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Burnout-Syndrom: Zur professionellen Therapie einer neuen ... Burnout syndrome: professional therapy for a new clinical challenge Burnout has become one of the most popular health

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Page 1: Burnout-Syndrom: Zur professionellen Therapie einer neuen ... Burnout syndrome: professional therapy for a new clinical challenge Burnout has become one of the most popular health

Burnout-Syndrom:

Zur professionellen Therapie einer neuen

klinischen Herausforderung

Rolf Heima, Beate Schulzeb

a Institut für Arbeitsmedizin, Baden, b Psychiatrische Universitätsklinik, Zürich

PRAX I S Schweiz Med Forum 2008;8(32):569–573 569

Einleitung

Gibt es heute noch «gesunde» Arbeitsplätze, oderstellen vielmehr die Arbeitsbedingungen in einerglobalisierten Welt ganz neue Anforderungen anunsere Gesundheit? Das Klima auf dem Arbeits-markt ist in allen Branchen rauer geworden.Wachstum auf einem dicht umkämpften Markterfordert Kostenoptimierung, knappere Ressour-cen der öffentlichen Hand führen zu Sparmass-nahmen im Gesundheitswesen und im sozialenBereich. Für Mitarbeitende heisst das oft, mitdünnerer Personaldecke in kürzerer Zeit die gleichen oder gar wachsenden Aufgaben zu be-wältigen [1]. Gleichzeitig lässt sich die beruflicheZukunft kaum mehr planen: Arbeitsstellen sindprojektgebunden und damit zeitlich begrenzt; Organisationen werden häufig umstrukturiertoder gar «feindlich übernommen», während dieUnternehmensziele zunehmend von den Prio -ritäten der Finanzmärkte geprägt sind. Die Wirt-schaft richtet sich immer mehr kurzfristig aus [2].Neue Technologien ermöglichen und verpflichtengleichsam zu ständiger Verfügbarkeit, Qualifika-tionsanforderungen steigen, besonders bezüg-lich Team- und Kommunikationsfähigkeit. Para-doxer weise kommt es gleichzeitig zu einerstärkeren Individualisierung und Konkurrenzunter den Mitarbeitenden – als «Stresspuffer»wirkende soziale Unterstützung wird somit im-mer seltener. Auch auf Mitarbeiterseite heisst der Trend «schneller, höher, weiter!»: Wir verfü-gen heute über die bestausgebildete Generationvon Arbeitnehmenden aller Zeiten – entsprechendwachsen unsere Erwartungen an die Arbeit be-züglich persönlicher Bedeutsamkeit, Aufstiegs-chancen, Entscheidungsspielraum sowie respekt-voller und fairer Behandlung [1, 3]. BeruflicherErfolg, Wohlstand und ein exklusiver Lebens- stil sind gesellschaftliche Leitwerte und persön-licher Antriebsmotor zugleich. Die «klassische» Kar riere also, aber höher hinaus, mit doppelter Geschwindigkeit und zugleich nachhaltiger. Dochwie steht es in der heutigen Arbeitswelt um dieMöglichkeiten, diese Ziele zu erreichen?

CME zu diesem Artikel finden Sie auf S. � oder im Internet unter www.smf-cme.ch.

Quintessenz

� Das Burnout-Syndrom ist zu einem der populärsten Beschwerdebilder in unserem Kulturraum geworden. Aktuell bestehen keine einheitliche Definition der Krankheit und keine eindeutigen diagnostischen Kriterien im ICD-10.

� In der Bevölkerung weitgehend akzeptiert, ist das Burnout-Syndrom im Arbeitsumfeld nach wie vor ein Tabu-Thema: Ausgebrannt zu sein steht als Indizfür mangelnde Belastbarkeit.

� Der für eine erfolgreiche Therapie so wichtige Konsens zwischen Arzt undPatient ist unter diesen Umständen oft schwierig zu erreichen.

� Die Erhaltung oder Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit ist ab Beginn derTherapie ein zentrales Thema.

