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    4/2013

    Arabischer Frhling: es war eine gewaltige Vernderung im ara-bischen Bereich, ausgehend zu-nchst von Tunesien, dann in gypten. Man hatte sich der Re-gime entledigt, mehr Frieden, mehr Demokratie, mehr Mensch-lichkeit. Von wegen Frhling!? Anders ist vieles geworden, aber in welche Richtung? Revolutionen

    schtteln einiges ab. Ob sie aber neue Todesrume erffnen oder Lebensfelder, das ist berhaupt nicht klar.Wohin reitest du, Herr? Ich wei es nicht, sagte ich, nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen. Du kennst also dein Ziel? fragte er. Ja, antwortete ich, ich sagte es doch: ,Weg von hier, das ist mein Ziel. (Franz Kafka, Der Aufbruch). Weg von hier erscheint als Lsung des Problems, als Mglichkeit, die Lasten, die sich auf den Schultern angehuft haben, abzusto-en. Weg von hier leuchtet als Ausweg auf, wenn der Druck von Menschen unertrglich wird. Nun, manches ndert sich tatschlich durch eine Ortsvernderung. Ein Luftwech-sel lsst die angeknackste Gesundheit regenerieren. Manche Menschen, die frher im Schatten anderer dahinvegetierten, blhen in einer neuen Umgebung auf. Andere Haltungen, Zustnde, Probleme und Krisen jedoch lassen sich nicht aus der Welt schaffen, indem man sich Alibis besorgt und auf die Flucht begibt. Manche Schwierigkeiten, Fehler und Konflikte lsen sich nicht dadurch, dass sie mit dem Analgetikum einer Beschftigungstherapie ins Dsen versetzt werden. Sie wer-den berall mitgeschleppt und kommen unabhngig vom Ort und von der Umgebung - immer wieder hoch. Er begngt sich mit der Hoffnung, zu der unbegreiflichen und niemals gewissen Revolution der Gesinnung durch eigene Kraft-anwendung zu gelangen1. Aushalten und Verweilen sind ntig, um berhaupt in rechter Weise wahrnehmen zu kn-nen. Dies gilt gerade auch fr die Wahrnehmung des Leids. In manchen Situationen des Leids gibt es nur das treue Blei-ben ohne unmittelbare Hoffnung auf eine positive Vernde-rung. Die Notwendigkeit des Verweilens und Aushaltens gilt auch fr den Umgang mit eigenen Schwchen. Auch zu einer Freundschaft gehrt das Schweigen und Aufeinander-War-ten. Auch in einer Beziehung wchst im Winter, wenn keine fertigen Frchte geerntet werden knnen, das Brot. Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht n-dern kann, den Mut, Dinge zu ndern, die ich ndern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. (Reinhold Niebuhr)In Psychologie und Spiritualitt gibt es fr menschliche Reifung und auch fr geistliches Leben Stufenmodelle und Aufstiegsmodelle. Das war schon bei Paulus oder Origenes (+253/54) so2. Das Prinzip dafr war von Paulus gelegt wor-

    1 Immanuel Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloen Vernunft. (WW 7) 698 (B 54, A 50), 702 (B 60, A 56).

    2 Vgl. zur Einfhrung: Origenes: Geist und Feuer. Ein Aufbau aus seinen Schriften von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln - Freiburg 31991;

