehin erforderlich. Aber auch dievöllige Umgestaltung der Landschaft und der Wasser-läufe sowie die Schädigung der Grundwasserleitermachen eine Abkehr von der Braunkohleverstromungerforderlich.

Demgegenüber begnügt sich der Bewirtschaftungsplanmit einer „Minimierung“ der Negativeffekte des Berg-baus auf den Wasserhaushalt. Trotz der enormen Schä-digungen von Grund- und Oberflächengewässern gehtder Bewirtschaftungsplan davon aus, dass „die weitereNutzung von Braunkohlevorkommen im Einklang mitden Anforderungen und Zielen der WRRL erfolgen“ wird.

6.1.3 Dürre in OstdeutschlandWie in keiner anderen Region Deutschlands könnte sichkünftig der Wasserhaushalt im deutschen Teil des Oder-einzugsgebietes unter dem Einfluss des Klimawandelsdrastisch ändern. Die ostdeutschen Bundesländergehören ohnehin zu den Trockenregionen in Deutsch-land. Die Klima-Projektionen gehen davon aus, dass Ost-sachsen und Brandenburg in Zukunft noch deutlichtrockener als bislang werden könnten. Und tatsächlicherkennen die Hydrologen in Brandenburg in den Pegel-aufzeichnungen der Flüsse und Bäche schon Ende der90er Jahre einen „Sprung“: Die Pegel der Messstellen imGrund- und Oberfächenwasser zeigen seit den 90er Jah-ren einen deutlichen Trend nach unten. Der Klimawan-del scheint in den Gewässern von Ostsachsen und Bran-denburg bereits Realität zu sein.

Der Bewirtschaftungsplan erwartet, dass „Fließgewässermit kleinem Einzugsgebiet bei wärmeren Sommern häu-figer trocken fallen werden“.

Ferner geht er davon aus, dass „durch den Klimawandelsich die Lebensräume (z. B. für Salmoniden) und die Bio-zönose in Fließgewässern und Seen (z. B. durch Neo-zoen) ändern können“.

Man muss alles unternehmen, um den Landschaftswas-serhaushalt zu stützen: Es gilt also, das knapper werden-de Wasser möglichst lange in der Landschaft zu halten,anstatt es in Fortsetzung des traditionellen „Rohrden-kens“ möglichst schnell der Ostsee zuzuleiten. Dasbedeutet auch, dass die Programme zum Moorschutzund zur Regenerierung von Mooren (nicht nur) in denostdeutschen Bundesländern forciert werden. Zumalintakte Moore auch große Mengen von Kohlendioxidspeichern. Zur Anpassungsstrategie gehört auch einÜbergang zu einer dezentralen Abwasserreinigung, bei der das gereinigte Abwasser der „Wiederbefeuch-tung“ der Landschaft dient – beispielsweise über dieBewässerung von energetisch nutzbaren Kurzumtriebs-plantagen70.

6.1.4 Der Nationalpark Unteres Odertal –immer noch ungeliebt

Die Geschichte des Nationalparks Unteres Odertal ist einBeispiel, wie schwierig sich grenzüberschreitender Na -tur schutz gestalten kann. Der erste und bisher einzigeAuennationalpark in Deutschland ist aber auch ein Bei-spiel, auf welche Widerstände die Nationalpark-Idee(und erst recht ihre Umsetzung) schon im eigenen Landstoßen kann.

Unter dem anspruchsvollen Motto „Naturschutz bautBrücken“ war der Nationalpark Unteres Odertal angetre-ten, beiderseits der Oder gemeinsam die freifließendeOder und ihre angrenzenden Auen ökologisch aufzuwer-ten. Trotz des hohen politischen Anspruchs auf Koopera-tion gestaltete sich die grenzüberschreitende Natur-schutzarbeit aber äußerst schwierig: Die beidenNationalparke auf der deutschen und der polnischen

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Oderseite wurden nebeneinander und nicht miteinanderrealisiert. Die Idee eines „Internationalparks“ hatte beiden KommunalpolitikerInnen die Hoffnung geschürt,dass die besonders streng geschützten Kerngebiete aufder jeweils anderen Seite der Oder ausgewiesen werdenkönnten. „Der vielfach postulierte Kooperationswillengehört zu einer der Geburtslügen des Parks“ – so lautetejedenfalls das Verdikt des Vereins der Freunde desDeutsch-Polnischen Nationalparks.71, 72

Der Verein vertritt nach wie vor die Forderung, dass aufmindestens 50 Prozent der Nationalparkfläche jeglicheNutzung natürlicher Ressourcen unterbleiben muss. Indiesen Kernflächen soll damit die naturgegebene Ent-wicklung der Lebensgemeinschaften nicht beeinträch-tigt werden. Der Besucher soll hier den zumeist verlore-nen Zugang zur ursprünglichen Natur, sprich Wildnis,erhalten, so die Intentionen des Vereins. Um den Anteilder Kernflächen hatte es von Anfang an Streit gegeben.In Deutschland hatte sich ein massiver Widerstandgegen den damals geplanten 40-Prozent-Anteil anTotalreservaten gebildet. Der forcierte und vielleichtauch nicht gerade sensible Landkauf durch den Vereinder Freunde des Deutsch-Polnischen Nationalparks riefWiderstand hervor. Wohl auch bedingt durch massivenArbeitsplatzabbau in Schwedt, einem der größten Industriestandorte der DDR, und der daraus entsprin-genden sozialen Unsicherheit gründete sich ein Vereinder Nationalpark-Gegner, der die begonnene Entwick-lung stoppen wollte. Mittlerweile erkennt man in derRegion aber die Potenziale des Tourismus und durcheine weniger restriktive Umsetzung der Nationalparkge-setzgebung nach dem Motto „Naturschutz durch Nut-zung“ setzt eine langsame Befriedung ein.

Der Auennationalpark hat eine Länge von 62 Kilometernund eine Breite von immerhin einigen Kilometern. Mitdiesen Dimensionen stellt er einen riesigen „Flächenfil-ter“ dar, der zahlreiche Schadstoffe des Oderwassersaufnimmt, sie festlegt (sorbiert) und der die einge-schwemmten Nährstoffe verstoffwechselt. Das bedeuteteine erhebliche Umweltentlastung des Oderästuars undder Ostsee.

Auch unter dem Aspekt des Hochwasserschutzes kannder Nationalpark punkten: 1997 überstand das UntereOdertal die Jahrhunderthochwasserkatastrophe. Es zeig-te sich, dass der Nationalpark Sicherheit für die Men-schen bedeutet, dass letztlich Naturgewalten gar nichtso schlimme Folgen zeitigen müssen, wenn sich derMensch angemessen darauf einstellt. In Brandenburgwurden zahlreiche Konzepte entwickelt, welche Retenti-onsflächen man an anderer Stelle noch schaffen sollte,welche Polder (nach Schwedter Vorbild) noch einzurich-ten waren. „Nach zwei Jahren Trockenheit waren alleguten Vorsätze wieder vergessen und der von der Presseso gelobte ‚Deichgraf‘ Matthias Platzeck wendete sichanderen Schauplätzen zu“, kritisiert der Verein derFreunde des Nationalparks den Sachverhalt, dass dernaturnahe Hochwasserrückhalt mit Hilfe von Deichrück-verlegungen an der Oder kaum vorankommt. Doch derpolitische Unwille paarte sich mit dem Widerstand vorOrt und dem Druck, möglichst schnell die „morschen“Deiche vor der nächsten Jahrhundertflut zu ertüchtigen.Mittlerweile sind auf deutscher Seite bis auf das Rück-deichungsprojekt in Neuzelle vollendete Tatsachengeschaffen worden und nur noch auf polnischer SeiteRückdeichungen möglich. Wie notwendig sie sind,haben die letzten Hochwasser an der Oder gezeigt.

Einige große Bauprojekte greifen massiv in den Natio-nalpark ein. Das stößt bei Naturschützern auf Empö -rung, so etwa die Planung eines neuen Grenzübergangsnördlich von Schwedt, der eine sehr hochwertige Land-schaft durchschneiden würde. In Schwedt wurde einneuer Hafen für Küstenmotorschiffe gebaut. Er sollteursprünglich über die noch auszubauende Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße, die direkt durch dasTotal reservat des Auen-Nationalparks führt, angeschlos-sen werden. Der anvisierte Ausbau dieses Kanals istmittlerweile gestoppt, weil angepasste Küstenmotor-schiffe, die hier versuchsweise gefahren sind, den Testerfolgreich bestanden haben. Ob es damit tatsächlich –wie von den Befürwortern des Ausbaus behauptet – zumehr Transport- und Umsatzvolumen sowie zu neuenArbeitsplätzen kommen wird, erscheint äußerst fraglich.Eine Standortsicherung ist es aber sicherlich.

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Mehr Arbeitsplätze könnten entstehen, wenn die Poten-ziale des Nationalparks stärker als bislang ausgeschöpftwürden. So werden die Möglichkeiten des biologischenLandbaus und der Weiterverarbeitung von Bioproduktenim Gebiet des Nationalparks so gut wie überhaupt nochnicht genutzt. Dabei bietet das nahegelegene Berlineinen Absatzmarkt für Bioprodukte, der durch die heimi-sche Bioproduktion längst noch nicht gesättigt ist.Wenn außerhalb der Kerngebiete des Nationalparks derkontrolliert biologische Anbau eine breite Anwendungfinden würde, könnten die bislang aufgetretenen Land-nutzungskonflikte deutlich entschärft werden.73

6.1.5 Der drohende Ausbau der GrenzoderDie deutsch-polnischen Reibereien um den Nationalparkund die nicht optimale Ausschöpfung der Naturschutz-potenziale sind auch symptomatisch für die nicht rund-laufenden Anstrengungen im Gewässerschutz entlangder „Grenzoder“. Die polnische Seite unternimmt immerneue Anläufe, um an der Mittleren Oder weitere Stau-stufen zu bauen. Sie möchte zudem die Grenzoder zuGunsten der Binnenschifffahrt („Neutrassierung desMittelwasserbettes“) total ausbauen, um eine ganzjähri-ge Befahrbarkeit zu gewährleisten. Deutschland ver-sucht diesen Ausbauwillen eher zu bremsen. Zumalnaturgetreue Simulationen im Wasserbaulabor der Bun-desanstalt für Wasserbau ergeben haben, dass die polni-schen Hoffnungen auf einen dann problemlosen Bin-nenschifffahrtsverkehr auch mit einem Totalausbau derGrenzoder über Regelwerke nicht einzulösen sind. Es seidenn, es werden Staustufen gesetzt – doch die lehnt diedeutsche Seite ab.

An der Oder sind Ausbau- und groß angelegte Unterhal-tungsmaßnahmen ähnlich wie an der Elbe seit Mitte desletzten Jahrhunderts unterblieben. So sind Buhnen undLängsbauwerke teilweise verfallen. In der Oder bildensich wandernde Sandbänke und Unterwasserdünen, diedie Schifffahrt erschweren. Streckenweise haben sichauch Nebengerinne mit wertvollen Biotopstrukturengebildet.74 Damit hat sich auf großen Strecken ein nochrecht naturnaher Fluss erhalten, den es so in West-deutschland nicht mehr gibt. Alles, was aus Natur-

schutzsicht für die Oder spricht, ist den Wasser- undSchifffahrtsämtern auf der deutschen und auf der polni-schen Seite deshalb ein Gräuel. Außerdem kommt es ander Grenzoder zu einer Sohlaufhöhung von bis zu einemZentimeter pro Jahr. Das tangiert nicht nur die Schiff-fahrt. Die fortschreitende Aufhöhung der Sohle führtauch dazu, dass die Oder schon bei Mittelwasserstreckenweise über dem Niveau des sie umgebendenLandes verläuft.75 Da die Oder ähnlich wie die Elbe einMittelgebirgsfluss ist, unterliegt sie starken Schwankun-gen von Hoch- und Niedrigwasser. Die Wassertiefe beiNiedrigwasser kann weniger als ein Meter betragen, sodass über den Zeitraum von zwei bis drei Monaten keineGüterschifffahrt auf der Grenzoder mehr möglich ist. 76

Außerdem herrscht hier Kontinentalklima, was zu regel-mäßigen Vereisungen führt, die bis zu zwei Monaten dieSchifffahrt blockieren. Kurz: Die Oder ist nicht ganz -jährig befahrbar.

6.1.6 Katastrophenhochwasser durch EisversatzVöllig unabhängig von den Ausbau- und Unterhaltungs-ansprüchen der Güterschifffahrt ergibt sich an der Oderein Problem, das an den anderen mitteleuropäischenFlüssen eher unbekannt ist: Wie kein anderer Strom istdie Oder in kalten Wintern von der Vereisung betroffen.Wenn sich die Eisschollen übereinander schieben, bauensich Eisbarrieren auf („Eisversatz“). Dahinter staut sichdas Wasser so lange auf, bis die Eisbarrieren dem wach-senden Druck nicht mehr standhalten. Im schlimmstenFall kommt es dann zu einer verheerenden Hochwasser-welle. Die in Bewegung geratenen Eisschollen tragenzudem die Hochwasserdeiche ab. 1947 hat ein derarti-ges Eisgang-Ereignis zu einem Katastrophenhochwassergeführt: Bei dem Versuch, den Eisversatz mit Bomben zusprengen, wurde versehendlich der Deich getroffen unddabei das gesamte Oderbruch geflutet.

Damit sich ein derartiges Desaster nicht wiederholt,beugt eine Armada von deutschen und polnischen Eis-brechern der Bildung von Eisbarrieren schon im Ansatzvor. Da die betagte polnische Eisbrecherflotte aber einenbeachtlichen Tiefgang hat, muss die Grenzoder sounterhalten werden, dass die Eisbrecher jederzeit freie

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Fahrt haben.77 Da für eine Modernisierung der Eisbre-cher den polnischen Behörden das Geld fehlt, setzen sieauf die Vertiefung der Oder. Verzweigungen, Inselbil-dung und Gebüschaufwuchs auf dem Deichvorlanderhöhen nach Auffassung des Wasser- und Schifffahrt-samtes Eberwalde die Gefahr, dass sich Eisschollenzuerst festsetzen und sich dann zu Eisbarrieren auftür-men. Auch deshalb sei es notwendig, die Grenzoder soauszubauen und zu unterhalten, dass die Oder mehroder weniger das Gepräge eines Kanals bekommt.

Man muss die Gefahr des Eisversatzes ernst nehmen. Wieauch bei „normalem“ Hochwasser ist es aber der besteSchutz, wenn dem Strom ein breites Bett zur Verfügungsteht, in dem sich die Hochwasserwelle gefahrlos aus-breiten kann. Wenn die Deiche rückverlegt werden,nimmt auch die Gefahr ab, dass Eisschollen die Deicheaufreißen. An neuralgischen Engstellen und besondersgefährdeten Deichabschnitten muss erkundet werden,mit welchen technischen Maßnahmen man dem Eisver-satz am besten begegnet. Es kann nicht sein, dass derEisversatz als letztes Argument für massive Unterhal-tungsarbeiten oder gar für einen Ausbau der Grenzoderherhalten muss.

6.2 Die Elbe – auf dem Weg zu einer deutschen Loire

Die Elbe ist neben der Grenzoder der letzte, auf 600 Kilo-meter Länge noch freifließende und naturnahe Strom inDeutschland, mit ausgedehnten Sandufern, einer weitge-hend unverbauten Flussaue und ausgedehnten Auwäl-dern. Das Sandbett der Elbe ist aber auch ihr empfind-lichster Punkt. Da aufgrund zahlreicher Staustufen undQuerbauwerke im Oberlauf der Sedimentnachschubnicht mehr funktioniert, wird die Elbe immer tiefer in ihrlabiles Sandbett gezwungen. Zu dieser Sohlerosion trägtauch die Befestigung der Ufer durch Buhnen, Leit- undDeckwerke bei. Durch die Abtrennung von Flussschleifenwurde streckenweise die Fließgeschwindigkeit erhöht,was ebenfalls zur Tiefenerosion beiträgt. Damit sinktauch der Grundwasserstand in den angrenzenden Auen.So sind auch die einzigartigen Park- und Waldlandschaf-

ten des UNESCO-Welterbes Wörlitzer Gartenreich inihrem jetzigen Zustand bedroht. Auch dem Biosphären-reservat an der Mittleren Elbe droht ein verschärfterGrundwassermangel, wenn die Sohlenerosion weiter vor-anschreitet.

Angesichts der fortschreitenden Sohlenerosion forderndie ElbeexpertInnen des BUND zu untersuchen, wie derSedimenttransport zumindest in Ansätzen durch eingeändertes Stauhaltungsregime im Oberlauf und an denZuläufen wieder in Gang gesetzt werden kann. Vor allenDingen muss geklärt werden, ob man mit einer kontrol-lierten Seitenerosion wieder Sediment in den Fluss brin-gen kann. Ein wirksames Sanierungskonzept für die Elbemuss eine umfassende Gesamtbewertung der Auswir-kungen der Tiefenerosion auf die Natur- und Wirt-schaftsgüter im Elberaum vornehmen. In eine ganzheit-lich angelegte Kosten-Nutzen-Analyse für die Elbe alsWasserstraße müssen auch die durch die Tiefenerosionentstandenen ökologischen und wirtschaftlichen Kosteneinbezogen werden. Nur so kann die Gesellschaft ent-scheiden, ob die Beibehaltung der Elbe in der jetzigenWasserstraßenklassifizierung sinnvoll und volkswirt-schaftlich notwendig ist. ~

Wo finde ich Elbe-Infos?Alle behördlichen Unterlagen zur Elbe können über die Homepage der Flussgebietsgemeinschaft Elbe www.fgg-elbe.de abgerufen werden. Wer die Elbe mitweniger Amtsdeutsch kennenlernen will, dem sei dasElbe-Buch des BUND-Aktivisten Ernst Paul Dörfler emp-fohlen. Dem unvergleichlichen Elbekenner ist es gelun-gen, grandiose Fotos der Elbe und der Elbelandschaftmit einer sehr bildreichen Sprache textlich zu ergänzen.Wer noch nie an der Elbe war, bekommt spätestens mitdiesem Fotoband Lust, die Elbe zu besuchen. Ernst-PaulDörfler legt aber auch aus Sicht des Natur- undUmweltschutzes den Finger in die Wunden, die Schiff-fahrt und Wasserbau der Elbe angetan haben, undschlägt Lösungen für eine naturnähere Elbe vor. 78, 79~Als Grenzfluss zwischen NATO und Warschauer Pakt istdie Elbe in den Zeiten des Kalten Krieges nur wenig

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51Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

bewirtschaftet worden. Vor dem Zweiten Weltkrieggeplante Ausbaumaßnahmen wurden nicht vollendet.Die Unterhaltung der Elbe zur Gewährleistung derSchifffahrt verlief auf einem Minimallevel. Dennochtransportierte die Güterschifffahrt auf der Elbe vor derWende zehnmal mehr Tonnen als heute.

