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B47837 Jahrgang 14 / 02_2011 MÄRZ – MAI 2011 www.crescendo.de MIT: Isabelle Faust Christian Gerhaher Renée Fleming Wilhelm Furtwängler Jascha Heifetz & Daniel Hope THEMA: Wie wichtig ist musikalische Erziehung für unsere Kinder? WAS DENKT . . . FRANCESCO TRISTANO? Mit Beihefter CLASS aktuell KISSINGER SOMMER 17. Juni bis 17. Juli 2011 mit Simone Kermes, Cecilia Bartoli, Philippe Jaroussky, Sabine Meyer Hélène Grimaud, David Garrett, u. a.

crescendo 2/2011, Ausgabe März - Mai 2011

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crescendo ist Deutschlands spannendstes Klassik-Magazin. crescendo holt die Welt der Musik aus dem Elfenbeinturm in die Mitte der Gesellschaft. Klassik ist eine Frage des Stils, ein Brückenschlag zwischen Tradition und Zukunft – wie Politik, Mode und Architektur – eine aufregende Form der Kommunikation. Mit einer kontrollierten Verbreitung von über 75.000 Exemplaren gehört crescendo zu den wichtigsten Kulturmagazinen im deutschsprachigen Raum.

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  • B478

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    MRZ MAI 2011 www.crescendo.de

    MIT:

    Isabelle FaustChristian Gerhaher

    Rene FlemingWilhelm Furtwngler

    Jascha Heifetz & Daniel Hope

    THEMA:

    Wie wichtig ist musikalische

    Erziehung fr unsere Kinder?

    WAS DENKT . . .

    FRANCESCO TRISTANO?

    Mit BeihefterCLASS aktuell

    KISSINGER SOMMER17. Juni bis 17. Juli 2011

    mit Simone Kermes, Cecilia Bartoli, Philippe Jaroussky, Sabine Meyer

    Hlne Grimaud, David Garrett, u. a.

  • Thomas Zehetmai rRuth K i l l iusManto and Madr iga lsThomas Zehetma i r, v io l inRu th K i l l i us , v io l aWorks by Giac in to Sce l s i ,Pe te r Maxwe l l Dav ies , He inz Ho l l i ge r,Bohus l av Mar t inu and moreECM New Ser i e s 2150CD 476 3827

    Alexander LonquichRober t SchumannHe inz Ho l l ige rA lexander Lonqu ich , p i anoRober t Schumann: K re i s l e r i anaHe inz Ho l l i ge r : Pa r t i t aECM New Ser i e s 2104CD 476 3826

    Pete r I . Tcha ikovskyV ic to r K iss inePiano Tr iosGidon K remer, v io l inG iedre D i r vanauska i te , v io lonce l l oKhat i a Bun ia t i shv i l i , p i anoV ic to r K i s s ine: Ze rka loPe te r I . Tcha ikovsk y : P i ano Tr io op. 50ECM New Ser i e s 2202CD 476 4171

    Alban BergKar l Amadeus Har tmannT ie f in der NachtJu l i ane Banse: sop ranoA leksandar Madar : p i anoA lban Berg: S ieben f rhe L iede r,Jugend l i ede r, Zwe i L iede r nachTheodor Sto rmKar l Amadeus Har tmann: L amentoECM New Ser i e s 2153CD 476 3848

    Tr io Mediaeva lA Worces te r LadymassNew works by Gav in Br ya r s comp le tean imag ina t i ve recons t ruc t ion of a13 th centu r y vot i ve Mass to theV i rg in Mar yECM New Ser i e s 2166CD 476 4215

    Jrg WidmannEleg ieJ rg Widmann , c l a r ine tHe inz Ho l l i ge r, p i anoGerman Rad io Ph i lha rmon ic Orchs t r aChr i s toph Poppen , conduc to rMesse fo r o rches t r aFnf Bruchs tcke fo r c l a r ine t and p ianoEleg ie fo r c l a r ine t and orches t r aECM New Ser i e s 2110CD 476 3309

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    www.ecmrecords . com www.ecm_sounds.de

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    { E D I T O R I A L }

    Mehr Inhalt! Liebe Leser,vielen Dank fr die zahlreichen Themenan-regungen und Inspirationen, die uns immer wieder erreichen. Wie gerne htten wir sie schon frher in unserem Magazin umge-setzt. Doch das ist auf 52 Seiten nicht unter-zubringen und mit den beschrnkten Mit-teln eines Gratismagazins nicht zu machen. Dazu braucht man mehr: mehr Raum, mehr Seiten, mehr Autoren, mehr Redakteure, mehr Geld und eine gehrige Portion un-ternehmerischen Mut!

    Ihre vielen Zuschriften haben mich darin bestrkt, nun diesen lange gehegten Traum umzusetzen: crescendo Premium das Pre-mium-Magazin fr klassische Musik!

    Premium steht fr mehr: mehr Seiten, mehr Themen, mehr Vielfalt, mehr Service, noch mehr Qualitt hochwertig gedruckt auf edlem Papier.

    Seitdem geht es hier im Verlag zu wie in einem Bienenstock. Zustzliche Flchen sind bezogen, die Handwerker fast fertig,

    neue Arbeitspltze neh-men Gestalt an. Gleichzei-tig entsteht die erste Ausga-be, parallel zum normalen crescendo, das sie gerade in den Hnden halten. Die neuen Kollegen leben sich schnell ein. Es brummt, man diskutiert, streitet um jedes Thema und jede Seite, aber es fhlt sich gut an.

    Endspurt, berall fehlt noch eine Klei-nigkeit, hier ein Fotonachweis, da eine ber-schrift, hier die mit Fragezeichen versehene Jahreszahl. Letzte Korrekturen. Wie beim Kino lm entsteht das Gesamtwerk erst zum Schluss im Schneideraum. Zum ersten Mal sehen wir das Magazin nun komplett, blt-tern Seite fr Seite. Das ist jedes Mal wieder ein besonderer Moment. Dieses Mal ist er ganz besonders. Es ist spt geworden. Wie immer am letzten Produktionstag. Jetzt gibt es kein Zurck mehr, der Gra ker lst die

    Daten bertragung an die Druckerei aus. In wenigen Stunden laufen die Druck-maschinen an.

    Wenn Sie auch Lust auf Premium bekommen ha-ben, schicken Sie uns ein-fach eine kurze Mail an [email protected]

    oder den Coupon von Seite 37. Dann sen-den wir Ihnen einmalig ohne Berechnung die erste crescendo Premium-Ausgabe mit deutlich erweitertem Inhalt und der exklu-siven heftbegleitenden CD fr Abonnen-ten. Zustzlich erhalten Sie zur Premium-Premiere ein klingendes Portrt des Labels Oehms mit Aufnahmen seiner interessan-testen Knstler.

    Doch bevor ich nun ins Schwrmen ge-rate, wnsche ich Ihnen viel Vergngen mit der vor Ihnen liegenden aktuellen crescendo- Ausgabe!

    WINFRIED HANUSCHIKHER AUSGEBER

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    KRISTINAHAMMARSTRM

    ARMONIAATENEAGEORGE

    PETROUIRMAISSAKADZE

    BAMBERGERSYMPHONIKER

    BAYERISCHESTAATSPHIL

    HARMONIEJONATHANNOTT

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    P H I L H A R M ON I K E R

    WILHELMFURTWNGLER

    ISABELLEFAUSTMAHLER

    C H A M B E RO RC HE ST R A

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    Die CD zu Ausgabe Mrz bis Mai 2011

    crescendo Premium-Edition

    VOL. 30

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    089/85 85 35 48 oder durch ein E-Mail an [email protected]

    Ihre Abo-CD In der Premium-Ausgabe finden Sie nicht nur deutlich mehr Inhalt: 60

    Prozent mehr Reportagen, Portrts, Interviews und Hintergrnde aus der Welt der Klassik in einer besonders hochwertigen Ausstattung. Sondern auch unsere crescendo Abo-CD. Sie ist eine exklusive Leistung unseres crescendo Premium-Abonnements.

    Premium-Abonnenten erhalten sechs Mal jhrlich eine hochwertige CD mit Werken der in der aktuellen Ausgabe

    vorgestellten Knstler. Mittlerweile ist bereits die 30. CD in dieser crescendo

    Premium Edition erschienen.

    Herzlichst,

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  • 4{ I N H A LT M R Z M A I 2 0 1 1 }

    06 AUTORENHinter den Kulissen von crescendo

    08 NEWSEin Anruf bei Ren Fleming in New York

    10 ISABELLE FAUST

    12 FRANCESCO TRISTANO

    16 CHRISTIAN GERHAHER

    17 LINUS ROTHDer Nachwuchs-Star

    18 WILHELM FURTWNGLER

    War der Dirigent ein Nazi?

    20 KOLUMNEPascal Morch ber Opern- Huser als Landmark-Buildings

    16

    CHRISTIAN GERHAHEROperette nein,

    Fledermaus ja der bayerische Bariton hat klare Meinungen

    33

    QUIZ Lsen Sie unserRtsel des

    klassischen Alltags?

    NEUHEITEN BEIBERLIN CLASSICS

    Weitere Informationen und den Katalogerhalten Sie bei: Edel Germany GmbH,Hamburg Telefon (040) 89 08 53 13www.edelclassics.de

    MIHAELA URSULEASARomanian RhapsodyDie Rumnin und Wahl-Wienerin zndetein musikalisches Feuerwerk, das aus derFolklore der Donaulnder schpft: Zu hrensind Enescu, Constantinescu, Bartk undSchubert.

    MIDORI SEILERJOHANN SEBASTIAN BACHPartiten fr SoloviolineDie renommierte Geigerin prsentiertihre historisch versierte und zugleichemotionale Lesart dieses puren Bach....genauso muss es sein, habe ichmir beim Hren immer wieder gedacht.(Doris Blaich auf SWR2)

    DRESDNER KREUZCHORVespern im OsterkreisDie Reihe der Kreuzchorvespern geht weiter!In dieser Folge ist der eindrucksvolle ber-gang von Passion zu Ostern zu erleben.Die Musik reicht vom Mittelalter bis in dieModerne, so da sich alle klanglichenFacetten des Chors voll entfalten knnen.

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    22 IMPRESSUM

    23 REZENSIONENAttila Csampai testet seine wichtigsten Alben und unsere Autoren die Neuerscheinungen des Monats.

    33 QUIZ

    34 KLASSIK UND BILDUNGMusizieren als Schule frs Leben?

    38 REISE Unser Weltreporter testete die Oper von Lyon

    40 DIE WELT DER KLASSIK Klassik in Zahlen

    42 PLUS REGIONAL: AUGSBURGZum Jubilum Musiktraditon: Mozart & Bach

    44 PLUS REGIONAL: KISSINGER SOMMEREinst Zonenrand, heute Festival-Mittelpunkt

    46 TERMINE & VERANSTALTUNGENDie wichtigsten Termine fr das Frhjahr

    50 DIE LETZTE SEITEDaniel Hope mag Joseph Joachim

    10

    ISABEL FAUSTerzhlt uns das Mrchen von ihrer

    Dornrschen-Stradivari

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    EBENFALLS EXKLUSIV FR ABONNENTEN Hren Sie die Musik zu unseren Texten auf der crescendo Abo-CD exklusiv fr Abonnenten. Infos auf Seite 37.

    12

    FRANCESCO TRISTANO lebt in zwei Welten. crescendo beleuchtet beide: die des klassischen Pianisten und

    jene des coolen Techno-Discjockeys.

    crescendo-Premium Abonnenten lesen mehr In der deutlich umfangreicheren Premium-Ausgabe erfahren Sie zustzlich welche seltsamen Opern-Novitten derzeit in London laufen, weshalb Musikers Schlaraffenland bei Bamberg liegt, warum Ioan Holenders Maschinenbau-Studium ihm auch als Intendant

    an der Wiener Staatsoper geholfen hat, wie das Leben einer Berliner Ballerina hinter den Kulissen aussieht, was sich hinter dem spannenden Format Klassik im Club verbirgt, wie Klassik-Label-Chef Dieter Oehms seinen 70. Geburtstag feiert und zu diesem

    Anlass jedem Premium-Abonnenten eine CD mit Aufnahmen seiner interessantesten Knstler schenkt.

    Neugierig geworden? Testen Sie doch unser neues crescendo Premium kostenlos und unverbindlich. Entweder ber unser Angebot auf S. 37 oder indem Sie unser Abo-Telefon unter 089-85 85 35 48 anrufen bzw. ein E-Mail an [email protected] schicken.

