Coudenhove-Kalergi, Heinrich Johann Maria - Zur Charakteristik der "Los von Rom"-Bewegung (1906)

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  • Zur

    Charakteristik der

    Los von Rom"-

    Bewegungvon

    Graf Heinrich Coudenhove-Kalergi;

    Dr. jur. ei phil.

    K. u. K. Legationssekretr a. D.

    Wien

    GEROLD & C21906

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  • Zur Charakteristik der

    Los von Rom"-Bewegung

    von

    Graf Heinrich Coudenhove-Kalergi,Dr. jur. et phil.

    K. u. K. Legationssekretr a. D.

    WienGEROLD & Co.

    1906

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  • Vorbemerkung

    Die vorliegende Schrift ist ein Auszug eines grerenWerkes, an welchem ich seit einigen Jahren ar-

    beite und welches sich zur Aufgabe gesetzt hat, dieGeschichte der Verneinung des Willens zum Leben,und die ihr zugrunde liegende Wahrheit in den ver-schiedenen theologischen und philosophischen Systemendarzustellen.

    Die Verneinung des Willens zum Leben ist in einemewigen Kampfe gegen die Bejahung, den sogenanntenOptimismus verstrickt und dieser Kampf ist so rechteigentlich das Thema und der Grundba der Welt-geschichte.

    Der Kampf zwischen Katholizismus und Protestan-tismus ist blo eine und fr uns wohl die bedeu-tendste Episode dieses Streites, der seit Jahrtausendenwogt. Der Protestantismus ist das Reich dieser Welt"mit seiner Herrlichkeit, seinem bedeutenden Fortschritt,seiner Kultur, seiner Freiheit und Wissenschaftlichkeit,die aber die Menschheit nicht glcklicher machen kn-nen und die in ihren Konsequenzen zum Materialismusfhren mssen, der ja jedem frohen, heiteren Lebens-genu eigentlich zugrunde liegt. Der Katholizismusstellt das Reich der Verneinung" dar, das nicht vondieser Welt" ist und daher auch jedesmal, wenn essich fr diese Welt einrichten will, von Fiasko zu

    1*

  • Fiasko kollert, die Menschen jedoch glcklich, seligund heilig machen kann, wenn sie sich ihm voll undganz, gewissermaen mit Haut und Haaren, Leib undSeele in die Arme werfen. Civitas mundi! civitasDei!Nachdem gerade jetzt in sterreich die Los von

    Rom-Bewegung in vollem Gange ist, drften die hierdargestellten Gedanken eines Mannes, der die religisenFragen in vier Kontinenten und whrend eines Viertel-jahrhunderts eifrig verfolgt und beobachtet, und unterder Leitung christlicher, jdischer, mohammedanischerund buddhistischer Lehrer studiert hat, vielleicht schondarum nicht uninteressant sein, weil er wirklich un-parteiisch und von einem Gesichtspunkte aus schreibt,von welchem er nicht blo die hier behandelten Re-ligionsformen, sondern auch die groen Religions-

    systeme Asiens sich bestndig vor Augen zu haltentrachtet.

    Schlo Ronsperg in Bhmen im April 1906.

  • Strme von Tinte, leider auch Strme von Blut undTrnen sind vergossen worden, um den Nachweis

    zu liefern, da von den beiden groen Formen desChristentums, die katholische und die protestantische,die eine besser sei als die andere, oder vielmehr, dadie eine wahr und heilig, die andere sndhafte Ketzereiresp. Gtzendienst sei.

    Hier liegt nun auch eine Frage vor, die wie so vieleandere nicht anders zu lsen ist, als durch die An-

    wendung der Prinzipien der Philosophie von der Be-jahung und Verneinung des Willens zum Leben, ge-radeso wie es manche mathematische Aufgaben gibt,die ohne Benutzung der Infinitesimalrechnung nichtgelst werden knnen. Die Frage, welche von denbeiden mehr empirische Wahrheit enthlt, ist kaumzu beantworten; welches kolossale Wissen mte auchein Mensch besitzen, um darber ein Urteil zu fllen

    !

    Und der gescheiteste und tiefsinnigste Verteidigerwird immer noch ebenso geniale Gegner finden wieer, die das gerade Gegenteil behaupten werden. Mit

    Wissenschaft ist hier wenig auszurichten.Kurze Zeit nach Verkndigung des Dogmas der

    ppstlichen Unfehlbarkeit saen in einer Gesellschaftmehrere Leute beieinander, von denen einer ber die-sen neuen Glaubenssatz nicht genug Worte des Tadels

    ja des Schimpfes finden konnte. Er sei, so sagte er,ganz gewi ein glubiger, frommer Katholik, aber das

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    sei denn doch zu stark! An die Unfehlbarkeit, an soeinen Unsinn, wie er meinte, knne kein vernnftigerMensch glauben, das schlage dem Fasse den Bodenaus, das knne sich der denkende Christ nicht ge-fallen lassen! Einer der Anwesenden konnte sich da-raufhin der folgenden Bemerkung nicht enthalten:Sie sind, sagen Sie, ein guter glubiger Katholik?"Selbstverstndlich," beteuerte der Erste: Nun denn,dann glauben Sie auch an den wandelnden Stern, andie besessenen Schweine, die redende Eselin, den vomHeiland verfluchten Feigenbaum." An alles, was dieKirche lehrt und was in der Bibel steht," war dieAntwort. Dann, lieber Freund", sagte der Zweite,dann knnen Sie getrost auch noch an die Unfehl-barkeit glauben." Diese Antwort liee sich den Glu-bigen smtlicher monotheistischer Konfessionen er-teilen. Wer die Fhigkeit hat, an die Geschichte derSndflut, des Sndenfalles, der Schpfung und desTurmbaues zu Babel, sowie an die zahlreichen Wunder-geschichten der Bibel zu glauben, an die stehen-

    gebliebene Sonne des Josue, an den Auszug der Israe-liten aus gypten mit einer Geschwindigkeit von 100Kilometern per Stunde, an die Plagen gyptens unddergleichen mehr, der kann auch alles brige glauben,denn auf die Zahl der Dogmen kommt es dann nichtmehr an, ebenso wenig als auf die Erstaunlichkeit derWunder.

    brigens hat ja der Glaube mit der Vernunft nichtdas Geringste zu schaffen. Es gibt hochgelehrte undausgezeichnet gebildete Mnner und Frauen, die allesglauben, was ihr Katechismus vorschreibt, es gibt auchunglubige Idioten, die an nichts glauben, was sie nicht

  • mit ihren blden Augen sehen. Es ist nicht die dog-matische und wissenschaftliche Spekulation, die unsAntwort auf die Frage geben kann, welche von denzwei Glaubenslehren, die katholische oder die refor-

    mierte, der Wahrheit nher kommt. brigens mteeiner, welcher auch nur einen einzigen der zwischen

    diesen Konfessionen strittigen theologischen Punkte

    grndlich durchstudieren wollte, viele Jahre und ganzeBibliotheken zu seiner Disposition haben, und dashaben die meisten Menschen nicht, sie haben andereDinge zu tun. Die grten Denker, die feinsten undgescheitesten Kpfe haben sowohl den Katholizismusverteidigt als bekmpft, je nachdem sie es zu dieseroder jener Konfession hielten. Aus diesem Labyrinthist entweder gar kein Ausweg, oder der Weg hinausist ein so langer, da es schade um die Zeit wre,

    ihn einzuschlagen.

    Es gibt aber ein anderes Kriterium, welches uns

    zur Lsung der Frage fhren kann. Wenn es richtigist, da das Fundament der Moral die Gottes- undNchstenliebe, das Mitleid ist und, da das Wesen derReligion in der Charitas besteht, in der Verneinungdes Willens zum Leben, in der Askese, so haben wirden Schlssel in der Hand und brauchen uns keinerGeschichtsphilosophie, keiner Theologie, keinen lang-

    jhrigen Studien mehr zu ergeben, um der Sache aufden Grund zu kommen.Wir wollen nun fr einen Augenblick alles zugeben,

    was die Protestanten den Katholiken vorwerfen, ohnejedoch die Wahrheit dieser Anklagen anzuerkennen,wir wollen annehmen, ohne es zuzugeben, da in derkatholischen Kirche vielfacher Gtzendienst im Heiligen-

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    kult vorkommt, da die Schenkung Konstantins an denStuhl Petri eine Mystifikation ist, da das Papsttumerst im achten Jahrhundert entstanden, da die Ohren-beichte eine Erfindung der Priester, der Abla eineGeldspekulation und was sonst noch von protestantischerSeite behauptet wird, wir wollen mit Lecky annehmen,da die Kirche von Rom mehr unschuldiges Blut ver-gossen hat, als irgend eine andere Institution, die jeunter Menschen bestanden hat. Und nachdem wiralles dieses probandi causa eingerumt und zugestanden,die Frage stellen : in welcher von den zwei Konfessionen,in welcher Religion der Welt berhaupt finden wirmehr Willensverneinung, mehr Aufopferung allerFreuden und Gensse des Lebens zum Wohl anderer,vielfach ganz fremder Kranker und Leidender selbstanderer Konfessionen, eine grere und unbedingtereAufopferung der Gesundheit, Freiheit und aller jenerDinge, welche das Leben, menschlich gesprochen, ber-haupt lebenswert erscheinen lassen, aus Liebe zu Gott

    und zum Nchsten?Welche Religion hat eine so groe Zahl von Mdchen

    aus allen Klassen und Berufsstnden, welche ausreinster Liebe zu Gott und zum Nchsten sich vorihrem Gewissen verpflichten, ihr ganzes Leben, ihreganze Zeit und Krperkraft ausschlielich der Kranken-pflege zu widmen, ohne jemals einen Moment fr sichzu erbrigen, in welchem sie frei wren, mit Freun-dinnen in intimer Konversation sich auszusprechen, imWirtshaus ein Glschen Bier zu trinken, bei einer be-freundeten Familie eine Einladung zum Tisch oder zum

    Kaffee anzunehmen, oder nur einen unschuldigen Roman,oder eine Zeitung zu lesen?

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    Welche Religion hat Beispiele, da sich ein Priester14 Jahre hindurch bis zu seinem Tode auf einer vonAusstzigen bewohnten Insel einsperrt, um nichts mehrim Leben zu tun, als diese Verlassenen zu pflegen, zutrsten und ihnen zu helfen, ihr schweres Kreuz zutragen, wie dies der berhmte Missionr Pere Damianauf der Insel Molokai getan hat? Welche Religionkann von Fllen berichten, da sich einer ihrer Priesterin einem Spital internieren lt, wo sich Pestkrankebefinden, blo um ihnen beizustehen, wie dies einKapuziner vor einigen Jahren getan, als in Neapeleinige Pestflle vorgekommen waren?

    Ein gutes Beispiel von dem Gradunterschied in derAufopferungsfhigkeit der katholischen und protestan-tischen Priester gibt folgender Fall, den ich selbst er-lebte: Als ich im Jahre 1895 in Tokio als Geschfts-trger weilte, brach in Yokohama die Cholera aus.Die japanischen Behrden verweigerten einem katho-lischen Missionr, mit welchem ich befreundet war,den Zutritt in die Spitler aus Furcht vor Verschleppungder Seuche. Dieser Priester kam nun zu mir und batmich instndigst, meinen persnlichen Einflu geltendzu machen, damit ihm im Interesse der armen Krankenund Sterbenden der Zutritt in die Spitler gewhrtwerde. Er wolle, sagte er, sich wie jeder Arzt des-infizieren lassen und alle Vorsichtsmaregeln anwenden.Es gelang mir seine Bitte zu erfllen. Wenige Tagedarauf war ich in Sapporo, der Hauptstadt der InselYezzo, der ultima Thule des fernen Ostens. Als ichabends in den Straen der Stadt spazieren ging, sahich von der Gasse aus in einem Hause ein ebenerdigesbeleuchtetes Zimmer und drinnen mehrere Herren und

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    Damen bei Tisch in Gesellschaft vereinigt. Es wardies im September 1895. Ich fragte meinen Fhrer,wer die Herrschaften wren und erhielt zur Antwort,da es protestantische Missionre aus dem Sdenseien, welche vor der Cholera fliehend sich nach

    Yezzo begeben htten.Die protestantischen Pastoren haben in ihren Mis-

    sionen unzweifelhaft hohe Verdienste aufzuweisen. Siesind Lehrer und Berater ihrer Gemeindemitglieder,die durchschnittlich viel gebildeter sind, als die katho-

    lischen und auch den hheren Stnden angehren. Esfllt mir nicht im Traume ein, ihre Verdienste zuschmlern, im Gegenteil, man mu ihnen Bewunderungzollen. Aber mit den katholischen Missionren sindsie einfach nicht zu vergleichen. Der protestantische

    Glaubensbote lebt verheiratet, hat ein hbsches Hus-chen, sieht Freunde und Bekannte, macht oft Hausund fhrt hie und da auf Urlaub in die Heimat.Ganz anders der katholische Missionr. Er wei,

    da, wenn er seine Heimat und seine Familie verlt,dies fr immer geschieht, auf Nimmerwiedersehen,ausgenommen den Fall totaler Arbeitsunfhigkeit. KeineSpur von Urlaub, kein Verlassen seiner ihm empfohlenenGemeinde. Es ist das volle und unbedingte Opfer desganzen Erdenlebens und fr immer. Man sehe sichdas Mutterhaus der Gesellschaft Missions Strangeres in

    Paris Rue de Bac Nr. 128 an. Dort befindet sich ein

    Zimmer, in welchem die Reliquien der in Ostasiendes Mrtyrertodes gestorbenen Mitglieder des Ordensaufbewahrt sind. Ein jeder Missionr, der abreist, hatdie Hoffnung im Herzen, auch eines solchen Todes zusterben. Rhrend soll die Abreise solcher Glaubens-

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    boten sein. Bei der letzten Messe, die er auf franz-sischem Boden liest, assistieren hufig die greisenEltern, die trauernden Geschwister des Priesters, derdas groe Opfer seines Lebens bringt. Nach derMesse Abschied fr immer! An einem Tage wird allesverlassen: Vater, Mutter, Familie, Vaterland, Heimat,eingedenk der Worte Christi: Wer Vater und Muttermehr liebt als mich, ist meiner nicht wert." Wo gibtes hnliches im Protestantismus? Wo eine den Missionsetrangeres nicht nur gleichkommende, sondern blohnliche Institution? Mit Weib und Kind allerdings istes nicht schwer sich zu expatriieren, denn man hofftauf ein glckliches, trautes Familienleben in der Ferne;

    dem katholischen Missionar steht aber nichts der-gleichen bevor.

