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Das Gebot der Götter

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Nr. 1416

Das Gebot der Götter

Terraner im Orsa-System - siewarten auf das Ewigkeitsschiff

von Arndt Ellmer

Der Transfer der Galaxis Hangay aus Tarkan in unsere Lokale Gruppe ist mitschwerwiegenden Folgen verbunden. Perry Rhodan und die übrigen Mitglieder derTarkan-Expedition bekommen es bei ihrer Rückkehr in heimatliche Gefilde zu spü-ren, sobald das Stasisfeld, das sie zeitlos festhält, während im übrigen Kosmos fastsieben Jahrhunderte vergehen, sie wieder freigibt.

Nun, im Jahr 1143 NGZ, das dem Jahr 4730 alter terranischer Zeitrechnung ent-spricht, müssen die Heimkehrer erkennen, daß eine kosmische Katastrophe stattge-funden hat und daß die Milchstraße durch eine Barriere vom übrigen Universum ab-getrennt ist. Was hinter diesem undurchdringlichen Wall vor sich geht – Perry Rho-dan und seine Leute setzen alles daran, um es zu erfahren. Doch selbst nach mona-telangen Nachforschungen an verschiedenen Orten sind unsere Protagonisten kaumschlauer als am Anfang ihrer Ermittlungen. Die bisherigen Erkenntnisse ergeben je-doch ein düsteres Bild, was das Schicksal der Menschheit betrifft.

Gewisse Informationen werden beiden Gurrads gesammelt, und durch eine kaumzu überbietende Geheimnistuerei der Verantwortlichen angeheizt, folgen Rhodanund Co. einem mysteriösen Antennenschiff zum Orsa-System. Dort gilt DAS GEBOTDER GÖTTER …

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Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan - Der Terraner und seine Freunde entdecken Spuren auf Kassuban.Eirene - Rhodans Tochter faßt einen Plan.Radonzu - Ein Auserwählter.Ajsinghau - Sprecher des Rates der Bekassu.Zriengho - Kommandant der MAUKHAN.Eheenza - Ein junger Bekassu, der betrogen wurde.

1.

Die Aheyma schaukelte lautlos hin undher. Seit etwa zehn Zeiteinheiten erfüllte ihrsanftes Beben den Körper ihres Insassen,und Radonzu hatte längst seine Sinne vorder Umgebung abgekapselt und lauschte al-lein diesem rhythmischen Zittern, das ingleichmäßigen Wellen die Aheyma durch-lief. Es durchdrang die flauschigen Deckenund die Gegenstände, die sich in ihrem In-nern befanden, und Radonzu nahm das pul-sierende Leben in sich auf. Er glaubte denPulsschlag seiner Artgenossen zu spüren,von denen sich mehrere Dutzend in der Hal-le aufhielten. Sie alle ließen sich treiben vondem Leben, das zu ihnen kam.

Radonzu drehte sich ein wenig zur Seite.Er gab einen klirrenden Laut von sich wiezerspringendes Glas. Der Laut verließ dieAheyma und verlor sich draußen. Wiederherrschte Stille, und Radonzu konzentriertesich noch stärker auf sein Inneres. VollerWohlbefinden zog er seine Gliedmaßen engan den Körper und krümmte sich zusammen.Er ließ sich auf den Rücken rollen und ge-noß die Wärme, die ihn durchflutete.

Bald war es soweit. Bald war die MAUK-HAN zu Hause. Nur wenige Zeiteinheitennoch bis zur letzten Flugphase. Die Rück-kehr spielte sich früh genug ab, um ihmnoch ein paar Tage der Entspannung zu gön-nen bis zu jenem Zeitpunkt, an dem es nichtnur für ihn um alles ging.

Zu einer bestimmten Zeit kam das Ewig-keitsschiff und trug seinen Teil dazu bei, daßsein Volk das Gebot der Götter erfüllte wieimmer.

Radonzu machte sich keine Gedanken,

seit wann es dieses »Immer« gab. Er hattenicht die Generationen gezählt, obwohl esrelativ leicht für ihn und jeden Artgenossengewesen wäre. Es hatte eine Generation ge-geben, die die Erinnerung an das Ereignis inihrem Namen trug, und er mußte nur in sei-ner eigenen Ahnentafel zurückgehen, bis erauf den Namen stieß. Radonzu kannte ihnsogar auswendig, er hatte sich vor seiner Be-werbung die Mühe gemacht, die Datei seinerFamilie zu befragen, ohne sich jedoch diegenauen Zeitverhältnisse geben zu lassen.

Bald würde er mehr wissen, denn er warangenommen worden.

Radonzu war einer der Auserwählten AnBord der MAUKHAN stellte er eine Aus-nahme dar, und sie spiegelte sich deutlich inder Rücksichtnahme und der Zurückhaltung,mit der die Artgenossen ihm begegneten. Zufrüheren Zeiten hätte es ihm etwas ausge-macht, inzwischen hatte er sich an die Rollegewöhnt, die er zu spielen hatte.

Radonzu sah es als Auszeichnung an, demGebot der Götter Folge leisten zu dürfen.

Die Aheyma wiegte ihn sanft und gleich-mäßig hin und her. Radonzu dämmerte lang-sam in jenen Bereich zwischen Wachen undTräumen hinüber, in dem er sich am wohl-sten fühlte. Seine Infrarotsicht-Fähigkeitwurde in diesem Zustand auf eine selteneArt stimuliert, wie sie nur wenigen aus sei-nem Volk gegeben war. Sie erwachte mit ei-ner nicht faßbaren Intensität und unter Aus-schaltung der Objektzeichnung. Radonzukonnte in diesem Zustand keine Gegenstän-de oder Lebewesen unterscheiden, er nahmlediglich die Gesamtstrahlung aller Wärmein sich auf und badete darin.

Auf diesem Flug der MAUKHAN hatte eres schon oft getan, und mit jedem Mal fühlte

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er sich kräftiger. Er begann den Traum allerWesen seiner Art zu träumen, den Traumvom Fliegen. Er sah sich auf den höchstenGipfeln Kassubans stehen, umschmeicheltvon den warmen Winden aus den Ebenen.Er sah sich zu, wie er alle seine Häute aus-einanderfaltete, die Muskeln spannte und je-de Faser seines Körpers auf ihre Spannkraftund Festigkeit prüfte. Und dann federte ermit dem Ende seines Körpers, ließ sich stär-ker auf die Beine sinken und krümmte denKörper zusammen. Mit einem weiten, fe-dernden Satz sprang er in das Nichts hinaus,wurde von den Aufwinden erfaßt und vomSog weg vom Gipfel gerissen. Er legte dieBeine an und streckte den Kopf, lag ruhig inder Luft und begann zu segeln. Die Wärmetrieb ihn weit empor über das Gebirge, under gelangte in Luftschichten, die nicht sowarm waren wie der Aufwind. Sie ließen ihnabwärts gleiten und sogen ihn hinaus überdie Ebene, und er sah die Länder der Glen-dorai und die drei Siedlungen an der Buchtunter sich. Er legte sich ein wenig schräg,um nicht hinaus über das Meer getrieben zuwerden. Er wartete noch ein paar Atemzüge,ließ die Ultraschallechos über sich und be-gann mit den Schwingen zu schlagen. Soforterhielt er Auftrieb, stieg schräg empor undnahm die letzten Echos wahr, deren Bahn erkreuzte. Dann richtete er seine Aufmerksam-keit wieder auf die Siedlungen. Er wußte,daß sie ihn von dort beobachteten. Vielleichtbeneideten sie ihn, weil er die Kunst desFliegens so gut beherrschte wie kein andererseines Alters.

Eine Bö erfaßte ihn und warf ihn aus derBahn. Radonzu riß die Augen auf und verlorden Halt. Er benötigte wertvolle Bruchteileeiner Zeiteinheit, um zu erkennen, daß ersich nicht über der Glendorai befand, son-dern in seiner Aheyma. Das rhythmischePulsieren hörte abrupt auf, und das Schau-keln der Aheyma wurde zu einem Schwin-gen mit unterschiedlichen Wegen. Radonzuwurde gegen die Wand geworfen und zogsich trotz instinktiven Abstützens mit allenvier Gliedmaßen ein paar leichte Prellungen

zu. Er fand den Griff neben der Tür undklammerte sich an. Die Maßnahme kam kei-nen Augenblick zu früh. Die Aheyma wurdehart zur Seite geworfen. Zum Glück hielt dieAufhängung, denn sie war für stärkere Bela-stungen wie diese konstruiert, und der Vor-gang, der sie aus dem Rhythmus gebrachthatte, spielte sich jedesmal dann ab, wenn eszu einem unvorhergesehenen Flugmanöverkam. Ein solches bedeutete entweder Feind-berührung, Flucht oder Kollision.

An Feindberührung waren die Insassendes Schiffes nicht gewöhnt. Wenn sie es mitanderen raumfahrenden Völkern zu tun hat-ten, dann mit den Gurrads, deren Handelnsich hinter einem dichten Schleier des Ge-heimnisses verbarg. So zumindest empfandRadonzu es, als er jetzt nach dem Mechanis-mus für den Öffner griff und vorsichtig diehalbhohe Tür öffnete, die seine Aheyma ge-gen die Halle abschloß.

Hinter ihm gab es einen dumpfen Laut,als eine der anderen Kabinen gegen seineBehausung prallte.

Vorsichtig schob Radonzu den Kopf insFreie. Die Aheyma begann jetzt wie wild zuschaukeln. Irgendwo in der Halle krachte es,dann vernahm er die Stimme des Komman-danten aus den Lautsprechern:

»Wir haben den Flug unterbrochen«, ver-kündete die befehlsgewohnte Stimme Zri-enghos. »Wir sind mit der ALHANGUE zu-sammengetroffen. Nach dem Austauschwichtiger Informationen werden wir unserenFlug fortsetzen!«

Radonzu stieß pfeifend die Luft aus. Erregistrierte, daß die Andruckabsorber mitreichlicher Verspätung einsetzten und dasunregelmäßige Schwingen der Kabinenbremsten. Es gab keine Kollision mehr inder Halle, und Radonzu stieß sich ab und se-gelte drei Körperlängen durch den Raum. Erbekam eine der unzähligen Griffstangen zufassen, die gleichzeitig als Haltestangen fürdie Kabinen dienten. Er rollte seine vorderenGliedmaßen daran auf und blieb hängen. Erbeobachtete, wie es in vielen Kabinen leben-dig wurde. Artgenossen quälten sich ins

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Freie, einige von ihnen zuckten vor Schmer-zen.

»Bleibt ruhig!« rief Radonzu schrill. »Esist nichts geschehen. Wir haben lediglich ei-ne Flugunterbrechung!«

Sie nahmen seine Worte zur Kenntnis.Trotz ihrer Verwirrung erkannten sie, daß esder Auserwählte war, der zu ihnen sprach.Sie würden diesen Flug mit ihm sicherlichnicht vergessen, solange sie lebten. Es ge-hörte zu einer der wenigen Auszeichnungeneines Raumfahrers, jemals mit einem Auser-wählten geflogen zu sein, wobei es keineRolle spielte, ob dieser dem Ruf der Göttererst noch folgen würde oder den heiligenDienst bereits hinter sich hatte.

Radonzu hangelte sich an der Stange ent-lang bis zu einer der dicken Säulen, in diedie Griffmuster eingearbeitet waren. Erklammerte sich fest und stieg hinüber zurWandung der Halle. Er machte sich auf denWeg durch das Schiff, um die Vorgänge inder Zentrale beobachten zu können. Manchneidischer Blick folgte ihm. Den gewöhnli-chen Besatzungsmitgliedern blieb ein Betre-ten des Steuersektors verwehrt, aber in Ra-donzus Fall wagte es nicht einmal der Kom-mandant, Vorschriften zu machen.

»Bei meinem Volk und allem, was ihmheilig ist«, murmelte Radonzu, als er dieHalle mit ihrem Stangengewirr verlassenhatte und sich von der Tunnelwandung ab-stieß und durch die Schwerelosigkeit davon-segelte. »Der Aufenthalt darf nicht zu langedauern. Niemand wird es verantworten kön-nen, wenn ich die Ankunft des Ewigkeits-schiffes verpasse. Ich muß nach Kassubanzurück!«

Er beschleunigte seine Fortbewegung undnahm seine Flughäute zu Hilfe. Sie nützenihm jedoch in der allgegenwärtigen Schwe-relosigkeit nichts, also orientierte er sich anden Stangen und zog sich an ihnen entlang.

Auf diese Weise benötigte er etwas überfünf Zeiteinheiten, bis er die Kommando-zentrale des Schiffes erreicht hatte und hin-einglitt.

Viel bekam der Auserwählte nicht mehr

mit. Der Austausch wichtiger Informationenhatte bereits stattgefunden, und die MAUK-HAN bereitete sich für den Weiterflug vor.Alle Techniker und Offiziere, die sich in derZentrale aufhielten, hatten in dieser Phasemit der Steuerung des Schiffes zu tun. Siehatten keine Zeit, auf die Ankunft des Aus-erwählten zu achten. Obwohl Radonzu daswußte, wurmte es ihn gewaltig, daß keineinziger Bekassu von ihm Notiz nahm.

*

Während die MAUKHAN ihren Flugfortsetzte und die nächste Transitionsetappeeinleitete, wuchs die Unruhe im Schiff. Be-sonders deutlich war sie in der Zentrale zuspüren. Zriengho gab seine Befehle unterdeutlichen Anzeichen von Erschütterungund seine Untergebenen führten sie unsicherund fahrig aus, als steuerten sie zum ersten-mal ein Raumfahrzeug.

Radonzu schwieg zu allem und sah essich an. Er hatte sich eine Stange gesucht,von der aus er einen guten Blick auf dieBildschirme hatte. Zudem hing er schrägüber der Kommandoleiste von Zriengho. Ra-donzu wartete lange, und als das Schiff end-lich die Transition durchführte, bewegte ersich raschelnd. Das Ziehen, das durch seinenKörper tobte, beachtete er nicht. Es hieltnicht lange an, vier Atemzüge vielleicht. Eswar eine Begleiterscheinung, die jedesmalbei einem solchen Vorgang auftrat, und dieRaumfahrer, zu denen Radonzu sich zählte,waren daran gewöhnt.

Zriengho registrierte die Ungeduld desAuserwählten. Er drehte den Kopf mit dendunklen Augen. Leise begann er zu berich-ten.

Die Begegnung mit der ALHANGUE warnicht rein zufällig geschehen. Das Schiffhatte den Rendezvous-Punkt aufgesucht,weil sein Kommandant die Fahrpläne kannteund damit rechnete, die MAUKHAN zu ei-nem bestimmten Zeitpunkt an dieser Stellezu finden. Die Artgenossen in der AL-HANGUE hatten von dem Schiff der Frem-

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den berichtet, das sie bis in das Rashta-Sy-stem verfolgt hatte. Zriengho hatte auf dieseWeise erfahren, was geschehen war. DerZwischenfall mit dem Fremden namens Sa-laam Siin hatte nicht nur ihn zutiefst er-schüttert Das Bewußtsein, daß dieses Wesenunabsichtlich gehandelt hatte und vermutlichdem Tod geweiht war, hatte die Bekassubeinahe zum Wahnsinn getrieben.

»Und wir können nichts tun«, schloß Zri-engho seinen Bericht an Radonzu. »Wir hät-ten eigentlich nach dem fremden Schiff mitdem seltsamen Namen CIMARRON suchensollen. Doch wir haben dich an Bord, undunsere Aufgabe ist es, dich auf dem schnell-sten Weg nach Kassuban zu bringen.«

Der Tonfall, in dem Zriengho es sagte,alarmierte den Auserwählten. Er musterteden Kommandanten, doch er konnte keineungewöhnliche Haltung erkennen. Dennochstörte ihn etwas, und er erkannte es wenigspäter. Zriengho deckte einen Teil des Kör-pers mit Falten seiner Häute ab, so daß derEindruck einer gleichmäßigen Fläche ent-stand. In Wirklichkeit hielt er den Bereichdes Körpers jedoch nach innen gekrümmt,was einen Ausdruck großer Verzweiflungund gleichzeitig fester Entschlossenheit dar-stellte.

»Was willst du?« krächzte Radonzu.»Die Fremden werden uns unser Verhal-

ten als Feindseligkeit auslegen und nichteher ruhen, bis sie unsere Heimat entdeckthaben. Die ALHANGUE wird darum nichtauf direktem Weg heimkehren. Sie hat sichin eine andere Richtung gewandt, um denVerfolger in die Irre zu leiten. Ich fürchtenur, daß diese Maßnahme nicht sinnvoll ist.Dadurch wird alles nur schlimmer!«

»Warum eigentlich?«Zriengho pfiff schrill vor sich hin und

griff nach einer Steuereinheit, die er an ihrerGleitschiene zu sich heranzog. Er projizierteetwas auf die untere Hälfte des Bildschirms,und Radonzu sah, daß es ein Lebewesenwar. Der Anblick ließ ihn unruhig werden,es hielt ihn nicht mehr an der Stelle.

