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© SALON Porträt HIOB WAR KEIN DIPLOMAT Der Schriftsteller Claude Cueni nennt sich einen zufriedenen Menschen, schreibt humorvolle Bestseller und ist auf den Tod erkrankt. Woher stammt sein trotziger Mut? Von FLORIAN FELIX WEYH G leich wird das Schaf den Kopf verlieren. Claude Cueni müsste nur einen Ring an der Guillo tine lösen, dann zerteilt das Fallbeil die Spielzeugfigur. Der Basler Schriftsteller wiegelt ab: Gemüse und Zigarren lassen sich schneiden, bei Hartplastik sei ver mutlich Schluss. Dennoch wundert man sich über das seltsame Dekorstück in der modernen Wohnung. „Als ich 2010 nach Monaten aus dem Spital kam“, erzählt er, „stand ein Paket mit der Guillotine im Flur. Das war schon makaber.“ Denn damit erklang noch einmal ein Echo seines alten Lebens. Bestellt hatte er die maßstabsgetreue Hinrichtungsma schine als Anschauungsobjekt für einen 1789er-Historienroman. Als sie endlich eintraf, war sie zu einem Memento mori geworden, dessen Cueni kaum noch be durfte. Zuvor war er dem Tod von der Schippe gesprungen: Leukämie. Chemo therapie und Knochenmarktransplanta tion folgten. Genau drei Wochen konnte er sich anschließend gesund nennen. „Su per, alles vorbei“, erinnert er sich. „Und dann kam aus heiterem Himmel eine Ab stoßung. Meine Lunge verklumpte und fiel auf 40 Prozent Restvolumen.“ Seither ist er unheilbar krank, ge quält von einer Krankheit namens GvHD, einer Abstoßungsreaktion eigener Kör perzellen. Schmerzen und Krämpfe las sen ihn kaum schlafen, um 3 Uhr mor gens setzt er sich gewöhnlich an den Computer. „Ich schreibe immer, immer“, sagt er und fügt den erstaunlichen Satz an: „Eigentlich bin ich ein zufriedener Mensch.“ Man glaubt es ihm. Das hat mit der Art zu tun, wie der 59-Jährige bisher mit seinem Schick sal umgegangen ist. Einer schier un glaublichen Abfolge von Lebensprüfun gen setzte er Trotz entgegen und wurde umso leistungsbereiter, je heftiger ihm der Wind ins Gesicht blies. Details er fährt man aus dem Roman seines Lebens, „Script Avenue“. Kurz gefasst klingt der Leidensweg so: Die Tics eines leichten Tourette-Syn- droms führen zu elterlichen Dauerohr feigen, bis eines Tages das Trommel fell platzt. Früh flüchtet sich der Junge in Fantasiewelten, veröffentlicht mit 24 den ersten Roman, findet die befrei ende Liebe und heiratet sie. „Ich wollte aus dem Irrenhaus raus und überleben“, sagt er heute. Der 1982 geborene ge meinsame Sohn ist schwer krank, Cue- nis Frau empfindet dessen Behinderung als Niederlage. So kümmert sich Cueni um das Kind, während er sein Boheme- Leben als Literat gegen das eines gut bezahlten TV-Serienautors und Compu terspieleentwicklers eintauscht. Seither wird er vom Literaturbetrieb missachtet, doch ihm bleibt keine Wahl. Die Thera pien des Sohnes verschlingen Unsummen. PARALLEL ERKRANKT Cuenis Frau an Brustkrebs. Nach der Heilung folgt Jahre später ein Darmkrebs. Cueni pflegt sie bis zum Tode, doch so etwas sagt sich leicht dahin: Er pflegt sie. Vielmehr er trägt er sie in stoischer Selbstverleug nung, denn sie wird böse. Vier Jahre lang verfolgt sie Mann und Sohn mit abgrund tiefem Hass, weil sie sterben muss an statt der beiden Männer. Schauerliches Ende einer ehemals befreienden Liebe; nun bringt 2008 der Tod die Befreiung. Ein Jahr später erkrankt Cueni selbst, an besagter Leukämie. Das ist alles wahr? Ja, nickt Cueni. Manches habe er sogar weggelassen. Sein Agent hielt die Mischung von Au tobiografie und Roman für unverkäuf lich. Cueni bot sie dem kleinen Wör- terseh-Verlag an und landete einen Bestseller. Wenn man das Buch liest, versteht man, warum. Es funkelt vor grimmigem Nicht-aufgeben-Humor, ist dort entlas tend komisch, wo man am liebsten heulen möchte, und unerschrocken lebensweise, wo politische Korrektheit Autoren sonst die Hirnwindungen verkleistert. Cueni muss nicht mehr diplomatisch sein. Er kann Lebenslügen des linksbürgerlichen Milieus aufspießen. Als Vater eines Behin derten weiß Claude Cueni um die Inklu sionsbereitschaft dieses Milieus: Sie liegt nahe null. Er kann die Verlogenheit des Kulturbetriebs anprangern, der für Erfolge Networking voraussetzt und diejenigen aussperrt, die dafür keine Zeit haben. Kin der sind in diesem Geschäft Erfolgskiller. 600 Seiten lang enthält diese Lebens reise keine Spur von Larmoyanz. Im Ge genteil, die kathartischen Momente über tragen sich auf den Leser. „Ohne meinen Sohn wäre ich nie erfolgreich geworden“, resümiert Cueni. „Nur aus Liebe zu ihm habe ich wie ein Verrückter gearbeitet.“ Heute ist er ein arrivierter Schrei ber, und der Sohn arbeitet trotz spasti scher Beeinträchtigungen als Strafrichter. Mehr Lebenslohn dürfte keine literari sche Ehrung einbringen. Dass davon noch welche kämen, bezweifelt der Autor indes - schon weil die Zeit knapp wird: „Die Kurve meines Lungenvolumens sieht aus wie der Bör senkurs von Blackberry.“ Mit dem nächs ten Abstoßungsschub könnte das Ende nahen. Hilflos wie das Schaf in der Guil lotine fühlt sich Cueni jedoch keineswegs. Falls nötig, soll die Hand am Fallbeil die eigene sein. Bis dahin ist jeder Tag ein Geschenk. FLORIAN FELIX WEYH ist freier Autor und glaubt nicht, das Leben schriebe die besten Geschichten. Aber er bewundert Menschen, die jeder Lebenswendung Sinn abtrotzen 116 Cicero - 5.2015