Insbesondere die Region der Mittleren Elbe konnte alsNaturschutzjuwel bis heute halbwegs bewahrt bleiben.In diesem 5.700 Hektar großen Gebiet ist die Elbe alsletzter nicht gravierend ausgebauter schiffbarer FlussDeutschlands mit einer naturnahen Stromtalaue erhal-ten geblieben. Das Gebiet stellt ein national und inter-national bedeutsames Brut-, Rast- und Durchzugsgebietfür zahlreiche Vogelarten dar. Durch die große Vielfaltan Biotoptypen beherbergt das Gebiet „Mittlere Elbe“zahlreiche gefährdete und zum Teil vom Aussterbenbedrohte Tier- und Pflanzenarten.

Auch wenn die Elbe 80 Prozent ihrer ehemaligen Überflu-tungsflächen verloren hat, so hat sie im Vergleich zumRhein deutlich mehr Potenzial zur Reaktivierung vonintakten, naturnahen und waldreichen Überflutungsauen.So werden der Elbe mit der Deichrückverlegung im Löd-deritzer Forst im Hochwasserfall künftig 600 Hektar mehrÜberschwemmungsfläche zur Verfügung stehen: dergrößte zusammenhängende Auwaldkomplex Deutsch-lands. Das reduziert die Gefahr von Deich brüchen. Dievom WWF vorangetriebene Deich rückverlegung im Löd-deritzer Forst – die größte Maßnahme dieser Art in Euro-pa – führt zusammen mit der jüngst umgesetzten Alt-deichschlitzung im BUND-Projekt „Lenzener Elbtalaue“ zueiner Erweiterung der Überschwemmungsflächen an derElbe von mehr als 1.000 Hektar.

Da aber an der Elbe 80 Prozent der ehemaligen Aue-flächen inzwischen vom Fluss abgetrennt worden sind,müssten noch wesentlich mehr Deiche rückverlegt wer-den – wegen des bitter notwendigen Hochwasserrück-haltes, aber auch um die ehemaligen Aueflächen wiederan die Dynamik des Stromes anzubinden. Der Wider-stand gegen die Rücknahme von Deichen ist aber selbstentlang der vergleichsweise wenig besiedelten Elbe und

trotz des Schocks des Elbehochwassers von 2002 groß.Von ehemals 33 Rückdeichungsprojekten, die nach demHochwasser anvisiert wurden, sind gerade einmal vierumgesetzt worden. Die massiven Vorbehalte gegen großangelegte Deichrückverlagerungen verlangen von derPolitik, den Behörden und auch den Umweltverbändenein Höchstmaß von Verhandlungsgeschick; schließlichglaubt sich eine Vielzahl von Interessengruppen (nega-tiv) betroffen.

Ähnlich massiver Widerstand baut sich auf, wenn mandie millionenteuren Flussbaumaßnahmen zu Gunstender fast bedeutungslos gewordenen Güterschifffahrt aufder Elbe hinterfragt. Dabei führen die Investitionen indie Unterhaltung der Elbe keineswegs zur propagiertenBelebung der Schifffahrt. Die über die Elbe transportier-ten Gütermengen sind in den vergangenen 12 Jahrenum 50 Prozent zurückgegangen.80, 81 Letztlich bleibt alshärtestes Argument für einen Weiterbetrieb der Güter-schifffahrt auf der Elbe, dass man der TschechischenRepublik „den Krieg erklären würde“, wenn man inDeutschland offen über ein Ende der Elbeschifffahrtreden würde, so ein Mitarbeiter des Bundesverkehrsmi-nisteriums. Tatsächlich befahren die tschechischenElbeschiffer inzwischen längst den Rhein, die Donau unddas Kanalnetz – aber kaum noch die Elbe.

Eine von den Unterhaltungs- und Ausbaumaßnahmender Binnenschifffahrt immer weniger beeinträchtigeElbe hätte alle Chancen, ihre fantastischen Potenzialeals freifließender Strom auszuspielen. Die Gelder, dieman bei Unterhaltung und Ausbau des deutschen Elbe-abschnitts einspart, könnten für Kompensationsmaß-nahmen gegenüber der Tschechischen Republik bereit-gestellt werden.

Zur Fragwürdigkeit eines Weiterbetriebs der Güterschiff-fahrt auf schwach befahrenen Bundeswasserstraßen(Oder und Elbe) hat sich auch mehrmals das Umweltbun-desamt (UBA) geäußert – so zuletzt im April 201082:Zwar würden sich Binnenschiffe im Vergleich zu anderenVerkehrsträgern durch geringere CO2- und Lärm-Emis-sionen auszeichnen – aber im Hinblick auf Feinstaub,

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52 BUND

Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid eher schlech terabschneiden. Dies sei vor allem darauf zu rück zuführen,dass das Durchschnittsalter der deutschen Binnenschiffemittlerweile bei über 40 Jahren liege. „Damit Binnen-schiffe weniger Luftschadstoffe ausstoßen, ist vorrangigeine Nachrüstung mit modernen Systemen der Abgas-nachbehandlung notwendig“, schreiben die UBA-Ver-kehrsexperten. Für eine verstärkte Verlagerung derGütertransporte auf Binnenschiffe sieht das Umweltbun-desamt in der Fläche nur begrenzte Möglichkeiten – da„sich das Verkehrsaufkommen der Binnenschifffahrt fastzu 90 Prozent auf den Rhein und das angrenzende west-deutsche Kanalnetz“ konzentriere. Deshalb ihre Empfeh-lung: „Nur auf sehr wasserreichen Flüssen oder aufbereits stark ausgebauten Wasserstraßen ist die Binnen-schifffahrt heute eine sinnvolle Alternative zumStraßengüterverkehr.“ Diesen Kriterien entspricht aberder deutsche Elbeabschnitt immer weniger.

„Um langfristig die einzigartige Flusslandschaft Elbe zuretten, muß man die Diskussion um die Zukunft der Elbeschon heute beginnen. Deshalb forderten BUND undDNA schon im Lenzener Manifest83 2008 die Elbe zueinem möglichst natürlichen Fluss, wie die Loire inFrankreich zu entwickeln, wo sich Natur- und Kultur-landschaft zu einer großartigen Touristenattraktionergänzen. Inmitten einer vom Menschen stark geprägtenLandschaft darf sich der Fluss Loire innerhalb vorgege-bener Deichlinien nahezu ohne wasserbauliche Maß-nahmen frei entfalten. Dazu braucht der Fluss wiedermehr Raum. Es müssen verloren gegangene Auenlebens-räume durch Rückdeichung wieder an die Elbe ange-schlossen werden, um einen größtmöglichen Was-serrückhalt in der Fläche zu ermöglichen. Angesichtssteigender Hochwassergefahr und abnehmender Arten-vielfalt ist es dringend notwendig, dass die Anrainerlän-der der Elbe bis 2020 mindestens die vorhandenen Kon-zepte zum naturnahen Hochwasserschutz umsetzen.“

Die ElbeexpertInnen des BUND plädieren für ein mini -males, an ökologischen Kriterien und Sicherheitsas -pekten orientiertes Unterhaltungsprogramm. Wir müs-sen uns von dem illusorischen Ziel verabschieden,

zwischen Dresden und Geesthacht an 345 Tagen im Jahreine Fahrrinnentiefe von 1,60 Metern zu garantieren.Dazu gehört auch, die Binnenschifffahrt stärker als bis-lang von der Elbe auf den Elbeseitenkanal bis zum Was-serstraßenkreuz bei Magdeburg zu leiten. Der BUNDschlägt weitergehend vor, in einem breiten Diskussions -prozess für die Elbe ein neues, nicht schifffahrtfixiertesLeitbild mit konkreten Forderungen zur Renaturierung,zur Förderung des Tourismus und zu weiteren alterna -tiven Nutzungsmodellen zu entwickeln.

6.2.1 Was die Algen in der Elbe mästetIm Winter weist die Elbe eine vergleichsweise hoheSichttiefe auf. Im Sommer kommt die Elbe demgegenü-ber grün-braun daher. Das übermäßige Algenwachstumist zum einen auf die immer noch zu hohe Belastung mitPhosphaten, zum anderen auf die nur mäßige Fließge-schwindigkeit in breiten Mäandern zurückzuführen. Dazukommt die hohe Wassertemperatur im Sommer. Gleich-wohl ist im Vergleich zu DDR-Zeiten die Nährstoffbela-stung an der Mittleren Elbe inzwischen so weit zurück-gegangen, dass nicht mehr mit Fischsterben in Folge derEutrophierung zu rechnen ist. Anders sehen die Verhält-nisse an der besonders sensiblen Tideelbe aus. Die Süß-wasseralgen, die dort im Tidebereich auf das salzigeBrackwasser treffen, überstehen den Salzschock größ-tenteils nicht. Die abgestorbene Algenbiomasse wirdmikrobiell unter hohem Sauerstoffverbrauch abgebaut.Periodisch hin und her schwappende Sauerstofflöchersind praktisch jeden Sommer die Folge der nach wie vorzu hohen Nährstoffbelastung der Elbe. Die Sauerstoff-mangelbereiche in der Tideelbe sind immer noch poten-zielle Todeszonen für Fische und Kleinlebewesen.

Wie im Einzugsbereich der stauregulierten Rheinneben-flüsse gilt es auch hier, die Phosphatfrachten noch wei-ter zu reduzieren. Hierzu eignen sich die in Kapitel 3erläuterten Maßnahmen zur optimierten Phosphorfäl-lung in den Kläranlagen sowie Maßnahmen zur Verrin-gerung der Phosphatabschwemmungen aus der Land-wirtschaft (beispielsweise durch Gewässerrandstreifenund pfluglose Bodenbearbeitungsverfahren).

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53Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Voraussetzung für die groß angelegte Entfesselung derUnteren Havel war, dass der Abschnitt von Brandenburgbis zur Mündung in die Elbe in seiner Bedeutung alsBundeswasserstraßenstraße von der Wasserstraßenklas-se IV auf I-II, je nach Abschnitt, zurückgestuft wordenwar. Statt großer Güterschiffe fahren hier nur Fahrgast-und Hotelschiffe mit weniger Tiefgang. Für diesen Erfolghaben die Naturschutzverbände – und in diesem Fallinsbesondere der NABU – viel Überzeugungsarbeit lei-sten müssen.85 Engagement lohnt sich – das zeigen dieErfolge des BUND in Lenzen, des WWF im LödderitzerForst und des NABU an der Unteren Havel.

6.2.3 Der Ausbau der TideelbeDer Konkurrenzkampf der Nordseehäfen ist hart. Bre -merhaven und Hamburg setzen darauf, dass immergrößere Schiffe (auch Frachter der Post-Panamax-Klasse) ihre Häfen anlaufen können. Dazu müssen dieSchiff fahrtsrinnen in Unterweser und Tideelbe ständigtiefergelegt werden. Ein Kampf ohne Ende: Denn dieGezeiten und der Fluss lagern sofort wieder Sedimentein den tiefergelegten Schifffahrtsrinnen ab. Also müssenkontinuierliche Unterhaltungsbaggereien stattfinden,um die Normtiefe für die großen Hochseeschiffe ge -währ leisten zu können. Die Tieferlegung und die Unter-haltungsbaggerei stellen aber jeweils einen gravieren-den Eingriff in die Lebensräume der ökologisch sensiblenÄstuarien dar. Viele Anwohner sehen zudem die Stand-festigkeit der Deiche in Gefahr, wenn die Flüsse immertiefer ausgebaggert werden. Und auf die Deiche mussunbedingt Verlass sein. Denn durch die tiefergelegtenMündungsbereiche von Weser und Elbe schwappen dieSturmfluten immer höher ins Land. Unklar ist zudem, woman die gigantischen Mengen an ausgebaggerten Sedi-menten naturverträglich ablagern kann. Da die Sedi-mente teilweise schadstoffbelastet sind, können sienicht so ohne weiteres in der Nordsee verklapptwerden.86, 87

Das „Konzept für eine nachhaltige Entwicklung derTideelbe“ der Hamburg Port Authority und der Wasser-straßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes88 istangesichts der schwerwiegenden Zerstörungen durchdie Tieferlegung der Tideelbe allenfalls ein Trostpflaster.

Die Politik bezeichnet die Reduzierung der Nährstoffein-träge – insbesondere die aus der Landwirtschaft – als„als vorrangige Aufgabe“. So jedenfalls die Umweltmini-ster auf der der 4. Elbe-Ministerkonferenz in Wedel am27. November 2009. Im damals verabschiedeten Bewirt-schaftungsplan für das Elbeeinzugsgebiet waren dieElbe-Länder übereingekommen, bis 2015 die Stickstoff-fracht der Elbe um fünf Prozent und die Phosphorfrachtum sieben Prozent zu senken (bezogen auf das Jahr2006). Das bedeutet, dass bis 2015 im gesamten deut-schen Abschnitt des Flusses die Stickstofffracht um4.000 Tonnen, die von Phosphor um 270 Tonnen zu ver-ringern. In weiteren Schritten sollen die Nährstoffe bis2027 um 24 Prozent reduziert werden, „um die Über-düngung der Nordsee zu beenden“. Dies dürfte aller-dings kaum ausreichen, um die Überdüngung der nähr-stoffsensiblen deutschen Bucht und des NationalparksWattenmeer entscheidend zu reduzieren. Somit müssenFeriengäste in St. Peter-Ording, Büsum, auf Amrum oderSylt weiterhin mit algenbürtigen Schaumbergen rech-nen, die die Flut auf die Sandstrände spült. Was dieElbe-Ministerkonferenz als „ökologisches Zukunftspro-gramm“ feierte, war im Hinblick auf die Nährstoffreduk-tionsziele eher ein von Kleinmut und Verzagtheitgekennzeichneter Minimalkonsens.

6.2.2 Die Renaturierung der Unteren HavelNeben den beiden Deichrückverlegungen bei Lenzen undim Lödderitzer Forst gehört die Renaturierung der Unte-ren Havel zu den ökologischen Vorzeigeprojekten imElbeeinzugsgebiet. In dem 90 Kilometer langen Flussab-schnitt soll nicht ein einzelner Altarm wieder zum Fließengebracht werden – gleich 15 Altarme und Ne ben gewässerstehen auf dem Revitalisierungsprogramm. Hinzu kom-men der Rückbau von Deichen und die Beseitigung von71 Deckwerken. Das 18.700 Hektar große Projektgebietumfasst den gesamten Unterlauf der Havel. Das 9.000Hektar große Kerngebiet prägen Wiesen und Röhrichte.Wald ist kaum noch vorhanden, so dass der Ehrgeizbesteht, neue Auenwälder entstehen zu lassen. Das Pro-jektgebiet mit seiner jetzt schon üppigen Naturausstat-tung liegt vollständig in zwei Großschutzgebieten, demBiosphärenreservat Mittelelbe (Sachsen-Anhalt) und demNaturpark Westhavelland (Brandenburg).84

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54 BUND

Der anarchische Konkurrenzkampf der drei deutschenNordseehäfen in den Stadtstaaten Hamburg und Bre-men sowie im niedersächsischen Wilhelmshaven zer-stört nicht nur die Natur, sondern zerrüttet auch dieHaushalte von Bund und Ländern. Der periodische Aus-bau und die fortwährende Unterhaltung der Schiff-fahrtsrinnen in der Tideelbe und in der Unterweserkosten Milliarden. In Zeiten leerer Kassen ist es einUnding, dass die drei Häfen nicht zusammen, sonderngegeneinander arbeiten. Die politische Klasse in Ham-burg, Bremen und Hannover agiert nicht verantwortli-cher als die KirchturmpolitikerInnen in der Provinz, wojedes Dorf auf einem eigenen Gewerbegebiet besteht.

Dass das Bundesverkehrsministerium sowie Bremen undHamburg den Ausbau der Schifffahrtsrinne in Weser undElbe intensivieren, ist auch aus folgendem Grund ärger-lich: Bei der ursprünglichen Konzeption des Tiefseeha-fens bei Wilhelmshaven war Planungsgrundlage, dass dieZufahrten zu den Häfen in Bremerhaven und Hamburgnicht weiter vertieft werden können. Um die Zukunft derdeutschen Hafenwirtschaft zu gewährleisten, hatten sichBremen, Hamburg und Niedersachsen auf den Bau einesgemeinsamen Tiefseehafens geeinigt. Von einem koordi-nierten Vorgehen ist mittlerweile nichts mehr übriggeblieben. Den parallelen Ausbau aller drei Hafenstan-dorte begründen die Länder mit steil ansteigendenTransportraten, die durch die Weltfinanz- und Wirt-schaftskrise nur kurzzeitig unterbrochen worden seien.Dieser Argumentation können wir uns schon deshalbnicht anschließen, weil wir ein immerwährendes Wirt-schaftswachstum – und die daraus resultierende Explosi-on der Frachtraten – prinzipiell in Frage stellen.

