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Das Buch Beim BND war Gabriele Gast »Dr. Leinfelder«, bei der HV A »Gisela«. Der Auslandsnachrichtendienst der DDR warb sie 1968 an, 1973 trat sie in die Dienste des Bundesnachrichtendiens- tes. Dort schaffte sie es bis zur Regierungsdirektorin, und sie hätte vielleicht noch nach dem Untergang der DDR dort gearbeitet, wenn ein Verräter aus den eigenen Reihen sie 1990 nicht ans Messer geliefert hätte. Die wichtigste Quelle der HV A in der BND-Zentrale wurde zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Klaus Eichner hat aus Selbst- zeugnissen, eigenen Erinne- rungen und Dokumenten das Bild einer der erfolg- reichsten und wichtigsten Kundschafterinnen der DDR gezeichnet, die – trotz aller bitteren Enttäuschungen – unverändert zu ihrer frühe- ren Tätigkeit steht. Der Herausgeber Klaus Eichner, Jahrgang 1939, Mitarbeiter des MfS von 1957 bis 1990. Letzter Dienstgrad Oberst. Zunächst in der Spionageabwehr, danach in der Hauptverwal- tung Aufklärung tätig. Seit 1974 Analytiker im Bereich IX/C der HV A, spezialisiert auf Geheimdienste der USA. Von 1987 bis zur Auflösung der HV A Leiter des Bereichs C (Auswertung und Analyse) der Abt. IX (Gegenspionage). Von Klaus Eichner erschie- nen in der edition ost u. a. »Headquarters Germany«, »Angriff und Abwehr«, »Konterspionage« (beide gemeinsam mit Gotthold Schramm), »Deckname Topas« (zusammen mit Karl Rehbaum). In seinem 2014 erschienenen Beststeller »Imperium ohne Rätsel. Was bereits die DDR-Aufklärung über die NSA wusste« setzte er sich mit der Spionagetätig- keit der USA gegen ihre Ver- bündeten auseinander.

Das Buch - Eulenspiegel€¦ · Klaus Eichner hat aus Selbst-zeugnissen, eigenen Erinne-rungen und Dokumenten das Bild einer der erfolg-reichsten und wichtigsten Kundschafterinnen

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Das Buch

Beim BND war GabrieleGast »Dr. Leinfelder«, beider HV A »Gisela«. DerAuslandsnachrichtendienstder DDR warb sie 1968 an,1973 trat sie in die Dienstedes Bundesnachrichtendiens -tes. Dort schaffte sie es biszur Regierungsdirektorin, und sie hätte vielleicht nochnach dem Untergang derDDR dort gearbeitet, wennein Verräter aus den eigenenReihen sie 1990 nicht ansMesser geliefert hätte. Diewichtigste Quelle der HV Ain der BND-Zentrale wurdezu einer Haft strafe von sechsJahren und neun Monatenverurteilt.Klaus Eichner hat aus Selbst-zeugnissen, eigenen Erinne-rungen und Dokumentendas Bild einer der erfolg -reichsten und wichtigs tenKundschafterinnen der DDRgezeichnet, die – trotz allerbitteren Enttäuschungen –unverändert zu ihrer frühe-ren Tätigkeit steht.

Der Herausgeber

Klaus Eichner, Jahrgang1939, Mitarbeiter des MfSvon 1957 bis 1990. LetzterDienstgrad Oberst. Zu nächstin der Spio nage abwehr,danach in der Hauptverwal-tung Aufklärung tätig. Seit1974 Analytiker im BereichIX/C der HV A, spezialisiertauf Geheimdienste der USA.Von 1987 bis zur Auf lösungder HV A Leiter des BereichsC (Auswertung und Analyse)der Abt. IX (Gegenspionage). Von Klaus Eichner erschie-nen in der edition ost u. a.»Headquarters Germany«,»Angriff und Abwehr«,»Konterspionage« (beidegemeinsam mit GottholdSchramm), »DecknameTopas« (zusammen mit KarlRehbaum). In seinem 2014erschienenen Beststeller»Imperium ohne Rätsel. Wasbereits die DDR-Aufklärungüber die NSA wusste« setzteer sich mit der Spionagetätig-keit der USA gegen ihre Ver-bündeten auseinander.

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Klaus Eichner

Agentin in der BND-ZentraleGabriele Gast im westdeutschen Spionagezentrum

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ISBN 978-3-360-01870-0

© 2015 edition ost im Verlag Das Neue Berlin, BerlinUmschlaggestaltung: Buchgut, Berlin, unter Verwendung eines Fotos von Gabriele Gast, 1966Fotos: Robert Allertz S. 9, 33, 82, 125, 174, 179, 191, 216, 217; Archivedition ost S. 17, 20, 23, 38, 56, 62, 79, 92, 109, 133, 142, 148, 171, 182,186, 201; Ulrich Burchert S. 66, 69, 70; Andreas Magdanz S. 14, 88, 98,106, 137; Anselm H. W. Müller S. 27, 44, 220

Die Bücher der edition ost und des Verlags Das Neue Berlin erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.edition-ost.de

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Sämtliche Inhalte dieser Leseprobe sind urheberrechtlich geschützt. Sie dürfen ohne vorherige schriftliche Genehmigung weder ganz noch auszugsweise kopiert, verändert, vervielfältigt oder veröffentlicht werden.