Cicero Portrait Claude Cueni

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Cicero Magazin für politische KulturPortrait Claude Cueni

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HIOB WAR KEIN DIPLOMATDer Schriftsteller Claude Cueni nennt sich einen zufriedenen Menschen, schreibt humorvolle Bestseller und ist auf den Tod erkrankt. Woher stammt sein trotziger Mut?

Von FLORIAN FELIX WEYH

Gleich wird das Schaf den Kopf verlieren. Claude Cueni müsste nur einen Ring an der Guillo

tine lösen, dann zerteilt das Fallbeil die Spielzeugfigur. Der Basler Schriftsteller wiegelt ab: Gemüse und Zigarren lassen sich schneiden, bei Hartplastik sei ver mutlich Schluss. Dennoch wundert man sich über das seltsame Dekorstück in der modernen Wohnung. „Als ich 2010 nach Monaten aus dem Spital kam“, erzählt er,

„stand ein Paket mit der Guillotine im Flur. Das war schon makaber.“

Denn damit erklang noch einmal ein Echo seines alten Lebens. Bestellt hatte er die maßstabsgetreue Hinrichtungsma schine als Anschauungsobjekt für einen 1789er-Historienroman. Als sie endlich eintraf, war sie zu einem Memento mori geworden, dessen Cueni kaum noch be durfte. Zuvor war er dem Tod von der Schippe gesprungen: Leukämie. Chemo therapie und Knochenmarktransplanta tion folgten. Genau drei Wochen konnte er sich anschließend gesund nennen. „Su per, alles vorbei“, erinnert er sich. „Und dann kam aus heiterem Himmel eine Ab stoßung. Meine Lunge verklumpte und fiel auf 40 Prozent Restvolumen.“

Seither ist er unheilbar krank, ge quält von einer Krankheit namens GvHD, einer Abstoßungsreaktion eigener Kör perzellen. Schmerzen und Krämpfe las sen ihn kaum schlafen, um 3 Uhr mor gens setzt er sich gewöhnlich an den Computer. „Ich schreibe immer, immer“, sagt er und fügt den erstaunlichen Satz an: „Eigentlich bin ich ein zufriedener Mensch.“ Man glaubt es ihm.

