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chirurgische praxis 2016 Band 81 / 3 139 Konservative Frakturbehandlung – distale Radiusfraktur – Ligamentotaxis – geschlossene Repositionstechnik chirurgische praxis 81, 139–147 (2016) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG Repositionstechniken der konservativen Frakturbehandlung M. Neumaier, S. Siebenlist, A. Buchholz, K.F. Braun Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Einleitung Noch bis Mitte des letzten Jahrhunderts er- folgte ein Großteil der Frakturbehandlungen konservativ. Erst im Laufe der letzten 40 – 50 Jahre wurde durch die Verbesserung der ope- rativen Hygienestandards, der Operations- techniken und der verwendeten Implantate eine zunehmend komplikationsarme operative Therapie von Knochenbrüchen ermöglicht. Jörg Rehn (deutscher Pionier der Unfallchirurgie und Hochschullehrer in Freiburg sowie Bochum) stellte 1972 noch fest: »Jede gute konserva- tive Frakturbehandlung ist einer schlechten Osteosynthese überlegen. Aber die Behand- lung erfordert Sorgfalt und Geduld.« Urvater der konservativen Knochenbruchbehandlung war der österreichische Chirurg Lorenz Böhler (1885 – 1973). Er entwickelte spezielle Behand- lungsmethoden und veröffentlichte diese un- ter anderem in seinen Hauptwerk Exlibris »Die Technik der Knochenbruchbehandlung« [1]. Böhlers Kernaussage gehört damals wie heu- te zum Standard der erfolgreichen Frakturbe- handlung: »Bei jedem Knochenbruch müssen die verschobenen Bruchstücke gut eingerich- tet werden.« Einige der beschriebenen Repo- sitionstechniken sind weiterhin Grundlage für die konservative Frakturbehandlung, gleich- wohl heutzutage die Mehrzahl verschobener Frakturen operativ versorgt wird. Insbesondere durch die stetige Weiterentwicklung der Ope- rationstechniken konnte häufig ein besseres Ergebnis und eine frühere Restitutio ad integ- rum gegenüber der konservativen Behandlung erzielt werden. Demzufolge werden heutzutage fast ausschließlich unverschobene Brüche ei- ner konservativen Therapie zugeführt. Gilt die Bruchform jedoch auch bei nicht-dislozierten Frakturen als potenziell instabil, so erfolgt meistens die Osteosynthese. Ein genaues Ab- wägen der Risiken mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen der Frakturbehandlung (operativ vs. konservativ) ist zwingend vorzunehmen. Eine Domäne der konservativen Frakturbe- handlung ist die Behandlung der distalen Ra- diusfraktur. Hier werden weiterhin sehr gute Ergebnisse durch die geschlossene Reposition CME c m e. m g o -f ac h v erl a g e . d e

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Konservative Frakturbehandlung – distale Radiusfraktur – Ligamentotaxis – geschlossene Repositionstechnik

chirurgische praxis 81, 139–147 (2016) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG

Repositionstechniken der konservativen

Frakturbehandlung

M. Neumaier, S. Siebenlist, A. Buchholz, K.F. Braun

Klinik und Poliklinik für UnfallchirurgieKlinikum rechts der Isar der

Technischen Universität München

� Einleitung

Noch bis Mitte des letzten Jahrhunderts er-folgte ein Großteil der Frakturbehandlungen konservativ. Erst im Laufe der letzten 40 – 50 Jahre wurde durch die Verbesserung der ope-rativen Hygienestandards, der Operations-techniken und der verwendeten Implantate eine zunehmend komplikationsarme operative Therapie von Knochenbrüchen ermöglicht. Jörg Rehn (deutscher Pionier der Unfallchirurgie und Hochschullehrer in Freiburg sowie Bochum) stellte 1972 noch fest: »Jede gute konserva-tive Frakturbehandlung ist einer schlechten Osteosynthese überlegen. Aber die Behand-lung erfordert Sorgfalt und Geduld.« Urvater der konservativen Knochenbruchbehandlung war der österreichische Chirurg Lorenz Böhler (1885 – 1973). Er entwickelte spezielle Behand-lungsmethoden und veröffentlichte diese un-ter anderem in seinen Hauptwerk Exlibris »Die Technik der Knochenbruchbehandlung« [1]. Böhlers Kernaussage gehört damals wie heu-te zum Standard der erfolgreichen Frakturbe-handlung: »Bei jedem Knochenbruch müssen die verschobenen Bruchstücke gut eingerich-tet werden.« Einige der beschriebenen Repo-sitionstechniken sind weiterhin Grundlage für die konservative Frakturbehandlung, gleich-wohl heutzutage die Mehrzahl verschobener Frakturen operativ versorgt wird. Insbesondere durch die stetige Weiterentwicklung der Ope-rationstechniken konnte häufig ein besseres Ergebnis und eine frühere Restitutio ad integ-rum gegenüber der konservativen Behandlung erzielt werden. Demzufolge werden heutzutage fast ausschließlich unverschobene Brüche ei-ner konservativen Therapie zugeführt. Gilt die Bruchform jedoch auch bei nicht-dislozierten Frakturen als potenziell instabil, so erfolgt meistens die Osteosynthese. Ein genaues Ab-wägen der Risiken mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen der Frakturbehandlung (operativ vs. konservativ) ist zwingend vorzunehmen.

Eine Domäne der konservativen Frakturbe-handlung ist die Behandlung der distalen Ra-diusfraktur. Hier werden weiterhin sehr gute Ergebnisse durch die geschlossene Reposition

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sich z. B. bei distalen Radiusfrakturen nach Abschwellung eine Gipsanpassung durchzu-führen. Normalerweise wird nach ca. 5 Tagen von einem primär gespaltenen Gips auf einen zirkulären Kunststoffgips gewechselt, welcher nach 2–3 Wochen und/oder bei Lockerungszei-chen erneut angepasst werden muss. Dies gilt ebenso für Orthesen und spezielle Verbände im Verlauf, um keinen Repositionsverlust zu erlei-den. Allerdings kommt es relativ oft zu einem Korrekturverlust, da die primär erreichte Repo-sition durch die fixierenden Verbände aufgrund des Weichteilmantels und des Muskelzugs nicht gehalten werden kann. Im Mittel liegt der Kor-rekturverlust bei 60 % für distale Radiusfrak-turen [2].

Während der Retentionszeit sind daher Rönt-genkontrollen unumgänglich, um einerseits die Frakturstellung zu kontrollieren und um ande-rerseits die Frakturheilung (beginnende Kon-solidierungszeichen) zu verfolgen. Kommt es zu einem deutlichen Repositionsverlust, sollte eine operative Stabilisierung nach folgenden Erwägungen in Betracht gezogen werden: 1) Belassen der mäßigen Stellung, sofern es kei-ne deutlichen Auswirkungen auf das Outcome (Funktion/Schmerzen) bei fehlverheilter Frak-tur gibt oder 2) Nachreposition und verbesser-te Ruhigstellung. Kritisch zu hinterfragen ist jedoch, ob mit der Wiederholung der bereits zuvor angewendeten Methode überhaupt eine Verbesserung erzielt werden kann. Eine Ausnah-me stellt die Gipskeilung im Kindesalter dar: durch Einbringen von Keilen am Gipsmantel kann eine Korrektur der Achsverhältnisse vor-genommen werden. Hierdurch und durch das große Korrekturpotenzial der sich im Wachs-tum befindlichen Knochen, können über 90 % der kindlichen Frakturen konservativ behandelt werden [5].

Nach der Retentionszeit von ca. 6 Wochen beim Erwachsenen (bei Kindern ca. 4 Wochen, je nach Alter und frakturiertem Knochen) schließt sich die Rehabilitation als wichtige dritte Säule der konservativen Frakturbehandlung an. Durch die Ruhigstellung über mehrere Wochen kommt es zur Atrophie des Bewegungsapparates. Durch

und Gipsruhigstellung erzielt. Verschiedene prospektiv randomisierte Studien zeigen für bestimmte Entitäten, wie zum Beispiel bei ex-traartikulären Frakturen (AO Typ A) oder bei einem Patientenalter 70 Jahren (AO Typ A, B, C), keinen Unterschied im funktionellen Out-come (Beweglichkeit, DASH, PRWE, SF-36) kon-servativer gegenüber operativer Behandlungen [2 – 4].