Es ist Zeit für ein zwischen Hamburg, Bremen und Niedersachsen abgestimmtes Hafenkonzept. Eine weitere Tieferlegung der Schifffahrtsrinnen kommt fürdie ElbeschützerInnen in allen Naturschutzverbändennicht mehr in Frage. Der Bau des Tiefseehafens bei Wilhelmshaven („Jade-Weser-Port“) erscheint als daskleinere Übel. Übergroße Frachtschiffe können künftig in Wilhelmshaven ankern.89

6.3 Die Weser – Spitzenreiter bei der Salz- undNährstoffbelastung

Die Weser durchfließt das einzige große innerdeutscheStromeinzugsgebiet – „deutsch bis zum Meer derWeserfluss“, heißt es pathetisch auf dem Weserstein inHannoverisch Münden. Ohne die heiklen Nachbarschaf-sprobleme – wie an Oberrhein, Elbe und Oder – könnteDeutschland an der Weser zeigen, wie man die WRRL imSinne des Gewässerschutzes vorbildlich umsetzt. Ausge-rechnet hier macht die Versalzung der Werra durch dieK+S AG wohl über Jahre hinaus den „guten ökologi-schen Zustand“ völlig unmöglich, selbst wenn alle ande-ren „Hausaufgaben“ gemacht würden. Der BUND hatdas „Salz-Thema“ bereits 2003 wieder aufgegriffen undmit anderen Akteuren einen Runden Tisch initiiert, andem K+S, die beteiligten Länder und die Anrainer sowiedie Umweltverbände sitzen.90 Der Runde Tisch empfahl,die Salzlaugeneinleitungen zu beenden oder notfallsdurch eine Salzpipeline in die Nordsee. Das lehnt K+Sals zu teuer ab. Auch die Landesregierung in Hannoverstemmt sich gegen eine Salzpipeline. Da die Kaliressour-cen an Werra und Fulda noch über 50 Jahre lang abge-baut werden können, brauchen wir aber jetzt eine nach-haltige Lösung. Das gilt nicht nur für die zwölf MillionenKubikmeter Salzlauge, die direkt im Produktionsprozessanfallen. Auch die zwei Millionen Kubikmeter Salzlauge,die bei Regen von den gewaltigen Kaliabraumhaldenabströmen, harren einer Lösung. Auch wenn die Salz-Entfrachtung von Werra und Weser hunderte MillionenEuro kosten sollte – verteilt über einen Abschreibungs-zeitraum von mehreren Jahrzehnten erscheinen dieKosten verhältnismäßig, schließlich erzielt der K+S-Konzern prächtige Gewinne.

Die Rechtfertigung einer fortdauernden Salzbelastungvon Werra und Weser und die Debatte über möglicheAbhilfemaßnahmen ist ein markantes Beispiel, wie Öko-logie und Ökonomie gegeneinander ausgespielt werden.Der K+S-Konzern droht mit dem Verlust von tausendenArbeitsplätzen in einer ohnehin strukturschwachenRegion. Leider hält sich der Bewirtschaftungsplan fürdie Weser sehr zurück, wenn es um die Interessen desK+S-Konzerns geht.91

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55Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Aber auch ohne die gravierende Belastung mit Chloridenund Härtebildnern beeinträchtigen viel zu hohe Nähr-stoffkonzentrationen die Weser.

„Die Werra und die Weser sind eines der Fließgewässermit dem höchsten Nährstoffangebot (Trophie) inDeutschland. Im Sommer tritt eine starke Trübung derGewässer auf, die durch die sehr großen Algenpopula-tionen bedingt sind“, schreibt die Flussgebietsgemein-schaft Weser92 und sie befürchtet im Wesereinzugsge-biet gar, dass es noch schlimmer kommen könnte, weiles durch „die derzeitige Intensivierung des Energiepflan-zenanbaus zur energetischen Verwertung zu erhöhtenNährstoffeinträgen ins Grundwasser und in die Ober-flächengewässer kommt“.

Trotz der hohen Salz- und Nährstoffbelastung gibt es ander Weser gleichwohl erhebliche Potenziale für die Auen-entwicklung. Ähnlich wie an der Elbe ist die Siedlungsdich-te gering, es gibt hier daher keinen derart hohen Nutzungs-druck wie am Rhein. Allerdings leidet auch die Weser unterden Strombaumaßnahmen der Vergangenheit:„Das Aufkommen der Dampfschifffahrt und der Wunsch,immer größere Schiffe einsetzen zu können, führten zuschwerwiegenden überregionalen, linienhaft durchge -führten Eingriffen in die Gestalt und den Verlauf derWeser. Für eine möglichst hohe Tauchtiefe bei Niedrig -wasserverhältnissen musste das Gewässerbett so schmalwie möglich sein. Zu diesem Zweck wurden Ufer befes tigt(Steinschüttungen, Pflaster), Buhnen errichtet und ankritischen Stellen Sohlvertiefungen vorgenommen. (…)Immer größere Schiffe zwangen zu mehrfachen Stauhal-tungen, u.a. an der Mittelweser mit den Schleusenkanä -len und den Schleusen. Die Staustufen wurden auch zurEnergiegewinnung genutzt. Für den Betrieb des Mittel-landkanals war eine wesentliche Voraussetzung, dass eraus der Weser gespeist werden konnte. Zur Verbesserungder Wasserführung der Weser in Niedrig wasserzeitenwurden daher an der Eder (1908–1914) und Diemel(1912–1914) Talsperren erbaut, deren Speichervolumenentsprechend den Erfordernissen der Schifffahrt bewirt-schaftet wird.“

So beschreibt die Flussgebietsgemeinschaft Weser dieanthropogene Überprägung der Weser und ihrer Zuflüs-se.93 Der zerstückelte Lauf, abgetrennte und vernichteteAuen sowie die schlechte Wasserqualität haben dazugeführt, dass die Langdistanzwanderfische Lachs, Stör,Maifisch und Schnäpel, aber mittlerweile auch der Aalsukzessive aus dem Wesereinzugsgebiet verschwundensind. Und auch die Zeiten, als die Oberläufe der Eder alsdie produktivsten Lachsgewässer im Wesereinzugsgebietgalten, sind schon lange vorbei.

Als Abhilfemaßnahmen mit allerdings nur begrenzterWirkung empfiehlt die Flussgebietsgemeinschaft Weser:„Insbesondere in Abschnitten mit geringem Verkehrs auf -kommen sollte die naturnahe Entwicklung der Gewäs ser -strukturen Vorrang vor der geregelten Unterhaltungbekommen, bzw. die Unterhaltung in erheblichem Um -fang mit der naturnahen Entwicklung von Gewässer -strukturen verknüpft werden [siehe hierzu auch dasKapitel 6.5 über den Rhein in dieser Publikation]. In denintensiv genutzten Bereichen dürfen aktuelle undzukünftige Ausbaupläne nicht zu einer Verschlechterungdes ökologischen Zustands bzw. des ökologischen Poten-zials führen. Durch geeignete Maßnahmen sollte einAusbau zu einer ökologischen Verbesserung gegen überdem jetzigen Zustand führen.“ 94

Ferner sieht die Bewirtschaftungsplanung für die Weservor, durch neue oder optimierte Fischwechselanlagendie Durchwanderbarkeit der Weser bis zum Jahr 2015wiederherzustellen. Diese Strategie der Flussgebietsge-meinschaft Weser ist begrüßenswert, dürfte aber auchan Grenzen stoßen: Wegen der kumulativen Wirkungder Staustufen wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich imEinzugsbereich der Weser sich selbst erhaltende Popu -lationen von Langdistanzwanderfischen etablieren kön-nen, flussaufwärts immer geringer.95 Zumal sichWande rungshindernisse nicht nur in Weser, Werra undFulda selbst befinden. „Aktuell weisen die ca. 16.600Kilometer Fließgewässer in der FlussgebietseinheitWeser ca. 4.700 Querbauwerke auf“, konstatiert dieFlussgebietsgemeinschaft Weser.96

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56 BUND

Die Liste der Schädigungen im Wesereinzugsgebiet ließesich beliebig fortsetzen. So stellt beispielsweise derBewirtschaftungsplan für das niedersächsische Weser-einzugsgebiet fest: „In vielen Gebieten Niedersachsens stellen aufgrundbesonderer ökoregionaler Bedingungen Verockerungs -er scheinungen, Feinsedimenteinträge und die Versaue-rung der Gewässer erhebliche Probleme dar, die in ihrerTrag weite und ihrem Schädigungspotenzial für dieGewäs ser bio zönosen noch immer erheblich unterschätztwerden.“97

Immerhin haben sich die Umweltminister der Weseranlie-gerländer darauf geeinigt, dass die Weser bis 2015 wiederdurchwanderbar gemacht werden soll. Fisch wanderhilfenan den Wehranlagen in der Werra sollen das Gebot zurDurchwanderbarkeit realisieren. Erfreulich ist ferner, dassan der Fulda exemplarische Maßnahmen zur Revitalisie-rung von Uferstrecken umgesetzt werden. Im Hinblick aufdie Fischwanderhilfen ist allerdings anzumerken, dass füreinen durchgreifenden Erfolg jede Fischwanderhilfe eineErfolgsrate von deutlich über 90 Prozent aufweisen muss.Angesichts der Vielzahl von Stauanlagen an der Weserund der Werra kann man nur so das Ziel sich selbst repro-duzierender Wanderfischbestände erreichen. Derart hoheErfolgsquoten bei allen Fischwanderhilfen einer Kraft-werkskaskade galten bislang als utopisch – vor allemwenn es sich um die Optimierung von Altanlagen handelt.An bestehenden Wehranlagen und Kraftwerksstandortenmuss man im Gegensatz zu Neubauten mit allen denkba-ren räumlichen, baulichen und technischen Einschrän-kungen rechnen.

6.4 Die Ems – Fluss in (Sauerstoff-)Not

Die 371 Kilometer lange Ems durchfließt den Nordwe-sten Deutschlands. Sie entspringt in Nordrhein-Westfa-len, fließt weiter durch Niedersachsen und mündet zwi-schen Emden und dem niederländischen Eemshaven indie Nordsee. Die Ems ist vielerorts begradigt, nur einigewenige Stellen des natürlichen Flusslaufs sind nocherhalten geblieben. Auf großen Strecken gleicht die Ems

einer kanalartigen Rinne „im steinernen Korsett“. Zudembehindern zahlreiche Querbauwerke die Durchgängig-keit für Wanderfischarten.

In den letzten Jahren wurden an der Oberen und Mittle-ren Ems im Rahmen von einzelnen NaturschutzprojektenFlussabschnitte renaturiert, Uferbefestigungen rückge-baut und einige verbliebene Altarme wieder angeschlos-sen. Das Ziel einer lebendigen Ems liegt aber auch hiernoch in weiter Ferne.

Alle noch so gut gemeinten Maßnahmen, wie z. B. Wehreim Oberlauf der Ems durchgängig zu machen, werdenkeinen Erfolg zeigen, solange die Situation in der Unte-rems so dramatisch ist, dass sie in großen Teilen des Jah-res ein unpassierbares Wanderungshindernis für Fischedarstellt. Die Unterems bildet beim Thema Ge wäs sergütemit der Gewässergüteklasse III bis IV (sehr stark ver-schmutzt) eines der Schlusslichter unter DeutschlandsFlüssen. Die Problemlage ist gekennzeichnet von ausge-prägten Sauerstoffdefiziten und sehr stark erhöhtenSchwebstoffkonzentrationen.

Die Unterems ist Seeschifffahrtsstraße und dient unter-halb der Werft von Papenburg als Zubringer für die dortgebauten Ozeanriesen. Wegen der immer größerenSchiffe, die die Meyer-Werft insbesondere für die Kreuz-fahrt fertigt, wurde rücksichtslos in das Ökosystem ein-gegriffen: Vier Flussvertiefungen zwischen 1984 und1995 haben die Ems von einer der ökologisch wertvoll-sten Flussmündungen Deutschlands zu einem Sanie-rungsfall werden lassen. Mit den Vertiefungen nahm derjährliche Baggeraufwand explosionsartig zu. Heute ver-schlingt jede Baggerkampagne für die Überführungeines Luxusliners zehn bis zwölf Millionen Euro. Dochdramatischer als der hohe Einsatz der Steuergelder sinddie Folgen für den Fluss. Durch die mehrfachen Ausbau-ten ist die Unterems aus der Balance geraten, sie hatsich mit Schwebstoffen regelrecht aufgeladen. Hundert-mal mehr Schwebstoffe als in den Flussmündungen vonElbe und Weser sind im Wasser der Unterems zu finden.Das hat fatale Folgen für den Sauerstoffhaushalt. Insbe-sondere im 15 Kilometer langen Abschnitt zwischen

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57Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Leer und Papenburg sinken die Sauerstoffwerte seitMitte der 90er Jahre jedes Jahr in den Sommermonatenso dramatisch, dass weder Fische noch Kleinstlebewesendort überleben können.98 Periodisch ist die Unteremsein „toter Fluss“.

Neben den Ausbaggerungen staut seit 2002 das Sperr-und Stauwerk bei Gandersum die Ems zusätzlich auf, umeine ausreichende Wassertiefe für die Überführung derKreuzfahrtschiffe vom 70 Flusskilometer entfernten Pa penburg in die Nordsee herzustellen. Längere Zeitdurfte dieser „Staufall“ nur in den Wintermonatendurch ge führt werden, um die Gelege der im Deichvor-land brüten den Vögel nicht zu überfluten. Doch dieWerft drängt aus wirtschaftlichen Erwägungen auch aufdie sommerliche Aufstauung. Für zwei tiefgehendeSchiffe aus der Werft wurde bereits jeweils eine som-merliche Aufstauung und Überführung in den Jahren2009 und 2011 genehmigt.

Zurzeit diskutiert man Pläne, einen Kanal von Papen-burg nach Leer zu bauen, um die Ems von Schiffsüber-führungen der Meyer-Werft zu entlasten. Dazu wurdeeine Machbarkeitsstudie vom BUND und WWf in Auf-trag gegeben. Der Kanalneubau könnte eine Chance füreine Renaturierung des Flusses zwischen Papenburg undLeer bedeuten.

6.4.1 Die TideemsHeute gilt das Emsästuar als ein Beispiel dafür, wie fort-laufende wasserbauliche Veränderungen das hydromor-phologische und ökologische Gleichgewicht einesGewässers zerstören können. Während der letzten 25Jahre haben die wirtschaftlichen Belange im Zusam-menhang mit der Meyer-Werft die Entwicklung derUnterems dominiert und die ökologische Situation kon-tinuierlich verschlechtert.

Die Anpassung der Tideems an immer größere Kreuz-fahrtschiffe hat zusammen mit der Verringerung derVorlandflächen und der Verkürzung der Deichlinie dazugeführt, dass in der Unterems der Tidehub und derTransport von Material stromaufwärts (tidal pumping)

stark gestiegen ist. Dies hat zu steigendem Baggerauf-wand und zu massiven Problemen der Gewässergütegeführt. Dies wird auch aus den Länderberichten zurWRRL deutlich.

In der Unterems hat sich der Tidehub in den vergange-nen 60 Jahren fast verdreifacht. Das hat auch zu massi-ven Einschränkungen der ökologischen Funktion desEmsästuars geführt. Die Konzentration der Strömungauf eine immer weiter vertiefte Fahrrinne geht einhermit einer extremen Zunahme der Strömungsgeschwin-digkeit im Hauptstrom. Steinschüttungen musstendaher die gesamten Ufer sichern. Demgegenüber wirddie Durchströmung von Seitenbereichen und Nebenrin-nen geschwächt, so dass diese stärker verlanden. Damitgingen an der Unterems große Teile der wegen ihrerBelüftungswirkung auch als „Lungen des Flusses“ be -zeich neten Flachwasserzonen verloren, die als „Kinder-stube der Fische“ wichtige Brut-, Aufwuchs- und Ruhe-plätze für Fische darstellen.

Die Gewässergüte der Unterems hat sich seit Mitte der1980er Jahre katastrophal verschlechtert. Seitdem ent-wickeln sich jedes Jahr unterschiedlich stark ausgepräg-te sommerliche Sauerstoffmangelsituationen. Die Inten-sität der Sauerstoffdefizite hat dabei in den letzten 10bis 15 Jahren noch deutlich zugenommen. Die Messer-gebnisse an sieben Pegelstationen entlang der Emsbestätigen diese Tendenz. Es treten vermehrt und überlängere Perioden (mehr als 100 Tage im Jahr) Sauer-stoffgehalte von unter 4 mg/l auf, in bestimmten Ab -schnitten und vor allem sohlnah auch Konzentrationenvon unter 1 mg/l. Bei solchen Konzentrationen könnenFische nicht mehr leben. Als wesentliche Ursachen gel-ten die Schwebstoffkonzentrationen als Folge der star-ken Vertiefungen der Unterems für Schiffsüberführun-gen und die intensive Baggergutumlagerung. NachInbetriebnahme des Sperrwerks 2002 verdreifachtensich die Jahresmittelwerte der Schwebstoffe an denMessstationen Weener und Papenburg, in Terborg undLeerort war eine Verdoppelung der Schwebstoffgehaltezu verzeichnen. Hohe Schwebstoffwerte erhöhen dieTrübung, verstopfen die Kiemen der Fische und gehen

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58 BUND

mit einem hohen Sauerstoffverbrauch einher. Kurz: DieSchwebstoffe rauben dem Fluss „den Atem“.

Die Schwebstoffkonzentrationen in der Unterems liegenin der unteren Hälfte der Wassersäule bei über 50 g/lund damit um mehr als das Hundertfache höher als inden Flussmündungen von Weser und Elbe. Die Gewäs-sersohle wird von ausgedehnten Schlick-Teppichen(„fluid mud“) bedeckt, in denen Schwebstoffkonzentra-tionen von weit über 100 g/l gemessen werden. Unterdiesen Bedingungen ist das Leben am Gewässerbodenstark verarmt.

Die zentralen ökologischen Defizite der Unterems defi-niert eine 2008 im Auftrag von BUND und WWF erstell-te Studie wie folgt: starke Erhöhung des Tidehubs, mas-sive Beeinträchtigung des Gewässerbodens („fluid mud“,Sauerstoffmangel), massive Beeinträchtigung derGewässergüte (Sauerstoffmangel; Trübung; „fluid mud“),Verlust von aquatischen und semiaquatischen Vorland-lebensräumen und Verlust von Flachwasserzonen undNebenrinnen.99

Die Wiederbelebung der Ems fordert eine Wiederbele -bung der Unterems: Dort muss die Wasserqualität drin-gend verbessert werden. Weitere Fahrrinnenan -passungen und ein uneingeschränkter Einstau der Emsmit Hilfe des Emssperrwerkes kommen daher für denBUND nicht in Frage. Die ökologische Sanierung derUnterems erfordert umfangreiche Maßnahmen. DerBUND schlägt vor, diese im Rahmen eines integriertenStrombaukonzeptes zu entwickeln.Die ökologische Sanierung der Unterems sollte auf diefolgenden drei zentralen Ziele ausgerichtet werden: • Reduzierung des Materialtransports (tidal pumping),

v.a. um die Schwebstoffkonzentrationen zu reduzierenund die Sauerstoffgehalte zu erhöhen;

• Verbesserung der Sauerstoffproduktion im Gewässer,auch durch die Anlage von Flachwasserzonen, Schlick-watten und Nebenarmen;

• Regeneration ästuariner Lebensräume.