    Wer sich ber diese Frage informieren will, wirddie beste Gelegenheit dazu haben in den englischenReiseberichten. Fast jeder protestantische englischeAutor schreibt in seinen Werken voll Bewunderungber jene Elite der rmischen Kirche und erwhnt ge-whnlich ausdrcklich, da der protestantische Missionrdem katholischen an Aufopferung und Selbstverleugnungnicht gleichkommt. Da dem so ist, ist ganz natrlich;denn wie kann man von einem Missionr, der Weibund Kind hat, die Kinder notgedrungen in seinerHeimat erziehen lassen mu und dessen Frau an Heim-weh leidet, verlangen oder erwarten, da er sein ganzesLeben in einem koreanischen oder cochinchinesischenNeste abgesperrt bleibe oder sich mit japanischenoder birmanischen Ausstzigen in einem Spital frimmer interniere.Da es bei vielen Leuten zur Manie geworden ist,

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    ber die katholische Kirche und deren Klerus zuschimpfen und sie in den Kot zu ziehen, so seien dieLiberalen dieses Gelichters einmal von mir auf dieseGesellschaft der Missions etrangeres aufmerksamgemacht.

    Das hier von den Missions etrangeres Gesagte giltnatrlich in ganz gleichem Mae von den Missions-instituten der Jesuiten, der Lazaristen, Franziskaner,

    berhaupt von allen Mnchsorden, die sich der katho-lischen Propaganda widmen.

    Es gibt vielleicht auch unter den Protestanten Bei-spiele von einzelnen Mnnern, welche hnlicher Auf-opferung und Selbstverleugnung fhig gewesen sindund den Katholiken hierin in keiner Weise nachstehen.Aber ihre Zahl ist im Vergleiche zu den Katholischenminimal und verschwindend klein. Die katho-lische Kirche aber bringt solche Mnner alleJahre zu Dutzenden hervor, die protestan-tische nur uerst selten. Da nun der Durch-schnittskatholik um kein Haar besser, in manchenLndern sogar oft schlechter ist als der Durchschnitts-protestant, so entsteht die Frage, wie denn jener soberaus groe Unterschied zu erklren sei.

    Unter den protestantischen Mdchen jedoch findenwir einen viel greren Prozentsatz im Verhltnissezu den protestantischen Mnnern, welche beinaheebenso wie die katholischen Schwestern ihr Lebenganz den Armen und Kranken widmen, z. B. die Diako-nissinnen. Schon das gibt zu denken; denn wie ent-steht dieser Unterschied? Es ist zu durchsichtig, dasich hier die Frage wieder um das asketische Prinzipder Willensverneinung dreht. Denn diese protestan-

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    tischen Mdchen sind Clibatre und, wenn die Diako-nissin ihr Leben ganz und unbedingt opfert, d. h. mitdem festen Entschlsse, bei ihrem Eintritte nie mehrzu heiraten, nie Gattin und Mutter zu werden, aus-schlielich bis zu ihrem seligen Ende fr die Armen,Kranken und Elenden zu leben mit Aufopferung ihrerGesundheit, Kraft und Freiheit und in ihrer freienZeit nur dem Gebete und der Meditation zu leben, soexistiert zwischen ihr und der katholischen Nonne ab-solut kein Unterschied mehr. Ob nun jene protestan-tischen Mdchen, wenn sie sich diesem Berufe derCharitas widmen, stets die Absicht haben, der Weltund allen ihren erlaubten Freuden fr immer zu ent-sagen und es in ihrem Herzen Gott versprechen, dasist eine Sache, die niemand wissen kann, da sie daszwischen sich und der Gottheit ausmachen; bei denkatholischen Schwestern wissen wir aber, da es frsganze Leben gelobt wird, da der Bruch mit der Weltund ihren Freuden, namentlich mit der Liebe, ein voll-stndiger und immerwhrender ist und zwar auch injenen Orden, wo die Gelbde stets nur auf ein Jahrabgelegt werden. Der freiwillige Austritt einer Kloster-frau aus ihrem Orden gehrt zu den allergrtenSeltenheiten. Ob es wohl Diakonissinnen gibt, die nieeine Zeitung, einen Roman oder eine sonstige Unter-haltungslektre zur Hand nehmen? die in ihren freienStunden nur Erbauungsbcher lesen?

    Es wre nun interessant, zu prfen und herauszu-bekommen, ein wie groer Prozentsatz protestantischerMdchen, welche sich der Charitas, der Krankenpflegeund Kindererziehung widmen, als Diakonissinnen indieser Gemeinschaft sterben und wie viele von ihnen

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    in den Ehestand treten oder nach Ablauf einiger Jahreaus was immer fr Grnden zu ihren Familien zurck-kehren. Von protestantenfeindlicher Seite ist mir oftgesagt worden, da Ehen zwischen Diakonissinnen undrzten, sowie Patienten, die sie in ihrem Berufekennen gelernt, hufig vorkommen und da nur wenigeDiakonissinnen bis zu ihrem Lebensende bei der aus-schlielichen Ausbung der Charitas bleiben. Ichberlasse es dem Leser, der sich dafr interessiert,dieser wichtigen Frage nachzuspren. Sie kann unseine Antwort geben auf die Frage, welche der beidenKonfessionen bessere Frchte trgt*).

    Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so sehenwir, da in der rmischen Kirche unter den Priesternein unvergleichlich grerer Opfermut, eine grere

    *) Im Orden der Karmeliterinnen existiert eine Vorschrift,gem welcher es der jedesmaligen Vorleserin der geist-lichen Lesung verboten ist, das zu tun, was wir schn vor-lesen" nennen wrden, das heit die Interpunktion deutlich zumarkieren, mittels des Stimmfalles die Worte sinngem zubetonen, kurz, die Stze zu sprechen". Vorschrift ist, strikteintnig zu lesen, ohne Rcksicht auf die Interpunktion.Ebenso ist der Chorgesang der Vorschrift gem strikt ein-tnig. Die heilige Theresia wollte durch diese Vorschriftihren Tchtern unmglich machen, sich hervorzutun undabzustechen, also der persnlichen Eitelkeit keinen Spielraumbezglich schner Stimmeffekte oder geistvollen Lesenslassen. Alles Individuelle soll nach ihrer Intention unter-drckt und totgetreten werden.

    Analoge Unterdrckung der Individualitt finden wir imJesuitenorden und wohl auch noch in vielen anderen Orden.Hier ist dem jungen Jesuiten vorgeschrieben, was er zulesen und nicht zu lesen hat, wie er gehen, sitzen, redensoll, welche Miene er zu machen hat, ferner gibt es einegeistliche bung, welche darin besteht, da der Novizeknieend in Gesellschaft anhren mu, was seine Mitbrder

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    Aufopferungsfhigkeit herrscht, als unter den Prote-stanten, da aber die protestantische Diakonissin unterden oben genannten Voraussetzungen der katholischenKlosterfrau sehr nahe kommt, sie vielleicht vollkommenerreicht. Schon hierin ist man berechtigt, ein ge-schlechtliches, asketisches Moment zu wittern, eineVermutung, die jedoch zur Gewiheit wird, wenn manbedenkt, da jene opfermutigen, ihr Selbst fr immerverneinenden katholischen Priester ein asketisches undvollkommen keusches Leben fhren, die vortrefflichstenprotestantischen Mnner jedoch ein Eheleben, und dahier der Grund steckt, warum der Protestantismus inder Willensverneinung so vieles weniger leistet, als derKatholizimus. Noch sicherer wird aber die Sache,wenn wir bedenken, da der katholische Priester,

    an ihm auszusetzen haben, also Kritiken z. B. ber seinenGang, seine Art zu reden, zu gren usw., also ber lauterkleine, persnliche, ganz unschuldige Gewohnheiten, De-mtigungen, die ein Kind der Welt sicherlich auer Randund Band bringen wrden. Das sind solche peinliche Nadel-stiche, da nur eine ungeheure Liebe zu Gott imstande ist,sie in Demut zu ertragen.

    Die schwerste Bubung der Trappisten besteht in derununterbrochenen Dauer des gemeinsamen Lebens. Sie habennur gemeinsame Lokalitten, auch der Schlafsaal ist gemein-schaftlich, keiner verfgt ber eine Zelle. Man kann sichvorstellen, was das fr eine berwindung kosten mu, dasganze Leben nicht einen Augenblick hindurch allein seinzu knnen, immer mit anderen Menschen, die oft keineguten Manieren besitzen, zusammengepfercht zu sein. Trotz-dem sind die Trappisten die glcklichsten Menschen derWelt. Ein Mitglied dieses wunderbaren Ordens sagte einstmeiner seligen Mutter: Wenn die Knige der Erde eineAhnung davon htten, wie glcklich wir Trappisten sind,sie wrden sich ins Meer strzen, um uns entgegen zuschwimmen."

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    welcher das asketische Leben aufgibt, d. h. zunchstim Konkubinat lebt, total aufhrt, sein Leben denArmen, Kranken, Elenden und Unglcklichen zu widmen.

    Also liegt in der Askese und namentlich im keuschenClibat der Grund des ungeheuren Unterschiedes zwi-schen Protestantismus und Katholizismus.Der Protestantismus hat zwei Krperteile des Men-

    schen befreit, welche die rmische Kirche in eisernenFesseln hlt: das Gehirn (den Intellekt) und die Geni-talien (die Geschlechtsliebe), daher seine groe Popu-laritt. Man knnte noch hinzufgen: den Magen,doch das kommt wenig in Betracht im Hinblick aufdie groe Leichtigkeit, mit welcher die rmische KircheDispens vom Fastengebot erteilt und das geringe Opfer,welches bei diesen Fasten verlangt wird, die eigent-lich kaum eine Abttung genannt werden knnen,sondern blo einen ueren Akt des Gehorsams gegendie Kirche bedeuten. Wie anders ist das Fastengebotim Islam, im Judentum, in der orthodoxen Kirche!Ich will hier erwhnen, da jemand einmal den Aus-spruch getan hat: Mein ,Herz' ist katholisch, meinMagen protestantisch."