»Das also meinst du«, stellte er fest. Zri-

engho wirkte erleichtert.»Das ist einer der Fremden, die die Besat-

zung des Schiffes ausmachen. Der Verletztegehört allerdings einer anderen Rasse an undhat sogar ein eigenes Schiff, das an dasgroße angedockt wurde. Die Insassen derCIMARRON treffen deutlich unsere Erinne-rung, wenn es auch keine direkten Beweisegibt. Aber vergiß die alte Niederlassung aufKassuban nicht, Auserwählter. Es wird sichmit ziemlicher Sicherheit herausstellen, daßdie Fremden mit jenen Sternreisenden iden-tisch sind, die uns einst, vor langer Zeit, dieRaumfahrt geschenkt haben. Sie sind beivielen Mitgliedern unseres Volkes in Ver-gessenheit geraten, aber es gibt noch die al-ten Geschichten. Kannst du dir die Konse-quenzen vorstellen?«

Radonzu versuchte, seine Gedanken unterKontrolle zu halten. Es gelang ihm nicht. Zugroß war der Schock. Wenn sie tatsächlichein Wesen aus jenem Schiff getötet hatten,dann würden sie mit Konsequenzen zu rech-nen haben. Es dauert lange, bis er sich end-lich zu einer Antwort aufraffen konnte.

»Ich bin der Meinung, Kommandant«,versicherte er. »Wenn wir wirklich gegendas Gebot der Götter verstoßen haben, kanndas sehr schlimme Folgen für unser Volkhaben. Und du brauchst mich um nichts zubitten, ich werde aus eigenem Antrieb allestun, damit diese Folgen möglichst harmlosausfallen. Ich werde ein guter Auserwähltersein, und ich werde die Fremden von denSternen um Verzeihung bitten. Mehr kannauch ich nicht tun!«

»Es ist mehr als genug«, beeilte sich derKommandant zu sagen. »Du nimmst einegroße. Last von uns, Radonzu. Du bist zuRecht auserwählt worden. Trotz deiner Ju-gend besitzt du ein übergroßes Maß anWeisheit!«

Der Auserwählte ging nicht darauf ein. Erwar froh, jetzt nichts sagen zu müssen. Errief sich in Erinnerung, was er selbst überdie heimlichen Förderer seines Volkes wuß-te. Ihr Aussehen war nicht bekannt, Zrieng-ho hatte schon bemerkt, daß es lediglich alte

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Sagen und Gerüchte gab, die darüber Mut-maßungen anstellten. Andererseits konnte ersich nicht vorstellen, daß ein fremdes Volkohne Grund einem ihrer Schiffe nachstellteund sich für die Bekassu interessierte. DerGedanke an einen möglichen Test kam ihm.Wenn es sich bei den Fremden tatsächlichum diejenigen handelte, denen sie das Gebotder Götter zu verdanken hatten, dann hattensie sich schuldig an einem von ihnen ge-macht. Verschleierung half in so einem Fallüberhaupt nicht. Wenn es etwas gab, wasden Schaden wenigstens teilweise eingren-zen konnte, dann war es nur bedingungsloseAufklärung und Überstellung der Schuldi-gen an die heimlichen Förderer. Eine Ent-schuldigung allein reicht nicht aus.

Radonzu verfolgte, wie der Kommandantmehrere kleine Bildschirme aktivierte undsich einen Überblick über den Zustand inden einzelnen Schiffssektionen verschaffte.Auf der gegenüberliegenden Seite der Waf-fenleitzentrale war es einigermaßen ruhiggeblieben. Dort arbeiteten nur Bekassu mitbesonders widerstandsfähiger Psyche. In denübrigen Schiffsbereichen nahm die Unruhejedoch ständig zu. Geschulte Psychologenwurden in den Einsatz geschickt, um diezweihundert Besatzungsmitglieder derMAUKHAN unter Kontrolle zu halten. Diemeisten zogen sich in die Halle zurück, inder sich ihre persönlichen Bereiche in Formder Kabinen befanden. Radonzu sah vieleseiner Artgenossen, die umhertorkelten undunter deutlicher Orientierungsschwäche lit-ten. Sie verwechselten ihre Aheymas undschufen dadurch zusätzlichen Ärger. Erst dieMitteilung des Kommandanten, daß sie sichim Anflug auf das Heimatsystem befanden,beruhigte die Gemüter ein wenig.

Der Heimflug dauerte allerdings noch vierTag-Nacht-Phasen. In dieser Zeit führte dasSchiff fünf Transitionen durch. Radonzuverbrachte die Zeit abgekapselt in seinerAheyma. Kurz vor der letzten Transition ersttauchte er wieder in der Kommandozentraleauf. Er hatte sich durch Meditation soweitberuhigt, daß niemand ihm die Erregung an-

merkte. Still hing er an einer der Stangen imHintergrund und musterte das Grau desBildschirms, das sich übergangslos verzogund dem Schwarz des Weltraums wich, die-ser wohltuenden Dunkelheit mit den winzi-gen Lichtpunkten darin. Dann tauchte dergroße, orangefarbene Ball der Sonne Orsa inder Mitte des Bildschirms auf, und die Gerä-te der MAUKHAN entdeckten das Schiff,das sich außerhalb des elften Planeten in re-lativer Schleichfahrt befand. Der Ultra-schall-Alarm trat in Aktion, und die MAUK-HAN gab die Geschützverkleidungen frei.Die Bereitschaftsmeldungen aus der Waf-fen-leitzentrale trafen ein.

»Es ist das fremde Schiff«, stellte Zrieng-ho fest. »Wir können im Alarmfall nichtsanderes tun, als uns auf Abwehrmaßnahmeneinzurichten!«

»Nein. Wir haben schon genug Fehler ge-macht!« rief Radonzu. »Wenn die Fremdendas Feuer eröffnen, dürfen wir es nicht erwi-dern. Wir müssen notfalls die Zerstörung derMAUKHAN in Kauf nehmen. Mehr bleibtuns nicht!«

Ein weiterer Gedanke schoß ihm durchden Kopf. Das fremde Schiff hatte die AL-HANGUE und die MAUKHAN nicht ver-folgt. Es befand sich aus eigenem Antriebim Orsa-System.

»Zriengho«, stammelte Radonzu. »Außerden Sternreisenden und den Gurrads hatnoch nie ein raumfahrendes Volk unsereHeimat entdeckt. Diese Fremden aber kom-men einfach hierher. Sie kannten die Koor-dinaten. Die Allmacht der Götter ist groß. Esgibt keinen Zweifel mehr. Wir haben einenschlimmen Fehler gemacht. Die Strafe wirdgräßlich sein!«

Zriengho stieß sich ab und schoß auf ihnzu. Dicht neben ihm klammerte er sich an.

»Strafe? Weißt du mehr als wir?« schrieer. »Gib Auskunft, Auserwählter!«

»Ich weiß nicht mehr als alle anderen.Aber ich habe plötzlich Angst. Es ist dieAngst, daß das Ewigkeitsschiff nicht mehrkommen wird!«

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2.

Es hat keinen Sinn. So, wie Beodu sichanstellte, würde es ihm nie gelingen, bis indie Tiefen seiner Psyche vorzudringen. Undschon gar nicht in der Realität, da war sichSato Ambush sicher. Der kleine Terraner ja-panischer Abstammung richtete sich überder wannenförmigen Liege auf, die den Kör-per des Attavenno aufgenommen hatte. Erschüttelte den kugelförmigen Schädel mitden millimeterkurzen Haarborsten, und leck-te sich den Mund mit den schmalen Lippen.Seine Hände strichen den hellblauen Kimo-no glatt, dessen Brustteil von silbernenStickereien verziert war.

Sollte er es wagen, eine Pararealität zuschaffen, nur um Beodu besser helfen zukönnen?

Ambush beschloß, es nicht zu tun. Er be-saß die erforderlichen Maschinen, doch ermußte die Energie aus den Bordspeichernder CIMARRON beziehen, und das erschienihm zum jetzigen Zeitpunkt ein zu großesRisiko. Die Bedrohung aus dem Hyperraumhatte sich in letzter Zeit als äußerst handfesterwiesen. Sowohl die CIMARRON als auchdie SORONG hatten mit einem Phantom-schiff Bekanntschaft gemacht. Die SO-RONG war beschädigt worden, und die CI-MARRON hatte vermutlich nur der Trickmit dem Virtuellbildner vor der Zerstörungbewahrt.

Außerdem sah der Pararealist keine Chan-ce, Beodu zu helfen. Dieser hatte seineWahrträume im Zug der WiedererstehungESTARTUS verloren. ESTARTU, die ihmeinst diese Fähigkeit verliehen hat, hatte sieihm wieder genommen. Aber dies war esnicht, was Beodu beschäftigte. Ihm machteschwer zu schaffen, daß ihm mit dem Ver-lust der Wahrträume offensichtlich auch dieFähigkeit, normal zu träumen, abhanden ge-kommen war. Träume wie sie wohl jedes in-telligente Lebewesen besaß – nur er nicht.Beodu schlief. Er hatte sich selbst in Tranceversetzt und war aus dem Zustand des mitt-

leren Wachschlafs bis in die Bereiche desTiefschlafs hinübergeglitten. Seither atmeteSato Ambush lautlos, um ihn nicht zuwecken. Der Pararealist schielte zur Digital-uhr an der Medokonsole. Eine Viertelstundedauerte Beodus Zustand bereits, und der At-tavenno hatte sich in dieser Zeit kein einzi-ges Mal gerührt. Die Anzeigen seiner Kör-perfunktionen an dem Terminal blieben kon-stant, als befände Beodu sich in der Wach-phase. Das hatte jedoch nichts zu sagen,denn der Metabolismus des Wesens aus demUniversum Tarkan unterschied sich erheb-lich von dem des Terraners. Die Messungder Hirnströme lieferte eine völlig flacheKurve. Beodu dachte kaum etwas, und erträumte auch nicht.

Ambush vermutete, daß das Unterbewußt-sein des Wesens unter einem Trauma litt,das Beodus Fähigkeit zu träumen blockierte.Psychologisch konnte die Beseitigung dieserBlockade kein Problem sein, es gab genugExopsychologen an Bord. Andere Faktorenspielten eine wichtige Rolle, zum Beispieldie Tatsache, daß Beodu sich als einziger ineinem fremden Universum befand, ohne dieMöglichkeit einer Rückkehr und ohne Hoff-nung jemals wieder einem Artgenossen zubegegnen.

Sicher, der Attavenno hatte die Reise frei-willig mitgemacht, denn er hatte in PerryRhodan einen Freund gefunden. Aber er hat-te wohl kaum mit dem gerechnet, was sichdann ereignet hatte.

Niemand hatte damit gerechnet, und inden ersten Wochen hatte jeder in der kleinenGalaktischen Expeditionsflotte und der CI-MARRON und der SORONG daran zu kau-en gehabt.

Die Medotronik legte eine kurze Empfeh-lung auf den Bildschirm. Ambush las, wassie für den Metabolismus des Wesens ent-wickelt hatte. Der Terraner schüttelte leichtden Kopf. Medikamente waren das, was Be-odu am wenigsten helfen würden. Sie konn-ten zwar seinen Körper entspannen und sei-ne Psyche aufmuntern, aber wirklich helfenkonnten sie ihm nicht.

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Langsam streckte er die rechte Hand ausund berührte Beodu am halslosen Rumpfoberhalb der Stelle, wo der Umhang begann.

»Wach auf!« sagte er. »Wir brechen dieUntersuchung ab!«

In den kleinen Körper kam Leben. DieSchädelschwingen bewegten sich und rolltendie Augen aus, die sich an ihren Spitzen be-fanden. Beodu wippte mit dem Oberkörpernach oben und kam in Schräglage. Er ließdie vielgelenkigen Beine aus der Wannegleiten und legte die Füße auf den Boden.Dann schaukelte er ein wenig hin und her,und schließlich kam er mit einem hastigenRuck empor. Er richtete den rüsselförmigenMund auf Ambush.

»Eine große Leere ist in mir«, zwitscherteund zirpte es glockenhell aus der Öffnung.Der Translator, der sich innerhalb der Mun-döffnung befand, übersetzte es ins Interkos-mo. Dieser Translator arbeitete ähnlich wieein Synthesizer und war halborganischerNatur.

»Kannst du sie beschreiben?« fragte Am-bush.

»Sie ähnelt der Leere zwischen den Ster-nen, und sie hat keine höheren Dimensionen.Sie ist nicht einmal von einem roten Glühenerfüllt. Ich bin traurig, Sato. Kannst du mirwirklich nicht helfen?«

»Weißt du, es gibt nur eine einzige Hil-fe.« Ambush versuchte zu lächeln. »Dumußt dich damit abfinden. Zumindest vor-läufig. Noch kann niemand sagen, wie langeder Zustand dauern wird. Vielleicht ist esnur eine vorübergehende Erscheinung.«

Beodus Schädelschwingen sanken nachunten, und der Attavenno wurde noch einwenig kleiner als gewöhnlich. Mit seinerKörperhöhe von einem Meter und fünf Zen-timetern stellte er ganz und gar keine impo-sante Erscheinung dar. Er war ein kleines,hilfsbedürftiges Wesen mit großer Anhäng-lichkeit und einer Reihe von nützlichen Ei-genschaften.

Ambush wollte etwas Tröstendes erwi-dern, aber ein leises akustisches Signal vomTerminal lenkte ihn ab. Die CIMARRON

hatte das Orsa-System erreicht, und Ambushging hinüber und schaltete die Geräte ab, dieseine Bemühungen um Beodu unterstützthatten.

»Komm!« sagte er zu dem Attavenno.»Wir finden ein andermal Gelegenheit, mitdeinem Problem fertig zu werden.«

*

»Du hast eine ganze Wagenladung Brettervor dem Kopf, Perry! Du willst einfach nichtsehen, was sich da vor deinen Augen ab-spielt. Liegt es an deinem langen Aufenthaltin Tarkan? Macht sich bei dir ein schlei-chender Strangeness-Schock bemerkbar?Nein, ich glaube es nicht. Ich glaube auchnicht, daß du völlig blind geworden bist. Je-der einigermaßen nüchterne Raumfahrersieht doch, was da läuft. Die locken uns ineine grandiose Falle. Und wenn wir erst ein-mal drin sitzen, kommen wir nie wieder her-aus!«

Bully hatte sich in Fahrt geredet. Er gingin Rhodans Wohnzimmer auf und ab. Seiteiner Viertelstunde versuchte Reginald, denFreund von der Nützlichkeit seiner Warnun-gen zu überzeugen. Rhodan lächelte ihnfreundlich an, enthielt sich aber eines Kom-mentars. Er schwieg, weil er wußte, daßBully dieses Ventil brauchte, um sich allesvon der Seele zu reden.

»Ich bin nicht blind«, sagte er, als Bullyendlich einmal Luft holte. »Oder hast du denEindruck?«

»Ich weiß es nicht.« Der untersetzte Ter-raner mit dem roten Bürstenhaarschnitt ließsich schwer in den Sessel fallen, aus dem ersich vor geraumer Zeit erhoben hatte. »Duscheinst zu vergessen, wie sich die Gurradsauf der Hundertsonnenwelt verhalten haben.Dort wirkten sie überhaupt nicht kooperativ.Sie glaubten uns kein Wort. Und hier war esnicht viel anders. Gut, Ayshran-Ho ist eineAusnahmeerscheinung unter den Welten inder Großen Wolke. Dennoch bin ich festüberzeugt, daß die Löwenmähnigen etwasim Schilde führen!«

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Diesmal schüttelte Rhodan energisch denKopf. »Laß mich ein paar Minuten nächden-ken«, bat er den Freund. »Es könnte immer-hin sein, daß ich eine Kleinigkeit übersehenhabe.«

Seine Gedanken kehrten zurück zu demZeitpunkt, als sie die Große MagellanscheWolke erreicht hatten. Sie waren nach Ay-shran-Ho gekommen und hatten die SO-RONG vorgefunden. Nikki Frickel war ent-führt worden, und ihre erste Tat war es ge-wesen, sie aus den Händen der Entführer zubefreien. Es war ihnen gelungen. Sie hattenTryndallars Memowürfel gefunden und dieProjektion Icho Tolots gesehen und seineAufforderung, ihnen zu den Säulen der Ver-gangenheit zu folgen. Die Botschaft war all-gemein gehalten, und bei der Spur konnte essich unter Umständen um eine Falle han-deln, die ihnen irgend jemand stellen wollte.Aber selbst wenn das so war, gab es keinenHinweis darauf, daß die Gurrads dahinter-steckten.

Im Lauf ihres weiteren Aufenthalts aufAyshran-Ho hatte Perry Tetran Kham ken-nengelernt, einen angesehenen Bürger derStadt Massengi. Dieser hatte ihm ebenfallseine Aufzeichnung vorgespielt, die aus denJahrzehnten unmittelbar nach der GroßenKatastrophe stammte. Rhodan hatte ein paarneue Einzelheiten erfahren, so zum Beispiel,daß der Große Krieg mehrere Jahrzehnte ge-dauert hatte und daß Stalker alias CaptainAhab wieder in der Lokalen Gruppe herums-pukte. Aktuelle Hinweise hatten sich ausdiesen Hilfen nicht ergeben, und die Behör-den von Ayshran-Ho waren nicht geradehilfreich in dieser Beziehung. Alle Gurradswaren froh, wenn sie möglichst wenig mitDingen zu tun hatten, die die Milchstraßeund deren heimliche Herrscher tangierten.