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  • 6{ A U T O R E N }

    HINTER DER BHNEDie wahren Helden bei crescendo sind die Mitarbeiter.

    Deshalb der gewohnte Blick hinter die Kulissen.

    STEFAN STEITZDer langjhrige Art Direktor von crescendo wurde in dieser Ausgabe zum Marathonmann. Da sich crescendo etwas verndert hat und die Premium-Ausgabe jetzt mit 32 Seiten mehr bestckt wurde, musste

    Steitz etwa doppelt so viele Geschichten und Seiten layouten wie bisher. Unser Glck ist, dass der 45-Jhrige auch in seiner Freizeit als Aus-

    dauersportler aktiv ist (vergangenes Jahr startete er beim Marathon in Paris) und somit die Belastung bis zur letzten Seite meisterte. brigens: Steitz ist auch ein hervorragender Zeichner und Illustrator. berzeu-gen knnen Sie sich davon auch in dieser Ausgabe, die Zeichnungen

    auf Seite 24 und 36 stammen aus der Feder des Mnchners.

    CARLO MERTENSDer Musikwissenschaftler aus Neu-Ulm half uns, diese Ausgabe vor

    allem mit kleinen Geschichten aus der Welt der Klassik zu fllen. Als wir noch jemanden suchten, der sich telefonisch bei Rene Fleming nach ihrem werten Benden

    erkundigen sollte, rief Mertens zu laut ja und verbrachte aufgrund der Zeitverschiebung mit New York die halbe Nacht in der Redaktion.

    Die (nchtlichen) Antworten der amerikanischen Operndiva lesen Sie auf Seite 8.

    ATTILA CSAMPAIUnser hochrangiger CD-Experte hatte uns mehrfach darauf hingewie-sen, man mge doch endlich einmal den Virtuosen Jascha Heifetz in der Art wrdigen, die ihm eigentlich zustnde: gebhrend. Nachdem nun auch noch eine 103-fache CD-Edition (plus eine DVD) des eins-tigen Wundergeigers auf den Markt kam, griffen wir zum Telefon und baten Csampai um eine adquate Rezension. Wie Csampai es schaffte, in der kurzen Zeit die ber 100 CDs auszuwerten, blieb sein Geheim-nis die Geschichte nden Sie auf Seite 28. Csampais regelmige Ko-lumne steht wie gewohnt auf Seite 24.

    CHRISTIAN KORTMANNUnser Neu-Autor, der nebenbei auch Romane (zum Beispiel Der Lufer, Blessing Verlag 2009) verffentlicht hat, tauchte in die Tiefen der Tigermamas. Kortmann recherchierte das Phnomen, ob klassische Musikerziehung Kinder zu besseren Menschen macht. Die Ergebnisse seiner Umfragen, die ihn auch zum Pianisten Martin Stadtfeld fhrten, nden Sie auf den Seiten 34 bis 36. PS: Whrend des Schreibens bevorzugt Kortmann die Englischen Suiten von Johann Sebastian Bach.

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  • Klavier:Andrew Tyson

    Ray Chen kann aufseiner Violinewirklich alles!

  • 8Pianistin Olga Scheps verrt uns die fnf derzeit meist gespielten Klassik-Lieder auf ihrem iPod (...die wir gerne kommentieren)

    1. Alfred Brendel: Schubert Impromptus(Gute Wahl. Sehr gute Wahl sogar.)

    2. Murray Perahia: Bach Partiten(Gibt es brigens auch sehr empfehlenswert von Irma Issakadze.)

    3. Gabriela Montero: Live in Germany(Fr Nichtkenner: Spitzen Improvisation.)

    4. Wilhelm Furtwngler: Beethoven Symphonien(Da empfehlen wir die Geschichte zu Furtwngler, Seite 18,19)

    5. Magdalena Kozen: Lettere Amorose(Wie schn: endlich mal romantische Liebeslieder.)

    { N E W S }

    Hallo Mrs. Fleming. Wobei stren wir Sie gerade? Ach, Sie stren berhaupt nicht. Ich bin gerade in meinem Bro in New York und hatte gerade eine schne Probe mit dem Emerson String Quartet. Mit einem Quartett?Ja, wir proben gerade Mahlers Rckert-Lieder. Wenn ich mich nicht irre, gibt es ja gerade ein Mahler-Jubilum (lacht). Allerdings. Noch wichtiger aber ist: In diesem Jahr wird Ihre MET-Neueinspielung von Rossinis Armida auf DVD verf-fentlicht. Sind Sie stolz auf das Ergebnis? Ja, eine wirklich sehr gute Einspielung der Zuschauer versteht die Handlung ohne Weiteres.Ihre erste Opernrolle in Europa war Mozarts Konstanze aus der Entfhrung. War es ein weiter Weg von der Konstanze zur Armida? Obwohl Konstanze ein viel hhere Tessitura hat, passen vom Stilistischen und von der Fioratura her Mozart und Bel Canto sehr gut zusammen. Ich hingegen trete diesen Monat in Rossinis Armida auf und nchsten Monat singe ich Strauss. Das ist eine Herausforderung.Sie haben vor Kurzem nicht nur Klassik, son-dern sogar Pop- und Rocksongs aufgenom-men. Was ist schwieriger, Arie, Rock- oder Popsong?Ich fand das Popprogramm im Verhlt-nis zu dem klassischen Programm sehr anspruchsvoll. Beides werde ich nchs-te Woche an einem Abend geben. Bei der Popmusik war ich weniger frei als bei den Arien, und das Zusammenspiel ist sie fast so anspruchvoll wie bei Mozart. Das war fr mich berraschend. Bei Ihrem Auftritt zur Amtseinfhrung von Prsident Obama hatten Sie auch schon Klassik und Pop ge-mischt ... Ja, dass stimmt veilleicht, weil Youll Never Walk Alone im Musiktheater-Stil steht und der ist vielmehr ein Crossover, als was man auf mei-

    nem Rock-Album hren kann. Im Musikbetrieb gab es bisher nicht viele Snger, die Stile so stark mischen. Wissen Sie, manche Menschen sind

    perfekt darin, Akzente zu imitieren. Das kann ich nicht, aber mir fllt es leicht Gesangsstile nachzuahmen.

    Um nochmal zurck auf Prsident Obama zu kommen. Es ist auf-fllig, dass US-amerikanische Knstler viel weniger Berh-rungsngste mit der Politik haben ...Als eine US-Brgerin mchte ich neutral bleiben. Es ist fr mich ein Dienst am Land und seinen Leuten. Und nicht nur ich sondern fast jeder US-Amerikaner empfand die Wahl Obamas als einen historischen Wendepunkt. Es war ein

    wunderbares Zeichen des Wandels. Bezglich Kunst und Politik war es fr mich hingegen sehr interes-

    sant, dass man mir in Baden-Baden bei meinem Aufenthalt fr den Rosenkavalier im Januar 2009 sagte: Wir htten ihnen nicht erlaubt, bei der Zeremonie zu singen, wenn nicht Herr Obama

    zum Prsident gewhlt worden wre!Was singen Sie eigentlich, wenn Sie gerade nicht

    auf der Bhne stehen, beim Aufrumen zum Beispiel? Wenn ich zu Hause bin, probe ich meine verschiedenen Projekte. Aber ich trllere nie zum Vergngen. Mir fehlt eher die Zeit,

    meine Stimme zu schonen. Zu guter Letzt noch die Glaubensfrage: Wen wr-

    den Sie lieber im Jenseits treffen? Jimmy Morrison oder Richard Strauss?

    Sicher Strauss er war immer jemand mit dem ich gerne einmal gesprochen htte. Ich war in Gar-misch in seinem Haus mit Christian Strauss und das was sehr bewegend, nicht zuletzt da Strauss der wichtigste Komponist in meiner knstleri-schen Karriere ist. Die ersten zehn Jahre war es Mozart, die folgenden zehn Strauss. Ich war begeistert also ich einmal Joni Mitchell traf. Sie sehen, ich habe auch im Pop-Bereich meine Idole, wie jeder andere auch. //

    PLAYLIST

    Ich trllere nie zum VergngenEin Anruf bei der Sopranistin Rene Fleming, die keine Berhrungsngste mit Popmusik und Politik hat.

    Rene Fleming ist eine der groen US-Sopranistinnen. Sir Georg Solti bezeichnete ihren Stimmklang als Crme double. Mit ihm nahm sie

    auch einen Querschnitt durch ihr riesiges Repertoire auf: Rene Fleming Signatures (DECCA).

    PINA PORTMANDer Pina Bausch Film ist da. Ansehen!

    Glaubt man den Feuilletons, dreht sich die ganze Welt derzeit auf Zehen-spitzen. Ballett ist IN! Zumindest im Film. Natalie Portman ertanzte sich bereits den Oscar, Pina Bausch tanzt sich posthum durch die Dokumen-

    tation ihres Lebens. Pina: Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren, luft jetzt im Kino. Wim Wenders drehte in 3-D. Da tanzen, rumlich gese-

    hen, auch die Kanzlerin und das oberste Ehepaar der Republik gerne mit (siehe Foto). Das Publikum staunt, die begnadete Ma-rionettenspielerin, wie ein Kritiker sie rhmte, bewegt

    immer noch mit ihren Fden. Ansehen! Seit 24.

    Februar im Kino.

    Die VIP's auf der Pina-Premiere anlsslich der Berlinale.

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    Wenn man mit Oper aufwchst, ist das wie mit einem Haustier. Man gewhnt sich daran, es zu streicheln und zu

    fttern und wenn es weg ist, vermisst man es riesig. KATHRINA WAGNER

    Leiterin der Bayreuther Festspiele, zu neuen Opern-Formaten fr Kinder.

    gelesen & notiert

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    WWW.BACHFESTLEIPZIG.DEKARTEN: TEL. 018 05/56 20 30*

    BACHFEST LEIPZIG10.19. JUNI 2011Bachs Werk am authentischen Ort

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    Es gibt ja das Gercht, dass das Bayreuther

    Festspielhaus nicht in Grund und Boden gebombt wurde, weil

    die Allierten es fr eine Scheune hielten. Wagners Wohnhaus, die Villa Wahnfried, kam hingegen nicht so glimpich davon. Nach der Rekonstruktion im Jahr 1976 zog das Richard-Wagner-Museum ein. Sein Ausstellungskonzept ist inzwischen etwas angestaubt: Wagners Antisemitismus und

    die problematische Rolle der Bayreuther Festspiele whrend des Dritten Reiches wurden bisher ausgeblendet. Nun hat die Bayerische Staatsregierung zugesagt, den Umbau und die Neugestaltung mit bis zu vier Millionen Euro zu untersttzen. Der Freistaat wrde damit in den nchsten drei Jahren fast ein Drittel der Gesamtkosten beisteu-ern. Das ist ein Geldregen mit Tradition: Der Bau der Villa wurde vom groen Wagner-Fan, Knig Ludwig II. nanziert.

    BAU-WERKE

    +++ Ensemble Modern feiert seinen 30.

    Geburtstag. Es zhlt weltweit zu den renom-

    miertesten Ensembles fr Neue Musik. Sie

    spielten Referenzaufnahmen von Werken

    Adam Smiths (Shaker Loops) und Morton

    Feldman (For Samuel Beckett) ein. +++ Neuer

    Chefdirigent des Konzerthausorchesters

    Berlin wird Ivn Fischer. 2006 bis 2009 war der

    ungarische Knstler der erste Gastdirigent des

    National Symphony Orchestra (Washington,

    D.C. ) . 2012 kommt er nach Berlin. +++

    Riccardo Muti gewinnt zwei Grammys. Fr

    die Einspielung von Verdis Requiem erhielt

    der Mailnder Dirigent den Grammy sowohl fr

    das beste klassische Album als auch die beste

    Choraufnahme. +++ Grndung einer Junior

    Company des Bayerischen Staatsballetts. Das

    Bayerische Staatsballet t hat zusammen mit

    der Heinz-Bosl-Stif tung und der Hochschule

    fr Musik und Theater Mnchen eine Junior

    Company gegrndet. Sie soll den Tanz-

    Nachwuchs frdern.

    News Ticker +++ News

    Wenn Du in guter Form bist und die Htte vollkriegst,

    solltest Du weitermachen.PLCIDO DOMINGO

    Sngerlegende und Jubilar (70. Geburtstag am 21.1.) zur Frage, ob er an einen Abschied denkt.

