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Perseus' Kampf und Athenes Erfindung (Bemerkungen zu Pindar, Pythien 12) [Hermes 104 (1976) 257-265] Pindars zwölftes pythisches Gedicht wird neuerdings fur „verhältnismäßig unproblematisch" gehalten.' Ein „unbefangener Leser", 2 so scheint es, kann in der Ode kaum Schwierigkeiten finden. Doch was ist ein „unbefangener Leser"? Ohne Zweifel ist das Postulat der Unbefangenheit insoweit berechtigt, als es persönliche oder zeitbedingte Vorurteile so weit wie möglich aus der Interpre- tation ausschließen soll. 3 Ist es aber mit einer so verstandenen Unbefangenheit vereinbar, wenn zugleich gesagt wird, man brauche nach Motivationen pinda- rischer (und offenbar überhaupt poetischer Aussagen) gar nicht zu suchen? 4 Zu Recht heißt es, 5 man müsse bei Pindar vor allem „die Kunst des geduldigen Hinhörens üben", wenn man „die Schwierigkeiten, die dieser Dichter unserem Verständnis bereitet", lösen wolle. Kann man aber diese Aufgabe erfüllen, wenn man in einem Pindargedicht wie Pythien 12 von der Prämisse ausgeht, die Erzählung sei voll von unmotivierten Einzelheiten? 6 [258] Pindars Erzählungen sind sicher außerordentlich voraussetzungsreich und oft sehr komprimiert, doch sind sie damit zugleich auch schon ,unmotiviert'? Wäre nicht eine Erzählung mit vielen unmotivierten' Einzelheiten, statt verhältnismäßig unproblematisch' zu sein, vielmehr höchst problematisch'? Ein mit dieser Frage zusammenhän- gendes zentrales Problem hat die Interpreten von Pythien 12 immer wieder beschäftigt: Was haben die allgemein gehaltenen Schlußverse (28-32) mit dem Rest des Gedichtes zu tun? 7 Mit dieser Frage nach der Funktion des Schlußteils 1 S. RADT, Gnomon 46, 1974, 117 (im folgenden zitiert ,Rez.'): Rezension meines Buches, Die Funktion des Mythos bei Pindar, 1971 (im folgenden zitiert .Mythos bei Pindar'). — Für frü- here Interpreten war das Gedieht nicht immer so .unproblematisch': vgl. ζ. B. L. R. FARNELL, Pindar. A Commentary, 1932, 233f.; Ε. SCHLESINGER, Pindar P. 12, Hermes 96, 1968, 275ff.; vgl. Μ.Μ. WILLCOCK, CR 24, 1974, 194. 2 Rez. 1 IB (7); vgl. ζ. Β. ebd. 119 (.unvoreingenommener Leser'). 3 S. zum Problem des Vorurteils in diesem Sinne ζ. B. W. MÜLLER-SEIDEL, Probleme der lite- rarischen Wertung, 2 1969, XVII: „Nichts eigentlich sollte einer Wissenschaft mehr zur Ehre gereichen als Vorurteilsforschung an sich selbst zu treiben, und das schließt ein, daß man Theorie wie Praxis seiner wissenschaftlichen Tätigkeit immer erneut auf ihre unaufgchellten Voraussetzungen befragt und überprüft." 4 Rez. 118 (7): „Warum sollte sie", sc. Pindars Bemerkung in P. 12,18f., daß Perseus Gefahren zu bestehen hatte und von Athene gerettet werden mußte, - „warum sollte sie auch motiviert sein? - so fragt man als unbefangener Leser"; vgl. ebd. 117 (1), wo RADT zur Frage, ob eine funktionslosc Wiederholung in einem Gedicht sinnvoll sei, sagt: „Die Antwort muß natür- lich, wenn es sich nicht um einen Schreiber dürrster Prosa handelt, ,ja' lauten!" (Hervorhe- bung von mir). — Auffällig ist in der Rez. ζ. B. auch, daß die Erläuterung pindarischcr Gedanken durch Parallelen aus anderen Gedichten Pindars (nach dem aristarchischen Grund- satz, einen Dichter aus sich selbst zu erklären) als ,Importverfahren' bezeichnet wird (Rez. 115 und 115 Anm. 2 zu N. 7; 117f. (2) zu P. 12; oder 119zuP. 10). 5 Rez. 120f. 6 Rez. 118 (7): „unmotiviert ist in dieser äußerst gerafften Erzählung noch manches andere!" I Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/2/13 9:06 PM

Darstellungsziele und Erzählstrategien in antiken Texten () || Perseus’ Kampf und Athenes Erfindung (Bemerkungen zu Pindar, Pythien 12)

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Perseus' Kampf und Athenes Erfindung (Bemerkungen zu Pindar, Pythien 12)

[Hermes 104 (1976) 257-265]

Pindars zwölftes pythisches Gedicht wird neuerdings fur „verhältnismäßig unproblematisch" gehalten.' Ein „unbefangener Leser",2 so scheint es, kann in der Ode kaum Schwierigkeiten finden. Doch was ist ein „unbefangener Leser"? Ohne Zweifel ist das Postulat der Unbefangenheit insoweit berechtigt, als es persönliche oder zeitbedingte Vorurteile so weit wie möglich aus der Interpre-tation ausschließen soll.3 Ist es aber mit einer so verstandenen Unbefangenheit vereinbar, wenn zugleich gesagt wird, man brauche nach Motivationen pinda-rischer (und offenbar überhaupt poetischer Aussagen) gar nicht zu suchen?4 Zu Recht heißt es,5 man müsse bei Pindar vor allem „die Kunst des geduldigen Hinhörens üben", wenn man „die Schwierigkeiten, die dieser Dichter unserem Verständnis bereitet", lösen wolle. Kann man aber diese Aufgabe erfüllen, wenn man in einem Pindargedicht wie Pythien 12 von der Prämisse ausgeht, die Erzählung sei voll von unmotivierten Einzelheiten?6 [258] Pindars Erzählungen sind sicher außerordentlich voraussetzungsreich und oft sehr komprimiert, doch sind sie damit zugleich auch schon ,unmotiviert'? Wäre nicht eine Erzählung mit vielen unmotivierten ' Einzelheiten, statt verhältnismäßig unproblematisch' zu sein, vielmehr höchst problematisch '? Ein mit dieser Frage zusammenhän-gendes zentrales Problem hat die Interpreten von Pythien 12 immer wieder beschäftigt: Was haben die allgemein gehaltenen Schlußverse (28-32) mit dem Rest des Gedichtes zu tun?7 Mit dieser Frage nach der Funktion des Schlußteils

