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F RIEDHELM L ANG UND H ILDEGARD R ÖTHEL Ist trotz aller Prävention ein Dekubitus entstanden, bedeu- tet dessen Behandlung nicht selten eine grosse Herausfor- derung an das medizinische und pflegerische Können, was neben dem Fachwissen von den Behandelnden vor allem auch Geduld und Konsequenz erfordert. Insbesondere sollte die häufig zu beobachtende polypragmatische Vorgehens- weise zugunsten klarer Behandlungskonzepte zurück- gedrängt werden. Wurde ein Dekubitus festgestellt, ist als erster Schritt die Gesamtsituation des Pa- tienten zu beurteilen. Diese Beurteilung umfasst den Schweregrad und Zustand des Ulkus, den physischen und psychi- schen Status des Patienten sowie die grundsätzlichen Bedingungen für Be- handlung und Pflege, die durch das Um- feld des Patienten (Klinik, Pflegeheim, häusliche Pflege) vorgegeben sind. Die gewonnenen Daten sind die Grundlage zur Erstellung des Behandlungsplans und der Dokumentation. Beurteilung des Dekubitalulkus Bei der Erstbeurteilung werden die Ulzera nach Lokalisation, Stadium, Grösse (Länge, Breite, Tiefe), Taschenbildung, Untermi- nierung, Exsudatfluss und so weiter beur- teilt (Abbildung 1). Die Ulkuslokalisation wird in das Zeichenschema eingetragen. Zusätzlich empfiehlt es sich, ein Farbfoto vom Ulkus zu machen und der Dokumen- tation beizufügen. Zur exakten Bestimmung von Grösse und Volumen eines Ulkus ist das «Auslitern» der Wunde ein praktikables, wenig zeit- und kostenaufwändiges Verfahren. Die Wunde wird dazu mit einer Folie ab- geklebt und mit Hilfe einer Spritze mit Flüssigkeit (z.B. Ringerlösung) aufgefüllt (Abbildung 2a/b). Das Auslitern sollte auch während des Wundheilungsverlaufs immer wieder zur Volumenbestimmung durchgeführt werden, da die gewonne- nen Werte prognostisch hilfreich sind, aber auch die Dokumentation eindeutig absichern. Als Nebeneffekt dient das Aus- litern auch gleichzeitig als Wundspülung. Wenn bekannt ist, bei welcher Gelegen- heit und durch welche Art der Druckein- wirkung der Dekubitus entstand, ist dies ebenfalls in die Erstdokumentation mit einzutragen, so zum Beispiel durch OP- bedingte Druckeinwirkung, im Zusam- menhang mit einer Fiebererkrankung, durch Sturz und zu langes Liegen in der Wohnung und so weiter. Diese Informa- tion ist insbesondere für die Beurteilung der fortbestehenden Dekubitusgefähr- dung von Bedeutung. Beurteilung des Patientenstatus Die Beurteilung des Patienten sollte seinen körperlichen Allgemeinzustand, mögliche Komplikationen aus Begleiterkrankungen, seine Ernährungslage, das Ausmass even- tuell vorhandener Schmerzen, aber auch eine sorgfältige Bestandesaufnahme der psychosozialen Situation umfassen. Körperlicher Allgemeinzustand: Die Wund- heilung ist nicht nur ein lokales Ereignis, sondern steht in vielfältigen Wechselbe- ziehungen zum betroffenen Gesamtorga- nismus, weshalb eine Verbesserung des Allgemeinzustands grossen Einfluss auf die Heilungsvorgänge haben kann. Aller- dings wird je nach Alter des Patienten und vorliegender Erkrankung eine Verbesse- 18 ARS MEDICI DOSSIER VIII 2004 ÜBERSICHT APERÇU Das Dekubitalulkus Beurteilung, Behandlung und Infektionsbekämpfung M M e e r r k k - - punkte punkte Ohne Druckentlastung ist eine Heilung nicht möglich, und alle weiteren Massnahmen sind sinn- los. Eine mangelhafte Druckent- lastung dürfte die häufigste Ur- sache für ein Nichtabheilen des Ulkus darstellen. Der «prophylaktische» Einsatz von Desinfektionsmitteln wird wegen der zum Teil erheblichen wundheilungshemmenden und toxischen Eigenschaften diverser antiseptischer Substanzen nicht mehr empfohlen. Die lokale Anwendung von Antibiotika wird heute als obsolet eingestuft.