    Ich sage immer zu meinen Studenten: Snger, die schn singen, gibts wie Sand am Meer. Ich mchte

    aber, dass ihr Knstler werdet.THOMAS QUASTHOFF

    Gesangsprofessor und Grnder des Wettbewerbs Das Lied in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 27.2.

    Auch ohne einander wren Rattle und die Berliner Philharmoniker Spitzenklasse. Aber zusammen sind sie unschlagbar

    THE GUARDIAN Britische Zeitung nach den jngsten Tournee-Konzerten

    der Berliner Philharmoniker im Londoner Barbican-Centre.

    Hier wo mein Whnen Frieden fand

    Villa und Sponsor: Ludwig II. vor Wahnfried

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  • 10

    Die gebrtige Baden-Wrttem-bergerin kam durch die Familie zur Violine: Ihr Vater nahm sie als Fnfjhrige mit in den Unterricht. Sechs Jahre spter grndete sie ein Streichquar-tett, studierte bei Dnes Zsig-mondy und Christoph Poppen und gewann mit 15 den Leo-pold-Mozart-Wettbewerb. Den Wunderkind-Stempel bekam sie jedoch nie aufgedrckt. Fr ihre Aufnahmen gewann sie zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Diapason dor de lanne 2010. Zuletzt war sie fr den Klassik Gram-my 2010 nominiert

    CRESCENDO: Darf ich erst ein-mal eine Frage zu Ihrem In-strument stellen? Ihre Geige heit ja Dornrschen-Stra-divari. Das klingt nach groem Mrchen ...

    ISABELLE FAUST: Ja, und ihre Geschichte hrt sich tatschlich nach einem Mrchen an. ber hundert Jahre war sie verschollen. Als sie um 1 wieder auftauchte, bekam sie vom Experten in London den Namen Sleeping Beauty. Sie gehrte spter auch der Familie von Boeselager. Philipp von Boeselager war im zweiten Weltkrieg Teil der Stauffenberg-Verschwrung gegen Hitler. Diese Geige hat tatschlich eine spannende Geschichte.

    CRESCENDO: Und wie fand das Instrument jetzt zu Ihnen?FAUST: Ein Freund hatte das Instrument bei einem Geigenhndler

    gesehen und mich darauf aufmerksam gemacht. Nachdem ich sie dann dort eine halbe Stunde lang probeweise spielen durfte, konnte ich sie tatschlich mit der Prinzessin aus dem Mrchen verglei-chen: Das Wachspielen war ein lngerer Prozess, ganz allmhlich hat die Geige sich ber Jahre hinweg geffnet.

    CRESCENDO: Und jetzt ist sie Ihre groe Liebe?FAUST: Ich spiele sie nun seit 1 Jahren, wir sind natrlich sehr an-

    einander gewachsen und kennen uns bis in die feinsten Details! Ich habe Glck, diese Violine spielen zu drfen und viel an ihr Fot

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    Die PrinzessinDie Violinistin Isabelle Faust trifft den Ton, und wir trafen sie. Ein Gesprch ber ihre Strad,

    Tempoangaben von Joseph Joachim und stabile Nerven. VON JULIA K IMMERLE

    { M E N S C H E N }

    gelernt. Aber vielleicht gibt es auch nochmal eine neue knstlerisch-klangliche An-regung mit einem anderen wunderbaren Instrument.CRESCENDO: Gerade haben Sie eine CD mit Brahms Violin-konzert in D-Dur verffent-licht und sich dafr intensiv mit dem ersten Interpreten des Stcks, Joseph Joachim auseinandergesetzt. Sie ha-ben auch den Briefwechsel zwischen ihm und Brahms studiert ...FAUST: Zu Stcken aus dieser Zeit existieren glcklicherwei-se zahlreiche Briefe der Kom-ponisten und Interpreten, die fr das Verstndnis wertvoll sind. Joachim hat auerdem in einem Band seiner Vio-linschule zu den wichtigsten Violinkonzerten sehr genaue Interpretat ionsvorschlge

    festgehalten, unter anderem zu dem Brahms-Konzert, das ist sehr anregend zu lesen.

    CRESCENDO: Was konnten Sie daraus fr Ihre Interpretation ver-wenden?

    FAUST: Letztendlich muss man natrlich immer fr sich selbst her-ausfinden, was stimmig ist aber wenn man solche Quellen hat, kann man davon als Gedankenansto profitieren. Sehr interessant sind zum Beispiel Joachims Tempoangaben, weil sie durchweg schneller sind als die Tempi, die man heute gewohnt ist. Das ist hnlich wie bei Schumann deshalb spannend, weil es auch oft gegen heutige Hrgewohnheiten geht.

    CRESCENDO: Musik ist ein Prozess des Gebens und Nehmens, haben Sie einmal gesagt. berwiegt bei Ihnen gerade das Geben oder Nehmen?

    FAUST: Im Moment verstrkt sich beides gegenseitig. Mir kommt es so vor, als ob vieles meiner bisherigen Laufbahn nur eine Vorberei-tung war auf das, was jetzt kommt: Ich habe immer mehr Gelegen-heiten, regelmig mit interessanten Dirigenten und Ensembles zu

    Isabelle Faust, geboren 1972.

  • www.crescendo.de 02_2011 | 11

    arbeiten, in letzter Zeit zum Beispiel mit Claudio Abbado. Viel mehr kann man sich fast nicht wnschen als Musiker.

    CRESCENDO: Gemeinsam mit Alexander Melnikov und Teunis van der Zwart werden sie im Oktober auch beim Festival AlpenKLASSIK in Bad Reichenhall auftreten. Auf dem Pro-gramm stehen Ligeti, Faur und Brahms wie kam es zu dieser Auswahl?

    FAUST: Den Intendanten Klaus Lauer kenne ich schon lange, mittlerweile ist er ein guter Freund. Er hat ein Faible fr zeitgenssische Musik. Wenn er anfragt, dann hat er schon immer eine genaue Vorstellung des gesamten Programms und wei sehr gut, was sich gut in seine Rahmenvorstellung fgt. Da wird dann auch nicht lange diskutiert. Bei solchen Organisatoren ist man als Knstler gerne bereit, die Augen zu schlieen und ihm zu folgen. Dahinter steht immer ein gutes und interessantes Konzept was die Zusammenarbeit dort auch zu etwas Besonderem macht.

    CRESCENDO: haben sie mit den Mnchner Philharmonikern ein selten gespieltes Stck von Andr Jolivet zum ersten Mal in Deutschland aufgefhrt welche Musik reizt Sie noch?

    FAUST: Das ist ganz unterschiedlich. Gerade erarbeite ich ein Britten Konzert, ein fantastisches Stck, das nicht so hufig gespielt wird und das auch nicht so einfach in ein Programm einzubinden ist. Aber es steht schon so lange auf meiner Liste der Stcke, die ich gerne spielen mchte. Hindemiths Kammermusik No. wrde ich auch gerne mal an den Mann bringen. Morton Feldmans Violin and Orchestra, aber auch frhe Haydn Violinkonzerte spielt man zu selten ach, es gibt noch so Vieles!

    CRESCENDO: Im vergangenen Jahr wurden Ihre Aufnahmen, unter anderem smtlicher Beethoven Sonaten, gleich mehrfach ausgezeichnet. Welche Rolle spielen Preise fr die Karriere?

    FAUST: Auszeichnungen fr Aufnahmen zum Beispiel ffnen sicher noch mehr Wege zu einem breiteren Publikum. Was Wettbewerbe im jugendlichen Alter angeht, so war fr mich vor allem der allererste wichtig. Vor dem Leopold-Mozart-Wettbewerb hatte ich fnf Jahren Quartettspielen als zweite Geige hinter mir und auf einmal konnte ich solistisch ttig sein und mit groem Orchester spielen. Das war deshalb schon eine wichtige Station fr mein ganzes spteres Leben. Der Zweite dagegen hat an meiner Laufbahn so gut wie nichts gendert.

    CRESCENDO: Ihre Solistenlaufbahn hat sich schon frh abgezeichnet. Sie waren selbst auch Professorin fr Violine an der Berliner UDK. Wie beurteilen Sie bei Ihren Schlern, ob jemand diesen Weg tatschlich einschlagen kann?

    FAUST: Es ist unheimlich schwer, so etwas vorauszusehen. Natrlich gehrt Flei und Bega-bung dazu, aber auch eine gute Gesundheit und stabile Nerven. Und echte musikalische Begeisterung. Ich habe schon Studenten erlebt, die zwar extrem begabt waren, sich der musikalischen Verantwortung aber nicht wirklich bewusst waren, die so ein Talent mit sich bringt. Ab einem gewissen Alter muss dieses Bewusstsein da sein, sonst gibt es keine Weiterentwicklung.

    CRESCENDO: Letzte Frage: Haben Sie Ihre Ziele eigentlich schon erreicht? FAUST: Das Wunderbare an unserem Beruf ist ja, dass man nie wirklich am Ende einer Ent-

    wicklung angekommen ist. Natrlich kann man sich auch schon in frhen Jahren festle-gen, ein Repertoire definieren und dabei bleiben. Das wre vielleicht der bequemere Weg. Aber dann hat man die Mglichkeiten der Kunst vllig verkannt. //

    WIE IST IHRE NEUE CD?Der opake, weiche und sehr schlanke Klang von Isabelle Faust verjngt das Violinkonzert op. 77 von Brahms erheblich. Falscher Pathos und schmal-zige Ritardandi, die sich in der Einleitung des letzten Satzes abgelagert

    haben, streift sie zusammen mit Harding und dem Mahler Chamber Orchestra ab. Trotzdem ist das Tempo gut: im ersten Satz ruhiger, aber nicht schleppend, im Letzten nicht zu rasch. Harding betont hier das kleinteilige, barocke in der Satzanlage und weniger den gro-en romantischen Bogen. Wer also bisher nur Oistrachs Interpretation kennt, sollte zugreifen.

    Abo-CD Track 6 (s. Seite 37)

    musica vivadie Zeitgenssische Konzertreihe

    des Bayerischen Rundfunks prsentiert:

    07.04.11Carl-Orff-Saal/ Gasteig, Mnchen6te musica viva VeranstaltungFerneyhough, Dufourt, Dillon,

    Hbler, BilloneArditti Quartett

    27.05.11Herkulessaal der Residenz, Mnchen

    7te musica viva Veranstaltung[Abonnement]

    Franke, Nakatani,de Gelmini, Hartmann

    Symphonieorchesterdes Bayerischen Rundfunks

    Lucas Vis Leitung

    08.07.11Herkulessaal der Residenz, Mnchen

    8te musica viva Veranstaltung[Abonnement]

    Lachenmann, Zender, ZimmermannChor und Symphonieorchesterdes Bayerischen Rundfunks

    Susanna Mlkki Leitung

    Karten erhltlich beiwww.br-klassikticket.de

    oder bei BRticket+49 (0)89 5900 4545

    Nhere Informationen unterwww.br-online.de/br-klassik/musica-viva

    10_Anz_mv_Crescendo 28.02.2011 13:06 Uhr Seite

  • Pianist und Techno-DJ: Die zwei Gesichter des Francesco Tristano.

  • www.crescendo.de 02_2011 | 13

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    Francesco Tristano ist ein besonderer Mensch. Er verkrpert auch optisch das, was man ber ihn sagt: Er sieht gleichzeitig vornehm und cool aus. Er ist 29 und hat in Luxemburg, Paris, New York, Brssel, Riga und Barcelona gelebt. Er spielt begnadet Bach, hat eine dreikp-ge Band namens Aufgang und liebt die Musikstilrichtung Techno derart, dass er nachts in Clubs an den Turntables steht. Tristano spielt mit Epochen und Stilen. Mit fnf Jahren beginnt er Klavier zu spielen, mit 13 gibt er sein erstes Konzert und berrascht das Publi-kum mit Eigenkompositionen. Tristanto gilt als Knstler mit einem Kopf, der Dinge denkt, die es noch nicht gibt.

