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Johannes Mink Ersatzbank Das Bankgeschäſt erlebt die nächste Stufe der Digitalisierung. Doch nicht traditionelle Geldinstitute treiben den Umbau voran, sondern smarte Start-ups und Internetgiganten wie Google oder Paypal Alles, was online geht, dürfte in naher Zukunft auch mit dem Smartphone gehen – Geldüber- weisungen zählen jetzt schon dazu TEXT: HEINZ-ROGER DOHMS UND MEIKE SCHREIBER SCHWERPUNKT DIGITALES BANKING DEZEMBER 2013 Das „Coffee Fellows“ in der Münch- ner Innenstadt. Am Nebentisch ein paar Smoothies schlürfende Teen- ager. Im Hintergrund Adele. Und mit- tendrin, in Jeans und Turnschuhen: Marc Bernegger, ein junger Mann, der gleich erklären wird, wie er das Bankgeschäft revolutionieren will. Den Treffpunkt hatte er selbst vor- geschlagen. Nicht weil ihm die At- mosphäre im Coffeeshop so gut ge- fällt. Sondern weil der vom Bahnhof aus schnell zu erreichen ist. Praktisch denken. Und einfa- che Lösungen suchen. Darauf sind Menschen wie Bernegger gepolt. 34 Jahre ist er alt. Und hat schon zwei Internetunternehmen ge- gründet und später zu Geld gemacht. Das erste hieß usgang.ch und war eine Infoplattform über das Schwei- zer Nachtleben. Eine simple Idee, auf die man damals, Ende der 90er, aber erst einmal kommen musste. Einen einstelligen Millionenbetrag zahl- te Springer 2008 für die Website. Zu der Zeit hatte Bernegger mit Kum- pels schon die nächste Firma hoch- gezogen, Amiando, einen Online- dienst, über den Geschäftsleute ihre Teilnahme an Kongressen buchen können. Auch die Idee hatte vor ihm keiner gehabt. 2010 kaufte Xing das Portal, diesmal für eine zweistellige Millionensumme. Die digitale Welt verstehen – und ein Geschäftsmodell draus ma- chen: Darin sind Menschen wie Bernegger gut. Nach den beiden Deals war er ein reicher Mann. Und ihm war lang- weilig. Er brauchte eine neue Heraus- 99 % ALLER FINANZTRANS- AKTIONEN werden bis zum Jahr 2015 über den digitalen Kanal abgewickelt und 70 % aller Kontoprodukte über diesen Weg abgeschlossen. (Quelle: McKinsey) JEDES DRITTE BANK- PRODUKT WIRD IM DURCHSCHNITT HEUTE BEREITS DIREKT ÜBER DEN ONLINEKANAL ABGESCHLOSSEN. (Quelle: GfK Finanzmarktpanel, 2013) 5 000 SUCHANFRAGEN zu Finanzthemen gehen jede Minute bei Google ein. (Quelle: Google) 42 % DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG WERDEN IM JAHR 2020 DIGITAL NATIVES SEIN. (Quelle: Statistisches Bundesamt) forderung. Bernegger ging in die Fi- nanzbranche. Auf den ersten Blick war das eine seltsame Entschei- dung. Ein Techie als Banker? Ihm aber schien der Schritt logisch: „Die Bankenbranche ist die letzte Bastion der analogen Welt, sie ist zäh, lang- sam und innovationsfeindlich. In al- len anderen bedeutenden Industrien gibt es eine ganz andere Dynamik.“ Mit anderen Worten: Menschen, die Ideen haben, praktische Lösungen suchen und das Internet verstehen, können hier was bewegen. Marc Bernegger ist nicht der einzige Techie, den es in den letzten zwei, drei Jahren in die Finanzwelt verschlagen hat. Hunderte sind es, wenn nicht Tausende. Dazu ein paar Großkonzerne wie Google oder Pay- pal. Sie drängeln sich zwischen Kun- den und Banken – indem sie ver- sprechen, Finanzdienstleistungen praktischer, einfacher, fairer und bil- liger zu machen. Dröge Kontoauszüge? Ersetzen sie durch nützliche Personal Finance Manager. Geldtransfers in andere Währungsgebiete? Erledigen sie zu viel günstigeren Kursen. Den Wust an Kredit-, EC- und Kundenkarten im Portemonnaie? Ordnen sie mit mobi- len Payment-Verfahren. Versteckte Provisionen? Bekämpfen sie mit di- gitaler Transparenz. Banking, zugeschnitten auf die Generation Facebook. Geldgeschäf- te, die in ein paar Jahren ein biss- chen so sein sollen wie Möbel kaufen bei Ikea. Oder wie Musik hören mit Spotify. Oder, so schreibt der Nieder- länder Hans Eysink Smeets in seinem Buch „Porn for bankers“ provokant: wie Pornos gucken im Internet. Smeets hat für Dutzende Geld- institute in der halben Welt gearbei- tet, als Manager und auch als Berater. Er ist ein guter Kronzeuge. Seine The- se lautet: Banken müssten ihr gan- zes Geschäftsmodell digitalisieren und an den Bedürfnissen des Kun- den ausrichten. Ansonsten brauche der Kunde eines Tages keine Bank mehr, um seine finanziellen An- gelegenheiten zu Capital Ausgabe 12/2013 170 171 CAPITAL INVEST Banking