Die CIMARRON hatte den Aufbruch vor-bereitet. Sie war gestartet, doch dann hattesich etwas ereignet, was alle Pläne über denHaufen geworfen hatte. Ein Schiff war überdem Planeten aufgetaucht, das ihnen sofortbekannt vorgekommen war. Das fremdeSchiff war mit jenem Schiffstypus identisch,

den man auf dem Raumhafen in Icho TolotsAufzeichnung gesehen hatte. Die Gurradshatten die Insassen des fremden Schiffes, dieals Bekassu bezeichnet worden waren, vorder CIMARRON gewarnt. Das Schiff wargeflohen, aber es war der CIMARRON nichtschwergefallen, seine Spur bis in das Rash-ta-System zu dem Mond Aontan zu verfol-gen. Hier war Salaam Siin mit der HARMO-NIE eingetroffen, und die Besatzung der CI-MARRON hatte von Atlans Versuch erfah-ren, die Hera-Bucht zu einem festen Stütz-punkt auszubauen. Vor 650 Jahren hatte esdort einen Sturmlauf von Ctl-Robotern ge-gen die Milchstraße gegeben, was daraufschließen ließ, daß der Chronopuls-Wall da-mals schon existiert hatte. Im Rahmen derVorgänge um die Hera-Bucht hatte RatberTostan ein eigenmächtiges Unternehmen ge-startet, das zur Zerstörung der TS-CORDOBA und zum Tod Tostans und desSwoon geführt hatte. Die Trauer um denVerlust überlagerte bei weitem die Meldung,daß inzwischen wertvolle Messungen desChronopuls-Walls vorgenommen wordenwaren.

Perry dachte auch an die Überreste desDroiden, die in einem Labor der SORONGaufbewahrt wurden, die längst nach Phönix-1 zurückgekehrt war. Die Behörden von Ay-shran-Ho hatten nichts darüber gewußt, daßsich solche Hybridwesen auf ihrem Planetenaufhielten. Hatten die Gurrads wirklich inallen Belangen gelogen?

Es gab keine Hinweise, daß dies zutraf.Und auch Bullys Vermutungen hingen freiin der Luft.

»Ich habe nichts übersehen«, sagte Rho-dan nach einer Weile. Er hob den Kopf undblickte Reginald Bull über den Tisch hinwegan. »Die Gurrads haben die Bekassu ledig-lich gewarnt und sie beschützt. Wir habendie Gesetze der Shanganten auf Aontan ge-brochen, und Salaam Siin wurde bei seinemVorgehen schwer verletzt. Wenn sich je-mand etwas zuschulden hat kommen lassen,dann waren wir es.«

»Natürlich, natürlich!« ereiferte sich Bul-

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ly. »Wir sind es immer. Die Bekassu sinddie Friedfertigkeit selbst! Sie wissen nichteinmal genau, warum die Gurrads ihr Volkabschirmen. Aus Uneigennützigkeit? Wollensie, daß die Bekassu von allem verschontbleiben, was geschieht? Warum ist das so?«

»Du bist zu ungeduldig, Dicker«, fielRhodan ein. »Was glaubst du, würde SalaamSiin dazu sagen? Leider kann er seine Fähig-keit des Singens nicht mehr ausüben. Es wä-re ihm möglich, dich ganz schnell zu beruhi-gen.«

»Du nimmst mich nicht ernst«, maulteBully. »Gut, dann kann ich ja gehen. Ich ha-be in meinem Schiff ja nichts mehr zu sa-gen. Glaubst du etwa, ich wüßte nicht, waswir alles herausgefunden haben?«

Natürlich wußte er es. Die Bekassu warenein junges Volk, zumindest was die Raum-fahrt betraf. Sie hatten mit den Ereignissenin der Milchstraße nichts zu tun. Die Gur-rads hielten alle schädlichen Einflüsse vonihnen fern, damit sie sich frei entwickelnkonnten. Und die Bekassu waren der Kosmi-schen Hanse nicht unbekannt. Vor über 700Jahren hatten Schiffe der Hanse in MagellanKontakt zu Wesen gehabt, auf die die Be-schreibung Salaam Siins genau paßte. DieseWesen hatten sich auch Bekassu genannt,waren nach technischen Gesichtspunktenaber über hundert Planetenjahre von der Ent-wicklung einer eigenen Raumfahrt entfernt.Die Koordinaten des Systems waren imBordsyntron der CIMARRON enthalten,und das Schiff hatte sich auf den Weg zurSonne Orsa gemacht.

»Du solltest abwarten, Bully!« Perry er-hob sich. »Wir erreichen in Kürze das Hei-matsystem der Bekassu. Dort wird sich her-ausstellen, was mit diesem Volk los ist. Undes wird sich herausstellen, ob es in diesemSystem einen Raumhafen gibt, der aussiehtwie der, den wir aus Tolots Aufzeichnungkennen. Vielleicht gelingt es uns, weitereVerbindungen zu knüpfen, ohne daß dabeidie Existenz dieses Volkes gefährdet wird.«

»Wenn jemand gefährdet wird, dann sindwir es. Vergiß nicht, die Gurrads haben ihre

Finger drauf. Glaubst du etwa, sie sind imOrsa-System nicht präsent? Sie werden allesüberwachen, was sich tut. Die Gurrads sindin einer Phase der aggressiven Expansion.Oder weshalb sollten sie sich so rührend umdie Hundertsonnenwelt kümmern? AlsNachlaßverwalter der Posbis? Wir wissendoch, daß dies nicht der einzige Grund ist.Sie setzen sich überall fest, wo sie es kön-nen!«

Rhodan schritt zur Tür und legte die Handauf den Wärmekontakt. Lautlos glitt die Türan die Wand.

»Du wirst nicht recht behalten«, erklärteer über die Schulter zurück. »Wir werdenkeine Gurrads finden. Auch keine Schiffevon ihnen. Überhaupt nichts. Das Volk derLöwenmähnigen ist im Orsa-System nichtpräsent!«

Bully grummelte etwas, was nicht geradefreundlich klang, aber dann schwieg er undfolgte Rhodan hinaus. Gemeinsam legten sieden Weg in den Kommandoraum der CI-MARRON zurück. Als sie eintrafen, hattensich bereits alle wichtigen Personen versam-melt. Gucky stand mitten im Raum und hielteine Rede.

»…und da sagte er doch tatsächlich et-was, was ich mir nicht hätte träumen lassen.Also, Hamillers Wahnsinn scheint sehr dif-ferenziert zu sein. In lichten Augenblickenerkennt er sehr wohl, worauf es ankommt,selbst wenn auch da seine Reaktion äußerstübertrieben ausfällt.«

»Was sagte er denn?« rief Ian Longwyn.»Er sagte: Mister Guck, Menschen sind

Wesen, die sich sehr schnell verunsichernlassen. Bitte geben Sie mir Gelegenheit, dasKommando über dieses Schiff zu überneh-men. Ich werde jeden Kubikmeter des Orsa-Systems umdrehen, und danach wissen wir,was es mit der ganzen Geschichte auf sichhat. Es wäre ja gelacht, wenn wir den Gur-rads ihre Heimtücke nicht beweisen könn-ten!«

Gucky schwieg und wandte sich den Neu-ankömmlingen zu.

»Was hast du darauf erwidert, Kleiner?«

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Rhodan kniff ein wenig die Augen zusam-men.

»Nichts, Perry! Ich habe Sato die Auf-zeichnung gebracht und bin anschließendhierher gekommen!«

»Das war gut so!« Perry schlug demMausbiber auf die Schulter und ging weiter.Bully wollte ihm zunächst folgen, hielt dannaber inne.

»Das hat die Hamiller-Tube wirklich ge-sagt?« erkundigte er sich. »Gut, daß ich esweiß. Ich werde mich mit der Syntronik un-terhalten müssen!«

3.

Das Schiff der Sternreisenden schoßnicht. Es tat überhaupt nicht, als hätte es dasEintreffen der MAUKHAN registriert. Esverlangsamte seine Fahrt innerhalb der Bahndes elften Planeten, und Zriengho rätselte,was dieses Verhalten zu bedeuten hatte. Erkonzentrierte sich derart auf das, was sichhätte ereignen müssen und sich doch nichtereignete, daß er die Worte des Auserwähl-ten völlig überhörte.

Nun, wenn es die Götter nicht anders wol-len, dann blieb ihm wenigstens seine Pflicht-erfüllung.

»Kurs auf Kassuban!« befahl er.Das Schiff drehte sich erneut und be-

schleunigte. Es vollführte eine kurze Transi-tion und tauchte in greifbarer Nähe des fünf-ten Planeten in den Normalraum ein. Auchhier herrschte bereits Alarm, und Zrienghoerhielt die Anweisung, eine der Sicherheits-positionen im Verteidigungskordon anzu-fliegen und sich nicht mehr davon zu entfer-nen.

»Bei allen Göttern unseres Volkes!« ras-selte er in das Funkgerät. »Wir haben einewichtige Meldung für Frilyan! Sie kannnicht über Funk gegeben werden, denn sieenthält Geheimes! Ich bitte um die Erlaub-nis, Frilyan anfliegen zu dürfen!«

Der Ignorant von der Raumverteidigungverweigerte sie ihm. Zriengho erlebte ihn alseinen pflichtbewußten Soldaten, der seine

Befehle kannte und sich über Höheres keineGedanken machte. Er warf einen flüchtigenBlick auf den Auserwählten.

Radonzu schwieg. Er hielt die Augen un-ter seinen Häuten verborgen und lugte ledig-lich mit der Spitze seines Kopfes unter ihnenhervor. Er nahm ihm die Entscheidung nichtab. Jedem anderen hätte der KommandantFeigheit unterstellt, nicht so dem Auser-wählten. Radonzu durfte nichts tun, was seineigenes Ziel gefährdete. Frilyan bot ihm dieMöglichkeit, ein letztes Mal vor dem großenTag die Oberfläche Kassubans zu betreten.Hatte die MAUKHAN erst einmal eine vor-geschriebene Sicherheitsposition im Vertei-digungswall eingenommen, dann saß Ra-donzu fest.

Ein Warnlicht begann zu flackern. Esleuchtete weiß und grell und schmerzte dieInsassen der Kommandozentrale in den Au-gen und in allen Gliedern. Sie verbargen ihreKöpfe hinter beweglichen Segmenten undklappten einen Teil ihrer Häute auf, um sichgegen den Widerschein von den Wänden zuschützen.

»Wenn dein Schiff nicht dem Befehlnachkommt, wird es beschossen, Zriengho!«kam die Warnung aus der Station des militä-rischen Koordinators.

Zriengho schaltete den Kanal ab und ju-stierte die Funkanlage auf Frilyan. Er sandteden nur den Kommandanten bekannten Eil-kode und erhielt augenblicklich Verbindung.Ein hoher Offizier tauchte auf dem Bild-schirm auf und klatschte erregt mit den En-den seiner Arme gegen das Pult.

»Wir haben Alarm«, stellte er fest. »Waswillst du?«

»Wir haben die ALHANGUE kontaktiert.Es ist im Rashta-System etwas vorgefallen.Es ist von solcher Wichtigkeit, daß es nurder Regierungsrat erfahren darf. Es hängtmit dem fremden Schiff zusammen. Es eilt.Bitte gib uns sofort einen Einflugtunnel!«

»Der Rat wird entscheiden, was wichtigist, Zriengho«, bellte der Offizier. »Wenn dueinen Fehler machst, dann wirst du für denRest deines langen Lebens die Gravitations-

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strafe erhalten!«Zriengho schauderte zusammen. Gravita-

tionsstrafe bedeutete, daß er nie mehr in denGenuß der Schwerelosigkeit kommen wür-de. Er mußte sein Leben dann auf dem Pla-neten des Heimatsystems zubringen, der diehöchste Schwerkraft besaß.

»Bitte den Tunnel!« flehte er. »Wir habenkeine Zeit zu verlieren!«

Ein paar Atemzüge später baute sich dieFunkstrecke auf und koordinierte den An-flug des Schiffes. Eine Annäherung an Frily-an aus eigener Kraft war nicht gestattet. Da-zu war die Station im Orbit viel zu wichtig.Frilyan stellte den Sitz des zwölfköpfigenRegierungsrats dar, und Frilyan lag kleinund unscheinbar zwischen einer Ansamm-lung größerer Stationen, in denen mehrereMillionen Bekassu lebten.

Jetzt streckte Radonzu den Kopf unter sei-nen Häuten hervor und musterte die Umge-bung. Er faltete alle seine Schwingenteilezusammen und gab ein zufriedenes Brum-men von sich. Er rückte sich an seiner Stan-ge zurecht und drehte sich um sie, bis er mitdem Kopf auf derselben Höhe hing wie derKommandant.

»Ich glaube, wir haben mehr Zeit, als unsrecht ist«, prophezeite er. »Siehst du, daßsich das fremde Schiff noch immer passivverhält? Es hat keinerlei Raubvogelgebarenan sich. Was bedeutet das? Ich glaube, ichweiß es. Das Schiff lauert! Es wartet auf dengünstigen Zeitpunkt. Die Strafe wird hartausfallen!«

Zriengho drehte sich ebenfalls. Sein Kopfstieß in Richtung des Auserwählten. DerKommandant war sich bewußt, daß es sichnicht gehörte, einen indirekten Angriff aufeinen Auserwählten zu starten. Aber in die-sem Augenblick war es ihm egal.

»Du machst uns wahrlich Mut, Radonzu«,stellte er fest. »Verlasse die Zentrale, sonstzwingst du mich, dir Gewalt anzutun. DeinVerhalten kann dazu führen, daß du deinenStatus verlierst!«

Offensichtlich begriff der Auserwählte,daß er zu weit gegangen war. Er stieß sich

hastig von der Stange ab und segelte querdurch den Raum. Er kam der Aufforderungdes Kommandanten nach, und Zrienghostellte fest, daß er draußen im Korridor Haltsuchte und abwartete, was weiter geschah.

Zriengho gab die Anweisung, daß alle sei-ne Untergebenen sich von den Steuerele-menten zurückziehen sollten. Dadurch wur-de vermieden, daß es durch einen unbedach-ten Steuerbefehl zu zufälligen Eingriffen indie Funksteuerung der Orbitstation Frilyankam.

*

Die Station wuchs dunkel vor ihnen auf,ein unregelmäßiger Schattenwurf gegen denLichtschein des Planeten. Die MAUKHANwurde weiter abgebremst, und die Bekassuim Schiff machten sich auf den Weg zurHauptschleuse. Dort aktivierten sie die inte-grierte Bildübertragung und verfolgten dieendgültige Annäherung an das Dock. DieTatsache, daß das Schiff bis zum Rumpf derStation geholt wurde, zeigte ihnen, daß derRegierungsrat des Orsa-Systems die Andeu-tung ernst nahm.

Frilyan war jetzt vollständig zu erkennen.Die Station besaß die äußere Form einesfliegenden Bekassu. Sie stellte das aus Erzgebogene Idealbild dar, eine Erinnerung analte, vorgeschichtliche Zeiten, als ihre Vor-fahren noch durch die Lüfte geglitten waren.Damals mußte die. Schwerkraft Kassubansgeringer gewesen sein als heute. Die Flugei-genschaften der Bekassu hatten den Normenaller Flugwesen entsprochen und sich erstspäter zurückentwickelt. Vermutlich war esunter dem Einfluß der zunehmendenSchwerkraft geschehen, doch es gab auch et-liche Berichte von Wissenschaftlern, aus de-nen hervorging, daß der Verlust der Flugfä-higkeit parallel einherging mit der Zunahmeder Intelligenz. Direkte Beweise dafür gabes bisher nicht, und fest stand lediglich, daßdas Volk der Bekassu lange Zeit traurig undwenig entwicklungsfähig auf seinem Hei-matplaneten Kassuban gelebt hatte. Tech-

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nisch hatte es sich äußerst mühsam fortent-wickelt, Religion und Vielgötterglaube hat-ten die Wissenschaftler behindert. In einerPhase, in der der Glaube an die Götter lang-sam abnahm und sich neue Zweige in Kunstund Wissenschaft entwickelten, waren dieSternreisenden gekommen und hatten denBekassu das Geschenk der Raumfahrt ge-bracht. Anfangs hatte sich das Volk schwer-getan, all die unbegreiflichen Dinge zu ver-stehen. Dann aber hatte der Ruck vorwärtseingesetzt, und sie hatten selbst die erstenRaumschiffe gebaut.

Von diesem Zeitpunkt an hatten die Be-kassu Dankbarkeit gegenüber den Fremdenvon den Sternen verspürt, und sie hatten mitBegeisterung auf das Gebot der Götter rea-giert, das in ihren Augen ein faires Angebotdarstellte. Nie hatte es Schwierigkeiten ge-geben, nie hatte auch nur ein einziger Bekas-su Zweifel an dem Sinn des Gebots ange-meldet. Regelmäßig waren besonders Be-gabte unter ihnen ausgewählt worden, umauf die Ankunft des Ewigkeitsschiffs zuwarten und dann an Bord zu gehen.

Erst jetzt sah es aus, als sei das Volk derBekassu an einem entscheidenden Wende-punkt angekommen, an dem all das insWanken gebracht wurde, was bisher als Re-gel gegolten hatte.

Die MAUKHAN dockte mit einem kaumspürbaren Ruck an dem Haupttrichter derUnterseite des Rumpfes an. Zriengho stelltemit dem linken Auge fest, daß Radonzu sichan seiner Seite befand. Der Auserwählte hat-te sich nach vorn gearbeitet, und der Kom-mandant krümmte unwillig den Kopf. Au-genblicklich bewegte sich Radonzu einStück nach rückwärts und brachte zum Aus-druck, daß er dem Kommandanten das Vor-recht ließ, sich als erster in den Leib Fri-lyans hinüberzuschwingen.