    Der Protestantismus hat das Gehirn, den Intellekt,befreit. Luther tat dies, ohne vielleicht zu ahnen,was er tat, welchen Fortschritt der Wissenschaft erdadurch mglich gemacht hat. Er selbst war nichtsweniger als aufgeklrt, er glaubte an einen persn-lichen Teufel, donnerte gegen die griechische Philo-sophie, hielt die Bibel fr echt und fr inspiriert.Aber der Grundsatz, da der Glubige beim Lesender heiligen Schrift" durch Gott direkt erleuchtetwird, hat die Kritik dieser heiligen" Schrift mglich

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    gemacht und zu den gewaltigen Resultaten der mo-dernen Bibelexegese, die natrlich in die ganze alteGeschichte hinberspielt und das hellste Licht bersie verbreitet, gefhrt. Wir sehen nun, da fast allegroen Gelehrten seit Erstarkung des Protestantismusder evangelischen Kirche angehrt, oder von der katho-lischen abgefallen, ihr also nicht mehr angehrt ha-ben. Dagegen auf katholischer Seite nichts, was sichdamit vergleichen liee. Der Kampf der Kirche gegendie Wissenschaft ist zu offenkundig, als da er ge-leugnet werden knnte. Selbstverstndlich gibt esunter den katholischen Glubigen ebenso gelehrte undwissenschaftlich gebildete Mnner, aber sie mssenschweigen, sonst kommen sie sofort mit ihrer Kirchein Konflikt. Ihre Route ist ihnen unbarmherzig vor-gezeichnet, sie knnen schreiben, aber sie wissengenau, wo sie ankommen mssen. Die Tatsache derSchpfung, der Sndflut, der Einheit des menschlichenGeschlechtes, die ganze Geschichte der Juden und inVerbindung mit letzterer auch ein bedeutender Teilder babylonischen, assyrischen, persischen, griechischenund gyptischen Geschichte, soweit er in der durch-wegs inspirierten" Bibel fixiert ist, bleibt ein nolime tangere. Dasselbe gilt fr einige Fragen der Natur-geschichte, der Astronomie, der Philologie, sogar derMedizin. berall Pfeiler, welche zeigen, wo der Wegluft, der bei Strafe der Exkommunikation eingehaltenwerden, ganz vorn am Ende des Hippodroms das Ziel,wo angelangt werden mu, d. h. ein solches, das dersogenannten Offenbarung nicht widerspricht. Einesaubere Wissenschaft frwahr, da Gott erbarm! Inner-halb dieser Grenzen herrscht natrlich vollkommene

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    Freiheit der Diskussion und der Forschung. So er-scheinen die wissenschaftlichsten Werke katholischerGelehrter stets als geniale Advokatenarbeiten, nichtaber als solche unparteiischer Zeugen. Sie kennennur eine katholische Philosophie, eine katholische Ge-schichte, zum Teil sogar eine katholische Naturgeschichte,wohin man aber dabei landet, kann man sich vorstellen,ja man erlebt es tglich. Da es mit den katholischenStaaten rapid zurckgegangen ist, leugnen selbst diekatholischen Theologen nicht. Spanien, Portugal, Ita-lien, Frankreich, sterreich, und gar die katholischenStaaten Sdamerikas ! Aber dagegen das protestantisheEngland, Nordamerika, Preuen, Holland usw.! welchein Unterschied. Eine Ausnahme von dieser Regelbildet glcklicherweise noch die Kunst.

    Mein Reich ist nicht von dieser Welt" sagt Jesus.Zu dieser Welt gehrt aber die Wissenschaft und dieErforschung der Natur, und die Politik in des Wortesausgedehntester Bedeutung.

    Die rmische Kirche kann wilde Barbaren durchihre Milde bekehren und bndigen, Vlker regierenkann sie nicht und wird es nie knnen. Alle Lnder,in denen sie allmchtig wurde, hat sie ohne zu wollenund ohne zu wissen wie, zugrunde gerichtet. In Frank-reich herrschte die Kirche seit Chlodwigs Zeit unum-schrnkt, der Schlu war die franzsische Revolution,deren Grundlehren die Umkehrung aller Grundstzedes Katholizismus vorstellen. So miserabel, schwachund resultatlos, war ihr Einflu auf die Nation!**)

    *) Von den protestantischen Staaten als da sind: Eng-land, Schweden, Norwegen, die Schweiz, Holland, Dnemark,.

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    Mein Reich ist nicht von dieser Welt! In diesemSatze liegt die Erklrung fr das unglaubliche Fiasko

    der katholischen Staaten.

    Pater Alban vom Orden der Benediktiner in Praghat wahrhaftig einen der wahrsten und treffendstenAussprche getan, den ich der Betrachtung des Lesersganz nachdrcklichst empfehle; er schreibt in seinen

    im Prager Tagblatt" verffentlichten Artikeln: Losvon Rom":

    Die katholische Kirche ist eine Veranstaltung Gottes,nicht zu einem weltfrohen, vergnglichen Leben, viel-mehr zu einem guten und seligen Sterben! Mancher,

    Nordamerika und Deutschland haben die ersten 7 bereitsdie schmachvolle Unsitte des Duells berwunden, Deutsch-land nur zum Teil. Es ist merkwrdig, da von diesen achtprotestantischen Lndern Deutschland dasjenige ist, in wel-chem der Katholizismus am mchtigsten vertreten ist. Inden katholischen Staaten dagegen blht noch immer dieseBarbarei und zwar fast in allen, trotz aller Bemhungen derrmischen Kirche, es abzuschaffen. Die Sklaverei war improtestantischen Nordamerika bereits im Jahre 1864 abge-geschafft, im katholischen Brasilien erst 26 Jahre spter, alsoim Jahre 1890, obwohl die Kirche die Sklaverei verbietet.Diese zwei Beispiele beweisen, wie unfhig die rmischeKirche ist, freie Vlker zu regieren. Zur Zeit ihrer grtenMacht blute die Sklaverei in Sdamerika natrlich ganzgegen ihren Willen. Der Kirchenstaat war einer der amschlechtesten regierten Staaten.

    **) Es hat einmal einen wirklich durch und durch ka-tholischen Staat gegeben, der, was seinen moralischen Wertanbelangt, unzweifelhaft alle Staaten bertroffen hat, die je-mals existierten. Es waren die Missionsstaaten der Jesuitenin Paraguay und den angrenzenden Lndern. Jesuiten re-gierten dort absolut. Die Eingeborenen durften die spanischeSprache nicht erlernen, die Patres druckten die Bcher,

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    der sein Leben lang der Kirche den Rcken gekehrthat, ruft in der Stunde des Todes mit brechendenAugen nach ihr. Am Schmerzenslager, am Sterbe-bette, da zeigt die Kirche ihre grte Macht. Damgen die anderen Bekenntnisse mit ihr konkurrieren,wenn sie wollen, wenn sie knnen."

    Die Sache ist auch sehr verstndlich. Das Christen-tum, dessen Wesen am wahrsten und vollstndigstenin der katholischen Religion, dann aber auch noch beiden Nazarenern, den Qukern, Skopzen und mhrischenBrdern zum Ausdruck kommt, ist keine gemtliche

    welche sie bentigten, selbst und ausschlielich in der Gua-ranisprache. Das Leben der Eingeborenen war geregelt nachArt der Statuten eines Jesuitenkollegiums. Fnf Tage konntejeder fr sich arbeiten, einen Tag der Woche mute fr dieGemeinde gearbeitet werden. Wurden junge Leute mann-bar, so wurden sie sofort verheiratet, um sie keinen snd-haften Anwandlungen auszusetzen. Verreiste der Gatte, sowurde seine Frau whrend seiner Abwesenheit in einemAsyle untergebracht und aufgehoben. Fremde Reisendedurften nur beim Pater absteigen, der sie beherbergte undverkstigte. Wie fr die Arbeit, so sorgte dieser auch fr dieUnterhaltungen und Zerstreuungen, so da keiner sich demMiggange hingeben konnte. Die Jesuiten rhmen sich mitStolz, da sie oft Jahre hindurch keine Gelegenheit hatten,in der Beichte auch nur von einer einzigen Todsnde zuabsolvieren. Es war ohne Zweifel der glcklichste Staat, derje existierte. Als aber der Jesuitenorden aufgehoben war

    ?

    ging dieser Staat gnzlich zugrunde, da seine Brger inihrer Unselbstndigkeit und Kindlichkeit nicht imstandewaren, sich zu behaupten. Halbaffen, die sie sozusagen ge-wesen, verschwanden sie nach dem Abzug ihrer Lehrer undsanften Dresseurs wieder in die Urwlder, woher sie ge-kommen waren.

  • 21

    und angenehme Religion, sondern etwas uerst ernstes,heiliges, groes. Sie ist die Religion der Willens-

    verneinung, der Weltflucht, des Mnchtums par excel-lence und daher der Gegensatz zu Welt und Natur,wo Tod und Teufel das Szepter fhren. Daher ver-langt die Kirche von ihren Priestern absolute Keusch-heit und Weltentsagung. Dieses Opfer knnen abernur wenige bringen, das sind die Auserwhlten, dieEliteseelen, die Heiligen. Ist nun die Kirche zu Machtund Ansehen und Reichtum in einem Lande gelangt,dann drngen sich scharenweise Leute in den geist-lichen Stand, die nicht sogenannte Liebe zu Gott (demPrinzipe der Willensverneinung und Heiligkeit) anzieht,sondern die Sucht nach mtern, Wrden, Ansehen,Geld und Macht. Nun kann aber im allgemeinen undmit nur minimalen Ausnahmen nur ein sehr heilig-miger Junggeselle das Geld und die Macht vertragen,ohne Gefahr zu laufen, in den Kot des Lasters zurollen, eine Gefahr, die beim verheirateten Familien-vater unendlich geringer ist. Diese Wahrheit besttigtdie groe Zahl unmoralisch lebender katholischer Priester.

    So hehr und erhaben ber die anderen Menschen derfromme glubige, asketisch und keusch lebende katho-lische Priester dasteht, so scheulich wird er, wenn

    er seine Eide vergessend, den Willen bejaht und sicheine Konkubine nimmt. Es gibt Lnder, wo fast jederkatholische Pfarrer im Konkubinate mit seiner Wirt-schafterin lebt; ich kenne ein Land, wo dies sogarohne Spur von Heimlichkeit geschieht, wo die Geist-lichen mit ihren Konkubinnen und Kindern bei Tageherumfahren, in ihrer Gesellschaft Besuche machenund Besuche empfangen, ja, wo die Konkubine mit

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    den Kindern sogar der Messe beiwohnt, die ihr Sou-teneur zelebriert.

    Gewhnlich wird ein Priester dieser Gattung, ein-gedenk der Worte Christi, da wer unwrdig diesesBrod it oder den Kelch des Herrn trinket, schuldigist des Leibes und Blutes des Herrn und sich dasGericht it und trinkt" (I. Kor. 11) und, weil er wei,da er im Stande der Todsnde sich befindet, bei derMesse die Hostie nicht konsekrieren, wodurch smt-liche Anwesenden nach katholischer * Auffassung

    freilich ohne es zu ahnen den ausgesprochenstenGtzendienst begehen. Fraglich bleibt dann auch, ober jene Hostien berhaupt konsekriert, welche er denGlubigen als Kommunion darreicht. Nun aber wirddas Volk, wie seine Priester sind, und man kann sichdenken, wie in solchen Lndern der Katholizismus,von dem gar nichts mehr brig bleibt, als der Name,ausschauen wird!

    Daher in allen jenen Lndern, wo die Bevlkerunges mit dem Christentum ernst nimmt, die Gemeindensich einen unmoralischen Priester nicht gefallen lassen;sie striken mit Recht, gehen nicht in die Kirche,empfangen keine Sakramente mehr, solange bis derSkandal ein Ende nimmt, oder der Priester sein Bn-del packt und geht. Solche Priester haben selbstver-stndlich das grte Interesse daran, ihre Gemeindein tierischer Dummheit und Unwissenheit zu erhalten,damit keinem die Augen aufgehen und keiner sich zumBewutsein bringe, was sein Seelsorger ist und waser eigentlich verdient. Fr den Klerus einiger Lnderist die Darstellung, welche gewisse Witzbltter und

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    sonstige giftige Hetzbltter vom Klerus geben, wahrund zutreffend. Leider!*)Ganz anders liegt aber die Sache in den Lndern,

    wo die Kirche keine Macht hat, wo sie arm und ver-folgt ist. Die ruhmvollsten Zeiten der Kirche warenimmer jene, in welchen sie verfolgt wurde, wo ihrKlerus und ihre Bischfe arm und im Staate machtloswaren. In solchen Zeiten hat es immer bewunderungs-wrdige, heilige Mnner in Massen gegeben. Diekatholischen Missionre in Ostasien sind, wie bereitserwhnt, eine Elite heiliger Mnner. Aber auch injenen Lndern, wo die Kirche sich in gedrckten Ver-hltnissen befindet, umgeben von gebildeten Feinden,die ihre Priester bestndig beobachten und ihre klein-sten Fehler verffentlichen, so z. B. in protestantischen

    Gegenden des deutschen Reiches, in England, den Ver-einigten Staaten von Nordamerika, verdient der katho-lische Klerus die hchste Bewunderung. Der katho-lische Priester erreicht da sehr hufig die hchsteHhe der Moral, auf welche sich ein Mann empor-ringen kann. Ich zweifle keinen Augenblick, da dieKirche in Frankreich, gerade, weil man sie jetzt drang-saliert, zu neuer Blte emporsteigen wird, weil nurberzeugungstreue Mnner, die bereit sind, Opfer zubringen und die beseelt sind, vom Wunsche, Belei-

    *) Es ist jedoch eine schmachvolle, perfide und ge-hssige Verlumdung, die Sache so darzustellen, als wreder katholische Klerus in der ganzen Welt so verdorben, wieer es blo in einigen wenigen Lndern ist und blo whrendeiniger kurzen Epochen in der Geschichte der Kirche ge-wesen ist.