    den, der in 1 Kor die fleischlichen oder psychischen Men-schen den geistigen, oder die Kinder den reifen Mnnern gegenberstellte, und auf eine Weisheit hindeutete, die er nur unter Vollkommenen verkndigte (1 Kor 3,1-2; 2,6-7; Phil 3,15; Hebr 5,12-13; Joh 20,32)3. Dreifach also muss man sich die Sinne der heiligen Schriften in die Seele schreiben: Der Einfltige soll von dem Fleische der Schrift erbaut wer-den so nennen wir die auf der hand liegende Auffassung , der ein Stck weit Fortgeschrittene von ihrer Seele, und der Vollkommene der denen gleicht, von denen der Apostel sagt (1 Kor 2,6f.): Weisheit aber reden wir unter den Vollkom-menen, aber nicht die Weisheit dieser Weltzeit und nicht die der vergnglichen Herrscher dieser Weltzeit, sondern wir re-den Gottes Weisheit im Geheimnis, die verborgene, die Gott vor den Weltzeiten zu unserer Herrlichkeit vorherbestimmt hat. Wie nmlich der Mensch aus Leib, Seele und Geist be-steht, ebenso auch die Schrift, die Gott nach seinem Plan zur Rettung der Menschen gegeben hat.4 Stufenmodelle sind auch in der Einteilung der Geschichte zu finden: Altertum, Mittelalter und Neuzeit. Diese haben ihre Berechtigung, aber auch ihre Ambivalenz und ihre Fallen. Auf dem Weg zur neuzeitlichen Wissenschaft leisten die Menschen auf Sinn Verzicht.5 Gegenwrtig setzt sich in man-chen Disziplinen der Wissenschaften ein neuer Positivismus und Biologismus verbunden nicht selten mit einer kono-misierung durch, ohne jeden ethischen Bezug, ohne jeden Bezug zur Transzendenz. Und dieser Naturalismus ist ver-bunden mit einem Verzicht auf Sinn und mit einem Verzicht auf Werte. Und schlielich verstand sich die Aufklrung als Hhepunkt der Entwicklung des menschlichen Geistes. Aber auch Aufklrung hat ihre Dialektik, ihr Verachtungspotential und ihre Vergesslichkeiten.Manche Modelle in Erziehung nehmen an der kosmischen Evolution das Ma: Das ist teilweise mit einer hchst am-bivalenten Relativierung der konkreten Leidensgeschichte einzelner Menschen, der Menschheit insgesamt verbunden. Wird die Tragdie dessen, was wir Christen Leiden, Kreuz und Snde nennen im kybernetischen Evolutionismus und anthropologischen Optimismus gebhrend mit gelitten und mit begriffen? Ob das Leid-Bild letztlich nicht doch ein Mes-sias ohne Kreuz, ein Auferstandener ohne Wunden, ein idea-ler Mensch ohne konkrete Leidens- und Sterbensgeschichte, eine kosmische Aufstiegsevolution ohne Brche und Apo-rien, ist? (Gotthard Fuchs) Ein evolutionres Verstndnis vom Menschen und von der Wirklichkeit schafft viele blinde Flecken in der Gesellschaft und neue Vergesslichkeiten.

    Henri de Lubac: Geist aus der Geschichte. Das Schriftverstndnis des Origenes. bertragen und eingeleitet von Hans Urs von Balthasar. Einsiedeln 1968, bes. 182ff.

    3 Vgl. auch Origenes: Gegen Kelsos 6,13 (Schriften der Kirchenvter Bd. 6, hg. von Norbert Brox), Dt. bers. von Paul Koetschau. Ausgewhlt und bearbeitet von Karl Pichler), Mnchen 1986, 93f.

    4 Origenes: Vier Bcher von den Prinzipien IV,2,24. Hrsg., bers., mit kritischen und erl. Anmerkungen versehen von Herwig Grgemanns und Heinrich Karpp (tzf 24). Darmstadt 1976, 709-711.

    5 Max Horkheimer / Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklrung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a. M. 1969, 9.

    Religion als Motor der Wandlung?Herbstsymposium, 6. September 2013Manfred Scheuer, Bischof von Innsbruck