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ErsatzbankDas Bankgeschäft erlebt die nächste Stufe der Digitalisierung. Doch nicht traditionelle Geldinstitute treiben den Umbau voran, sondern smarte Start-ups und Internetgiganten wie Google oder Paypal

Alles, was online geht, dürfte in naher Zukunft auch mit dem Smartphone gehen – Geldüber-weisungen zählen jetzt schon dazu

T e x T : H e i n z - R o g e R D o H m s u n D m e i k e s c H R e i b e RSchwerpunkt

digitaleS bankingDEzEmbEr

2013

Das „Coffee Fellows“ in der Münch-ner Innenstadt. Am Nebentisch ein paar Smoothies schlürfende Teen-ager. Im Hintergrund Adele. Und mit-tendrin, in Jeans und Turnschuhen: Marc Bernegger, ein junger Mann, der gleich erklären wird, wie er das Bankgeschäft revolutionieren will. Den Treffpunkt hatte er selbst vor-geschlagen. Nicht weil ihm die At-mosphäre im Coffeeshop so gut ge-fällt. Sondern weil der vom Bahnhof aus schnell zu erreichen ist.

Praktisch denken. Und einfa-che Lösungen suchen. Darauf sind Menschen wie Bernegger gepolt.

34 Jahre ist er alt. Und hat schon zwei Internetunternehmen ge-gründet und später zu Geld gemacht. Das erste hieß usgang.ch und war eine Infoplattform über das Schwei-zer Nachtleben. Eine simple Idee, auf die man damals, Ende der 90er, aber erst einmal kommen musste. Einen einstelligen Millionenbetrag zahl-te Springer 2008 für die Website. Zu der Zeit hatte Bernegger mit Kum-pels schon die nächste Firma hoch-gezogen, Amiando, einen Online-dienst, über den Geschäftsleute ihre Teilnahme an Kongressen buchen können. Auch die Idee hatte vor ihm keiner gehabt. 2010 kaufte Xing das Portal, diesmal für eine zweistellige Millionensumme.

Die digitale Welt verstehen – und ein Geschäftsmodell draus ma-chen: Darin sind Menschen wie Bernegger gut.

Nach den beiden Deals war er ein reicher Mann. Und ihm war lang-weilig. Er brauchte eine neue Heraus-

99 % aller Finanztrans­aktionen werden bis zum Jahr 2015 über den digitalen Kanal abgewickelt und 70 % aller Kontoprodukte über diesen Weg abgeschlossen.(Quelle: McKinsey)

Jedes dritte Bank­produkt wird im durchschnitt heute bereits direkt über den onlinekanal abgeschlossen. (Quelle: GfK Finanzmarktpanel, 2013)

5 000 suchanFragen zu Finanz themen gehen jede Minute bei Google ein. (Quelle: Google)

42 % der deutschen bevölkerung werden im Jahr 2020 digital natives sein. (Quelle: Statistisches Bundesamt)

forderung. Bernegger ging in die Fi-nanzbranche. Auf den ersten Blick war das eine seltsame Entschei-dung. Ein Techie als Banker? Ihm aber schien der Schritt logisch: „Die Bankenbranche ist die letzte Bastion der analogen Welt, sie ist zäh, lang-sam und innovationsfeindlich. In al-len anderen bedeutenden Industrien gibt es eine ganz andere Dynamik.“ Mit anderen Worten: Menschen, die Ideen haben, praktische Lösungen suchen und das Internet verstehen, können hier was bewegen.