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    digungen, Drangsale und Verfolgungen zu dulden undzu ertragen, in den Priesterstand eintreten werden.Wo die Kirche reich und mchtig ist, wird nicht

    die Sehnsucht nach Leiden, Drangsal, Verfolgung undAufopferung fr den Nchsten, also der Geist derWillensverneinung, sondern wie gesagt, die Sehnsuchtnach Geld, Wrden, Ansehen und Macht, d. h. derGeist der Willensbejahung, der Egoismus, die Mnnerin die Kirche treiben. Dann mu es sofort bergabmit ihr gehen.

    In Lndern, in welchen die Kirche prosperiert undungeschoren ist, ist es nur zu hufig der Wunscharmer Eltern, namentlich der glubigen Landbevlkerung,das Kind, welches sie studieren lassen knnen, demgeistlichen Stande zu widmen. Es ist auch ganz be-greiflich. Mit 30 Jahren kann der junge Mann Pfarrersein und ist dann versorgt frs Leben, inamovibel, vonkeinem Ministersturz, von keinem Menschen abhngig,dabei ohne Nahrungssorgen und in angesehener undallgemein geachteter Stellung. Kein Wunder, wennso manches Buerlein und seine bessere Hlfte davontrumen, fr ihren Michel diese herrliche Existenz zuerringen. Da ist aber die Gefahr gro, da der Michelden Eltern zuliebe, die ihn mit dem Gelde, das siesich vom Munde abgespart, studieren lieen, den ver-hngnisvollen Schritt tun knnte, Priester zu werden,um sich zu versorgen und die Last seiner weiterenVerpflegung als dankbarer und gehorsamer Sohn vonseinen guten Eltern abzuwlzen und ihnen eine groeFreude zu bereiten. Michel wird auch oft der festenberzeugung sein, da er gar wohl imstande seinwerde, die Pflichten zu erfllen, die er geloben wird.

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    Das Gelbde der Ehelosigkeit, so glaubt er, wird ihmkeine besonderen Schwierigkeiten machen. Zu Hauselebte er einfach, am Gymnasium hat er manchmal ge-hungert und hatte keine Zeit fr Allotria, er mutePrivatstunden geben, um sein Brot zu verdienen undauerdem noch fleiig studieren. Dann war er imSeminar so ziemlich hinter Schlo und Riegel. Jetztwird er ausgeweiht, wird Kaplan und mu Beichtehren. Im Beichtstuhl hrt er blhende Bauern-mdchen mit schwellenden Busen, strotzend von Kraftund Gesundheit, welche ihm ganz unverblmt diewonnigsten Liebessnden erzhlen.

    Jetzt ist der Moment gekommen, wo die Versuchungber ihn siegreich werden mu, wenn nicht der festesteGlaube, der strkste Entschlu zu entsagen, zu leiden,

    zu verneinen ihn aufrecht hlt und sttzt.Ist er nun aus weltlichen materiellen Grnden, oder

    auch nur aus Gehorsam gegen seine Eltern in denPriesterstand getreten, ohne Beruf dafr, so ist seinSchicksal schon besiegelt.Nach meiner Meinung ist es von seiten der katho-

    lischen Hierarchie ein groes Unrecht, Mnner vordem 40. Lebensjahre zu Priestern zu weihen. Wennich mir von einem jungen Menschen ein Versprechengeben lasse von der Art, da der Versprechende garkeine klare Vorstellung hat von den Schwierigkeiten,die sich der Erfllung desselben ganz sicher entgegen-

    stellen werden, whrend mir selbst diese Schwierig-keiten sehr gut bekannt sind, so handle ich nicht

    recht. Kein Priesterkandidat sollte zum Priester ge-weiht werden, der nicht als reifer Mann Beweisedavon gegeben hat, da er im keuschen Clibat jhre-

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    lang leben kann. Erst, wenn ihm dies nicht blo bis zum22. bis 24. Jahre, in welchem Alter gewhnlich die Weiheerfolgt, sondern auch vom 24. bis zu seinem 35. ja40. Jahre gelungen ist, dann erst kann man mit Wahr-scheinlichkeit darauf rechnen, da er das Gelbnisauch fernerhin werde halten knnen. Wenigstens dasBeichtehren sollte keinem Priester vor dem 40. Lebens-jahre gestattet sein. Der Christ betet: Fhre unsnicht in Versuchung", daher darf auch er niemandenin Versuchung fhren".

    In Anbetracht aller dieser groen belstnde habenviele fr die Aufhebung des Clibates eine Lanze ge-brochen, doch, wie ich glaube, sehr mit Unrecht. Denndie Kirche ist das Reich der Verneinung und derHeiligkeit und sie hat ein Recht von ihren Priesterndas grte Opfer zu verlangen, nur dann kann sie einReich bleiben, das nicht von dieser Welt ist.

    Ein einziger keuscher, heiliger Priester der Kirchetut mehr, um die Kirche zu heben, als hundert schlechteverderben knnen. Wre dem nicht so, so htte dieKirche schon lange aufgehrt zu existieren und dieMehrzahl der Katholiken wre zum Protestantismusbergetreten, wo die Pastoren meistenteils ein muster-

    haftes Eheleben fhren, das den Menagen ihrer ganzenGemeinde zum Vorbilde dient. Auch die Rabbinerund die kalvinischen Priester leben gewhnlich inmusterhaftester Ehe, ein Vorbild fr ihre Gemeinde.Wrde die katholische Kirche es ihnen nachmachen,so wren allerdings die vielen Skandale beseitigt, aberder Stempel der Heiligkeit, den diese Kirche von derimmerhin noch sehr bedeutenden Zahl jener ihrerClibatre erhlt, die den Willen zum Leben ber-

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    wunden haben, der wre dahin. Sie wre eine opti-mistische Religion wie das Judentum, der Protestan-tismus, zum Teil der Islam, der Parsismus und dieReligion des Kongfutse geworden. Wir sehen hierwieder, welche unberwindliche Macht, welch kolossalerZauber in der Weltverneinung liegt, die alleinselig-machend ist, eine Wahrheit, welche die Mystiker allerZeiten und Vlker und Religionen anerkannt haben,und welche darzulegen das Thema des Werkes seinwird, das ich seinerzeit zu verffentlichen gedenke,und von welchem diese Broschre blo ein Auszug ist.*)

    Der Protestantismus hat jedoch auer dem Intellekt,dem Gehirn, auch noch die geschlechtliche Liebe, dieGenitalien aus den Fesseln befreit, in welchen diekatholische Kirche sie geschmiedet. Dies tat er, indemer die Ehescheidung gestattete, infolge welcher Erlaubnisein Ehegatte sich von seiner Ehehlfte trennen undnoch bei deren Lebzeiten eine neue Ehe eingehendarf, indem er den Clibat abschaffte und die Ver-anlassung gab, da zahllose Keuschheitsgelbde schmh-lich gebrochen wurden.

    Die katholische Kirche hlt diesem laxen Stand-punkte der Bejahung des Willens zum Leben deneisernen der Verneinung entgegen. Dem klagendenEhemanne, der eine Kanaille zur Gattin genommen,ruft der Protestantismus zu: Wenn es gar nicht

    *) Im Hinduismus und Buddhismus finden wir die ber-zeugung vertreten, da es notwendig ist, Asket zu werden,um die Menschen und die Welt zu beherrschen; in denmonotheistischen Religionen die berzeugung, da Gebeteder Asketen von Gott lieber erhrt werden, als jene ge-whnlicher das Leben bejahender Menschen.

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    anders geht, wenn der Bruch unheilbar, deine Ehehlfteunwrdig und schlecht ist, so lasse sie aus und nimmdir eine andere!" Die katholische Kirche dagegen

    sagt: Ertrage, dulde, bekehre und bessere sie, dudarfst keine andere nehmen. Es ist durchaus nichtnotwendig, da du deinen Trieb befriedigst, lebe keusch,bete, faste, dann wird es dir gelingen, den Trieb zuunterdrcken." Also auf protestantischer Seite die

    Konzession an die Sinnenlust, an die Bejahung, aufkatholischer die unbedingte Verneinung.Da der Protestantismus auerdem die Ohrenbeichte

    abgeschafft hat, hat er den Ehegatten die grte Freiheitin ihrer Liebe gegeben, whrend der katholische Seel-sorger im Richterstuhl der Beichte stets darauf dringensoll, da die Ehegatten den Beischlaf nur ausben zumZwecke der Kinderzeugung und nicht aus sinnlicherLust. Papst Innocenz IX. hat im Jahr 1679 ausdrcklichden Satz verdammt, da der eheliche Beischlaf, wenner aus purer Wollust ausgebt wird, durchaus von

    jeglicher Schuld und llicher Sndhaftikeit frei ist.Der vom Papste Innocenz IX. verdammte Satz lautet

    wrtlich: Opus conjugii obsolam voluptatem exercitumomni penitus caret culpa ac defectu veniali." Siehedas interessante Werk Moechialogie, Trait6 des p6chescontre les sixieme et neuvieme commandements dudecalogue par le Pere Debreyne. Paris 1874, 5.6dition,

    Seite 296.

    Ich bitte diese Tatsache wohl zu merken, denn sieist von der denkbar grten Wichtigkeit. Denifle in

    seinem Werke, Luther und Luthertum, 2. Auflage,Seite 265 schreibt: Viele Scholastiker sprachen nurdann von einer llichen Snde, wenn der eheliche

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    Akt blo um der mit demselben verbundenen sinn-lichen Lust willen vollfhrt wird." Pater Denifle wuteaber ganz genau, da dies nicht blo die Meinung vonvielen Scholastikern ist, sondern, da ein Papst dar-ber einen Ausspruch getan hat und da dieser Aus-spruch, weil er ausgeht vom obersten Chef der Kirche,die ganze Christenheit betrifft und einen Gegenstandder Sitten zum Objekt hat, notwendig ein Kathedral-spruch ist, was mir wohl ohne Schikane niemand ab-leugnen wird. Pater Denifle wnschte eben nicht ein-zugestehen und wollte vermeiden, da es bekannt werde,wie sehr die katholische Kirche der Liebeswonne alssolcher feindlich gesinnt ist.

    Luther selbst hat geheiratet trotz seines Gelbdes.Er konnte sein Fleisch nicht bezhmen. Er htte wieso viele andere Priester seinerzeit eine Konkubinenehmen knnen, kein Hahn htte danach gekrht.Dazu aber war er zu anstndig, zu ehrlich. Er dachte

    na'ch ber den Ursprung des Clibates, den Wert derKeuschheit, die Ehe und gelangte zum Schlsse, dakein Papst der Welt berechtigt sei, Gesetze aufzustellen,die einem Menschen die Befriedigung des Triebes inder Ehe verbieten. Htte er als katholischer Priesterheiraten drfen, er htte vielleicht nie die Reformationveranlat. Wir haben hier wieder ein eklatantes Bei-spiel vom Primat des Willens im Selbstbewutsein.Luther wollte heiraten, er konnte ohne Weib, ohneBefriedigung seines Triebes nicht leben. Dies wollteer aber nicht auf ungesetzmige Weise, im Konku-binate tun, sondern in Ehren. Da spannte sein Trieb sein Wille zum Leben seinen gewaltigen Intel-lekt an den Wagen, er warf das ganze System der

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    rmischen Kirche ber den Haufen und da, wo ertriumphierte, ist auch der Trieb in gewissen Schrankenfrei, jedenfalls nirgends ganz unterdrckt.*) Es istallbekannt, da es der Wille zum Leben, die Bejahungdes Willens, also das Begehren gewesen ist, das demProtestantismus berall die Wege geebnet hat, die

    *) Ich fragte einmal einen hochgelehrten, mit mir intimbefreundeten deutschen protestantischen Pastor, einen Mannerster Klasse an Wissen und Charakter, wie ich wenige imLeben getroffen, aus welchen Grnden er und die protestan-tischen Glubigen den Luther eigentlich lieben und ver-ehren. Seine Antwort war: Wegen seiner ungebndigten,vor nichts zurckschreckenden Energie, ich mchte fastsagen Trotzes, dieser Urgewalt des Charakters, dann wegenseines damit verbundenen einfachen, kindlichen Glaubens."Ich fand darin wirklich nichts so besonderes und hervor-ragendes im Verhltnis zur Verehrung, deren er unter deut-schen Protestanten sich erfreut; im Gegenteil scheint mirhier ein ungeheures Miverhltnis zu obwalten. Ich bin vonmeiner berzeugung nicht abgekommen, da die Verehrungfr Luther blo darin seinen Grund hat, da er seinen An-hngern das Leben so uerst genehm und leicht gemachtund alle Keime in seine Lehre hineingelegt hat, aus welchendie persnliche, religise und politische Freiheit und dieWissenschaft emporgeblht sind.