Eine dunkelrote Lampe glomm auf,gleichzeitig begann sich das Schott vor ih-nen zu bewegen. Die Lamellen glitten sir-rend auseinander, die Gummidichtungenschnellten zurück. In Sichtweite öffnete sichein zweites Schott, dahinter standen Solda-

ten mit schußbereiten Waffen. Einer von ih-nen zog ein Meßgerät.

»Sie sind unbewaffnet«, hörte Zrienghoseine Stimme. Die Soldaten rückten ausein-ander, und die Zentrale-Besatzung derMAUKHAN setzte sich in Bewegung. Ra-donzu folgte dem Kommandanten eilig, alsdieser sich an einer der beiden Griffstangenabstieß und hinübersegelte in das Innere derStation.

Frilyan war klein, aber dennoch groß ge-nug. Die Tunnel besaßen eine Länge, dieaufgrund der linearen Anordnung den Ein-druck der Endlosigkeit erweckten. Sie lagenin gedämpftes Blaulicht getaucht, und diedunklen Öffnungen der Abzweigungen wa-ren auf optischem Weg kaum zu erkennen.Zriengho gab sich erst gar keine Mühe, dieUmgebung mit allen Einzelheiten in sichaufzunehmen. Er folgte den Soldaten, diemit schlafwandlerischer Sicherheit durch dieSchwerelosigkeit der Station glitten und sichso geschickt von einer Stange zur anderenbewegten, als hätten sie es von ihrer Geburtan geübt. Sie verschwanden plötzlich nachlinks in die Lichtlosigkeit, und der Kom-mandant wurde dadurch so überrascht, daßer im ersten Augenblick vergaß, seine Infra-rot-Sinne zu Hilfe zu nehmen. Er prallte mitder linken Seite seines Körpers gegen dieWandung des Tunnels und fing sich unge-schickt ab. Seine Arme schlangen sich umdie Längsstange. Er brachte seine unkontrol-lierte Bewegung zum Stillstand und gab sicheinen neuen Impuls. Er holte zu den Solda-ten auf und achtete nicht darauf, daß seinFehler die ihm Folgenden in arge Bedräng-nis gebracht hatte. Radonzu mußte seine Be-wegung unterbrechen, und die übrigen Be-kassu aus der MAUKHAN hatten alle Mü-he, nicht mit dem Auserwählten zu kollidie-ren. Sie hätten es sich nie verziehen, wennsie ihn angerempelt oder gar seine Häuteverletzt hätten.

Ein immer wieder auftretendes Summenzeigte den Raumfahrern, wo sich dieSchwerkraftprojektoren der automatischenFallen befanden, die jetzt ausgeschaltet wur-

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den. Sie begleiteten sie bis in das Zentrumdes Schiffes, an dem Wohnbereich mit denNischenhallen und unter den Kabinenbahnenvorbei bis zum Ratssaal, einem kugelförmi-gen Gebilde, das frei schwebend aufgehängtwar. Jede Erschütterung der Kugel konnte inihrem Zentrum zu unliebsamen Schaukelbe-wegungen führen, weshalb die Raumfahrervon den Soldaten mehrmals belehrt wurden,daß sie sich vorsichtig und möglichst lautloszu bewegen hatten. Die Außenseite der Ku-gel wies viele Öffnungen auf, die beschriftetwaren. Die Bekassu hatten keine Probleme,sich zu orientieren. Seit dem Beginn ihrerAusbildung zum Astronauten hatten sie sichdie Namen der hundert unterschiedlichenEbenen eingeprägt, die nicht nach ihrer Hö-he gestaffelt waren, sondern nach ihrer Lagezum Mittelpunkt der Kugel.

Zriengho orientierte sich an den rotenBuchstaben, die ihm den Eingang zu Pau-dorn wiesen. Er trennte sich von seinerMannschaft. Alle Bekassu strebten ausein-ander, und der Kommandant verlor den Aus-erwählten aus den Augen. Radonzu befandsich auf dem Weg, die Kugel teilweise zuumrunden. So besagte es die Einteilung. Erbetrat die Kugel von einer anderen Seite,und der Gedanke daran führte Zriengho vorAugen, daß der Auserwählte im Innern eineEbene belegen würde, die ranghöher war alsseine eigene. So wollten es die Regeln undGesetze.

Der Kommandant erreichte den Eingangvon Paudorn und blickte sich nochmals um.Die Soldaten hatten sich zurückgezogen. Siebewachten alle Tunnel, die vom Schiffszen-trum wegführten. Beim geringsten Zwi-schenfall würde niemand von hier entkom-men.

Aber wer dachte schon an einen Zwi-schenfall. Die Unruhe der Soldaten rührtelediglich vom Erscheinen und dem seltsa-men Verhalten des fremden Schiffes her, dasdie gesamte Raumarmee des Orsa-Systemsalarmiert hatte. Zrienghos geheimnisvolleAndeutungen mußten den Rat in helle Auf-regung versetzt haben, und der Kommandant

mußte daran denken, was ihm blühte, wennseine Mitteilungen nicht ernst genommenwurden.

Er schob sich durch die Öffnung, die sichhinter ihm schloß. Ein grünes Leuchten ausnicht erkennbaren Lichtquellen lag im In-nern der Kugel. Paudorn erstreckte sich vorihm, und Zriengho streckte alle vier Glied-maßen aus und griff nach den weichen Pol-stern, die auf der Ebene angebracht waren.Langsam zog er sich vorwärts, stetig be-müht, auch die geringste Erschütterung zuvermeiden. Griff für Griff arbeitete er sichso vorwärts. Paudorn wurde nach vorn zuimmer schmaler, eine Ebene wie alle ande-ren, die spitz und keilförmig zulief und imNichts kurz vor dem Zentrum der Kugel en-dete. Seitlich von ihr, über ihr und aus vielenanderen Richtungen ragten die übrigen Ebe-nen wie Stacheln herein, die den Raum inder Mitte bedrohten. Sie stellten jedoch kei-ne Bedrohung dar, sondern lediglich ein Ab-bild der Strukturen jener Ratshöhlen, in de-nen die Bekassu seit altersher ihre Beratun-gen abgehalten hatten.

Zriengho erreichte die Spitze Paudornsund ließ sich in die Mulde gleiten. Er hieltsich fest und begann seinen Atem zu kon-trollieren. Vorsichtig äugte er in Richtungdes Stangenbogens, der für die Mitgliederdes Rates reserviert war. Die Stangen blie-ben noch leer, der Rat wartete, bis alle ihreEbenen durchquert hatten und sich in ihrenMulden befanden.

Zriengho blickte nach links und rechts,nach oben und unten. Er entdeckte Radonzu,der sich schräg über seiner Position auf einerEbene befand, die sich dadurch auszeichne-te, daß die Ruhewanne nicht in die Spitzeder Ebene eingelassen war. Sie war als eineArt Fortsatz der Ebene vorgebaut. Der Aus-erwählte befand sich dem Rat folglich einekleines Stück näher als alle anderen Bekas-su.

Zriengho seufzte innerlich. Er war nichtneidisch, aber er hätte sich gewünscht, ein-mal an der Stelle eines Auserwählten zusein. Das Schicksal hatte es jedoch anders

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bestimmt, und der Bekassu hatte sich damitabgefunden. Je näher ein Auserwählter ei-nem der Planeten kam, auf dem er das Ewig-keitsschiff erwarten wollte, desto höher stiegsein Ansehen, desto mehr Achtung wurdeihm von seinen Artgenossen entgegenge-bracht. Er wurde beinahe schon wie ein Gottbehandelt, wenngleich es in der heutigenZeit müßig war, über die Bedeutung desWortes »Gott« zu diskutieren. Im Zeitalterder Raumfahrt und der Besiedlung andererSternsysteme stellte »Gott« mehr einen hi-storischen Begriff dar als ein Synonym füreine Macht im Hintergrund. Es gab Athei-sten, die den Begriff völlig ablehnten, aberauch sie kamen nicht darum herum, mit demBegriff einen wesentlichen Teil des Fort-schritts ihres Volkes zu verbinden.

Endlich gewahrte der KommandantSchatten zwischen den Ebenen. Die zwölfMitglieder des Rates trafen ein. Nein, ertäuschte sich. Es waren nur elf. Sie glittenunruhig durch die Schwerelosigkeit und lan-deten genau an den Biegungen der Stangen,die ihnen zugedacht waren. Zriengho er-kannte den uralten Ajsinghau, der das Amtdes Sprechers innehatte.

»Ich heiße euch im Namen des Volkeswillkommen«, verkündete er mit leiser Stim-me, kaum daß er Halt an seiner Sprecher-stange gefunden hatte. »Ich begrüße beson-ders Radonzu, den Auserwählten. Wir wol-len warten, denn noch befindet sich Gwe-rander nicht unter uns. Der Rat wird baldeintreffen.«

Zrienghos Gedanken begannen zu rebel-lieren. Die ganze Zeit wartete er darauf, daßihm das Wort erteilt wurde. »Was ist, wenndie Fremden uns vernichten, während wirwarten?« wollte er rufen. Im letzten Augen-blick besann er sich. Er mußte sich beherr-schen und der Würde des Rates Rechnungtragen. Also schwieg er.

*

Gwerander befand sich bereits auf demWeg zur Kugel, als er innehielt. Es bestand

keinerlei Notwendigkeit für ihn, sein Infrat-rotsehen zu aktivieren. Dennoch spürte er insich das Verlangen, es zu tun. Das bedeuteteauf alle Fälle, daß sich jemand in der Nähebefand, der sich ihm zugehörig fühlte.

Gwerander wußte, daß dies nur eine Per-son sein konnte, nämlich Eheenza. Es wider-sprach aller Logik, denn Eheenza konntesich nicht in Frilyan befinden. Das war ein-fach nicht möglich. Gwerander hätte es er-fahren, wenn sein Kind mit einer der Fährenvom Planeten heraufgekommen wäre.

Dennoch konnten ihn seine Sinne nichttäuschen. Er glitt weiter und stellte fest, daßseine Empfindungen immer stärker wurden,je weiter er sich dem Zentrum Frilyans nä-herte. Gwerander schwante Übles. Er be-schleunigte seine Fortbewegung, stieß sichmit großer Heftigkeit an den Stangen ab undsegelte schräg durch die Tunnel. Er erreichteeine der Kreuzungen. Ohne sein bewußtesZutun schaltete er auf Infrarotsehen um undmusterte die verschiedenen Einmündungen.Er entdeckte einen Körper, der weit vor ihmin der Richtung trieb, in die er sich bewegte.

Hastig griff er an den Stangen um undfolgte dem Körper. Er holte auf und stelltefest, daß der andere anhielt und ihm dannentgegenkam.

Er war es also. Aber wie kam er in dieStation?

Mitten im Tunnel trafen die beiden Be-kassu zusammen.

»Eheenza, wie kommst du hierher?« DieStimme des Rates drückte eine Mischungaus Tadel und Verwunderung aus. »Wir ha-ben Alarm. Du müßtest längst in einem derBunker unter der Oberfläche sein!«

Es war Eheenza, sein einziges Kind. Erhatte es wohlbehütet auf Kassuban geglaubt,aber Eheenza hatte sich als unzuverlässig er-wiesen. Gwerander beschloß, daß es nichtbei einem bloßen Tadel bleiben konnte.

»Sei mir nicht böse, Eiter«, sagte der jun-ge Bekassu traurig. »Ich wollte dir nicht wehtun. Aber man hat mich gedemütigt. DieEntscheidung war nicht rechtens. Ich habedieselben Leistungen erbracht wie alle ande-

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ren Prüflinge. Dennoch hat man mich nichtgenommen. Ich bin heimlich an Bord einerder Fähren geschlichen, die zuerst Jaymenund danach Frilyan anflog. Ich bin gekom-men, weil ich dem Rat mein Anliegen vor-tragen will. Ist er nicht auch dafür da, daßUngerechtigkeiten vermieden werden? Ichwollte es mit einem Besuch bei dir verbin-den. Ich bin so froh, dich zu sehen. Kannstdu mir …«

»Schweig!« herrschte Gwerander ihn an.»Hast du vergessen, daß wir im Alarmzu-stand sind? Daß wichtige Dinge bevorste-hen? Wir wissen nicht, was die nächstenZeiteinheiten bringen werden. Und dakommst du mit deiner Beschwerde! Du bistdurchgefallen, man hat dich abgelehnt. Dubist mein Kind und hast die Kraft, diese Ent-täuschung zu überwinden. Also jammerenicht. Und beschwere dich nicht! Als Kindeines Rates hast du es nicht nötig, dich zubeschweren. Komm!«

Gwerander packte Eheenza und zerrte ihndavon. Er brachte ihn in eine der kleinenAufmerksamkeitssektionen. Dort gab er demPersonal Anweisungen. Er wußte, daß es zurZeit zu gefährlich war, Eheenza mit einerFähre nach Kassuban zu bringen. Also truger den Angestellten auf, sein Kind zu beauf-sichtigen und erst nach Aufhebung desAlarms auf dem schnellsten Weg hinab zumPlaneten zu bringen.

»Warum haßt du mich eigentlich?« schrieEheenza. »Ich will sowieso nicht hierblei-ben. Ich gehe gern, denn der Aufenthalt inder Schwerelosigkeit ist schädlich für unsBekassu. Er verweichlicht unser Volk zusehr!«

Wieder so ein Aufbegehren einer nichtausgereiften Seele, dachte Gwerander. Erüberlegte, ob Eheenza vielleicht so wider-spenstig geworden war, weil er in den letz-ten Jahren als Rat seines Volkes nicht mehrsoviel Zeit für sein Kind gehabt hatte. Erschob den Gedanken zur Seite und machteeine Geste der Beruhigung.

»Ich hasse dich nicht. Aber du hast gegendie Gesetze verstoßen, die für Frilyan gelten.

Glaubst du, du hast es als Kind eines Ratesnicht nötig, dich an die Gesetze zu halten?«

Mit diesen Worten ließ er Eheenza zurückund machte sich auf den Weg zur Kugel.

Als Gwerander seinen Platz eingenom-men hatte, konnte Zriengho es kaum mehrerwarten. Alle seine Vorsätze, sich ruhig zuverhalten, halfen nichts mehr. Seine Hautfal-ten begannen zu rascheln, und er beobachte-te Ajsinghau. Der Sprecher beherrschte sichvollkommen und reagierte nicht auf die Stö-rung. Er faßte die Worte zusammen, mit de-nen Zriengho von Bord seines Schiffes ausdie Dringlichkeit seiner Mission begründethatte.

»Sprich nun«, forderte Ajsinghau ihn auf.»Dein Schicksal liegt in deiner Hand!«

Die Worte sprudelten nur so aus demKommandanten hervor. Paudorn begann zubeben, und ein Zwischenruf des Sprechersmachte ihn darauf aufmerksam, daß er kurzvor der Auslösung einer Katastrophe stand.Zriengho beherrschte sich mühsam und war-tete, bis die ruckartigen Bewegungen seinerEbene aufgehört hatte. Dann schilderte erdas Ergebnis ihres Zusammentreffens mitder ALHANGUE.

»Dieses Schiff, von dem sie verfolgt wur-de, steht jetzt am Rand unseres Heimatsy-stems. Es sind die Fremden, und wie ihrmeinen Darlegungen entnommen habt, gibtes keinen Zweifel daran, daß sie mit denSternreisenden identisch sind, denen unserVolk so vieles verdankt. Ich weiß nun, daßes unsinnig ist, die Flotte in Alarmbereit-schaft zu halten. Die Götter könnten es alsweiteres Zeichen der Feindschaft auslegen.Und was dann?«

»Schweig jetzt!« sagte Ajsinghau. »Es istSache des Rates, die Schlußfolgerungen zuziehen. Ich bitte um Ruhe!«

Unter den zwölf Ratsmitgliedern war eineaufgeregte Diskussion entstanden. Ein Teilder Besatzung der MAUKHAN mischte sichein. Nur der Kommandant und der Auser-wählte schwiegen in diesen Augenblicken.Sie warteten, bis sich der Lärm gelegt hatte.Sie beobachteten Ajsinghau, der seine Stan-

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genbiegung verließ und zu Radonzu hin-überschwebte. Er klammerte sich am Randder Mulde an und musterte den Auserwähl-ten.

»Wenn das alles der Wahrheit entspricht,dann sind wir verloren«, schrillte er. »Wirkönnen nicht zurück. Jede Bewegung vonuns ist ein Ausdruck der Feindseligkeit.Dennoch, gibt es nicht einen Ausweg?«

»Das Ewigkeitsschiff wird nicht mehr er-scheinen«, jammerte Radonzu. »Die Götterzürnen uns. Ich bin umsonst ausgewähltworden. Ich habe meinen Lebenssinn ver-fehlt. Ich bin nichts mehr wert. Ist es nichtgerecht, wenn ich den Tod durch die Handder Götter finde?«

Niemand vermochte ihm darauf eine Ant-wort zu geben. Nach einer Weile des bitte-ren Schweigens kehrte Ajsinghau zu seinerStange zurück, »Bisher haben wir es vermie-den, mit dem fremden Schiff Kontakt aufzu-nehmen. Wir wollten noch warten und beob-achten, wie sie sich verhalten. Wir haben er-wartet, daß sie von sich aus zu uns sprechen.Jetzt wissen wir, daß dieses Verhalten einFehler war. Wir müssen sie anrufen. Wirmüssen ihnen sagen, daß wir uns unterwer-fen. Alles ist ein schrecklicher Irrtum. Esbleibt uns nichts anderes übrig, als um Gna-de für unser Volk zu bitten. Mögen unsereWohltäter die Verantwortlichen bestrafen.Wir müssen die ALHANGUE herbeischaf-fen, so schnell es geht. Die Übeltäter müssenausgeliefert werden!«

Keiner der Bekassu wagte einen Wider-spruch. Sie waren alle viel zu verwirrt, umeine sinnvolle Antwort zustande zu bringen.