Marc Bernegger ist nicht der einzige Techie, den es in den letzten zwei, drei Jahren in die Finanzwelt verschlagen hat. Hunderte sind es, wenn nicht Tausende. Dazu ein paar Großkonzerne wie Google oder Pay-pal. Sie drängeln sich zwischen Kun-den und Banken – indem sie ver-sprechen, Finanzdienstleistungen praktischer, einfacher, fairer und bil-liger zu machen.

Dröge Kontoauszüge? Ersetzen sie durch nützliche Personal Finance Manager. Geldtransfers in andere Währungsgebiete? Erledigen sie zu viel günstigeren Kursen. Den Wust an Kredit-, EC- und Kundenkarten im Portemonnaie? Ordnen sie mit mobi-len Payment-Verfahren. Versteckte Provisionen? Bekämpfen sie mit di-gitaler Transparenz.

Banking, zugeschnitten auf die Generation Facebook. Geldgeschäf-te, die in ein paar Jahren ein biss-chen so sein sollen wie Möbel kaufen bei Ikea. Oder wie Musik hören mit Spotify. Oder, so schreibt der Nieder-länder Hans Eysink Smeets in seinem Buch „Porn for bankers“ provokant: wie Pornos gucken im Internet.

Smeets hat für Dutzende Geld-institute in der halben Welt gearbei-tet, als Manager und auch als Berater. Er ist ein guter Kronzeuge. Seine The-se lautet: Banken müssten ihr gan-zes Geschäftsmodell digitalisieren und an den Bedürfnissen des Kun-den ausrichten. Ansonsten brauche der Kunde eines Tages keine Bank mehr, um seine finanziellen An-gelegenheiten zu

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erledigen. Die Sexindustrie sei die erste große Dienstleistungsbranche gewesen, die die Macht des Internets erfahren habe. Als letzte sei nun die Finanzindustrie an der Reihe.

Einer der Revolutionäre ist Jack Dorsey, der Twitter-Erfinder. 2009 gründete er Square, eine US-Firma, die Tablet- und Smartphone -Aufsätze vertreibt, durch die man seine Kreditkarte zieht und online abrechnet. Auch das war eine simple Idee – dank derer Kunden nun aber plötzlich bei Zehntausenden kleinen amerikanischen Händlern mit Kar-te zahlen können. Schon in diesem Jahr soll über Square ein zweistelli-ger Milliardenbetrag umgesetzt wer-den. Auch in Deutschland sind seit Kurzem erste Nachahmer wie iZet tle oder SumUp am Start.

Nächstes Beispiel: Taavet Hin-rikus, früher Chefprogrammierer von Skype. 2011 gründete er Trans-ferwise, ein Onlinenetzwerk für Fremdwährungstransaktionen. Ein deutscher Familienvater, der seiner in England studierenden Tochter Geld überweisen will, kann das mit Transferwise für eine Gebühr von wenigen Euro tun – zum offiziellen Wechselkurs. Aus 500 Euro werden so nicht 397 Pfund, wie bei der Bank, sondern 418 Pfund.

Ideen, wie Dorsey oder Hinri-kus sie hatten, gibt es inzwischen un-zählige. Viele werden außerhalb der traditionellen Bankenwelt ersonnen – nur wenige auch innerhalb. Einen wirklichen Überblick über diesen sprießenden Innovationsmarkt hat kaum mehr jemand.

Am ehesten wohl noch Marc Bernegger. Seine in Zürich beheima-tete Firma Next Generation Finance ist nämlich ein Finanzinvestor, der ausschließlich in Banken-Start-ups investiert. An einem halben Dutzend Jungunternehmen sind die Schwei-zer mittlerweile beteiligt. „Überle-gen Sie mal, welche neuen Player im Banking in den letzten Jahren rich-tig groß rausgekommen sind“, sagt Bernegger. „Kaum welche.“ Er will sie finden und entwickeln.