    Wie anders und um wie viel grer war Johann Hus!Er hat sein priesterliches Gelbde rein gehalten. Heiligschied er aus dem Leben, ein keuscher Priester. Er starbfr seine berzeugung, widerrief nicht und bestieg denScheiterhaufen, ein Held! Ihm glauben wir es gerne, daer berzeugt war von der Wahrheit seiner Lehre, die ihmkeinen Ruhm, den er erleben konnte, keinen Beifall einerhalben Welt, keine reizende liebende Jungfrau zufhrte. Husist und bleibt der ewige Ruhm der tschechischen Nation.

    Auer Hus hat keiner der Reformatoren ein sittenreinesLeben gefhrt.

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    Geilheit Heinrich VIII. in England und des Gromeistersdes Deutschen Ordens in Livland, in DeutschlandPhilipp von Hessen, dem Luther erlaubte, das Ver-brechen der Bigamie zu begehen, ferner die Habsuchtder deutschen Frsten, die Geld fr ihre Maitressenbrauchten und darum die Kirche plnderten und be-raubten.

    Professor Harnack hat in seinem Werke: Lehrbuchder Dogmengeschichte III, Seite 204 bemerkt, da diechristliche Religion im Katholizismus in eine beson-dere, innige Beziehung zur Geschlechtssphre gesetztist. Die Kombination von Gnade und Snde, wobeidie letztere vornehmlich als Erbsnde, bzw. als Ge-schlechtstrieb mit seinen Ausschweifungen erscheint,sei der Rechtstitel fr jene gruliche und ekelhafteDurchstberung des menschlichen Schmutzes geworden,welche, wie die Moralbcher des Katholizismus be-weisen, ein Hauptgeschft des Beichte hrenden Prie-sters ist und zwar des ehelosen Priesters und Mnchs.Harnack tadelt diese Richtung in der katholischenKirche; mir ist sie ein Beweis dafr, da die katho-lische Kirche ihrem Wesen nach durch und durchlebensverneinend ist, und zwar mit Recht, und da siemit ihren Forderungen der Lebensverneinung und Ab-ttung gerade dort ansetzt und dorthin das Schwer-gewicht legt, wo der Wille zum Leben seinen Brenn-punkt hat. Und dies tun auch tatschlich, und zwarmit Recht, alle groen Verneinungsreligionen, die katho-lische Kirche befindet sich hier in vollster berein-stimmung mit dem Brahmanismus, Buddhismus und dem(echten) Sufismus.

    Es ist bekannt, da die katholische Theologie den

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    Satz festhlt, da jeder Ku, jeder Blick, jede Berh-rung, jede Umarmung, die mit fleischlicher Lust auer-halb der Ehe erfolgt, eine Todsnde ist; dann ist sieverpflichtet, um konsequent zu sein, in der Beichteund in der Schule dahin zu wirken, da derartigeSnden nicht stattfinden. Das tut sie nun auch unddas ist der Grund, warum sie so verhat ist.

    Es ist sehr bemerkenswert, da es ein Motiv derWillensbejahung ist, das in Frankreich eine groe Zahlgeborener Katholiken ihrer Kirche entfremdet. InFrankreich herrscht bekanntlich das Zweikindersystem,also fakultative Sterilitt durch absichtliche Verhinde-rung der Empfngnisse. Nach katholischer Lehre liegtin solchem Vorgehen eine Todsnde (vergl. Genesis38, 8 11). Die Beichtvter sind nun verpflichtet, fallssie den geringsten Verdacht haben, da ein Ehepaarabsichtlich Empfngnisse verhindert, durch Nachfragenund Belehrungen darauf zu dringen, da dasselbe ent-weder sich des Beischlafes gnzlich enthalte, oder derNatur ihren freien Lauf lasse. Die Beichtenden nunwissen genau, da sie, wenn sie sich dem nicht fgenwollen und ein solches Vorgehen in der Beichte ver-schweigen, ein Sakrilegium begehen und da die Ab-solution ungiltig wird. Sie wissen auch, da genaudasselbe der Fall ist, wenn sie bei der Beichte nichtden festen Vorsatz haben, sich dem Willen der Kirchein Zukunft zu unterwerfen. Wollen sie also wederin Keuschheit leben, noch sich der Gefahr eines Fa-milienzuwachses aussetzen, so bleibt ihnen gar nichtsanderes brig, als eben auerhalb der Kirche zu blei-ben und so zu leben, als wren sie nicht katholisch.Das drckt nun ihr Gewissen ganz schrecklich, weil

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    sie wissen, da sie der Hlle verfallen sind, wenn siesterben sollten, ohne Zeit gehabt zu haben, die Sakra-mente zu empfangen, oder falls dies nicht tunlich,wenigstens einen Akt vollkommener Reue zu erwecken.Diese Situation ist nun fr sie eine uerst ungemt-liche und erzeugt gewhnlich einen infernalen Hagegen die Kirche. Man mu sehr naiv sein, wennman glauben wollte, da Monsieur Durand seine Kirchehat, weil ihm die Rechtfertigungs- oder Abendmahls-lehre nicht in den Kram pat. Wir wissen, was Mon-sieur Durand gerne mchte und nicht haben kann,was ihn kitzelt, plagt und reizt und woher sein Grollentspringt. Gewi nicht aus seinem kleinen Gehirn . . .Obigem Ausspruche des Papstes Innocenz IX. gegen-

    ber steht die protestantische Auffassung im diame-tralen Gegensatz. Die katholische Kirche sagt: Dieabsolute und unbedingte Keuschheit bei Ledigen isteine Pflicht, jede Verletzung derselben Todsnde.Der Trieb kann berwunden werden. Alle Priestersind dazu verpflichtet, aber auch alle Ehemnner,deren Frauen schwanger, oder aus was immer freinem Grunde den Koitus nicht ausben knnen; alleEhemnner, die von ihren Frauen getrennt leben,sind zur vollstndigen Keuschheit verpflichtet unterGefahr ewiger Hllenstrafe. * Dagegen Luther: Gottnimmt nicht von dem Menschen weibisch oder mnn-lich Gestalt, so da eines Christen Leib ebensowohlsich mu besamen und mehren und zchtigen, wieandere Menschen, Vgel und alle Tiere, dazu er dennvon Gott geschaffen ist, so da von Not wegen einMann sich zum Weibe und ein Weib sich zum Mannehalten mu, wo Gott nicht Wunder tut.* Ferner Es

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    ist nicht freie Willkr oder Rat, sondern ein ntignatrlich Ding, da alles, was ein Mann ist, ein Weibhaben mu, und was ein Weib ist, mu einen Mannhaben. Denn dies Wort, das Gott spricht: Wachsetund mehret euch* ist nicht ein Gebot, sondern mehrals ein Gebot, nmlich ein gttlich Werk und istebenso ntig und ntiger, als essen und trinken, fegenund auswerfen, schlafen und wachen."

    Ist nun der Geschlechtstrieb unberwindlich, dannkann es keine groe Snde sein, wenn ein Junggeselleoder ein Ehegatte, dessen Frau infolge einer Krank-heit nicht in der Lage ist, den Beischlaf auszuben,oder der sich auf einer lngeren Reise von seinerFrau getrennt hat, eine Konkubine nimmt, oder zurProstituierten geht. Das folgt unmittelbar und miteiserner Konsequenz aus der Lehre der Unmglichkeitder Unterdrckung des Triebes. Entweder oder!

    Es ist die feste berzeugung der tiefsten Denkeraller Zeiten und Vlker, da die Welt ein nichtigesDing ist; in dieser Frage stimmen die weisesten derInder, Griechen, Rmer, Juden, Christen, Muslims,Buddhisten berein, glubige und unglubige Dichterund Philosophen, mit einem Worte der denkendeMensch als solcher, wenn er zum Gebrauche seinerVernunft gekommen und reichliche Erfahrungen ge-sammelt hat.

    Ist nun, wie wir nicht zweifeln, nach Jesu Christigroartigem Ausspruche der Frst dieser Welt" derGeist der Bejahung des Willens zum Leben, so folgt,da es die grte Weisheit ist, sich so einzurichten,mit dieser Welt so wenig Beziehungen als mglichanzuknpfen, die bereits angeknpften so rasch als

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    tunlich aufzulsen und zwar ganz und fr immer undihr entschlossen den Rcken zu drehen um nicht mehrfr sich, sondern nur mehr fr andere zu leben, denndie Welt ist bankrott (Schopenhauer), wir knnen ihrso wenig helfen, als sie uns, solange der obige Frstmit dem interessanten Wappen darin das Szepter fhrt.

    Die Lehre von der Notwendigkeit der Weltflucht alsVorbedingung der Mglichkeit von Heil und Erlsungist durchaus nicht, wie so viele dem Katholizismusfeindliche Ignoranten sich einbilden, eine christliche

    Erfindung. Wir begegnen ihr lange vor Entstehungdes Christentums und bei Vlkern und Nationen, diemit dem Christentum niemals das Geringste zu tunhatten. Wir treffen diese groe Lehre sogar bei Philo-sophen und Theologen jener Religionen, welche aufdem Standpunkte der Bejahung des Willens zum Lebenstehen, z. B. im Judentum und Islam. Was das Juden-tum betrifft, so sei hier gleich erwhnt, da RabbiBahya Ben Joseph Ibn Pakuda, der bekannte jdischePhilosoph des elften Jahrhunderts aus Saragossa inSpanien, in seinem wunderbaren Werke Hobot ha-Lebabotber die Herzenspflichtenein ganzes Kapitelber die Weltflucht geschrieben hat (Sha'ar ha-Perishut),und eine ebenso herrliche Abhandlung ber die Liebezu Gott (Shacar Ahabat Elohim); dann da der ge-waltige mohammedanische Theolog Al-Ghazli, derThomas von Aquino des Islam, in seinem groender Summa vergleichbaren Riesenwerke Ihy-el-ulm,d. h. die Wiederbelebung der Wissenschaften, mehrerelange Kapitel ber die Weltflucht, die Verachtung derWelt, der irdischen materiellen Gter, des Reichtums,der Macht, der Wollust und der anderen Scheingter

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    dieser Erde geschrieben hat. Diese Werke des JudenBahya und des Mohammedaners Al-Ghazli stimmenin allem wesentlichen mit der Lehre berein, die unsim schnsten Buche des Christentums, d. i. in derwahrhaft von der Gottheit inspirierten NachfolgeChristi" entgegen leuchtet, so sehr auch die theolo-gischen Beweisgrnde, die sie zugunsten ihrer Lehreins Treffen fhren, da sie ja doch alle drei Religions-gesellschaften angehren, von denen die eine die an-dere hat und verabscheut, voneinander abweichen.Man wende mir nicht ein, da schlielich und end-

    lich die Lehre von der Weltflucht, wie sie der heiligeThomas von Kempis, wie sie der Jude Bahya und derMuslim Al-Ghazli darstellen, aus gewissen Glaubens-stzen entstrmt, welche den drei Religionen gemein-sam sind, aus Ideen, die aus dem Judentum ins Christen-tum und in den Islam hineingeflossen sind. Nichtsist leichter zu widerlegen, als dieser Einwurf, dennauch der Buddhismus, der Hinduismus, die indischeReligion der Jainas und die chinesische Lehre desLaotze predigen Weltflucht. Diese alle stimmen indiesem Punkte berein mit dem alexandrinischen JudenPhilo und den neuplatonischen sogenannten Heiden"Plotinus und Porphyrius. Da wir nun vollends auchnoch Spuren einer Weltfluchtlehre bei den amerika-nischen Naturvlkern der vorcolumbischen Zeitnachweisen knnen, so ist der Beweis erbracht,da die Welt mit aller ihrer Pracht und Herrlichkeitetwas hchst feindliches ist, das zum mindesten ge-flohen, jedenfalls verachtet und vor allem berwundenwerden mu; denn, wenn es berhaupt eine Wahrheitgibt, so kann sie nur in der berzeugung liegen, wo-

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    rin die besten und intelligentesten Menschen berein-stimmen. Diese berzeugungen mssen die reine,volle und undestillierte Wahrheit enthalten, oder esgibt berhaupt gar keine Wahrheit; dies wre die Ant-wort auf die Frage des Pilatus, was ist Wahrheit"?nachdem ihm Christus geantwortet hatte: Ich bingekommen, Zeugnis zu geben der Wahrheit", eineAntwort, die keine Definition gibt, sondern nur denHinweis enthlt auf Christus, sein Leben und seineLehre, auf Christus, der von sich selbst gesagt hat:In der Welt habet ihr Angst, aber seid getrost, ichhabe die Welt berwunden." So schart sichdenn alles, was die Welt, ihre Pracht, ihre Herrlich-keit, ihre Lste und ihren noblen Frsten bekmpft,alles was dagegen Sturm luft, um das Panier jenesgrten und heiligsten aller Weltberwinder. Selbst-verstndlich blo im Bereiche des ungeheuren Gebie-tes, welches das Christentum bis heute erobert hat,whrend dort im fernsten Asien alles, was den Kampfgegen die Welt aufgenommen, diese unter BuddhasFhrung bekriegt, jenes Frstensohnes, der allem ent-sagt hat, um ein armer Mnch zu werden.Der groe mohammedanische Theolog Al-Ghazli

    sagt im dritten Bande seines Werkes Ihy el ulm: Esist die allgemeine berzeugung der Weisen, da man dieGlckseligkeit nicht erreichen kann, ohne die Seeleihrer Wnsche zu berauben und ohne ihren Begierdenzu widerstehen, brigens ist dies auch ein Glaubens-satz, dem man sich unterwerfen mu. . . . Das ganzeGeheimnis der Askese besteht darin, in einen Zustandzu geraten, in welchem die Seele sich an gar nichtsmehr von dem ergtzt und erfreut, was sie beim Tode

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    zurcklassen mu", und an einer anderen Stelle be-merkt er, da der Zweck der Askese der ist, dawir sterben im Zustand einer groen Liebe zu Gottund in seiner Erkenntnis".