1 S. RADT, G n o m o n 46 , 1974, 117 (im fo lgenden zitiert ,Rez . ' ) : R e z e n s i o n m e i n e s B u c h e s , D ie Funk t ion des M y t h o s bei P indar , 1971 (im fo lgenden zitiert .My thos bei P i n d a r ' ) . — Für f rü -here In terpre ten war das Ged ieh t n i ch t i m m e r so . u n p r o b l e m a t i s c h ' : vgl. ζ . B. L. R. FARNELL, P indar . A C o m m e n t a r y , 1932, 233f . ; Ε. SCHLESINGER, P inda r P. 12, H e r m e s 96, 1968, 275 f f . ; vgl. Μ . Μ . WILLCOCK, C R 24, 1974, 194.

2 Rez . 1 IB (7); vgl. ζ. Β. ebd. 119 ( . u n v o r e i n g e n o m m e n e r Lese r ' ) . 3 S. z u m P r o b l e m des Vorur te i l s in d i e sem Sinne ζ. B. W. MÜLLER-SEIDEL, P r o b l e m e der lite-

ra r i schen W e r t u n g , 2 1 9 6 9 , XVII : „Nich t s e igent l ich sollte e iner W i s s e n s c h a f t m e h r zur Ehre ge re ichen als V o r u r t e i l s f o r s c h u n g an sich selbst zu t re iben, u n d das schl ieß t e in, daß m a n Theor i e w ie Praxis se iner w i s senscha f t l i chen Tät igke i t i m m e r e rneu t au f ihre u n a u f g c h e l l t e n V o r a u s s e t z u n g e n b e f r a g t und ü b e r p r ü f t . "

4 Rez. 118 (7): „ W a r u m sollte sie", sc. P indars B e m e r k u n g in P. 12,18f . , d a ß Perseus G e f a h r e n zu bes t ehen hat te u n d von A thene geret tet we rden mußte , - „ w a r u m soll te sie auch mot iv ie r t se in? - so f rag t m a n als u n b e f a n g e n e r Leser"; vgl. ebd. 117 (1), w o RADT zur Frage, ob e ine f u n k t i o n s l o s c W i e d e r h o l u n g in e inem Gedich t s innvol l sei, sagt: „Die A n t w o r t m u ß n a t ü r -l i c h , w e n n es s ich n ich t u m e inen Schre iber dürrs ter Prosa hande l t , , ja ' l au ten!" (Hervorhe-b u n g von mir) . — A u f f ä l l i g ist in der Rez. ζ. B. auch , d a ß die E r l ä u t e r u n g p inda r i s chc r G e d a n k e n d u r c h Paral le len aus anderen Ged ich ten P indars (nach d e m a r i s t a rch i schen G r u n d -satz , e inen D ich t e r aus s ich selbst zu erk lären) als , Impor tve r f ah ren ' b e z e i c h n e t wi rd (Rez. 115 und 115 A n m . 2 zu N. 7; 117f. (2) zu P. 12; oder 1 1 9 z u P . 10).

5 Rez . 120f. 6 Rez . 118 (7): „ u n m o t i v i e r t ist in d ieser äußers t ge r a f f t en E r z ä h l u n g n o c h m a n c h e s a n d e r e ! " I

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292 Lyr i sches Erzählen: P indar

muß sich wohl jeder Interpret von Pythien 12 auseinandersetzen. Ich gebe zunächst eine Übersetzung des Gedichtes, so wie ich es verstehe, und gehe dann auf zwei besonders strittige Stellen näher ein:

A' „Ich bitte dich, Glanzreiche, Schönste unter den Städten der Menschen, Sitz der Persephone, die du an den Flußhängen des schafenährenden Akra-gas einen wohlgegründeten Hügel bewohnst, ο Herrin, empfange gnädig mit der Gunst der Unsterblichen und der Menschen dieses Siegeskranzlied aus Delphi für den berühmten Midas und (empfange) ihn selbst, der (ganz) Griechenland in einer Kunst besiegt hat, die einst Pallas erfand, zu einer Melodie verflechtend den schrecklichen Klagegesang der wilden Gorgo-nen. (Pallas) Athene:

B' Diesen (Klagegesang), als er aus den unnahbaren Schlangenhäuptern der Jungfrauen hervorströmte, hörte in schmerzvollem Kampf Perseus, nach-dem er den dritten Teil der Schwestern getötet hatte,8 Seriphos und seinen Bewohnern das Schicksal bringend: Er wurde also wahrhaftig mit dem unheimlich-göttlichen Geschlecht des Phorkos fertig und ließ den Polydektes das Gabenmahl und die ständige Knechtschaft seiner Mutter (Danae) und ihre Vergewaltigung mit einem bitteren Ende büßen, indem er das Haupt der schönwangigen Medusa em-porhob,

Γ' er, der Sohn der Danae, von dem wir sagen, er stamme ab von selbstflie-ßendem Gold. — Aber nachdem (oder ,weiF) nun die Jungfrau (Athene) den ihr teuren Mann aus diesen Mühen gerettet hatte, schuf sie die lauttö-nende Melodie der Flöte, um mit einem Instrument die aus den schnell sich bewegenden Kiefern der (Gorgo) Euryale hervorgestoßene lautschallende Klage nachzuahmen. [259] Eine Gottheit erfand sie (sc. die Melodie der Flöte): aber nachdem sie sie als Besitz für sterbliche Menschen erfunden hatte, nannte sie sie die Melodie vieler Köpfe, den rühmenden Künder volksbewegender Wettkämpfe,

Δ ' die oft hindurchtönt durch feines Erz und Schilfrohre, die bei der Stadt der Chariten mit den schönen Tanzplätzen wachsen, im Kephisostal, zuverläs-sige Zeugen der (Chor-)Tänzer.