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FR I E D H E L M LA N G U N D

HI L D E G A R D RÖ T H E L

Ist trotz aller Prävention ein

Dekubitus entstanden, bedeu-

tet dessen Behandlung nicht

selten eine grosse Herausfor-

derung an das medizinische

und pflegerische Können, was

neben dem Fachwissen von

den Behandelnden vor allem

auch Geduld und Konsequenz

erfordert. Insbesondere sollte

die häufig zu beobachtende

polypragmatische Vorgehens-

weise zugunsten klarer

Behandlungskonzepte zurück-

gedrängt werden.

Wurde ein Dekubitus festgestellt, ist alserster Schritt die Gesamtsituation des Pa-tienten zu beurteilen. Diese Beurteilungumfasst den Schweregrad und Zustanddes Ulkus, den physischen und psychi-schen Status des Patienten sowie diegrundsätzlichen Bedingungen für Be-handlung und Pflege, die durch das Um-feld des Patienten (Klinik, Pflegeheim,

häusliche Pflege) vorgegeben sind. Diegewonnenen Daten sind die Grundlagezur Erstellung des Behandlungsplans undder Dokumentation.

Beurteilung desDekubitalulkus

Bei der Erstbeurteilung werden die Ulzeranach Lokalisation, Stadium, Grösse (Länge,Breite, Tiefe), Taschenbildung, Untermi-nierung, Exsudatfluss und so weiter beur-teilt (Abbildung 1). Die Ulkuslokalisationwird in das Zeichenschema eingetragen.Zusätzlich empfiehlt es sich, ein Farbfotovom Ulkus zu machen und der Dokumen-tation beizufügen.Zur exakten Bestimmung von Grösse undVolumen eines Ulkus ist das «Auslitern»der Wunde ein praktikables, wenig zeit-und kostenaufwändiges Verfahren. DieWunde wird dazu mit einer Folie ab-geklebt und mit Hilfe einer Spritze mitFlüssigkeit (z.B. Ringerlösung) aufgefüllt(Abbildung 2a/b). Das Auslitern sollteauch während des Wundheilungsverlaufsimmer wieder zur Volumenbestimmungdurchgeführt werden, da die gewonne-nen Werte prognostisch hilfreich sind,aber auch die Dokumentation eindeutigabsichern. Als Nebeneffekt dient das Aus-litern auch gleichzeitig als Wundspülung.Wenn bekannt ist, bei welcher Gelegen-heit und durch welche Art der Druckein-wirkung der Dekubitus entstand, ist diesebenfalls in die Erstdokumentation miteinzutragen, so zum Beispiel durch OP-bedingte Druckeinwirkung, im Zusam-menhang mit einer Fiebererkrankung,durch Sturz und zu langes Liegen in derWohnung und so weiter. Diese Informa-tion ist insbesondere für die Beurteilungder fortbestehenden Dekubitusgefähr-dung von Bedeutung.

Beurteilung desPatientenstatus

Die Beurteilung des Patienten sollte seinenkörperlichen Allgemeinzustand, möglicheKomplikationen aus Begleiterkrankungen,seine Ernährungslage, das Ausmass even-tuell vorhandener Schmerzen, aber aucheine sorgfältige Bestandesaufnahme derpsychosozialen Situation umfassen.Körperlicher Allgemeinzustand: Die Wund-heilung ist nicht nur ein lokales Ereignis,sondern steht in vielfältigen Wechselbe-ziehungen zum betroffenen Gesamtorga-nismus, weshalb eine Verbesserung desAllgemeinzustands grossen Einfluss aufdie Heilungsvorgänge haben kann. Aller-dings wird je nach Alter des Patienten undvorliegender Erkrankung eine Verbesse-

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Das DekubitalulkusBeurteilung, Behandlung und Infektionsbekämpfung

MMMM eeee rrrr kkkk ----p u n k t ep u n k t e

● Ohne Druckentlastung ist eineHeilung nicht möglich, und alleweiteren Massnahmen sind sinn-los. Eine mangelhafte Druckent-lastung dürfte die häufigste Ur-sache für ein Nichtabheilen desUlkus darstellen.