    Er erwhnt auch, da es Heilige im Islam gegebenhat, welche ihre Reichtmer und alles was sie besaenins Meer geworfen haben, blo um der Eitelkeit zuentgehen, der sie zu verfallen frchteten, wenn mansie dafr gelobt htte, da sie ihr ganzes Vermgenden Armen geschenkt htten.Nach der indischen Yogalehre mu der Krper ge-

    wissermaen von jeder irdischen Hoffnung und Furcht,von allen Wnschen dieses Erdenlebens entwhnt wer-den. Sogar die Eindrcke, welche im Laufe des Erden-lebens auf den subtilen Krper hervorgerufen werden,mssen ausgelscht, alle Anziehungskrfte des Fleischesvernichtet werden, dann wird die Wiedergeburt un-mglich, weil nach Eintritt des Todes der subtile Kr-per keinen Wunsch mehr haben wird, auf die Erdezurckzukehren, sondern untertauchend in die Seelesich mit dem Allgeist vereinigen wird.

    Ein neuerer indischer Schriftsteller, Babu ShishirKumar Ghose, hat das Verhltnis der Seele zum Kr-per in sinniger Weise folgendermaen erklrt: DieSeele ist mit dem Krper verbunden und fhlt sichnatrlich zu ihm lebhaft hingezogen, aber sein wirk-licher und rechtmiger Genosse ist der groe Geistdes Universums, also das Brahman. Die Seele desMenschen gleicht einem Weibe, deren Geliebter derKrper, deren rechtmiger Gatte jedoch der groeGeist Gottes (Brahma) ist. Die Seele jedoch verltpflichtvergessen ihren rechtmigen Gatten und hngt

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    sich an ihren Liebhaber, den Krper. Das Ziel derbung des Yoga ist das Weib, das ist die menschlicheSeele von ihrem Geliebten, d. h. dem menschlichenKrper, loszulsen und sie wieder zu vereinigen mitihrem rechtmigen Gatten, dem groen Geiste Got-tes, Brahman."

    Es gibt zwei Wege, um diese Wirkung herbeizufhren.Der eine besteht darin, da man das treulose Weibzu berreden trachtet sich von ihrem Liebhaber zutrennen, der andere, indem man den Geliebten ihrzuwider und unangenehm macht. Die Yogaphilo-sophen trachten nun der Seele zu beweisen, da ihreunerlaubte Zuneigung zum Krper nicht zu ihremHeil fhren kann, da der Krper nicht immer besteht.Dann aber und dieses ist die Hauptsache bensie verschiedene Arten asketischer bungen aus undverhindern auf diese Weise die Seele aus ihrer Ver-bindung mit dem Krper irgend welche Freude zugenieen. Auf diese Weise, wird die Seele veranlat,sich langsam und allmhlich vom Krper loszumachenund sich dem groen Geist entgegenfhren zu lassen,um stets mit ihm vereinigt zu bleiben. Das Mittel,um diese Vollkommenheit zu erreichen, besteht in derPflege der Apathie (Vairagga) in der Entwurzlung allermenschlichen Regungen, Wnsche und Lste untervollkommener Loslsung des Geistes von allen irdi-schen Dingen. Es ist die berzeugung vieler Yogis,welche durch innige Liebe zum Unendlichen ver-knpft sind, da eine mystische Vereinigung zwischender individuellen Seele und dem Allgeist Brahma so-gar schon mglich ist zu einer Zeit, in welcher dieSeele noch in dem Kerker des Krpers eingeschlossen

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    ist. Die Erreichung dieses Zieles ist der hchsteWunsch des Yogi, und den Weg zu zeigen, wie es er-reicht wird, ist Hauptaufgabe des Systems, das Patan-jali gegrndet hat. Das Wort Yoga bedeutet Vereini-gung. Yoga vidya ist das ganze System der philo-sophischen Lehren und der praktischen bungen, welchediese Vereinigung der Seele mit Brahma zu erzielenbestimmt sind. Yogi ist derjenige, welcher diesebungen (yoga) ausfhrt, in der Absicht, seine Seelemit Brahma zu vereinigen. Hier mu bemerkt werden,da nicht alle Yogis yoga ben, und da das Systemnicht blo der Sekte der Yogis angehrt, sondern einefast allgemeine Geltung in Indien besitzt, auch davielleicht andere Sekten, selbst Laien, ja sogar ver-heiratete Leute und Familienvter sich hufig dieserbung ergeben. So hat zum Beispiel in neuer Zeitauch Babu Keshab Chundra Sen, der Grnder dertheistischen Sekte Brahmo Samaj yoga gebt.

    Nichts ist komischer als die von protestantischer Seiteimmer wieder gemachten und stets wieder zersprungenenVersuche zu beweisen, da die Religion Christi dochnicht durch und durch asketisch sei. Als Beweis frihre Behauptung fhren sie immer wieder an, da derHeiland in Kana an einer Hochzeitstafel teilgenommenund bei dieser Gelegenheit Wein gespendet habe, daer Wein getrunken, weil sonst seine Zeitgenossen nichthtten sagen knnen: Siehe wie ist der Mensch einFresser und Weinsufer" weil er seinen Jngern immerwieder eingeschrft hat nicht zu sorgen".

    Aber um Gotteswillen! Wissen denn die Herrennicht, da es Asketen gibt, welche, um der Kirche zudienen, ebenfalls Gastmhler besuchen, um bei dieser

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    Gelegenheit Macht und Einflu ihrer Kirche zu ver-mehren und dadurch Gott zu dienen, da Nonnen alsKrankenpflegerinnen, um sich krftig zu erhalten, Weintrinken und sogar hufig den Befehl von ihren Vor-gesetzen erhalten, sich soweit ntig durch Wein undBier zu krftigen; da das Nichtsorgen und die darausentspringende Heiterkeit geradezu in den Klstern zuHause ist. Zur Askese gehrt nicht notwendig Ab-sperrung in einer Zelle, Einsiedelei in einer Wste,stndige Enthaltung von alkoholischen Getrnken. Umdie Menschen zu bessern und zu bekehren ist derHeiland zu Gastmhlern gegangen, sicherlich nicht, umsich zu amsieren, wie es die Protestanten gar sogerne haben mchten. Um zu bessern und zu be-kehren gehen auch zahlreiche asketisch lebende Mnchein die Welt mitten unter die Menschen, trinken beidiesen Gelegenheiten auch Wein, reden mit Damen,alles ad majorem Dei gloriam und durchaus nicht zureigenen Unterhaltung.

    Schopenhauer hat frwahr sehr recht, wenn er sagt,da die christliche Religion eine Religion der Welt-flucht und Weltverneinung ist, so sehr auch immerwieder von verschiedenen Seiten, namentlich aber vonSeite des Protestantismus, hufig auch mirabile dictuvon katholischer Versuche gemacht worden sind undimmer noch gemacht werden, um diese selbstverstnd-liche Wahrheit zu vertuschen.

    Johann Jakob Olier (f 1657, Grnder der Kongre-gation von St. Sulpice) schreibt mit Recht: Nie zwei-felte ich, da der Schwerpunkt des Christentums imLeiden liegt." Wie sehr Christus selbst Weltflucht,Entsagung und Abttung in Wort und Tat gepredigt,

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    beweist uns fast eine jede Seite des neuen Testaments.Wir wollen hier einzelne der bedeutenderen dieserStellen anfhren und zwar nach der bersetzung vonDr. Josef Franz Allioli, weil diese bersetzung mitApprobation des Apostolischen Stuhles erschienen istund die Benutzung anderer bersetzungen uns denVorwurf zuziehen knnte, da wir den Text unrichtigwiedergeben. Zunchst einige Aussprche Christiselbst. Nach Lukas 14, 33 spricht der Herr: Alsokann auch keiner von euch, der nicht allem entsagt,was er besitzt, mein Jnger sein." Hierzu machtAllioli die Bemerkung: Ein wahrer Christ zu seinist ein so groes und schwieriges Geschft, als wennjemand einen Turm bauen oder einen noch einmal sostarken Feind besiegen wollte. Zu dem groen undschwierigen Geschfte gehren groe, auerordentlicheHilfsmittel, um zum Ziele zu gelangen, vollkom-mene Entsagung alles dessen, was ein Hindernis zumHeile ist. Dieses Gleichnis und die dadurch vor-gestellte Lehre geht alle Christen an, insofern alledas meiden und verlassen mssen, was sie nur untereiner schweren Snde und mit Verlust ihrer Seligkeitbehalten knnen, vorzglich aber die, welche den Standder Vollkommenheit gewhlt haben; diese mssen allesmeiden und verlassen, was sie in ihrem Vorhaben voll-kommen zu sein, hindern kann."Im 19. Kapitel des Matthus lesen wir, da Jesus

    dem reichen Jngling antwortet: Willst du vollkommensein, so gehe hin und verkaufe alles, was du hast,und gib es den Armen." Worauf er, nachdem derJngling traurig davongegangen, seinen Jngern sagt:Wahrlich ich sage euch, es ist schwer, da ein Reicher

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    ins Himmelreich eingehe" und dann wieder: Es ist

    leichter, da ein Kamel durch ein Nadelhr gehe, alsein Reicher ins Himmelreich eingehe." Die christ-

    lichen Theologen sagen, der Herr habe dem reichenJngling auf seine Frage was fehlt mir noch?" mit

    seiner oben zitierten Antwort kein Gebot, sondern

    einen Rat erteilen wollen. Diese Erklrung wider-

    spricht aber einem anderen vom Herrn getanen Aus-spruch, welcher lautet: Ihr also sollet so vollkommen

    sein, wie auch euer Vater im Himmel vollkommenist", ein Ausspruch, von dem die Theologen dochnicht behaupten werden, da er nicht an alle Menschengerichtet ist, sondern da er blo einen Rat fr einige

    ausdrcken soll, denn selbstverstndlich sollen alle

    nach der Absicht Christi nach Vollkommenheit streben,da das Gegenteil Lauheit wre und geschrieben steht:O, da du kalt wrest oder warm, weil du aber lau

    bist und weder kalt noch warm, werde ich dich aus-speien aus meinem Munde." Offenb. 3, 16.

    Tatschlich sagt der Herr blo, und zwar auf sehrbedeutende Art, da Vollkommenheit ohne freiwilligeVerzichtleistung auf die Gter dieser Welt, d. h. ohneWeltflucht unmglich ist; er uert also eine der denkbartiefsten philosophischen Wahrheiten, deren Richtigkeit

    uns die tgliche Erfahrung besttigt, denn da irgendjemand, solange sein Herz an den vergnglichen Gterndieser Welt hngt, vollkommen und als notwendige Folgedavon dauernd glcklich sein knnte, lt sich nicht ein-mal vorstellen.

    Andere Stellen: Im 12. Kapitel des Matthus,Vers 36 finden wir, da die Menschen ber jedes un-ntze Wort, das sie reden, am Tage des Gerichtes

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    Rechenschaft werden geben mssen; in Matthus 26,52 die ausdrckliche Warnung zum Schwert zu grei-fen". Denn alle, die das Schwert ergreifen, werdendurch das Schwert umkommen." Allioli bemerkt dazu:Alle, welche mit dem Schwerte verletzen, ohne dazuermchtigt zu sein, verdienen, da ihnen dasselbewiderfahre." Damit will er also sagen, da es Men-schen gibt, die dazu berechtigt sind, das Schwert zugebrauchen, und die christliche Theologie kennt sogarein Jus gladii und sogar einen heiligen Krieg, denKreuzzug gegen die Unglubigen. Im Rituale und Pon-tificale Romanum gibt es sogar Segenssprche undZeremonien bei der Einweihung von Waffen undRittern.

