18
Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen III/2010 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen -8- GESAMTSCHULEN IN NORDRHEIN-WESTFALEN Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld Gelsenkirchener „Eliteschule des Fußballs“ kooperiert seit 10 Jahren mit Schalke 04 Mesut Özil, Manuel Neuer und der für Kamerun spielende Joel Ma- tip - gleich drei Schüler der Gesamtschule Berger Feld kamen bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika zum Einsatz. Das ist kein Zufall, denn seit nunmehr zehn Jahren besteht die äußerst erfolgreiche Kooperation zwischen der Gelsenkirchener Gesamtschule und dem Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04. Die Nominierungen für das Turnier in Südafrika, der sportliche Erfolg sowie das positive Auftreten der Deutschen Mannschaft führten dazu, dass im Sekretariat der „Eliteschule des Fußballs“ kurz vor den Sommer- ferien täglich mehrere Anfragen von Journalisten eingingen, die sich auf Spurensuche der inzwischen berühmten Schüler begeben wollten. Im Vordergrund dabei: Mesut Özil, in Gelsenkirchen geborener Mittelfeld- akteur mit türkischen Wurzeln. „Mesuts Talent war früh erkennbar.“ Im Jahr 2000 kam er zur Gesamt- schule Berger Feld und schloss die Sekundarstufe I im Jahr 2006 erfolgreich ab. „Mesuts Fußball- Talent war schon im 5. Jahrgang erkennbar, wenn er bei Klassen- turnieren reihenweise die Gegner ausspielte und dann vor dem Tor uneigennützig abspielte“, erinnert sich Christian Krabbe, der wäh- rend der gesamten Zeit am Ber- ger Feld sein Klassenlehrer war und auch heute regelmäßig freundschaft- lichen Kontakt zu Mesut und seiner Familie hat. Der Werdegang von Mesut Özil zeigt allerdings, dass der Spagat zwi- schen Leistungsfußball einerseits und schulischen Anforderungen ande- rerseits nicht immer gerade verläuft. Sportlich erschien er Schalke 04 – dem Partnerverein der Schule – zu- nächst nicht stark genug zu sein, und so gelangte er über RW Essen erst Christian Krabbe, langjähriger Klassenlehrer von Mesut Özil.

Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Gesamtschulein Nordrhein-Westfalen III/2010 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen

- 8 -

GESAMTSCHULEN IN NORDRHEIN-WESTFALEN

Christian Krabbe

Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger FeldGelsenkirchener „Eliteschule des Fußballs“ kooperiert seit10 Jahren mit Schalke 04

Mesut Özil, Manuel Neuer und der für Kamerun spielende Joel Ma-tip - gleich drei Schüler der Gesamtschule Berger Feld kamen bei derFußball-Weltmeisterschaft in Südafrika zum Einsatz. Das ist keinZufall, denn seit nunmehr zehn Jahren besteht die äußerst erfolgreicheKooperation zwischen der Gelsenkirchener Gesamtschule und demFußball-Bundesligisten FC Schalke 04.Die Nominierungen für das Turnier in Südafrika, der sportliche Erfolgsowie das positive Auftreten der Deutschen Mannschaft führten dazu,dass im Sekretariat der „Eliteschule des Fußballs“ kurz vor den Sommer-ferien täglich mehrere Anfragen von Journalisten eingingen, die sich aufSpurensuche der inzwischen berühmten Schüler begeben wollten. ImVordergrund dabei: Mesut Özil, in Gelsenkirchen geborener Mittelfeld-akteur mit türkischen Wurzeln.

„Mesuts Talent war früh erkennbar.“Im Jahr 2000 kam er zur Gesamt-schule Berger Feld und schlossdie Sekundarstufe I im Jahr 2006erfolgreich ab. „Mesuts Fußball-Talent war schon im 5. Jahrgangerkennbar, wenn er bei Klassen-turnieren reihenweise die Gegnerausspielte und dann vor dem Toruneigennützig abspielte“, erinnertsich Christian Krabbe, der wäh-rend der gesamten Zeit am Ber-ger Feld sein Klassenlehrer war und auch heute regelmäßig freundschaft-lichen Kontakt zu Mesut und seiner Familie hat.Der Werdegang von Mesut Özil zeigt allerdings, dass der Spagat zwi-schen Leistungsfußball einerseits und schulischen Anforderungen ande-rerseits nicht immer gerade verläuft.Sportlich erschien er Schalke 04 – dem Partnerverein der Schule – zu-nächst nicht stark genug zu sein, und so gelangte er über RW Essen erst

Christian Krabbe,langjähriger Klassenlehrer von Mesut Özil.

Page 2: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Christian KrabbeÖzil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld

- 9 -

spät zu den „Königsblauen“. Schulisch waren wegen der Belastungendurch Training und Auswahlspiele zusätzliche Unterrichtseinheitenunumgänglich. Mesut Özil konnte dabei jedoch von der damals neugeschaffenen Kooperation der Gesamtschule Berger Feld mit Schalke 04profitieren.

Dreimal zusätzliches Training am VormittagUm den angehenden Fußballprofis noch mehr Trainingszeiten zu ermög-lichen, stellt Schalke 04 an drei Vormittagen Trainer und Sportstätten zurVerfügung. Die für diesen Zweck ideale Lage der Schule als direkterNachbar von Trainingsgelände und der Arena AufSchalke ermöglicht imwahrsten Sinn des Wortes „kurze Wege“.Nach jeweils zwei Stunden Unterricht stehen für die Fußballer am Diens-tag, Donnerstag und Freitag in der 3. und 4. Stunde die Trainingszeitenauf dem Plan. Die großen Pausen vorher und nachher werden für denkurzen Fußweg zum Trainingsgelände genutzt. Anschließend nehmenalle wieder am regulären Unterricht teil.Für Mesut Özil und seine Klasse bedeutete das eine Anpassung im Stun-denplan: Sport, Kunst und Übungsstunden zum Erledigen von Hausauf-gaben standen während der parallel stattfindenden Trainingseinheiten an.Die durch das Training, durch Auswahlspiele oder aber Lehrgänge derDFB-Jugendteams ausgefallenen Unterrichtseinheiten wurden durchKompensationsstunden aufgefangen.