Wenn aber ein Maß an Glück unter Menschen (sich zeigt),9 dann zeigt es sich nicht ohne Mühe. Erfüllen wird es also wirklich heute eine Gottheit; an dem aber, was durch das Schicksal bestimmt ist, kann man nicht vorbeiflie-

7 S. ζ. B. FARNELL, C o m m . 2 3 7 zu V. 2 8 - 3 2 („The deve lopmen t of the t hough t is no t c lear ... p e rhaps M i d a s unde r s tood it m o r e easily than we") ; E. THUMMER, P indar , I, 1968, 122. — Vgl . M y t h o s bei P inda r 119f.; 149ff .

8 Zu V. 11 άνυσσεν ,er e r led ig te ' = . tö tete ' verg l ichen schon BOECKH u n d DISSEN den homer i -schen G e b r a u c h von έ ξ α ν ύ ω (II. 1 1,365; 20 ,452) . — Z u m Text s. M y t h o s bei P i n d a r 122 mi t A n m . 28. I [S. dazu un ten S. 300f f . ] .

9 Im N e b e n s a t z (V. 28) ist wohl a m besten ein φαίνεται aus d e m P räd ika t des H a u p t s a t z e s (V. 29 ού φα ίνετα ι ) zu e rgänzen .

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Perseus ' Kampf und Athencs Erf indung 293

hen, sondern diese (die kommende) Lebenszeit wird manchen auch mit Un-verhofftem treffen und ihm wider Erwarten das eine geben, das andere noch nicht".

Die hier gegebene Übersetzung weicht vor allem an zwei Stellen (V. 9 -11 und V. 22-24) von der traditionellen Auffassung ab.10

(1) In Vers 10 streiche ich das Komma hinter κ α μ ά τ ω und beziehe den Ausdruck δυσπενθέϊ συν κ α μ ά τ ω (,mit schmerzvoller Mühe ' ) nicht auf die Gorgonen (,sie vergossen ihre Klage mit schmerzvoller Mühe') , sondern auf Perseus (,Perseus hörte in schmerzvollem Kampf den Klagegesang der Gorgo-

i \ II nen ). Gegen diese Beziehung macht S. RADT den sprachlichen Einwand, πένθος

bezeichne „bei Pindar immer den Schmerz um einen Gestorbenen".12 Prüft man diese Behauptung nach, dann findet man, daß von insgesamt sechs Belegen für das Wort πένθος bei Pindar zwei aus Fragmenten stammen und wegen des unvollständigen Kontextes in ihrer Bedeutung nicht sicher bestimmt werden können,13 zwei weitere ,Leid' oder ,Schmerz' in einem allgemeineren Sinn be-zeichnen14 und nur bei den beiden restlichen Belegen die Bedeutung ,Schmerz um einen Gestorbenen' angenommen werden kann.15 Außerdem [260] wird bei dem genannten sprachlichen Einwand außer Acht gelassen, daß es für das in Pythien 12 eigentlich strittige A d j e k t i v δυσπενθήζ selbst eine Parallele bei Pindar gibt, die auch nichts mit dem ,Schmerz um einen Gestorbenen' zu tun hat.16 Der zitierte Einwand ist also ungerechtfertigt.

10 Vgl. Mythos bei Pindar 129-137 und 138-147. 11 Oder „Perseus hörte den Klagegesang ..., als er in schmerzvollem K a m p f mit Medusa fertig-

geworden war": s. u. S. 299f . 12 Rez. 117. 13 Pae. 4,53 und Fr. 133,1. 14 O. 2 ,23 (von den Töchtern des Kadmos, έπαθον a'i μεγάλα- πένθος δέ πίπτει βαρύ / κρεοσό-

νων πρός ά γ α θ ώ ν : πένθος ist hier das ,Lcid' , das Scmelc und Ino am eigenen Leib erfahren haben; vgl. auch V. 19ff.); 1. 8,6 (von den .Leiden' der Perserkriege).

15 N. 10,77 (Polydeukes ' Schmerz um Kastor: ΠάτΕρ Κρονίων, τίς δή λύσις / έσσεται πενθέων; ..., doch ist auch Kastor noch nicht .gestorben' , V. 74 ο ϋ π ω τεθναότα) ; 1. 7,37 (Schmerz um einen gefallenen Krieger: έτλαν δέ πένθος ού φατόν) : Zu dieser Stelle schreibt D.C. YOUNG, Pindar, Isthmian 7, 1971, 7: „... πένθος ... usually denotes .mourning ' for the dead" (mit Be-ru fung auf LSJ s. v. πένθος I 2 und 1). Diese Bemerkung I YoUNGs scheint RADT ZU seiner Behaup tung über πένθος bei Pindar veranlaßt zu haben. Obwohl jedoch YOUNG zugleich vor-sichtiger ( . u s u a l l y denotes ' ) und allgemeiner formuliert (seine Aussage bezieht sich nicht speziell auf Pindar), ist auch seine Angabc eine grobe Vereinfachung. Die Gegeninstanzen, in denen πένθος nicht .Trauer um einen Toten ' meinen kann, sind zu zahlreich, als daß man mit YOUNGS Feststellung viel anfangen könnte (s. allein in der Uias ζ. Β. 1 1,658; 24,105; 22,242 und besonders 9,3, wo von Schmerz und Niedergeschlagenheit der achai ischcn Vorkämpfe r nach dem Sieg der Trojaner die Rede ist: πένθεϊ δ' ά τ λ ή τ ω βεβολήατο πάντες άριστοι, vgl. V. 9).