    Wir holen ihn am Flughafen in Mnchen ab. Er kommt mit der Abendmaschine aus New York, wo er ein paar Interviews gegeben hat. Der gebrtige Luxemburger ist ein wenig erschpft, das stndige Reisen, die Zeitverschiebung. Aber ein Bier vor dem Schlafengehen warum nicht? Wir gehen zusammen in eine Bar im Mnchner Glo-ckenbachviertel. Es ist ein gewhnlicher Dienstag, 23 Uhr, unterwegs sind junge Menschen in bunten Turnschuhen. Francesco Tristano sieht aus, als wrde er dazugehren. Er knnte hier Stammgast sein. Wilde Locken fallen in sein feines Gesicht, es macht Spa, ihm zuzuhren und das liegt nicht nur an seinem franzsischen Akzent. So mde er auch aussieht, seine Gedanken sind wach, unglaublich wach.

    CRESCENDO: Francesco Tristano, der Name ist wie geschaffen fr einen Knstler. Heien Sie wirklich so?

    FRANCESCO TRISTANO: Ja, beide Namen stehen im Pass. Es sind aber meine Vornamen, mein Familienname ist Schlim. Frher habe ich ihn benutzt, inzwischen lasse ich ihn weg.

    CRESCENDO: Schade. Schlim klingt doch wie aus einer romantischen Novelle.

    TRISTANO: Aber der Name ist zu kom-pliziert. Jeder spricht ihn anders aus, das verwirrt nur.

    CRESCENDO: Auf Ihrem neuen Album kombinieren Sie Johann Sebastian Bach und John Cage, also Barock und . Jahrhundert. Es wurde vom Techno-DJ Moritz von Oswald pro-duziert. Wie kam's?

    TRISTANO: Das war keine Provokation. Ich habe mir das genau berlegt. Eine

    Der Flgel-DJFrancesco Tristano lebt zwei Trume, die er selbst nicht trennen mag:

    Er ist professioneller Techno-DJ und klassischer Pianist in einem. VON TOBIAS HABERL

    Studioaufnahme ist etwas ganz anderes als ein Klavierrecital auf der Bhne. Das eine ist live, das Publikum reagiert und beeinflusst die Auffhrung, das andere ist ein Prozess, vergleichbar mit einem Filmdreh. Man filmt, schneidet, springt zurck, filmt noch mal, verndert, produziert, postproduziert.

    CRESCENDO: Wie hat man sich als Klassik-Knstler denn bitte die Studioarbeit mit einem Techno-Produzenten vorzustellen?

    TRISTANO: Allein die Postproduktion hat eine Woche gedauert. Wir haben jedes Stck stundenlang bearbeitet. So eine Aufnahme ist ein Klangstck, eine richtige Klanginstallation. Man kann das auch ganz anders machen, aber die CD ist mein Vorschlag aus dem Jahr 1, mit zeitgenssischem Sounddesign, das uns zur Verfgung steht und dessen sich alle Musikformen bedienen, nur die Klassik nicht.

    CRESCENDO: Sie scheinen sich sehr fr die technische Seite von Musik zu interessieren.

    TRISTANO: Ich bin sogar ein Technik-Nerd. Als ich 1 von Paris nach New York zog, bin ich voll in die Clubszene eingetaucht. Und natrlich sind Sound und Computer da wichtige Themen. Andere klassische Pianisten kmmern sich mehr um die Noten, aber der Klang gehrt eben auch dazu. Der Regisseur Michael Haneke sagt,

    dass fr ihn die spannendsten Wochen beginnen, wenn ein Film fertig ist. Dann geht er nmlich erst ans Sounddesign. Ich verstehe das total. Ein Klavier muss

    sich nicht immer gleich anhren, es kann auch ganz anders klingen. CRESCENDO: Sie treten selbst in Clubs auf und arbeiten mit welt-bekannten DJs zusammen. ber-

    brcken Sie stilistische Unterschie-de oder empfinden Sie gar keine?TRISTANO: Ich wei nicht, ob ich sie nicht sehe oder nicht sehen will, aber die Grenzen sind oft nicht von musi-kalischer Natur. Meistens handelt es sich um soziale Codes. Techno, das heit Nachtleben, Club und Drogen, bei klassischer Musik muss man fein angezogen sein und fr zwei Stunden mglichst tief empfinden. Aber damit ist doch noch nichts ber die Musik ausgesagt, das ist mir zu einfach. Tut mir leid: Ich hre immer nur Musik.

    FRANCESCO TRISTANO

    1981 in Luxemburg geboren, beginnt er mit fnf Jahren das Klavierspiel. Nach dem Studium an der Juilliard School in New York, den Konser-vatorien in Brssel, Riga und Paris gewinnt Tristano 2004 den Concours international de piano dOrlans. Er tritt u.a. zusammen mit dem Russischen National-orchester und den Hamburger Symphonikern auf. Gleichzeitig machte er sich einen Namen als Techno-DJ in diversen Clubs. 2005 folgt eine Einspielung al-ler Klavierwerke von Luciano Berio bei Sisyphe, 2006 die Einhand-Klavierkonzerte von Ravel und Prokofjew mit dem Russischen Nationalorchester (Pentatone). Das Video zu seinem neuen Album bachCage ist bei youtube zu sehen.

    Am 11.4. spielt Tristano Bach und Cage in Mnchen, am 12.4. in Frankfurt und am 27.4. in Berlin.

  • 14

    CRESCENDO: Haben Sie eine Erklrung, woran das liegen knnte? TRISTANO: Das hat sicher mit meiner Mutter zu tun. Sie war ein

    Hippie und hat alles durcheinander gehrt: Wagner, Pink Floyd, Country. Neben der klassischen Klavierausbildung habe ich frh improvisiert und eigene Sachen komponiert. Irgendwann flos-sen alle Stile ineinander, ich habe die alte Musik nicht mehr als alt und neue nicht als neu empfunden, es gab nur noch Musik.

    Ich finde, man darf klassische Musik nicht als eine abgeschirmte Welt betrachten, die geschtzt werden muss. Musik ist doch nichts Heiliges, das sind grandiose Partituren, die durch die Jahrhunder-te reisen, und sich wandeln. Musik ist kein Regelwerk, sondern Freiheit.

    CRESCENDO: So kann nur einer sprechen, der viel herumgekommen ist. Sie sind noch nicht mal dreiig und haben in Paris, New York, Brssel, Riga und Barcelona gelebt.

    TRISTANO: Stimmt, dafr bin ich dankbar, denn Reisen ist ja auch ein hervorragender Lehrmeister. Die Juilliard School in New York war super, aber die Stadt war eben noch besser. Ich bin in Luxemburg gro geworden, da ist es hbsch und gemtlich, aber eben auch klein und limitiert. Ich bin frh weg, das war meine Chance.

    CRESCENDO: Knnen Sie dazu beitragen, attraktive Mdchen in den Konzertsaal zu locken?

    TRISTANO: Nicht nur Mdchen, berhaupt junge Menschen. CRESCENDO: Ist das eines Ihrer Anliegen?TRISTANO: Ich glaube, dass sich jeder klassi-

    sche Musiker mal die Frage stellt: Sag mal, fr wen spiele ich eigentlich? Warum ist mein Publikum dreimal so alt wie ich? Es ist schade, dass in der Welt der Musik alles so getrennt wahrgenommen wird.

    CRESCENDO: Konkrete Frage: Wo sind Sie mehr in Ihrem Element, im Konzertsaal oder auf der Clubbhne?

    TRISTANO: Weder da noch dort, beides verhlt sich komplementr zueinander, auch emotio-nal, denn im Club bin ich ja mit ganz anderen Reaktionen als im Konzertsaal konfrontiert. brigens ist es nicht so, dass ich im Konzert konzentriert bin und im Club wilde Partys feiere. Ein Clubauftritt ist oft anstrengen-der als ein Recital. Wenn ich um . Uhr nachts auftrete, muss ich wach, konzentriert und professionell sein.

    CRESCENDO: Aber ein Clubabend macht mehr Spa, oder?

    TRISTANO: Auch nicht. Beides macht Spa, nur auf unterschiedliche Weise. John Cage hat mal gesagt, Musik ist ein sinnloses Spiel. Sie hat nicht die Aufgabe, eine Ordnung ins Chaos zu bringen. Das kann ich voll unterstreichen. Natrlich wirbelt Musik auf, konfrontiert uns mit Emotionen und philoso-phischen Fragen, aber letztlich ist es ein sinnloses Spiel. Gibt es was Schneres?

    CRESCENDO: Was war eigentlich zuerst da: die Begeisterung fr Bach und Liszt oder die Faszination fr elektronische Musik?

    TRISTANO: Merken Sie, wie Sie schon wieder auf die sozialen Codes zu sprechen kommen, dabei sind die Welten gar nicht so verschie-den: Im Konzertsaal gibt es vielleicht keine Drogen, dafr aber Champagner. Da wie dort geht es um Konsum, um eine Feier des Lebens. Und natrlich war das Klavier zuerst da, als Fnfjhriger hrt man nun mal keine Clubmusik.

    CRESCENDO: Also gab es ein Schlsselerlebnis, wo Sie die Energie von Clubmusik zum ersten Mal gesprt haben.

    TRISTANO: Es gab da einen Abend in Paris Ende der Neunziger. Ich war in einem Club, eigentlich ein Schwulenclub, aber an diesem Tag war er offen fr alle. Ich kam rein und berall war Musik. Ich sah ein paar Gestalten, einer spielte Bass, auerdem Maschi-nen und Laptops. Der Beat war umwerfend, alles war Musik und Rhythmus und Tanz. Es kam mir vor, als htte ich die Zukunft der Musik gehrt.

    CRESCENDO: Haben Sie einen Lieblingsclub?TRISTANO: Die meisten sind mittlerweile geschlossen, zum Beispiel

    das Vinyl in New York. Das war ein Wahnsinnsclub. Fr mich ist wichtig, dass der Club die Musik zum Protagonisten macht und eine gute Anlage und gute Acts hat. Ich gehe nicht einfach so aus und verbringe die ganze Nacht in einem Club. Er muss gut sein, nein, er muss sehr gut sein, sonst bleibe ich zu Hause.

    CRESCENDO: Was halten Sie von Crossover-Knstlern wie dem Geiger David Garrett, der mittlerweile riesige Hallen fllt?

    TRISTANO: Ich kenne David Garrett. Man darf nicht vergessen, dass er ein genialer Geiger ist, und ich finde es absolut legitim,

    was er macht. Trotzdem glaube ich nicht, dass Crossover meine Art, Musik zu machen, beschreibt. Wenn ich ein Crossover-Projekt gemacht htte, htte ich Bach auf dem Key-board aufnehmen mssen, aber das hat Wendy Carlos schon Ende der Sechziger gemacht, Sie wissen schon, der Soundtrack von Clockwerk Orange. Das war genial, ein Meilenstein der Musikgeschichte, aber eben Jahre her. Crossover gibt es schon lange und hat seine Berechtigung, aber fr mich ist das nichts. CRESCENDO: Nicht mal, um ein bisschen Geld zu verdienen?TRISTANO: Offensichtlich nicht. Ich bin glck-lich, nein, ich bin der glcklichste Mensch, weil ich mit dem, was ich liebe, berleben kann, nmlich Musik. CRESCENDO: In den Medien werden Sie oft als radikal bezeichnet. Merkwrdig, Sie wirken berhaupt nicht so. TRISTANO: Erstens: Wenn ich radikal bin, wre es nicht an mir zu sagen, dass ich es bin.

    Zweitens: Ich bin nur konsequent. Ich versuche, meine Ohren offenzuhalten und die Zeit, in der ich lebe, wahrhaftig zu erle-ben. Ich bin 11 geboren, Fin de sicle sozusagen. Ich will keine Standards setzen, nur ehrlich sein, zu mir, zum Publikum, zur Musik. Ich habe gar keine andere Mglichkeit, ich muss tun, was ich tun muss. //

    Tut mir leid: Ich hre immer nur Musik.

    SEINE MUSIK Wie ist sie nun, die neue CD von Francesco Tristano?

    Trs lgant: Ein quirliges, perkussi-ves Spiel kombiniert Tristano bei Bachs Partita Nr. 1 mit ei-

    nem filigranen und glasklaren Anschlag. Manchmal bleibt er dabei vielleicht zu sehr an der glnzenden Oberflche, aber wer noch keine Aufnahme hat, der findet in dieser eine leicht Zugngliche. Cages The Season profitiert viel mehr von der leichtfigen Spielweise. Hier gibt es auch schne Tristesse. Francesco Tristano: bachCage (DG). CM

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    klassik inspiriert*

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    CRESCENDO: Sie stehen gerade in der Fledermaus auf der Bhne. Wir dachten ja, Sie finden Operette doof.