Folgende Mindestanforderungen gelten für eine ökologi-sche Sanierung der Unterems:• keine Sauerstoffmangelsituation in der gesamten Was-

sersäule (> 4 mg/l in der oberen Hälfte; > 3 mg/l in derunteren Hälfte);

• Schwebstoffkonzentrationen < 50 mg/l bei mittleremOberwasser in der limnischen Zone;

• erfolgreiche und regelmäßige Reproduktion von Finteund Stint in der Unterems;

• Wiederherstellung von Seitenräumen (unbedeichtesVorland, Flachwasserzonen, Watt etc.), Vergrößerung >10 Prozent der aktuellen Flächengrößen;

• Erhalt der Durchgängigkeit für die Fischfauna;• Erhalt der Brut- und Rastfunktionen für die Avifau-

na.100

6.4.2 Renaturierung durch Kanalbau?Trotz des heute traurigen Zustandes hat die Ems erheb-liche Potenziale für die Auenentwicklung und dieRenatu rierung. Die Siedlungsdichte ist gering, Großin-dustrie ist so gut wie nicht vorhanden und auch die all-gemeinen Anforderungen der Schifffahrt an die alsSchifffahrtsstraße ausgewiesenen Emsabschnitte sindim Vergleich zu Weser und Elbe gering. Der dennochbestehende hohe Nutzungsdruck beruht allein auf der inPapenburg angesiedelten Werft, der allerdings einehohe regionale wirtschaftliche Bedeutung zukommt.

Nach 25 Jahren Konfrontation und juristischen Ausein-andersetzungen hat der BUND gemeinsam mit anderenUmweltverbänden das Gespräch mit der Meyer-Werftund der Landesregierung über Lösungsmöglichkeiten fürden Konflikt an der Unterems gesucht. Als ersten kon-kreten Schritt haben Umweltverbände und Meyerwerftim Juni 2009 eine Vereinbarung zum Vogelschutz ge -schlossen. Im Rahmen dieser Vereinbarung respektiertdie Werft die Brutzeiten der geschützten Vögel und ver-pflichtet sich für mindestens 30 Jahre, im Zeitraum vom1. April bis zum 15. Juli eines Jahres keine Schiffe zuüberführen, für die die europäischen Vogelschutzgebieteüberflutet werden müssten.

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59Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Zur Lösung des Gewässergüteproblems und zur Renatu-rierung der Tideems schlagen BUND und WWF vor, einen15 Kilometer langen Kanal parallel zur Unterems zwi-schen Leer und Papenburg zu bauen. Nach einer voll-ständigen Verlagerung des Schiffsverkehrs auf denKanal könnte die Ems oberhalb von Leer auf ihre natürli-che Tiefe von etwa zwei Metern verflacht und umfas-send renaturiert werden. Würde man die Ems in diesemBereich verflachen, so ließen sich die negativen Auswir-kungen der bisherigen Vertiefungen auf Strömungs -verhältnisse und Wasserstände in großem Umfangrückgän gig machen – das würde das Schlick- undSauer stoffproblem für die gesamte Unterems auf ca. 45Kilometern lösen.

Das Land Niedersachsen, die Meyer-Werft und die Land-kreise haben den Vorschlag positiv aufgenommen. EineMachbarkeitsstudie soll nun innerhalb der nächstenzwei Jahre die tatsächliche Wirksamkeit dieses Vor-schlags für die Lösung des Gewässergüte- und Schlick-problems, die Kosten, sowie die Auswirkungen aufUmwelt, Wasser- und Landwirtschaft, Tourismus, Ver-kehr und Industrie untersuchen.

Um die Machbarkeitsstudie zu ergänzen, hat der BUNDim Sommer 2010 in Kooperation mit anderen Natur-schutz- und Umweltverbänden ein Projekt mit dem Zielder ökologischen Sanierung der Ems gestartet. Das Vor-haben soll die Perspektive einer lebendigen, renaturier-ten Unterems entwickeln. Es soll im Dialog mit denAkteuren vor Ort, Politik und Verwaltung Akzeptanz fürein nachhaltiges Entwicklungskonzept für die Unteremsschaffen und konkrete Schritte zur Umsetzung derRenaturierung vorbereiten.

6.5 Der Rhein – zwischen höchster Industriedichte undhöchster Naturwertigkeit

Der Rhein ist die mit Abstand bedeutendste Wasser-straße in Europa: 90 Prozent des deutschen Binnen-schifffahrtsverkehrs werden über den Rhein, seineNeben flüsse und das westdeutsche Kanalnetz abge-wickelt. Zugleich findet sich am Rhein die weltweithöchste Dichte von Chemie- und Pharmafabriken. Etlichethermische Kraftwerke belasten mit enormen Abwärme-mengen den Rhein und seine Nebenflüsse. Die Tempera-turzunahme von drei Grad Celsius im Rhein in den letz-ten 100 Jahren lässt sich zu zwei Dritteln auf dieAbwärmebelastung des Stromes zurückzuführen. EinDrittel der Temperaturerhöhung wird dem Klimawandelzugerechnet.101 Wenn es gelingt, trotz der hohen Nut-zungsintensität den Rhein zumindest auf Teilstreckennaturnäher zu gestalten, hätte dies Signalwirkung undVorbildcharakter für viele andere Flussläufe auf dem Glo-bus, die einer ähnlich hohen Nutzungsintensität ausge-setzt sind. „Wenn die Revitalisierung am Rhein – an derbedeutsamsten Wasserstraße Europas – gelingt, dannwird an anderen Flüssen noch deutlich mehr Spielraumzur ökologischen Aufwertung zur Verfügung stehen!“102

Bislang stehen die Erfordernisse der Sicherheit und derStabilität der Wasserstraße aber diametral der eigentlichnotwendigen Dynamik gegenüber. Insoweit bestehenentlang des schiffbaren Rheins nur sehr eng begrenzteSpielräume für den aquatischen Naturschutz. Und obdiese Spielräume tatsächlich genutzt werden, hing bis-lang stark von den handelnden Personen ab. Zudem herr-schte bislang bei den Wasser- und Schifffahrtsämternnoch „zu viel Versicherungsmentalität“. Die Bereitschaft,Neues auszuprobieren, war unterentwickelt.103

6.5.1 Der Rhein als größtes Biotopverbundsystem inDeutschland

Obwohl der Rhein weltweit zu den Flüssen mit derhöchsten Bevölkerungs- und Industriedichte gehört,sind entlang des Rheins doch noch einige äußerst wert-volle Kultur- und Naturflächen erhalten geblieben (sieheKasten zum Niederrhein). Die ökologisch hochwertigen

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60 BUND

Naturareale am Rhein und die Gebiete mit hohem öko-logischen Entwicklungspotenzial hat die InternationaleRheinschutzkommission (IKSR) in einem wunderbarenRheinbiotopatlas kartographisch und mit Texten doku-mentiert.104 Der Rheinbiotopatlas offeriert zahlreicheAnsatzpunkte, wie man lokal und regional den (aquati-schen) Naturschutz am Rhein voranbringen kann.

Auch als Kulturlandschaft genießt der Rhein mit demWeltkulturerbe Mittelrhein weltweite Anerkennung.Gleichwohl leidet gerade dieser Mittelrheinabschnittunter hoher Verlärmung durch die Straßen und Eisen-bahnlinien auf beiden Uferseiten. Nicht zuletzt dierheinparallelen Verkehrsachsen –haben mit dazu beige-tragen, die Rheinufer zu betonieren, versteinen oderanderwärtig zu stabilisieren. ~

Der Niederrhein als größtes Überwinterungsgebietfür Arktische Wildgänse

Bis zu 180.000 Bläss- und Saatgänse fliegen jeden Herbstam Niederrhein ein, um dann im Februar/März wieder zuihren Brutarealen aufzubrechen. Damit gilt der untereNiederrhein als das größte Überwinterungsgebiet für Ark-tische Wildgänse.

Mit den Vogelschutzgebieten am Niederrhein trägt Nord-rhein-Westfalen die Verantwortung für zahlreicheFeuchtwiesen- und Wasservogelarten, die vom Ausster-ben bedroht oder in ihrem Bestand gefährdet sind. Dazugehören zum Beispiel die Uferschnepfe, der Kiebitz oderdie Trauerseeschwalbe, die am Niederrhein brüten undderen Brutgebiete erhalten werden müssen. Das Natur-schauspiel der einfliegenden Gänse ist längst zu einembeliebten Ausflugsziel für Touristen aus ganz Deutschlandgeworden und stellt damit auch einen wichtigen wirt-schaftlichen Faktor für die gesamte Region dar. ZumSchutz der „grasenden“ Gänse wurde das Vogelschutzge-biet „Unterer Niederrhein“ ausgewiesen. Das Vogel-schutzgebiet wurde im Mai 2009 um 5.538 Hektar erwei-tert und ist nun mit seinen 25.809 Hektar eines dergrößten Vogelschutzgebiete in Nordrhein-Westfalen.Fortwährender Streitpunkt in den Überwinterungsarealen

der Gänse sind die Fraßschäden, die die Gänse auf denFeldern anrichten.Nach der Ausweitung des Vogelschutzgebietes gleichtdas Land auch auf den neu hinzugekommen Flächen dieSchäden aus, die die gefräßigen Gänse anrichten. ImGegenzug verzichtet die Landwirtschaft darauf, dieVögel zu verscheuchen („vergrämen“). Die örtlichenBäuerinnen und Bauern konnten für die Ausweitung desVogelschutzgebietes mit dem Angebot gewonnen wer-den, dass dort die bisherigen land- und forstwirtschaft-lichen Nutzungen auf Grundlage der guten fachlichenPraxis weiterhin zulässig sind. Nach der Vergrößerungdes Vogelschutzgebietes hat das das nordrhein-westfä-lische Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucher-schutz 2010 einen Maßnahmenplan für das Vogel-schutzgebiet erarbeitet. Dies schloss eine Beteiligungder Betroffenen an einem Runden Tisch ein – insbeson-dere der noch nicht gänzlich überzeugten VertreterIn-nen der Land- und Forstwirtschaft, der Fischerei und desGartenbaus. Der Maßnahmenplan konkretisiert räumlichdie Ziele und Maßnahmen für die relevanten Arten. DasDüsseldorfer Umweltministerium legt Wert darauf, dassdie Umsetzung von Maßnahmen auf dem Prinzip derKooperation und der Freiwilligkeit beruht.105

~6.5.2 Uferrevitalisierung unter dem Schutz von

LängsbauwerkenDer Rhein wird auf Dauer die wichtigste Schifffahrts-straße in Europa bleiben. Insofern ist es sinnvoll, diefreien Kapazitäten – vor allem am Oberrhein – stärker alsbislang zu nutzen, um entlang der hoch belastetenRheinachse mehr Güterverkehr auf das Binnenschiff zuverlagern. Ob dies auch für Gefahrguttransporte geltensollte, bleibt zu diskutieren. Zumindest etwas sichererwird der Rhein, wenn in den nächsten Jahren die Einhül-lentankschiffe verschwinden. In wenigen Jahren wird derUmstellungsprozess auf Doppelhüllenschiffe vollzogensein. Für Chemikalientransporte in Containern werdenderzeit elektronische Registrierungen und Transportver-folgungssysteme erprobt. Damit wird man dem nächstüberwachen können, wo sich ein bestimmter Gefahrgut-container befindet.

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Trotz des dichten Schifffahrtsverkehrs gibt es Möglich-keiten, an bestimmten Rheinabschnitten eine bessereNaturnähe zu erreichen. Während in der Schifffahrtsrin-ne ökologische Aufwertungen weder machbar nochsinnvoll sind, könnte man stärker als bislang einengroßen ökologischen Gestaltungsspielraum außerhalbder direkten Schifffahrtsrinne nutzen. Selbst in staure-gulierten Flussabschnitten können Refugien mit hoherökologischer Wertigkeit wieder hergestellt werden.Dabei kann man die vorhandenen Strombauwerke inmodifizierter Weise – beispielsweise durch Schlitzung –in die Entwicklung des „guten ökologischen Potenzials“einbeziehen.

Zahlreiche Längsbauwerke charakterisieren den Mittel-rhein. Die Längsbauwerke wurden zum Nutzen derSchifffahrt errichtet, haben aber im Hinblick auf denaquatischen Naturschutz den Vorteil, dass längere Ufer-partien nur gering vom Wellenschlag der Schifffahrtbeeinträchtigt werden. Diese geschützten Uferpartieneignen sich besonders zur Revitalisierung. Ideal wäre es,diese Uferstrecken sich selbst zu überlassen. Bei denwenigen bislang durchgeführten Pilotprojekten hat sichgezeigt, dass die zwischenzeitlich naturnähere Ausprä-gung der Uferpartien von der Bevölkerung sehr gutangenommen wird, schließlich wollen die Leute amRhein Natur erleben. Deshalb ist aber auch eine Besu-cherlenkung nötig, damit die Erholungssuchenden dieAreale mit besonders hoher Naturwertigkeit nicht zustark in Mitleidenschaft ziehen. Bestes Instrument dazuist die fehlende Erreichbarkeit der entsprechenden Ufer-strecken mit dem Pkw. Wo man nicht mit dem Auto hin-kommt, nimmt der Nutzungsdruck deutlich ab.

Die Längsbauwerke haben aber auch einen Nachteil: DieBereiche hinter den Leitwerken verschlammen und ver-landen. Bereits jetzt ist bei Niedrigwasser und hohenTemperaturen zwischen den Längsbauwerken und demUfer ein gravierender Sauerstoffmangel zu registrieren.Als Abhilfemaßnahmen wird derzeit diskutiert, die Buh-nen zu schlitzen, um jene Buhnenfelder besser zu durch-strömen, die von Verlandung bedroht sind.

6.5.3 Unter dem Strand liegt die AltlastBei betonierten und versteinten Uferpartien ist zumin-dest partiell ein Rückbau angesagt. Dabei kann manallerdings auch unerfreuliche Erfahrungen machen –wie beispielsweise bei Duisburg-Rheinhausen. Dort wardas Ufer gegen den schifffahrtsbedingten Wellenschlagund den Strömungsangriff mit verbackener Hochofen-schlacke gesichert worden. Als diese Schlacke entferntwurde, fand sich darunter allerdings „kein Sandstrand,sondern eine flächige Altlast“.106 Um trotzdem einegewisse Naturnähe zu erreichen, wurde das Altlasten -areal mit Rheinkies überschüttet. Bei sehr vielen Rena-turierungsprojekten dürfte das Thema Altlasten eineunerwartet hohe Bedeutung erlangen. „Bei Aus koffe -rungsarbeiten wird man auf stark kontaminierte Sedi-mente stoßen. Die Sedimente haben die frühere hoheBelastung des Rheinwassers – beispielsweise mitSchwermetallen – konserviert.“

Als weitere Maßnahme zur Revitalisierung bietet sichder Umbau von Buhnengruppen an – wie beispielsweiseebenfalls bei Duisburg schon realisiert. Dort wurde einewellengeschützte Flachwasserzone an den Rhein ange-bunden, um ein Refugium für Jungfische und andereOrganismen zu schaffen. Bei weiteren Projekten istgeplant, rheinnahe Kiesbaggerseen so an den Rheinanzubinden, dass eine umflossene Insel entsteht.

Besonderes Augenmerk verdienen auch auf die Mün-dungen von Bächen und kleinen Flüssen in den Strom.Vielfach sind diese Mündungsbereiche derart verbaut,dass das Bachwasser kaskadenartig in den Strom stürzt.Unter diesen Bedingungen können Fische kaum vomStrom in den Bach einwandern. Insofern steht die natur-nahe Umgestaltung der Bach- und Flussmündungen aufder Tagesordnung. Diese Mündungsbereiche können undmüssen wieder zu „Kinderstuben“ und Lebensräumen fürzahlreiche Organismen aufgewertet werden.

Da viele Uferareale entlang des Rheins zur FFH-Kulissegehören, ergibt sich bei Uferrenaturierungen die gene-relle Schwierigkeit, dass bei der Umwandlung von„NATURA 2000“-Gebieten in Wasserflächen nachgewie-

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sen werden muss, dass es zu keiner Beeinträchtigungder dortigen Vogelwelt kommt. Dabei geht es nicht umeine statische Bewahrung von Seitengewässern – dieDevise muss sein, neue Gewässer in der Aue dynamischentstehen zu lassen. Denn genau die Prozesse der Land-schaftsbildung sind die Grundlage dafür, dass sich diehohe Biodiversität in der Aue bilden kann. Damit kommtman aber automatisch in Widerspruch zur eher statischangelegten FFH-Richtlinie und zum konservierendenNaturschutz.