Ein Großteil der konservativen Frakturbehand-lung erfolgt im Kindesalter, da es hier aufgrund der guten Heilungstendenz mit erheblichem Korrekturpotenzial im Wachstum zu guten Er-gebnissen kommt [5]. Somit ist, bei richtiger Indikation, die konser-vative Frakturbehandlung auch heute noch fes-ter Bestandteil unfallchirurgischen Handelns. Zwar nehmen durch die Erforschung und Ent-wicklung neuer Therapiemethoden die Behand-lungsfälle von Jahr zu Jahr ab, dennoch muss die korrekte Repositionstechnik im Sinne einer sorgfältigen »chirurgischen Heilkunst« von jedem Unfallchirurgen erlernt und beherrscht werden.

� Grundlagen der konservativen Frakturbehandlung

Lorenz Böhler sieht die 3 Säulen der konser-vativen Frakturbehandlung in: »Einrichten, Ru-higstellen, Üben«. Diese Therapiegrundlage ist auch heute noch gültig und wird weltweit an-gewandt [6]. Das Einrichten bzw. die Reposition ist der erste Schritt in der Therapie verschobe-ner Frakturen. Es umfasst das Zurückbringen von Knochen (und Gelenken) in die Normallage (anatomische Stellung). Um die erreichte Stel-lung zu halten, schließt sich die Retention an. Die Ruhigstellung einer Fraktur in fixierenden Verbänden (Gips, Orthesen, spezielle Verbän-de, wie z. B. Gilchrist- oder Desault-Verband) dient dem Erhalt der Reposition und ist für das Therapieergebnis ebenso entscheidend wie ein anatomisches Einrichten der Fraktur. Die Re-tention muss sorgfältig überwacht und ggf. korrigiert werden. Diese Sorgfalt wird heutzu-tage jedoch oft vernachlässigt. So gehört es

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welche vor allem bei intraartikulären Frakturen anzustreben ist. Meist wird eine anatomische Reposition nur durch eine operative Versorgung mittels Freilegung und offenem Einrichten der Fragmente erreicht. Die funktionelle Reposi-tion dagegen ist eine Wiederherstellung von Länge, Achse und Rotation ohne eine exakt anatomische Wiederherstellung der einzelnen Fragmente. Eine funktionelle Reposition ist ausreichend bei Schaftfrakturen und extraar-tikulären Frakturen. Durch diese Wiederherstel-lung der geometrischen Verhältnisse (Achse, Länge, Rotation) kommt es zur sekundären Kno-chenbruchheilung ohne funktionelles Defizit. Nach der knöchernen Remodellierungsphase zeigen sich häufig wieder anatomische Verhält-nisse. So ist bei der konservativen Therapie die funktionelle Reposition als primäres Ziel anzu-sehen. Gleiches zeigt sich auch bei operativen Verfahren von Schaft- und extraartikulären Frakturen, bei denen oft die funktionelle Re-position ebenfalls ausreichend ist (biologische Osteosynthesen in minimalinvasiver Technik, wie z. B. Marknägel oder minimalinvasive Plat-tenosteosynthesen/MIPO).

Es gibt verschiedene Arten der Reposition so-wie auch der Anästhesieform. Man unterschei-det zwischen geschlossener, minimalinvasiver und offener Reposition (Abb. 3). Für die kon-servative Therapie wird in aller Regel die ge-schlossene Reposition und ggf. in Ausnahmen eine minimalinvasive Reposition durchgeführt. Hierzu sollte jeweils eine ausreichende Anäs-thesieform eingesetzt werden. Orale oder intra-venöse Analgetika sind in jedem Fall anzuwen-den. Zusätzlich können Lokalanästhetika zur Bruchspaltanästhesie oder Leitungsanästhesie bis hin zur Allgemeinanästhesie in Erwägung gezogen werden.

Für Luxationsfrakturen ist die anzuwendende Technik der Frakturreposition gleich der Technik für die Reposition des Gelenkes. Durch das Ein-nehmen der kongruenten Gelenkstellung kommt es oft zu einem Anlegen der Knochenfragmente durch den häufig noch intakten Kapselbandap-parat. Da es durch die Luxation zu Druck auf Gefäß- und Nervenstrukturen mit Folgeschä-

das langsame und gezielte Auftrainieren kann eine Restitutio ad integrum erreicht werden, wobei hier eine Zeitspanne von 6–12 Monaten als nicht unüblich angesehen werden muss.