Nun ist es natürlich nicht so, dass die Internetrevolution völlig an der Finanzindustrie vorbeigegangen wäre. Webbanken wie die ING Diba oder Cortal Consors haben bereits im vergangenen Jahrzehnt die Bran-che aufgemischt – zum Wohle des Kunden. Was vor 20 Jahren undenk-bar war, ist heute Standard: Viele Gi-rokonten sind kostenlos, Tages- und Festgeldkonten sowieso. Wer mit den Zinsen seiner Bank unzufrieden ist, der kann auf ein Vergleichsportal ge-hen und einen besseren Anbieter su-chen. Der Aufwand hält sich dank des Post-Ident-Verfahrens in Grenzen.

Auch Kleinanleger haben ganz andere Möglichkeiten als vor der di-gitalen Wende: Mit dem richtigen Broker können sie Aktien zu Preisen handeln, die früher nicht mal für Profis möglich waren.

Und doch sind viele Finanz-dienstleistungen lange nicht so gut, wie sie es – auch jetzt schon – sein könnten. Ein einfaches Beispiel: Mil-liarden von Euro liegen Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Mo-nat unverzinst auf deutschen Giro-konten. Und das, obwohl viele Inha-ber bei der gleichen Bank auch ihr Tagesgeldkonto haben. Es wäre kein großer Aufwand, das Geld automa-tisch von dem einen auf das ande-re Konto zu transferieren (und wie-der zurück, bevor das Girokonto in den Dispo zu rutschen droht). Oder die Banken könnten den Kunden per E-Mail oder App informieren, wenn bestimmte Schwellen erreicht sind.

Natürlich brauchten sie das nicht umsonst zu tun – warum nicht eine kleine Gebühr dafür verlangen? Doch stattdessen streichen sie lieber die Zinsen ein, die eigentlich dem Kunden gehören. Cash-Sweeping nennt man den Transfer zwischen Giro- und Sparkonto, eins der Lieb-lingsthemen von Karsten Junge: „Außerhalb Deutschlands ist das ein sehr verbreiteter Service. Hierzulan-de ist er sehr selten.“

Junge trifft man im Gregorelli’s, einem der besseren Italiener im Frankfurter Bankenviertel. Hier gibt

m a R c b e R n e g g e RÜber seine in Zürich beheimatete Fir-ma Next Generation Finance ist der 34-jährige Schweizer Finanz investor mittlerweile an einem halben Dutzend Banken-Start-ups beteiligt

„Die Bankenbranche ist die letzte Bastion der analogen Welt, sie ist zäh, langsam und innovationsfeindlich. In allen anderen bedeu-tenden Industrien gibt es eine ganz andere Dynamik“

es keine Teenies. Keine schnulzen-de Adele. Und auch keine Jeans oder Turnschuhe. Stattdessen: Leder-schuhe und Anzug.

Junge ist von Haus aus Banker, kein Techie. Er glaubt nicht daran, dass mit den Berneggers alles anders wird in der Finanzwelt. Und er hält auch die Porno-Thesen von Smeets für übertrieben. Die passende Alters-vorsorge zu finden ist dann doch ein bisschen komplizierter, als das pas-sende Sexfilmchen aus dem Internet herunterzuladen.

Allerdings, Junge gehört auch nicht zu denen, die sich abschotten gegenüber den Ideen der Turnschuh-träger. Stattdessen hat er in seinem Laptop viele davon gespeichert. Er ist inzwischen als Berater bei der Consulting-Boutique Consileon tä-tig. Zu seinem Job gehört es, Bankern zu erklären, was sie von den Techies lernen können.

Gute Finanzdienstleistungen müssten in Zukunft „vor allem con-venient“ sein, sagt Junge. Conveni-ent ist ein Wort, das auch Berneg-ger gern benutzt und das sich auch im Buch von Smeets andauernd fin-det. Es gibt keine perfekte deutsche Übersetzung dafür, verbraucher-freundlich oder nutzerfreundlich trifft es noch am ehesten. Vielleicht kann man auch sagen: ein bisschen so wie Apple. Junge holt ein Beispiel aus seinem Fundus, um zu zeigen, was er meint. Es heißt simple.com und kommt aus den USA.