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Inhalt

Werner GroßmannVorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Prolog Der BND im Visier der Spionageabwehr der DDR 13

Kapitel 1Beginn einer Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Kapitel 2Zur Person Gabriele Gast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Kapitel 3Im Blickfeld der HV A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Kapitel 4Frau Dr. Leinfelder in Pullach . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Kapitel 5Festnahme – Prozess – Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

Kapitel 6Zerbrochene Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

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Wo waren die Amtsträger der DDR – einschließlich unsererFührungsleute, denn die waren ja wohl auch Amtsträger –,wo waren die Genossen und ihre ›Wende-Partei‹, die PDS,als wir ›Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die unterVerletzung der Strafgesetze für die DDR, ihre Behörden oderInstitutionen tätig gewesen sind‹, wie der Schlussgesetzent-wurf unsere Spionage für die DDR schamhaft umschreibt,

wo waren sie, als wir reihenweise verhaftet, verurteilt und indie Gefängnisse geworfen wurden?

Verhaftet, weil von Amtsträgern der DDR verraten. Verurteilt unter anderem, weil von Amtsträgern der DDR

vor Gericht in die Pfanne gehauen. Existentiell ruiniert, weil Amtsträger der DDR gegebeneZusicherungen in den Mülleimer der Geschichte warfen.

Gabriele Gast bei einer Anhörung der PDS-Bundestagsgruppe,

25. März 1995

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Kapitel 1Beginn einer Freundschaft

Nach dem Untergang der DDR wurden etliche Kund-schafter enttarnt, verurteilt und inhaftiert. Da dieses Ge -werbe auf Konspiration gründet, kannten sie sich vorhernicht. Sie lernten sich erst nach ihrer Enttarnung kennen.Das erfolgte bereits im Strafvollzug oder nach der Entlas-sung aus der Haft. Die meisten waren ihrer Überzeugungtreu geblieben und fanden, dass sie unter den neuen Bedin-gungen und mit offenen politischen Mitteln ihren Kampffür eine friedliche, bessere Welt weiterführen sollten. Fol-gerichtig führte das zur Gründung der »Arbeitsgruppe Auf-klärer in der GRH« und der »Initiativgruppe Kundschafterdes Friedens fordern Recht«.

Im März 1995 ergab sich eine Gelegenheit, erste Über-legungen in diese Richtung zu besprechen. Die PDS-Bun-destagsgruppe hatte zu einer Anhörung nach Berlin einge-laden. Es ging um eine Amnestie für ehemalige Spione derDDR bzw. um ein Schlussgesetz. Der Einladung warenauch zwölf ehemalige Kundschafter gefolgt.

Damit war es auch mir möglich, manche unserer Quel-len erstmals persönlich zu treffen.

Ich kannte »Gisela« als hochqualifizierte und ertragrei-che Quelle im BND, hatte aber aus Gründen der Konspi-ration und des Quellenschutzes keine Informationen überihre wahre Identität erhalten. Erst als die Medien über ihreFestnahme berichteten, erfuhr ich, dass »Gisela« tatsäch-lich Dr. Gabriele Gast hieß und leitende Auswerterin inPullach war.

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Unsere erste Begegnung fand in einem Berliner Caféstatt. Es war wie das erste Rendezous mit einer fernenFreundin. Werner Großmann, dessen Verfahren soebenein gestellt worden war, nahm an diesem Treffen teil. Er be -richtete in seinen 2001 erschienenen Erinnerungen »Bonnim Blick« über seine Annäherung an diese Frau: »Eine dererfolgreichsten Vorgänge beginnt 1968. Als Instrukteur fürdie Abteilung XV der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadtbegleite ich Kontaktierung, Werbung und schließlich dieEinschleusung von ›Gisela‹ als Quelle in die Zentrale desBND in Pullach. Es entspricht den konspirativen Prinzi-pien unseres Dienstes, dass nicht unmittelbar an einemVorgang beteiligte Mitarbeiter Klarnamen nicht erfahrenoder die Eingeweihten im Gespräch mit anderen oder imSchriftverkehr diese verwenden.

Bis 1984, da werde ich in diesen Vorgang persönlicheinbezogen, bleibt der Fall für mich tabu. Markus Wolf hatdie persönliche Verantwortung.

Als ich Chef der HV A werde, will ich Dr. GabrieleGast – sie ist ›Gisela‹ – persönlich kennenlernen. Sie lehntaber ab. Ohne ihre Beweggründe konkret zu kennen, voll-ziehe ich ihre Entscheidung nach. Viele Jahre arbeitete sievertrauensvoll mit Wolf und noch enger mit ihren Füh -rungsoffizieren zusammen. Jeder Neue stört das engeBeziehungsgeflecht. So bleibt es bei Grüßen und der Ver-sicherung enger Verbundenheit. Der erfolgreichen Arbeitschadet das zu keiner Zeit.