● Der «prophylaktische» Einsatzvon Desinfektionsmitteln wirdwegen der zum Teil erheblichenwundheilungshemmenden undtoxischen Eigenschaften diverserantiseptischer Substanzen nichtmehr empfohlen.

● Die lokale Anwendung vonAntibiotika wird heute alsobsolet eingestuft.

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rung des Allgemeinzustands nicht immerkurzfristig erreichbar oder sogar stark ein-geschränkt sein, so zum Beispiel bei mul-timorbiden Alterspatienten. In der Praxiswerden die erforderlichen Daten zumeistaus der Krankengeschichte hervorgehen;falls nicht, sind sie durch eine umfassendeAnamnese und körperliche Untersuchungzu erheben.Des Weiteren ist im Zusammenhang mitDruckulzera auf mögliche Komplikatio-nen zu achten: zum Beispiel Endokarditis,Meningitis, septische Arthritis, Taschen-und Abszessbildung, maligne Entwick-

lungen im Ulkusbereich sowie auf sys-temische Komplikationen der lokalenBehandlung (z.B. einer Jod-Toxizität bzw.-allergie). Schwer wiegende Komplikatio-nen durch Infektionen sind Osteomyelitis,Bakteriämie und schliesslich generalisierteSepsis.Ernährungsstatus: In vielen Untersuchun-gen wurde die schlechte Heilungstendenzvon Druckulzera mit einer Malnutrition inVerbindung gebracht. Kachektische Zu-stände mit Eiweissmangel sind jedoch ge-rade bei älteren Patienten häufig zu beob-achten, sodass hier eine Beurteilung der

Ernährungssituation in regelmässigen Ab-ständen erfolgen soll. Oftmals findet sichbei älteren Patienten auch ein Zinkman-gel, der ebenfalls zu Verzögerungen derWundheilung führen kann und somitüberprüft werden sollte.Zur Behandlung der Mangelernährung istin Abstimmung mit den Wünschen desPatienten eine adäquate Nahrungsauf-nahme mit erhöhtem Eiweissangebot undausreichend Vitaminen und Mineralstof-fen sicherzustellen. Als Eiweisssubstitu-tion werden 1 g Protein/kg KG empfohlen,als Vitamin-C-Gabe werden 50 mg/Tagangegeben, Zink kann in Tablettenformzugeführt werden. Falls sich die normaleNahrungsaufnahme aber unzureichendgestaltet oder unmöglich ist, sollte eineSondenernährung in Betracht gezogenwerden. Des Weiteren ist auf eine ausrei-chende Flüssigkeitszufuhr (2–3 Liter/Tag)zu achten.Schmerzen: Selbst wenn der Patient seineSchmerzen nicht zum Ausdruck bringenoder nicht auf sie reagieren kann, bedeu-tet das nicht, dass diese nicht vorhandensind. Mit dem Druckulkus sind zumeistchronische, diffuse Schmerzen verbun-den, die den ganzen Körper erfassen undjeden Lagewechsel zur Qual werden las-sen. Leider wird der Schmerztherapienoch immer nicht jene Bedeutung zuge-messen, die eigentlich von vielen Expertengefordert wird. Sie besteht üblicherweisein der Verabreichung von Schmerzmitteln«nach Bedarf». Mit der Schmerztherapiesollte jedoch dauerhaft eine weitestge-hende Schmerzfreiheit erzielt werden,wozu eine regelmässige Applikation vonSchmerzmitteln in einer individuellen Do-sierung erforderlich ist.Psychosoziale Beurteilung: Unabhängigdavon, ob der Dekubituspatient in der Kli-nik, im Pflegeheim oder zu Hause behan-delt und gepflegt wird, sind grundsätzlichdie gleichen Therapieprinzipien in dergleichen Qualität anzuwenden, da sonstwenig Aussicht auf Heilung besteht. Dieindividuelle, psychosoziale Situation desPatienten schafft jedoch mitunter sehr un-terschiedliche Ausgangsbedingungen imHinblick auf die Verständnisfähigkeit desPatienten und seine Motivation, an dem