� Eine allfällige Krankschreibung muss durch weitere Interventionen begleitetsein; es geht darum, dass der Patient effizient und zielgerichtet an seiner psy-chischen und körperlichen Regeneration arbeitet.

� Dafür braucht es sorgfältige Abklärungen, die im Rahmen einer umfassendenAnamnese erhoben werden. Neben somatischen und psychischen Beschwerdenwerden auch soziale Aspekte beachtet.

� Der Patient wird über das geplante Procedere informiert und hat eine grobeAhnung, wo er im Verlauf seiner Genesung steht.

� Eine wirksame Therapie umfasst neben individuellen (Patient) Interventionenauch strukturelle (Betrieb). Für letztere sind Gespräche mit dem Vorgesetzten undevtl. der Personalabteilung wichtig.

Summary

Burnout syndrome: professional therapy

for a new clinical challenge

� Burnout has become one of the most popular health concerns in the Westernworld. To date the syndrome has not been officially defined as an illness in ICD-10, and thus lacks consistent diagnostic criteria.

� While largely accepted among the general public, burnout still has a significantstigma attached to it in the workplace. Being “burnt out” is considered a personalfailure indicative of a lack of toughness and inability to work under pressure.

� This stigma creates barriers to insight and thus negatively affects coope -ration on treatment, as problem definitions may differ between doctor and pa-tient.

� From the start, maintaining or restoring patients’ capacity to work is a central concern in the treatment of burnout.

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tätsspital platzte aus allen Nähten, über hundertInteressenten musste im Vorfeld abgesagt werden. Dieser Beitrag möchte die begonneneDiskussion aufgreifen und Eckpunkte einer adäquaten Burnout-Therapie einer breiten Leser -schaft erschliessen.

Definition und Symptomatik

Zur Erfassung des Burnout-Syndroms im kli -nischen Alltag eignen sich etablierte arbeits -psychologische Tests. Am besten validiert ist dasMaslach Burnout Inventory (MBI) [7, 8], das Bur-n out als anhaltende Stressreaktion auf chro nischeArbeitsbelastungen mit drei Kernsymptomen ver-steht:– Erschöpfung bezieht sich auf das Gefühl, so-

wohl emotional als auch körperlich entkräftetzu sein.

– Zynismus beschreibt eine distanzierte, gleich-gültige Einstellung gegenüber der Arbeit.

– Ineffektivität beschreibt das Gefühl beruf -lichen Versagens sowie den Verlust des Ver-trauens in die eigenen Fähigkeiten.

Entscheidend für die Einstufung des Burnout- Risikos ist nicht allein das Vorhandensein vonAnzeichen wie Schlaflosigkeit, Energiemangeloder Mangel an Freude an der Arbeit, sonderndie Häufigkeit bzw. Dauer der Symptomatik. Damit lassen sich Schweregrade definieren undAnhaltspunkte für die Therapie ableiten.Darüber hinaus gibt es zwei weitere Kriterien [4]:– Burnout ist generell arbeitsbezogen. – Unangemessene Erwartungen und hohe emo-

tionale Anforderungen spielen eine wichtigeRolle.

Dies lässt eine Abgrenzung gegenüber Depres -sion zu: Eine Erschöpfungssymptomatik ist nurso lange als Burnout zu betrachten, wie sie aus-schliesslich den Arbeitskontext betrifft. Entscheidend für die Diagnostik des Burnout-Syndroms ist zudem sein progressiver Verlauf[9]. Den Anfang nimmt ein Burnout, wenn Men-schen auf berufliche Stresssituationen mit einemgesteigerten Engagement reagieren. BekannteBewältigungsstrategien werden aktiviert, auchwenn deren Anwendung in der Vergangenheitdie Betroffenen bereits an ihre Belastungs -grenzen geführt hat. Erweisen sich diese als ineffektiv, besteht die Gefahr, dass Symptome wienegative emotionale Reaktionen und Antriebs-störungen sich schrittweise vom Arbeitskontextauf weitere Lebensbereiche ausweiten und letzt-lich im Vollbild einer klinischen Depression mün-den [10].