Ich lerne sie erst kennen, als Gabriele Gast aus der Straf-vollzugsanstalt entlassen wird. Nach ihrer Verhaftung hattemich ihr Bruder in Berlin besucht. Jetzt ruft sie mich an.Wir treffen uns in meiner Wohnung. Zwischen ihr, mei-ner Frau und mir beginnt eine Freundschaft, die bis heuteanhält. Wir bedauern, uns nicht schon früher kennenge-lernt zu haben.«

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Das 1992 gegründetes »Insiderkomitee zur kritischenAufarbeitung der Geschichte des MfS« nutzte ebenfalls dieGelegenheit zu einer Begegnung an diesem Frühlingstag.Auf Initiative des Bundestagsabgeordneten Prof. Uwe-JensHeuer trafen wir uns in einem Restaurant in Hohen-schönhausen unweit des Hotels, in dem die Ehemaligenuntergebracht worden waren. An der Zusammenkunftnahmen auch Markus Wolf und Werner Großmann teil.

Unsere Gespräche zogen sich bis in die Nacht hinein.Am nächsten Morgen fand dann die Anhörung im Ber-

liner Abgeordnetenhaus statt. Das Gebäude befindet sichin unmittelbarer Grenznähe, von der noch Mauerreste zusehen waren. Zum Jahreswechsel 1918/19, im Nachklangder Novemberrevolution, hatte sich hier die Kommunisti-sche Partei Deutschlands konstituiert. Zwei Wochen späterwaren Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von derReaktion ermordet worden.

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Der PDS-Bundestagsabgeordnete Uwe-Jens Heuer organi-sierte am 25. März 1995 eine Anhörung ehemaligerKundschafter. Aufnahme vom 5. Mai 2010

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Gabriele Gast trug bei dieser Anhörung eine vorberei-tete Rede vor, die nicht nur die Parlamentarier sehr be -rührte. Denen las sie insofern die Leviten, als sie ihnenbewusst zu machen versuchte, dass der von der PDS vor-gelegte Gesetzentwurf, mit dem die Kundschafter straffreigestellt werden sollten, die Strafbarkeit ihrer Tätigkeitunterstellte. Und gegen diese Annahme wehrte sich Ga -briele Gast vehement, indem sie ihre Tätigkeit für dieDDR und die DDR selbst engagiert verteidigte.

Ihre Rede wird im Wortlaut nachfolgend zitiert:

Wortmeldung am 25. März 1995

Ich bin der Einladung zu dieser Veranstaltung mit großemInteresse gefolgt. Bietet sie doch einem Personenkreis, denich in gewisser Weise repräsentiere und für den zu sprechenich ermächtigt bin, soweit unsere besonderen Umständedies zuließen – bietet uns also diese Veranstaltung erstmalsGelegenheit, gehört zu werden. Ich will damit sagen, dassunsere diversen Bemühungen um Gehör in den maßgebli-chen Kreisen dieser Partei bislang keine Resonanz gefun-den haben. Das ist ungemein bitter, weil es uns in der Rolledes Objekts belässt, in die uns die ›Wende‹ geworfen hat:Wir waren Tauschobjekt für ›Wendehälse‹, die sich aufunsere Kosten und auf Kosten unserer Familien den neuenHerren andienten. Wir waren das Objekt reißerischerSchlagzeilen der Boulevardpresse. Und wir waren Objekteiner schonungslosen Strafverfolgung der Justizbehörden.Subjekt sind wir seit der ›Wende‹ nur noch in der Form deskriminellen Subjekts.

Als solches darf ich mich Ihnen kurz vorstellen: Ich bin bzw. war eine Geheimdienst-Agentin, eine Spio-

nin (igitt igitt), Mata Hari (pfui Teifi), ein Romeo-Opfer (omei, o mei), eine ›Kundschafterin des Friedens und Kämp-

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ferin an der unsichtbaren Front‹ (hipp hipp hurra). Mirsind, wie Sie sehen, viele Attribute zuteil geworden: Es istbloß eine Frage des Standorts, welches davon greift. DieJustiz hat sich in dieser Hinsicht leicht getan: Sie attestiertemir, wie das in Strafverfahren so üblich ist, kriminelle Ener-gie. Nehmen Sie sich also in Acht vor mir, denn ich bineine Kriminelle.

Mein Verbrechen bestand darin, für die Hauptverwal-tung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit tätiggewesen zu sein. Einundzwanzig Jahre lang. Ich habe alsoals deutsche Staatsbürgerin für einen deutschen Geheim-dienst gearbeitet und mich deshalb strafbar gemacht. Ichwurde zu sechs Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafeverurteilt. Die Strafe, nahezu eineinhalb Jahre davon in Iso-lationshaft verbracht, habe ich verbüßt; der sogenannteRechtsstaat hat seine Satisfaktion.