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Abbildung 1: Erfassungsschema zur Dekubitusbeurteilung

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Behandlungsprogramm «mitzuarbeiten».Ziel der psychosozialen Beurteilung ist esdeshalb, Informationen darüber zu gewin-nen, mit wie viel Bereitschaft des Patientenund seiner Angehörigen zu rechnen ist be-ziehungsweise was getan werden kann(z.B. durch aufklärende Gespräche, Schu-lung, Einsatz geeigneter Hilfsmittel usw.),um die konsequente Einhaltung des Be-handlungs- und Pflegeplans zu sichern.Eine realistische Beurteilung der psychoso-zialen Situation ist dabei vor allem in derhäuslichen Pflege von grösster Bedeutung.Beurteilt werden sollten der mentale Zu-stand des Patienten, seine Lernfähigkeit,Zeichen von Depression, das soziale Um-feld, die Beziehung zu den pflegendenAngehörigen sowie der Lebensstil und eth-nisch bedingte Problematiken. Des Weite-ren sind die zur Behandlung und Pflegeverfügbaren Mittel zu beurteilen, zum Bei-spiel die Verfügbarkeit und Fähigkeiten vonPflegepersonen, finanzielle Mittel, Geräteund so weiter. Wenn trotz aller Bemühun-gen keine Umgebung geschaffen werdenkann, die der Einhaltung des Behandlungs-und Pflegeplans dienlich ist, sollte die Be-handlung des betroffenen Patienten in derKlinik in Betracht gezogen werden.

Behandlungsplan undDokumentation

Die Behandlung des Dekubitalulkus stütztsich auf drei Therapiesäulen:● Vollständige Druckentlastung des ge-

schädigten Hautgebietes während derganzen Behandlungsdauer zur Wieder-herstellung der Blutversorgung

● Phasengerechte Wundbehandlung zur

Reinigung und Konditionierung desUlkus mit dem Ziel eines möglichstraschen Wundverschlusses (ggf. ist auchein plastisch-chirurgisches Vorgehen an-gezeigt)

● Adjuvante Therapien zur Verbesserungdes Allgemeinzustandes und der Ernäh-rungssituation sowie zur Schmerzbe-kämpfung.

Die Dokumentation des Behandlungs-und Pflegeverlaufs ist aus mehreren Grün-den zwingend:● Fortschritte, Stagnation oder auch Rück-

schläge in der Behandlung lassen sich si-cher einschätzen, sodass Behandlungs-massnahmen gegebenenfalls begründetgeändert werden können

● Die Dokumentation sichert den Informa-tionsfluss unter den Ärzten und Pflege-kräften. So kann zum Beispiel verhindertwerden, dass von einem Verbandwech-sel zum anderen völlig gegensätzlicheMassnahmen (und Verbandstoffe) ergrif-fen werden, nur weil dann eine anderePflegeperson die Wunde versorgt

● Der Bundesgerichtshof hat den Nach-weis einer dem aktuellen Standard ent-sprechenden ärztlich-pflegerischen Ver-sorgung zur selbstverständlichen Pflichterhoben, sodass die schriftliche Doku-mentation zur (haftungs-)rechtlichenAbsicherung der ärztlichen und pflegeri-schen Leistung unabdingbar gewordenist. Mündliche Mitteilungen, wie zumBeispiel anlässlich der Stationsübergabe,sind nicht geeignet, den gefordertenQualitätsnachweis von Behandlung undPflege zu erbringen.