Fallstricke im klinischen Management

Während Burnout in der öffentlichen Diskussionzunehmend als «schickes Leiden» firmiert, ist esim Arbeitsumfeld nach wie vor tabu: Ausge-brannt zu sein wird als Indiz für mangelnde Be-

Hintergründe

Hohe quantitative Anforderungen am Arbeits-platz, gepaart mit geringem Gestaltungsfreiraumund fehlender Unterstützung durch Vorgesetzteund Kollegen erhöht das Risiko, bei der Arbeit«auszubrennen». Im Durchschnitt leiden etwa30% der Bevölkerung unter dem Burnout-Syn-drom [4, 5], und das branchenunabhängig. Das Burnout-Syndrom rüttelt an den Grundfe-sten der westlichen Wirtschaft: Kann sich die Spirale so weiter drehen? Gnadenlos und erschüt-ternd zeigt sich, dass wir als Menschen begrenzt,nicht perfekt, nicht omnipotent sind, sondern Ge-fühle und Schwächen haben. Gerade Letzteresmacht den Betroffenen, deren Umgebung (insbe-sondere deren Vorgesetzten) und manchmalauch den Vertretern der medizinisch-therapeu -tischen Seite oft Mühe [6].Therapeuten und Mediziner sind meist nicht gutgenug auf die Behandlung von Burnout-Patientenvorbereitet. Das Thema Burnout hat derzeit Kon-junktur. Im Klima der verstärkten öffentlichenDiskussion zu beruflichen Stressbelastungen undeiner gleichzeitigen «Heroisierung» des Burnout-Begriffs als eine Art ungenügender Leistungs-ausweis sprechen immer mehr Patienten von«Ausbrennen», wenn sie sich bei ihrem Arzt vor-stellen. Bei einer Burnout-Diagnose sind vieleMediziner erstmal ratlos, da es sich nicht um eineoffizielle Diagnose in DSM-IV oder ICD-10 derWHO handelt. In Letzterem wird es lediglich un-ter den Z-Diagnosen im Anhang als «Ausge-branntsein» und «Zustand der totalen Erschöp-fung» (Z73.0) erfasst. So stellen sich im klinischen Alltag immer wiederFragen bezüglich der ärztlichen Handlungs -optionen. Welche Behandlungsmethoden sindangezeigt? Gibt es Evidenz bezüglich ihrer Wirk-samkeit? Genau zu diesen Fragen organisiertedie Psychiatrische Universitätsklinik Zürich ge-meinsam mit der Dialog-Plattform «Swiss Bur-nout» im Herbst 2006 ein Symposium. Allein dieNachfrage nach diesem Fortbildungsangebotlässt auf einen grossen Informationsbedarfschliessen: Der Hörsaal am Zürcher Universi-

� Sick-leave must be accompanied by additional interventions. It is essentialthat patients cooperate actively and purposefully in their psychological andphysical recovery.

� Targeting these interventions necessitates thorough diagnosis. A compre-hensive history takes into account not only somatic and psychological symp-toms but also social aspects.

� Patients are briefed on the treatment plan and procedures, and are regularlyupdated on the stage reached in their recovery.

� Effective treatment comprises both individual (patient) and structural (com-pany) interventions. The latter involves consultation with the patient’s superiorsand/or the human resources department.

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auf, im Sinne von: «Nun siehe endlich, wieschlecht es mir geht und hilf mir, schone mich.»Diese offensichtliche Forderungshaltung trifft bei uns Ärzten entweder den «Helfernerv» («die-sem armen Menschen muss man helfen») oderaber, er führt zu einer Distanzierung und hartenFührung («der soll nicht so schwach tun, schliess-lich sind wir alle unter Druck») [11]. Natürlich beruht solches Vorgehen nicht auf Böswilligkeitoder mangelndem Verständnis. Im praktischenAlltag fallen uns dafür drei mögliche Ursachengehäuft auf: – Ärzte sind über arbeitsassoziierte psychoso-

matische Krankheiten und deren spezifischeTherapie zu wenig informiert (beispielsweiseMobbing, Burnout).