Inzwischen zwei Sportklassen pro JahrgangZur weiteren Optimierung wurden an der Gesamtschule Berger Feldinzwischen von Jahrgang 5 aufbauend Sportklassen eingerichtet. Jeweilszwei Klassen pro Jahrgang haben an den drei Trainingstagen Doppel-stunden im Fach Sport. Externe Schüler, die im Laufe der Sekundarstufe Iaufgrund ihres Wechsels zu einer Jugendmannschaft von Schalke 04aufgenommen werden, können nun noch unproblematischer integriertwerden. Für entfernt wohnende Spieler steht das Teilinternat zur Verfü-gung, gegebenenfalls übernimmt ein Fahrdienst des Vereins den Trans-port zur Schule.

Koordination von Schule & SchalkeAbsprachen zwischen Schule und Fußballverein liegen seit vielen Jahrenin den Händen von Fußballkoordinator Arthur Preuß.

Page 3: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Gesamtschulein Nordrhein-Westfalen III/2010 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen

- 10 -

Er stellt den regelmäßigenKontakt zu Trainern undVerantwortlichen bei Schal-ke 04 her und organisiert dieAbstellung der Jungprofis fürSchultermine. Ferner koordi-niert er Beratungsgesprächebei der Auswahl neuer Kandi-daten für die „FußballschuleAufSchalke“.Die umfangreichen Anforde-rungen des Fußballprojektsmachten es erforderlich, denSportbereich auf eine nochbreitere Basis zu stellen. Soverfügt die GesamtschuleBerger Feld mit Mike Dierig über einen Sportlehrer, der zugleich Fuß-balllehrer mit entsprechender DFB-Lizenz ist. Zudem sind ConnyNeumann und Jochen Herrmann als Sport-Koordinatoren tätig, so dassder Mädchenfußball der Schule inzwischen erste Erfolge brachte.Zuletzt sorgte Alexandra Popp, bis Sommer 2010 Oberstufenschülerin im12. Jahrgang am Berger Feld, bei der diesjährigen U20-Weltmeisterschaftin Deutschland mit ihren zahlreichen Toren ebenfalls für Furore. Auch inihrem Fall bot die Schule die Möglichkeit der Trainingsbeteiligung amVormittag. Die Kompensation von versäumten Unterrichtsstunden in derOberstufe galt es vor dem Hintergrund der erheblichen sportlichen Belas-tung durch A-Nationalmannschaft, Frauen-Bundesliga, DFB-Pokal undChampions League zu organisieren.

Joel Matip: Erst Abitur, dann zur WMGleiches trifft für den Schalker Jungprofi Joel Matip zu, der neben dersportlichen Seite (Bundesliga-Einsätze und Berufung in die National-mannschaft Kameruns) schulisch ebenfalls Bestleistungen ablegte. We-gen der WM-Termine und der entsprechenden Vorbereitung musstensogar Prüfungstermine des Abiturs mit Sondergenehmigung vorverlegtwerden.„Uns ist an einer ganzheitlichen Entwicklung der Fußball-Schülerinnenund -Schüler gelegen“, betont Schulleiter Georg Altenkamp eines derGrundanliegen des Projekts.

Erfolgreiche Arbeit am Berger Feld:Fußball-Koordinator Arthur Preuß mit den Profis Sebasti-an Boenisch (l.) und Mesut Özil (r.) nach dem Gewinn der

Deutschen A-Jugend-Meisterschaft im Jahr 2006.

Page 4: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Christian KrabbeÖzil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld

- 11 -

Ganzheitliche Erziehung statt StarkultDie Kicker sollen im Schulalltag so wenig wie möglich auffallen. Auchfür sie gelten die gleichen Regeln wie für die anderen rund 1400 Schüle-rinnen und Schüler – eine klare Absage an den Starkult oder Ansätze vonArroganz nach guten Leistungen auf dem Fußballplatz. Vor allem daraufist man am Berger Feld stolz. Und auch die Fußballprofis wissen dieseGewichtung von schulischen Leistungsanforderungen bei gleichzeitigerUnterstützung der Entwicklung einer Persönlichkeit zu schätzen.

Schulleiter Georg Altenkamp freut sich über den Erfolg seiner Schüler. (Foto: Martin Möller, WAZ)

Zum 40-jährigen Schuljubiläum in diesem Jahr gab es daher nicht nur dieGlückwünsche der inzwischen international begehrten Profis. Nebeneiner finanziellen Unterstützung für den Förderverein erhielt die Schulesignierte Trikots von Mesut Özil und Manuel Neuer. „Danke für alles!“,lautet die Widmung des Nationaltorwarts, der gerne einmal an alterWirkungsstätte vorbeischaut, wenn es der Terminkalender erlaubt.Etwa einhundert hoch talentierte Fußballer haben inzwischen die Fuß-ballschule AufSchalke durchlaufen. Viele von ihnen haben den Sprung inden Profibereich geschafft, doch gab es immer wieder auch Rückschlägefür einzelne Spieler. „Bei Mesuts Mitschülern hat man gesehen, wieschnell der Traum, Fußballprofi zu werden, platzen kann“, sagt ChristianKrabbe, der weitere Schalker Talente in der Klasse unterrichtete. Wäh-

Page 5: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Gesamtschulein Nordrhein-Westfalen III/2010 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen

- 12 -

rend Marvin Pachan bei S04 einen Vertrag unterzeichnete und auch TimoBrauer über RW Essen den Einstieg in den bezahlten Fußball fand, lief esfür einen anderen Klassenkameraden nicht optimal. Nach einem Kreuz-bandriss fand er sportlich nicht mehr den Anschluss.