Druckentlastung zur Wieder-herstellung der Blutversorgung

Oberstes Gebot jeder Dekubitusbehand-lung ist die Wiederherstellung der Blutver-sorgung des geschädigten Hautgebietsdurch eine vollständige Druckentlastung.Dabei ist die Druckentlastung über die ge-samte Behandlungszeit aufrechtzuerhal-ten. Jede auch nur Minuten dauernde Be-lastung bewirkt erneut eine Schädigungund führt zu Rückschlägen im Heilungs-verlauf. Zur vollständigen Druckentlas-tung ist der Patient so zu lagern, dass erunter keinen Umständen auf der Wundezu liegen kommt. Welche Lagerungendurchgeführt werden können, ist abhän-gig von der Dekubituslokalisation. Wie oftumgelagert werden muss, ergibt sich ausdem Gefährdungsgrad des Patienten. Derpatientenindividuelle «Lagerungsplan» wirdschriftlich festgelegt und ist für alle an derBehandlung und Pflege Beteiligten ver-bindlich.

Lokale Ulkusbehandlung

● Für Stadium I mit intakter Haut bestehtdie Behandlung in der sofortigen voll-ständigen Druckentlastung. Eine zu-sätzliche Versorgung der Hautrötungdurch geeignete Wundverbände wiezum Beispiel feuchtigkeitsspendendeHydrogele ist zur schnelleren Abheilungder Hautirritationen empfehlenswert.

● Stadium II (oberflächliche Ulzeration)bis Stadium III (tief reichendes Ulkus,aber mit noch intakter Muskelfaszieund Muskulatur über nichtinfiziertenKnochen) werden in der Regel konser-vativ mit hydroaktiven Wundauflagenbehandelt.

● Stadium IV hingegen (mit Muskel- undKnochenbeteilung und ossärer Infek-tion) stellt heute nach adäquater chir-urgischer Intervention und Wund-konditionierung eine Indikation zumoperativen Wundverschluss mit Hilfevon Lappenplastiken dar. Dabei solltennicht nur jüngere Patienten, sondernmehr und mehr auch geriatrische Pati-enten von diesen Verfahren profitieren.

Welche Massnahmen wiederum im Rah-

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Abbildung 2 a/b: Das «Auslitern» der Wunde ist eine exakte und einfache Methode,um Grösse und Volumen einer Wunde zu bestimmen. Die Wunde wird mit einer Folieabgeklebt (2a) und mit Hilfe einer Spritze mit Flüssigkeit aufgefüllt (2b). Die ein-gespritzten ml beziehungsweise ccm entsprechen dem Volumen.

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men der konservativen Wundbehandlungwann zu erfolgen haben, ist vorgegebendurch die in Phasen stattfindende Wund-heilung, die auch bei chronischen Wun-den, wenngleich unter teilweise erhebli-chen Verzögerungen und Störungen,ablaufen.

Reinigungsphase

In der Reinigungsphase werden unterge-gangenes Gewebe und Keime durch auto-lytische Prozesse abgeräumt. Da das Aus-mass devitalisierten Gewebes bei einemStadium-II- bis -III-Dekubitus häufig je-doch so gross ist, dass eine Wundreini-gung durch die körpereigenen Vorgängeallein nicht mehr bewältigt werden kann,braucht die Wunde externe Unterstüt-zung durch ein sorgfältiges Débridement.Dies kann chirurgisch oder physikalischdurch eine feuchte Wundbehandlungerfolgen.Das schnellste Verfahren zur Nekrosenab-tragung ist das chirurgische Débridementmit Skalpell oder Schere (Abbildung 3a–d).Eine möglichst rasche Abtragung von Ne-krosen ist deshalb von Bedeutung, weilnekrotisches, devitalisiertes Gewebe einideales Milieu für das Bakterienwachstumdarstellt und so das Angehen von Infek-tionen begünstigt, aber auch die nutritiveSituation des Gewebes weiter verschlech-tert. Unter geschlossenen Nekrosekappenkönnen sich zudem bereits eitrige Infek-tionen verbergen, die sich in tiefere Ge-websschichten ausbreiten und zu Osteo-myelitis führen können.Indikationsstellung, Anordnung und ord-nungsgemässe Durchführung des Wund-débridements sind sowohl im stationärenals auch im ambulanten Bereich ärztlicheTätigkeiten. Die Pflicht des Arztes zurpersönlichen Leistungserbringung schliesstjedoch nicht aus, dass er die Durch-führung des Débridements im Einzelfallan Assistenzpersonal delegieren darf,vorausgesetzt, er hat überprüft, dassder beauftragte Mitarbeiter zur Erbrin-gung dieser Leistung qualifiziert ist. Die inder Praxis nicht selten vorzufindendeSituation, dass an den Wunden «herum-geschnipselt» wird, dürfte aufgrund der