Bei einer harten Uferverbauung mit Flussbausteinen(Blockwurf) oder gar mit Beton kommt man um „ökolo-gischen Baggerungen“ als Initialmaßnahme nichtherum. Nachdem die Uferverbauung enternt wurde,flacht der Fluss bei dem nächsten Hochwasser unnatür-lich steile Ufer von selbst wieder ab.~

Fundgrube für FlussrenaturierungsmaßnahmenNachdem die Bundeswasserstraßenverwaltung sich all-mählich bequemt, auch die ökologische Aufwertung derWasserstraßen zumindest partiell zu ihrer Aufgabe zumachen, hat die Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG)eine ganze Staffel von Broschüren als Arbeitshilfe pro-duziert.107 Dort finden MitarbeiterInnen der Wasser-straßenämter ebenso wie WasseraktivistInnen nachah-menswerte Beispiele von Renaturierungsmaßnahmen angroßen und kleineren Bundeswasserstraßen. Da psycho-logische und politische Faktoren oft mitentscheiden, obein Naturschutzprojekt gelingt, sei auch die Publikation„Akzeptanzsteigerung im Naturschutz“108 empfohlen.~6.5.4 Den Leinpfad tiefer legen!Bei größer angelegten Renaturierungsprojekten geht esdarum, die Dynamik des Flusses wieder in die angren-zende Altaue zu bringen. In der Regel liegt zwischenFluss und ehemaliger Aue aber als Barriere der Leinpfad.Vom Leinpfad aus wurden früher mit Tier- oder Men-schenkraft die Kähne den Fluss hochgezogen. Damit beiHochwasser der Rhein auf breiter Front die ehemalige

Aue wieder fluten kann, muss der Leinpfad partiellabgesenkt werden. Während der Leinpfad früher alsunverzichtbar galt, hat er heute keine faktische Daseins-berechtigung mehr – dafür aber eine hohe Symbolkraft.Erfolgreich abgesenkte Leinpfade sind beispielsweise imTaubergießen am südbadischen Rheinabschnitt zubesichtigen.109

Treibholz hat eine ähnliche Symbolkraft wie der Lein-pfad und dient häufig als Argument gegen die Anbin-dung der Auen an die Flüsse: Baumstämme könnten beiHochwasser aus den Altarmen auf den Strom treibenund die Schifffahrt gefährden. Wie stichhaltig ist dieserEinwand? An der östlichen Donau ist die Treibholzfrachtdeutlich höher als an deutschen Stromabschnitten110 –von vermehrten Zusammenstößen ist aber nichtsbekannt. Fazit: Die Schifffahrt muss mit Treibholz klarkommen. Es muss doch für Ingenieure eine lösbare Her-ausforderung sein, die treibholzresistente Rudermaschi-nen zu konstruieren.

6.5.5 Spurenstoffe im Rhein, im Aal und im Trink-wasser

Wie kein anderer Strom in Deutschland dient der Rheinder Trinkwassergewinnung – aber nicht direkt, sondernüber das „Uferfiltrat“: Das Rheinwasser, das durch dasRheinbett sickert und sich mit landseitig zufließendemGrundwasser mischt, nutzen zahlreiche Wasserwerkezwischen Basel und den Niederlanden als „Rohwasser“für die Trinkwassergewinnung. Und je besser die Analy-tik in den Labors der Wasserwerke wird, auf desto mehrSpurenverbindungen und Mikroschadstoffe (siehe Kapi-tel 3.3.) stößt man im Rheinuferfiltrat. Zwar eliminierendie weitergehenden Aufbereitungsstufen der Wasser-werke den größten Teil der Spurenstoffe, gleichwohlbesteht die Gefahr, dass im Nanogrammbereich (Milli-ardstel Gramm pro Liter) Spurenstoffe ins Trinkwassergelangen.

In deutlich höheren Konzentrationen finden sich einigeSpurenstoffe im Fettgewebe von Fischen. Vor allem die„Oldies“ unter den Spurenstoffen sind bioakkumulierbar:Beispielsweise haben sich die längst vom Markt genom-

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63Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

menen polychlorierten Biphenyle (PCB) in Mosel- undSaarfischen angereichert. Man vermutet, dass die PCBaus dem Kohlebergbau stammen, wo sie früher als nichtbrennbares Hydrauliköl eingesetzt wurden. Über Sümp-fungswässer aus längst aufgegebenen Kohlegruben imSaarland und in Lothringen können sie noch heute in dieEinzugsgebiete von Saar und Mosel gelangen.

Aus der Sicht des Trinkwasser- und des aquatischenNaturschutzes besteht deshalb Handlungsbedarf. Diegroße Bedeutung des Rheins für die Trinkwasser -gewinnung erfordert intensivere Anstrengungen, umweitere Einträge von Spurenstoffen zu vermeiden. Nochmehr als den TrinkwasserkonsumentInnen kommt diesden Lebewesen im Rhein entgegen, die schließlich dortihr ganzes Leben verbringen müssen – und direkt einemundefinierbaren Chemikaliencocktail ausgesetzt sind.

6.5.6 Wie viel naturnaher Hochwasserrückhalt amRhein ist noch möglich?

Am Rhein gestaltet sich ein halbwegs naturnaher Hoch-wasserrückhalt noch schwieriger als in einigen anderenmitteleuropäischen Stromlandschaften. Die ehemaligenRheinauen sind heute durch Siedlungen, Industrie- undInfrastrukturanlagen, Freizeiteinrichtungen und Inten siv -landwirtschaft besetzt. Für Deichrückverlegungen fehltvielerorts der Platz. Gleichwohl hat die InternationaleRheinschutzkommission im Jahr 1998 in ihrem „Aktions -plan Hochwasser“ höchst ambitionierte Ziele für einennaturnahen Hochwasserrückhalt entlang des Rheinstro-mes und im gesamten Rheineinzugsgebiet formuliert:111

„Erstmals wird international gefordert, dass dem Rheinfür die Ausbreitung der Hochwasser wieder wesentlichmehr Raum gegeben werden muss. Mehr als 85 Prozentder natürlichen Überschwemmungsauen wurden demRhein in den letzten beiden Jahrhunderten genommen,da der Mensch diese gewässernahen Bereiche besiedelnoder landwirtschaftlich nutzen wollte. Heutige Gegen -maß nahmen wie Ausweisung, Erhalt und Ausweitungvon Überschwemmungsauen und verbesserter Wasser -rückhalt im gesamten Einzugsgebiet müssen gleichzeitigdie ökologische Aufwertung des Rheins, seines Tals undseines Einzugsgebietes zum Ziel haben.“

Der damalige Aktionsplan sah zudem vor, bis zum Jahr2020 im Rheineinzugsgebiet tausend QuadratkilometerÜberschwemmungsgebiet zu reaktivieren. Am Rheinselbst sollten bis 2020 160 Quadratkilometer Über-schwemmungsflächen reaktiviert werden.

Gerade weil man von diesen Zielen zwölf Jahre nach derPublizierung des Aktionsplans noch sehr weit entferntist, lohnt es sich immer wieder, an die ehrgeizigen Ziel-marken zu erinnern.

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6.6 Die Donau – blaues Band der Biodiversität

Die Donau ist von den Flüssen in Deutschland der inter-nationalste. Auf ihrem 2.857 Kilometer langen Weg vonWest nach Ost fließt sie durch zehn Staaten Europas:Deutschland, Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien,Serbien, Bulgarien, Moldawien, Rumänien und die Ukrai-ne. Darüber hinaus liegen acht weitere Staaten im Ein-zugsbereich der Donau. 687 Kilometer fließt die Donaudurch Deutschland – das ist nach Rumänien die längsteStrecke in einem Land. Ab der Einmündung des Main-Donau-Kanals bei Kelheim ist die Donau für große Bin-nenschiffe befahrbar, 386 Kilometer der Donau inDeutschland sind Bundeswasserstraße. Als zweitlängsterFluss Europas (nach der Wolga) verbindet die Donauunterschiedlichste Natur- und Kulturräume, sie ist einebedeutende Wanderachse für Menschen, Tiere undPflanzen. Die Donau als „ökologisches Rückgrat“ Europaszu erhalten, muss ein gesamteuropäisches Anliegen sein.

6.6.1 Die Donau: Vielfalt zwischen Alpenfluss undNiederungsstrom

Die Donau entspringt dem Schwarzwald und durchfließtBaden-Württemberg als kleiner Mittelgebirgsfluss. Ander Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayernerhält sie mit dem Alpenfluss Iller erstmals eine starkealpine Prägung, sprich: viel Grobmaterial (Geschiebe)aus den Alpen, wodurch sich die Donau ehemals starkverzweigt hat. Die gesamte bayerische Donauaue wirdals Grobmaterial-Aue bezeichnet,112 da sie aus Schot -ter ablagerungen der Alpenflüsse aus den Eiszeitenbesteht. Die Geschiebefracht aus den Alpen warursprünglich mit rund 530.000 Kubikmetern pro Jahrgewaltig.113 Die Kiese sind heute in der Aue vielfach mitAblagerungen von Auelehm bedeckt, die vor allem ausder Bronzezeit, aus der Eisen- und der Römerzeit sowieaus dem Hochmittelalter stammen (Ackerbau undRodungen). Daher wechseln der Anteil und die Mächtig-keit an Kiesen, Sanden und schluffigen oder lehmigenAblagerungen in der Aue der Donau sehr stark. In Ver-bindung mit einem ausgeprägten Kleinrelief ist dieseStandortvielfalt zusammen mit intakter Hydro-Morpho-dynamik eine der zentralen Voraussetzungen für die

Biodiversität in der Donauaue. Auch ein Großteil derFischfauna (rheophile Fischarten), darunter viele ende-mische Donaubarsche, und anderer Arten der Donau (vorallem Mollusken-Arten) sind auf die kiesige Flusssohleangewiesen.

In Bayern durchfließt die Donau drei breite Becken, diedurch Mittelgebirge voneinander getrennt, dank mehre-rer Durchbrüche aber für den Fluss passierbar sind.Überregional bekannte Durchbrüche sind die Welten-burger Enge (die der Bund Naturschutz vor einem Stau-stufenbau bewahrt hat) und die Donauhänge desBayerischen Waldes unterhalb von Passau. Hier berei-chern Arten und Lebensräume der Hänge die Vielfalt, dieAue ist eher schmal ausgeprägt. Breite Auen herrschendagegen in den breiten Donaubecken, die die Donaujahrtausendelang in breiten Mäandern durchflossen hatund die von einem Wechselspiel verschiedener Einflüssegeprägt sind:• Schwäbisches Donautal (westliches Becken): relativhohes Gefälle (0,094 Prozent) und Niederschläge (>700 Millimeter pro Jahr). Auf der 70 Kilometer langenStrecke von Ulm (Mündung der Iller) bis Donauwörthnimmt der alpine Charakter ab und der Stromtal-Cha-rakter zu.

• Ingolstädter Donauniederung (mittleres Becken):Gefälle 0,06 Prozent, relativ geringe Niederschläge(600 bis 700 Millimeter pro Jahr), mäßig subkontinen-tales Klima, deutliche Überlagerung des alpinen Cha-rakters (unterhalb Zufluss Lech) durch den Stromtal-Charakter, alpine Prägung von Lechmündung bisKelheim (etwa 90 Kilometer) abnehmend.

• Niederung östlich von Regensburg (östliches Becken):bis zur Isarmündung sehr geringes Gefälle von 0,024bis 0,018 Prozent. Es herrscht ein subkontinentalesKlima mit geringen Niederschlägen, der Stromtal- undTiefland-Charakter ist ausgeprägt. Dieser Charakterwird durch das alpine Element in der Isarmündungüberlagert.

Im westlichen und mittleren Becken sind noch ausge-dehnte Hartholzauwälder und weitläufige Niedermooreerhalten, die interessante und artenreiche Lebensraum-

65Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

verzahnungen bilden. Im mittleren und östlichen Beckensind ausgeprägte Wasserstandsschwankungen zwischenNiedrig- und Mittelwasser typisch. Insbesondere im öst-lichen Becken prägen Weichholzauen und wechsel-feuchte Stromtalwiesen die Aue. Durch diese besondereund in den einzelnen Abschnitten ganz unterschiedlichePrägung ist die Donau in ihrem Verlauf von West nachOst ein Höhepunkt der Arten- und Lebensraumvielfalt,da sich hier Arten ganz unterschiedlicher „Herkünfte“und Lebensraumansprüche treffen. Je weiter nach Ostendie Donau kommt, desto größer ist zudem noch der Ein-fluss von Arten aus dem pannonischen Raum, die an derDonau flussaufwärts wandern. So sind die bayerischeDonau und ihre Auen ein Treffpunkt der Artenvielfaltund ein wichtiger und einmaliger Abschnitt auf demgesamten Lauf der Donau von West nach Ost.

Ein ganz besonders artenreicher Höhepunkt innerhalbdes Donausystems in Deutschland ist das Isarmün-dungsgebiet. Hier treffen sich an einem „biogeographi-schen Knotenpunkt“ Arten aus den Alpen und demAlpenvorland mit Arten aus der südosteuropäischenDonauniederung. Unterschiedlichste Bodenverhältnisseund die Wasserstandsdynamik der hier freifließendenDonau bilden unterschiedlichste Lebensräume, dieGrundlage für eine überwältigende Artenvielfalt. DasIsarmündungsgebiet gilt als ein „biogenetisches Reser-vat“. In neuesten Untersuchungen wurden hier über 100verschiedene Pflanzengesellschaften nachgewiesen, 16dieser Pflanzengesellschaften stehen auf der Roten Listeder in Bayern gefährdeten Pflanzengesellschaften. Diemeisten dieser Pflanzengesellschaften sind auf dieintakte Aue angewiesen. 115 verschiedene Vogelartenbrüten hier, auf 0,4 Prozent der Landesfläche finden sichdamit 65 Prozent aller in Bayern heimischen Vogelarten.Etwa 40 Prozent dieser Arten stehen auf der Roten Liste,sechs davon sind akut vom Aussterben bedroht. BeispielBlaukehlchen: Hier lebt seine stärkste TeilpopulationMitteleuropas. Damit hat das Isarmündungsgebiet fürdiese bedrohte Art internationale Bedeutung. In denDonauauen um die Isarmündung leben 16 verschiedeneFrosch-, Kröten- und Molcharten, neun davon stehenauf der Roten Liste, zwei Arten (Moorfrosch und Wech-

selkröte) sind vom Aussterben bedroht. Der Moorfroschhat im Isarmündungsgebiet mit etwa 1.000 Tieren seinegrößte südbayerische Population. 53 verschiedeneFischarten leben in der freifließenden Donau um die Isar-mündung, davon sind 43 autochthon. Zehn weitere sindendemische Arten, das heißt sie kommen weltweit nur inder Donau vor. Nirgendwo in Europa gibt es eine ver-gleichbare Artenvielfalt von Muscheln und Schnecken.Über 140 Molluskenarten wurden hier gefunden, fast dieHälfte davon steht auf der Roten Liste. Viele dieser Artengibt es nur hier, die bekannteste der endemischen Mol-luskenarten ist die Donau-Kahnschnecke. Unter denSäugetieren sind besonders die Fledermäuse hervorzuhe-ben. 18 verschiedene Arten konnten nachgewiesen wer-den, 14 dieser Arten stehen auf der Roten Liste Deutsch-land. Das Gebiet ist wegen der Vielzahl an Arten undLebensräumen gemäß FFH- bzw. Vogelschutz-Richtlinieals Natura-2000-Gebiet ausgewiesen.

6.6.2 Die Defizite im bayerischen Donaueinzugsgebiet

Die für die Arten- und Lebensraumvielfalt so elementareHydromorpho-Dynamik der Donau wurde in weitenBereichen in den letzten 200 Jahren gezähmt, die Stan-dortvielfalt nivelliert. Die Artenvielfalt und die donauty-pischen Lebensraumkomplexe gehen zurück. Die größ-ten Probleme sind:

a) Regulierung, Deichbau: Fast der gesamten Donauwurde in den letzten 200 Jahren der ehemals ver-zweigte oder mäandrierende Lauf geraubt: sie wurdebegradigt, allein in Bayern um 25 Prozent verkürzt,die Ufer wurden befestigt und die Aue ist durchDämme von der Donau abgeschnitten.

In Bereichen mit sehr schmalen Talböden sind teil-weise bis zu 100 Prozent der morphologischen Aueals Überflutungsraum erhalten. Abschnitte mit brei-teren Auen weisen dagegen zumeist Verluste vonmehr als 50 Prozent, stromabwärts der Lechmündungsogar überwiegend mehr als 90 Prozent auf. ImBereich großer Siedlungslagen sind ebenfalls mehr als90 Prozent der Auen verloren.114 Die Folge war eine

66 BUND

massive Eintiefung der Donau und damit auch eineverschlechterte Verbindung zwischen Donau undDonauaue sowie die Verringerung der hydromorpho-logischen Prozesse in Donau und Donauaue.

b)Wasserkraftgewinnung: 26 Staustufen stauen diebayerische Donau. Die erste Staustufen wurde bereits1927 zur Schifffahrt (Wasserkraftwerk Kachlet ober-halb Passau) errichtet, seit 1960 wurde die Donausystematisch für die Wasserkraftnutzung gestaut. Dieletzte Staustufe wurde 1992 in Vohburg errichtet.Laut einer Potenzialstudie für den weiteren Ausbauder Wasserkraft sind weitere Kraftwerke bei Neustadtund zwischen Straubing und Vilshofen möglich. Nurnoch zwei längere Abschnitte sind nicht gestaut: 20Kilometer zwischen Vohburg und Kelheim (mit Wel-tenburger Enge) und 70 Kilometer zwischen Strau-bing und Vilshofen.

In den gestauten Abschnitten gingen die Vielfalt undBestände der rheophilen Fischarten (beispielsweiseNase) genauso zurück wie Lebensräume, die auf dasFließen und auf Wasserstandsschwankungen ange-wiesen sind (Weichholzaue, Stromtalwiesen, Flut-und Wechselwasserrasen). Auch die für die Donautypischen Hartholzauen (Querco-Ulmetum) verlierenan Vielfalt der Ausprägungen und an Fläche.