    CHRISTIAN GERHAHER: Ja, stimmt, Operette an sich kann ich nicht ausstehen. Aber die Fledermaus muss ich ein bisschen ausnehmen, das macht mir groen Spa. Meine Genrekenntnisse sind insgesamt unvollstndig. Bei anderen Dingen wrde ich das bedauern; aber nicht bei der Operette. So vieles ekelt mich!

    CRESCENDO: Und die Fleder-maus ist anders?

    GERHAHER: Ja, sie ist ein zum Teil sehr tiefschrfendes Stck. Die Dekadenz, die Operetten durchgehend begleitet, ist hier weniger Ausstattung als Thema: Das Stck ist relativ selbst-bezglich, das ist interes-sant. Und wenn es dann so auf die Bhne kommt wie in Frankfurt unter Christof Loy, knnen Sie sicher sein, dass kein Text den Mund eines Dar-stellers verlassen wird, ohne auf seine Mglichkeiten einer tieferen Begrndung hin untersucht worden zu sein.

    CRESCENDO: Aber die Operette ist doch gnadenloses Amusement?GERHAHER: Ach, diese institutionalisierten Scherzkanonaden mchte

    ich nicht auf der Bhne sehen. Es knnte aber, halten Sie sich fest, auch in Frankfurt lustig werden.

    CRESCENDO: Krankt das Genre nicht generell daran, dass es eigentlich nur ber tagesaktuelle Couplets, bissige, zynische Anspielungen funktioniert, und nicht als mu-sealisiertes Objekt?

    GERHAHER: Man kann auch heute tages-aktuelle Scherze einbauen. Ich glaube allerdings, dass die Operette den sub-versiven Anspruch nicht mehr so sehr hat, sondern dass es heute oft in Rich- Fot

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    tung Klamauk geht. An sich gilt es, das Genre aufzuwer-ten. Einen Subtext gibts doch immer; ich meinte, dass Texte vielleicht auf ihre Tiefgrndig-keit hin noch mal durchleuch-tet werden sollten. Das ist doch nicht nur ein harmloser Scherz von Eisenstein, dass er schwo-fen geht; das ist eine ernste Ge-fhrdung seiner Ehe! CRESCENDO: Wussten wir` s doch: Sie wollen eine Oper draus machen.GERHAHER: Viele Opern wer-den heute oft sehr leichtgngig inszeniert, was die Sache nicht attraktiver macht. Genauso kann man bei dieser Operette mal schauen, ob es abgrndige Passagen gibt ... Aber Unter-haltung oder nicht ist natrlich ein Thema bei dem Genre. Ich persnlich fhle mich nicht unterhalten, wenn ich abge-kartete Scherze sehe. Die heu-tige Kunst luft immer mehr Gefahr, zur Unterhaltung zu verkommen, je mehr sie sich

    dem Sponsoring hingibt. Das ist ein politisches Problem. CRESCENDO: Ihr Kalender platzt aus den Nhten. Schubert-, Mahler-

    Liederabende ...GERHAHER: ... und die schne Magelone mit Martin Walser, der auch

    den Text ein bisschen umgeschrieben hat, eine Japan-Tournee und, lassen Sie mich nachschauen ...Oper, Oper, Oper. Frankfurt 1, Toulouse, 1. Und 1 den Giovanni in Frankfurt und den Wozzeck in Zrich. Dann 1 noch einige Urauf-fhrungen, Zyklen von Heinz Holliger und Jrg Widmann.CRESCENDO: Das fhrt uns zurck zum Ernst der Lebens:

    Wenn Sie von ganz weit oben auf Ihre Karriere blicken: Was sehen Sie? War es das, was Sie sich im Studium ausgemalt hatten?GERHAHER: Hm. Zuerst: Natrlich hatte ich wahnsinnig viel Glck; sehr wenig ist

    CHRISTIAN GERHAHERAm 6.3. feierte Johann Strau Die Fledermaus mit Christian Gerhaher an der Oper Frankfurt Premiere.

    Bis April ist er dort als Eisenstein zu erleben. Und sei-ne Einspielung von Wolfs Italienisches Liederbuch

    erscheint im April bei Sony Classical.Abo-CD Track 12 (s. Seite 37)

    Die Fledermaus ist andersEin launisches und doch tiefgreifendes Gesprch mit dem Bariton Christian Gerhaher,

    von dem man eines nicht bekommt: langweilige Antworten.VON MARTIN MORGENST ERN

    Snger Gerhaher (42): Diese institutionalisierten Scherzkanonaden mchte ich nicht auf der Bhne sehen.

  • www.crescendo.de 02_2011 | 17

    in diesem Beruf wirklich planbar. Auf viele Dinge, die sich entwi-ckeln, hat man vorher keinen Einfluss. Der Liedgesang faszinierte mich immer am meisten, aber sicher sein kann man nie, dass eine Karriere auf so einem Gebiet klappt. Dietrich Fischer-Dieskau sagte mir: Machen Sie doch mal die Medizin fertig. Und er hat das nicht bs gemeint! Spter sagte er mir, er htte meine Entwick-lung so nicht erwartet.

    CRESCENDO: Inwieweit prgen die Lehrer den Berufsweg?GERHAHER: Jeder Musikstudent ist doch ein Erwachsener, der seinen

    Weg selbst gehen muss. Er sollte nicht erwarten, dass er von an-deren geleitet wird. Er muss das selbst finden, schon allein wegen der Tatsache, dass eine Stimme Ausdruck einer Persnlichkeit ist, eines Willens: Ab oder so ist man ich sage das, obwohl viele

    Freunde das anders beurteilen verantwortlich, wie die eigene Stimme klingt. Das klangliche Ergeb-

    nis entspricht und folgt dem, was man will oder eben nicht will, gepaart mit den individuellen physiologischen Voraussetzungen oft genug wollte ich wie ein anderer klingen, zum Bei-

    spiel wie Fritz Wunderlich oder Jos van Dam das ging natrlich nicht. Ich kam schlielich zu

    der Auffassung, dass die Schnheit einer Stimme vor allem davon abhngt, wie sehr ein klangliches inneres Erleben mit den ueren Mglichkeiten kongruiert. Ich mchte aber auch nicht sagen, blo weil ich viel Glck gehabt habe, jeder ist seines Glckes Schmied. So arrogant mchte ich nicht sein.

    CRESCENDO: Vorsichtiger Einschub: Sie leiden unter einer chro-nischen Erkrankung, die unter Umstnden auch Ihre Berufs-ausbung einschrnkt, Sie von bestimmten Projekten abhlt, etc. Wie geht man mit diesem Grenzbereich von Privatem und Beruflichem um?

    GERHAHER: Ich mchte meine Erkrankung eigentlich nicht so in den Vordergrund stellen und wrde Ihre Frage gerne umdeuten: Welche Forderungen stellt der Beruf an einen Snger, und wie geht man damit um? Ich muss schon sagen, es ist schwierig, wenn man sein Leben so lange vorplanen muss. Auf Jahre hinaus Ter-mine festlegen das ist kein Lippenbekenntnis ich glaube, das ist wirklich schwierig. Diese Pflicht, alles tadellos erfllen zu mssen. Ich habe zum Beispiel volles Verstndnis, wenn Snger sagen: Ich kann mir nicht mehr vorstellen, diese Rolle zu singen. Oder dass man manche Planungen einfach aus persnlichen oder familiren Grnden verndern muss. Es ist zwar nicht einfach fr den Be-trieb, aber da muss man Nachsicht ben. Ein Leben ist nicht so planbar wie eine Opernkarriere ...

    CRESCENDO: Jetzt fllt es schwer, zu einem schnen Schluss ber-zuleiten.

    GERHAHER: Ach, ich bin sehr dankbar dafr, wie es momentan luft. Ich hab nur eine Angst: dass die Zeit, die beruflich am besten luft, auch die Zeit ist, die familir am wichtigsten ist. Wenn ich meine Kinder aus dem Haus hab und dann nicht mehr singen kann das wre schade.

    CRESCENDO: Ach, da kommen doch Ihre Enkel. dm Fischer hat uns neulich erzhlt, nur eines wre schner als Kinder zu haben: Enkel zu haben!

    GERHAHER: Oooch, wissen Sie, da mache ich lieber mit meiner Frau eine interessante Reise. //

    Oft genug wollte ich wie

    ein anderer klingen ... das ging natrlich

    nicht.

    Der Streicher Unterschtzt, aber auf dem richtigen Weg:

    Linus Roth mchte alle berhren!

    Liebe auf den ersten Blick gibt es auch bei Instrumenten. Im Fall von Linus Roth funkte es mit der Stradivari Dancla von 1703. Als er die 1997 in die Hnde nahm, wusste er auf Anhieb, dass es passt, weil sie ein ganz besonderes Instrument mit eigener Persnlichkeit ist, das ohne Limit klanglich alles mitbringt.

    Seit dessen Erwerb durch die Musikstiftung der Landesbank Baden- Wrttemberg arbeitet Linus Roth noch intensiver an dem, was fr ihn das grte Glck und Heimat zugleich ist: klassische Musik, bevorzugt Bach, Beethoven, Brahms und Mendelssohn-Bartholdy. Die spielt er auf ber 60 Konzerten pro Jahr, wobei die Rangordnung klar ist. Ich bin zwar eine Rampensau, will mich aber nicht vor die Musik stellen. Um die bis ins letzte zu durch-dringen, bt der Wahl-Mnchner mehrere Stunden tglich und beschftigt sich ausgiebig mit jedem Werk und seiner Entstehung. Und das seit seiner Kindheit. Mit sechs Jahren bekam der Sohn zweier Musiker seine erste kleine Geige, wurde mit zwlf in die Vorklasse der Musikhochschule Freiburg aufgenommen, studierte spter in Lbeck, Zrich sowie Mnchen bis zum Solistendiplom und gewann u.a. den ersten Preis des Bundeswettbewerbs Jugend musiziert 1992 sowie einen ECHO Klassik als Bester Nach-wuchsknstler 2006 fr seine Debut-CD bei EMI. Eine ebenso erfolgreiche wie kontinuierliche Entwicklung, bei der Linus Roth einen Schritt nach dem anderen auf seinem Weg gegangen ist. Dazu gehrt auch, sein bereits drittes Album bewusst bei Challenge Classics zu verffentlichen, weil ihm dieses kleine Label genau das Repertoire ermglicht, das ich will Brahms Violin Sonatas. Oder in den kommenden Monaten sowohl bei Recitals mit seinem Lieblingspianisten Jos Gallardo als auch als Solist mit Orchestern zu konzertieren. Sein Ziel: die Zuhrer so zu berhren, dass sie den Alltag vergessen, Spa haben oder tief empfundene Gefhle haben. (Infos zu Linus: www.linusroth.com). Antoinette Schmelter de EscobarAbo-CD Track 7 (s. Seite 37)

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    Linus Roth aus dem Jahr

    1977 und seine Stradivari

    Dancla aus dem Jahr 1703.

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  • 18

    Nur wenige mgen bestrei-ten, dass Wilhelm Furt-wngler einer der ganz gro-en Musiker des vergange-nen Jahrhunderts war. Und so gibt es heute denn auch neben den Toscanini- und Celibidache-Gemeinden keinen Dirigenten, der welt-weit so viele Anhnger htte. Nach wie vor wird in allen erreichbaren Archiven ge-fahndet, ob sich noch weite-re Aufnahmen seiner Kunst finden. Legenden geistern umher, und vielleicht ndet sich ja irgendwann tatschlich doch noch irgendwo ein Rundfunkmit-schnitt von Joseph Haydns Schpfung unter dem groen Stern am deutschen Dirigentenhimmel. Das wre eine echte Sensation, die den internationalen Sammlermarkt in Verzckung setzen wrde.

    Wilhelm Furtwngler glaubte an einen deutschen Humanismus. Er war, wie fast alle Maestri seiner Zeit, berzeugt von der qualita-tiven berlegenheit seiner Kultur, von den gewachsenen geistigen Werten, und sah sich in der Verantwortung, diese Werte fortzufh-ren und fr ihre lebendige berlieferung einzutreten. Wenn wir das heute in einer anderen Relation sehen mgen und auch die dunkle Seite der monumentalen (westlichen) Hochkultur sehen und vor allem ihrer lngst eingeleiteten Dekadenz gewahr sind, so ist dies keine Forderung, die wir auf eine frhere Generation bertragen kn-nen. Jedenfalls war Furtwngler beispielsweise kein Antisemit in der

    Nachfolge Wagners, kein Eiferer fr teutonische Glaubensstze, wie dies ja bis heute einem Hans Ptz-ner anhaftet, und wie das auch Arnold Schnberg ve-hement vertrat, bevor er, der falschen Rasse zugehrig, mit dem nationalistischen Bannuch belegt wurde.