rechtlichen Bestimmungen so also nichteintreten.Kleinere Ulzerationen können unter adä-quater Schmerzausschaltung, zum Bei-spiel unter Anwendung lokalanästhesie-render Cremes, am Bett debridiert werden.Ausgedehnte Nekrosen oder auch Ulzera-tionen, bei denen noch nicht feststeht,wie weit sie in die Tiefe reichen, werdenunter OP-Bedingungen debridiert. Nachdem Débridement wird sich in den über-wiegenden Fällen die Konditionierung derWunde mit Hilfe der feuchten Wundbe-handlung anschliessen, das heisst, es mussGranulationsgewebe zur Defektfüllungaufgebaut werden. Von Fall zu Fall kannaber auch direkt im Anschluss an das Dé-bridement eine Deckung mittels Lappen-plastiken die Therapie der Wahl sein.Ist ein chirurgisches Débridement nichtmöglich (zum Beispiel bei hochbetagtenPatienten mit schlechtem Allgemein-zustand, bei Patienten unter Marcumar-bzw. Heparin-Therapie, bei Patienten mitFieber, Lungenentzündung, frischem Apo-plex usw.), ist ein physikalisches Débri-dement die Alternative. Physikalisches

Débridement bedeutet, Nekrosen bezie-hungsweise fibrinöse Beläge mit Hilfe hy-droaktiver Wundauflagen aufzuweichenund abzulösen. Dies bietet einige prak-tische Vorteile: Es ist selektiv, da nur devita-lisiertes Gewebe aufweicht und abgeräumtwird – gesundes Gewebe wird nicht trau-matisiert. Durch das feuchte Wundmilieuwerden zudem die für die Reinigung undProliferation zuständigen Zellen geschontund in ihrer Aktivität gefördert. Ausserdemist die Methode sicher und «nebenwir-kungsfrei» und in allen medizinischen Be-reichen einfach durchzuführen, so zumBeispiel auch bei der Dekubitusbehandlungin der häuslichen Pflege. Zu berücksichti-gen ist allerdings auch ein «Nachteil» desVerfahrens: Das physikalische Débridementist nicht so schnell und nicht so effektiv wiedas chirurgische, und die Reinigung wirdlängere Zeit in Anspruch nehmen – wasGeduld von Seiten des Behandelnden unddes Patienten erfordert.Das physikalische Débridement hat sichinsbesondere zur Ablösung trockener Ne-krosen an den Fersen bewährt. Diese soll-ten nämlich nicht chirurgisch abgetragen

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Abbildung 3a–d: Verlauf eines chirurgischen Débridements unter OP-Bedingungen bei einemDekubitalulkus. Es zeigte sich, dass die Schädigung bereits weitaus tiefer reichte, als dies dierelativ kleine äussere Läsion erkennen liess.

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werden, um der Gefahr von Knochenent-zündungen vorzubeugen. Zu beachten isthingegen, dass feuchte Nekrosen wegender Gefahr tiefer Eiterbildung sofort abge-tragen werden müssen. Feuchte Nekrosensind bei der Palpation an ihrer schwammi-gen Konsistenz wie auch an der Sekretab-sonderung erkennbar. Zur praktischenDurchführung des physikalischen Débri-dements stehen verschiedene hydroaktiveWundauflagen zur Verfügung. Gegebe-nenfalls sind zur Unterstützung der feuch-ten Wundbehandlung Wundspülungen,zum Beispiel mit Lavasept oder Ringerlö-sung, hilfreich. Sie können kontinuierlichüber einen eingelegten Katheter erfolgen,zum Beispiel bei schwierigen, infektiösenWundzuständen, oder jeweils beim Ver-bandwechsel.