– Ärzte stehen selbst unter hohem Druck, leidengehäuft sogar selbst unter Burnout (20–30%[12]), was es ihnen erschwert, den Patientengeduldig und empathisch zu betreuen.

– Patienten möchten nicht einsehen, dass siemit der bisher angewandten Lebens- und Arbeitsweise nicht weiter kommen. Und ihreÄrzte wollen ihnen diese Konfrontation er-sparen.

Professionelle Therapieansätze

Bleibt eine adäquate, die Ursachen veränderndeTherapie aus, verstärkt sich das Leiden der Be-troffenen und die Leidenszeit verlängert sich. Dasdem Problem zugrunde liegende Verhalten wirdweiter aufrecht erhalten und verstärkt, ganznach dem Gesetz von Watzlawick: «mehr dessel-ben». Ungeduld und Unverständnis wachsen, To-leranz sinkt – sowohl beim Betroffenen als auchbei seiner Umgebung. Somit kommen neue Pro-bleme hinzu, die Symptome können sich steigernbis zur schweren Depression. Im schlimmstenFall treffen die Betroffenen Kurzschluss-Ent-scheidungen oder es wird ihnen wegen man-gelnder Leistung und Effizienz gekündigt [10].Um solches zu verhindern, braucht es so früh wiemöglich eine spezifische Therapie. Diese zeich-net sich aus durch eine klare Strukturierung undeine nachhaltige Begleitung des Patienten. AmAnfang steht eine sorgfältige Abklärung der ak-tuellen Umstände [9]:– eine genaue Anamnese der Beschwerden– körperliche und laborchemische Untersuchun-

gen,um somatische Ursachen auszuschliessen– eine umfassende Analyse der beruflichen,

privaten und persönlichen Situation. Das sindvor allem Informationen über:

– Arbeitsstil (vgl. u.a. Perfektionismus), Identi-fikation und Engagement bei der Arbeit

– Arbeitsklima, soziale Unterstützung und Wert- schätzung seitens des Vorgesetzten; Organi-sation von Arbeits-Abläufen