16 Ρ. 11,18 (εκ δόλου ... δυσπενθέος): vgl. dazu Mythos bei Pindar 134 mit Anm. 81. Das den Mordanschlag der Klytaimestra auf Agamemnon (δόλος) qual if izierende Adjekt iv δυσπενθής kann mit e inem ,Schmerz um einen Ges torbenen ' nicht in Verbindung gebracht werden.

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294 Lyr i sches Erzählen: P indar

Tatsächlich ist es zu allererst die traditionelle Beziehung des Ausdrucks δυσπενθέϊ συν κ α μ ά τ ω auf die Gorgonenklage, die Anstoß erregen müßte. Das Wort κάματος meint nämlich bei Pindar (fast synonym mit πόνος)1 7 sonst durchweg ,Mühe' oder ,Anstrengung' (im Kampf, im Sport oder im Leben all-gemein),18 und es hat diese Bedeutung auch an der zweiten der beiden Beleg-stellen in unserem Gedicht (P. 12,28). Wer eine ,mit schmerzvoller Mühe' (oder ,in qualvollem Ringen')19 ,vergossene Gorgonenklage' (eine an sich schon seltsame Vorstellung)20 fur möglich hält, verstößt also gegen Pindars Sprachgebrauch (auch darin, daß er das Wort κάματος, das Pindar sonst immer von menschlicher ,Mühe' gebraucht, auf göttliche Wesen, die Gorgonen, be-zieht).

,Menschliche Mühe ' (κάματος) aber wird auch sonst bei Pindar durch At-tribute qualifiziert, die dem hier gebrauchten δυσπενθής entsprechen.2 ' Weiter führt die Beziehung des Ausdrucks δυσπενθής κάματος auf menschliche Mühe und Anstrengung zu einer genauen Übereinstimmung mit der homerisch-epi-schen Vorstellung von κάματος als dem ,schmerzvollen Sich-Abmühen des Menschen' (άργαλέος κάματος ο. ä.),22 und schließlich ergibt sich, wenn [261] man den Ausdruck δυσπενθής κάματος von der schmerzvollen Anstrengung' versteht, mit der Perseus durch Athenes Hilfe fertig wird (vgl. V. 18f.), eine auffallende sprachliche Parallele zur ,schmerzvollen Anstrengung' (δυσπενθής κάματος), die in der Odyssee (5,493) dieselbe Göttin Athene ihren mühebe-ladenen Schützling Odysseus im Schlaf vergessen läßt.23 Vielleicht liegt hier sogar das unmittelbare sprachliche Vorbild für Pindars Formulierung.

Nicht nur die Beachtung von Pindars Sprachgebrauch führt also dazu, den Ausdruck δυσπενθεϊ συν κ α μ ά τ ω in Pythien 12,10 durch die Streichung des Kommas, das unsere Ausgaben hinter κ α μ ά τ ω setzen, auf den Menschen24 Per-

17 Vgl . auch μ ό χ θ ο ; (s. die Be lege bei W.J . SLATER, P indar -Lex . s. v.). 18 Insgesamt zwö l f Be l ege (davon zwei in P. 12). , K a m p f c s m ü h e n ' : P. 1,46 (vgl. 4 7 f f ) ; P. 2 ,19 ;

N. 1,70; N. 10,79; . M ü h e n ' im Sport : P. 5 ,47; N. 8 ,50; I. 8 ,1; . M ü h e n ' in a l l g e m e i n e r e m Sinn: P. 3 ,96 ; P. 12,28; Par th . 1,19; O. 6 ,103 ( έκτό; κ α μ ά τ ω ν : W u n s c h f ü r e ine le ichte , .mü-he lo se ' Fahrt) .

19 So SCHLESINGER, H e r m e s 96, 1968, 2838 20 N o c h se l t samer Schol . P. 12,18 (II 265 DRACHMANN): δυσττενθέϊ σύν κ α μ ά τ ω · τ ω τ ω ν

Γ ο ρ γ ό ν ω ν , άδελφήν γ α ρ έττένθουν κάμνουσαν. 21 Vgl . Par th . 1,19 (αν ιαρός) ; Ν . 8 ,50 (έπαοιδαϊς δ' ά ν ή ρ / ν ώ δ υ ν ο ν καί τις κ ά μ α τ ο ν θ ή κ ε ν ) . 22 Vgl . ζ. Β. II. 13 ,85 (von den Gr iechen : τ ω ν ρ' άμα τ ' ά ρ γ α λ ε ω κ α μ ά τ ω φίλα γυ ΐα λελυντο) ;

Od . 10,363 (von Odysseus : μοι ΕΚ κ ά μ α τ ο ν θυμοφθόρον εϊλετο γυι 'ων) ; 2 0 , 1 1 3 I (von e iner Sk lav in : o'i δή, sc. d i e Freier, μοι κ α μ ά τ ω θυμαλγέϊ γ ο ύ ν α τ ' έλυσαν) ; 9 ,75 ( O d y s s e u s u n d se ine G e f ä h r t e n : όμοΰ κ α μ ά τ ω τε κα'ι άλγεσ ι θυμόν εδοντες). Alle 26 Be lege f ü r da s W o r t κ ά μ α τ ο ς in Ilias u n d O d y s s e e bez iehen sich au f m e n s c h l i c h e M ü h e , A n s t r e n g u n g oder E r s c h ö p f u n g . — Vgl . a u ß e r d e m M y t h o s bei P indar 136 A n m . 88.