Ich habe aber auch noch für einen anderen deutschenGeheimdienst gearbeitet, doch das hat die deutsche Justizstrafrechtlich nicht geahndet. Ich war Mitarbeiterin desBundesnachrichtendienstes, Beamtin, Staatsdienerin. Alssolche habe ich dazu beigetragen, Bürger anderer Staatenzur Spionage für den BND zu bewegen – mit allen sanf-ten bis erpresserischen Methoden, derer sich ein Nach-richtendienst zu diesem Zweck zu bedienen pflegt. Ichhabe dazu beigetragen, Bürger anderer Staaten zu einemVerstoß gegen die Rechtsordnung ihres Landes zu bewe-gen. Das richtete sich keineswegs bloß gegen die als ›Un -rechtsstaaten‹ etikettierten sozialistischen Länder, wasschlicht als rechtens galt. Es machte ebenso wenig halt vorbefreundeten, verbündeten Ländern und kirchlichen Insti-tutionen. Ich habe also dazu beigetragen, Bürger andererStaaten zu kriminalisieren. Trotzdem habe ich mich nichtder Anstiftung oder Beihilfe zu einer Straftat schuldiggemacht.

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Markus Wolf und Werner Großmann sowie ihre Kol-legen von der HV A taten in der Berliner Normannen-straße nichts anderes, als was ich und meine Ex-Kollegen,darunter ein deutscher Außenminister (gemeint ist KlausKinkel, der von 1979 bis 1982 BND-Chef war – K. E.), inder Pullacher Heilmannstraße taten. Deshalb kann das,was mir und meinen Ex-Kollegen nicht zum Strafvor-wurf, sondern allenfalls zur Belobigung und Beförderungge reichte, bei Markus Wolf und Werner Großmann nichtals ein Rechtsbruch, als eine strafbare Handlung gelten.Vielmehr ist die Strafverfolgung, der sie und anderehauptamtliche Mitarbeiter der HV A ausgesetzt sind, eineklatanter Rechtsbruch, den der sogenannte RechtsstaatBundesrepublik seit bald fünf Jahren begeht.

Diesen Rechtsbruch mildert auch nicht das Argument,in der Hektik der Aushandlung des Einigungsvertrages sei›leider‹ eine einschlägige Problemlösung ›verabsäumt‹ wor-den. Wer sie wirklich wollte, hätte in den letzten fünf Jah-ren Zeit genug dafür gehabt. Es ist ein vorgeschobenesArgument, hinter dem sich politischer Rachedurst verbirgt,verpackt in ein formaljuristisches Gewand, wie das imRechtsstaat so üblich ist. Wäre die Problematik nicht soernst, könnte man sie von der humoristischen Seitebetrachten als ›Arbeitsbeschaffungsmaßnahme‹ für dieJustiz in wirtschaftlich schwieriger Zeit.

Hier wird heute über einen Schlussgesetzentwurfdebattiert, mit dem – ausweislich der Präambel – ›alleHandlungen, die in Ausübung hoheitlicher Aufgabensowie in Ausübung einer Dienst- oder Rechtspflicht derDDR er folgten‹, straffrei gestellt werden sollen.

Meine Damen und Herren, ich bin entsetzt über dieGe dankenverirrung, die diese Formulierung hervorbrachte.Sie befinden sich nämlich damit genau in jenem Fahrwas-ser, in das der deutsche Rechtskonservatismus während der

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ganzen Nachkriegszeit die sozialistische Idee zu bugsierensuchte: in dem des Unrechts. Meine Damen und Herren,das kann doch nicht Ihr Ernst sein?! Sind Sie sich darüberim Klaren, dass Sie mit einer solchen Diktion implizit dieBehauptung Bonns anerkennen, die DDR sei von A bis Zein Unrechtsstaat gewesen?

Sind Sie sich im Klaren, dass Sie damit historische Fak-ten verdrehen und die Nachkriegsgeschichte Deutschlands,die in großen Zügen eine Geschichte politischer Fremdbe-stimmung und Machtkonfrontation war, auf den Kopfstellen?

Sind Sie sich im Klaren darüber, dass Sie damit dasGeschäft der bundesdeutschen Justiz betreiben, indem Siedie DDR und sich selber kriminalisieren?

Der vorliegende Entwurf eines Schlussgesetzes ist nichtnur ein Rückschritt hinter die Gesetzgebungsinitiativen derPDS-Bundestagsgruppe vom März 1992 und Dezember1993. Er ist, und das wiegt besonders schwer, auch eineklatanter Rückschritt hinter die Amnestiebemühungen,die CDU/CSU und FDP im September 1990, im Vorfeldder deutschen Vereinigung, unternommen hatten. Wäh -rend in deren Gesetzentwurf, der der Bereinigung der Fol-gen gegenseitiger deutsch-deutscher Spionageaktivitätengalt, die Legitimität solchen Handelns auch in Bezug aufdie DDR ausdrücklich festgestellt wurde, fordert – odersoll ich zutreffender sagen: buhlt – der Schlussgesetzent-wurf um Straffreiheit für alles staatlich-hoheitliches Han-deln der DDR.