War es nicht bereits zu spät? Flog dasSchiff nicht schon die ersten Angriffe aufdie Planeten und Stationen? Es kam keineAlarmmeldung, und in der Kugel war es sostill geworden, daß nicht einmal Atemzügezu hören waren. Die Räte berieten sich laut-los, durch Gesten und Gebärden. Ihre Kör-persprache war stärker entwickelt als die derdurchschnittlichen Bekassu. Zriengho ver-stand nur einen Teil davon. Als die Rätedann zur Bewegungslosigkeit erstarrten,

hoffte er darauf, daß Ajsinghau etwas sagenwürde, was ihn von seinem inneren Druckbefreite.

Er täuschte sich jedoch. Der Sprechermachte ihm keinen Mut. Im Gegenteil.

»Wir haben den fremden Sternreisendendas größte Geschenk zu verdanken, das je-mals einem Volk zuteil wurde«, erklärte er.»Die Raumfahrt hat es uns ermöglicht, unsüber fünfzehn Sonnensysteme und einenRaumsektor mit einem Radius von 25 Licht-jahren auszudehnen. Freudig haben wir dasGebot der Götter befolgt, und es hat nieSchwierigkeiten gegeben. Die Warnung derGurrads kam zu spät. Der Fehler ließ sichnicht vermeiden. Bekassu, finden wir unsdamit ab. Ich werde die Verhandlungen lei-ten. Nichts würde uns schwerer treffen, alswenn die Sternreisenden ihre helfende Handvon uns nehmen würden!«

Seine Worte hinterließen in allen Anwe-senden einen tiefen Eindruck. Ajsinghaumachte ihnen ein Zeichen, und sie begannen,ihre Positionen zu verlassen und über dieEbenen nach draußen zurückzukehren. Dorthatten sich inzwischen Hunderte von Solda-ten postiert. Sie nahmen sie in Empfang undgeleiteten sie in eine große Halle, die sichals das Steuerzentrum Frilyans entpuppte.Wieder warteten sie, bis Ajsinghau einge-troffen war und seinen Platz auf der vorder-sten Stange einnahm.

»Ich nehme Funkkontakt mit den Götternauf«, verkündete er. »Steht mir bei. Gebt mirKraft, damit ich den Mut nicht verliere.Vielleicht gelingt es uns, durch ein kleinesOpfer ein großes Opfer zu vermeiden undunser Volk zu retten.

Die Allmacht verleihe uns Flügel!« Errührte damit an die Grenzen des Erträgli-chen, denn die Bekassu wurden an ihre kör-perliche Unzulänglichkeit erinnert, die ihnenimmer wieder zu schaffen machte. Ajsing-hau rief die Allmacht an, den Inbegriff allenGottseins.

Sie verstanden ihn so, daß er das Volk derBekassu innerlich längst aufgegeben hatte.

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4.

»Wie eine Falle sieht das nicht aus!« IanLongwyn vermied es, Bully anzusehen,während er redete. Gerade Reginald hatteständig von einer Falle gewarnt, und nie-mand hatte ihn von seiner Meinung abbrin-gen können. Der untersetzte Terraner nahmdie Worte des Piloten der CIMARRONstumm hin und musterte den Bildschirm.

Das Orsa-System lag auf der der Milch-straße abgewandten Seite in der Peripherieder Großen Magellanwolke, 22000 Lichtjah-re vom Rashta-System entfernt. Orsa selbstwar eine orangerote Sonne mit der andert-halbfachen Masse von Sol. Sie besaß elf Pla-neten, von denen der fünfte Kas-suban hießund die Heimatwelt der Bekassu darstellte.Das Kassuban-Jahr dauerte 320 Terra-Tage,der Tag 27,4 Stunden. Die Entfernung desPlaneten zu seiner Sonne betrug 180 Millio-nen Kilometer, der Durchmesser 13 880 Ki-lometer. Die Schwerkraft lag nur wenig über1g. Um Kassuban herum zeigte die Ortungeine große Anzahl metallischer Konzentrati-on. Das waren Hunderte von Raumstationenund Raumforts. Diese und die Transitions-schiffe hatte es damals nicht gegeben, als dieKosmische Hanse ihre ersten Kontakte zudiesem Volk geknüpft hatte.

Die Ortung der anderen Planeten ergab,daß die Bekassu diese erforschten, sie je-doch nicht in großem Maßstab kolonisierthatten, weil sie offensichtlich für ihreZwecke nicht geeignet waren.

»Die Falle wird für das Wild immer erstsichtbar, wenn es sich darin befindet«, kom-mentierte Lalande Mishkom ihre Ansichtdes Problems. »Aber jetzt mal im Ernst.Was wollen wir tun?«

»Du sollst dich über die Funkanlage beu-gen«, sagte Perry Rhodan leise. »Ich über-lasse dir die hohe Ehre, den Flottenkode derHanse abzustrahlen!«

»Du glaubst doch nicht etwa im Ernst,daß …« Bully schwenkte den Sessel herum.

Rhodan lächelte ihn ein wenig spöttisch

an.»Dicker, ich glaube sehr viel. Ich glaube

sogar, daß es die Station noch gibt. Viel-leicht finden wir dort die Antwort auf dieFrage aller Fragen.«

Bullys Kinnlade klappte herunter. EinenAugenblick später schloß sie sich beinahegegen seinen Willen, und der Terraner fuhrmit dem Kopf herum, drohte dann Guckymit der Faust.

»Laß gefälligst meinen Kopf in Ruhe!«donnerte er. »Sonst wirst du etwas erleben!«

»Die Frage aller Fragen ist, ob die Hanse-Spezialisten etwas damit zu tun haben, daßdieses Volk bereits den Transitionsflugkennt und eine eigene Raumflotte unterhält,obwohl es sich vor siebenhundert Jahrenrund hundert Jahre vor der Entwicklung er-ster Raketensysteme befunden hat«, dozierteder Mausbiber ungerührt. »Da wir das ausbloßen Beobachtungen nicht herausfindenkönnen, müssen wir uns wohl oder übel dar-an halten, was sich an Informationen in Han-se-Syntrons befindet. Lalla, wie sieht esaus?«

Die Kopilotin des Schiffes wartete rundzwei Minuten. In dieser Zeit ging der Kodepausenlos über Normal- und Hyperfunk hin-aus und richtete sich auf jeden Felsbrockendes Orsa-Systems. Vor allem aber ging erzum fünften Planeten, durchdrang die Leer-räume zwischen den Stationen und Konglo-meraten und suchte sich den Weg auf dieOberfläche.

»Nichts!« Lalla lehnte sich zurück.»Entweder schlafen die alle, oder sie habenes vorgezogen, sich auf Französisch zu ver-abschieden!«

»Wäre das so unwahrscheinlich?«Alle blickten Perry Rhodan an. Es war lo-

gisch, daß sich die Kosmische Hanse nichtmehr hier befand. Es gab sie in ganz Magel-lan nicht mehr, und sie hatten sie auch nir-gendwo in den anderen Kugelhaufen desHalos gefunden.

Sie hatten nur zwei Dinge gefunden. Denleeren Kampfanzug Icho Tolots und den tod-geweihten Geoffry Abel Waringer. Wie also

Das Gebot der Götter 19

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konnten sie erwarten, daß sie außerhalb derMilchstraße auf eine intakte und besetzteStation der Hanse treffen würden. Sie hattenja nicht einmal eine Ahnung, ob die Hansenoch existierte. Sie hatten vergebens nachHinweisen auf die Kosmischen Basare Aus-schau gehalten.

Die ehemaligen Sporenschiffe der SiebenMächtigen waren ebenso verschwunden wiealles andere, was Rückschlüsse auf die Völ-ker der Milchstraße zuließ.

»Ich wette, die Bekassu oder die Gurradsstecken dahinter!« orakelte Bully. »Es wirdZeit, daß wir den Planeten anfliegen. Los,Ian, gib endlich Gas!«

Die CIMARRON beschleunigte und über-schritt die Bahn des elften Planeten. Die Or-tung meldete ein Antennenschiff, das in dasSystem einflog. Seine Maße stimmten nichtmit denen des Schiffes überein, dem sie ge-folgt waren. Sei hörten den Funkverkehrmit, der in Bekassisch geführt wurde. DieTranslatoren der CIMARRON waren inzwi-schen auf diese Sprache geeicht. Es war voneiner geheimsvollen Sache die Rede, und siehing mit dem Schiff zusammen, das aufAontan gewesen war. Soviel hörten sie her-aus. Sie beobachteten, wie das Antennen-schiff Kurs auf Kassuban nahm. Die CI-MARRON folgte langsam und scheinbar oh-ne besondere Eile. Längst hatte sie festge-stellt, daß die gesamte Raumflotte des Sy-stems sich in Abwehrposition begeben hatte.Die Transitionsschiffe bildeten einen weitenKugelring um den fünften Planeten und dieRaumstationen.

»Lalla!« sagte Rhodan. »Wir sollten unsdie Position merken, die von dem Antennen-schiff angeflogen wird!«

Sie überquerten die Bahn des zehnten undneunten Planeten, und die CIMARRON be-schleunigte und raste dicht an der achtenWelt vorbei. Zwischen dem siebten undsechsten Planeten schwenkte sie in eine ho-he Bahn um Orsa ein.

Die Galaktiker warteten. Sie hätten durch-aus die Möglichkeit besessen, Funkkontaktzu den Bekassu herzustellen. Perry verbot es

jedoch. Er wollte diese Wesen nicht unterDruck setzen, und er nahm deshalb solcheRücksicht, weil er an Guckys telepathischeBeobachtungen dachte. Die Bekassu warenharmlose Wesen, die selbst nicht einmal ge-nau wußten, warum die Gurrads sich so in-tensiv um sie bemühten.

Eigentlich, zumindest verstand Rhodan esso, waren diese Wesen innerlich gar nichtreif dazu, den Weltraum zu erobern und an-dere Sonnensysteme zu besuchen. Es be-stand kein inneres Gleichgewicht zwischenihrer kulturellen Entwicklung und dem tech-nischen Fortschritt.

Oder täuschten sich die Exopsychologenda, die jene Kleinigkeit auswerten, die sieim Orsa-System beobachteten?

Perry erkundigte sich nach Salaam SiinsBefinden. Der Ophaler befand sich auf demWeg der Besserung. Er schwebte nicht mehrin Lebensgefahr. Er konnte nur das wieder-holen, was er kurz nach seiner Rückkehr zurHARMONIE und zur CIMARRON schongesagt hatte. Die Bekassu waren harmloseWesen, die nichts dafür konnten, daß er seinVordringen beinahe mit dem Leben bezahlthatte. Sie hatten sich rührend um ihn geküm-mert, und er hatte deutlich ihren Schmerzgespürt, als sie hatten erkennen müssen, daßsie ihm nicht helfen konnten. Ein solchesVerhalten legten keine Wesen an den Tag,die sich in kriegerischer Absicht unterwegsbefanden oder denen ein Leben nichts be-deutete.

Rhodans Augen suchten die von Bully.Der Freund hielt den Kopf in die Hände ge-stützt. Er dachte nach, und Perry konnte denZwiespalt beinahe körperlich spüren, derden Dicken erfüllte. Er hätte viel darum ge-geben, jetzt ein Wort sagen zu können, dasalle Mißverständnisse endgültig ausräumte.Ein solches Wort fiel ihm nicht ein, und sowidmete er sich wieder dem Warten auf eineAntwort.

Aber die Hanse-Station schwieg, obwohlsich Kassuban weiterdrehte und die Funkan-lage noch immer den Kode sendete.

Zwei Stunden später verließ die CIMAR-

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RON den Orbit um Orsa und beschleunigtein Richtung Kassuban. Sie überschritt dieBahn des sechsten Planeten und näherte sichKassuban bis auf zehn Millionen Kilometer.Transitionsschiffe veränderten die Positio-nen und bildeten in Flugrichtung einenTrichter, der nach Kassuban hin immerschmaler und dichter wurde. Die Bekassuwaren offensichtlich zu allem entschlossen.

Viereinhalb Stunden dauerte dieses Ma-növer, und die CIMARRON hob ihre Fahrtfast völlig auf.

Lalande Mishkom lenkte mit einem Aus-ruf die Aufmerksamkeit auf die Bildschirm-systeme. In die Antennenschiffe kam Bewe-gung. Sie schwärmten plötzlich auseinander.Sie beschleunigten mit Maximalwerten, dieim Vergleich zur CIMARRON natürlich lä-cherlich wirkten. Sie verschwanden in demVerteidigungsring, aus dem sie zuvor ge-kommen waren.

»Was soll das nun wieder heißen?« IanLongwyn schlug gegen die Armlehnen sei-nes Sessels. »Ist das eine stillschweigendeEinladung?«

Eine Antwort erübrigte sich. Die Funkan-lage sprach an, die Syntronik stellte automa-tisch den Empfangsrichter ein. BekassischeWorte klangen auf und wurden beinahe syn-chron übersetzt.

»Der Rat von Kassuban steht zu eurerVerfügung, Sternreisende«, erzählten dieAkustikfelder. »Er bedauert es zutiefst, daßeuch Unrecht geschehen ist. Verfügt überunser Volk und unsere Welt. Wir werdeneuch die Verantwortlichen ausliefern mit derBitte, sie nach eurem Ermessen zu bestrafen.Das Volk der Bekassu bittet euch um Gnadefür den unglückseligen Irrtum. Nie habenwir beabsichtigt, gegen das Gebot der Götterzu verstoßen oder gar euch selbst anzugrei-fen. Wir sind zutiefst beschämt. Ich selbst,Ajsinghau, biete euch mein Leben an. Bittefolgt nun der Funkstrecke bis nach Frilyan.Seid uns willkommen wie immer. Alle Torestehen euch offen. Wir bitten euch, über unszu richten!«

Die Anwesenden starrten sich sprachlos

an. Ian Longwyn schüttelte den Kopf undtrat einen Schritt zurück. Er deutete auf dasMikrofeld, das sich aufbaute. Er selbst woll-te die Antwort auf diesen Funkspruch nichtgeben.

»Was in aller Welt war das?« hauchteBully entsetzt. »Sind diese Wesen überge-schnappt? Oh, ich verstehe. Sie tun, alskönnten sie kein Wässerchen trüben!«

»Du irrst dich!« Rhodan trat vor das Feldund holte tief Luft.

»Hier spricht der Kommandant der CI-MARRON!« meldete er sich. »Wir habeneuren Funkspruch empfangen. Wir werdender Funkstrecke folgen und nach Frilyankommen. Wir werden mit dir sprechen, Aj-singhau!«

»Wir dürfen kaum mit eurer Gnade rech-nen«, kam die Antwort. »Aber vielleichtverschont ihr wenigstens einen Teil unseresVolkes!«

Perry gab Lalande einen Wink. Sie unter-brach die Funkstrecke.

»Mir geht langsam ein Licht auf«, pfiffGucky. »Es paßt gut in die Vorstellung, dieich mir von den Bekassu mache. Sag mal,Bully, hast du jemals ein schlechtes Gewis-sen gehabt?«

Bully wußte nicht, ob er lachen oder wei-nen sollte. Schließlich entschied er sich, demErnst der Lage Rechnung zu tragen. Er nick-te.

»Fein. Dann kannst du dir ungefähr vor-stellen, wie das ist, wenn ein ganzes Volkein schlechtes Gewissen hat!«

»Nein, Kleiner. Das nicht!«»Dann wirst du es erleben. Die Bekassu

sind untröstlich. Und offenbar verwechselnsie uns mit jemand. Es wird einiges zu klä-ren sein, wobei ich vorschlage, daß wir austaktischen Gründen nicht alle Trümpfe ausder Hand geben sollten.«

»Wovon sprecht ihr eigentlich?« mischtesich Vee Yii Ly mit schrillem Zirpen ein.Der Cheftechniker des Schiffes wackelte mitseinem langen Hals.

»Wir reden von dem Vorfall mit SalaamSiin«, pfiff Gucky beinahe ebenso schrill.

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»Oder was hast du denn gedacht, Vee Yii Lyvon Kadlang?«

Longwyn hatte das Schiff inzwischen ander Funkbrücke orientiert und beschleunigtedie CIMARRON. Sie näherte sich dem Kor-don der Raumstation bis auf ein paar tau-send Kilometer und bremste dann erneut ab.Zwei Stunden später ging sie an der fleder-mausähnlichen Station Fri-lyan längsseits,und die Besatzung wartete auf weitere An-weisungen.

»Eine Station in der Gestalt eines Bekas-su«, stelle Eirene fest. »Wie sollen wir dieseWesen einordnen?«

»Am besten gar nicht«, sagte Bully ge-reizt. »Am liebsten würde ich in der CI-MARRON bleiben. Aber jemand mußschließlich auf euch aufpassen!«

*

Aus den Schilderungen des Ophalerswußten sie, daß die Bekassu zur Gattung derFledermausähnlichen gehörten. Jetzt standensie ihnen zum ersten Mal von Angesicht zuAngesicht gegenüber. Bekassu erinnerten inihrem Umrissen, an ein keilförmiges Flug-zeug aus Papier, bei dem die Tragflächenmehrfach übereinandergefaltet waren. Dereigentliche Rumpf wurde dadurch zumgroßen Teil verdeckt und in seinen Konturenundeutlich. Bekassu standen aufrecht undstützten sich mit dem flossenähnlichen Steißam hinteren Ende des Körpers ab. Sie maßenzwischen zwei und knapp drei Metern undwirkten äußerst gedrungen. Auf der Vorder-seite des Körpers besaßen sie zwei tentakel-artige Beine und ebensolche Arme, die aller-dings etwas kürzer waren und verkümmertwirkten. Die Arme endeten in Greiflappen,mit denen diese Wesen ihre klobigen Waf-fen hielten.