23 Sic s chenk t d e m e r s c h ö p f t au f Scher ia ges t rande ten O d y s s e u s Schla f : ίνα μιν παύσειε τ ά χ ι σ τ α δυσπονέος κ α μ ά τ ο ι ο . Das A d j e k t i v δυσπονής ist e in h o m e r i s c h e s H a p a x .

2 4 P. 12,18 (άνήρ) : vgl. M y t h o s bei P indar 131 mi t A n m . 77.

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Perseus ' K a m p f und Athcnes E r f indung 295

seus, statt auf die k lagenden Gorgonen, das ,unheimlich-gött l iche Geschlecht des Phorkos ' (V. 13), zu beziehen.

Wenn man diese Beziehung auf Perseus herstellt, hat man zunächst drei verschiedene Möglichkeiten, den Text zu verstehen. Die Verse 9-11 könnten entweder bedeuten: „diesen Klagegesang hörte Athene ... als Perseus mit schmerzvoller Mühe den dritten Teil der Schwestern (Medusa) umgebracht hatte", oder aber: „diesen Klagegesang hörte Perseus ..., als er mit schmerzvoller Mühe die Medusa umgebracht hatte" (die Wortstel-lung wäre in diesem Fall gewaltsam, aber nicht unmöglich für Pindar),25 oder schließ-lich: „diesen Klagegesang ... hörte in schmerzvollem Kampf Perseus, als er die Medusa umgebracht hatte".

Die erste dieser drei Möglichkeiten (Athene bleibt aus der vorhergehenden Strophe zunächst auch Subjekt zu άϊε, V. 10) ist deshalb wenig wahrscheinlich, weil das demon-strative Relativpronomen τόυ zu Beginn von Satz und Strophe (V. 9) auf Grund der Parallelen bei Pindar ein neues Subjekt erwarten läßt (hier ,Perseus'),26 weil weiter das rückgreifende ήτοι (V. 13) nahelegt, daß eine Auseinandersetzung des Perseus mit den Schwestern der Medusa schon erwähnt worden ist,27 und schließlich auch deshalb, weil das Adjektiv ,unnahbar' (V. 9 σπλατοι: Attribut zu den Schlangenköpfen der Gorgo-nen) wohl Perseus, aber kaum Athene angeht.28 [262]

Die Entscheidung zwischen den beiden anderen Möglichkeiten ist schwierig. Beide erfüllen die genannten Voraussetzungen. Die eine (δυσπενθέϊ σύυ καμάτω auf V. 11 άυυσσευ bezogen) würde das Hauptgewicht auf den Anschlag des Perseus gegen Medu-sa legen und wäre vielleicht sprachlich vorzuziehen,29 die andere (δυσπενθεϊ σύυ καμά-τ ω auf V. 10 άϊε bezogen) würde mehr die Auseinandersetzung des Perseus mit den Schwestern der Medusa betonen. Zu ihren Gunsten könnte man die Parallelversion auf dem Heraklesschild (Hes. sc. 228-237) anfuhren und darauf verweisen, daß Pindar die Gefährlichkeit der beiden .überlebenden' Gorgonen stark hervorhebt (V. 7f. θρασειαν Γοργόνων οϋλιος θρήνος; V. 9 άπλάτοις όφίων κεφαλαΐς; V. 13 τό ... θεσπέσιου Fnr-koi(o) ... γένος). In der oben vorgelegten Übersetzung habe ich mich für die zweite die-ser beiden Möglichkeiten entschieden, doch läßt sich die erste wohl nicht ausschließen.

Bestätigt aber wird die auf j eden Fall aus sprachlichen Gründen geforder te Be-ziehung von κ ά μ α τ ο ς (V. 10) auf Perseus u. a. dadurch, daß in V. 18 nicht nur

25 Vgl. n u r die noch viel gewal t samere Worts te l lung 0 . 1 0 , 2 4 - 3 4 , w o das Sub jek t von H a u p t -und N e b e n s a t z (V. 30 .Herak les ' ) in vergle ichbarer .ve r schobener ' Posi t ion erscheint .

26 S. M y t h o s bei P indar 132ff. , in der Rez. (118,5) mißvers tändl ich refer ier t . 27 S. M y t h o s bei P indar 123f. (mit Anm. 31, 32 und 37) und 135f. — RADT, Rez . 118 (6),

schein t s ich selber zu widersprechen , wenn er zunächs t behaupte t , m e i n e „Über se t zung des Wortes ήτοι durch .also w i r k l i c h ' " sei eine .petit io pr ine ip i i ' , unmi t t e lba r da rauf j e d o c h zu-gibt, sie sei du rch P indars Wor tgebrauch gerechtfer t igt („auch w e n n ήτοι hier e twas Vorher -gegangenes w i e d e r a u f n e h m e n sollte [wie an der von K. verg l ichenen Stelle O. 13,84ff .) . . ."] . — Vgl . schon die zu wen ig beachte te Fests tel lung O. SCHROEDERS (Py th . -Komm. , 1922, 111 zu P. 12,23): „Mi t ήτοι , in dem Schlußtci l der 2. Strophe, greift der Dichter auf die Überwäl -t igung der G o r g o n e n zurück. . . . "

28 S. M y t h o s bei P indar 136. I [Vgl. z u m fo lgenden aber unten S. 300ff . ] . 29 Für die V e r b i n d u n g δυσ-ττευθέι σύυ κ α μ ά τ ω / Περσεύς ... άυυσσευ (Μεδοισαυ) vgl. syntakt i sch

ζ. Β. Ο. 11,4 εί δέ σύυ π ό ν ω τις εύ πράσσοι ...; Ρ. 8 ,73 εί ... τις έσλσ π έ π σ τ σ ι μή σύυ μ α κ ρ φ πόυω. . .