Zahlreiche Schüler sind inzwischen ProfisDie Liste der erfolgreichen Profi-Spieler ist dennoch beachtlich: DieGesamtschule Berger Feld besuchte auch Sebastian Boenisch, der mitWerder Bremen den DFB-Pokal holte und gemeinsam mit Mesut Özilund Manuel Neuer U21-Europameister wurde.Zum Schalker Kader gehören derzeit die (ehemaligen) Schüler: TimHoogland, Alexander Baumjohann, Benedikt Höwedes, Danny Latza,Marvin Pachan, Joel Matip, Predrag Stevanovic, David Loheider sowie inder Regionalliga (S04 II) Jeffrey Volkmer, Richard Weber und AndreasWiegel. Hinzu kommen etliche Spieler, die im Ausland Erfahrungen inder 1. Liga sammelten: Volkan Ünlü (Türkei), Fabian Lamotte (Öster-reich), Michael Delura (Griechenland) sowie weitere Spieler im Kadervon Bundesligavereinen: Ralf Fährmann (Frankfurt), Niklas Andersen(Bremen) und Charles Takyi (St. Pauli).

Anfragen zum Modell auch aus dem AuslandDurch den Erfolg treffen nicht nur aus Nordrhein-Westfalen, sondernbundesweit und sogar international Anfragen zum Konzept und derinhaltlichen Ausgestaltung ein.Besuche - unter anderem aus England, Dänemark, den Niederlanden,Irland und selbst aus China - münden dann häufig in Austauschmaßnah-men mit der Gesamtschule Berger Feld. Für die Präventionsarbeit lassensich die Jungprofis ebenfalls als Vorbilder nutzen. Der Fußball verknüpftauf diese Weise weitere Schwerpunkte der Schule: Internationale Begeg-nungen und Präventionsarbeit.Weitere Informationen zur Schule unter:

www.gesamtschule-berger-feld.de

Am 18.08.2010 – ein Tag vor Fertigstellung der Druckvorlage - liest man in der WR:

Real Madrid lässt Bremen keine WahlEin Jahr vor Ablauf seines Vertrages bei Werder unterschreibt MesutÖzil einen neuen beim spanischen Top-Klub Real Madrid. Real zahltrund 15 Millionen Euro Ablöse. …http://www.derwesten.de/sport/fussball/Real-Madrid-laesst-Bremen-keine-Wahl-id3574489.html

Page 6: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Jupp Asdonk, Sebastian Boller, Michaele Geweke, Hans Kroeger, Gabriele ObstDeutscher Schulpreis für das Oberstufen-Kolleg

- 13 -

Jupp Asdonk, Sebastian Boller, Michaele Geweke, Hans Kroeger, Gabriele Obst

Deutscher Schulpreis für das Oberstufen-KollegOberstufen-Kolleg ist Gewinner in der Kategorie „Leistung“

„Den ersten Preis in der Kategorie ‚Leistung’ erhält: das Oberstufen-Kolleg Bielefeld!“. Sandra Maischberger, Moderatorin der festlichenVerleihung des Deutschen Schulpreises 2010 am 9. Juni in Berlin, hatteden Satz kaum vollendet, als lauter Jubel ausbrach. Die Mitglieder derDelegation des Oberstufen-Kollegs, die zur Preisverleihung nach Berlingefahren war, und mehr als 200 Schüler/innen und Lehrer/innen vor einergroßen Leinwand mitten im Oberstufen-Kolleg freuten sich über dieAuszeichnung ihrer Schule.Diesem aufregenden Ereignis war ein längerer Prozess vorangegangen.Bereits im Jahr 2006 hatten wir uns ein erstes Mal um den Schulpreisbeworben, jedoch nicht so gut wie erhofft abgeschnitten. Dennoch ent-schloss sich das Oberstufen-Kolleg, es im Jahr 2010 erneut zu versuchen.Seit 2006 war in der Versuchsschule schließlich viel passiert [vgl. Ober-stufen-Kolleg 2006], wir hatten intensiv an einem Schulentwicklungsplangearbeitet, uns in vielen Bereichen verbessert und waren nun bereit, unserneut dem Urteil einer kritischen Jury zu stellen.Aus den insgesamt 162 Bewerbungen wählte die Jury zunächst 50 unddanach 20 Schulen aus, die anschließend von einem Team aus Wissen-schaftler/innen, Schulpraktiker/innen und Vertretern der Robert-Bosch-Stiftung zwei Tage lang ‚auf Herz und Nieren geprüft’ wurden. DasBesuchsteam war von der Lernatmosphäre der Versuchsschule inspiriertund gab dem Oberstufen-Kolleg nach dem zweiten Besuchstag eine sehrermutigende Abschlussrückmeldung. Nach weiteren Wochen erhieltenwir die Mitteilung, dass wir unter den 15 für den Deutschen Schulpreisnominierten Schulen seien und am 8. Juni 2010 zur Preisverleihung nachBerlin fahren dürften.Die Auszeichnung in der Kategorie „Leistung“ stellt für uns eine großeund – wie wir meinen, verdiente – Anerkennung unserer über 35jährigenArbeit als Versuchsschule dar. Seit der Gründung des Oberstufen-Kollegsgelingt es, Schüler/innen aus unterschiedlichen Kulturen und mit vielfäl-tigen und verschlungenen Bildungsbiografien zum Abitur zu führen, sieindividuell zu fördern und in ihrer Interessenentwicklung zu stärken.

Page 7: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Gesamtschulein Nordrhein-Westfalen III/2010 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen

- 14 -

Diese Verdienste würdigt die Laudatio der Jury:

„Das Bielefelder Oberstufen-Kolleg hat für den Übergang von der Schulstube zur‚Gelehrtenrepublik’ beispielgebende pädagogische Strukturen erfunden, in jahrzehnte-langer Entwicklung erprobt und erneuert. Eigenständigkeit und Zusammenarbeit,selbstkritische Beurteilung des eigenen Leistungsvermögens und die Bereitschaft, fürden eigenen Lernweg einzustehen – das sind Kompetenzen, die hier erworben werdenmüssen. Das Oberstufen-Kolleg setzt auf den Bildungswillen und die Eigenverantwor-tung seiner Kollegiaten, es fordert sie und ihre Zusammenarbeit bei welthaltigenkomplexen Themen, ihrer Erschließung und Präsentation- vom ‚Männerbild im Islam’bis zur ‚Pflanzenwelt der Hallig Hooge’. Diese Oberstufe hält ihre Türen bewusst undgezielt offen – nicht nur für ‚Quereinsteiger’ aus der Berufswelt, sondern ebenso für‚Queraussteiger’, die gegebenenfalls erkennen, dass ihr individueller Weg zur Mündig-keit nicht in die akademische Ausbildung, sondern unmittelbar in die Berufswelt führt.“

Die Auszeichnung mit dem Deutschen Schulpreis sehen wir - nichtzuletzt vor dem Hintergrund der nicht immer einfachen Verhandlungenmit dem nordrhein-westfälischen Schulministerium - als große Bestäti-gung für unsere pädagogische Konzeption und Praxis.