Rhodan und seine Begleiter sahen sichum. Sie waren in ihren SERUNS bis zurSchleuse geflogen, in der sie erwartet wur-den. Jetzt hatten sich die Lamellenschottegeschlossen, und die ziemlich enge Kammermit den Stangen links und rechts füllte sich

mit Luft. Die SERUNS ermittelten, daß essich um eine Sauerstoffatmosphäre handelte,die für die Menschen atembar war.

Entschlossen klappte der Terraner denHelm zurück. Schwerkraft herrschte in dergesamten Station keine, die Schutzanzügehatten die Gravoregler hochgeschaltet, sodaß die erdübliche Schwerkraft von 1gherrschte.

Die Soldaten legten die Waffen an dieWandung der Kammer und warfen sich da-neben. Sie klammerten sich an den Stangenfest, um nicht den Halt zu verlieren.

»Ajsinghau unterwirft sich und seinVolk«, sprudelten sie hervor. Ihre Stimmenklangen, als seien diese Wesen permanentheiser. Die Sprache klang abgehackt undmurmelnd, als besäße sie keine Vokale.»Tötet uns. Kein Opfer ist uns für unserVolk zu hoch!«

Rhodan trat vor. Er streckte die Arme aus.»Euer Leben ist euch geschenkt. Wir wer-

den niemand töten.«Die Leiber mit den mausähnlichen Schä-

deln und den dunklen, blicklos wirkendenAugen erstarrten. Ob die Worte einenSchock oder nur Erstaunen auslösten, konn-ten die Terraner nicht erkennen. Bully spiel-te mit dem Knauf des Strahlers, der an sei-nem Gürtel hing. Er hatte sich nicht damitbegnügt, sich wie seine Kameraden auf dieDefensivschirme des SERUNS zu verlassen.

Es dauerte Minuten, bis sich endlich einerder Bekassu rührte.

»Der Rat erwartet euch. Bitte folgt mir.Ich werde mich bemühen, euch so gut wiemöglich zu führen!«

Er warf sich herum und stieß sich an einerder Stangen ab. Mit geschmeidigen Bewe-gungen trieb er durch die Schwerelosigkeitdavon. Die Gänge innerhalb der Station Fri-lyan waren in Form von Röhren gebaut, unddie mündeten meist in kleineren Hallen. An-tigravs oder ähnliche Einrichtungen gab eskeine in der Station, und die Terraner begeg-neten keinem einzigen Bekassu. Die Wesenhatten sich zurückgezogen.

Angst und Ehrfurcht leiteten sie, da war

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sich Rhodan inzwischen sicher. Und die Un-terwerfung stellte offenbar die höchste Stufealler Möglichkeiten der Bekassu dar, sichfür einen Fehler zu entschuldigen. Erwarte-ten sie tatsächlich, daß es ihnen ans Lebenging?

Sie erreichten das Zentrum der Station mitder Kugel. Rhodan entdeckte zwölf Bekas-su, die in einer Traube mitten in der Schwe-relosigkeit hingen. Sie waren an ihren Ten-takeln zusammengebunden und hielten dieKöpfe unter ihren Häuten verborgen. Derbekassische Führer wich zur Seite aus.

»Was soll das?« donnerte Bully. »Waswird hier gespielt?«

»Der Rat des Volkes von Kassuban bietetsich als Opfer für die getane Schmach an.Wir haben uns an euch versündigt, deshalbmöchten wir an Stelle unseres Volkes ster-ben!« Einer der Gefesselten bewegte denKopf. »Ich bin Ajsinghau. Ich bin für allesverantwortlich!«

In Rhodans Gesicht arbeitete es. Er wußteviel zu wenig von der Mentalität der Bekas-su, um den Vorgang genau beurteilen zukönnen. Aber er wirkte weder lächerlichnoch übertrieben auf ihn. Im Gegenteil. Erwurde sich erst jetzt des Ernstes der Lagebewußt. Die Bekassu erwarteten ein Urteilvon ihnen. Offensichtlich verwechselte mansie mit jemand, zu dem die Bekassu bereitsKontakt gehabt hatten.

Der Anblick der gefesselten Bekassuweckte Ekelgefühle in dem Terraner.

»Bindet sie los, aber schnell!« herrschteer den Soldaten an, der sie herbegleitet hatte.Dieser zuckte zurück und prallte gegen dieWandung der Kugel mit den vielen Öffnun-gen. Rhodan mußte seine Aufforderungzweimal wiederholen, ehe der Bekassu end-lich begriffen hatte, was er wollte. Er löstedie Fesseln und verbarg sie an seinem Kör-per. Die Mitglieder des Rats bewegten sichlangsam und drifteten auseinander. Einerschwebte auf Rhodan zu.

»Wir sind voller Angst«, sagte er. »Nehmtihr unser Opfer nicht an? Wir wissen, daßwir gesündigt haben. Unser Volk ist bereit,

die Strafe auf sich zu nehmen!«»Ajsinghau, höre mir zu. Ich bin Perry

Rhodan, der Kommandant der Expedition,die sich auf den Welten der Gurrads aufge-halten hat. Wir sind nicht gekommen, umeuch zu bestrafen.«

Der alte Bekassu mit der fleckigen Hautäugte nach links und rechts. Er drehte denKopf hin und her und sah Rhodan und seineBegleiter aufmerksam an.

»Sternreisende, wir heißen euch nochmalswillkommen«, verkündete er dann. »Euchgebührt das Recht, die Ratskugel zu betre-ten, die sonst nur Mitgliedern unseres Vol-kes zugänglich ist. Bitte folgt mir und mei-nen Begleitern. Wir werden euch in die ver-schiedenen Ebenen einweisen!«

Die Terraner wurden durch Öffnungen indas Innere der Kugel geführt. Sie betratendie Ebenen und wurden zu ihren Enden ge-wiesen. Die Ratsmitglieder drifteten davonund suchten die geschwungenen Stangen imZentrum der Hohlkugel auf.

»Unser Volk hat gefehlt«, fuhr Ajsinghaufort. Sein Körper bebte, und er ruckte immerwieder an der Stange hin und her. »Es hatein Wesen aus dem Schiff der Sternreisen-den schwer verletzt und dem Tod überant-wortet. Nie in der Geschichte des Reicheshätte es einen solchen Irrtum geben dürfen.Wir Bekassu sind friedfertig und dienen demGebot, das ihr einst erlassen habt, mit Freu-de und Begeisterung. Deshalb sind wir be-reit, jedes Opfer zu bringen, um euch zu ver-söhnen.«

»Bully an Perry«, meldete Rhodans SE-RUN. Er legte den Kopf in den Nacken undsah sich um. Schräg über sich erkannte erden Freund an der Spitze seiner Ebene.

»Was gibt es?« erkundigte sich Rhodan.»Wir sollten uns nicht totschwatzen las-

sen. Die halten uns hin. Das ist eindeutig.Du solltest Alarm an die CIMARRON ge-ben!«

»Warte ab und laß mir Zeit, Dicker!«Rhodan wandte sich an Ajsinghau. »Wirsind nicht gekommen, um ein Opfer voneuch zu verlangen«, erklärte er. »Alles be-

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ruhte auf einem schrecklichen Irrtum. Sa-laam Siin hatte seinen Gesang nicht unterKontrolle. Deshalb verloren die Bekassubeinahe den Verstand. Wenn sich jemand zuentschuldigen hat, dann sind wir es. Wir ha-ben auf dem Mond Aontan die Hoheitsrech-te der Shanganten verletzt und sind unbefugtin euer Schiff eingedrungen. Wir entschuldi-gen uns dafür. Es stand nicht in unserer Ab-sicht, euer Volk zu verwirren. Von einerSchuld eures Volkes kann keine Rede sein.Niemand wird dafür bestraft. Ihr könnt wei-ter in Frieden leben!«

Ajsinghau ließ seine Stange los undschnellte sich Rhodan entgegen. An derSpitze der Ebene klammerte er sich an. DerBekassu ragte keinen Meter von dem Terra-ner entfernt auf.

»Sagst du die Wahrheit?« fragte er. »Ihrwollt keine Sühne für unsere Freveltat?«

»Nein, denn wir haben sie mitverschul-det!«

Die Ratsmitglieder begannen erregt unter-einander zu murmeln, bis ihr Sprecher siemit einem Ruf zum Schweigen brachte. Aj-singhau breitete seine Flughäute auf eineWeite von etwa fünf Metern aus und botRhodan den ungeschützten Körper dar, eineGeste, die vermutlich Erleichterung undFreude bedeutete. Vielleicht sogar Freund-schaft.

»Wir sind erleichtert. Ihr dürft uns glau-ben, wir wollen diese Kontakte mit den Gur-rads nicht. Solange wir uns in unserem eige-nen Reich bewegen und dem Gebot der Göt-ter dienen, gibt es keine Mißverständnisse.Aber immer wieder wünschen die Gurrads,daß wir uns auf einen Pakt einlassen. Wirsind kein Volk, das nach Macht strebt. Wirdienen euch, mehr wollen wir nicht. Ihr habtuns einst das großartigste Geschenk ge-macht, das es für ein Volk geben kann. Seidunsere Gäste. Doch zunächst will ich euchversichern, daß unser Mitgefühl jenem We-sen gilt, dessen Tod wir verschuldet haben!«

»Salaam Siin ist nicht gestorben«, beeilteRhodan sich zu sagen. »Er wurde gepflegtund befindet sich außer Lebensgefahr. Es

geht ihm besser!«Die Mitteilung rief große Freude unter

den Bekassu hervor.»Dann wird also das Ewigkeitsschiff wie

immer erscheinen?« rief Ajsinghau.Niemand von Rhodans Gruppe wußte,

was das Ewigkeitsschiff war. Der Terranerzögerte mit der Antwort.

»Wenn es regelmäßig kommt, wird esauch weiter kommen«, sagte er schließlichausweichend.

»Wir wissen gar nicht, wie wir euch dan-ken können, ihr Götter von den Sternen. Ihrseid unsere Gäste. Seht euch um. Genießt al-le Vorzüge des Orsa-Systems. Besucht eurealte Station. Überzeugt euch, daß wir nichtsverändert haben. Die Werke der Götter sinduns heilig!«

Davon war Rhodan inzwischen absolutüberzeugt. Er nahm die Einladung an. Nachein paar formellen Worten kehrten sie in dieHalle außerhalb der Kugel zurück. Ajsing-hau selbst begleitete sie bis zu der Schleuse,von der aus sie in ihr Schiff zurückkehrenwollten.

»Unser Volk wird voller Freude über eureEntscheidung sein«, murmelte er immerwieder. »Die Gnade der Götter möge ewigüber uns leuchten!«

Bully hatte sich in den Heckbereich seinesSchiffes zurückgezogen. Er suchte den Han-gar 3 auf und dort die Halle, die abgeteiltworden war. Er näherte sich der silbernenWand, und die Wand begrüßte ihn mit ei-nem Lichtzeichen und sagte: »Guten Abend,Mister Bull. Ich hoffe, Sie hatten einen an-genehmen Tag!«

»Danke, Hamiller!« Bully beschloß, soverbindlich wie möglich zu tun. »Ich hattesogar einen sehr guten Tag. Allerdings gibtes Probleme mit der Bewertung des Volkes,in dessen Reich wir gelangt sind.«

»Sie meinen das Volk der Bekassu, Mi-ster Bull. Ich habe mich dazu schon geäu-ßert. Zudem bin ich über den gesamtenFunkverkehr informiert. Es sind einigeMerkwürdigkeiten zu verzeichnen. WennSie mich fragen, dann agieren die Bekassu

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als eine Art verlängerter Arm der Gurrads.Die Gurrads benutzen sie, um ihre Machtüber die Große Magellanwolke zu festigen.Vielleicht sind die Bekassu sogar mit jenengeheimnisvollen Wesen identisch, die fürdie Zustände in der Milchstraße verantwort-lich sind!«

»Das ist kompletter Schwachsinn, Hamil-ler!« widersprach Bully. »Ich will lediglichwissen, wie man hinter das Geheimnis derBekassu kommen könnte.«

»Durch Verhöre, Mister Bull. Bringen Sieein paar dieser Wesen an Bord und schlie-ßen Sie die entsprechenden Geräte an meineSyntronik an. Dann wird sich in kürzesterZeit herausstellen, was im Orsa-System ge-spielt wird!«

»Glaubst du nicht, daß es wirksamer ist,wenn Einsatzgruppen den fünften Planetenerkundigen und sich unter der Bevölkerungumsehen?«

»Die Gefahr ist zu groß. Die Gruppenkönnten verschwinden, und dann wäre in-nerhalb kürzester Zeit die gesamte CIMAR-RON entvölkert. Um dies zu verhindern,gibt es nur eine wirksame Methode.«

»Welche denn?«»Schaffen Sie die Voraussetzungen, daß

ich das Kommando über das Schiff antretenkann. Dann wird es keine Gefahren mehr ge-ben!«

Bully schloß kurz die Augen. HamillersWahnsinn drang wieder deutlich an dieOberfläche. Die Syntronik bildete sich wirk-lich ein, sie könnte die Macht ergreifen. Daslag jedoch nicht im Interesse der Besatzung.Wer flog schon gern mit einem unberechen-baren und verrückten System, das zudemnoch die Vorzüge aller syntronischen Gerätebesaß und für sich ausnutzte!

»Dies wird nicht geschehen, Hamiller. Dakannst du dich drauf verlassen!«

»Schade, Mister Bull. Ich dachte, Sie wä-ren auf meiner Seite! «

»Ich brauche lediglich deine Hilfe, falls eswirklich zu dem kommt, was ich befürchte.Ich will eine Möglichkeit der Rückversiche-rung, falls jemand versucht, sich der CI-

MARRON und ihrer Besatzung zu bemäch-tigen!«

»Da sind Sie bei mir richtig, Sir!«Bully wandte sich um und stapfte zur Tür.

»Schwätzer«, murmelte er noch, dann war erdraußen.

5.

Über vierzig Zeiteinheiten suchte Drofiilanach Nudalgo. Als er ihn endlich entdeckte,geschah es nur deshalb, weil Nudalgo geruh-te, sich ein wenig zu bewegen. Dabei ra-schelten seine Häute ein wenig, und Drofiilawurde auf den Schatten aufmerksam, dergänzlich mit dem Stamm des mächtigenUzirma-Baumes verschmolzen war.

»Da oben steckst du«, haspelte der Bekas-su drauflos. »Ich bin nicht der einzige, dersich auf die Suche nach dir gemacht hat. Et-wa zwanzig Artgenossen durchkämmen diegesamte Hochflora nach dir.«

»Die gesamte?« kam es als leises Echozurück.

»Die gesamte diesseits der Berge, ja!«»Das ist äußerst merkwürdig!«Nudalgo entschloß sich endlich, vom

Stamm herunterzusteigen. Für einen Bekas-su stellte das Herabhangeln an dem glattenStamm eine gefährliche Angelegenheit dar,die nur von guten Kletterern zur Zufrieden-heit bewältigt werden konnte. Nudalgo ge-hörte zu ihnen, und er war stolz darauf, die-ses seltene Geschick zu besitzen. Manchmalträumte er dort oben in den Astgabeln denTraum seines ganzen Volkes, und es war derTraum des Fliegens. Nudalgo sah dann denWeltraum zwischen den Planeten als ein luf-terfülltes Medium mit geringer Schwerkraft,durch das er zusammen mit seinen Artge-nossen trieb, dem Weg der Sonne folgend.

»Es ist überhaupt nicht merkwürdig«, wi-dersprach Drofiila. »Schließlich ist die Ent-scheidung gefallen. Und du weißt nochnichts davon. Sind dir die Sternreisenden amHimmel noch nicht aufgefallen?«

»Hier gibt es keinen Himmel, nur das grü-ne Dach«, rasselte Nudalgo. Er hatte die Hö-

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he des Bodens erreicht und ließ sich auf alleviere sinken. Wie ein Geschoß raste er da-von und beendete seinen Lauf erst, als er au-ßer Sichtweite war. Drofiila folgte ihm eilig.

»Du willst überhaupt nicht wissen, worumes sich handelt!« warf er ihm vor. »DieSternreisenden waren in Frilyan und habenihre Entscheidung gefällt!«

»Ich will die paar Zeiteinheiten, die mirund uns allen als Frist bleiben, noch genie-ßen. Ich will sie in der Natur verbringen, dieuns geboren hat. Deshalb habe ich mich hierversteckt!« Nudalgo stellte sich auf denSteiß und peitschte mit seinen Tentakeln ge-gen die Blätterranken und die großblättrigenGräser, die den gesamten Waldboden be-deckten. »Und jetzt laß mich in Ruhe!«

Drofiila wich zurück und holte Anlauf. Errannte gegen Nudalgo an, brachte ihn ausdem Gleichgewicht und warf ihn um.