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    Welches Wachstum?Erfahrung versteht Richard Schaeffler6 als einen dialogischen Prozess, der von einem Anspruch der Wirklichkeit an unser Anschauen und Denken ausgeht. der sthetischen Wahrneh-mung ist das von Subjektseite ein immer neuer Hren- und Sehenlernen, von der Seite des Wahrgenommenen her als ein immer neues Sich-melden eines unausgeschpften Bedeu-tungsgehalts. Richard Schaeffler sieht mit Immanuel Kant eine Doppelnatur des Sittengesetzes und der sittlichen Erfah-rung: sie ist Ausdruck der Selbstgesetzgebung der Vernunft, andererseits ein Gebot, das vom Individuum Unterwerfung verlangt. Sittliche Erfahrung impliziert drei Gegensatz-Ein-heiten: Gegenwart des absolut verpflichtenden Guten in der Vorlufigkeit stets relativer menschlicher Handlungsmg-lichkeiten; die Tatsache, dass in der Entscheidung konkreter und darum stets partikularer Handlungsalternativen die sitt-liche Existenz des Handelnden als ganze gewonnen werden oder auch verloren gehen kann; die Einheit von Chance und Gefahr: die Chance durch sittliche Selbsthingabe sich selber zu finden, die Gefahr der Verblendung des sittlichen Urteils. Sittliche Erfahrungen sind zweideutig: sie sind verwoben mit partikulren Inneressen und egoistischen Zielen, unterliegen der Gefahr der Selbsttuschung und der ideologischen Ver-schleierung.Religise Erfahrung braucht wie sittliche Erfahrung die Un-terscheidung der Geister. Auch auerordentliche religise Erfahrungen, etwa solche der Mystik, unterscheiden sich von Weisen des rauschhaften Selbstverlusts oder der fiktiven Selbst-Divinisierung des Menschen dadurch, dass sie den Blick auf die alltgliche Welt auf neue Weise ffnen, statt ihn zu verstellen. Eben dadurch werden derartige Erfahrungen innerhalb der Lebensgeschichte des Individuums und der Gemeinschaft zu Unvergesslichkeiten, weil sie, als Ereig-nisse der ffnung der Augen und der Wiedergeburt im

    6 Richard Schaeffler: Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Logik der Erfahrung. Freiburg/Mnchen 1995.

    Geiste, alles, auch das Alltglichste, in neuem Lichte sichtbar und verstndlich gemacht haben. Aber diese ffnung der Augen wird als Aufgehen eines Lichts ber einem Abgrund von Finsternis erlebt, und zwar einer Finsternis, in die der Mensch durch die religise Erfahrung selbst gestrzt worden ist. Und entsprechend setzt die Wiedergeburt im Geiste die Erfahrung eines tdlichen Abgrunds voraus, vor dem der Mensch sich nicht aus eigener Kraft bewahren kann. ffnung der Augen und Wiedergeburt im Geiste ersparen dem Men-schen weder die Finsternis noch den Tod, sind deshalb auch kein Weg, der an der Selbstaufhebung der menschlichen F-higkeit zum Dialog mit dem Wirklichen vorbeifhrt, sondern Ereignisse der Wiederherstellung aus dem durchlittenen Verlust aller Fhigkeiten des Anscbauens, Denkens und Han-delns. Die religise Erfahrung antizipiert insofern die Aufhe-bung der fr sie selbst konstitutiven Dialektik in der Begeg-nung mit einer fr den Erfahrenden unverfgbaren Freiheit.7

    Bei der Unterscheidung der Geister geht es um ein Zu-Ende-Denken und Zu-Ende-Fhlen von Antrieben, Motiven, Krf-ten, Strmungen, Tendenzen und mglichen Entscheidungen im individuellen, aber auch im politischen Bereich. Was steht an der Wurzel, wie ist der Verlauf und welche Konsequenzen kommen heraus? Entscheidend ist positiv die Frage, was auf Dauer zu mehr Trost, d. h. zu einem Zuwachs an Glaube, Hoffnung und Liebe fhrt.8 Negativ ist entscheidend die De-struktivitt des Bsen, das vordergrndig unter dem Schein des Guten und des Faszinierenden antritt. Unterscheidung der Geister ist so gesehen ein Frhwarnsystem, eine Strkung des Immunsystems gegenber tdlichen Viren.Manfred Scheuer

    7 Richard Schaeffler: Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit, 731.8 Ignatius von Loyola: Geistliche bungen (ed. P. Knauer). Graz 1978.