Versuchsschule und InnovationswerkstattDas Oberstufen-Kolleg nahm seine Arbeit im Jahre 1974 als Versuchs-schule des Landes Nordrhein-Westfalen auf. Seit seiner Neuausrichtungin den Jahren 2001/02 entwickelt die Einrichtung gemäß dem Schulent-wicklungsmotto „Vielfalt nutzen, Kompetenzen entwickeln, andere Wegezum Abitur gehen, auf Studium und Beruf vorbereiten“ Konzepte desLernens und Lehrens für heterogene Lerngruppen in der Sekundarstufe II.Ein wichtiges Charakteristikum der Einrichtung ist das Lehrer-Forscher-Modell, das den Lehrer/innen der Versuchsschule zugleich den Auftragund die Möglichkeit eröffnet, ihren eigenen Unterricht zu reflektieren undzum Gegenstand von Forschung, Evaluation und Entwicklung zu ma-chen.

Schulklima, Schulleben und KooperationenViele unserer Besucher/innen sind von der freundlichen, offenen undwohlwollenden Atmosphäre im Oberstufen-Kolleg beeindruckt. Gemeintist damit sowohl der soziale Umgang zwischen Lehrer/innen und Kolle-giat/innen und zwischen den Kollegiat/innen als auch die Offenheitunseren Besucher/innen gegenüber. Diese Offenheit spiegelt sich in derarchitektonischen Gestaltung des Schulgebäudes wider: Der Großraummit offenen Lernbereichen auf drei „Feldern“, frei zugängliche Lehrerar-beitsplätze, ebenso offene Arbeitsplätze im ganzen Haus für Kollegia-

Page 8: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Jupp Asdonk, Sebastian Boller, Michaele Geweke, Hans Kroeger, Gabriele ObstDeutscher Schulpreis für das Oberstufen-Kolleg

- 15 -

tinnen und Kollegiaten, eine Cafeteria, das „Kulturcafé“, offene Türen,helle Farben und viel Licht in allen Räumen prägen das Gebäude.Kollegiat/innen und Lehrer/innen betrachten ein anregendes Schul- bzw.Lernklima als wichtigen Faktor für Lernen und Lehren. Aus jährlichenBefragungen wissen wir, dass unsere Kollegiat/innen dem Oberstufen-Kolleg in dieser Hinsicht ein sehr gutes Zeugnis ausstellen. Sie schätzen,dass es gelingt, sehr unterschiedliche Gruppen zu integrieren, dass dasLehrer-Schüler-Verhältnis wenig hierarchisch und von wechselseitigerAnerkennung geprägt und dass auch das Verhältnis der Kollegiat/innenuntereinander sehr positiv ist.

Lernen im Großraum

Lernen und LeistungenAls Versuchsschule haben wir den Auftrag, Schüler/innen unterschiedli-cher Vorbildung zur allgemeinen Hochschulreife zu führen. Die Bewer-ber/innen kommen von sehr verschiedenen Schulformen (v.a. Realschu-len, Hauptschulen, Berufsschulen, Gesamtschulen, Gymnasien, Labor-schule) oder haben bereits eine Berufsausbildung absolviert. 38,9% derBewerber/innen der Aufnahmejahrgänge 2004 bis 2008 wurden ohneQualifikationsvermerk für die gymnasiale Oberstufe aufgenommen.

Page 9: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Gesamtschulein Nordrhein-Westfalen III/2010 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen

- 16 -

Besonders wichtig ist uns, dass wir viele Schüler/innen aufnehmen, derenFamilien eine Migrationsgeschichte haben.

Unsere pädagogische Praxis orientiert sich an einem umfassenden Leis-tungsbegriff. Den gesellschaftlichen Entwicklungen im 21. Jahrhundertund den damit verbundenen Folgen – z. B. zunehmende Heterogenität,Mediatisierung, neue Kommunikationsformen, soziale Ungleichheit undsteigende Anforderungen an das Individuum, v. a. in der Berufsausbil-dung, – stellt sich das Oberstufen-Kolleg mit seiner besonderen Konzep-tion des Lernens und Lehrens. Gemäß dem Motto Hartmut von Hentigs„Die Menschen stärken, die Sachen klären“ sind die umfassende Förde-rung aller lebens- und berufsrelevanten Kompetenzen und die Stärkungder Persönlichkeit junger Erwachsener wesentliche Ziele unserer Arbeit.Gefördert wird ein Lernen, das in hohem Maße auf Selbstständigkeit undEigenverantwortlichkeit zielt. Alternative Formen der Leistungsbewer-tung wie das Portfolio, Übergangs- und Prüfungskolloquien sind für denAusbildungsgang von zentraler Bedeutung.Ein wichtiger Erfolg des Oberstufen-Kollegs ist, dass wir einen großenTeil der so heterogen zusammengesetzten Schülerschaft zum Abiturführen. Mehr als jede/r zweite Schüler/in ohne Qualifikationsvermerk derJahrgänge 2004 und 2005 hat die Ausbildung mit dem Abitur abgeschlos-sen. Das Oberstufen-Kolleg nimmt seit 2008 am Zentralabitur des Landes

Page 10: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Jupp Asdonk, Sebastian Boller, Michaele Geweke, Hans Kroeger, Gabriele ObstDeutscher Schulpreis für das Oberstufen-Kolleg

- 17 -

Nordrhein-Westfalen im Bereich der Leistungskurse teil. Die Ergebnisseder ersten beiden Durchläufe zeigen, dass unsere Schüler/innen gut mitden Leistungen der Schüler/innen der gymnasialen Oberstufen mithaltenkönnen und in einigen Fächern sogar deutlich besser abschneiden. Indemdas Oberstufen-Kolleg auch Leistungsschwächeren und Schüler/innenaus bildungsfernen Familien den Weg zu höherwertigen Bildungsab-schlüssen eröffnet, trägt es zu einer größeren Bildungsgerechtigkeit bei.