� Repositionstechnik

Das Repositions-Grundprinzip beruht auf einem axialen Längszug an der betroffenen Extremi-tät. Dieses Prinzip ist auch als »Ligamento-taxis« bekannt. Durch den Zug und die damit einwirkende longitudinale Kraft spannen sich die Bandstrukturen um die Fraktur herum an und bewirken ein Ausrichten und Annähern der Fragmente in ihre ursprüngliche Form (Abb. 1). Dieses Prinzip findet auch beim Fixateur exter-ne Anwendung (CREF: closed reduction external fixation). Auch bei mehrfragmentären Fraktu-ren lässt sich so durch den Längszug eine ak-zeptable Stellung erreichen. Bei verkürzten und teilweise verhakten Frakturformen sind jedoch oft zusätzliche Manipulationen nötig, um eine adäquate Stellung zu erzielen. Nach genauer Analyse der Fraktur wird hier oft eine Auslen-kung und zusätzlicher Druck auf das distale Fragment benötigt, um die Reposition anato-misch zu vollziehen (Abb. 2). Es muss hier der Entstehungsmechanismus der Fraktur nachvoll-zogen werden, damit eine Wiederherstellung der Achsverhältnisse gelingt. Durch Flexion und Traktion des distalen Fragmentes muss versucht werden, die Knochenkanten aufeinander zu stellen und so ein »Einrasten« der Fragmente zu erzielen. Dies sind die besten Voraussetzungen für das Gelingen der konservativen Therapie, welche jedoch bereits beim offenen Vorgehen nicht immer einfach zu erreichen sind. Daher ist zur schonenden geschlossenen Reposition viel Geschick und Erfahrung gefragt, welches sich als eine »Chirurgische Heilkunst« beschreiben lässt. Eine genaue Analyse der Frakturmorpho-logie ist daher Voraussetzung für das Gelingen der Reposition.

Man unterscheidet die anatomische Reposition von der funktionellen Reposition. Die anatomi-sche Reposition ist eine genaue Wiederherstel-lung der Knochenmorphologie und Anatomie,

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auf ein offenes Vorgehen konvertiert werden, wenn eine geschlossene Reposition dadurch nicht möglich ist. Allerdings lassen sich die meisten Luxationsfrakturen mit ausreichender Sedierung/Narkose wieder Einrichten. Beispie-le hierfür sind Schulterluxationsfrakturen mit Abriss des Tuberculum majus (Abb. 4) oder auch Hüftkopffrakturen mit dorsaler Luxation.

den kommen kann, und auch die Gelenkfehl-stellung selbst starke Schmerzen verursacht, sollte eine möglichst rasche Reposition des Gelenkes in üblicher Art und Weise stattfinden. Dies kann unter Analgosedierung oder auch in Narkose geschehen. Bei Repositionshindernis-sen durch Knochenfragmente oder auch durch eine Impaktierung der Hauptfragmente muss

Abb. 1 | Ligamentotaxis: (a) Röntgenbild a.p. einer distalen Radiusfraktur vor Zug, (b) schematische Darstellung des Zuges im Mädchenfänger, (c) Röntgen Durchleuchtungsbild a.p. unter Zug

a cb

Abb. 2 | Repositionstechnik: (a) Ausgangssituation, (b) axialer Zug, (c) Auslenkung und Druck auf das distale Fragment, (d) »Einrasten« der Fraktur

a b

c d

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� Indikation zur Reposition und konserva tiven Therapie

Dislozierte Frakturen der oberen Extremität lassen sich in der Regel gut reponieren und daher konservativ behandeln. Es zeigt sich oft ein gutes Outcome nach der Konsolidierungs- und Rehabilitationsphase. Dies ist mitunter der großen Toleranz bezüglich verbleibender Achs-, Rotations- und Längenfehler zu verdanken. Da-

Hier legen sich die Fragmente durch erfolgrei-che Reposition des Gelenkes meist in adäquater Stellung an. Diese geschlossenen Repositions-techniken von Gelenksluxationsfrakturen sind rasch erforderlich, um weitere Schäden (z. B. Nervendruckläsionen) zu verhindern. Nach er-folgter rascher Reposition kann mit Bedacht die Entscheidung über das weitere Procedere (kon-servativ versus operativ) getroffen werden.