    Im Widerspruche zum Befehle des Heilands, dembel nicht zu widerstehen, sondern wenn dich jemandauf deinen rechten Backen schlgt, so reiche ihm auchden anderen dar, stehen die von der Kirche geneh-migten Worte beim Ritterschlage in den geistlichenRitterorden: Im Namen Jesu, Maria und Georg diesen(Schlag) ertrage und keinen mehr!" Da ist denn dieBewunderung vieler fr die edle christliche Religions-gesellschaft der Nazarener, welche sich weigern eine

    Waffe auch nur anzurhren und sich lieber jahrelangeinsperren lassen, als sich zu dieser Berhrung her-beizulassen, eingedenk der diesbezglichen WorteChristi und des Ausspruches: man msse Gott mehrgehorchen als den Menschen, sehr begreifllich. Im6. Kapitel des Lukas finden wir die Seligpreisung der

    Armen; bei Matthus heit es Armen im Geiste".Allioli bemerkt, da unter Armen gemeint sind dieArmen mit der rechten Gesinnung und da deshalb

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    Matthus schreibt, die Armen im Geiste", denn dieArmut allein ohne Tugend und christlichen Sinn machenicht selig. Ich bemerke dazu, da von dieser Deu-tung sich im Texte des Lukas kein Wort findet. Dannfolgt die Seligpreisung der hungernden, der von denMenschen um des Menschensohnes willen gehaten,ausgeschlossenen und geschmhten, dann folgt einWehe auf die Reichen denn ihr habt euren Trost".

    Allioli macht hierzu die Bemerkung, da jene Reichengemeint seien, die ihren Trost, alle ihre Ruhe, Freudeund Seligkeit in den Gtern dieser Welt suchen. ImTexte steht hievon kein Wort. Dann folgt ein Weheauf jene, die gesttigt sind, denn sie werden hungern,hierauf ein Wehe auf jene, die jetzt lachen, denn siewerden trauern und weinen, dann ein Wehe auf jene,welche von den Menschen gelobt werden. Allioli be-merkt ferner, da unter den Gesttigten nur jene zuverstehen sind, welche ihre Wnsche immer erflltsehen; unter den Lachenden die Lacher im eitlenund sndhaften Saus und Braus; unter den Belobtendie von verkehrten, der christlichen Gesinnung ab-geneigten Menschen wegen ihren Reden, Handlungenund Gesinnungen Gepriesenen. Auch zur Sttze dieserDeutung findet sich im Texte kein Wort.

    Hierauf folgt das wunderbare Gebot, jene zu segnen,die uns fluchen, und zu beten fr jene, die uns ver-leumden; demjenigen, der uns auf den einen Backenschlgt, auch den anderen zu reichen, dem, der unsden Mantel nimmt, auch nicht den Rock zu verweigern;einem jeden zu geben, der uns bittet; von dem, deruns das Unsrige nimmt, das Genommene nicht zurckzu verlangen; zu leihen, ohne etwas dafr zu erhoffen;

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    barmherzig zu sein, sich nicht zu rchen und danndas groe Gebot des Christentums, unsere Feinde zulieben. Jede se Rache ist untersagt, jede Befriedi-gung jenes Gefhles, welches ein franzsischer Denkerdie Freude der Gtter" genannt hatDie Feindesliebe, die einem jeden Christen geboten

    ist, kann als identisch aufgefat werden mit dem Ge-bote zu sein wie Gott, denn das Kolossale dabei istdas Zerreien des Bandes zwischen Ursache und Wir-kung. Wie jede Handlung auf der Welt notwendigeine Wirkung ausbt, so auch eine jede Krnkung undBeleidigung. Die Beleidigung, wenn als solche emp-funden, mu wirken nach dem Gesetze der Kausalitt.Sie mu als Wirkung Ha, Rache und Abneigunghervorrufen; der Mensch nun, der dem Feinde ver-zeiht und ihn liebt, zerreit das Band der Kausalittund schwingt sich durch dieses Wunder empor zuden hchsten Hhen der Gottheit. Er tritt dadurchdas Karma mit Fen und von ihm gilt der tiefsinnigeSatz Goethes:

    Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,Befreit der Mensch sich, der sich berwindet."Im 14. Kapitel des Lukas finden wir den berhmten

    Satz: Wenn jemand zu mir kommt und hat nichtseinen Vater und seine Mutter und Weib und Kindund Bruder und Schwester, ja auch sogar seine eigeneSeele, der kann mein Jnger nicht sein." Eine Stelle,die im 10. Kapitel des Matthus etwas abgeschwchtist, indem dort statt hassen" weniger lieben" ge-schrieben steht. Dies entspricht vollkommen dem1. Gebote des Dekalogs: Du sollst keine fremdenGtter neben mir haben, sie nicht anbeten, noch

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    sie verehren," eine Beurteilung der Verwandten-liebe, die wir beim frommen Mohammedaner und imBuddhismus wiederfinden werden. Im 5. Kapitel desMatthus ist ausdrcklich erklrt, da, wer seinemBruder sagt: Du Narr" des hllischen Feuers schul-dig sein wird. In demselben Kapitel sagt der Heiland,da ein jeder, der ein Weib mit Begierde nach ihransieht, schon die Ehe gebrochen hat in seinem Herzen".(Dasselbe sagen Al-Ghazli und die indischen Theo-logen.) Hiedurch ist jeder wollstige Blick, jedeswonnige Weiden des Auges" dem Ehebruch gleich-gestellt und zur Todsnde erklrt. Hiemit ist auchdie Vielweiberei fr immer verurteilt*). Ebenso giltnach katholischer Moraltheologie Essen und Trinken,falls es nur geschieht, um den Gaumen zu kitzeln undangenehme Gefhle zu erregen, fr eine Snde.

    Im 14. Kapitel des Lukas finden wir das Wort desHerrn: Wenn du ein Mittag- oder Abendmahl gibst,so lade nicht deine Freunde, noch deine Brder, noch

    *) Sextus Pythagoricus hat die Sentenz niedergeschrieben:Omnis ardentior amator propriae uxoris adulter est", zudeutsch: Ein jeder, der seine eigene Gattin zu glhendsinnlich liebt, ist ein Ehebrecher." Auf demselben Gedankenfut das Thema der Kreuzersonate Leo Tolstois, des tief-sinnigsten Denkers Rulands. Das steht vollkommen imEinklang mit der Meinung der Kirchenvter ber die Ehe,worber ich mich in meinem Hauptwerke ausfhrlich aus-zulassen gedenke und wo ich den Nachweis zu liefern hoffeda diese Meinung sich in allen Religionen und in den ernstzu nehmenden Philosophiesystemen wiederfindet. Es ist nichtwahr, da die katholische Kirche die Ehe geringschtzt ; wassie verachtet, hat und bekmpft, ist nur die damit ver-bundene sinnliche Liebeswonne.

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    reiche Nachbarn, damit sie dich nicht etwa wieder

    laden und dir wieder vergelten werden, sondern, wenndu ein Gastmahl gibst, so lade Arme, Schwache, Lahmeund Blinde, und selig wirst du sein, weil sie dir nichtvergelten knnen."

    Noch sei hier die berhmte Stelle erwhnt im18. Kapitel des Matthus, nach welcher der Herr be-

    fiehlt, sich Hand oder Fu abzuhauen und die Augenauszureien, wenn dieselben uns rgern, ferner an

    den Passus des Kapitels 19, Vers 12: Es gibt Ver-schnittene, die sich um des Himmelreiches willenselbst verschnitten haben. Wer es fassen kann, derfasse es." Origines, der berhmte Kirchenlehrer, hatdiese christliche Lehre sicherlich erfat, studiert, ernst

    genommen und glaubte ihr gem zu handeln, indemer sich entmannte. Es gibt (nach Flad) auch heutenoch einen jdischen Mnchsorden in Abessynien,dessen Stifter Abba Zebra hie, dessen Mitglieder sichbei ihrem Eintritte in den Orden selbst entmannen.Auch im Islam sind Flle von Selbstentmannung ausLiebe zu Gott vorgekommen. Hierber werde ich inmeinem Hauptwerke ausfhrlich berichten.

    In Lukas 12, 5154 lesen wir:Meinet ihr, da ich gekommen bin, Friede der

    Erde zu geben? Nein, sage ich euch, sondern Tren-nung"; Matth. 10, 34, 35. Denn von nun an werdenfnf in einem Hause uneins sein, drei mit zweien,und zwei mit dreien; uneins der Vater mit dem Sohne,und der Sohn mit seinem Vater, die Mutter mit derTochter, die Tochter mit der Mutter, die Schwieger-

    mutter mit ihrer Schnur, die Schnur mit ihrer Schwie-

    germutter."

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    Eine Prophezeihung, die sich stets erfllt hat!Wenn nach allen hier aufgezhlten Aussprchen

    Christi noch irgend jemand behaupten wollte, dasChristentum wre seinem innersten Wesen nach keinedurch und durch weltverneinende und asketische Re-ligion, in welcher alles verboten und an den Prangergestellt wird, was das Herz des irdischen Menschenerfreut, die Wonne der Geschlechtsliebe, die Freudender Mahlzeit, der Familienliebe, das Lachen*), dasgemtliche Unsinnplaudern, das freie Denken, dieGeselligkeit im Familienkreise usw. usw. Wenn einer,sage ich, trotz des klaren Sinnes aller dieser Zitatebehaupten wollte, da Christentum und das Genieender Welt miteinander wohl vereinbar seien, dann muich gestehen, da ihm nicht geholfen werden kann, undda ich mir die weitere Mhe erspare, ihn zu ber-zeugen.

    Der Protestantismus hat," schreibt Schopenhauer,indem er die Askese und deren Zentralpunkt, dieVerdienstlichkeit des Zlibats, eliminierte, eigentlichschon den innersten Kern des Christentums aufgegebenund ist insofern als ein Abfall von demselben anzu-sehen. Dies hat sich in unseren Tagen herausgestelltin dem allmhlichen bergang desselben in den plattenRationalismus, diesen modernen Pelagianismus, der amEnde hinausluft auf eine Lehre von einem liebendenVater, der die Welt gemacht hat, damit es hbschvergngt darauf zugehe (was ihm dann freilich mi-

    *) Der heilige Chrysostomus in seinen Homilien berden Hebrerbrief hat ein ganzes Kapitel gegen das Lachengeschrieben.

    4

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    raten sein mte), und der, wenn man in gewissenStcken sich seinem Willen anbequemt, auch nachhernoch fr eine viel hbschere Welt sorgen wird (beider nur zu beklagen ist, da sie eine so fatale Entreehat). Das mag eine gute Religion fr komfortableund aufgeklrte protestantische Pastoren sein: aberdas ist kein Christentum. Das Christentum ist dieLehre von der tiefen Verschuldung des Menschen-geschlechts durch sein Dasein selbst und dem Drangedes Herzens nach Erlsung daraus, welche jedoch nurdurch die schwersten Opfer und durch die Verleug-nung des eigenen Selbst, also durch eine gnzlicheUmkehrung der menschlichen Natur erlangt werdenkann. Luther mochte vom praktischen Standpunkteaus, d. h. in Beziehung auf die Kirchengreuel seinerZeit, die er abstellen wollte, ganz recht haben, nicht

    aber ebenso vom theoretischen Standpunkte aus. Jeerhabener eine Lehre ist, desto mehr steht sie, derim ganzen niedrig und schlecht gesinnten Menschen-natur gegenber, dem Mibrauch offen: darum sindim Katholizismus der Mibruche so sehr viel mehrund grere, als im Protestantismus. So z. B. ist dasMnchstum, diese methodische und zu gegenseitigerErmutigung gemeinsam betriebene Verneinung desWillens, eine Anstalt erhabener Art, die aber ebendarum meistens ihrem Geiste untreu wird. Die em-prenden Mibruche der Kirche riefen im redlichenGeiste Luthers eine hohe Indignation hervor. Aberinfolge derselben kam er dahin, vom Christentumselbst mglich viel abdingen zu wollen, zu welchemZweck er zunchst es auf die Worte der Bibel be-schrnkte, dann aber auch im wohlgemeinten Eifer zu

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    weit ging, indem er, im asketischen Prinzip, das Herzdesselben angriff. Denn nach dem Austreten desasketischen Prinzips trat notwendig bald das opti-mistische an seine Stelle. Aber Optimismus ist inder Religion, wie in der Philosophie ein Grundirrtum,der aller Wahrheit den Weg vertritt. Nach dem Allenscheint mir der Katholizismus ein schmhlich mi-brauchtes, der Protestantismus aber ein ausgeartetes

    Christentum zu sein, das Christentum berhaupt alsodas Schicksal gehabt zu haben, dem alles Edle, Er-habene und Groe anheimfllt, sobald es unter Men-schen bestehen soll."

    Schopenhauer schreibt an einer anderen Stelle:

    Der Protestantismus ist dadurch, da er das Zlibat

    und berhaupt die eigentliche Askese, wie auch derenReprsentanten, die Heiligen, yerwarf, zu einem ab-gestumpften, oder vielmehr abgebrochenen Christentumgeworden, welchem die Spitze fehlt: es luft innichts aus."