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296 Lyrisches Erzählen: Pindar

erneut von ,Mühen' des Perseus, sondern ausdrücklich mit rückbezüglichem Pronomen von ,diesen Mühen' (έκ τ ο ύ τ ο υ ... π ό ν ω ν ) die Rede ist, eine Be-merkung, die nur auf κάματος in Vers 10 zurückweisen kann, weil Pindar nir-gendwo sonst von ,Mühen' des Perseus gesprochen hat.30 Athene mußte ihren Schützling Perseus ,retten', heißt es in Vers 18f., und sie rettete ihn aus den ,schon genannten' Auseinandersetzungen mit den Gorgonen (V. 18 έκ τ ο ύ τ ω ν ... π ό ν ω ν ~ V. 10 δυσπενθέϊ σύν καμάτω) . Überdies aber sind Not, Anstren-gung und angstvolle Flucht des Perseus genau die Elemente, die in der Pindar vorliegenden Tradition der Verfasser der Darstellung des Heraklesschildes in seiner Version des Perseusabenteuers mit den ,unnahbaren' Gorgonen hervor-gehoben hat (Hes. sc. 228ff.).31

Hat sich auf Grund dieser und anderer Beobachtungen32 die Notwendigkeit der Beziehung der in Vers 10 genannten ,schmerzvollen Anstrengung' auf Per-seus gezeigt, muß als nächster Schritt die Stellung der Schlußsentenz (V. 28ff.) im Zusammenhang des Gedichtes überprüft werden. Der Mythos stellt Mühe und Erfolg des Perseus heraus, der Schlußteil des Liedes zieht ein Resume, das für Perseus ebenso wie für den in Pythien 12 gefeierten Sieger Midas und darü-ber hinaus auch für jeden anderen Menschen gilt: ,Ohne Mühe ist unter Men-schen kein Erfolg möglich' (28f. εί δέ τ ι ; όλβος έν άυθρώποισιν, άνευ καμάτου / ού φαίνεται: wie bei der Einführung des kämpfenden Per- [263] seus in V. 10 steht hier, zum zweiten Mal im Gedicht, das Wort κάματος).3 3 Die Litotes ,oh-ne Mühe nicht' (28f. άνευ καμάτου ού), auf die ein Hinweis auf göttliche Hilfe folgt (29f. έκ Βέ τελευτάσει νιν ήτοι σάμερον / δαίμων...) schließt wohl unver-kennbar die Geschichte vom mühevollen Kampf des Perseus (V. 10 δυσπενθέϊ συν καμάτω) , dessen Erfolg auch nur mit der Hilfe einer Gottheit, der Athene, möglich war (18f. έκ τ ο ύ τ ω ν φίλον άνδρα π ό ν ω ν / έρρύσατο παρθένος), be-stätigend und verallgemeinernd ab. Die Schlußsentenz stellt also erst eigentlich die allgemeine Bedeutung der Perseusgeschichte heraus. (2) In Vers 22-24 verstehe ich unter ,Athenes Erfindung' nicht, wie sonst üblich, ein ganz be-stimmtes Flötenstück (den sog. ,Nomos Polykephalos'), sondern die Flöten-spielkunst und die ,Melodie der Flöte' im allgemeinen (die zuerst den Sieg des

30 Mythos bei Pindar 130f. — Der Rezensent, Rez. 118 (3), übergeht das entscheidende zurück-weisende τ ο ύ τ ω ν (V. 18 έκ τ ο ύ τ ω ν ... ττόνων) und begnügt sich damit , mein daraus folgen-des Argument , die in V. 18 erwähnten .Mühen ' des Perseus seien vorher nicht vorgekommen, wenn sich δυσπενθΕϊ σύν κ α μ ά τ ω (V. 10) nicht auf Perseus beziehe, mit der rhetorischen Fra-ge zu beantworten: „Wozu sollten sie auch...?"

31 S. Mythos bei Pindar 136f. 32 Vgl. Mythos bei Pindar 129f., 135 und 137 (zum Aufbau der drei ersten Strophen). I 33 Bei der traditionellen Beziehung von κάματο ; (V. 10) auf die Gorgonenklage müßte man

zwei ganz verschiedene Bedeutungen für dasselbe Wort κ ά μ α τ ο ; innerhalb des kurzen Ge-dichtes P. 12 annehmen (V. 10 und V. 28). Ist dies wirklich noch g laubhaf t , wenn sich die Alternative bietet, den in V. 28 vorliegenden al lgemein-pindarischen Worts inn (menschl iche ,Mühe ' : s. o. S. 294, Anm. 18) auch in V. 10 (statt eines unpindar isehen Wortgcbrauchs) zu-grunde zu legen?

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P e r s e u s ' K a m p f und Athenes E r f i n d u n g 297

Perseus über die Gorgonen und dann immer wieder menschl iche Siege feiert) , und ich interpretiere weiter den Ausdruck μυαστήρ ά γ ώ ν ω υ ( für die Funkt ion der Flöte: V. 24) nicht als ,Aufbieter zu den Wet tkämpfen ' o. ä . ,3 4 sondern als ,Herold ' oder ,Künder von Wet tkämpfen ' . 3 5