Beratung und individuelle Förderung: ein BeispielDa das Oberstufen-Kolleg Bewerbe-rinnen und Bewerber mit sehr unter-schiedlichen Vorkenntnissen und Kom-petenzen aufnimmt und jeder Bildungs-gang einzigartig ist, sind Diagnose,Beratung und individuelle Förderungwichtige Elemente unserer Lernpro-zessbegleitung, die sich über den ge-samten Ausbildungsverlauf erstreckt. Im Folgenden stellen wir das För-der- und Beratungssystem des Oberstufen-Kollegs anhand einer exempla-rischen Beratungssituation kurz vor.

Donnerstagnachmittag, 14:30 Uhr im Besprechungsraum der Schule:Die Pädagogische Leiterin hat zum monatlichen Treffen des Beratungsteams eingela-den. Am Tisch sitzen die vier Laufbahnberater/innen, die Schulsozialarbeiterin, dieJahrespraktikantin, die schulpsychologische Beraterin und der Koordinator für indivi-duelle Förderung. Hauptpunkt der Tagesordnung ist die Besprechung von Einzelfällen.Heute geht es unter anderem um eine Kollegiatin der 12. Jahrgangsstufe – nennen wirsie Sabine.

Sabine kam nach einer abgeschlossenen Lehre ohne Qualifikationsvermerk für diegymnasiale Oberstufe an das Oberstufen-Kolleg – sie hat deshalb an einigen Stellenmit fachlichen Defiziten zu kämpfen und muss mehr tun als andere. Sie hat seit einigerZeit Lernschwierigkeiten, die durch außergewöhnliche familiäre Belastungen verur-sacht sind. Sie ist dadurch physisch und psychisch sehr beansprucht und der Druck inder Qualifikationsphase nimmt auch noch zu: Da jetzt der erfolgreiche Abschluss desSchulhalbjahres gefährdet ist, hatte Sabine ihre Tutorin aufgesucht. Die Lehrerin kenntSabine seit fast zwei Jahren und steht ihr als persönliche Ansprechpartnerin zur Seite.Durch regelmäßige Gespräche auf der Grundlage des Ausbildungsportfolios hat sieeinen guten Überblick über den Lernstand ihrer Tutandin.

Noch am selben Tag informiert die Tutorin die zuständige Laufbahnberaterin, dieInformationen zum aktuellen Ausbildungsstand der Kollegiatin einholt. Da mehrereLehrer/innen Anwesenheitsprobleme und schwache Kursleistungen rückmelden, lädt

Page 11: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Gesamtschulein Nordrhein-Westfalen III/2010 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen

- 18 -

die Laufbahnberaterin zu einer pädagogischen Konferenz ein, an der neben denLehrer/innen auch die Schulsozialarbeiterin, Sabine und ihre Tutorin teilnehmen. Nacheinem ausführlichen Gespräch werden gemeinsam mit der Kollegiatin Vereinbarungengetroffen und in der Kollegiatenakte festgehalten.

In diesem Rahmen erarbeitet der Koordinator für individuelle Förderung in Absprachemit Sabine einen an ihren Ressourcen orientierten Unterstützungs- und Zeitplan undstellt die Kontakte zu den entsprechenden Förder- und Beratungsangeboten derSchule her. Den größten Teil des versäumten Lernstoffes kann Sabine in Absprachemit ihren Kurslehrenden selbstständig nachholen. In Mathematik benötigt sie besonde-re Unterstützung und wird deshalb regelmäßig das Lernbüro Mathematik aufsuchen,das wöchentlich von einem Team aus Lehrer/innen und fachlich versierten Kollegi-at/innen angeboten wird.

Mit den Mitarbeiterinnen der Schulsozialarbeit überlegt Sabine, wie sich die ange-spannte häusliche Situation zumindest mildern lässt. Die Kollegiatin ist zwar schonvolljährig, doch ohne die Einbeziehung der Familie dürften sich die schulischenProbleme kaum lösen lassen. Auch die Beantragung eines Wohnheimplatzes wird inErwägung gezogen. Dabei könnte die Jahrespraktikantin behilflich sein.

Da Sabine aufgrund ihrer vielfältigen Belastungen seit einiger Zeit unter Schlafstörun-gen leidet und deshalb oft unpünktlich zum Unterricht erscheint, sucht sie die schul-psychologische Beratung auf. Die Beraterin hilft ihr, ihren Tagesablauf zu strukturierenund Schule, Familie und Freizeit besser auszubalancieren.

Zurück zur Sitzung des Beratungsteams: Hier wird nun besprochen, ob die vereinbar-ten Fördermaßnahmen greifen und ob sich Sabines Ausbildungssituation verbesserthat. In diesem Fall ist alles gut gegangen: Im Gespräch mit den Eltern konnten diefamiliären Belastungen auf ein vertretbares Maß reduziert werden; mit Hilfe desFörderplans hat Sabine die Möglichkeit, den versäumten Lernstoffs nachzuarbeitenund wird hoffentlich alle Kurse im laufenden Semester erfolgreich abschließen.

Der geschilderte Fall zeigt exemplarisch das Prinzip, das hinter demvielfältigen Beratungs- und Förderangebot des Oberstufen-Kollegs steht:durch die Vernetzung der Angebote werden krisenhafte Ausbildungsver-läufe rechtzeitig in den Blick genommen und individuelle Lösungengesucht. Im Mittelpunkt aller Bemühungen steht der individuelle Lern-weg der einzelnen Kollegiatin bzw. des einzelnen Kollegiaten, der inenger Absprache mit allen Beteiligten so optimal wie möglich gestaltetwerden soll.