    Soweit Schopenhauer. Nun soll noch Renan, dieB6te noire der katholischen Priester, dem kein Menscheine besondere Liebe zur katholischen Kirche zumutenwird, ein Unglubiger des reinsten Wassers, das Wort

    erhalten. Er schreibt:

    Der vollkommene Mensch des Christentums ist derMnch, der sich Regeln unterwirft, die das evangelischeIdeal zu verwirklichen beanspruchen . . . Der Mnchist auf diese Weise, in gewissem Sinne, der einzigwahre Christ. Der gewhnliche Menschenverstandemprt sich diesen bertreibungen gegenber; dergewhnliche Menschenverstand ist ein schlechterRichter, wenn es sich um groe Dinge handelt. Um

    4*

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    weniges von der Menschheit zu erlangen, mu manmehr von ihr fordern. Der unermeliche geistigeFortschritt, den man dem Christentume verdankt,kommt von seinen bertreibungen. Denn dadurch istes ein lebendiger Beweis der gttlichen Krfte ge-worden, welche im Menschen enthalten sind, ein derMacht des Willens errichtetes Denkmal."Da das Christentum Jesu durchaus lebens- und

    willensverneinend ist, hat auch einer der grten,

    heute lebenden Philosophen klar erkannt. Es ist diesEduard von Hartmann.Aus diesem Grunde ist auch das katholische Christen-

    tum in der Welt so sehr gehat. Aus dem gleichenGrunde hat sich auch der Buddhismus in Indien undChina so unbeliebt gemacht.

    Liest man die Dekrete, durch welche die chine-sischen Kaiser und Gouverneure den Buddhismus ver-folgten, so wird man finden, da sie ganz genau die-selben Argumente ins Treffen fhren, wie heute dieliberalen franzsischen Abgeordneten in ihrem Kampfegegen die katholischen Orden.

    Frwahr, der Antagonismus zwischen Katholiken undProtestanten hat fr den Unbefangenen nicht wenigekomische Seiten. Die Evangelischen machen es derkatholischen Kirche zum Vorwurf, da sie die Bibel,das geschriebene Wort Gottes, geringschtze und dasLesen derselben den Glubigen verbiete. In Wirklich-keit tut dies die katholische Kirche aber keineswegs;sie verbietet nicht die Lektre der Schrift in den altentoten Sprachen, sie verbietet sie nicht in den modernenSprachen, wenn die Ausgabe mit von ihr approbiertenAnmerkungen und Kommentaren versehen ist. Dagegen

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    verbietet sie allerdings die Lektre der Bibel in mo-

    dernen Sprachen, in von ihr nicht approbierten undmit Anmerkungen nicht versehenen Ausgaben. Wer dieBibel kennt, wird zugeben mssen, da die Kirche sehr

    weise handelt, wenn sie dieses Buch, mit welchemdie protestantische Bibelgesellschaft die Welt ber-schwemmt, ihren Glubigen rar macht. Tatschlichwird es unter den ungebildeten Katholiken und sogarunter gebildeten eine sehr groe Zahl geben, welche

    dieses merkwrdige Buch nie ganz gelesen haben. DieProtestanten emprt das sehr, denn sie halten die Bibel

    fr das inspirierte Wort Gottes, haben dieses Buch zuihrem papierenen Papst gemacht, erkennen keine anderereligise Autoritt an als dieses Buch, verlangen freie

    Forschung in seinen Schriften, berzeugt, da Gott denfrommen und glubigen Bibelleser direkt inspirieren,und ihm den wahren, heiligen Sinn durch direkte Ein-gebung offenbaren werde. Weder die Reformatoren,noch ihre ersten Anhnger, die ja alle Katholiken ge-

    wesen waren, und als solche die Bibel fr das unfehl-

    bare und inspirierte Buch Gottes hielten, zweifelteneinen Augenblick an der Heiligkeit, Echtheit und Un-verflschtheit dieses Werkes. Ja, aber warum zweifelten

    sie nicht daran? Weil eben die Kirche, der sie gerade

    fr immer den Rcken zu kehren im Begriffe standen,die Echtheit, Inspiration und Unverflschtheit desselbenlehrte und Jahrhunderte gelehrt hatte, als ein bei Strafe

    des Verlustes der ewigen Seligkeit zu glaubendes Dogma.Sie glaubten also daran aus Tradition, auf Grundgerade jener Tradition, die sie wtend bekmpften.Denn woher anders konnten die ersten Protestantenihren Glauben an die Echtheit, Inspiration und Unver-

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    flschtheit der heiligen Schrift schpfen, als aus der

    Lehre der katholischen Kirche?Also freie Forschung! Und wahrlich, sie haben frei

    geforscht, grndlich und ohne Voraussetzung, wennauch erst im 19. Jahrhundert. Die Bibel sollte nachdem Wunsche der Reformatoren wieder zu Ehren undAnsehen gebracht werden. Diese Ehrenrettung derfr uneinnehmbar heilig gehaltenen Festung ward aberzu einem Bombardement. Die freie Forschung zer-scho die Bibel zur Ruine, lie keinen Teil, auch keineneinzigen intakt. Die freie Forschung hat nachgewiesen,da fast kein Buch der Bibel in seiner Totalitt echtund unverflscht ist, da einzelne Bcher, wie z. B.das Deuteronomium, Teile der brigen fnf BcherMosis, das Buch aniel, das letzte Drittel des Isaias,die Psalmen usw. aus einer viel jngeren Zeit stammen,als sie glauben machen wollen; da sie Werke sindganz unbekannter Autoren, von denen kein Menschsagen kann, wann und wo sie gelebt und geschrieben.So hat denn Luther, indem er die freie Forschung inder heiligen Bibel gestattete und forderte, den Astabgesgt, an welchem er und sein ganzes System an-geklammert saen, eine Szene zum Totlachen fr alleFeinde des Protestantismus. Die von der evangelischenKirche der Irreverenz gegen die Bibel beschuldigtekatholische Kirche aber kmmert sich um die Resul-tate der freien Exegese nicht im geringsten, behandeltsie mit souverner Verachtung und dekretiert weiter,da diese Bcher heilig, inspiriertes Gotteswort, echtund unverflscht sind, und Millionen Menschen glaubenihr das ganz ruhig, oder machen dergleichen, es ihrzu glauben. Wie weise war die katholische Kirche, an

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    die Erlaubnis, die Bibel zu lesen, solche Bedingungenzu knpfen, die es der Majoritt ihrer Glubigen fastunmglich machen, sich dieser Lektre zu ergeben.Sie kann die Echtheit und Unverflschtheit, sowie dieLehre von der gttlichen Inspiration der Schrift also

    ruhig zum Dogma erheben, ohne von Seite ihrer Glu-bigen groen Widerspruch zu befrchten.

    Die Bahn, die der Protestantismus betreten, war ab-schssig von jeher. Sie haben die katholische Kircheverworfen und sich eingebildet, trotzdem den Glaubenan die Bibel halten zu knnen; sie haben sich frchter-lich geirrt; jeder protestantisch Gebildete kennt wenig-stens die Hauptresultate der modernen Bibelexegese,welche die Bibel zu einer Ruine zerschossen hat.Nun glaubt, wnscht und hofft die evangelische Kirche,trotz aller Entdeckungen der modernen Wissenschaft,die sie selbst zu begrnden geholfen, sie die Urheberinder freien, unbefangenen, voraussetzungslosen, wissen-schaftlichen Forschung, dennoch noch einige groeHeilswahrheiten aus der biblischen Ruine retten zuknnen, vor allem den Glauben an die Gottheit Christi,seine Menschwerdung und Erlsung und was darausfolgt. Aber diese Hoffnung ist eitel, denn dieeinzige Quelle, aus welcher mit sehr viel gutem Willendie Gottheit Christi fr den Protestanten bewiesenwerden soll, die einzige und alleinige Quelle ist durchdie moderne Bibelexegese zerstrt, fr immer. Auchglauben heute wohl in Deutschland unter den gelehrtenund modern gebildeten Protestanten nur mehr einzelnean die Gottheit Christi, an dieses Fundamentaldogmades Christentums. Immer rasender saust die losge-lassene Lokomotive die schiefe Ebene herunter. Noch

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    haben die besten unter ihnen eine Hoffnung: sie haltenes fr mglich, auch ohne an die Gottheit Christi undan seinen Erlsungstod zu glauben, in ihm den genialenLehrer, den Weisen, Fhrer, Moralisten, Philosophen,Mittler, den Wegweiser zu Gott zu verehren und sichzu erhalten!

    Vergebene Hoffnung! Eitler Wahn! E. von Hartmannsagt darber in seinem Werke Das Christentum desNeuen Testaments":

    So erscheint Jesus dem einen als Dichter, demanderen als mystischer Schwrmer, dem dritten alsstreitbarer Held fr Freiheit und Menschenwrde, demvierten als Ordner einer neuen Kirche und kirchlichenMoral, dem fnften als rationalistischer Aufklrer, demsechsten als Moralist des gesunden Menschenverstandes,dem siebenten als Verallgemeinerer der essischen Welt-anschauung mit ihrer Weltverachtung und widerstands-losen Unterwerfung unter angetanes Unrecht, dem achtenals grimmiger Bueprediger und Strafprophet, demneunten als Verknder des kommunistischen und so-zialistischen Evangeliums, dem zehnten als bertragerder indischen Wiederverkrperungslehre auf die Mittel-meervlker, dem elften als naturalistischer Pantheistnach Art des Giordano Bruno, dem zwlften als ber-mensch nach Art des Nietzscheschen Zarathustra, dersich an die Stelle Gottes setzt, dem dreizehnten alssiegreicher Schlachtenknig, dem vierzehnten als Frie-densfrsten, der allen Hader und Zwietracht aus derWelt verbannt, dem fnfzehnten als Himmelsbrutigam,d. h. als Verkrperung sinnlich -bersinnlicher Erotik

    und so fort ins Unendliche. Jeder glaubt das ihmvorschwebende Ideal geborgen, wenn er meint, es auf

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    Jesus zurckgefhrt zu haben. Ob die BetreffendenTheologen oder Laien sind, macht dabei zwar einen

    Unterschied in dem Inhalt des Ideals, das sie auf Jesuszurckprojizieren, aber nicht in der formellen Methodedieser Projektion. Eine sptere unbefangenere Zeitmit gereifterem historischen Verstndnis wird eines

    der merkwrdigsten vlkerpsychologischen Problemedarin sehen, da alle mglichen entgegengesetztenIdeale, immer durch Jesus autoritativ begrndet werdensollten, und wird darin die ungeheure Verblendungs-macht der von Kind auf eingesogenen und die Zeit,selbst in ihren besten Vertretern, beherrschenden Vor-

    urteile erkennen."

    Nun kommt aber Hartmann zu dem folgenden Re-sultat: Nach seiner Meinung war Jesus ein glubigerJude, der nie und niemals daran dachte, die jdischeReligion, d. h. die Thora, das Gesetz Mosis auch nurin einem einzigen Punkte abzundern. Sein Evangeliumhabe in nichts anderem bestanden, als in der Verkn-digung, da das Reich der Himmel unmittelbar bevor-stehe, so unmittelbar, da von seinen Zuhrern nochnicht alle gestorben sein wrden, bis es eintrifft.Dieses Reich der Himmel sollte nach Verkndigungder Propheten, an die Jesus glaubte, hier auf Erdeneingerichtet werden, der Messias als sichtbarer Kniges von Jerusalem aus beherrschen. In dieser neuenErde, im messianischen Reich, sollte der ursprnglichvon Gott bei der Schpfung beabsichtigt gewesene,selige paradiesische Zustand, den ihm Satan so grnd-lich verdorben, wieder hergestellt werden. Dieserneuen Erde des Jesaias msse die Zerstrung derWelt durch Feuer und das jngste Gericht voraus-

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    gehen. Als diesen Weltrichter und als Messias habesich Christus nun selbst erklrt, und dabei stillschwei-gend den falschen Glauben seiner Jnger gutgeheienund befrdert, da er ein Nachkomme Davids sei, unddies trotz seines besseren Wissens, da er nicht vonDavid stamme. Alle Gebote, Reden und WeisungenChristi knnten nur dann richtig verstanden werden,wenn man stets im Auge behlt, da er die Meinunghegte, die gegenwrtige Welt wrde nur mehr einekurze Spanne Zeit existieren, um dann zerstrt zuwerden.

    Hier also landen jene, die sich von der katholischenKirche lossagen!

    Die Wahrheit ist, da das Dogma von der GottheitChristi aber aus der Heiligen Schrift allein ohne Tra-

    dition gar nicht zu beweisen ist. Fragen wir heutedas nchstbeste Kind in der Volksschule: Wer warChristus? so erhalten wir von ihm sofort zur Antwort:Christus war die zweite Person der gttlichen Drei-

    faltigkeit, war Gott selbst und ist Mensch geworden,um uns zu erlsen. Wieviel predigen und schreibendie neutestamentlichen Schriftsteller ber Christus,

    aber diese wenigen Worte, die jedes Schulki