    Die Frage, die sich heu-te angesichts anhaltender Feuilleton-Wetterlage jeder Ahnungslose stellen muss, lautet: War Wilhelm Furt-wngler ein Nazi?

    Wer selbst nicht in die Verlegenheit gekommen ist, hier fr sich in den Wirren der Zeit eine Entscheidung treffen zu mssen, wer also mit dem Konikt Karriere versus Gewissen in dieser dramatischen und bedrohlichen Form nie in Berhrung gekommen ist (und das gilt fr fast jeden, der heute schreibt), kann sich natrlich leicht tun im Urteil, was htte sein mssen und was nicht htte sein drfen. Eine nchterne Selbstbetrachtung, wie es mit der eigenen Aufrichtigkeit, Zivilcourage und Dissensfhigkeit bestellt ist, kann da Wunder der Erkenntnis bewirken und Unterscheidungsfhigkeit und Einfhlungs-vermgen frdern, ohne dass der Meinungsbildner gleich zum lavie-renden Weichspler werden muss.

    Als um den 25. Januar die Beitrge zum 125. Geburtstag Furtwng-lers vom Stapel gelassen wurden, war sich ein Groteil der Kommen-tatoren in despektierlich vorauseilender Gebrde einig: Furtwngler Fot

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    Partei Ergreifend 125 Jahre Wilhelm Furtwngler und das Feuilleton stellt erneut die Frage: War der Dirigent ein Nazi? Unser Autor Christoph Schlren reiste in die Vergangenheit und kommt zu einem klaren Entschluss.

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    Dirigent Wilhelm Furtwngler

  • www.crescendo.de 02_2011 | 19

    war natrlich ein Nazi, und natrlich trotzdem ein groer Knstler mehr oder weniger gro, je nach Meinungs- und Kompetenzlage des Experten , und auf der Grundlage dieser Behauptung kann man dann so aufschlussreichen Tendenzen nachgehen wie dem Auseinan-derklaffen menschlicher und knstlerischer Integritt. Nur es gibt hier ein schlichtes Tatsachenproblem, und das ist so einfach wie die Gretchenfrage: Furtwngler war kein Nazi. Dieses Statement ist an-ders als das Gegenteilige, das gerne als common sense verbreitet wird aufgrund der Indizienlage lckenlos belegbar.

    Die Beweislage hat kein Geringerer erbracht als Fred Prieberg (1918-2010), der akribischste und konzessionsloseste Aufarbeiter und Dokumentator der Musik im Nationalsozialismus. Sein 1986 bei Brockhaus in Wiesbaden erschienenes Buch Kraftpro-be. Wilhelm Furtwngler im Dritten Reich begleitet kritisch smtliche Schritte des Protago-nisten in der Zeit, als Deutsch-land in der Barbarei versank. Das Fazit lautet: Furtwngler war weder tollkhner Wider-standskmpfer noch unpolitisch passiv. Er glaubte tatschlich, sich mit der unsichtbaren Macht der deutschen Geistesgeschich-te im Kreuz den Schergen des Antisemitismus und vlkischer Primitivitt wirkungsvoll entge-genstellen zu knnen. Wre das Musizieren eine konomisch ntzliche Ttigkeit in Arbeits-lagern gewesen, htte er damit vielleicht sogar ressieren kn-nen. Doch im Rampenlicht, die ihm unterstellten Akteure in be-gehrten, beneideten Positionen im Berliner Philharmonischen Orchester, war Schutz nur in Anfangszeiten des Tausendjh-rigen Reichs mglich. Solange irgend machbar, dirigierte er Mendelssohn und den verfemten Volksfeind Paul Hindemith, und stellte sich schtzend vor seine jdischen Musiker, darunter den grandiosen Konzertmeister Szymon Goldberg, der spter als Leiter des Niederlndischen Kam-merorchesters immer wieder betonte, Furtwngler die entscheidenden Impulse als Musiker verdankt zu haben. Furtwngler wurde nicht Parteimitglied, hatte massiv unter den Anfeindungen und Intrigen der Clique um Hermann Gring zu leiden und anders als etwa seine Konkurrenten Herbert von Karajan, der gleich zweimal der NSDAP beigetreten ist, Hans Knappertsbusch und Karl Bhm vermied er es soweit irgend mglich, bei ofziellen Anlssen der Partei als de-ren propagandistisches Aushngeschild aufzutreten. Man denke sich dergleichen in der stalinistischen Sowjetunion unvorstellbar, ohne mit dem Gulag oder dem Leben dafr zu bezahlen. Furtwngler hat

    kaum Schtzbares bewirkt fr die Menschen, die im Land blieben und nach einer geistigen Orientierung innerhalb der organisierten Massenpsychose suchten. Er war dabei kein Held, der sein Leben riskierte, sondern ein Mann, der stets weiter nach gangbaren L-sungen suchte und dafr manchen Kompromiss in Wort und Tat einging, der ihm noch als das geringstmgliche der verfgbaren bel erschien. Er htte rechtzeitig Deutschland den Rcken kehren und in die Emigration gehen knnen, und sein Ruf wre unbeschdigt geblieben. Alternativ dazu htte es wohl einzig noch den Rckzug ins Privatleben gegeben.

    Wer etwas bewirken wollte, musste immer und berall mit den Mchtigen dealen. Und wenn man ihm eines vorwerfen kann, dann

    dies. Die Fhigkeit, wirken zu knnen, hat er nicht zuletzt auf-grund des ffentlichkeitstrchtigen Entnazifierungsverfahrens und

    vorbergehenden Auftrittsver-bots, dem ihn die amerikanischen Befreier nach Kriegsende unterzo-gen teuer bezahlt. Er hatte seine Schwchen, manches Manver htte von mehr Intelligenz und weniger persnlicher Gekrnktheit getragen sein knnen, doch wer kann so ohne Weiteres von sich

    sagen, unter solch enormem Druck umsichtiger und vorausschauender agieren zu knnen? Wer brigens genauer Bescheid wissen mchte ber die nchternen Fakten der Musikerschaft im Nationalsozialis-mus, sollte sich und das ist das Mindeste, was von jedem, der mitdis-kutieren mchte, zu erwarten ist anhand von Fred Priebergs wissen-schaftlichem Vermchtnis, dem nur auf CD erhltlichen Handbuch deutsche Musiker 1933-45, das mehr als 50 Jahre Recherchearbeit auf ber 10.000 Seiten zusammenfasst weiter informieren. Hier kann man fast jede Behauptung auf ihre Stichhaltigkeit berprfen. Wer sich nicht auskennt, drfte sptestens bei dieser Lektre erken-nen, dass viele Legenden kaum Wahrheitsgehalt aufweisen. //

    Wilhelm Furtwngler (geboren 1886 in Berlin-Schnefeld, gestorben 1954 in Ebersteinburg bei Baden-Baden). Auf den Fotos dirigiert Furtwngler vor den Granden des Nationalsozialismus die Berliner Philharmoniker in einer Werkshalle. Wer sich dem Musiker Furtwngler ber historische Tondokumente nhern will, sei sowohl auf eine EMI-Kompilation mit seinen berhmtesten Aufnahmen hingewiesen als auch auf eine bei Membran erschienene Box mit 106 (!) CDs, die bis auf ein paar Marginalien das gesamte aufgenommene Repertoire Furtwnglers enthlt.

    Abo-CD Track 5 (s. Seite 37)Fo

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  • 20

    { K O L U M N E }

    2020

    Vor Weihnachten war ich kurz in Australi-en. Ein paar Tage Sydney sind in dieser Zeit auch fr Opernfreunde die wahre Freude. In den hiesigen Sangestempeln gibt es dann meist nur den familienkompatiblen Kanon des gngigsten Repertoires: Zauberflte, Boh-me, Hnsel und Gretel. Und auch unserem nasskalten Winterwetter entkommt man am besten am anderen Ende der Welt. brigens ist es eine groartige Sache, dorthin mit der Airline Emirates zu fliegen. An Bord des neu-en A--Fliegers gibt es 1. (in Worten eintausendzweihundert) Entertain-mentprogramme. Ich mchte hier keine Werbe kampagne starten, aber die Info, dass sich im Emirates-Sessel der gesamte (!) Wagner-Ring, Beethovens spte Streichquartette und viele andere Klassik-Schmuckst-cke finden, halte ich fr durchaus erwhnenswert. Es kommt brigens gut auf Parties, wenn man nebenbei einen Satz wie ich habe nochmal in Soltis Rosen-kavalier reingehrt als ich nach Sydney flog fallen lsst. Aber das nur nebenbei. Doch zum eigentlichen Thema: Von Sydney kennt man eigentlich nur die Brcke (Silves-ter-Feuerwerk) und das Opernhaus. Das hat es sogar schon auf die Briefmarken des Landes geschafft. Ja, das Opernhaus mit seiner wirk-lich fantastischen Architektur des Dnen Jrn

    Utzorn ist ein absolutes must fr alle Tou-risten (die man in Australien kaum bemerkt, denn das Land ist ja auch verdammt gro). Die Opernsaison des Hauses war bereits be-endet, aber an diesem australischen Frhsom-mertag, dem . November, gab es immerhin ein Konzert des Sydney Symphony Orchestra: Vladimir Ashkenazy dirigierte Mahlers Vier-te. Also: Karte gekauft und reingegangen! Gleich vorweg: Die Architektur von Utzorns Oper hlt innen nicht, was sie von auen ver-spricht. Nun sind Mahler und das zuvor von

    Ashkenazys Sohn Dimitri gespielte Mozart Klarinettenkonzert oh-

    nehin Gre aus der fernen Heimat. Doch sie blieben nicht die einzigen. Vor mir erwhnte ein Ehepaar aus Iserlohn, dass die Akustik

    im Konzerthaus von Dort-mund doch wesentlich besser

    sei (stimmt) und hinter mir sa-en zwei Damen aus Hannover, die

    sich mehrfach an die Filmmusik aus Tod in Venedig erinnert fhlten (stimmt nicht, denn dort wurden die Mahler Symphonien und verhackstckt). Mir wurde klar: Ich bin hier in keinem Opernhaus, sondern in einem Tou-ristentempel!

    Ganz ehrlich: Dieses Erlebnis hat man fters: Nirgendwo in New York trifft man soviele deutsche Landsleute wie im Foyer der Metropolitan Opera, wenn die x-te Zeffirelli-

    Traviata ber die Bhne geht; nirgendwo sieht man soviele japanische und amerika-nische Touristen ihre Handycams zcken wie in der Wiener Staatsoper an einem ganz gewhnlichen Repertoireabend; nirgendwo stehen Touris so traurig vor meist verschlos-senen Tren wie vor dem La Fenice in Vene-dig und nirgendwo ist die Oper derart grand final einer Kaffeefahrt wie in Dresden, wo Touristen jenen Prachtbau von Gottfried Semper oft auch fr die Brauerei des guten Radeberger Biers halten. Bestimmte Opern-huser sind eben unverwstliche Touristen-tempel und Reiseunternehmen, die einzelne Vorstellungen ausmieten, zahlen gern Zu-schlge von bis zu Prozent. (brigens kann man an den genannten Husern die Touristenherden nochmals in zwei Katego-rien unterteilen: Jene, die nur eine Fhrung durch das jeweilige Opernhaus mitmachen was der hausinterne Betrieb wegen laufender Probenarbeit meist nicht sonderlich schtzt und jene, die sich eine Karte kaufen, oder diese gleich vorweg ber ihren Reiseveran-stalter buchen lassen.

    Was aber macht Opernhuser zu Tou-ristenmagneten? Warum wollen Menschen, die eventuell niemals in die Oper gehen, unbedingt in Wien oder Dresden den Thea-tervorhang aufgehen sehen? Und wie sollen sich Intendanten diesem nicht heimischen Publikum gegenber verhalten, fr das sie ja eigentlich keine Oper machen, das sie

    EINMAL IN DER BONBON-SCHACHTEL SITZEN Unser Kolumnist diagnostiziert die Besttigung eines befrchteten Klischees:

    Viele Opernhuser vertrauen (nur noch) auf eine spektakulre Hlle.