Meine Damen und Herren, wer um Straffreiheit fürsein Handeln nachsucht, anerkennt implizit, dass diesesHandeln strafbar, mithin rechtswidrig war. Ich sage nocheinmal: Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!

Ich weiß mich mit zahlreichen Aufklärern einig, dassunser Handeln zwar nach den Gesetzen der eigenen Staats-

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macht, der Alt-Bundesrepublik, ein Rechtsbruch und des-halb strafbar war. Wir haben aber nicht auch – oder alleinschon deshalb – gegen das Gesetz verstoßen, weil die›fremde Macht‹, mit der wir zusammenarbeiteten, angeb-lich ein Unrechtsregime war.

Wenn das Ihre Logik ist – und es ist zumindest dieLogik Ihres Gesetzentwurfs –, dann haben Sie kein Recht,in diesem Zusammenhang für die westdeutschen Mitar-beiter der HV A zu sprechen, so sehr dies auch die ver-dammte Pflicht der PDS als der Rechtsnachfolgerin derSED ist. Aber Sie genügen dieser Pflicht nicht dadurch,dass Sie mit opportunistischen Wendungen Ihren Gesetz-entwurf der Mehrheit im Bonner Parlament schmackhaftzu machen suchen. Solches mögen zwar taktische Erwä-gungen nahelegen. Aber die Taktik greift zu kurz, wenn ihrunveräußerliche Grundpositionen geopfert werden.

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»Sozial, solidarisch, alternativ« – so hieß es auf demSchweriner Parteitag der PDS im Januar 1997. Die ehe-maligen Kundschafter vermissten eben diese Solidarität

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Der opportunistische Zweck, der bei der Ausarbeitungdieses Gesetzentwurfs Pate stand, ist mit Händen zu grei-fen. Man sieht förmlich die bibbernden Hosen bei jenenehemaligen Amtsträgern der DDR, auf die nun dieProzess lawine der bundesdeutschen Justizmaschineriezurollt. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnenzurufen: Haben Sie doch den Mut, die Zivilcourage, dasSelbstbewusstsein, vor den Schranken eines Gerichts undim Lichte der Öffentlichkeit die Rechtmäßigkeit IhresHandelns als Staatsbürger und Staatsdiener der DDR zuvertreten, so es sich im Rahmen der DDR-Gesetze voll-zog. Sie rennen damit ohnehin offene Türen ein bei derbundesdeutschen Justiz.

So wurde meinen ostdeutschen Mitangeklagten vomRichter ausdrücklich bescheinigt, dass sie nicht gegen, son-dern für ihren Staat gearbeitet haben, gesetzestreu und inErfüllung ihrer Pflichten. Ich wundere mich noch heute,warum sie nicht spätestens an dieser Stelle den Mut hat-ten, die ganze Fragwürdigkeit des Verfahrens anzuprangernund die politische Gesinnung, die es hervorbrachte, undwarum sie das Urteil, den Schuldausspruch annahmen,selbst wenn er sich im Rahmen einer Bewährungsstrafehielt. Denn auch die Bewährungsstrafe hat in diesem Jus -tiz-Roulette System, es gilt das Motto: Ein bisschen Anpin-keln soll schon sein, weil es ja stinken muss, aber so rechtwehtun soll es freilich nicht!

Bieten Sie also der Rechtswidrigkeit einer politischbestimmten Strafverfolgung die Stirn, so wie es die Sitz-blockierer von Mutlangen taten. Die Mühlen der bundes-deutschen Justiz mahlen zwar wahnsinnig langsam, vorallem wenn es um Fragen des Rechts und der Gerechtigkeitgeht. Aber es erhöht nicht die Rechtmäßigkeit von Urtei-len, mögen sie auch zehnmal rechtskräftig und vollstrecktsein, wenn Richter nach politischen Kriterien berufen und

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Richterbänke nach dem Willen der Vorsitzenden besetztwerden, wenn die Organe der Rechtsprechung sich gegen-seitig widersprechen und wenn höchstrichterliche Klar-stellungen auf sich warten lassen.

Das mag zwar – formaljuristisch – alles rechtsstaatlichbegründet sein. Bei Licht betrachtet erscheint es aber eherals ein Zeichen von Willkür. Gegen Willkür aber, meineDamen und Herren, ist kein Kraut gewachsen, auch nichtim freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat!

Ein Weiteres missfällt mir an dem Schlussgesetzentwurf: Er ist unausgewogen, zum Teil unklar und widersprüch -

lich. Er ist unausgewogen, weil er von allen alt- und neu-bundesdeutschen Fallgruppen, die bislang der Strafverfol-gung durch die Justiz ausgesetzt waren, die Amtsträger derEx-DDR begünstigt. Das überrascht nicht, denn es ist –wie ich bereits sagte – das Ziel dieser Initiative. Ich akzep-tiere jedoch nicht, dass in diesem Zusammenhang behaup-tet wird, man stelle damit eine Gleichbehandlung der ver-schiedenen Fallgruppen her.