Wie geht es weiter?Eine Versuchsschule muss lernfähig bleiben, sonst verfehlt sie ihre Auf-gabe. Lernen bedeutet für uns deshalb auch, eingefahrene Wege zu ver-lassen, Fragen zu stellen und bereit zu sein, die Antworten zum Aus-gangspunkt neuer Lernschritte zu machen. Vor diesem Hintergrund ist

Page 12: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Jupp Asdonk, Sebastian Boller, Michaele Geweke, Hans Kroeger, Gabriele ObstDeutscher Schulpreis für das Oberstufen-Kolleg

- 19 -

das Interesse zu verstehen, die Meinung von Expert/innen zu zentralenFragen der Konzeption und der praktischen Arbeit der Einrichtung einzu-holen:

Ist das besondere Bildungskonzept der Versuchsschule tragfähig?

Sind die Institutionsziele Chancengleichheit und besondere Studier-fähigkeit vereinbar und angemessen?

Ist die Abstimmung von Versuchsschule und den Tätigkeiten in Eva-luation, Entwicklung und Forschung trag- und zukunftsfähig?

Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, stellte sich das Oberstufen-Kolleg 2005 den Fragen einer Kommission „kritischer Freunde“ (Peers)aus den Bereichen Wissenschaft, Schule und Bildungspolitik, die demKollegium ihre Eindrücke in Form eines Berichts und einer Reihe vonEmpfehlungen zurückmeldete [vgl. Bos u.a. 20059. Das für Herbst 2010geplante zweite Peer-Review-Verfahren wird zeigen, wie weit das Ober-stufen-Kolleg Kritik und Empfehlungen umsetzen konnte. Die besondereBedeutung beider Peer-Review-Verfahren liegt darin, dass das Oberstu-fen-Kolleg bereit ist, sich selbst – wortwörtlich – in Frage zu stellen, sichdem Blick externer Expert/innen auszusetzen und deren Empfehlungenfür weitere Entwicklungsschritte zu nutzen.

LiteraturBos, W./Lange, H./ Langer, C./ Menzel-Prachner, C./ Oelkers, J./ Risse, E.:

Peer Review Oberstufen-Kolleg Bielefeld. Abschlussbericht.Unveröffentlichtes Manuskript. Zürich. (2005)

Oberstufen-Kolleg BielefeldSchulentwicklungsplan 2006-2012. Heterogenität. Vielfalt nutzen, Kompetenzen,entwickeln, andere Wege zum Abitur gehen, auf Studium und Beruf vorbereiten.Bielefeld. (2006)Schulentwicklungsplan online unter:www.uni-bielefeld.de/OSK/NEOS_Organisation/schulentwicklung.html

Page 13: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Gesamtschulein Nordrhein-Westfalen III/2010 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen

- 20 -

Preisträger des Deutschen Präventionspreises 2010:Fritz-Winter-Gesamtschule in Ahlen

Der für das Jahr 2010 vom Bundesministerium für Gesundheit, derManfred Lautenbacher Stiftung und der Bundeszentrale für gesundheit-liche Aufklärung vergebene Deutsche Präventionspreis 2010 geht nachAhlen im Kreis Warendorf. Die dortige Fritz-Winter-Gesamtschule hatihn als einzige Schule in Nordrhein-Westfalen gewonnen.

Alois Brinkkötter„Begeisterung ist der Atem des Lebens“Zum Gewinn des Deutschen Präventionspreises 2010

Kinder und Jugendliche für eine gesunde Lebensführung begeisternDas tägliche Mittagessen in der Fritz-Winter-Gesamtschule ist eine kleineHerausforderung. Nicht nur, dass Tag für Tag zwischen 500 und 600Kinder und Jugendliche zu Mittag essen, nein, die komplette Übermittag-versorgung liegt in der Hand des Mensavereins, der überwiegend ausEltern besteht. Sie haben einen Vertrag mit dem Schulträger, der StadtAhlen, geschlossen und einen Caterer mit der Lieferung im Verfahren„cook & chill“ beauftragt. Zuvor haben sie kräftig investiert und dieMensa so ausgestattet, dass sich alle Beteiligten rundum wohl fühlenkönnen.An bis zu sieben Stationen können sich Schülerinnen und Schüler selbstbedienen:

an der Salattheke mit 6 Salatkomponenten und zwei Salatsaucen,

an der Pastastation mit stets zwei Nudelsorten und zwei Saucen,davon eine stets vegetarisch,

an der Wok- und Gemüsestation mit täglich wechselndem Angebot,

an der Menüstation mit dem täglich wechselnden Hauptgericht,

an der Pizza- und Snackstation,

an der Dessertbar mit einem Obst- und einem weiteren Angebot,

an der Getränkestation mit einer Tafelwasseranlage und Fruchttee.Die Schülerinnen und Schüler können so lange und so viel essen, wie siemöchten, nur den Teller sollen sie stets leer machen. Abfälle sollen erstgar nicht entstehen. Im Obst- und Gemüsebereich werden ausschließlichBio-Produkte verwendet. Sie sind gesünder und erhöhen die Ge-

Page 14: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Alois Brinkkötter„Begeisterung ist der Atem des Lebens“