Doch Staustufen behindern nicht nur die Wanderungvon Arten, sondern auch von Geschiebe. Dabei fangendiese Probleme schon in den Alpenflüssen an. Durchden fast vollständigen Ausbau der Alpenflüsse Iller,Lech und Isar erhält die Donau praktisch kein Grob-material mehr aus den Alpen. Uferbefestigungen ver-hindern fast überall, dass die Donau Geschiebe ausder Aue erhält. Heute dominiert Feinmaterial, dieMorphodynamik mit den typischen Geschiebeumla-gerungen hat stark abgenommen. Die Folgen: ver-stärkte Tiefenerosion115, der Verlust der für dieDonauaue typischen hohen Standort-, Boden- undLebensraumvielfalt und insbesondere der Rückgangaller alpin geprägten Lebensräume und ihrer Arten(Grauerlenaue, Lavendelweidengebüsche, alluvialeHalbtrockenrasen, Kiesschotter-Pionierfluren u.a.).

c) (Weiterer) Ausbau für die SchifffahrtSeit vorgeschichtlicher Zeit wird die Donau – wie diemeisten Flüsse in Deutschland –als Verkehrsweggenutzt. Dabei richtete man sich in Art und Umfangder Nutzung an den Gegebenheiten der Gewässer. Mitder motorisierten Schifffahrt, erst mit Dampfmaschi-nen, dann mit Dieselaggregaten, beginnt der „Aus-bau“ der größeren Flüsse zu Wasserstraßen. Mit demBau des Main-Donau-Kanals (1959 bis 1992) wurdeeine Großschifffahrtsstraße von der Nordsee querdurch Europa zum Schwarzen Meer realisiert.Während zu Beginn der Planungen dieser Wasser-straße in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundertsdavon ausgegangen wurde, dass in der Donau eineFahrrinnentiefe vom zwei Metern bei Niedrigwasserausreicht, wird heute eine Fahrrinnentiefe von minde-stens 2,8 Metern „ganzjährig“ gefordert. Das lässtsich im deutschen Abschnitt der Donau aber nur mitmassiven Eingriffen in das Flusssystem, mit einerKette von Staustufen realisieren. Von der Einmün-dung des Main-Donau-Kanals bei Kelheim bis Strau-bing wurde die Donau diesem Ziel entsprechend „aus-gebaut“ (Staustufe Regensburg 1977, StaustufeGeisling 1985, Staustufe Straubing 1994) – mit gra-vierenden Folgen für Fluss und Aue. Abgesehen vommassiven Eingriff in das Landschaftsbild lässt sich derVerlust an ökologischer Funktionalität und Vielfaltbeim Vergleich mit dem Freiflussabschnitt von Strau-bing bis Vilshofen unschwer erkennen.

d)Weitere BeeinträchtigungenDarüber hinaus wird die Donau nach den Ausbau-maßnahmen beeinträchtigt durch • die Wasserüberleitung über den Kanal von derDonau zum Main: 25 Kubikmeter werden der Donaupro Sekunde entzogen; maximal 10 Prozent derGesamtwasserführung der Donau bei Regensburgwerden in das Regnitz/Main-System übergeleitet.

• Kühlwassereinleitungen aus Kraftwerken, etwa ausdem erst vor kurzem mit neuen Turbinen ausgebau-ten Kraftwerk in Irsching. Angesichts der Klimaer-wärmung treten schon jetzt höhere Temperaturenin der Donau auf. Jede zusätzliche thermische Bela-stung durch die Einleitung von Kühlwasser kann für

67Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

die Fische und andere Tierarten schnell kritischeAusmaße erreichen.

• intensive Nutzung: Die Vielfalt der Auwälder an derDonau wurde im Zuge einer intensiven Forstwirt-schaft mit Förderung von Hybridpappeln und Fich-ten, heute verstärkt auch Bergahorn, stark redu-ziert. Die Donauauen haben zudem einen hohenAnteil an Ackernutzung, was neben dem Lebens-raumverlust auch wegen des starken Nährstoff-und Feinsedimenteintrages für viele Tierarten derDonaugewässer schädlich ist.

6.6.3 Maßnahmena) Maßnahmen in allen begradigten und reguliertenAbschnitten (also in der gesamten Donau)Kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der ökolo-gischen Situation sind – wie an allen Flüssen – derRückbau der Uferbefestigungen, der Rückbau der Dei-che zwischen Fluss und Aue, die Wiederanbindungder Aue an die Donau, die Förderung Donauaue-typi-scher Arten in der Forstwirtschaft, in ausgewähltenBereichen der Verzicht auf die Nutzung (Wildnis) undeine angepasste Wiesennutzung.

Der Großteil der Donau ist als Natura-2000-Gebietausgewiesen, jedoch gibt es erst sehr vereinzeltManagementpläne. Die Umsetzung muss schnellerund vor allem mit konkreten Maßnahmen erfolgen,um kurzfristig wenigstens eine weitere Verschlechte-rung zu vermeiden.

Insbesondere die Synergien der WRRL und eines öko-logischen Hochwasserschutzes müssen verstärktgenutzt werden: Deichrückverlegungen sind bisherselten und erst auf sehr geringer Fläche umgesetzt,während zahlreiche konkrete Planungs- und Geneh-migungsverfahren für sogenannte gesteuerte Polderlaufen (Betrieb nur bei statistisch alle 100 Jahre auf-tretendem Hochwasser , gesteuerter Ein- und Ablauf,Speicherung stehendes Wasser, kein ökologischerGewinn, im Betriebsfall sogar ökologische Schäden).Auch auf die großflächige Rodung von Auwäldern(wie es das sogenannte Deichvorlandmanagementzwischen Straubing und Vilshofen vorsieht) muss

nach Ansicht des Bund Naturschutz und BUND ver-zichtet werden. Stattdessen sollten Deiche rückver-legt und die Aue-Flutrinnen besser an die Donauangebunden werden.

Interessanterweise trifft der Entwurf des Bewirt-schaftungsplans für die internationale Flussgebiet-seinheit der Donau noch eine qualitative Aussageüber die potenziell wieder ankopplungsfähigenFeuchtflächen und Überschwemmungsgebiete. Ergibt für den deutschen Donauabschnitt eine bis 2015wiederankoppelbare Fläche von immerhin fast 6.000Hektar an116. Die Endfassung des Bewirtschaftungs-plans und das Maßnahmenprogramm gehen auf diesePotenziale zur Revitalisierung der Auen nicht mehrquantitativ ein.

b) Zusätzliche Maßnahmen speziell in den gestautenAbschnittenKurzfristige auf Staustufen bezogene Maßnahmensind die Reduzierung bzw. der Verzicht auf Schwell-betrieb, konkrete Maßnahmen zur Wiederherstellungder biologischen und abiotischen Durchgängigkeitoder Geschiebezugaben. Als Leitart für die Durchgän-gigkeit gilt in der gesamten Donau der Stör.117 Fürdie bayerische Donau bietet sich der Huchen als zu -sätzliche Leitart an.

Dabei müssen die bestehenden Querbauwerke durch-gängig gemacht werden für Lebewesen und für dasGrobmaterial. Für die Geschiebedurchgängigkeit müs-sen großräumige Lösungen gefunden werden, dieauch die wichtigen Alpenzuflüsse einbeziehen (vgl.Masterplan zur Geschiebedurchgängigkeit am Hoch-rhein118, vgl. Projektvorschlag des BN im Rahmen derDonaustrategie119).

Wie schwierig und aufwändig ökologische Verbesse-rungen in gestauten Abschnitten sind, zeigen das lau-fende „Dynamisierungsprojekt“ in den Donauauenzwischen Ingolstadt und Neuburg120 und auch dasLIFE-Projekt im schwäbischen Donautal.121 Solangeam Grundproblem der Staustufe nichts geändert wer-den kann, bleiben Fluss und Aue abhängig von tech-

68 BUND

nischen Hilfsmaßnahmen wie Niedrigwassermanage-ment und künstlich gesteuerten Wassereinleitungen.Zielsetzung müsste jedoch in allen Projekten sein,möglichst viele donautypische natürliche hydromor-phologische Prozesse zuzulassen.

Kann man langfristig an der Donau und zumindesteinem der alpinen Zuflüsse die Zerstückelung durchStaustufen rückgängig machen, das heißt Staustufenkontrolliert abbauen? Will man die Vielfalt der Cha-rakteristika der Donau, zu der in einigen Abschnittenauch die alpine Prägung gehört, sichern, müssen fürdie Lösung der Geschiebeproblematik zwingend auchdie Alpenflüsse, insbesondere der Lech einbezogenwerden. Ein so kühnes Vorhaben kann nur über sehrlange Zeiträume realisiert werden. Die Verstromungunserer Flüsse hat vor über 100 Jahren begonnen. DerRückbau der Wasserkraftanlagen wird auch wieder100 Jahre benötigen. Dazu muss aber jetzt schon eineDebatte beginnen, die in Gesellschaft und Politik einBewusstsein für diese Frage schafft.

c) Spezielle Maßnahmen für die freifließendenStreckenZentrale Maßnahme ist hier der uneingeschränkteErhalt aller noch freifließenden Strecken an derDonau und auch an ihren Zuflüssen.

Dass es noch immer Forderungen gibt, auch den letz-ten größeren Abschnitt der Donau in Deutschland, wosich der Fluss noch frei entfalten kann, mit minde-stens einer Staustufe zu verbauen, widerspricht allenneueren Erkenntnissen über die Bedeutung intakterOberflächengewässer und Auen. Ein staugestützterAusbau des Donauabschnitts zwischen Straubing undVilshofen würde den Ruin der naturnahen Flussland-schaft um die Isarmündung mit der einzigartigenArtenvielfalt in Fluss und Auen bedeuten.122

Gleiches gilt für die Zuflüsse: Die Salzach muss alseinziger ungestauter bayerischer Alpenzufluss erhal-ten und wie geplant renaturiert werden.129 Am Lechmuss die letzte ungestaute überregional bedeutsame

Strecke südlich von Augsburg weiter frei fließen undAusgangspunkt für eine bessere Anbindung zurLechaue werden.

d) Ein Welterbe für Natur und KulturDie Donauebene in Niederbayern ist eines der frühe-sten Siedlungsgebiete Deutschlands, hier finden sichdie ältesten Spuren sesshafter Ackerbauern. ÜberJahrtausende haben Menschen den Fluss und diebegleitende Landschaft geprägt. Heute ist die Donau-region vor dem Bayerischen Wald eine einzigartigeKulturlandschaft mit Spuren, Zeugnissen und Denk-mälern aus 10.000 Jahren, in der sich am und imFluss und in den Auen ein Reichtum an Lebensräumenund Arten erhalten hat, wie er nur noch selten zu fin-den ist. Deshalb hat der Bayerische Heimattag (eineArbeitsgemeinschaft der Verbände Bayerischer Lan-desverein für Heimatpflege, Verband BayerischerGeschichtsvereine und Bund Naturschutz) vorge-schlagen, die Natur- und Kulturlandschaft der nieder-bayerischen Donau in die deutsche Vorschlagsliste(Tentativliste) zur UNESCO-Liste des Weltkulturerbesaufzunehmen.

e) Ein blaues Band der BiodiversitätDie Donau muss wieder ein funktionierender Fluss-und Auenverbund – ein „blau-grünes Band“ – als zen-trale Achse der Biodiversität werden. Einzelne, derzeiteher lokale Projekte müssen in die Fläche ausstrahlenund zu einer Kette von Revitalisierungsprojekten wer-den. Es gilt, sie in großräumige Konzepte einzubindenund an den eigentlichen Ursachen des Biodiversitäts-verlustes anzusetzen – statt nur seine Symptome lin-dern. Jeder Abschnitt des bayerischen Donautales isteinmalig und für den Erhalt und die Wiederherstel-lung der vollen biologischen Vielfalt an der Donaunötig. Internationale Schutzkonzepte124 bieten eben-so wie die neue Donaustrategie125 hierfür gute Chan-cen. Der Bund Naturschutz hat entsprechende Pro-jektvorschläge eingebracht.124

69Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

Wenn eines Tages unsere Vision in weiten Teilender Stromlandschaften umgesetzt ist – wasdann? Steht zu befürchten, dass sich Erlebnis-

hungrige in den renaturierten Gewässern austoben? Jenaturnäher Gewässer gestaltet werden, desto attraktiverwerden sie für die Erholung. Natur- und Gewässerschutzauf der einen Seite und Naherholungsrummel auf deranderen Seite können zu Zielkonflikten führen. So auchim Großraum Berlin, wie Kapitel 7.2 näher erläutert.Zuvor geht es aber um die Anstrengungen, die nach wievor nötig sind, um in Berlin die Gewässer wieder halb-wegs genesen zu lassen.

7.1 Knapp und dreckig: Wasser in der Hauptstadt

Auf den ersten Blick erscheint Berlin als eine von Was-serüberfluss gesegnete Metropole. Havel und Spree,zahlreiche Kanäle und noch mehr Seen lassen kaumerahnen, dass in Berlin das Wasser knapp werden könn-te. Wer sich aber die Wasserbilanz der Hauptstadt näherbetrachtet, muss feststellen, dass Berlin am falschenPlatz errichtet worden ist – zumindest was das Wasser-dargebot angeht. Die Flussläufe und Kanäle erscheinennur deshalb bordvoll, weil sie gestaut sind. In Jahreszei-ten mit nur geringen Niederschlägen scheint das Wasserauf vielen Fließstrecken eben nicht zu fließen, sondernfast zu stehen. Eine Strömung ist kaum vorhanden. Aus-reichender Wassernachschub aus den Einzugsgebietenvon Havel und Spree fehlt dann zusehend. In dem sta-gnierenden Wasser bilden sich Algen im Übermaß, in dergrünbraunen Brühe geht die Sichttiefe gegen null undbeim mikrobiellen Abbau der Algenbiomasse drohenSauerstofflöcher. Periodische Sauerstoffunter- und -übersättigungen führen im Sommer immer wieder zuFischsterben. Das Baden und Schwimmen in BerlinerFlüssen und Kanälen wird deshalb noch lange Zeit einWunschtraum bleiben.

Um die Überdüngungserscheinungen zu begrenzen,muss Berlin bei der Reinigung des Schmutz- und desabfließenden Niederschlagswassers überdurchschnitt-lich hohe Anstrengungen unternehmen, die aufgrund

hoher Kosten und technischer Probleme nicht von heuteauf morgen realisiert werden können. Der BUND hältallerdings an dem Langfristziel fest, dass eines Tagesauch in Berlin das Schwimmen und Baden in Flüssenund Kanalstrecken zu einem ästhetischen Vergnügenwerden muss. Baden und Schwimmen in der Stadtland-schaft – eine weitere Attraktion der „sexy“ Hauptstadt.

Das Ende des Braunkohlebergbaus im Einzugsgebiet derSpree wird den Wassermangel in Berlin noch verschär-fen. Wenn die Braunkohlegruben nicht mehr wasserfreigehalten werden müssen, fehlt in der Spree das dortgeförderte („gesümpfte“) Grundwasser. Was späterhinnoch aus den gefluteten Braunkohletagebauseen in dieSpree fließen wird, ist Wasser mit einem hohen Sulfat-gehalt. Diese großen Sulfatfrachten könnten in dennächsten Jahrzehnten sogar die Qualität des BerlinerTrinkwassers erheblich beeinträchtigen. Zudem greiftWasser mit hohem Sulfatgehalt auch Betonbauwerkewie Brückenpfeiler, Hafenanlagen sowie die Fundamen-te von Uferverbauungen an.

Da die Stauhaltungen der Berliner „Fließgewässer“ einenimmer gleichen Wasserstand aufweisen, kommt esdurch den Wellenschlag der Schiffe zu Auskolkungenund Uferabbrüchen, die wiederum einen erhöhtenUnterhaltungsaufwand nach sich ziehen. Um den Uferndie notwendige Stabilität gegenüber dem Wellenschlagzu verleihen, sind in der Stadt die Ufer der meistenKanal- und Flussstrecken „hart“ verbaut (also zemen-tiert, gepflastert oder ähnlich gesichert) worden. DieUferstrecken weisen dadurch nur noch eine minimaleBiotopvielfalt auf.

Der Ausbau der Berliner Schifffahrtswege im Rahmendes „Verkehrsprojektes Deutsche Einheit Nr. 17“ ließbefürchten, dass der abiotische Ausbau der Fließgewäs-ser und Kanalstrecken in Berliner noch einen weiterenSchub bekommen würde. Der BUND in Berlin hat sichüber viele Jahre um Schadensminimierung bemüht undwar letztlich erfolgreich. Die überzogenen Ausbauvorha-ben wurden teilweise zurückgeschraubt und so umge-plant, dass sie nicht nur ökologisch besser verträglich

7 Was wir lieben, zerstören wir

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sind, sondern auch im Vergleich zum Ist-Zustand zueiner ökologischen Optimierung im Sinne der WRRLführen. Der überdimensionierte Ausbau von Schleusenund Kanalstrecken wurde abgeblasen oder auf ein ver-nünftiges Ausmaß begrenzt. Naturnahe Uferstreckenwurden geschützt. In Prozessen gegen die Planfeststel-lungsbeschlüsse konnte der BUND erreichen, dass dieGüterschifffahrt Engstellen hinnimmt und durch ver-kehrslenkende Maßnahmen kompensiert.

Aber auch dort, wo die Uferstrecken noch halbwegsnaturnah gestaltet sind, führt der schifffahrtsbedingteWellenschlag zu erheblichen Beeinträchtigung derRelikte der ehemals ausgedehnten Schilfgürtel. Früherhatten die Berliner Seen und Flüsse breite und ökologi-sche wertvolle Schilfgürtel. Der mechanische Angriff desunnatürlich hohen Wellenschlags der Schiffe gilt inzwi-schen als eine der wesentlichen Ursachen des „Schilf -sterbens“. Auch aus diesem Grund plädiert der BUNDdafür, dass die Schifffahrt auf den Streckenabschnitteneingestellt wird, auf denen die Güterschifffahrt volks-wirtschaftlich ohnehin nicht mehr überzeugend zurechtfertigen ist.

7.2 Damit der aquatische Naturschutz nicht unter dieRäder kommt

Unsere Flüsse und Ströme haben eine enorme Bedeu-tung für Tourismus und Freizeitbetrieb. Beispiel Fahrrad-wege: Die Radrouten an Tauber, Saale, Donau, Rheinund den anderen Strömen gehören zu den beliebtestenin Deutschland. Und wenn Uferstrecken wieder natur -näher gestaltet werden, erhöht dies erfahrungsgemäßdie Attraktivität der betreffenden Kanal- und Flussab-schnitte für die Naherholung und den Freizeitbetrieb.Jedes „Grün“ bzw. „Blau“ in der Großstadt zieht einenenormen Nutzungsdruck nach sich. In diesem Kapitelzeigt das Beispiel Berlin, welche Nutzungskonflikte sichdaraus ergeben. Die hier erläuterten Konflikte geltenaber ebenso gut für die Rhein- und Neckarufer in Baseloder Mannheim.

Unter den Berliner Grünflächen leidet nicht nur der Tier-garten an Übernutzung – auch „grüne“ Uferstreckenwerden völlig überrannt. Berge von Müll, Uringestank,abgehackte Büsche und Jungbäume charakterisierenanschließend die betreffenden Uferabschnitte. Anwoh-ner beklagen sich. Was tun? Es gilt die intensive Naher-holungsnutzung auf größere Uferstrecken zu verteilen.Wenn mehr Uferstrecken zum Sonnenbaden, Ausruhenund Feiern einladen, geht die Übernutzung zurück.Gleichwohl wird dies nur zu graduellen Verbesserungenführen. Das Phänomen der Übernutzung und die darausfolgenden unschönen Folgeerscheinungen sind einePlage in allen Städten, in denen man sich um attraktiveUferstrecken bemüht hat.