Auch dieses Argument ist rein taktischer Natur; es sollden Autoren eine Legitimität als Fürsprecher aller Betrof-fenen verschaffen, ohne dass dies der Entwurf, geschweigedenn das tatsächliche Verhalten hergibt.

Ich lehne es ab, mich auf solche Art vor den Karrenjener spannen zu lassen, die mich mit meinem Karren imDreck sitzen ließen. Ich frage Sie: Wo waren die Amtsträ-ger der DDR – einschließlich unserer Führungsleute, denndie waren ja wohl auch Amtsträger –, wo waren die Genos-sen und ihre ›Wende-Partei‹, die PDS, als wir ›Bürger derBundesrepublik Deutschland, die unter Verletzung derStrafgesetze für die DDR, ihre Behörden oder Institutio-nen tätig gewesen sind‹, wie der Schlussgesetzentwurfunsere Spionage für die DDR schamhaft umschreibt, wowaren sie, als wir reihenweise verhaftet, verurteilt und in

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die Gefängnisse geworfen wurden? Verhaftet, weil vonAmtsträgern der DDR verraten. Verurteilt unter anderem,weil von Amtsträgern der DDR vor Gericht in die Pfannegehauen. Existentiell ruiniert, weil Amtsträger der DDRgegebene Zusicherungen in den Mülleimer der Geschichtewarfen.

Und was tat die PDS? Aus dem Erbe der SED picktesie sich die Filetstücke heraus, Immobilien beispielsweise.Der ererbten Verantwortung für die Menschen in den alt-bundesdeutschen Gefängnissen hingegen verschloss siesich. Ach ja, man tat schon etwas: Da gibt es eine Initia-tive der PDS-Bundestagsgruppe zu einem Spionageamnes -tiegesetz. Nur – sie hat einen Schönheitsfehler: Sie wurdeeinen Tag nach der Verurteilung von Markus Wolf einge-bracht. Wäre sie genau zwei Jahre früher, nämlich nachmeiner Verurteilung, eingebracht worden, erschiene mirdiese Initiative politisch ehrlicher.

Ich frage Sie, meine Damen und Herren Amtsträger derPDS: Wie wollen Sie für eine ganze Gesellschaft Verant-wortung tragen, wenn Sie nicht einmal willens sind, Ihrerererbten Verantwortung für eine Gruppe von Menschennachzukommen, deren jahrzehntelanges Handeln vonSolidarität mit Ihrem früheren Staat und dessen Menschenbestimmt war? Oder sollten Sie etwa das Grundprinzip desErbrechts nicht kennen, wonach man ein Erbe nur voll-ständig, nämlich unter Annahme auch der hinterlassenenSchulden, antreten kann und sich nicht lediglich die Rosi-nen herauspicken darf. Solange Sie sich um diese Wahrheitherumdrücken, meine Damen und Herren, ist Ihre Poli-tik eine Mogelpackung!

Der Schlussgesetzentwurf ist unklar, jedenfalls was dieBelange der westdeutschen Aufklärer betrifft. Er möchte,dass unsereins ›außer Verfolgung gesetzt‹ wird. Ja, was mei-nen Sie damit? Die Verfolgung durch bundesdeutsche

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Nachrichtendienste oder durch den Gerichtsvollzieher oderdurch Reporter oder vielleicht auch nur durch einenHund, der sich offen als Wadlbeißer geriert? Ich glaube, esist klar, was ich meine. Ein Gesetz ist bekanntlich so gutoder so schlecht, wie es formuliert ist – eindeutig oderzweideutig. Dieses Gesetz ist, was die westdeutschen Auf-klärer betrifft, verschwommen, lässt Auslegungsspielraum.Der eine sagt hüh, der andere hott. Eine wahre Spielwiesefür Juristen. Den Preis dafür zahlen – wieder einmal – dieBetroffenen. Wenn Sie unsere Fallgruppe in Anspruch neh-men wollen für Ihr übergeordnetes Gesetzesziel, die Been-digung der Strafverfolgung von Amtsträgern der DDR,dann müssen Sie schon klar sagen, was Sie dabei auch füruns erreichen wollen: eine Amnestie, eine Rehabilitierungoder einfach nur die sang- und klanglose Einstellung derletzten noch anhängigen oder in Vollstreckung befindli-chen Verfahren.

Hier liegt die Krux für die Betroffenen meiner Katego-rie: Die meisten von uns sind inzwischen rechtskräftig ver-urteilt, viele haben die Strafe verbüßt, Auflagen erfüllt,Kosten beglichen. Was bringt ihnen also Ihr Gesetz?Rechtsnormen, die keine oder so gut wie keine Rechtsfol-gen zeitigen. Eine Legende, um in der nachrichtendienst-lichen Fachsprache meiner Fallgruppe zu bleiben. EineChimäre. Ihr Gesetz kommt, was die Forderung nach einerStrafaussetzung, einer Amnestie, betrifft, für die meistenvon uns zu spät. Was wollen Sie dann? Rehabilitierung,Entschädigung, Wiedergutmachung?