Das hat mit der Art zu tun, wie der 59-Jährige bisher mit seinem Schick sal umgegangen ist. Einer schier un glaublichen Abfolge von Lebensprüfun gen setzte er Trotz entgegen und wurde umso leistungsbereiter, je heftiger ihm

der Wind ins Gesicht blies. Details er fährt man aus dem Roman seines Lebens, „Script Avenue“.

Kurz gefasst klingt der Leidensweg so: Die Tics eines leichten Tourette-Syn- droms führen zu elterlichen Dauerohr feigen, bis eines Tages das Trommel fell platzt. Früh flüchtet sich der Junge in Fantasiewelten, veröffentlicht mit 24 den ersten Roman, findet die befrei ende Liebe und heiratet sie. „Ich wollte aus dem Irrenhaus raus und überleben“, sagt er heute. Der 1982 geborene ge meinsame Sohn ist schwer krank, Cue- nis Frau empfindet dessen Behinderung als Niederlage. So kümmert sich Cueni um das Kind, während er sein Boheme- Leben als Literat gegen das eines gut bezahlten TV-Serienautors und Compu terspieleentwicklers eintauscht. Seither wird er vom Literaturbetrieb missachtet, doch ihm bleibt keine Wahl. Die Thera pien des Sohnes verschlingen Unsummen.

PARALLEL ERKRANKT Cuenis Frau an Brustkrebs. Nach der Heilung folgt Jahre später ein Darmkrebs. Cueni pflegt sie bis zum Tode, doch so etwas sagt sich leicht dahin: Er pflegt sie. Vielmehr er trägt er sie in stoischer Selbstverleug nung, denn sie wird böse. Vier Jahre lang verfolgt sie Mann und Sohn mit abgrund tiefem Hass, weil sie sterben muss an statt der beiden Männer. Schauerliches Ende einer ehemals befreienden Liebe; nun bringt 2008 der Tod die Befreiung. Ein Jahr später erkrankt Cueni selbst, an besagter Leukämie.

Das ist alles wahr? Ja, nickt Cueni. Manches habe er sogar weggelassen. Sein Agent hielt die Mischung von Au tobiografie und Roman für unverkäuf lich. Cueni bot sie dem kleinen Wör- terseh-Verlag an und landete einen Bestseller.

Wenn man das Buch liest, versteht man, warum. Es funkelt vor grimmigem Nicht-aufgeben-Humor, ist dort entlas tend komisch, wo man am liebsten heulen möchte, und unerschrocken lebensweise, wo politische Korrektheit Autoren sonst die Hirnwindungen verkleistert. Cueni muss nicht mehr diplomatisch sein. Er kann Lebenslügen des linksbürgerlichen Milieus aufspießen. Als Vater eines Behin derten weiß Claude Cueni um die Inklu sionsbereitschaft dieses Milieus: Sie liegt nahe null. Er kann die Verlogenheit des Kulturbetriebs anprangern, der für Erfolge Networking voraussetzt und diejenigen aussperrt, die dafür keine Zeit haben. Kin der sind in diesem Geschäft Erfolgskiller.

600 Seiten lang enthält diese Lebens reise keine Spur von Larmoyanz. Im Ge genteil, die kathartischen Momente über tragen sich auf den Leser. „Ohne meinen Sohn wäre ich nie erfolgreich geworden“, resümiert Cueni. „Nur aus Liebe zu ihm habe ich wie ein Verrückter gearbeitet.“

Heute ist er ein arrivierter Schrei ber, und der Sohn arbeitet trotz spasti scher Beeinträchtigungen als Strafrichter. Mehr Lebenslohn dürfte keine literari sche Ehrung einbringen.

Dass davon noch welche kämen, bezweifelt der Autor indes - schon weil die Zeit knapp wird: „Die Kurve meines Lungenvolumens sieht aus wie der Bör senkurs von Blackberry.“ Mit dem nächs ten Abstoßungsschub könnte das Ende nahen. Hilflos wie das Schaf in der Guil lotine fühlt sich Cueni jedoch keineswegs. Falls nötig, soll die Hand am Fallbeil die eigene sein. Bis dahin ist jeder Tag ein Geschenk.

FLORIAN FELIX WEYH ist freier Autor und glaubt nicht, das Leben schriebe die besten Geschichten. Aber er bewundert Menschen, die jeder Lebenswendung Sinn abtrotzen

116Cicero - 5 .2015