Natürlich gibt es verschiedene gute Ansätze zur Bewälti gung dieses Problems. Um sie zu verbreiten, wäre ein interkommunaler Erfahrungsaustausch sinn-voll, auch mit flussanliegenden Städten in Österreich undder Schweiz. Denn in den beiden Alpenländern gibt esbereits zahlreiche Ansätze, wie man der Übernutzungvon urbanen Uferstrecken begegnen kann.

Außerhalb der Städte konzentriert sich der Naherho-lungsrummel auf die Uferpartien, die direkt mit demAuto zu erreichen sind. Wo man nur mit dem Fahrradhinkommt, nimmt die Frequentierung schon deutlich ab.Und an Uferstrecken, die nur zu Fuß zu erreichen sind,trifft man kaum noch Naherholungssuchende. Insoferngilt, dass die unter Naturschutzaspekten hochwertigstenUferpartien vom Autoverkehr abgeschirmt werden müs-sen – also keine Zufahrten, keine Parkplätze und keinesonstige Infrastruktur. Das reduziert deutlich die Gefahr,dass der aquatische Naturschutz unter die Räder kommt.

71Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

8 Für eine Synthese von Naturschutz,Hochwasserrückhalt, Naherholung und Kulturlandschaft!

Die Überprägung unserer Stromlandschaften durchBinnenschifffahrt, Wasserkraftverstromung undlandwirtschaftliche Urbarmachung sowie der

Siedlungsdruck hinein in die Aue haben vor allem im 20Jahrhundert unsere großen Stromlandschaften grundle-gend verändert. Mehr als 300 Wehranlagen an den Bun-deswasserstraßen und Tausende von Wasserkraftanla-gen haben die Läufe der Ströme, Flüsse und Bächeunterbrochen, die ehemals durchgängige Wanderkorri-dore für Lachs, Huchen & Co. waren. Wo im Tiefgestadeder Ströme früher kilometerbreite Auen waren, findetheute intensiver Maisanbau statt, und die Bewohnerflussnaher Neubaugebiete verlassen sich auf vermeintli-chen Schutz der Deiche.

Was zunächst als großer Erfolg der Zivilisation, als Siegüber die Ströme aussieht, entpuppt sich mehr und mehrals Pyrrhussieg: In den begradigten und eingedeichtenStrömen steilen sich die Hochwasserwellen auf. Offen-bar im Gefolge des Klimawandels werden die Deichanla-gen in immer kürzeren Abständen auf die Probe gestellt.Den Neubaugebieten, Industrieanlagen und Infrastruk-tureinrichtungen im Tiefgestade droht der Untergang.Die begradigten Flüsse graben sich immer tiefer in ihrKies- und Sandbett ein, womit auch der Grundwasser-stand sinkt. Der Bau weiterer Staustufen und künstlicheGeschiebezugaben zur Kontrolle der Tiefenerosion sinddie Folge. Über die Kanalsysteme der Binnenschifffahrtverbreiten sich unkontrollierbar „Aliens“, die die heimi-schen Organismen verdrängen und dezimieren. DieGewässerökologie verarmt oder gerät aus den Fugen.

Aber es geht auch anders: Die viertgrößte Industrienati-on der Erde hat die Ressourcen, die Ströme wieder „zumFunktionieren“ zu bringen – zum Nutzen einer naturna-hen Gewässerökologie und zum Nutzen der Menschen.Den Strömen ihren Raum zurückzugeben, ist angesichtsvielerlei Widerstände ein höchst ambitioniertes Vorha-ben. Genauso ambitioniert ist der Rückbau von Wehran-lagen und das Ende der Binnenschifffahrt an schwachfrequentierten Strömen. Die Reaktivierung breiter Auenmit hoher Dynamik und die Wiederherstellung des Lauf-kontinuums führen dazu, dass längst verschollene Tier-

arten in und an unseren Strömen wieder heimisch wer-den. Der Lachs ist schon da und der Stör wird folgen –Synonyme für eine funktionierende Gewässerökologie.Synonyme aber auch dafür, dass Hochwasser wiederausufern kann, ohne Milliardenschäden anzurichten,dass sich der Landschaftswasserhaushalt stabilisiert unddass die Menschen wieder höchst attraktive Naturland-schaften vorfinden.

Die Revitalisierung der Flüsse und Ströme in einemdurch hohe Siedlungsdichte gekennzeichneten Industri-eland könnte zum einen verdeutlichen, dass „Nachhal-tigkeit“ in Deutschland tatsächlich praktiziert wird. Zumanderen sind saubere Ströme nicht nur eine bedeutendeTrinkwasserressource und ein Brennpunkt der Artenviel-falt, sondern auch ein „weicher Standortvorteil“ für diedeutschen Metropolregionen. Denn jetzt schon zeigtsich, dass der Gewässerschutz nicht nur dem Lachs, son-dern auch dem Mensch nutzt: zum Baden, Schwimmenund später auch zum Lachs-Watching. Und darüber hin-ausgehend sind Flusslandschaften auch Kulturland-schaften – bis hin zum Weltkulturerbe an einigen deut-schen Stromabschnitten.

Letztlich wird dies alles nur gelingen, wenn die Men-schen von Anbeginn in die wasserwirtschaftliche Pla-nung einbezogen werden. Insofern brauchen wir neueVerfahren der aquatischen Bürgerbeteiligung, Scharnie-re zwischen der Wasserpolitik und der Wasserwirt-schaftsverwaltung einerseits und den BürgerInnenandererseits. Und es bedarf starker Umwelt- undNaturschtzverbände, die mit langem Atem dafür sorgen,dass die Vision von naturnahen StromlandschaftenWirklichkeit wird.

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1 Institut für Organisationskommunikation (IFOK): „Diskussionspapier ‚NeueFlusspolitik’“, Papier zur Veranstaltung des BMU im Rahmen des internatio-nalen Tags des Wasser, Berlin, 21.03.2005, 8 S.

2 Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR): „Stromaufwärts –Bilanz Aktionsprogramm Rhein“, Koblenz, 2000, 31 S., siehe Seite 26–27.

3 Geugelin, Hans-Dieter (Vorsitzender der Interessengemeinschaft AltrheinLörrach-Weil): mündliche Mitteilung am 25.04.2010 (Die IG Altrhein ist einZusammenschluss von ökologisch orientierten Anglern aus Südbaden unddem Oberelsass am Alten Rhein zwischen Weil und Breisach).

4 MDR, Flüssesendung, 12.05.2010, 20:15.5 Bundesamt für Umwelt (BAFU Schweiz): „Fischaufstieg am Hochrhein –koordinierte Zählung 2005/06“, Download unter www.bafu.ch

6 Geise & Partner Büro für Gewässerökologie und Fischbiologie: „Untersuchun-gen zur Effektivität alternativer Triebwerkstechniken und Schutzkonzepte fürabwandernde Fische beim Betrieb von Kleinwasserkraftanlagen“, Arbeit imAuftrag des Landesfischereiverbands Bayern e.V., 81 S. – dort zahlreiche wei-tere Literaturhinweise zur Turbinenschädigung von abwandernden Fischen.

7 Guthruf, Joachim: „Koordinierte Fischaufstiegskontrollen an den Aare-Kraft-werken zwischen Solothurn und der Mündung in den Rhein“, Kurzfassung imAuftrag des Amtes für Umwelt des Kantons Solothurn, des Amtes für Wald,Jagd und Fischerei des Kantons Solothurn, der Sektion Jagd und Fischerei,BVU des Kantons Aargau und der Abteilung Landschaft und Gewässer, BVUdes Kantons Aargau, 58 S., Dezember 2006.

8 EU-Life-Projekt Maifisch: „Die Rückkehr des Maifisches“, Faltblatt, weitereInformationen unter www.alosa-alosa.eu

9 Umweltministerium Nordrhein-Westfalen: „NRW-Maifischprojekt als eu ro - pa weit bestes maritimes Projekt ausgezeichnet“, Pressemitteilung vom20.11.2008.

10 Beeck, Peter: „Die Wiederansiedlung des Maifischs im Rheinsystem“, Vor-trag anlässlich des IKSR-Workshops „Masterplan Wanderfische Rhein“ am27.04.2010 in Freiburg.

11 Arbeitsgemeinschaft Renaturierung des Hochrheins: „EnttäuschenderZustand der Fischaufstiegshilfen (FAH) am Hochrhein“, in: Rundbrief Nr. 29vom 6. Mai 2010, S. 2 ff, dort ein ausführlicherer Maßnahmenkatalog fürErfolgskontrolle und Optimierung von Fischaufstiegsanlagen. Bezug via E-Mail: [email protected]

12 „Freie Bahn für Fische in der Lahn stromauf nur in Hessen“, Gießener Anzei-ger, 05.08.2008.

13 Ein Beispiel für einen Flussvertrag könnte der im Mai 2009 abgeschlossene„Flussvertrag Our“ sein, in dem sich die drei Anrainerländer Rheinland-Pfalz,Luxemburg und Belgien zur Umsetzung der WRRL und der FFH-Richtlinie inder trilateralen Flusslandschaft bekennen. Die Our verbindet in den dreiAnliegerländern vier Nationalparke. Mit dem grenzübergreifenden Aktions-programm zur Gewässerentwicklung der Our soll die Natur und Artenviel-falt im Ourtal geschützt und weiterentwickelt werden. Das mit 2,1 Millio-nen Euro ausgestattete Interreg-Projekt soll unter aktiver Einbeziehung derÖffentlichkeit die Lebensräume im Ourtal zu einem grenzüberschreitendenBiotopnetzwerk verbinden (Details siehe die Pressemitteilung des rhein-land-pfälzischen Umweltministeriums vom 29.05.2009 und unterwww.projekt-natour.org).

14 Auch die „Kyll-Vereinbarung“ vom Februar 2009 kommt einem Flussvertragnahe. Die Kyll fließt von der Eifel in Nordrhein-Westfalen kommend durchRheinland-Pfalz der Mosel zu. Um im Sinn der WRRL die Kyll von der Quellebis zur Mündung ganzheitlich zu bewirtschaften, haben sich die Vertreteraller Kyll-Anrainer in Zusammenarbeit mit den wasserwirtschaftlichenFach behörden in Nordhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zusammenge-schlossen.

15 BUND-Landesverband Rheinland-Pflaz: „Wärmelast Rhein“, 71 S., 2009,Download unter http://rhein.bund-rlp.de

16 Art. 9 WRRL „Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen“.17 Siehe Pressemitteilung des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums vom

20.08.2010.18 Umweltbundesamt (Hrsg.): „Wasserkraftanlagen als erneuerbare Energiequelle

- rechtliche und ökologische Aspekte“, UBA-Texte 01/01, 2001, 89 S.19 Bundesumweltministerium: „Erfahrungsbericht zum EEG“, Mai 2011.

20 „Freshwater Methane Emissions Offset The Continental Carbon Sink“, in:Science 07.01.2011, VOL 331, S. 50).

21 „Untersuchungen zum Methankreislauf in der Saale“, in: J. Basic Microbiol.29 (1989) 4, S. 195-213).

22 Environmental Science and Technology, 2010, S. 44).23 entfällt24 Andreas Schmidt: „Verkehrswasserbauliche Herausforderungen an Binnen-

wasserstraßen“, in: KW Korrespondenz Wasserwirtschaft 3/2010, S. 189–194. 25 Vgl. BUND: „Handlungsstrategien für eine naturverträgliche Weiterentwick-

lung der Bundeswasserstraßen“, 2004, 49 S. Die vom Bundesamt für Natur-schutz geförderte Publikation kann über die BUND-Bundesgeschäftsstellebezogen werden. Sie liefert grundlegende Überlegungen und höchst lesen-werte Fakten zur fragwürdigen Sinnhaftigkeit der Binnenschifffahrt aufBinnenwasserstraßen, die aufgrund ihrer Hydrologie für einen dauerhaftwirtschaftlichen Güterverkehr nicht geeignet sind.

26 BUND: „Binnenschifffahrt auf lebendigen Flüssen. Forderungen des BUND füreine nachhaltige Fluss- und Binnenschifffahrtspolitik“, Faltblatt 2004, 6 S.

27 „Neobiota und ihre Bewertung im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie“, in:BfG-Jahresbericht 2008/2009, S.30–31, November 2009.

28 Ebd.29 Vgl. van den Boom, Andrea: „Neozoen im Wuppereinzugsgebiet – Status quo

zur Situation der Fließgewässer-Wirbellosen“, in: Natur in NRW 4/09, S. 21–23.30 Vgl. Sommerhäuser, Mario et.al.: „Neozoen in der Lippe – Faunenverände-

rung durch invasive Tierarten und ihre wasserwirtschaftliche Bedeutung“,in: Natur in NRW 4/09, S. 24 28.

31 Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser, Abfall (DWA): „Auenund Hochwasser. Beiträge zum Internationalen Symposium am 10./11.Februar 2010 in Ingolstadt“, Forum für Hydrologie und Wasserbewirtschaf-tung Heft 27, 2010, 188 S.

32 Bundestags-Drucksachen 17/1974, 17/1748, 17/1760, 17/2176.33 Um Spitzenlaststrom zu produzieren, wird in den Stauräumen von Flus-

swasserkraftwerken das Flusswasser angestaut und zu Zeiten des höchstenStromverbrauchs verstromt. Dies führt zu einem Schwall- und Sunkbetriebmit abrupten Wasserstands- und Durchflussschwankungen.

34 UNEP: „The Economics of Ecology and Biodiversity (TEEB)“, Download unterwww.teebweb.org

35 Bundesamt für Naturschutz: „Ökonomische Bewertung naturverträglicherHochwasservorsorge an der Elbe“, BfN Schriftenreihe Naturschutz und Bio-logische Vielfalt, Heft 89, Landwirtschaftsverlag Münster.

36 Bundesamt für Naturschutz: „Symposium Biodiversität von Gewässern,Auen und Grundwasser“, Bonn 2008, 84 S.

37 Bundesamt für Naturschutz: „Auenzustandbericht – Flussauen in Deutsch-land“, Oktober 2009, 35 S.

38 Albert, Gerhard: (Planungsgruppe Ökologie -Hannover): „Konzept und Leit-faden zur Neuorientierung der Bundeswasserstraßenverwaltung“; Referatauf der NABU-Tagung „Lebendiger Rhein – Fluss der tausend Inseln“ am07.02.2007 in Mainz.

39 Wenn Lebensräume zusammenstoßen, zeichnet sich die „Grenzlinie“ zwi-schen den beiden Lebensräumen durch eine besonders hohe Artenvielfaltaus. In Gewässerrandstreifen berühren sich aquatische und terrestrischeLebensräume, so dass die Gewässerrandstreifen im Hinblick auf die Biodi-versität von hoher Bedeutung sind.

40 Geiler, Nikolaus: „Dezentralisierung und kreislauforientierte Abwasserent-sorgung – eine Perspektive für die ostdeutsche Wasserwirtschaft?“, Bro-schüre der Linksfraktion im Bundestag, 2008, 50 S., Download unterhttp://dokumente.linksfraktion.de/download/7756390218.pdf

41 BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 944. 42 Hahn, Hans Jürgen: persönliche Mit-teilung vom 14.05.2010. Dr. Hans Jürgen Hahn ist einer der wenigen Fach-leute, die in Deutschland zum Sand- und Kieslückensystem und zumLebensraum Grundwasser forschen. Weitere Auskunft: PD Dr. Hans JürgenHahn, Arbeitsgruppe Grundwasserökologie, Universität Koblenz-Landau,Campus Landau, Institut für Umweltwissenschaften, Im Fort 7, D-76829Landau, Tel.: (0 63 41) 280-3 12 11, Fax: (0 63 41) 2 80-3 13 41, E-Mail:[email protected]

9 Anmerkungen

73Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

43 Strohmeier, Philipp: „Versandung und Verschlammung von Fließgewässern“,Referat auf der Tagung „Fruchtbarer Boden – tödlicher Dreck. Unsere Bächeund Flüsse ersticken am Schlamm von Ackerflächen“ am 6. März 2009 inRegensburg. Kontaktaufnahme zum Referenten: Dr. Philipp Strohmeier,Büro für Gewässerschutz und Fischereifragen, Nibelungenstraße 12, 95444Bayreuth.

44 Gewässerkundler gehen davon aus, dass der partikulär gebundene Phosphorbei den kurzen Aufenthaltszeiten in unseren Stromsystemen kaum eutro -phie rungsrelevant wird. Dies erfolgt erst in Nord- und Ostsee bzw.Schwarzem Meer. Für marine Systeme wird allerdings angenommen, dassStickstoff einen eutrophierungsrelevanten Faktor darstellt.

45 Phosphor sowie eine große Palette von Schad- und Zehrstoffen gelangennicht nur über Kläranlagenabläufe, sondern auch über sogenannte Misch-wasserentlastungen in die Gewässer – also über die Überläufe der Kanalisa-tionen, die bei Wolkenbrüchen das viele Wasser nicht mehr fassen können.Es würde den Umfang dieser Studie sprengen, wenn hier sämtliche erfor-derlichen Maßnahmen zum optimierten Gewässerschutz in der Siedlungs-wasserwirtschaft erläutert werden sollten. Neben der Sanierung der Misch-wasserentlastungen seien hier nur stichwortartig weitere Maßnahmengenannt: qualifizierte Trennkanalisation, dezentrale Niederschlagswasser-behandlung und Reduzierung des Suspensa-Abtriebs sowie „öko-sanitäre“Maßnahmen – mithin eine Trennung der Stoffströme schon in den Haushal-ten samt Rückgewinnung der Abwasserinhaltsstoffe. Welche Maßnahmenin der Landwirtschaft zur Reduzierung der Phosphoreinträge getroffen wer-den müssten, wird in den Bewirtschaftungsplänen für die einzelnen Strom-gebiete hinreichend dargestellt – beispielsweise pfluglose Bodenbearbei-tung und die Anlage von Gewässerrandstreifen.

46 Umweltbundesamt: „Schwerpunkte 2010“, dort siehe Kapitel „Umwelt-schutz – Investitionshemmnis für die Landwirtschaft?“ (S. 26–45).