Infektionsprophylaxeund -bekämpfung

In der Reinigungsphase ist die Frage derInfektionsprophylaxe beziehungsweise -be-kämpfung besonders akut. Dabei istgrundsätzlich davon auszugehen, dass je-der Dekubitus bakteriell kontaminiert ist,was jedoch nicht gleichbedeutend ist miteiner manifesten Wundinfektion. Erstwenn sich eingedrungene Keime in derWunde vermehren und durch ihre Toxinedas Gewebe schädigen, kann vom Beste-hen einer Infektion gesprochen werden.Die Anzeichen wie Rötung, Schwellungund Überwärmung im Wundgebiet sowieSchmerz, Fieber, Schüttelfrost und Leuko-zytose dienen als Entscheidungshilfe zurErkennung.Je massiver ein Ulkus kontaminiert ist, umso grösser ist die Gefahr für das Angeheneiner Infektion, weshalb die Keimbesiede-lung möglichst gering zu halten ist.Grundlegende Massnahmen hierzu sinddie Wiederherstellung einer ausreichen-den Blut- und Sauerstoffversorgung derWunde durch Druckentlastung, weil dieimmunkompetenten Zellen wie Leuko-zyten und Makrophagen zur PhagozytoseSauerstoff benötigen, sowie die Entfer-nung nekrotischen Gewebes, um demKeimwachstum den Nährboden zu ent-ziehen. Unterstützend trägt auch das Ab-

saugen keimbelasteten Exsudats durchden Wundverband hier wirkungsvoll zurKeimeliminierung bei.Ist der Dekubitus klinisch manifest infiziertund sollen Antiseptika zur Desinfektionzur Anwendung kommen, ist bei derWahl des Antiseptikums darauf zu achten,dass es keine Schmerzen verursacht unddie Wundheilung möglichst wenig beein-trächtigt. Insbesondere sollte ein Risikodurch Resorption ausgeschlossen sein,was vor allem bei tiefen und grossflächi-gen Dekubitus mit ihrer langen Behand-lungsdauer von Bedeutung ist.Als noch problematischer wird die lokaleAnwendung von Antibiotika eingestuft,die heute als obsolet gilt. Sie beinhaltetdas Risiko der Resistenzentwicklung unddes Erregerwandels sowie ein höheres Ri-siko der Allergisierung, als dies bei Anti-

septika der Fall ist. Zudem ist es schwer,einen ausreichenden Wirkstoffspiegel zuerreichen und die Hemmung von Wund-heilungsprozessen einzuschätzen. Bei schwe-ren Infektionen wird die systemische Gabevon Antibiotika empfohlen, wobei zurOptimierung der Therapie möglichst eineKeim- und Resistenzbestimmung vorzu-nehmen ist.

Granulationsphase

Das Dekubitalulkus ist eine sekundär hei-lende Wunde, das heisst, zum Auffüllendes Defekts muss Ersatzgewebe, das sogenannte Granulationsgewebe, aufge-baut werden. Diese Phase durchzustehen,bereitet in der Praxis vielfach erheblicheSchwierigkeiten, weil sie eine lange Zeit inAnspruch nimmt und absolute Konse-

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Abbildung 4: Schema Behandlungsablauf

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quenz bei der Einhaltung der Behand-lungsprinzipien erfordert. Ein Wachstumdes Granulationsgewebes kann nur dannstattfinden, wenn folgende Bedingungenerfüllt werden:● Das Ulkus muss über die gesamte Zeit

hinweg vollständig druckentlastet sein,damit die Durchblutung des Wundge-bietes gesichert bleibt.

● Das Wundbett darf nie austrocknenund muss permanent feucht gehaltenwerden. Trocknet die Wunde aus, ster-ben die zum Gefäss- und Gewebeauf-bau notwendigen Zellen ab. Ein feuch-tes Wundmilieu hingegen fördert dieProliferation der Zellen und stellt somitdie beste Pflege von Granulationsge-webe dar. Die zur Verfügung stehendenhydroaktiven Wundauflagen ermögli-chen es dabei, die Wunde problemlosdauerhaft feucht zu halten.