– Distanzierungs- und Entspannungsfähigkeit;Bereitschaft zu Erholung und Genuss

lastbarkeit oder gar berufliches Versagen ver-standen. Daher ist Verdrängung die meist ver-breitete Reaktion auf Symptome, die dem Betrof-fenen seine Grenzen aufzeigen. Dies hat wichtigeAuswirkungen auf die Arzt-Patienten-Kom mu -nikation, hängen doch Behandlungserfolge wesentlich von der Qualität der therapeutischenBeziehung ab. Demnach ist die Therapie beson-ders wirksam, wenn die subjektiven Krankheits -modelle des Patienten mit denen des Arztes weit-gehend übereinstimmen. Ein Konsens zwischenArzt und Patient wird vor allem erschwert, wenndie Krankheit mit einem Stigma behaftet ist. Be-sonders psychische Erkrankungen werden nachwie vor überwiegend mit negativen Eigenschaf-ten wie Unberechenbarkeit, mangelnde Willens-kraft oder Faulheit verbunden. In einer solchen Situation kommt es zum erstenFlaschenhals: Der Patient möchte sich keineBlösse geben und dissimuliert. Der Arzt möchteihm nicht zu nahe treten, unterlässt eine Kon-frontation und entspricht den Anliegen des Er-steren nach einer raschen Symptomlinderung.Der Griff zum Rezeptblock ist kurz, Antidepres-siva und Hypnotika sind rasch verschrieben. DieFolge davon: Beide sind zufrieden, und an der Situation ändert sich nichts Grundlegendes. Dafür werden ernstzunehmende Symptome ab-geschwächt, der Patient vertröstet.Wertvolle Zeit geht verloren, bis der Betroffenemerkt, dass er sich kräftemässig immer noch imUngleichgewicht befindet. Möglicherweise wirder für diese Zeit auch krank geschrieben, was anund für sich ja nicht falsch ist. Jedoch sollte beider Behandlung die berufliche Rehabilitation vonAnfang an ein Thema sein. Allem voran geht esum einen schrittweisen Wiedereinstieg. So kön-nen die Betroffenen lernen, im Alltag direkt fürEntlastung zu sorgen, z.B. indem sie regelmässigePausen zur Erholung einplanen, Unterstützungbei der Erledigung von Aufgaben suchen und keine exzessiven Überstunden leisten [9].Nur rechnet der Arbeitgeber nach zwei bis vierWochen mit der vollen Leistungsfähigkeit undwird ungeduldiger. Wie auch der Patient und seine Angehörigen, die weder den Verlauf desBurnouts kennen, noch über die für die Genesungnötigen Schritte informiert sind. Gerade pflicht-bewusste Mitarbeiter (und das sind die meistenBurnout-Patienten) laufen Gefahr, in eine «Schul-denspirale» zu geraten: Sie sind nicht arbeits -fähig 3 der innere Leistungsdruck steigt 3 dieEffizienz sinkt, der Heilungsprozess wird verzö-gert 3 der innere Leistungsdruck nimmt weiterzu usw. [10].Die relative Unschärfe des Syndroms hat weitereFolgen: Während diejenigen, die schon auf demZahnfleisch laufen, sich jeder Krankheitseinsichtverwehren, diagnostizieren andere, die sich gerneetwas Ruhe und Verständnis verschaffen, ihreKrankheit gleich selbst. Letztere treten ihremUmfeld gegenüber vorwurfsvoll und fordernd

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und Entspannungsfähigkeit geachtet. VieleBetroffene zeigen in beiden Kategorien er-hebliche Defizite. Einerseits laden sie sich zuviel Verantwortung und praktische Arbeit auf,verzeichnen Mühe beim Delegieren und Zu-rückweisen von Arbeit («nicht nein sagen kön-nen»). Andererseits halten sie Entspannungfür Zeitverschwenden und sehen den prakti-schen Nutzen, ja die unabdingbare Notwen-digkeit nicht ein.

– Im Verlauf werden weitere fehlende oder unterentwickelte Fähigkeiten eruiert und ge-zielt auftrainiert. Als Beispiele genannt seienWahrnehmung von Selbstkompetenz, offeneKommunikation, Konfliktfähigkeit, Sensibi -lität den eigenen Bedürfnissen gegenüber. Ar-beitsplatzspezifische Fähigkeiten können inWeiterbildungen angeeignet werden.

– Manchmal ist es nötig, allfällige Trauerpro-zesse abzuschliessen und grössere Frustra -tionserlebnisse zu verarbeiten. Dies könneneine verpasste Kündigung sein, eine Scheidungoder auch traumatisierende Kindheitserleb-nisse.

Schlussfolgerung

Eine spezifische Therapie bei arbeitsassoziiertenpsychosomatischen Beschwerden folgt somit ei-nem klaren Leitfaden. Dabei wird dem Verhaltenund den Denkmustern der Betroffenen sowie derSituation am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle zu-geschrieben. Soll die Arbeitsfähigkeit langfristigerhalten bleiben, müssen auf diesen Ebenen Veränderungen erfolgen. Die Therapie beinhaltet somit auch Coaching und Vermittlung zwischendem betroffenen Mitarbeiter und dem Arbeit -geber. Die Sitzungen sollen regelmässig stattfinden,je nach Schweregrad von zweimal wöchentlichbis zweimal monatlich. Falls nötig werden Medi-kamente eingesetzt (meist Antidepressiva undHypnotika), allerdings nur supportiv und nichtkurativ. Mit einer Einstellungs- und Verhaltensänderunglassen sich erfahrungsgemäss mittelfristig sehrbefriedigende Resultate erreichen. Wenn ein Pa-tient den Willen dazu und die nötige Geduld auf-bringt, darf man ihm zu recht gute Hoffnungenauf einen erfolgreichen Therapieverlauf machen.Abschliessend stehen die Chancen für einen erfolg -reichen Umgang mit Burnout am besten, wenneine entsprechende Belastungs reaktion früh er-kannt wird, Betroffene niederschwellig spezifi-sche psychotherapeutische Angebote nutzen kön-nen und im betrieblichen Umfeld Unterstützungerhalten.