Dagegen erhebt S. RADT drei Einwände:36

Auf mein Argument, Athene müsse einen Grund gehabt haben, die Klage der Gor-gonen zu einer Melodie zu ,verflechten', ihre bemerkenswerte Erfindung müsse also motiviert sein, erhebt RADT folgenden Einwand: „Warum Athene die Klage zu einer Melodie ,verflicht', hat Pindar ausdrücklich gesagt ...: όφρα τόυ Εύρυάλας έκ καρπαλι-μσν γενύων / χριμφθέντα σύν εντεσι μιμήσαιτ' έρικλάγκταν γόου (V. 20f.) - nach weiteren Gründen haben wir dann nicht zu suchen, da sie fur Pindars Darstellung offen-bar irrelevant sind". — Der in dieser Aussage zur Begründung von Athenes Erfindung zitierte Finalsatz (V. 20f.) wird nicht übersetzt oder paraphrasiert. Tut man dies aber, so lautet die Aussage folgendermaßen: „Warum Athene die Klage zu einer Melodie ,verflicht', hat Pindar ausdrücklich gesagt" ...: „damit sie die Klage der Gorgo Euryale zu einer Melodie verflechte" (V. 20). Wenn man dieser Interpretation folgt, wäre also der „Grund für die Verflechtung der Gorgonenklage" die „Absicht, die Klage der Gorgo Euryale zu verflechten". Können wir uns wirklich mit einer so seltsamen Logik begnü-gen? Ist es nicht vielmehr so, daß Athene die Flötenmusik aus der Gorgonenklage erfindet, „wei l sie Perseus aus dem mühevollen Kampf mit den Gorgonen gerettet hatte" (18f. έπεί έκ τούτων φίλον άνδρα πόνων / έρρύσατο παρθένος, αυλών τεΰχε παμφωνον μέλος)?37 [264]

Der zweite Einwand lautet: „Außerdem wäre ein θρήνος (V. 8) bzw. γόος (V. 21) nicht gerade geeignet als Lied zur Feier eines Sieges!" — Welche Alternative wird hier vorausgesetzt? Pindar sagt ausdrücklich (V. 6-8): „Midas siegte am pythischen Fest in der Flötenspielkunst, die einst Athene aus der schrecklichen Gorgonenklage erfand." Pindars Siegeslied auf Midas behandelt also die Erfindung der Flötenmusik aus der .schaurigen' Klage der Gorgonen. Der Kontrast zwischen .klagender' Flötenmusik und Siegesfest ist in Pythien 12 notwendigerweise gegeben, wie immer man das Lied ver-steht.38 Meine Interpretation versucht diesen Kontrast zu erklären und die Tatsache, daß die Flötenmusik trotz ihres Ursprungs ,Festmusik' ist (P. 12,25-27), durch den Hinweis zu begründen, daß die Klage der Gorgonen den Sieg des Perseus markiert und Athene „nach der Rettung des Perseus" die Klage der Gorgonen in die Melodie der Flöte um-setzt: der Klagegesang wird also zur Siegesmelodie.39

34 Vgl . ζ . B. SLATER, P inda r -Lex . s. ν. μναστήρ , b: . incent ive for , s u m m o n s to ' . 35 M y t h o s bei P inda r 138ff . (mit Di skuss ion der Para l le len bei P indar ) . 36 Rez. 118f. 37 V. 18 έττεί hat woh l ebcnsosch r kausa len wie t empora len Sinn wie of t bei P inda r (vgl. ζ. B. O.

2 ,79; O. 10,26; P. 5 ,59 ; I. 8 ,31) . D ie kausa le B e d e u t u n g von έπεί wi rd bei P i n d a r n ich t sel ten übe r sehen (ein b e r ü h m t e r Fall ist O. 1,26; dazu H. LLOYD-JONES, J H S 93, 1973, 133 A n m . 125; zu N. 7 ,33f f . vgl . j e d o c h M y t h o s bei P indar 6 3 f f „ bes. 67 und , zu N. 7 ,35 έπεί, 69) . I

38 Er hat d ie In terpre ten of t (gerade weil sie an ein e inzelnes F lö tens tück , den , N o m o s Po lyke-p h a l o s ' , g l aub ten ) beun ruh ig t : vgl. ζ. B. FARNELL, C o m m . 2 3 4 : „ W h a t is inexp l i cab le is the consec ra t ion of a m u s i c a l c o m p o s i t i o n sugges t ing sor row and w a i l i n g to the br igh t fes t iva l of the pure god w h o kept a loof f r o m all associa t ion wi th dea th and d i rges . . . "

39 Vgl . M y t h o s bei P inda r 142.

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298 Lyrisches Erzählen: Pindar

Gegen meine von der traditionellen Auffassung abweichende Interpretation des Na-mens κεφαλαν πολλαν νόμος (V. 23), den Athene der durch die Umsetzung der Klage der vielen ,Schlangenköpfe' der Gorgonen (V. 9 κεφαλαί) entstandenen Flötenmelodie gibt, richtet sich schließlich der dritte Einwand: „Übrigens bezeichnet Pindar ja auch gar nicht die Flötenmusik im allgemeinen als μναστήρ αγώνων, sondern nur das erste, von Athene erfundene Flötenlied, den κεφαλαν πολλαν νόμος, d. h. den νόμος πολυκέ-φαλος, eine ganz bestimmte Flötenweise, deren Namen Pindar offensichtlich mit die-sem Mythos erklären will ... ( K Ö H N K E N ) leugnet einfach die aitiologische Absicht des Mythos (144f.), die für jeden unvoreingenommenen Leser mit Händen zu greifen ist".40