Simple wurde gegründet von Josh Reich, 35, einem australischen Softwareentwickler. Auf den ersten Blick ist Simple eine ziemlich nor-male Onlinebank, die die grundle-genden Bankdienstleistungen preis-wert anbietet. Der Charme der Seite erschließt sich später: Simple ver-bindet nämlich umfangreiche Daten-analyse mit nutzerfreundlicher Dar-stellung – und heraus kommt eine Art Finanzplaner 2.0, der es dem Kunden erlaubt, mithilfe einfacher Suchanfragen sein gesamtes Finanz-verhalten nachzuvollziehen. „Wie viel Geld habe ich in den vergange-

nen drei Monaten für Kleidung aus-gegeben?“ Die grafisch liebevoll auf-bereitete Antwort lässt nur wenige Augenblicke auf sich warten.

Eine Spielerei? Vielleicht. Aber wohl eher nicht. „Daten, die zu nütz-lichen Informationen werden“, glaubt Junge, seien genau das, was die Kun-den in Zukunft verlangen. Es sei falsch zu glauben, dass sich die Leu-te nicht für ihre Finanzen interessier-ten. Es gebe durchaus ein Bedürfnis, „Peter-Zwegat-mäßig gezeigt zu be-kommen, warum am Monats ende das Geld ausgeht“. Nur: Wer habe denn Lust, abends die Rewe-Einkaufszettel abzuheften? Oder die Ausgaben ins „Wiso“-Haushaltsbuch einzutippen? Junge ist jetzt nicht mehr zu stoppen.

Ein Hobbyläufer, der für einen Marathon trainiert, könne längst zwi-schen verschiedensten Apps wählen, die die Funktion eines digitalen Trai-ners und Motivators übernähmen. „Sportartikelfirmen wie Nike bieten so etwas an, weil sie wissen, dass sie damit ihre Kunden binden.“ Ähnlich professionelle Finanz-Apps seien rar. Stattdessen bekommen deut-sche Bankkunden einmal im Quartal einen Briefumschlag mit den Konto-auszügen.

Hat Junge recht? Verschlafen viele Banken da gerade einen nahelie-genden Trend? Oder gibt es vielleicht gar keinen Bedarf an solchen Tools? Fest steht: Sollte sich die Nachfrage irgendwann entwickeln, dann dürf-ten der Branche – rechnet man die Krise und die regulatorischen Fol-gen zusammen – zehn Jahre fehlen, in denen sie sich um andere Dinge ge-kümmert hat als um die Innovation ihres Geschäftsmodells. Zeit, in der sich branchenfremde Player an den Kunden ranwanzen. Also?

Das Jumeirah Hotel in Frank-furt, ein kühler Herbsttag. IBM hat zur „Bankenfachtagung Bank & Zu-kunft 2013“ geladen. Es geht um The-men wie „Kundenverhalten im di-gitalen Wandel“, „Social Trading“ oder „Crowdfunding“. Die Vorträ-ge sind interessant, doch was in Er-innerung bleibt,

Ta av e T H i n R i k u s Der einstige Chefprogrammierer von Skype gründete 2011 Transfer-wise. Das Onlinenetzwerk ermög-licht Fremdwährungstransaktionen – ohne Bank und zu fairen Preisen

j e n s q ua D b e c kGoogles Industry Head Financial Services ist überzeugt davon, dass die Techies die Finanzwelt weiter verändern werden – mit oder ohne Banklizenz

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zahlungsverkehr

bytes statt baresTelekomkonzerne, Mobilfunkbetreiber und Internetfirmen arbeiten am Umstieg auf digitale Bezahlsysteme. In Polen und Finnland verlieren Scheine und Münzen schon rapide an Bedeutung. Doch die Deutschen tun sich schwer

Bezahlen kann so einfach sein. Zu-mindest wenn man mit Konrad Mróz unterwegs ist. Schnellen Schrittes steuert Mróz im Warschauer Ein-kaufszentrum „Blue City“ auf eine Bar zu und bestellt einen Milchkaf-fee. Dann zückt er sein Smartphone und hält es kurz an ein kleines schwarzes Gerät auf dem Tresen. Mróz bekommt seinen Kaffee und eine Quittung. Das war’s. Weiter geht es zum Supermarkt „Piotr i Pawel“. Zur Kassiererin muss man hier nicht mehr gehen. Die Waren legt man selbst auf den Scanner. Eine schnel-le Bewegung mit dem Smartphone über ein Kontaktfeld – und schon ist der Einkauf bezahlt.