    VON PA S C A L MORCH

    Das Opernhaus

    ist ein Must fr alle Tou-

    risten.

  • www.crescendo.de 02_2011 | 21

    aber auch als gut zahlende Kufergruppe auf keinen Fall vergraulen wollen?

    Die Antworten darauf sind komplex: Zum einen ist es gewiss die Aura, diese groe historische Tradition eines Hauses, inklusive seiner festlichen, zumeist pomp-sen Architektur (Wien, Dresden). Die will auch der opernferne Tourist mal auf sich wirken lassen; er will Teil des Festes werden, will einmal in der Bonbonschachtel sitzen! Zum anderen aber ist es hnlich wie bei Museen oft auch ultramoderne Architektur, die Musentempel zur Tou-ristenattraktion werden lsst. Das 1 vollendete Opernhaus von Sydney ist da-fr bestes Beispiel. Andere sollten folgen: Muziektheater Amsterdam (1); Aal-to Theater, Essen (1); Opra Bastille, Paris (1); Lyon (1); Tel Aviv und Helsinki (1); Kopenhagen (); Valencia (); Oslo (). Im Jubel ber diesen Opernhausbauboom mag aber nicht vergessen werden, dass er in erster Linie der Eitelkeit von Lokalpo-litikern und Brgermeistern geschuldet ist. Jene Politiker also, die gerne einen Wettstreit unter Stdten um den Kon-zertsaal mit der besten Akustik und das Opernhaus mit der futuristischs-ten Architektur vom Zaun brechen, auf dass ihre Stadt fr Touristen (noch) at-traktiver werde. Fr diesen Wettstreit braucht man heute immer einen promi-nenten Architektennamen. Und so ist der Architekt eines neuen Konzertsaals oder Opernhauses lngst nichts anderes mehr als ein in glamourser Absicht von Stadt und Staat gehtschelter Bauwerk-lieferant. Das Wichtigste an der Elbphil-harmonie in Hamburg ist nmlich nicht, wie sie einmal klingen und wer sie gar bespielen wird, sondern der Name des Architekturbros: Herzog & de Meuron. Ein Name, den man eitel ausspricht, als ein Label, das die Stadt schmcken und ihr Sta-tus geben soll schlielich interessierte sich fr Bilbao auch niemand, bevor Frank Gehry dort das Guggenheim-Museum baute.

    Ja, es ist dieser Bilbao-Effekt auf den ge-hofft wird, wenn man Touristen Inhalt ber die Verpackung verkaufen will. Da kann dann der abgeleiertste Barbier ber die Bhne gehen die Kaffeefahrttanten werden schon jubeln; da kann die abgenudeltste Tosca ge-

    spielt werden Hauptsache alle Partien sind frs Namedropping mit Promi-Sngern be-setzt, die der Tourist aus den Medien kennt.

    Nun geht es Intendanten und Operndirek-toren aber um Inhalt und eben nicht (nur) um die Verpackung. Stehen sie an der Spitze von Opernhusern, die primr Touristenmagne-ten sind, so ben sie mit jeder Entscheidung den Balanceakt: Die Herden, in den vorm Opernhaus parkenden Bussen, sie will man

    nicht verprellen und doch sollen weder Spiel-plan noch musikalische oder inszenatorische Arbeiten sich ihnen anbiedern. Schlielich und vllig zu Recht will ein Intendant zuallererst seinem Haus eine prgende, der jeweiligen Stadt und Gesellschaft typische, unverwechselbare knstlerische Identitt geben. Man darf gespannt sein, wie die In-tendanten der New Yorker Met, der Wiener Staatsoper und der Semperoper Dresden in den nchsten Jahren diesen Spagat zwischen

    Tourismusattraktion und originrer Opern-arbeit hinbekommen. Nahezu zeitgleich sind an jenen drei groen Husern, die gerade (auch) als Touristentempel bekannt und ver-schrien sind, neue Intendanten gestartet: New Yorker Met (Peter Gelb), Wiener Staatsoper (Dominique Meyer), Semperoper Dresden (Ulrike Hessler). Alle drei versprechen den knstlerischen Schlendrian, der sich in den berlangen Amtszeiten ihrer Vorgnger ein-

    geschlichen hat und sich einschleichen konnte, da er den Touristen eh wurscht ist zu beenden, ohne natrlich die Busladungen drauen vor der Tr zu vergraulen. Ihnen muss die Quadratur des Kreises gelingen, aber deshalb ma-chen sie ja auch den Job. Eigen ist die-sen drei neuen Intendanten, dass sie als erste Amtshandlung ihre Huser gezielt fr das heimische Publikum, die Gesell-schaft ihrer Stdte, zu ffnen versuchen. So sagt auch Ulrike Hessler: Natrlich ist es sehr, sehr erfreulich, wenn der Be-sucher einer Stadt automatisch auch in die Oper gehen will. In welcher Stadt gibt es das schon? Die neue Intendan-tin der Semperoper ist sich aber auch bewusst, dass Prozent der Karten an auswrtige Besucher gehen. Recht Erfolg versprechend versucht Hessler bereits in ihrer ersten Spielzeit mit einer Vielzahl an spielplanerischen und mar-ketingtechnischen Massnahmen mehr Dresdner Publikum direkt an ihr Haus zu binden. So fhrt sie offene, neue Formate wie Jazzabende, Intermezzi, Junge Szene oder eine Verlngerung der Dresden Tage ein und wendet sich mit jeder zweiten Vorstellung einer Neuproduktion zu gnstigen Karten-preisen bewusst direkt an die Dresdner. Die Bewohner einer Stadt, so Hessler, sollen ber ihre Oper reden.

    Der Spagat muss gelingen, schlielich sitzen auch Mnchner im Hofbruhaus und selbst Pariser besuchen ihren Eiffelturm. Wenn sich Huser wie die Wiener Staatsoper nicht als knstlerisch austauschbare, tnen-de Touristenfallen prsentieren, sondern sich eine, wie Ulrike Hessler fr die Semperoper elegant reklamiert, spezifische couleur locale behalten, dann wrden sich auch meine Sor-gen im nchsten Flugzeugsessel in (der) Luft auflsen. //

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  • www.crescendo.de 02_2011 | 23

    { R E Z E N S I O N E N }

    Robin McKelle

    SOULIGES UPDATESie sei eine Hard Working Woman, meint Robin McKelle von sich selbst. Auerdem berlasse sie ungern etwas dem Zufall. Also hat die Sngerin aus Rochester, US-Bundesstaat New York, ihr drittes Album Mess Around selbst produziert und dem eigenen Sound ein neues Gewand verpasst. Bislang kannte man sie als Traditionalistin, swingend mit Big Band im Rcken. Das Update klingt jetzt souliger, hat Lieder von Popkollegen wie Leonard Cohen im Programm und Gste wie den

    Saxofonisten Houston Person im Line-Up. Robin McKelles Stimme trgt die Musik, hat Kraft und die ntige Emphase, um nicht an der Seele des Souls zu scheitern. Mess Around ist daher unsere Entdeckung des Monats und versierter Entertainment Jazz, souvern genug, um weiter Freunde zu sammeln. SASCHA FRHLICH

    Robin McKelle: Mess Around (RCA))

    Foto

    : Luc

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    ozGre mit Groove: Robin McKelle

    Jazz

  • 24

    zart-Pldoyer zusammengefgt, das die falsche Patina des allzu Geflligen und Harmlosen ein fr allemal von diesen wunderbar pulsierenden, in allen Schat-tierungen funkelnden Diamanten abreit und zugleich auch mit Nachdruck die Tauglichkeit der hier verwendeten exzel-lenten Kopie eines Walter-Fortepianos aus dem Jahr 1802 unterstreicht. Dieses von Paul McNulty 2008 nachgebaute 5-Oktaven-Instrument verfgt ber ei-nen Reichtum an Klangfarben, der jeden Steinway graustichig erscheinen lsst, und Bezuidenhout nutzt diese Palette, um mit geschickter Agogik und atmenden Tem-pi die latente Opernnhe von Mozarts Klaviersatz offenzulegen, zugleich aber auch die Seelenabgrnde der c-Moll-So-nate oder auch die Trostlosigkeit des h-Moll-Adagios in seiner schockierenden

    Gefhlstiefe auszuleuchten: Ein aufregender, berckender Ausug ins Museum der Leidenschaften.

    Den leidenschaftlichen Gefhlskosmos eines verliebten Mdchens von der ersten Sehnsucht bis zur bitteren Erkenntnis des Treuebruchs durchlebt Englands junger Opernstar Kate Royal in ihrem neuen Liederalbum: Mit ihrem wunderbaren, mchtigen Sopran und der pointierten, hellwachen Begleitung von Malcolm Martineau erteilt sie uns eine 29-teilige, unglaublich intensive Lesson in Love, wobei sie zwei Jahrhunderte durchstreift und 17 Komponisten in drei Sprachen konsultiert, von Schubert bis Bolcom. Faszinierend und unwidersteh-lich ist vor allem die gestalterische Sicherheit, mit der die 31-jhrige Londonerin dieses mit vielen Raritten bestckte weibliche Leidens-kompendium durchmisst und auch bei den deutschen Romantikern mit groem Opernton immer aufs Ganze geht, mit Leidenschaft ge-gen das weibliche Rollenbild aufbegehrend.

    Wer den anderen, stilleren, innerlichen Schubert-Ton bevorzugt, den Snger und Pianisten gleichermaen frchten und so schwer treffen, dem empfehle ich das neue vierhndige Schubertalbum der beiden britischen Pianisten Paul Lewis und Steven Osborne: Die beiden exzellenten Solopianisten widmen sich hier vor allem den letzten vierhndigen Einzelstcken, die Schubert in seinem Todesjahr unter anderem auch fr seine Schlerin Karoline Esterhzy verfasste (in die er unglcklich verliebt war). Sie zeigen uns eindringlich, in welchem experimentellen Schaffensrausch er sich in dieser Zeit trotz aller Todesahnungen befand, und wie er selbst in diesen entlegenen, umschatteten Preziosen die groe stilistische Loslsung von Beetho-ven vorantrieb und die Weichen stellte fr die Romantik. Dass aus-

    Als Glenn Gould 1954 seine erste Version der Goldberg-Variatio-nen bei Columbia herausbrach-te, wurde er ber Nacht weltberhmt. Wer heute ein hnliches Wunder voll-bringt, muss darum bangen, berhaupt wahrgenommen zu werden. Denn der wirkliche Fortschritt ndet lngst abseits der grossen PR-Bhnen, in der reichen musikalischen Gegenwelt der Indepen-dents statt. Die Folge: Viele Juwelen wer-den schlicht bersehen.

    Die junge, in Mnchen lebende Ge-orgierin Irma Issakadze hat jetzt mit Bachs Partiten eine sensationelle neue Referenzmarke gesetzt, und es dabei fer-tiggebracht, just Goulds alte, stets ein we-nig berschtzte Version klar hinter sich zu lassen. Wie schon bei ihrem ersten Bach-Album (mit den Goldberg-Varia-tionen) durchwirkt sie die komplexen Strukturen Bachs mit einem fe-minin anmutenden Wrmestrom der tastenden Empndsamkeit und steigert diese sprechende Polyphonie in den gewichtigen Eckstzen zu ammender, dramatischer Sinnlichkeit, so dass sie die bei Gould vorherrschende sprde Motorik in zutiefst menschliche Klangrede, in durchlebten Kontrapunkt verwandelt. Der stndig wiederkehrende Kanon wird von stilisierten Tanzstcken mit Seele und Charakter ausgestattet. Diese romantisch anmutende Sensibilitt steht auf dem festen Boden unerschtterlichen Ernstes und eines wunderbar aus-differenzierten, substanzreich-runden Anschlags, der niemals seine klaren Konturen verliert und auf dem groen Steinway weitgehend

    ohne Pedaleinsatz einen betrenden Reichtum an Farben und Stimmungen ausbreitet.

    Ganz ehrlich: Das ist fr mich die beste, suggestivste Bach-Klavieraufnahme seit langem und ein wunderbares Verspre-chen fr eine groe Zukunft.