Der Verweis auf Art. I § 5 legt diese Annahme nahe.Indes: In der Begründung zu diesem Paragrafen ist gesagt,dass er nur für eine geringe Anzahl von Fällen Anwendungfinden soll, für solche nämlich, die durch eine Untersu-chungshaft materielle Nachteile erlitten. Dies sei nämlichunangemessen und unbillig gewesen. Meine Damen und

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Herren, Sie haben die Stirn, solches angesichts jener Mit-streiter und Genossen zu sagen, die zehn, zwanzig Jahre fürdie DDR im Feuer standen, an der ›unsichtbaren Front‹,wie es im sozialistischen Feiertagsdeutsch hieß, die vier,fünf, sechs Jahre und mehr im Gefängnis saßen, deren bür-gerliche Existenz vernichtet ist und deren Familien zumTeil zerbrochen sind.

Ich überlasse es Ihrer Sensibilität zu entscheiden, wasunbillig und was billig ist.

Eines möchte ich klarstellen, was auch immer Sie alsangemessen erachten an Entschädigung, Wiedergutma-chung für uns: Mit ein paar lumpigen Mark lässt sich dieerlittene Haft, die Isolationsfolter nicht aufwiegen und las-sen sich die Vermögen an Anwaltsgebühren, Prozesskostenund Verfallsgeldern, die die Strafverfolgung verschlang,nicht ausgleichen. Aber die sollen nach dem Willen derGesetzesinitiatoren ohnehin nicht zurückerstattet werden;es gilt ex nunc und nicht ex tunc (ab jetzt und nicht vonAnfang an – K. E.) So redet sich leicht daher, wenn manselbst nicht betroffen ist. Sie mussten die Gelder ja nichtaufbringen.

Was bringt uns also Ihr Gesetzentwurf, frage ich nocheinmal: einen Gnadenakt, der keiner ist, für den man sichaber dankbar zu erweisen hat. Nein, danke, sage ich, dennsolche Art von ›Gnade‹ wäre die schlimmste aller schonerlittenen Strafen.

Noch etwas bedarf der Klarstellung, was der Gesetzent-wurf – wohl nicht zufällig – im Unklaren lässt: die Frageder Rechtmäßigkeit unserer Strafverfolgung angesichts desUmstandes, dass die frühere eigene Staatsmacht BRD wieauch die ›fremde Macht‹ DDR mit der Vereinigung auf-hörten zu existieren, und angesichts des Tatbestands, dassnach der Vereinigung die BRD-Agenten in der Ex-DDRvon der Justiz unbehelligt blieben und dass – wie es im

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Informationsmaterial zu dieser Veranstaltung heißt – vonder DDR verurteilte BRD-Agenten rehabilitiert wurden.Auch für uns steht die Frage nach dem Gleichheitsgebot,jenem Fundamentalprinzip der Rechtsstaatlichkeit.

Ich frage: Ist es rechtens, dass der freiheitlich-demo-kratische, marktwirtschaftliche Rechtsstaat einen Straf-anspruch nach DDR-Gesetzen bejaht, sofern es umEigentumsdelikte in der Form einer ›Veruntreuung sozia-listischen Eigentums‹ geht, dass ein solcher Strafanspruchnach DDR-Gesetzen aber negiert wird, wenn die eigenenachrichtendienstliche Tätigkeit dem sozialistischen Staatzum Nachteil gereichte? Das mag zwar im Lichte des soge-nannten Einigungsvertrages vertragskonform sein, aber wiedie Geschichte der Normenkontrollklagen lehrt, ist nochlange nicht jeder Vertrag und jedes Gesetz rechtens, diepolitischer Opportunismus beschließt.

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Gabriele Gast beim Autogramme-Schreiben, 2004

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Ich frage weiter: Ist es rechtens, die KGB-Agenten inder Ex-DDR unbehelligt zu lassen, nur weil die Lubjankazum Partnerdienst des BND mutierte? Oder soll man etwaan ein weiteres Vereinigungsmärchen glauben, wonach dasKGB in der DDR nur auf offiziellem Parkett präsent gewe-sen sei oder gar bei seinem Rückzug nach Moskau seineQuellen im früheren ›Bruderstaat‹ den neuen Freunden inPullach überlassen hat? Es wäre ein echter ›POLLacher‹ –so der beziehungsvolle Titel der hausinternen Jahresschriftder Politischen Auswertung des BND.

Ich frage schließlich: Ist es rechtens, an unsereins denStrafzweck der Generalprävention, der Abschreckung zuexekutieren, obwohl es jene, die man meinte, abschreckenzu müssen, nicht mehr gibt und man selbst samt allenerdenklichen Diensten, die man nun als Freunde und Part-ner zählt, das nachrichtendienstliche Geschäft ungeniertund unvermindert fortsetzt? Es sind Fragen, die – wieandere – der höchstrichterlichen Klärung harren. Es sinddie Fragen, die aus unserer Sicht über Recht und Gerech-tigkeit entscheiden. Es sind Fragen, die Ihr Gesetzentwurfignoriert.