- 21 -

schmacksqualität. Die Konsumenten sollen so auf den Geschmack kom-men, gesunde Lebensmittel zu bevorzugen.Begleitet wird das tägliche Mittagessen von 30 Schülerinnen und Schü-lern in orangefarbenen Poloshirts. Sie sind das Personal, regeln die Ein-lasskontrolle mittels Laptop und Handscanner, stehen an den einzelnenStationen und sorgen für permanente Sauberkeit, sorgen für Reinlichkeitauf den Tischen, wenn mal etwas daneben geht und regeln auch dieGeschirr- und Besteckrückgabe, stehen an der Spülmaschine und tragenGeschirr und Besteck zu den einzelnen Stationen. Am Ende der Mittags-pause, nach 65 Minuten, sind alle Tische abgewischt und abgetrocknet,ist 98 Prozent des Geschirrs und Bestecks am alten Platz, und natürlichsind auch alle Stühle hochgestellt.Die Schülerinnen und Schüler erledigen das gern. Sie wissen, dass jedeKlasse einmal im Schuljahr für eine Woche diesen Gemeinschaftsdiensthat. Sie werden dann in der vorhergehenden Schulwoche von der Dip-lom-Ökotrophologin der Schule belehrt und eingewiesen – immer ver-bunden mit einer kleinen Begeisterungseinheit für gesunde Ernährung.Diese Fachfrau gehört zur Elternschaft der Schule und erhält eine kleinefinanzielle Anerkennung vom Mensaverein, da sie auch noch in den vierMittagspausen in der Mensa ist und die Kinder und Jugendlichen beglei-tet. Am Freitag findet immer auch eine Feedback-Runde statt. Die Erfah-rungen der Schülerinnen und Schüler sind wichtig.Das Essen selbst wird zum Teil von städtischem Personal zubereitet undzum Teil durch Mütter und Väter aus der Elternschaft, die dies ehrenamt-lich machen. Inzwischen ist der Kreis dieser Mütter und Väter auf etwa50 gewachsen, sodass täglich stets zwei bis drei Personen zur Verfügungstehen. Auch dieser Kreis wird von der Diplom-Ökotrophologin betreutund begleitet. Dreimal im Jahr werden diese Ehrenamtlichen vom Men-savorstand zum Frühstück, zu Kaffee und Kuchen oder zum Sektempfangeingeladen – als Ausdruck der Anerkennung und zum gleichzeitigenAustausch über alle Fragen, Nöte und Verbesserungsvorschläge. DieErfahrungen der Eltern sind wichtig.Damit nicht nur diese ehrenamtlich tätigen Mütter und Väter den direktenKontakt zur Schulverpflegung haben, findet jedes Jahr an einem Samstagim Mai ein Familienessen statt. Dann können sich die ganzen Familienmit ihren Kindern zum Essen anmelden, natürlich ebenfalls in Selbstbe-dienung mit Nachschlag so viel sie möchten. Überwiegend sind es dieEltern der zukünftigen Fünftklässler, die dieses Angebot nutzen. Der

Page 15: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Gesamtschulein Nordrhein-Westfalen III/2010 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen

- 22 -

Vorstand des Mensavereins ist an diesem Tag natürlich auch in derSchule und ebenso die Schulleitung, denn Kommunikation ist wichtigund erhöht die Transparenz.Die neuen Fünftklässler dürfen in der Zeit bis zu den Herbstferien schon20 Minuten früher in die Mensa, um im Klassenverband essen zu können.Diese Zeit nutzen die Lehrerinnen und Lehrer zusammen mit der Diplom-Ökotrophologin, um diesem Mittagsangebot die verdiente Wertschätzungzukommen zu lassen – natürlich nicht mit erhobenem Zeigefinger, son-dern einfühlsam mit der notwendigen individuellen Zuwendung.

Gemeinsam zum gelingenden MiteinanderFür den Erhalt des Deutschen Präventionspreises war die so gestalteteMittagsverpflegung natürlich nicht der einzige Grund. Sie ist aber eingutes Beispiel für die Art und Weise, wie in der Fritz-Winter-Gesamtschule vernetzt gedacht und gehandelt wird. Schülerinnen undSchüler stehen dabei im Mittelpunkt und übernehmen Verantwortung,Verantwortung für das eigene Wohlbefinden und für andere. Auch dieEltern- und Lehrerschaft bringen sich verantwortungsvoll ein und tragenwesentlich zum Gelingen bei. Die Schülerschaft dankt es. So ist dasSozialverhalten der Kinder und Jugendlichen in der Mensa vorbildlich,trotz der manchmal großen Enge in der Mensa.

Sozialpräventive ArbeitOb Doppel-Klassenlehrer- oder Patensystem, Peer-group-education-Modell mit Courage-team und Streitschlichtung oder Beratungslehrer jeJahrgangsstufe, Einzelberatung durch Sozialpädagoginnen oder dasLernberatungsbüro – den Schülerinnen und Schülern mit spezifischenBeratungsangeboten zur Seite zu stehen, gehört zu den Maximen derFritz-Winter-Gesamtschule. Und wenn die Grenzen der eigenen Mög-lichkeiten sichtbar werden, stehen viel Kooperationspartner zur Verfü-gung.

OasenbauEin nicht ganz so alltäglicher Baustein schulischer Präventionsarbeit istdie Schülerfirma „Oasenbau“ der Fritz-Winter-Gesamtschule, die sich füreine wohlgestaltete Lernumgebung einsetzt. Diese schuleigene Firma hatsich zum Ziel gesetzt, das komplette Schulgelände in Naturoasen zuverwandeln. Das „grüne Klassenzimmer“ ist das erste Arbeitsergebnis.Der Familien-Schulgarten steht kurz vor seiner Vollendung. Das nächsteProjekt ist auch bereits in Angriff genommen: Das Wäldchen im Südos-

Page 16: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Alois Brinkkötter„Begeisterung ist der Atem des Lebens“

- 23 -

ten der Schule wird zum Naturgarten mit einer Mager-Streuobst-Wiese,mit Trockenmauer und Nisthilfen für Vögel und Insekten, einem Teichals stehendes Gewässer im Vergleich zur Werse, dem Fließgewässer inunmittelbarer Nachbarschaft der Schule. So können Kinder und Jugendli-che den Duft selbst gezogener Blumen oder Kräuter genießen, Wachstumund Klimabedingungen bewusst erleben, Schönheit, aber auch Funktiona-lität der Natur erfahren. Das sind einige der Ziele, die mit der Umgestal-tung erreicht werden sollen. Der Aufenthalt im Grünen vermag Körperund Seele Gutes zu tun.Mit Konzeption und Gestaltung des Schulgeländes der Fritz-Winter-Gesamtschule werden den Kindern und Jugendlichen die Annäherungund der kreative Umgang mit der Natur ermöglicht, und gleichzeitigbietet sich die Gelegenheit, repräsentativ für die Schulgemeinde zu wir-ken. Längerfristig bietet sich auch die Möglichkeit an, im Schulgarten dieProduktion von Zier- und Nutzpflanzen für den schulischen Bedarf zubetreiben. Und natürlich sind auch die Eltern beteiligt. Sie greifen selbstzu Spaten und Gartenschere, bringen ihre beruflichen Kompetenzen mitein und nutzen anschließend den Familiengarten zum gemeinsamenGrillen.