    Einen hnlichen Ansatz moder-ner, historisch orientierter, durchleb-

    ter Klangrede praktiziert der 31-jhrige Sdafrikaner Kristian Bezuidenhout auf

    alten Tasteninstrumenten, die er mit beherz-tem Zugriff und unbefangener Spiellaune aufbl-

    hen und glnzen lsst, als wren sie von heute: Auf seinem zweiten Mozart-Soloalbum hat er zwei gewichtige Sonaten (C-Dur KV 330 und c-Moll KV 457) mit den beiden Rondos in a-Moll und D-Dur und dem trostlosen h-Moll-Adagio zu einem eindringlichen Mo-

    { R E Z E N S I O N E N }

    GEFHLE, LEI-DENSCHAF-

    TEN, TRAUER UND LEBENS-

    FREUDE!

    H I E R R E Z E N S I E R T AT T I L A C S A M PA I

    Diese romantisch

    anmutende Sensi-bilitt steht auf dem festen Boden uner-

    schtterlichen Ernstes.

  • www.crescendo.de 02_2011 | 25

    gerechnet zwei britische Pianisten hier so feinfhlig und spannungsreich den authentischen Schubert-Ton tref-fen, ist erstaunlich und macht ihr neues Schubert-Album zu einem absoluten Muss fr jeden Klassik-Sammler.

    Und zum guten Ende ein historischer Ouvertren-Knaller, der auch nach mehr als 50 Jahren jeden, auch den Klassik-Skeptiker, vom Stuhl reisst: Der 1888 in Bu-dapest geborene Fritz Reiner gilt bis heute als Prototyp des unerbittlichen, autokratischen Przisionsfanatikers, der seinen Musikern stets das letzte abverlangte, und der vor allem mit dem Chicago Symphony Orchestra in sei-nen legendren Living-Stereo-Produktionen fr RCA Schallplattengeschichte schrieb. Jetzt hat Sony in seiner neuen Reissue-Edition Originals ein bisher unter Ver-schluss gehaltenes Rossini-Album Reiners aus dem Jahr 1958 herausgebracht. Zunchst ist man sprachlos ber die sensationelle Klangqualitt der historischen Stereo-Aufnahmen: Und wer da bislang meinte, Rossini sei eine Angelegenheit fr Italiener oder Historisten, dem erteilt der gnadenlose Perfektionist Reiner nicht nur eine Lek-tion in orchestaler Virtuositt und Klangkultur, sondern er entfacht in der Wilhelm Tell-Ouvertre solche Ex-plosivkrfte des Dramatischen und Vorwrtsdrngen-den, dass man unweigerlich mitgerissen wird von diesem Strudel entfesselter Lebenslust:

    Dieser Energiestrom reicht fr die nchsten 200 Jahre, da bin ich mir sicher. //

    Attillas CDs des Monats

    J.S. Bach: Sechs Partiten Irma Issakadze(Oehms Classics)Abo-CD Track 2 (siehe S. 37)

    Mozart : Klaviermusik Vol. 2 Kristian Bezuidenhout

    (Harmonia Mundi) Abo-CD Track 10 (siehe S. 37)

    Kate Royal: A Lesson in Love29 Lieder von Schubert bis BolcomKate Royal, Malcolm Martineau (EMI)

    Schubert : Piano DuetsPaul Lewis, Steven Osborne

    (Hyperion)

    Rossini: Ouvertren, Mozart : Don Giovanni-Ouvertre Chicago Symphony Orchestra, Fritz Rei-ner (Aufnahmen 1958) (RCA)

    Karten unter Tel. 06221 584 00 44,an allen bekannten Vorverkaufsstellen undunter www.heidelberger-fruehling.de

    London Philharmonic Orchestra I AndrsSchiff I Academy of St. Martin in the FieldsThomas Hampson I Lars Vogt I Martin

    Grubinger I Venice Baroque OrchestraFaur Quartett I Veronika Eberle Chris-toph Prgardien I Pierre-Laurent Aimard

    Roby Lakatos I Christian Tetzlaff I Gau-tier Capuon I Maurice Steger I Kuss

    Quartett I Igor Levit I Mahler ChamberOrchestra u.v.m.

    Neu: Festival Akademie

    internationales musikfestival19.mrz bis 17.april 11zeitenwechsel

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    Alexandre Tharaud

    SCARLATTI PERFEKT UMGESETZTMit Freude erinnere ich mich an das Vergngen, als ich zum ersten Mal Alexandre Tharauds Couperin-Album gehrt hatte. Seither hat er uns solo und im Duospiel verwhnt. Die schiere

    Vielseitigkeit, die seine Darstellung von 18 Sonaten Domenico Scarlat-tis auszeichnet, ist bemerkenswert: Man hrt diese Scheibe durch und kann gar nicht genug bekommen. Wem sonst gelnge das bei einer sol-chen Zusammenstellung? CHRISTOPH SCHLREN

    Alexandre Tharaud plays Scarlatti (Virgin Classics)

    Swiss Piano Trio

    WIE MEDELSSOHN SELBSTWie ein Espresso: Klassik in hochkonzentrierter Form. Seit 1998 spielen Angela Golubeva, S-bastien Singer und Martin Lucas Staub gemeinsam als Schweizer Klaviertrio. Jetzt haben sie zwei Piano Trios von Felix Mendelssohn-Bartholdy eingespielt: beide in D-Moll op. 49 bzw. C-Moll op. 66, aber alles andere als dster. Vielmehr interpretiert das Schweizer Klaviertrio sie lebendig, leicht, instrumental ausgewogen und in hnlich zauberischer Frische, mit der Mendelssohn die Werke selbst gespielt haben soll. ANTOINETTE SCHMELTER DE ESCOBAR

    Felix Mendelssohn-Bartholdy: Piano Trios Swiss Piano Trio (audite)

    Mihaela Ursuleasa

    ZUM STAUNENWas fr ein fulminanter Einstieg in die CD! Und was fr eine herrliche Interpretation! Die viel zu selten gespielte Ru-mnische Rhapsodie Nr. 1 ihres Landsmannes George Enescu entfaltet unter den Hnden von Mihaela Ursuleasa eine Lebendigkeit und Farben-pracht, die einfach nur staunen macht. Und auf diesem hohen klang- und spieltechnischen Niveau geht es mit der ebenfalls so gut wie nie zu h-renden Suite fr Klavier von Paul Constantinescu weiter. Aus ganz an-derem Holz geschnitzt sind dann die Drei Klavierstcke D 946 von Franz

    Nicholas Rimmer

    BEHERZT UND DEFTIG Nicholas Rimmer debtiert als Solopianist mit einem hchst originell konzipierten Album, das von Haydns pointiertem Sauschneider-Capriccio ber Bee-thovens khne Fantasie op. 77, William Byrd, Mo-zarts geniale Gluck-Variationen Unser dummer Pbel meint, drei Poulenc-Improvisationen, eine idiosynkratische Variante Michael Finnisseys von Gershwins Love is Here to Stay, Bartks freisinni-ge Improvisationen ber ungarische Bauernlieder und eine Faur-Petitesse zu Percy Graingers In Dahomey. Cakewalk Smasher den Bogen spannt. Wirklich toll zusammengestellt und sehr beherzt ge-spielt, teils deftig, teils kantabel und zart, und im-mer mit klarem Gestaltungsdrang. Auch tontech-nisch prsent und plastisch, gewhrt diese musika-

    lische Reise viel kurzweiliges Vergngen. CHRISTOPH SCHLREN

    Nicholas Rimmer: Acht Sauschnei-der und andere Improvisationen (MVH-Medien)

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    Schubert, die erst 40 Jahre nach Schuberts Tod durch Brahms in den Druck gelangten auch diese wunderbar dargeboten von einer Ausnahmeknstlerin, die man schon jetzt als eine ganz Groe ihrer Zunft bezeichnen darf. Einen (weiteren) H-

    hepunkt der Scheibe stellt dann die Rhapsodie fr Violine und Klavier Nr. 2 von Bla Bartk dar. Anspieltipp: Die improvisierte Einleitung (Track 10). Unbedingt empfehlenswert. BURKHARD SCHFER

    Mihaela Ursuleasa: Romanian Rhapsody Enescu, Constantinescu, Schubert, Bartk (BERLIN Classics)

    PianoMihaela Ursuleasa

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  • www.crescendo.de 02_2011 | 27

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    Its all about music!It sIt sIt all aball aball ouabouab toutou musimusimu c!sic!si

    Sir Georg Solti

    VERRAUSCHTGerade war Georg Solti (1912-1997) britischer Staatsbrger geworden, da verlieh ihm die K-nigin den Sir. Solti spielte natrlich gleich bri-tisches: Edward Elgars Erste, bald darauf des-sen Zweite Sinfonie und dann auch noch das Lieblingswerk des Englnders, die Enigma-Variationen ein. Jetzt ist ein erster Schwung von acht Legacy-DVDs erschienen; Soltis Live-Einspielungen sind eine davon. Fr ang-lophile Archivmuse mag das hochspannend sein, die Tonqualitt der Aufnahmen (aus den Jahren 1975 und 1979) ist jedoch unertrglich verrauscht und scheppernd. MARTIN MORGENSTERN

    Edward Elgar: Symphonie No. 2 Es-Dur, Enigma-Variationen London Philharmonic Orchestra, Sir Georg Solti (ica CLASSICS)

    Charles Ives, Henry Brant

    KRAFTVOLL Charles Ives Concord-Sonate, ein Klassi-ker der Klavierliteratur der Moderne, gehrt zu den enigmatischsten Werken des Repertoires. Dieses Opus hat nicht nur Ives selbst vier Jahr-zehnte lang beschf-tigt, sondern von 1958 bis 1994 auch den Kanadier Henry Brant, der ei-ne Orchesterfassung davon erarbeitete. Das Ergebnis ist schn: kraftvoll, intensiv, farben-reich, lebendig. Michael Tilson Thomas ist mit dem breiten Klang seines San Francisco Sym-phony dabei ein idealer Anwalt. UWE SCHNEIDER

    Ives, Brant: Concord Symphony, Copland: Organ Symphony San Francisco Symphony, Michael Tilson Thomas (SFSmedia)

    Jonathan Nott

    LUXURIS, ABER ETWAS ABSTRUSber mehrere Jahre haben die Bamberger Symphoniker unter Jonathan Nott die Symphonien Franz Schuberts eingespielt, und das Ergebnis ist differenziert und klar. Hinsichtlich Gestaltung von Harmonik und Melo-dik vermisst man aber die letzte Eindringlichkeit. Besondere Aufmerk-samkeit erheischen die unterschiedlichen Schubert-Reflexionen zeitge-nssischer Komponisten: Widmann, Rihm, Mantovani, Schnebel, Berio, Reimann, Henze, Zender und Schwertsik, unter welchen Jrg Widmanns Lied und Luciano Berios Rendering vielleicht die reizvollsten sind. Vieles aber muss man sagen ist hier abstrus ge-raten. CHRISTOPH SCHLREN

    Franz Schubert: Symphonien 1 - 8, Dialog & Epilog Bamberger Symphoniker Bayerische Staatsphilharmonie, Jonathan Nott (TUDOR) Abo-CD Track 3 (siehe S. 37)

    Symphonie

    Andris Nelsons

    ETWAS ZHIn der von Andris Nelsons mit dem City of Bir-mingham Symphony Orchestra eingespiel-ten Interpretation von Richard Strauss letz-ter Sinfonischen Dichtung fallen einem die langsamen Tempi auf. Die Musik gert hier schwerfllig, breit und zh. Nelsons betont die wuchtige Seite der Alpensinfonie auch in der Dynamik und vernachlssigt oftmals die Feinheiten, versumt es, lyrische Stellen auf-blhen zu lassen. Uneingeschrnkt faszinie-rend gelang dagegen Salomes Tanz der sieben Schleier in seiner sinnlichen Mischung aus Zartheit, Delikatesse und Ekstase.

    ANGELIKA RAHM

    Richard Strauss: Eine Al-pensinfonie City of Birming-ham Symphony Orchestra, Andris Nelsons (Orfeo)

    Bamberger Symphoniker Bayerische Staatsphilharmonie

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    Als der legendre Violinvirtuose Fritz Kreisler den elfjhrigen Jascha Heifetz zum ersten Mal hrte, schlug er vor, dass alle an-deren Geiger ihre Instrumente zerbrechen sollten, und nach seinem Londoner Debt im Jahr 1920 erhielt Heifetz einen Brief von Geor-ge Bernard Shaw, in dem dieser ihm ein kurzes Leben prophezeite, wenn er weiterhin mit einer solchen bermenschlichen Perfektion spielte. Er riet ihm ernsthaft, jede Nacht vor dem Zubettgehen etwas Schlechtes zu spielen