»Die Götter haben uns verziehen!« bellteDrofiila unmäßig laut. »Sie bestrafen unsnicht. Es wird keine Toten geben, und Kas-suban wird nicht zerstört werden. Das ist es,was ich dir zu melden habe!«

Nudalgo lag still und ließ die Worte aufsich einwirken. Endlich breitete er seineFlughäute aus, holte tief Luft und sprang miteinem Satz empor. Seine dunklen Augenhatten sich geweitet, und er deutete mit denArmen hinauf zum nicht sichtbaren Firma-ment.

»Du meinst, sie haben den Rat geholt undsonst niemand!«

»Auch der Rat ist noch auf seinem Platz.Die Fremden haben uns nicht bestraft. Rei-nige deine Hörkanäle, Nudalgo. Der Frem-de, der von den Besatzungsmitgliedern derALHANGUE verletzt wurde, ist außer Le-bensgefahr. Es geht ihm besser!«

»Den Göttern sei Dank!« Nudalgo spraches voller Inbrunst und Erleichterung. »Ichglaube dir. Ich werde dich begleiten!«

»Wir werden nach Bauson gehen«, sagteDrofiila, als sei es das Normalste der Welt.

Nudalgo stockte.»Nach – Bau – son?« dehnte er. »Was

sollen wir dort?«

»Die Sternreisenden, die uns einst dieRaumfahrt brachten und uns das Gebot derGötter auferlegten, kommen nach Kassuban.Sie werden die Station besuchen und ent-decken, was geschehen ist. Sie werden dierichtigen Schlüsse ziehen, denn sie sind wei-se. Also müssen wir nach Bauson. Gebenwir ihnen zurück, was ihnen gehört!«

Nudalgo fiel nach vorn. Er ließ sich inden weichen Untergrund sinken. Er gab einPfeifen und Quietschen von sich, und Dro-fiila ertrug es mit Geduld. Er wiederholteseine Worte mehrmals und lauschte dann,daß der Bekassu ihm eine Antwort gab.

»Niemals!« Nudalgo richtete sich auf.»Nichts in Bauson ist gestohlen. Alles istrechtmäßiges Fundgut. Die Fremden könnenes nicht von uns fordern!«

»Sie werden es kaum tun. Aber sie habenGnade vor Recht ergehen lassen, deshalbsind wir in ihrer moralischen Schuld. Wasist Moral, Nudalgo?«

Die Antwort blieb unausgesprochen imRaum stehen. Nudalgo gab ein merkwürdi-ges Knurren von sich, das Drofiüa von frü-her her kannte. Es stellte seinen persönli-chen Ausdruck von Nachgeben und gleich-zeitiger Entschlossenheit dar. Drofiila freutesich, denn er hatte den Anführer von damalsschon so gut wie herumgekriegt.

»Was ist, wenn ich mich weigere?« er-kundigte sich Nudalgo. »Wenn ich hier inder Hochflora bleibe und nicht mehr zurück-kehre?«

Die Frage war rein rhetorisch, das wußtensie beide. Bekassu hielten es nicht lange al-lein aus. Irgendwann flüchteten sie zurück inden Schutz und die Geborgenheit der Artge-nossen.

»Wir haben es bereits beschlossen. Wirhaben uns am Kreuzpunkt getroffen, und dieanderen warten dort auf uns.«

»Wer ist ›wir‹?«»Alle, die dir damals geholfen haben. Al-

le, deren Anführer du warst, Nudalgo!«Der Bekassu setzte sich in Bewegung und

schritt den unsichtbaren Pfad entlang, denDrofiila gekommen war, um ihn zu suchen.

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Gemeinsam durchschritten sie das Zentrumder Hochflora und gelangten an den Varka-matusfelsen, einen spitz in die Landschaftragenden Stein, dessen Vorderseite nicht be-wachsen war. Der Stein besaß eine Felsader,die an der Oberfläche des Planeten in Rich-tung der Sonne lief und weit hinter derHochflora in der Steppe endete, dort, wofrühere Kanalprojekte das blühende Land ineine Fast-Dürre verwandelt hatten.

Das Gehen auf der heißen Steinadermachte den beiden Bekassu zu schaffen.Mehrmals warfen sie Blicke zurück auf denhohen Felsen und träumten davon, hinaufzu-steigen und durch die Lüfte zu gleiten, dieHochflora im Flug zu überqueren und dannirgendwo in der Ebene weich zu landen.

Sie zählten nicht die Zeiteinheiten, die sieunterwegs waren, bis sie den Kreuzpunkt er-reichten. Ihre Artgenossen hatten sich gela-gert, alle Sucher waren zurück. Sie gönntenihnen eine kleine Ruhepause, dann machtensie sich auf zum Steg. Sie bestiegen einender Wagen und schlugen den Weg nachBauson ein. Die Winde wehten günstig, undnach einer Weile schaltete Drofiila denRückstoßantrieb aus. Ruhig glitt der Wagenauf seiner Bahn, und von seiner Kanzel aushatten sie einen guten Ausblick hinüber zuden Küstenstädten. Dunkel ragten die Sil-houetten gegen das orangefarbene Licht derScheinwerfer, die den dicht verhangenenHimmel anstrahlten und ihn heller erschei-nen ließen, als er in Wirklichkeit war. Orsawar nie zu sehen, höchstens in einem Fallgroßer planetarer Katastrophen, wenn dieWolkenbänke auseinanderrissen. Die Bekas-su hatten im technischen Zeitalter nie einesolche Katastrophe erlebt, dennoch fürchte-ten sie sich davor.

Sie fuhren durch das Land der Sümpfe,und der Himmel verlor den letzten Scheinder Stadtlampen. Er leuchtete hellgrau, undsie konnten jede einzelne Wolkenbank an ih-rer Helligkeit oder Düsternis erkennen undderen Höhe ermessen. Die Wolken zogenhoch dahin, eine außergewöhnliche Tatsachein dieser Jahreszeit. Sie brachten sie mit der

Ankunft der Sternreisenden in Zusammen-hang und mit der bevorstehenden Ankunftdes Ewigkeitsschiffs.

Kurz vor dem Nachmittag erreichten sieBauson.

Die Stadt lag verlassen da. Die Häuserwirkten bereits vom Steg aus teilweise unge-pflegt und verfallen. Niemand lebte hiermehr, die Bekassu waren bereits vor vielenPlanetenläufen nach Thurben und Namkorausgewandert, zwei der Stationen im äuße-ren Wohnring des planetaren Orbits, auf derentgegengesetzten Seite von Frilyan. Nie-mand kümmerte sich um die Gebäude, unddie Energieanlagen waren kurz nach derAussiedlung entfernt und in die Lagerstädtegebracht worden. Bauson war nicht nur un-bewohnt, sondern auch unbewohnbar, unddeshalb hatten sie die Stadt damals als Ver-steck erkoren.

Wie damals führte Nudalgo sie. Er wand-te sich nach rechts zu der großen Straßen-schlucht, zählte die Einmündungen bis zumzweiten Dutzend und bog nach rechts ab.Nach zwei Biegungen ging es in einen halbverschütteten Schacht der früheren Tiefbahnhinab. Die natürliche Erosion hatte einenTeil der tragenden Decke und der Seiten-wände einstürzen lassen, so daß sie überlockeren Schutt steigen mußten, der unterihrem Gewicht ins Rutschen kam. Nebenein-ander sausten sie abwärts, bis sie von denSchutzwänden aufgefangen wurden, die siedamals von eigener Hand errichtet hatten.

In der untersten Ebene der Bahn sprangensie unter die Säulen der Metallspur. Sie wir-belten Staub und Rost auf, der sich als roterFilm auf ihre Körper legte. Er nistete sich inihren Häuten ein und verursachte Juckreiz.

Endlich fanden sie an der zweiundsiebzig-sten Säule das geheime Zeichen. Nudalgoöffnete den Boden und betätigte den verbor-genen Mechanismus. Er arbeitete auf me-chanischer Basis, denn Energie gab es nicht.Ein Krächzen und Kreischen kam auf, alssich ein Teil der Wand hinter ihnen öffnete.Dunkelheit herrschte darin, doch die Bekas-su hatten keine Probleme, sich zu orientie-

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ren. Sie aktivierten ihre Nachtsinne und tra-ten ein.

Alles lag so, wie sie es damals unterge-bracht hatten. Die Schätze waren vollzählig,und sie nahmen an sich, was sie einst herge-bracht hatten. Sie entfalteten Taschen auspflanzlichem Gewebe und schoben die grö-ßeren Gegenstände hinein. Viele kleine Din-ge brachten sie in den vielen Hauttaschen ih-res Körpers unter. Ein paar große Brockenmußten sie gemeinsam tragen. Sie schafftenalles hinaus, und Nudalgo verschloß dasVersteck sorgfältig und warf Dreck gegendie Wand, um die Ritzen zu verbergen. Werweiß, vielleicht konnte ihnen das Versteckzu einem späteren Zeitpunkt nützlich sein.

In einer langsamen Prozession kehrten siezum Steg zurück. Sie schleppten die Lastenunter Aufbietung aller ihrer Kräfte. Der Wa-gen sackte deutlich ab, als sie ihn beludenund anschließend in den Zwischenräumenihrer Ladung Platz nahmen. Der Wagendrehte, und sie machten sich auf den Rück-weg. Ihr Ziel war die oberste Stadt an derKüste. Dort wollten sie auf das Eintreffender Sternreisenden warten, um ihnen ihr Ei-gentum zurückzugeben, das sie so lange Zeitals Schätze aufbewahrt hatten.

*

Götter von den Sternen waren sie genanntworden. Die Götter hatten ein Gebot erlas-sen, und von diesem Gebot hatte kein Besat-zungsmitglied der CIMARRON eine Ah-nung. Es schien direkt mit dem Geschenkzusammenzuhängen. Auch davon wußtensie nichts, sie konnten höchstens Vermutun-gen anstellen. Zunächst war es erfreulich,daß die Bekassu ihnen volles Vertrauenschenkten, aber das konnte sich schnell än-dern, wenn sie erfuhren, daß ihre Gäste nichtdiejenigen waren, für die sie sie hielten.

In dem relativ kleinen Kommandoraumder CIMARRON wurde großer Kriegsratgehalten. Die einhellige Meinung war die,daß die Besatzung des Schiffes die Ver-wechslung zunächst einmal mitspielen soll-

te. Das Angebot, sich frei auf Kassuban undden anderen Welten und auch in den Statio-nen umsehen zu können, gab ihr die Bewe-gungsfreiheit, die sie benötigte.

Erstens wollte Bully den Bekassu genauauf die Finger sehen und nach den vermeint-lichen Niederlassungen der Gurrads for-schen, zweitens wollte Perry in Erfahrungbringen, was aus der Station der Kosmi-schen Hanse auf Kassuban geworden war,die sich nicht gemeldet hatte.

Bully traute dem Volk der Fledermausab-kömmlinge noch immer nicht über den Weg.

»Da stecken doch allein Selbstzweck undHinterhältigkeit drin«, murrte er, als derKriegsrat beendet war und die Einteilung derGruppen bevorstand. »Erkennt ihr den Ego-ismus der Bekassu nicht? Weil sie uns fürdie sogenannten Sternreisenden halten oderfür deren Nachkommen, sind sie freundlichzu uns. Sie wissen, daß sie auf uns angewie-sen sein könnten. Das geht, glaube ich, ausihrem Gerede hervor. Wüßten sie, daß wirdamit nichts zu tun haben, dann würden sieuns längst zum Teufel wünschen. Sie sind janicht gerade ausländerfreundlich, wenn ihrwißt, was ich damit sagen will.«

Sie wußten es. Manche schienen sogarmehr zu wissen als er. Jemand tippte ihmvon hinten auf die Schulter. Es war Gucky.Der Mausbiber hatte sich auf die Zehenspit-zen gestellt und sich lang gemacht, um dieSchulter erreichen zu können.

»Mein Freund aus einer anderen Welt«,sagte er mitleidig, »du vergißt etwas. Duvergißt, daß die Kosmische Hanse schon dawar. Und wer wie du die Hanse kennt, derist sich klar darüber, daß es in Zeiten derNot nach der großen Katastrophe durchausmöglich gewesen sein kann, daß die Hanseihre Neutralitätspflicht verletzte und den Be-kassu eine Möglichkeit eröffnete, sich ausdem Galaktischen Krieg herauszuhalten.Was spricht denn dagegen, daß das Prinzipdes Transitionsflugs und andere Gimmicksvon Hanse-Spezialisten stammen, die diesezurückließen, bevor sie den Stützpunkträumten?«

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Gucky machte einen Schritt zur Seite.Bully starrte ihn mit offenem Mund an. DerMausbiber genoß es sichtlich, den Dickenüberrascht und entwaffnet zu sehen. Er war-tete, bis Bully den Mund zumachte, dannklatschte er Beifall.

»Lange hat es gedauert, aber er hat es ka-piert«, verkündete der Ilt.

Reginald Bull, eingedenk seiner ganzenWürde als Kommandant der CIMARRON,lief rot an. Er streckte die Arme aus, umGucky zu fassen, aber der Mausbiber zog esvor, sich mit einem kurzen Teleportersprungin Sicherheit zu bringen.

»Seht ihr?« schrillte er. »Er verträgt dieWahrheit nicht. Da macht man sich die Mü-he und denkt mit, und was erntet man?Nichts als Undank und Angriffe auf die per-sönliche Gesundheit. Wie soll man es mitdiesem Menschen in einem Raumschiff aus-halten. Ich verabschiede mich. Die Fleder-mäuse haben so viele Stationen hier, wennihr nichts dagegen habt, werde ich mich einwenig darin umsehen!«

Er verschwand übergangslos, und sieblickten ihm erheitert nach. Das war Gucky»live«, und es konnte ihm niemand böse dar-über sein. Er war eben so, und sie kanntenihn lange genug, um sich nicht von ihm insBockshorn jagen zu lassen. Sogar Bully be-ruhigte sich wieder, nachdem er eine Weilevor sich hingegrummelt hatte.

Die Erkundungskommandos wurden zu-sammengestellt. Sie entsprachen der Anzahlder vorhandenen Beiboote. Die CIMAR-RON führte zwei überlichtschnelle Space-Jets mit Metagrav-Antrieb mit sich sowiefünf kleine Unterlichtboote, die besondersbei Planetenlandungen als Landungsfährenbenutzt wurden. Sieben Gruppen also warenes, die ausschleusten, und es wunderte nie-mand, daß sich alles, was Rang und Namenhatte, an dem Ausflug nach Kassuban betei-ligte. Im Schiff blieb ein Großteil der Crewunter dem Kommando von Lalande Mish-kom zurück.

»Immer trifft es den Hirsch in derBrunft«, orakelte sie, was ihr so manchen

anzüglichen Blick einbrachte. Sie stutzte,lachte laut auf und deutete auf Ian Longwyn,der gerade zum Antigrav stapfte.

»Ich meine ihn«, verkündete sie laut.»Gebt acht, daß er die Bekassu nicht reihen-weise verführt!«

»Hier spricht Gucky«, klang es aus einemder Akustikfelder. »Das ist nicht gut mög-lich, es sei denn, er fühlt sich zu beiden Ge-schlechtern hingezogen!«

Sie fragten sich, was diese Äußerung nunwieder zu bedeuten hatte. Aber Gucky mel-dete sich nicht mehr. Der Syntronverbundteilte mit, daß der Mausbiber das Schiff ver-lassen hatte.

Die Gruppen machten sich auf den Weg.Sie suchten die Beiboote auf und schleustenaus. Lediglich Space-Jet 1 blieb noch in ih-rem Hangar. Perry Rhodan wartete noch.Der Terraner hatte den Hangar betreten unddann kehrtgemacht. Er hatte sein Ziel nichtgenannt, aber er hatte gemurmelt, daß erschnell nach nebenan gehen wollte.

Seine Kameraden ahnten, was er damitsagen wollte. Nebenan befand sich Hamiller.Was wollte Rhodan von der Syntronik ausder BASIS?

Sie hofften, es schnell zu erfahren. Siewurden jedoch enttäuscht. Bis zu RhodansRückkehr vergingen Stunden.

*

Die Milchsuppe unter ihnen sah wenigverheißungsvoll aus. Sie begann in hundertKilometern Höhe, und den ersten Messun-gen der Space-Jet nach umfaßte sie den ge-samten Planeten. Bully konnte sich anstren-gen wie er wollte, er fand keine einzigeLücke darin. Kassuban hüllte sich in einenundurchdringlichen Wolkenmantel, und derTerraner malte sich in seiner Phantasie aus,was sie darunter vorfinden würden. Er hattegenug Zeit dazu, denn die Suppe endete erstin vierzig Kilometern Höhe, und darunterzogen kilometerdicke Wolkenbänke vorbei,die von grellen Lichterscheinungen umran-det waren.

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Jan, der die Space-Jet 2 steuerte, stieß dieLuft zwischen den Zähnen hervor.