SchulsanitätsdienstAuch da wo Gesundheit groß geschrieben wird, kommt es immer wiederzu kleinen oder auch größeren Verletzungen. In der Fritz-Winter-Gesamtschule ist dann immer schnell ein Schulsanitäter zur Stelle. SeitAugust 2008 gibt es diese ehrenamtlichen Helfer in der Schule. An jedemMontagvormittag wird ein Dienstplan für die laufende Woche erstellt.Hierzu treffen sich alle im Sanitätsraum, haben dort anschließend auchGelegenheit zum Austausch oder zur Übung.Die Schulsanitäterinnen und –sanitäter haben im Monat etwa 2 – 3 TageDienst und sind in Teams eingeteilt, vorzugsweise ein Mädchen und einJunge. An diesen Tagen sind sie von 8.00 Uhr morgens bis Unter-richtsende um 15.00 Uhr per Handy zu erreichen und decken außerdemihre „Dienstzeiten“ in der Frühstücks- und Mittagspause im Sanitätszim-mer ab.Die Ausrüstung wurde inzwischen komplettiert und eine Zahnbox, Beat-mungsmasken, ein Stethoskop und ein Blutdruckgerät angeschafft. Be-sonders stolz ist das Team jedoch auf die Anschaffung eines Defibrilla-tors. Dieser hängt seit etwa drei Monaten an einem zentralen Platz imFlur neben der Eingangstür. Mit etwa 1250 Schülerinnen und Schülern,

Page 17: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Gesamtschulein Nordrhein-Westfalen III/2010 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen

- 24 -

110 Lehrerinnen und Lehrern sowie zwei Sekretärinnen und Hausmeis-tern ist die Fritz-Winter-Gesamtschule ein ansehnlicher Betrieb. Da einHerzinfarkt längst keine Erscheinung nur bei älteren Menschen mehr ist,ist es sinnvoll, ein solches Gerät auch in der Schule zu haben. AlleSchulsanitäterinnen und –sanitäter, sowie einige Lehrerinnen und Lehrermit Erste-Hilfe-Ausbildung und die Koordinatorin des Schulsanitätsteamswurden in die Handhabung eingewiesen. Stark gemacht hatten sich dieSchulsanitäter für die Anschaffung, die mit über 1500 Euro nicht geradebillig war. Um die Kosten zu bestreiten, hat die Schule verschiedeneAktionen gestartet und wurde darüber hinaus von zahlreichen Sponsorender Stadt Ahlen finanziell unterstützt.Natürlich stehen diese Helfer auch bei jeder Schulveranstaltung zurVerfügung und unterstützen das Ärzteteam beim schuleigenen Blutspen-determin. Sie übernehmen ein großes Maß an Verantwortung

EigenverantwortungEngagement für den Lebensraum Schule und sozialer Einsatz in derSchule sind wesentliche Faktoren, die die Fritz-Winter-Gesamtschule invielen Bereichen prägen. Ohne eine entsprechende Umsetzung vonEigenverantwortung im Unterricht - beim fachlichen Lernen - wärejedoch die Aufgabe der Schule nicht erfüllt. In der Fritz-Winter-Gesamtschule wird mit einem Basistraining „Lernen lernen“, dem Aus-bau von Wochenplanarbeit und Projektarbeit sowie Förderstunden, dievor allem auf eigenverantwortliches Lernen abzielen, auch in diesemBereich darauf gesetzt, dass die Kinder und Jugendlichen ihre Fortschrittein die eigene Hand nehmen. Lernbegleitung durch das Lernberatungsbü-ro, Beratung und Hilfe durch Förderlehrerinnen und -lehrer sowie dasTeam der Doppelklassenlehrerinnen und -lehrer bieten dabei so vielUnterstützung wie nötig – immer im Bestreben, die Eigenverantwortungnicht abzunehmen…. und trotzdem natürlich dort, wo es nicht mehrweiter geht, ganz verantwortlich mit einem Hilfeangebot durch Bera-tungsinstanzen, Sozialpädagoginnen und Kooperationspartner einzu-schreiten.

Präventionspreis – wofür?In der Fritz-Winter-Gesamtschule machen viele Schülerinnen und Schü-ler in ganz unterschiedlichen Feldern die wichtige Erfahrung „Ich kanndas“. Diese Erfahrung stärkt sie und macht sie zu kleinen Persönlichkei-ten. Und da sie diese Erfahrung in einer Gemeinschaft machen, schweißtes die Gruppe zusammen und hält die Begeisterung wach. Ja, die Begeis-

Page 18: Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip – WM-Fieber am Berger Feld …ods.dokom.net/ggg/GiN/2010c/2010c-Schulpraxis.pdf · 2010. 8. 18. · Christian Krabbe Özil, Neuer, Matip –

Alois Brinkkötter„Begeisterung ist der Atem des Lebens“

- 25 -

terung greift sogar um sich und neue Gruppen mit neuem Engagemententstehen: die Schülerlotsen, die schülereigene Firma „Öku(h)“, dieInitiative „Schule ohne Rassismus“, u.a.m. – Begeisterung ist der Atemdes Lebens.

Daten zur Schule

Anschrift: Fritz-Winter-GesamtschuleAugust-Kirchner-Str. 1359229 AhlenTel. 02382/54705-0Fax 02382/54705-55Mail [email protected] www.fritz-winter-gesamtschule.de

Schulleiter: Alois Brinkkötter

Fortbildungs-angebot:

Verein für Ernährung, Bewegung, Gesundheitder Fritz-Winter-Gesamtschule e.V.www.ggg-nrw.de/PM-PDF/VEBG+100721+Fortbildung.pdf