● Die Wunde muss sowohl vor chemi-scher als auch mechanischer Irritationgeschützt werden. Der Gebrauch loka-ler Antiseptika sollte in dieser Phasedeshalb unterbleiben. Befinden sichPartien der Wunde noch in der Reini-gungsphase und müssen diese nochdesinfiziert werden, ist um das Granula-tionsgewebe herum besondere Sorgfaltgeboten. Mechanische Irritationen ent-stehen, wenn der Wundverband mitder Wunde verklebt und beim Verband-wechsel neu gebildetes Gewebe mitab-gerissen wird (Zellstripping). Um dieseerhebliche Wundheilungsstörung zuvermeiden, müssen die verwendetenWundauflagen über atraumatische Ei-

genschaften verfügen, das heisst, siedürfen auch bei längerer Anwendungauf sezernierenden Wunden nicht ver-kleben (Abbildung 5a/b). Alle hydroak-tiven Wundauflagen sind atraumatischund bieten deshalb auch in dieser Hin-sicht absolute Sicherheit bei der Wund-versorgung.

● Weiter muss die Wunde vor Sekundär-infektion geschützt werden. Auch dazusind entsprechende Wundauflagen mitkeimdichten Oberflächen ein probatesMittel sowie selbstverständlich sterilesArbeiten beim Verbandwechsel.

In dem Bemühen, den Aufbau des Granu-lationsgewebes bis zur Spontanepithe-lisierung oder Transplantationsreife zubeschleunigen, wird in der Praxis eineVielzahl verschiedenster Substanzen zurGranulationsförderung eingesetzt. In kli-nischen Versuchen wurde allerdings fürdie meisten dieser Substanzen bisherkeine eindeutig granulationsförderndeWirkung festgestellt. Als wundheilungs-fördernde Externa werden unter anderemElektrolytlösungen, Dexpanthenol, Tetra-chlordecaoxid, Kalzium, Zink und Zuckerdiskutiert. Insbesondere können durchRingerlösung essenzielle Elektrolyte wieNatrium-, Kalium- und Kalziumionen zu-geführt werden.

Epithelisierungsphase

Die Epithelisierung durch Mitose undMigration von Epithelzellen bringt dieWundheilung zum Abschluss. Auch fürdiese Phase sind das Feuchthalten der

Wundfläche und der Schutz des jungenEpithels vor Zellstripping beim Verband-wechsel die bedeutendsten Behandlungs-massnahmen, abgesehen davon, dassweiterhin eine vollständige Druckentlas-tung stattfinden muss.Allerdings epithelisieren gerade Dekubi-talulzera in der Regel schlecht. Wie Seileret al. 1989 nachweisen konnten, zeigenEpithelzellen am unmittelbaren Ulkusrandeine stark eingeschränkte Migration. DieAuswachsrate betrug lediglich 2 bis 7 Pro-zent, gesunde Haut zeigte dagegen in derKontrolle eine Auswachsrate von zirka80 Prozent. Gegebenenfalls ist deshalbvor allem bei grossflächigen Ulzerationenein Wundverschluss durch Spalthauttrans-plantation oder Reverdin-Plastiken in Erwä-gung zu ziehen.Nicht selten bei den langen chronischenHeilungsverläufen ist auch die Konstella-tion, dass die Wundränder epithelisierenund sich nach innen einstülpen. Da dannvom Wundrand aus keine weitere Epithe-lisierung mehr stattfinden kann, ist einAnfrischen der Wundränder mit demSkalpell oder einer scharfen Schere ange-zeigt. ●

Friedhelm LangAbteilungsleitung Chirurgie am

Kreiskrankenhaus LeonbergD-71229 Leonberg

Hildegard RöthelCMC Medical Information

D-89522 Heidenheim

Genehmigter Nachdruck aus «Hartmann

WundForum» 2/99. Diese Arbeit erschien

auch in «Der Allgemeinarzt» 4/2003.

Die Übernahme erfolgt mit Genehmigung

von Verlag und Autoren.

Interessenkonflikte: keine

Das Dekubitalulkus

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Abbildung 5a/b: Mullverbandstoffe verkleben mit der Wunde (links), beim Verband-wechsel wird neu gebildetes Gewebe mitabgerissen. Diese Wundheilungsstörung lässtsich durch die Verwendung atraumatischer Wundauflagen, wie zum Beispiel Gelbildender Kalziumalginat-Kompressen (rechts), problemlos vermeiden.