Abb. 3 | Arten der Reposition: (a) geschlossen, (b) minimal-invasiv, (c) offen

a ca b c

Abb. 4 | Schulterluxationsfraktur: Röntgen a.p. vor (a) und nach (b)

Reposition

a b

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Frakturen der Hand (Metacarpale und Phalan-gen) kann ein konservatives Vorgehen mit gu-tem Erfolg eingesetzt werden [7, 8].

Dislozierte Frakturen der unteren Extremität eignen sich selten für eine konservative Be-

her sehen wir – natürlich fallbezogen – in dis-lozierten Frakturen der oberen Extremität eine gute Indikation für ein mögliches konservatives Vorgehen. Speziell bei Frakturen der Klavikula, des Humerus (subkapital und diaphysär) (vgl. Abb. 5), am distalen Radius sowie auch bei

Abb. 5 | Retention einer proximalen Humerusschaftfraktur mit Oberarm-Brace und Gilchrist-Verband (a) (Selbst-Repo-sition durch Schwerkraft /Aushängen); Röntgen primär (b) und nach 1 Jahr (c) (klinisch kein Funktionsverlust 1 Jahr nach Fraktur)

a cb

Abb. 6 | Grundphalanxfraktur Zehe DV vor (a) und nach (b) Reposition; (c) Ruhigstellung im Pflasterzügelverband

a cb

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gende Skelettabschnitte handelt und ebenso die Probleme der Immobilisation zum Zuge kommen. Dislozierte Frakturen an Wirbelsäule und Becken sollten als instabil betrachtet werden und einer operativen Therapie zugeführt werden.

� Eigenes Vorgehen

Eine der häufigsten Indikationen zur Reposition und konservativen Therapie sehen wir bei der distalen Radiusfraktur. Hier lassen sich gute funktionelle Ergebnisse erzielen. Dies wird durch eine Vielzahl aktueller Studien untermau-ert [2 – 4]. In unserer Klinik erfolgt die Repositi-on im Aushang durch Traktion und durch direkte Manipulation der Hauptfragmente. Dies kann in Bruchspaltanästhesie und Kontrolle der Reposi-tion durch Röntgen mit einem C-Bogen gesche-hen. Der Aushang erfolgt über die Aufhängung der Finger (Mädchenfänger) und Anlage von Gewichten mit Hilfe von Riemen um den Ober-arm (Abb. 7). Hierdurch kommt es zu einem kontinuierlichen Zug über den Bruchbereich und einer Ligamentotaxis. Bei grob dislozierten oder impaktierten Frakturen genügt dies jedoch

handlung, da hiermit eine längere Immobili-sationsphase mit erheblichen Komplikationen verbunden sein kann. So sind kardiovaskuläre Komplikationen, wie z. B. eine tiefe Beinvenen-thrombose mit möglicher Lungenembolie, bei konservativer Therapie häufiger. Ebenso steigt durch die Immobilisation mit verbundener Bett-lägerigkeit auch die Gefahr eines Dekubitus oder einer Pneumonie bei älteren Patienten. Zudem zeigt sich ein konservatives Vorgehen auch biomechanisch meist als schlechte Wahl, da die lasttragenden Anteile eine geringe Tole-ranz für Achsfehlstellungen aufweisen. Daher werden dislozierte Oberschenkel- und Unter-schenkelbrüche bei mobilen Patienten regelhaft operativ versorgt. Mögliche Indikationen für ein konservatives Vorgehen werden bei Frakturen am Sprunggelenk, Fersenbein, Mittelfuß und Zehenfrakturen gesehen [9, 10]. Insbesondere bei Zehenfrakturen führen eine gute Repositi-on und Ruhigstellung im Pflasterzügelverband durchweg zu guten Ergebnissen (Abb. 6).