Ich bin damit ans Ende meiner Ausführungen gelangt.Sehen Sie mir bitte nach, dass ich die mir gewährte Rede-zeit überzog. Es ist dies, wie ich eingangs sagte, erstmals dieGelegenheit, gehört zu werden. Ich wünsche mir, damitauch ein Nachdenken angestoßen zu haben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.«

Nach dem Hearing und wieder daheim schrieb mirGabrie le Gast am 6. April 1995 folgenden Brief:

»Lieber Klaus, sehr herzlichen Dank für Deine Zeilenvom 3. April und die Zusendung der Zeitungsartikel.Gleichzeitig möchte auch ich Dir noch einmal für dasGespräch danken. Es war sehr wichtig für mich und hat

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einen gewichtigen Gedankenakzent zu den bitteren Erfah-rungen der Vergangenheit gesetzt. Die sind deshalb zwarnicht vergessen, aber es ist eben notwendig zu differenzie-ren. Wir bleiben auf jeden Fall in Verbindung, der Gedan-kenaustausch tut gut.

Dass man auch jetzt noch zuvorderst die eigenenWunden leckt, wurde ja bei dem Hearing überdeutlich.Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr als in den letz-ten Jahren, weil die Prozesslawine gegen die ehemaligenAmtsträger nun erst richtig in Gang gekommen ist. Aberdas entschuldigt gar nichts. Es ist beschämend, dass DeineInitiative zur Betreuung inhaftierter Kundschafter bisherohne Resonanz geblieben ist. Ich hoffe, dass der Brief anRainer R. einiges anzustoßen vermag und es nicht wiedernur dem Verantwortungsgefühl einiger weniger überlassenbleibt, hier tätig zu werden.

Zu der Berichterstattung über das Hearing: Mir miss -fällt der ironisch-bissige Unterton im taz-Bericht, aber derist wohl der Stil des Hauses. Der redaktionelle Bericht vonDümde im ND, den Werner mir sogleich zuschickte, istsachlicher. Aber die taz hat etwas Wiedergutmachung gelei-stet; von Klaus v. R. erhielt ich gestern zwei weitere Artikel,die – wie ich annehme – von ihm angeregt worden sindund unsere Problematik doch erheblich sachlicher darstel-len.

Insgesamt ist die Medienreaktion ja sehr zurückhaltend,was mir aus Gründen der Arbeitsplatzsicherung nur rechtist; ich stehe da unter massivem Druck meines Chefs. Des-halb war ich auch nicht böse, dass sich Dr. Dümde zwarbei Hagen (d. i. Dr. Hagen Blau, Quelle der HV A im Aus-wärtigen Amt der BRD – K. E.), aber nicht mehr bei mirgemeldet hat.

Von der Jungen Welt wurde ich um ein Interview gebe-ten, das habe ich dann aber abgelehnt; da sie, wie man nun

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hört, ihren Betrieb einstellen muss, ist es ohnehin bedeu-tungslos. (Hier irrte Gabriele Gast: Ein Teil der Redakteureführte die Zeitung in eigener Regie weiter, die Zeitung exis -tiert als Genossenschaft noch immer – K. E.)

Von Hr. Heuer erhielt ich vor einigen Tagen das ›SED-Unrechtsbereinigungsgesetz‹. Ich habe meinen Augen nichtgetraut, darin an erster Stelle die Rehabilitierung der West-Spione in der Ex-DDR zu sehen. In der Presse habe ichdarüber nie etwas gelesen, wahrscheinlich aus gutemGrund. Hätte ich vor der Berliner Veranstaltung davongewusst, hätte ich noch einige sehr deutliche Bemerkun-gen in meine Rede aufgenommen.

Die Verletzung des Gleichheitsgebots ist ja nun auch inBezug auf meine Fallgruppe eklatant. Es wäre ungemeinwichtig, wenn es in Karlsruhe zu einer mündlichen Ver-handlung käme und ich meine Verfassungsbeschwerde per-sönlich begründen könnte. Aber der sogenannte Rechts-staat hat allen Grund, es dazu nicht kommen zu lassen.Mit diesem Gesetz ist jedenfalls klargestellt, dass auchmeine Fallgruppe primär aus politischen Gründen verur-teilt worden ist, nämlich wegen des behaupteten Unrecht-scharakters der DDR, der unser Handeln zugute kam, undnicht so sehr wegen des objektiven Strafbestandes der nach-richtendienstlichen Agententätigkeit. Dieses Gesetz krimi-nalisiert jegliche Motive und Ziele unseres Handelns.

Ich verstehe nicht, dass die PDS in ihren einschlägigenDiskussionen und Gesetzesinitiativen diesen Aspekt nichtebenso aufgegriffen hat, wie sie es mit Blick auf die Straf-verfolgung der ehemaligen Amtsträger tut. Auch dies zeigtein weiteres Mal, wie sehr meine Fallgruppe vergessen bzw.– zutreffender – von der PDS ausgegrenzt worden ist. Vordem Hintergrund des ›Unrechtsbereinigungsgesetzes‹erscheint jedenfalls die Position, die Gysi im Gespräch mitmir bezog, noch unverschämter.

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