Near Field Communication (NFC) heißt die Funktechnik zum kontaktlosen Austausch von Daten zwischen Handy und Terminal, mit der die Zahlung über eine Distanz von zehn Zentimetern praktisch im Vorbeigehen möglich ist. Vieles deu-tet darauf hin, dass diese Technik bald den Alltag erobert. Beim Fri-seur, in der Apotheke, in der Eisdie-le oder im Bus – in Warschau sind die Möglichkeiten, per Handy zu be-zahlen, schon weit fortgeschritten.

Das liegt unter anderem an Experten wie Konrad Mróz, der für die polnische Tochterfirma von

T-Mobile daran arbeitet, Polen zu einem der fortschrittlichsten Län-der Europas beim mobilen Bezah-len zu machen. Die Deutsche Tele-kom testet in Polen eine Technik für Smartphones, die irgendwann auch in Deutschland eingeführt werden soll: „My Wallet“ heißt die Lösung von T-Mobile, mit der EC- und Kre-ditkarten, Bonuskarten und Ticket-systeme, Ausweise und vieles mehr in das Smartphone integriert wer-den können.

Was in Polen schon zum All-tag gehört, ist ein weltweiter Trend. Viele Firmen rechnen damit, dass sich das Verhältnis zu Scheinen und Münzen in den kommenden Jahren drastisch verändern wird. Und dass am Ende dieser Entwick-lung das Bargeld praktisch bedeu-tungslos sein wird. Die Europä-ische Zentralbank misst eine stetig wachsende Summe von bargeldlo-sem Zahlungsverkehr. 727 Millionen Bezahlkarten sind in der EU in Um-lauf. Rund 37 Milliarden Mal bezah-len die EU-Bürger damit jährlich.

Wie eine Volkswirtschaft aus-sieht, in der das Bargeld aus der Öf-fentlichkeit verschwindet, ist in Finnland zu sehen. Wer in Hel-sinki einen Bus besteigt, hält eine Plastikkarte der Verkehrsbetriebe vor ein Lesegerät neben dem Fah-rer, wo raufhin das Fahrgeld ab-gebucht wird. Selbst für den Kauf einer Packung Kaugummi benut-zen die meisten Finnen ihre Kre-ditkarte, was möglich ist, weil so-gar die kleinsten Geschäfte über Kreditkartenterminals verfügen.

Bankautomaten sind eher selten. Einer Capgemini-Analyse zufolge liegt Finnland bei den bargeldlosen Transaktionen pro Einwohner welt-weit an der Spitze.

Finnlands größter Mobil-funkanbieter Elisa hat zusammen mit Mastercard einen Chip entwi-ckelt, der entweder ins Mobiltele-fon integriert oder einfach auf die Rückseite geklebt werden kann. Da-mit wird aus dem Telefon eine Geld-börse. „Wir sind jetzt ein Finanzins-titut“, sagt Henri Korpi, der bei Elisa für das Einzelkundengeschäft zu-ständig ist. Im Herbst bekamen alle finnischen Universitätsstudenten bereits neue Uni-Ausweise mit ei-nem integrierten Bezahlchip.

In Deutschland kam der Wan-del bisher kaum voran, weil sich Mo-bilfunkfirmen, Händler und Zah-lungsabwickler nicht auf einen Standard einigen konnten. Noch immer werden rund 60 Prozent al-ler Transaktionen in bar getätigt. Doch selbst die Bargeldpäpste der Bundesbank konstatieren: Auf lan-ge Sicht wachsen Generationen he-ran, denen bargeldloses Bezahlen von Kindesbeinen an vertraut ist. Banknoten und Münzen wirken da wie ein Relikt vergangener Zeiten.

die telekom will das smartphone zum neuen portemonnaie machen – und wird damit zum Finanz­dienstleister

alle Finnischen studenten haBen Jetzt einen Bezahlchip in ihrem universitätsausweis

n i l s k R e i m e i e R u n D m aT T H i a s T H i e m e

ist vor allem ein Bild: wie oben ein sehr selbstsicherer Nichtbanker eine Rede hält. Und ihm unten sehr unsi-cher dreinblickende Banker an den Lippen hängen.