– soziales Netz, Familie– gesellschaftliches Engagement: Vereine, poli-

tische Tätigkeit– Coping-Strategien bei Beschwerden oder Miss-

erfolgen; z.B. Konsum von Medikamenten, Alkohol und Drogen

– bisherige Massnahmen, Therapien– Einschränkungen bei der Arbeit und privatAls nächstes folgt die Klärung der Behandlungs-strategie. Je nach Schweregrad und vorhande-nen Ressourcen beinhaltet diese unterschied -liche Ansätze [4]:– Schonung quantitativer und qualitativer Art.

Beispielsweise soll eine vollständige Krank-schreibung sorgfältig abgewogen werden, dasie Spuren im Team und im eigenen Arbeits-fluss hinterlässt. Anderseits ist eine Erholungbei «schweren Fällen» nur in kompletter Ab-schottung (stationäre Therapie) möglich. ImWeiteren müssen das Freizeitverhalten unddie Tagesstruktur überprüft und gegebenen-falls verändert werden. Die dadurch gewon-nen Ressourcen müssen für die Regenerationverwendet werden (s.u.).

– Besprechung mit dem Vorgesetzten zur Pla-nung des Arbeitseinsatzes, mögliche organi-satorische Umstellungen und Entlastungendes Patienten. Immer wieder werden beimAusfall eines Mitarbeitenden Mängel im Be-trieb deutlich – beispielsweise komplizierte,energiefressende Abläufe, unklare Kommuni-kation, schlechte Verteilung der Aufgaben.Persönlich haben wir schon einige Firmen gesehen, die durch das Burnout eines Mitar-beitenden sensibilisiert wurden, längst not -wendige Veränderungen anzugehen, wie:neue Verteilung von Kompetenzen und Arbeits-inhalten oder die Schaffung neuer Arbeits -plätze.

– Eventuell Gespräche mit der Partnerin. Jenach Situation bestehen auch hier Ansprücheund Erwartungen (Familienplanung, Arbeitam Eigenheim usw.). Verständnis auf dieserEbene ist für die Erholung wichtig.

– Im Rahmen einer verhaltensorientierten The-rapie folgt eine Analyse des bisherigen Ver-haltens, das zur aktuellen Situation geführthat. Hier werden auch Wertsysteme und Mo-tivationsaspekte besprochen. Dabei geht esnicht um eine tiefenpsychologische Analyse,sondern um eine rasche Veränderung des einseitigen und somit krankheitsförderndenVerhaltens.

– Darauf folgt sinnvollerweise die Suche nachAlternativen, die einen Ausgleich von Ener-gieverbrauch und Regeneration gewährlei-sten. Im Besonderen wird auf Distanzierungs-

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11 Schmidbauer W. Helfersyndrom und Burnout-Gefahr. 1 ed.München, Jena: Urban & Fischer; 2002.

12 Bovier P, Bouvier Gallacchi M, Goehring C, Künzi B. Santé des médecins de premier recours en Suisse. Résultats de la première enquête nationale. Primary Care. 2004;4:941–7.

Korrespondenz:Dr. med. Rolf Victor HeimInstitut für ArbeitsmedizinKreuzweg 3CH-5400 [email protected]

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