47 Alle Bewirtschaftungspläne sprechen das Problem der Spurenstoffe an –allerdings nur kurz und ohne Lösungswege aufzuzeigen – siehe beispiels-weise im Bewirtschaftungsplan für das bayerische Donaueinzugsgebiet aufS. 25, in dem es heißt, ein „eventueller Handlungsbedarf“ müsse erst nochermittelt werden.

48 BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 941.49 Ministerium für Umwelt, Naturschutzund Verkehr Baden-Württemberg: „Antwort vom 08.05.2010 zur Anfrage derGrünen zum Thema ‚Spurenstoffe im Abwasser entfernen‘“ (Drs. 14/6229).50Bundesumweltministerium: „Die Wasserrahmenrichtlinie – auf dem Weg zuguten Gewässern“, Broschüre, Mai 2010, 76 S. Die Broschüre enthält diewesentlichen Inhalte der deutschen Bewirtschaftungspläne. Download unterhttp://www.bmu.de/gewaesserschutz/downloads/doc/46271.php

51 Auf die Überlastung der Fließgewässer mit „Wärmemüll“ aus thermischenKraftwerken geht diese Studie nicht weiter ein, weil zur Abwärmeproble-matik und der daraus resultierenden thermischen Belastung der Flüssebereits eine umfassende Studie des BUND vorliegt – siehe Fußnote 15.

52 Bathe, Frauke: „Die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie in Deutsch-land – eine vergleichende Analyse der Entwürfe der Bewirtschaftungsplä-ne“, Diplomarbeit, Geographisches Institut der Rheinischen Friedrich-Wil-helms-Universität Bonn, Februar 2010 – eine sehr zu empfehlende Analyseüber die Entstehungsgeschichte der deutschen Bewirtschaftungspläne. DieDiplomarbeit besticht vor allem durch die zahlreichen Interviews mit Ver-antwortlichen der zuständigen Wasserwirtschaftsverwaltungen, was derArbeit eine große Authentizität verleiht.

53 Rechnungshof Baden-Württemberg: „Finanzierung des Integrierten Rhein-programms und der EU-Wasserrahmenrichtlinie“, April 2010.

54 BBU-WASSER-RUNDBR. 937/1.55 Bundestags-Drs. 16/5189.56 BBU-WAS-SER-RUNDBRIEF Nr. 811.

57 Exemplarisch für die Kritik an den Ländern siehe die Stellungnahme desBund Naturschutz zum Entwurf von Bewirtschaftungsplan und Maßnah-menprogramm in Bayern unter Punkt I.2; Download unter www.bund-naturschutz.de/fakten/wasserrahmenrichtlinie/

58 Zur geringen Mitteldotierung für die Umsetzung der WRRL in Baden-Würt-temberg siehe die Kritik des dortigen Rechnungshofes: „Finanzierung desIntegrierten Rheinprogramms und der EU-Wasserrahmenrichtlinie – Bera-tende Äußerung nach § 88 Abs. 2 Landeshaushaltsordnung“, April 2010.

59 Bundesamt für Gewässerkunde: „BfG unterstützt die Wasser- und Schiff-fahrtverwaltung bei neuen Aufgaben – Wasserwirtschaftliche Unterhaltung– Erhaltung und Wiederherstellung der Durchgängigkeit der Bundeswasser-straßen“, in: BfG-Jahresbericht 2008/2009, November 2009, S. 24–25.

60 Schmidt, Martin: „Modellvorhaben Flussgebietsmanagement zur Umset-zung der EU-Wasserrahmenrichtlinie an der Ostthüringer Sprotte“, in: Was-serwirtschaft 9/09, S. 37–42. Weitere Auskunft zum Modellvorhaben an derSprotte, bei der 14 Kommunen für eine gemeinsame Bewirtschaftung imSprotteeinzugsgebiet gewonnen werden konnten: LandschaftsarchitektDipl.-Ing. Martin Schmidt, IPU Ingenieurbüro für Planung und Umwelt,Breite Gasse 4/5, 99084 Erfurt, E-Mail: [email protected]

61 Siehe www.wwf.at/de/traun/62 Bei der Idee, FlussgebietsmanagerInnen zu berufen, kann man auf die

inzwischen breit gefächerten Erfahrungen von QuartiersmanagerInnenzurückgreifen, die sich vor allem in sozialen Brennpunkt-Quartieren derSorgen und Nöte der BewohnerInnen annehmen. Bei Konflikten im Stadtteilsuchen QuartiersmanagerInnen nach Lösungen.

63 Geiler, Nikolaus: „Den Bürgerbeteiligungsprozess in der Wasserwirtschaftan KMU aussourcen?“ In: KW-Wasserwirtschaft 3/2010, S. 81–84.

64 Vorbild wären auch hier die bereits vorhandenen Quartiersplattformen imInternet, in denen man umfassende Informationen über den jeweiligenStadtteil findet. Vorlagen für Quartiersplattformen mit Mitmachfunktionenkönnen von www.quartiersplattform.de kostenlos heruntergeladen werden– siehe auch „Quartiersplattform.de – die modulare Internetplattform fürdas Stadtquartier“ in „Informationen aus der Forschung des BBSR“ 3/2010,S. 4–5.

65 Müller, Klaus: „Flächenkonkurrenzen und Harmonisierung von Nutzungsan-sprüchen – Handlungsoptionen und Restriktionen aus sozioökonomischerSicht“, Vortrag anlässlich der DUH/KIT-Tagung „Ökologischer Hochwasser-schutz und Auenschutz – Konzepte und Beispiele“, 21.04.2010 im Bundes-amt für Naturschutz, Bonn.

66 Siehe http://www.weser-werre-else.de/67 Rast, Georg: „Die Oder aus der Sicht des Naturschutzes“, Referat anlässlich

des Kolloquiums der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) „Stromregulie-rungskonzept Grenzoder“ am 13.05.2009.

68 WWF Deutschland: „Der Oder-Auen-Atlas Einzigartige Informationsquellefür naturverträgliche Entwicklung der Oder-Landschaft“, Kurzbeschreibungund Bestelladresse unter http://www.wwf.de/regionen/oder/oder-auen-atlas/

69 Günther-Diringer, Detlef: „Der Oder-Auen-Atlas – Eine GIS-basierte ökolo-gische und wasserbauliche Aufnahme und Bewertung von über 800 Flusski-lometern“, in: Cremers, Armin & Greve, Klaus: „Umweltinformatik ‚00“,2000. 728 S.

70 Eine Kurzumtriebsplantage (KUP, Schnellwuchsplantage) ist eine Anpflan-zung schnell wachsender Bäume oder Sträucher mit dem Ziel, innerhalbkurzer Umtriebszeiten Holz als nachwachsenden Rohstoff zu produzieren.Geschieht dies ausschließlich für die Energieerzeugung, wird auch vonEnergiewald gesprochen (WIKIPEDIA).

71 Berg, Thomas: „Naturschutz baut Brücken“, Referat auf der Fachtagung„Grenzüberschreitender Naturschutz“, 15.11.2007 im Weil am Rhein im Tri-nationalen Umweltzentrum (TRUTZ).

72 Der „Verein der Freunde des Nationalparks“ liegt seit Jahren in Fehde mitder Nationalparkverwaltung. Die Pressemitteilungen des Vereins könnenunter http://www.nationalpark-unteres-odertal.de/ abgerufen werden.

73 Schalitz, Gisbert & Behrendt, Axel: „Zum Verständnis der Dimension desUmwelt- und Naturschutzes und einige spezielle Probleme im Deutsch-Pol-nischen Nationalpark ‚Unteres Odertal’“, erschienen in: Nationalpark-Jahr-buch Unteres Odertal (5),2008, S. 107–113.

74 Faulhaber, Petra: „Instandsetzungsmaßnahmen an der Oder bei Reitwein“,Referat auf dem Kolloquium der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW)„Stromregulierungskonzept Grenzoder“, 13.05.2009.

75 Hentschel, Bernd: „Modellierung der Oder zwischen Warthemündung undHohensaaten“. Referat auf dem Kolloquium der Bundesanstalt für Wasser-bau (BAW) „Stromregulierungskonzept Grenzoder“, 13.05.2009.

74 BUND

76 Ewe, Astrid & Cornelia Lauschke: „Morphologische Entwicklung undSchwachstellen“. Referat auf dem Kolloquium der Bundesanstalt für Was-serbau (BAW) „Stromregulierungskonzept Grenzoder“, 13.05.2009.

77 Heymann, Hans-Jürgen: „Gewährleistung der Schifffahrt und des Eisbre-chereinsatzes“. Referat auf dem Kolloquium der Bundesanstalt für Wasser-bau (BAW) „Stromregulierungskonzept Grenzoder“, 13.05.2009.

78 Dörfler, Ernst Paul: „Wunder der Elbe“, 2007, 120 S., Verlag Jaonos Steko-vics; hrsg. vom BUND, Landesverband Sachsen in Verbindung mit dem Lan-desheimatbund Sachsen-Anhalt e.V.

79 Internationale Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE): „Die Elbe und ihrEinzugsgebiet – eine hydrogeographische Bestandsaufnahme“, 258 S. 2005–eine unvergleichliche Bestandsaufnahme der Flusslandschaften der Elbeund ihrer Nebenflüsse.

80 Petschow, Ulrich: „Binnenschifffahrt auf Elbe und Saale, Strombaumaßnah-men in der Diskussion“, Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsfor-schung (iöw) im Auftrag des BUND, 2009, 31 S, Download unterwww.ioew.de. Die „Petschow-Studie“ setzt sich ausführlich mit den frag-würdigen Begründungen für eine Weiterführung bzw. gar für eine Intensi-vierung der Güterschifffahrt auf der Elbe auseinander. Ferner hinterfragt siedie Unterhaltungs- und Strombaumaßnahmen in ökologischer wie in öko-nomischer Hinsicht, die für eine Intensivierung der Güterschifffahrt aufdem deutschen Elbeabschnitt und in der Saale erforderlich wären. Undnicht zuletzt weist sie darauf hin, dass heute schon die Binnenschifffahrtimmer stärker durch ausgeprägtere Niedrigwasserphasen in der Elbe beein-trächtigt wird.

81 Bernau, Varinia: „Subventionen versenken – Wegen ausbleibenden Regensist die Elbe zu flach für Frachter, doch ihre Häfen werden ausgebaut“, in:Süddeutscher Zeitung 09.12.2009, S. 19.

82 Umweltbundesamt: „Schwerpunkte 2010“, siehe das dort enthaltene Ver-kehrskapitel.

83 BUND & Deutsche Naturschutzakademie: „Manifest für einen neuenUmgang mit der Elbe – Lenzener Flussmanifest zur Elbe zwischen tschechi-scher Grenze und Geesthaacht“, 4. S., Juni 2008.

84 Naturparke dienen in der Regel eher der touristischen Erschließung undVermarktung einer Region. Im Falle des Naturparkes Westhavelland weistder Naturpark aufgrund des Engagements des NABU aber auch eine starkeNaturschutzkomponente auf.

85 May, Helge: „Mehr Bewegung – Die Renaturierung der Unteren Havelbeginnt“, in: Naturschutz heute 2/2010, S. 8–12.86 siehe die den Tideelb-ebereich betreffende Aussagen im Bewirtschaftungsplan für die Elbe – u.a.im Kapitel 5

87 Mehr zur ökologischen und ökonomischem Fragwürdigkeit des Tideelbeaus-baus auf der Homepage www.rettet-die-elbe-de88 Bundesanstalt fürGewässerkunde: „Untersuchung des ökologischen Entwicklungspotenzialsder Unter- und Außenelbe (Ökologische Potenzialanalyse)“, Teil 2 – Konkre-tisierung von Maßnahmen; Juni 2003, 264 S.

89 Siehe die ausführliche Stellungnahme von BUND und WWF zum NationalenHafenkonzept für die See- und Binnenhäfen der Bundesregierung (Entwurfdes BMVBS vom 19.02.2009). In der Stellungnahme fordern BUND undWWF insbesondere eine Arbeitsteilung zwischen den norddeutschen Hafen-standorten. Bezug der Stellungnahme und weitere Auskunft zur diesbezüg-lichen Positionierung des BUND: Dr. Werner Reh, Leiter Verkehrspolitik,BUND e.V. Bundesgeschäftsstelle, Am Köllnischen Park 1, 10171 Berlin, Tel.:030 27586435, E-Mail: [email protected]

90 Weitere Informationen unter www.runder-tisch-werra.de .91 Flussgebietsgemeinschaft Weser: „Die wichtigsten Wasserbewirtschaf-

tungsfragen in der Flussgebietseinheit Weser“, Broschüre, 2008, 34 S.,Download unter www.fgg-weser.de

92 Ebd., S. 14.93 Ebd., S. 21.94 Ebd., S. 25.95 Flussgebietsgemeinschaft Weser: „Gesamtstrategie Wanderfische in der

Flussgebietseinheit Weser – Potenzial, Handlungsvorschläge, Maßnahmen“,April 2009, 60 S.

96 Ebd., S. 27.

97 Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Natur-schutz: „Niedersächsischer Beitrag für das Maßnahmenprogramm der Flus-sgebietsgemeinschaft Weser nach Art. 11 der EU-Wasserrahmenrichtliniebzw. nach § 181 des Niedersächsischen Wassergesetzes“, Dezember 2009,97 S. plus Anhang.

98 BUND: „Ems, Weser, Elbe – für alle gilt dasselbe … Flussvertiefungen undihre Folgen“,Broschüre, 2007. Diese von den BUND Landesverbänden Bre-men, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein herausgegebeneBroschüre beschreibt in verständlicher Form die ökologischen Folgen vonFlussvertiefungen. Was ist das Besondere an einer Flussmündung? Wasgeschieht, wenn Flüsse als Schifffahrtsrinnen tiefer und tiefer ausgebaggertwerden? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Flussvertiefungen unddem Verlust wichtiger Lebensräume für Vögel und Fische? Antworten aufdiese Fragen sowie Handlungsvorschläge enthält die BUND-Broschüre, dieüber die genannten Landesverbände bezogen werden kann.

99 Bioconsult (2009): „Aspekte der ökologischen Sanierung der Unterems“,Studie im Auftrag von BUND & WWF, 30 S.

100 Ebd.101 Vgl. BUND-Abwärmestudie – siehe Fußnote 15102 Weinzierl, Hubert: Referat anlässlich der NABU-Tagung „Lebendiger Rhein

– Fluss der tausend Inseln“, 07.02.2007 in Mainz.103 Markgraf-Maué, Klaus: Referat auf der NABU-Tagung „Lebendiger Rhein –

Fluss der tausend Inseln“ am 07.02.2007 in Mainz.104 http://www.iksr.org/index.php?id=260105 Pressemitteilung des Umweltministeriums Düsseldorf vom 07.04.10. Wei-

tere Informationen zur erneuerten Vereinbarung zum Vogelschutzgebiet„Unterer Niederrhein“ sind zu finden unter www.umwelt.nrw.de.

106 Markgraf-Maué, Klaus: Referat auf der NABU-Tagung „Lebendiger Rhein –Fluss der tausend Inseln“ am 07.02.2007 in Mainz.

107 Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG): „Möglichkeiten zur Verbesserungdes ökologischen Zustands von Bundeswasserstraßen – Fallbeispielsamm-lung“, BfG-Mitteilungen Nr. 28 vom März 2009, 34 S.

108 Brendle, Uwe: „Akzeptanzsteigerung im Naturschutz – Ermittlung vonerfolgreichen und zukunftsweisenden naturschutzpolitischen Musterlö-sungen sowie Konfliktlösungs- und Vermeidungsstrategien“, hrsg. vomBundesamt für Naturschutz (BfN), 1999.

109 Baumgartner, Christian: „Uferrückbau an der Donau bei Wien“. Referat aufder NABU-Tagung „Lebendiger Rhein – Fluss der tausend Inseln“ am07.02.2007 in Mainz.

110 Ebd.111 Internationale Kommission für den Schutz des Rheins (IKSR): „Aktionsplan

Hochwasser“, März 1998, 30 Seiten.112 Briem, Elmar: „Gewässerlandschaften in der Bundesrepublik Deutschland“,

ATV-DVWK-Arbeitsbericht, 176 S., 2003; vgl dazu auch Koenzen, Uwe113 Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen

(StMLU): „Das Wasser“, Band 11 der Reihe Umweltschutz in Bayern, 36 S.,1985.

114 Bundesamt für Naturschutz: „Auenzustandsbericht“, 36 S., Oktober 2009.115 Margraf, Christine: „Das alpine Element der bayerischen Donau – Gefähr-

dung und Zukunft“, 12 S. (erhältlich über die Verfasserin: Dr. ChristineMargraf, Artenschutzreferentin Südbayern, Bund Naturschutz in Bayerne.V., Pettenkoferstraße 10 a/I, 80336 München, Tel.: 089/54298-89, E-Mail: [email protected])

116 Entwurfsfassung des Internationalen Donau-Bewirtschaftungsplans –siehe die Abbildungen bzw. Tabellen auf den Seiten 172–173.

117 Vgl. Landesfischereiverband Bayern: „Artenhilfsprogramm Sterlet. Projekt904“, 53 S., Februar 2008, Download unterhttp://www.lfvbayern.de/media/files/AHP%20Sterlet%20-%20Endbe-richt%202008%20-%20Reinartz.pdf

118 Projektgruppe Geschiebehaushalt Hochrhein (PGG): Pflichtenheft für dieErstellung eines Masterplans „Geschiebereaktivierung am Hochrhein“ vom31. Juli 2007

119 Margraf, Christine: „Machbarkeitsstudie Verbesserung GeschiebehaushaltDonau und Alpenflüsse – Projektvorschlag“, 2010.

75Eine Vision für die Flusslandschaften in Deutschland

120 Siehe dazu www.wwa-in.bayern.de/projekte_und_programme/donauauen/index.htm

121 www.donautal-life-natur.de122 Vgl. dazu www.bn-deggendorf.de/index_donau.html123 www.wwa-ts.bayern.de/projekte_und_programme/aktuelle_projekte/

salzach/index.htm124 www.icpdr.org125 www.bayern.de/Donaustrategie-.2570/index.htm126 Siehe www.bayern.de/Anlage10314753/anlage.pdf

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