Dislozierte Frakturen von Wirbelsäule und Becken sind ungeeignete Indikationen für ein nicht-ope-ratives Vorgehen, da es sich hier auch um lasttra-

Abb. 7 | Reposition bei Extensionsfraktur am distalen Radius: (a) schematische Darstellung, (b) Aushang im Mäd-chenfänger, (c) manuelle Reposition, (d) Anlage gespaltener Gips im Aushang

a cb d

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on im Gips. Insbesondere kindliche Frakturen und Frakturen der oberen Extremität eignen sich häufig für einen konservativen Therapie-versuch, während Frakturen des lasttragenden Skeletts eher ungeeignet sind. In der konser-vativen Frakturbehandlung ist eine funktionel-le Reposition mit Wiederherstellung der Län-ge, Achse und Rotation durch Ligamentotaxis anzustreben. Im Verlauf sind kontinuierliche Kontrollen (radiologisch und klinisch) für ein gutes Therapieergebnis unumgänglich, da nur so rechtzeitig auf einen möglichen Repositions-verlust reagiert werden kann.

Neumaier M, Siebenlist S, Buchholz A, Braun KF:Reduction techniques for

conservative fracture management

Summary: While modern orthopedic surgery views open reduction and fixation of fractures as the best treatment strategy, the conservati-ve therapeutic approach with the core principles »closed reduction – external casting – delayed mobilization«, poses a currently underestimated and scarcely implemented alternative. Given the correct indication and application of the appro-priate reduction techniques adapted for the frac-ture’s morphology and providing stable external casting, the functional outcome is comparable to operative treatment. Children’s fractures and fractures of the upper extremities, in particular, represent eligible indications for conservative ma-nagement. Fractures of the lower extremities, on the other hand, are not as apt to this approach since body weight bearing causes susceptibility to secondary dislocation. Key factor in conservative management of fractures is a functional reduction in length, translation and rotation using the prin-ciples of ligamentotaxis. Furthermore, continuous clinical and radiological controls are essential, since secondary dislocation needs to be detected early in order to prevent negative outcome.

Key words: Conservative fracture management – distal radial fracture – ligamentotaxis – closed reduction

nicht, um eine suffiziente Reposition zu erzie-len. Hier muss zusätzlich ein manueller Druck durch den Daumen (vgl. Abb. 7c) von dorsal auf das distale Fragment ausgeübt werden. Dies geschieht unter Gegendruck und Fixierung des Radiusschaftes mit den Langfingern. Bei ver-hakten Frakturen muss ggf. eine Repositions-technik mit Nachvollziehen des Frakturmecha-nismus - wie in Abb. 2 gezeigt - Anwendung finden, um die volaren Frakturkanten aufeinan-der zu stellen. Dies ist Vorrausetzung für ein gu-tes Repositionsergebnis und den erwünschten Therapieerfolg distaler Radiusfrakturen.

� Fazit für die Praxis

Mögliche Indikationen für eine konservative Therapie bei dislozierten Frakturen werden vor allem an der oberen Extremität gesehen. Nach dem Böhlerschen Grundsatz »Einrichten – Ru-higstellen – Üben« können hier gute funktionel-le Ergebnisse mit der konservativen Frakturbe-handlung erreicht werden. Am häufigsten findet dieses Prinzip in der Praxis bei distalen Radi-usfrakturen Anwendung. Durch Hyperextension in Kombination mit Zug und Druck kann bei Ex-tensionsfrakturen am distalen Radius oft eine gute Reposition durch Ligamentotaxis erzielt werden. Hierbei ist eine funktionelle Repositi-on (Achse/Länge/Rotation) ausreichend. Für die schonende und gute Reposition benötigt man viel Gefühl und Geschick, welches sich jedoch durch gute Anleitung und Sammeln von Erfah-rungen schnell erlernen lässt.

� Zusammenfassung

Während die moderne Unfallchirurgie zuneh-mend operative Verfahren in der Frakturbehand-lung bevorzugt, stellt die konservative Therapie mit ihren drei Säulen »Einrichten – Ruhigstel-len – Üben« eine häufig unterschätzte und ver-nachlässigte Alternative dar. Entscheidend für ein gutes funktionelles Outcome ist die richti-ge Indikationsstellung, eine gute und saubere Repositionstechnik unter Berücksichtigung der Frakturmorphologie sowie die stabile Retenti-

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Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass bei der Erstellung des Beitrags keine Interes-senkonflikte im Sinne der Empfehlungen des International Committee of Medical Journal Editors bestanden.

Priv.-Doz. Dr. M. NeumaierKlinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

Klinikum Freising GmbHAlois-Steinecker-Straße 18

85354 Freising

[email protected]

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