— Da das entscheidende Problem jedoch gerade darin liegt, w a s eigentlich Athene als ,Vielhäupterweise' (κεφαλαν πολλαν νόμος) bezeichnet, ist auch dieser Einwand wohl methodisch unhaltbar: Was erst zu beweisen wäre (nämlich, daß V. 19 αυλών ... πάμ-φωνον μέλος ein bestimmtes einzelnes Flötenstück, und nur dies, meinen kann),41 setzt er als schon bewiesen voraus. Noch dazu bezeichnet Pindar nicht „den κεφαλαν πολλαν νόμος als μναστήρ άγώνων" , sondern er läßt vielmehr Athene der von ihr erfundenen „Melodie der Flöte" (V. 19 αυλών ... πάμφωνον μέλος) die beiden einander parallelen Namen κεφαλαν πολλαν νόμος (V. 23) und μναστήρ ά γ ώ ν ω ν (V. 24) geben. Weiter ist bei dem genannten Einwand nicht bedacht, daß die Flötenmelodie nach dem Willen der Athene „Besitz für die Menschen" sein soll (V. 22 νιν εύροΐσ' άνδράσι θνατοΐς εχειν). Diese allgemeine Bestimmung wäre schwer verständlich, wenn es sich nur um ein ganz spezielles Flötenstück handelte. Schließlich ist die Äußerung, Pindar wolle „den νόμος πολυκέφαλος, eine ganz bestimmte Flötenweise ... offensichtlich mit diesem Mythos erklären", eine bloße Behauptung, die durch Versicherungen wie „offensicht-lich" oder „mit Händen zu greifen" nicht besser wird. Gegen sie gibt es vor allem zwei Gegenargumente: (1) der Ausdruck ,Nomos Polykephalos' als Bezeichnung für eine spezielle Flötenweise ist nur spät und schlecht bezeugt, und was wir an Nachrichten darüber erfahren, läßt sich mit Pindars Gedicht nicht in Einklang bringen;42 (2) der Wortlaut des Pindartextes läßt die Einschrän- [265] kung auf ein spezielles Flötenstück nicht zu. Midas siegte in der „Kunst des Flötenspiels" (V. 6 τέχνς<), nicht mit einem besonderen ,Zugstück'; Athene erfand diese K u n s t , nicht eine einzelne ,Flötennum-mer' (V. 6-8); diese Kunst wird inhaltlich spezifiziert als die „tonreiche Musik der Flöte" (V. 19, ein allgemeiner Ausdruck), und Athene nennt die von ihr erfundene Kunst in diesem allgemeinen Sinn die „Melodie der vielen Köpfe" (V. 22f.), die oft bei Fest und Tanz die Begleitmusik macht (V. 25-27). Ist es demnach wirklich möglich, die von Athene erfundene ,Kunst' (V. 6 τεχνα) mit einer ganz speziellen Flötenweise (dem „Nomos Polykephalos") zu identifizieren? Sollte man auf Grund des Pindartextes das Verhältnis von μναστήρ ά γ ώ ν ω ν (V. 24) und κεφαλαν πολλαν νόμος (V. 23) nicht doch folgendermaßen interpretieren: „Athene erfand die tonreiche Melodie der Flöte als Besitz für die Menschen und nannte sie eine „Melodie vieler Häupter" (im Hinblick auf ihre Herkunft) und einen „rühmenden Künder von Wettkämpfen" (nach dem Zweck, für den sie bestimmt ist)"? Die Aufgabe, mit dem Siegeslied zusammen Siege zu feiern und die Erinnerung an sie wach zu halten, hat die Flöte auch in anderen Epinikien Pindars.43

40 S. dagegen schon C.M. BOWRA, Pindar, 1964, 293: „The myth may be actiological, but that is merely superficial ...".

41 Die Parallelen bei Pindar sprechen eindeutig dagegen: s. Mythos bei Pindar 144, vgl. 140f. 42 Vgl. ζ. B. FARNELL, Comm. 233f„ und s. Mythos bei Pindar 144f. (mit Anm. 123, 125 und

126). I 43 S. Mythos bei Pindar 140f.

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Perseus' Kampf und Athenes Erfindung 299

Im besonderen Fall von Pythien 12 ist das Flötenspiel Wettkampfdisziplin (Midas siegte in der Kunst des Flötenspiels) und Siegesmusik zugleich (die Flöte verkündete und feierte auch seinen siegreich bestandenen Kampf)·

Die von der Atheneerfmdung eingerahmte Perseuserzählung in Pythien 12 setzt wie fast alle Mythen Pindars die Vertrautheit des Hörers oder Lesers mit der zugrundeliegenden Sage voraus. Nur wer den traditionellen Mythos von Danae und Perseus, von Polydektes und Seriphos, von der Gorgo Medusa und ihren Schwestern kennt, kann die besonderen Nuancen würdigen, die Pindar ihm gibt. Stellt man jedoch diese Voraussetzung in Rechnung, dann enthält die Erzäh-lung und das Gedicht überhaupt, wenn man ,geduldig hinhört ' , weder unmo-tivierte noch unverständliche Einzelheiten. Vielmehr ist es ein in sich geschlos-senes, klar aufgebautes Ganzes.

Ohne Zweifel aber ist Pythien 12 ein schwieriges Lied, dessen Sinn nicht ,mit Händen zu greifen' ist.

Pindar selbst betont an anderer Stelle den Voraussetzungsreichtum seiner Dichtung, die sich nicht jedem leicht erschließe und für die Allgemeinheit der Erklärer bedürfe (O. 2,83ff. πολλά μοι ύττ' άγκώνος ώκέα βέλη / ένδον έντί φαρέτρας / φ ω ά ε ν τ α συνετοϊσιν- έζ δέ τ ό π ά ν έρμαυέωυ / χατίζει...). Diese Aussage läßt ein Pindarverständnis, das in einem Lied wie Pythien 12 alles o f -fensichtlich', ,natürlich', ,mit Händen zu greifen' und ,unproblematisch' findet, von vornherein fragwürdig erscheinen. Außerdem aber liegt im zitierten Satz Pindars für jeden Interpreten die Verpflichtung, die methodischen Vorausset-zungen klarzulegen, von denen her er die Dichtung Pindars beurteilt. Der eben-so vielsagende wie unkontrollierbare Begriff des „unbefangenen Lesers" genügt hier wohl nicht.

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