„70 Prozent aller Tagesgeld-konten werden inzwischen online abgeschlossen. Dieser Wert steigt exponentiell. Und selbst wer ein Fi-nanzprodukt letztlich in der Filiale kauft, bereitet diesen Kauf immer öf-ter im Internet vor“, sagt der Mann zu Beginn. Dann gibt er eine kleine Lek-tion in Sachen digitaler Innovation, und am Ende seines Vortrags meint er väterlich: „Wir sehen uns als Ihre Partner, nicht als Konkurrenz.“

Der Redner heißt Jens Quad-beck. Er ist bei Google verantwortlich für den Bereich Finance – und damit, wenn man so will, der Bankberater von Millionen von Deutschen. Denn: Sich im Internet informieren heißt ja in der Regel, einen Suchbegriff bei Google einzugeben. Schon jetzt ver-dient Google Milliarden an den Provi-sionen, die die Banken zahlen, wenn die Suchmaschine die Nutzer zu den Instituten weiterleitet.

Wird Google irgendwann selbst zur Bank? Das ist eine belieb-te Frage. Ähnlich wie: Bietet Pay pal bald ein eigenes Girokonto an? Wis-sen tun das höchstens die Firmen selbst – wenn überhaupt. Doch viel-leicht ist das gar nicht so wichtig. Denn wichtig und sicher ist nur, dass

die Techies die Finanzwelt mit oder ohne Banklizenz weiter verändern werden. Die Großen wie Goo gle, Pay pal, Amazon oder Apple. Und ge-nauso die Tausende Newcomer von Simple bis Square.

Und was bedeutet das für die Kunden? Wird Banking praktischer werden? In jedem Fall. Alles, was online geht, dürfte in naher Zukunft auch mit dem Smartphone gehen – vor allem das Bezahlen. Denkbar scheint sogar, dass mobile Geldbör-sen in ein paar Jahren Kreditkarten-, EC- und Kundenkarten weitgehend abgelöst haben werden.

Wird Banking einfacher wer-den? Tendenziell ja, schließlich hat die digitale Revolution fast alle Dienstleistungen vereinfacht. Die Frage allerdings ist, ob manche Fi-nanzangelegenheiten nicht so viel-schichtig sind, dass sie sich dieser Logik entziehen. Denn wer „Tages-geld“ bei Google eingibt, der findet längst genauso sicher, was er sucht, wie jemand, der „Sex“ eingibt. Für den Suchbegriff „Vermögensaufbau“ gilt das aber noch lange nicht.

Wird Banking ehrlicher wer-den? Gut möglich. Autor Smeets schreibt, die Kunden hätten in ihren Bankberatern den „vertrauenswür-digen Onkel“ gesucht. Und den pro-visionslüsternen „Höhlenmenschen“ gefunden. Auch das sei ein Grund, warum sie nun im

50 % der abschlüsse von bankprodukten in der Filiale basieren auf einer Onlinerecherche. (Quelle: GfK, Deutsche Bank Research, Google, 2010)

Karte durchziehen und online abrechnen: Spezielle Lesegeräte, wie sie von SumUp oder iZettle ange-boten werden, machen Smartphones oder Tablets zu mobilen Terminals für Kredit- und Girokarten

wird Banking Fairer werden? vermutlich auch das. die digitalisierung macht preise vergleich Barer

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Internet nach Rat suchten. Die The-se ist ein bisschen klischeehaft. Aber nicht völlig falsch.

Erste Finanzdienstleister bre-chen bereits radikal mit dem alten Provisionsmodell. So hat der Versi-cherer Aegon in den Niederlanden die „Knab“ (umgedreht „Bank“) ge-gründet, eine Internetbank, die ne-ben umfangreichen Onlinetools auch eine intensive persönliche Beratung anbietet – zum Beispiel via Videotele-fonie. Der Service hat allerdings sei-nen Preis, nämlich eine Pauschale von 15 Euro im Monat. Dafür gibt es keine (versteckten) Gebühren.

Wird Banking fairer werden? Vermutlich auch das. Die Digitalisie-rung macht Preise vergleichbarer – dem müssen sich die Banken stellen. Bei der britischen Barclays können sich die Kunden per App-Logik be-stimmte Dienstleistungen für eine bestimmte Zeit hinzubuchen. Gegen ein paar Pfund Gebühr kann man dann während des USA-Urlaubs so oft Geld abheben, wie man will. Weitere Kosten fallen keine an, böse Überra-schungen beim Blick auf den nächs-ten Kontoauszug bleiben aus.

Wird Banking billiger? Zumin-dest geht die Tendenz dahin, dass der Kunde angemessenere Preise zahlt für Dienste, die er nutzt – anstelle von zweifelhaften „Ausgabeaufschlägen“ beim Kauf eines Investmentfonds. „Die allermeisten Bankservices wer-den in den nächsten Jahren zu ‚Com-modities‘ werden“, sagt Bernegger – also zu 08/15-Dienstleistungen, die den Kunden kaum noch etwas kos-ten. „Das geht vom Aktienhandel über den Währungswechsel bis hin zum Geldabheben im Ausland.“

Gut zwei Stunden sind rum, Marc Bernegger muss los. „Die Welle beginnt“, sagt er noch, „der Tipping Point, ab dem die neuen Dienste sich bei der breiten Masse der Kunden durchsetzen werden, ist nicht mehr weit entfernt.“ Dann geht er. Eines der Banken-Start-ups, in die er investiert hat, sitzt in München. Dort will er noch vorbeischauen. Er nimmt die S-Bahn. Das geht am einfachsten.

glossarpeer­to­peer­lendingNormalerweise geht Geldverleihen so: Der Sparer bringt sein Geld zur Bank – und die verleiht es an Konsumenten oder Unternehmen. Auf Peer-to-Peer-Plattformen wird die Bank einfach umgangen. Der Vorteil: Die Marge ist höher. Der Nachteil: Der Sparer geht ins Risiko, weil beim „P2P“-Lending die Einlagen-sicherung wegfällt. Zu den großen deutschen Anbietern gehören Smava oder Auxmoney.

community BankingCommunity Banking setzt darauf, dass sich die Kunden untereinander und mit ihrer Bank über ihre finanziellen Angelegenheiten austauschen – damit man von-einander lernt und gemeinsam bessere Services entwickelt. In Deutschland ver-folgt vor allem die Fidor Bank diesen Ansatz. Die große Frage wird sein, ob Geld wirklich ein Thema ist, über das Menschen in sozialen Netzwerken reden wollen.

personal Finance managerPersonal Finance Manager sind die Haushaltsbücher des Digitalzeitalters – und sollen dem Kunden helfen, seine Finanzen besser in den Griff zu bekommen. Vorreiter sind die USA, wo Dienste wie Simple, Mint oder Smartypig immer mehr Anhänger finden. Auch in Deutschland bieten inzwischen erste Banken solche Apps an, zum Beispiel die Commerzbank-Tochter Comdirect.

social tradingFrüher kursierten Aktiengerüchte auf dem Börsenparkett – heute im Internet. Die Kölner Firma Stockpulse behauptet, dass Kleinanleger davon profitieren können. Das Unternehmen wertet nach eigenen Angaben Nachrichtenschnipsel aus, die in sozialen Netzwerken zu bestimmten Aktien, Rohstoffen oder Indizes kursieren. Angeblich lassen sich daraus Schlüsse auf den weiteren Kursverlauf ziehen.

crowdFundingAuf Crowdfunding-Plattformen wie seedmatch.de oder bergfuerst.com können viele kleine Geldgeber ein Start-up-Unternehmen finanzieren. In der Regel wer-den sie damit zu stillen Gesellschaftern – das heißt, sie besitzen zwar Anteile, haben aber keinen Einfluss auf das Unternehmen. Kleinanleger sollten vorsichtig sein. Schwarmfinanzierung klingt zwar sympathisch, ist aber ein hochriskantes Investment.

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