»Siehst du das?« knurrte er. »He, Vee undso weiter, wenn wir nicht aufpassen, danngibt es noch ein Unglück. Wie stark mögendie elektrischen Kräfte dieser Wolken sein?«

»Sie sind fast Null!«Die drei Insassen des Diskusschiffes fuh-

ren herum und starrten den Freiherrn an.Freiherr von Dittelbrunn hatten sie ihn ge-nannt. Er war in den Werkstätten der CI-MARRON gebaut worden, eine Konstrukti-on in den Proportionen eines Terraners. SeinKörper war mit einer vollständigen Biomol-plasthaut verkleidet worden, und die Mimikdes Gesichts arbeitete so hervorragend, daßein Uneingeweihter nie auf die Idee gekom-men wäre, es mit einem Roboter der Bord-generation zu tun zu haben, worunter dieAngehörigen der CIMARRON die Zeit ver-standen, die sie seit ihrer verspäteten Rück-kehr in die Lokale Gruppe verbracht hatten.Der Nachschub aus der Milchstraße war ih-nen versperrt, also mußten sie sich auf dieBordlager und ihre eigene Findigkeit verlas-sen. Freiherr von Dittelbrunn stellte sozusa-gen ein Konglomerat aus vielen Ersatzteilendar, die nicht unbedingt für einander be-stimmt gewesen waren. Herausgekommenwar ein beweglicher Analyseautomat, voll-gestopft mit allerlei Spezialgeräten teilweiseaus siganesischer Herstellung. Er besaßeinen mageren Körper und ein großflächigesGesiebt mit vorstehenden Wangenknochen.Dominierend in diesem Gesicht waren diegroßen, dunklen Augen und der Vollbart un-ter den wild wuchernden Haaren. Der Bartnahm dem Gesicht die robotische Härte, unddie winzigen Motoren spielten auf Pro-grammbefehl ihr ganzes Repertoire an Mi-mik ab. Der Freiherr grinste, blickte ernstund ein wenig verträumt und machte fastgleichzeitig ein weinerliches Gesicht, daß eszum Lachen reizte.

»Wer hat diese Murkskonstruktion herge-bracht?« knurrte Bully. Der Roboter sah ihnaus einer Mischung von Zuneigung und Ab-scheu an. Er wirkte beleidigt und erfreut zu-

gleich.Vee Yii Ly meldete sich. Es war seine

Idee gewesen, und er hatte an der Konstruk-tion der Maschine mitgewirkt. Die miniatu-risierten Ortungssysteme stammten aus demLager, das dem Cheftechniker direkt unter-stellt war.

»Ditty hat recht«, sagte Ian aus dem Pilo-tensitz. »Ich kann es jetzt auch anmessen. Eshandelt sich um eine Art Elmsfeuer, schwa-che elektrische Ladungen unter ganz be-stimmten Bedingungen. Sie stellen keineBedrohung für uns dar!«

Er ließ die Jet weiter absinken, den be-drohlich blitzenden Bänken entgegen. DieWindturbulenzen, mit denen der Diskus ge-rade noch gekämpft hatte, verschwandenübergangslos. Die Atmosphäre wurde ruhig,und die Jet tauchte in die Wolken ein. Siewurde Bestandteil der winzigen Flämmchen,die am Rand der Diskusscheibe entlangtanzten. Etwa eine halbe Minute dauerte es,dann verschwanden sie übergangslos. DieSpace-Jet durchstieß den Wolkenhimmelund drang in den freien Luftraum über derPlanetenoberfläche ein.

Von der Oberfläche selbst war mit blo-ßem Auge nicht viel zu erkennen. Sie lag inewigem Dämmerlicht da. Die Jet und derRoboter unternahmen getrennte Ortungenund kamen zu dem Ergebnis, daß auf Kas-suban ein Treibhausklima herrschte. DieSonne kam nie durch, aber die Atmosphärespeicherte genug Wärme, damit die Bekassuleben konnten. Der Kohlendioxid-Zyklushatte in der Entwicklung des Planeten offen-sichtlich einen anderen Weg genommen, alsdies bei der Erde und der Venus der Fall ge-wesen war.

»Wo soll ich landen?« fragte Longwyn.Bully musterte das, was der Lichtverstär-

ker ihn von der Oberfläche erkennen ließ.Kassuban bestand zu drei Fünftem aus Was-ser, und die beiden Großkontinente lagenantipodisch zueinander. Deutlich war die üp-pige Flora zu erkennen, die den Rand desKontinents bedeckte, dem sie sich im Sink-flug näherten.

30 Arndt Ellmer

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»Höhe halten«, entschied der untersetzteTerraner. »Wir wollen uns das Landstückeinmal genauer ansehen!«

Sie überflogen den gesamten Kontinent.An den Meeresküsten lagen in unregelmäßi-ger Reihenfolge die Ansiedlungen der Be-kassu. Der Rest der Landmasse wurde vonvielfarbigem Grün bedeckt, das nicht erken-nen ließ, ob sich darunter Leben verbargoder nicht.

Ian Longwyn steuerte die Jet tiefer bis aufeine Höhe von zehn Kilometern. Aus dieserHöhe konnten sie ein paar Konturen ausma-chen. Sie erkannten den Höhenzug mittenim Kontinent, der bis auf etwa dreitausendMeter über der Meereshöhe anstieg. DieGipfel waren kahl und leer, es befand sichkeine Station dort.

Sie versuchten es nochmals mit dem Han-se-Kode. Wieder hatten sie keinen Erfolg.Niemand gab ihnen Antwort, sie empfingenauch kein Kennzeichen einer automatischenAnlage.

Die Unsicherheit machte Bully mißtrau-isch, und er beschloß, sich in keiner Weiseübertölpeln zu lassen. Zwar hatte sich seinMißtrauen gegenüber den Bekassu ein we-nig gelegt, aber seine dumpfen Ahnungenüber heimlich lauernde Gurrads wuchsenmit jeder Minute. Er schwieg darüber, docher richtete sein Handeln danach.

»Wir landen bei einer der Küstenstädte!«entschied er.

Sie kehrten zur Küste zurück. Der Diskusnäherte sich einer Ansammlung von Städten,und sie entdeckten einen Raumhafen, aufdem zwei Antennenschiffe standen. Dorthinsteuerte Longwyn.

Der Tower meldete sich. Die Bekassuüberschlugen sich beinahe vor Entgegen-kommen. Als sie erfuhren, daß die Fremdenauf dem Hafen zu landen gedachten, wolltensie diesen schnell räumen lassen. Bully ver-bot es ihnen.

»Wir kommen mit einem kleinen Schiff,und es hat gut Platz zwischen den anderen.Schließlich ist das Landefeld nicht überbe-legt«, schloß er seine Worte ab. »Richtet

euch also nach unseren Wünschen!«Energetische Aktivität wurde dort unten

dennoch entfaltet. Fahrzeuge rasten hin undher, und als der Diskus in einer elegantenKurve auf das Landefeld zuschwenkte, damachten die Insassen eine Art offenen Ei-senbahnwaggon aus, der auf einem Pneumo-kissen über den Belag des Hafens huschteund sich um die Antennenschiffe herum indie Richtung bewegte, in der die Jet landenwürde.

»Ausweichen!« sagte Bully rasch. »Wirwerden ihnen einen Strich durch die Rech-nung machen!«

»Entschuldigung, aber das wäre ein Feh-ler«, mischte sich Freiherr von Dittelbrunnein. »Wir würden diese Wesen vor den Kopfstoßen!«

Reginald Bull nahm es mit einem ungnä-digen Seufzen zur Kenntnis, daß Longwynauf den Roboter hörte und nicht auf ihn. DerPilot der CIMARRON vollführte einePunktlandung. Er setzte die Jet exakt nebendem Pneumobus ab.

»Vertrauen gegen Vertrauen!« zirpte derBlue von Kadlang, und sie machten sich aufden Weg zur Bodenschleuse.

Eine Abordnung Bekassu erwartete sie.Sie standen abwartend in zwei Reihen linksund rechts neben dem Diskus. Sie ruhten aufihren vier Gliedmaßen und hielten die Köpfezu Boden gesenkt.

»Wir begrüßen die Götter aus dem All.Kommt und seht, wie sich unser Volk ent-wickelt hat. Prüft, ob wir das Geschenksinnvoll verwertet haben.

Wenn ihr unzufrieden seid, dann nehmenwir eure Strafe dankbar entgegen!«

Da war es wieder, dieses Gerede, von Un-terwürfigkeit und Selbstzerstörungsdrang,das Reginald Bull so auf die Palme brachte.Er fragte sich in Dreiteufels Namen, warumdie Fledermausabkömmlinge es nicht end-lich begriffen, daß niemand sie für etwas be-strafen wollte.

Gleichzeitig aber dachte er daran, daß siees sich nicht anmerken lassen wollten, daßsie alles nur für einen globalen Irrtum hiel-

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ten. Die Folgen, wenn es herauskam, mochteer sich noch viel weniger gern vorstellen.Also beschloß er, gute Miene zum bösenSpiel zu machen.

»Wir werden eure Fortschritte prüfen«,verkündete er mit Hilfe seines Translators.»Was wir bisher gesehen und erfahren ha-ben, hat uns sehr beeindruckt. Das Volk derBekassu kann unseres Wohlwollens sichersein!«

Die beiden Reihen von Wesen richtetensich ruckartig auf. Die Augen blieben aus-druckslos, aber die Häute der Bekassu be-gannen vor Erregung zu schlagen. Eines derWesen trat vor.

»Wir sind gekommen, um euch abzuholenund euch euer Gastgeschenk zu zeigen. Ihrkennt die Eigenheiten unseres Volkes, undwir wollen alles tun, damit ihr mit uns zu-frieden seid. Folgt uns zum Steg, geschätzteSternreisende!«

Sie setzten sich hüpfend in Bewegung,und die Galaktiker folgten ihnen, so schnelles zu Fuß ging. Die Bekassu führten sie zueiner Art Rampe mit einem Bahnsteig, ne-ben dem ein geschlossenes Kabinenfahrzeugwartete. Es lief in einer Einschiene, und Bul-ly folgte der hektischen Gestik der Wesenund stieg als erster ein. Die Menschen undder Blue hatten Mühe, mit den Sitzgelegen-heiten der Bekassu zurechtzukommen. Eswaren riesige Sessel, die in der Mitte einetalartige Vertiefung besaßen, in die ein Ter-raner bei der geringsten Ruckbewegung hin-einrutschte, ohne sich an den glatten Seiten-polstern festhalten zu können. Bully und Ianfanden sich damit ab, in dieser Versenkungzu stecken und nur mit Mühe herauszukom-men. Der Roboter blieb gleich stehen, undVee Yii Ly von Kadlang legte sich quer überdas Gepolster und hielt lediglich seinenschmalen Hals aufrecht.

Das Fahrzeug schloß sich und brauste miteinem dunklen Singen davon. Die Ge-räusche wirkten einschläfernd, aber auf dieBekassu hatten sie keinen Einfluß. DerRaumhafen blieb seitlich zurück, die grauebis schwarze Silhouette der Stadt schoß

rechts vorbei. Das Meer tauchte auf, und aufder anderen Seite der Bahn wuchs hoherWald in den Himmel. Die Bäume besaßengut fünfzig Meter Höhe und sahen aus wieRiesenfarne und urtümliche Gewächse mitzahllosen Seitenstämmen und einer Unzahlverschiedener Wurzelstöcke. Die Stöcke al-lein ragten gut zehn Meter in die Höhe undmaßen etwa zwanzig im Durchmesser.

Der Bekassu, der bisher den Sprecher ge-macht hatte und sich durch einen gelbenFleck auf der spitzen Schnauze auszeichne-te, näherte sich ihnen.

»Wenn ihr unbequem sitzt oder etwaseuch stört, dann sagt es«, bat er sie. »Wirwerden uns Mühe geben, den Mangel abzu-stellen. Wir verehren euch, und wir werdenalles tun, damit ihr euch auf Kassuban wohlfühlt. Es ist lange her, daß ihr persönlich zuuns gekommen seid. Ihr schickt immer nurdas Ewigkeitsschiff, das die Auserwähltenaufnimmt und davonträgt!«

Da war wieder dieser Begriff. Ewigkeits-schiff konnte alles und nichts bedeuten. MitSicherheit handelte es sich um ein Raum-schiff, das kam, um Bekassu aufzunehmen,die für irgendeinen Zweck ausgewählt wor-den waren.

Bully wagte es nicht, eine Frage zu stel-len. Er mußte es geschickter anstellen, wenner zum Ziel kommen sollte. Er mußte denoder die Bekassu dazu bringen, daß sie frei-willig erzählten.

»Es ist lange her. Dennoch fühlen wir unshier wie zu Hause!«

»Das ist sehr gut, Erhabenheit!« pfiff derBekassu. »Meine Wenigkeit trägt den Na-men Schaudorbat. Wenn ihr mich braucht,ruft diesen Namen. Ich bin dann immer zurStelle.«

»Gut, Schaudorbat. Wir werden daraufzurückkommen. Was sind das dort fürdunkle Öffnungen im Urwald?«

Bully deutete hinüber zu der vorbeirasen-den Schattenwand der Natur.

»Das sind die Wege zu den Jubiras, Erha-benheit. In ihnen werden die Kinder gebo-ren. Die Jubiras sind nur den Bekassu er-

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laubt, die sich in der Phase der Geburt befin-den. Jubiras gibt es überall am Saum derHochflora. Doch schau nach vorn. Dortwirst du unser Gastgeschenk sehen!«

Bully und Ian strengten ihre Augen an.Sie konnten nichts erkennen. Sie sahen le-diglich eine dunkle Wand, die sich vor derKabinenbahn aufbaute. Je höher sie auf-wuchs, desto heller wurde sie. Langsam ge-wöhnten sich die Augen an die Düsternis aufder Oberfläche dieser Welt, die mit der letz-ten Phase der heimatlichen Dämmerung ver-gleichbar war. Für menschliche Augen stell-te das Schauen hier jedoch eine deutlicheAnstrengung dar, und Bully überlegte, ob ernicht den SERUN schließen sollte, um mitder lichtverstärkten Projektion auf der In-nenseite des Helmes mehr zu erkennen. DieKabine der Einschienenbahn verzögerte, undjetzt sah der Terraner, daß sie sich dem Stegvor einer Stadt näherten. Die Bodenpflanzender sogenannten Hochflora hatten sich bisüber den Saum der Stadt geschoben und be-völkerten die Straßen. Langsam würde dieNatur diesen Bereich ganz für sich erobern.

»Dies ist eure Stadt«, erklärte Schaudor-bat mit heller Stimme. »Ihr erhaltet sie alsGastgeschenk von uns. Unsere einst schön-ste Stadt ist gerade gut genug für euch. Wirdsie euren Ansprüchen genügen?«

»Das wissen wir noch nicht.« Ian Long-wyn blinzelte Bully zu. »Zeigt sie uns ersteinmal!«

Die Bekassu hüpften aus dem Fahrzeughinaus und machten hastig den Ausstieg frei.Lediglich Schaudorbat blieb bei den Stem-reisenden.

»In dieser Stadt«, machte er ihnen klar,»fanden die ersten Auswahlspiele statt. Hierwurden die ersten Bekassu auserwählt, umdem Gebot zu folgen, das ihr erlassen hattet.Ihr habt damit dem Volk der Bekassu seinenStolz gegeben. Nie hätten wir uns für dasdankbar erweisen können, was ihr für unsgetan habt. Wir waren überwältigt und trau-rig. Dann gabt ihr uns eine Aufgabe, in derwir uns für euch bewähren konnten. So ist esgeblieben bis auf den heutigen Tag. Die Kri-

terien der Auswahl sind verschieden, jedeStadt oder jede Station hat ihre eigenen. Wasvon Anfang an geblieben ist, sind dieGrundprüfungen, mit denen die eigentlicheEignung der Probanden ermittelt wird.«

Sie setzten sich in Bewegung und betratendie Stadt. Die Gebäude wirkten teilweisevernachlässigt. Deutliche Spuren von Zerfallwaren zu erkennen. Im Zentrum wurde dasbesser. Hier hatten die Gebäude nichts vonihrer Substanz verloren. Unten am Bootsha-fen wurde es dagegen schlimmer. Der Windund das Meer hatten an den Mauern gefres-sen und sie zernagt. Es gab eingestürzteWohnblöcke und Ruinen, von denen nur dasDach und die Stützpfeiler noch existierten.Straßen waren eingesackt, und in den Lö-chern hatten sich übelriechende Pfützen ge-bildet.

»Das alles wird von uns repariert«, beeiltesich der Bekassu zu versichern. »Wir wer-den uns bemühen, euch den Aufenthalt soangenehm wie möglich zu machen!«

Bullys Gesicht hatte eine leicht hellroteFärbung angenommen. Diese unterwürfigenVersicherungen ihrer Zuneigung und Ehrer-bietung gingen ihm auf den Geist. Wenn esnoch eine Weile so weiterging, dann würdeer die Beherrschung verlieren.

Sie kehrten zurück in das Zentrum derStadt, und Schaudorbat führte sie in ein ova-les Gebäude hinein. Sie gelangten in einenSaal, und die Bekassu nahmen in schalenför-migen Bodenvertiefungen Platz. Für dieSternreisenden hatten sie Kissen vorbereitet.

Die Galaktiker mußten sich setzen, unddie Bekassu waren in einem Halbkreis umsie herum gruppiert.

»Dürfen wir beginnen?« erkundigte sichSchaudorbat, als alle Platz genommen hat-ten.

Bully und Ian sahen sich an. Sie wußtenzwar nicht, worum es ging. Aber sie hattennichts dagegen einzuwenden.

»Ihr dürft«, sagte der untersetzte Terranerdeshalb. »Womit beginnt ihr?«

»Mit dem Rezitativ zu Ehren der Sternrei-senden!«

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*

»Fremd sind die Sterne und ihre Länder,fremd die Winde, die zwischen den Sonnenwehen. Aber es gibt diese Winde, denn einesTages haben sie die Sternreisenden bis zurSonne Orsa getragen. Wisset, ihr Götter, daßsie in der Anfangszeit bei manchen der Be-kassu auch die Windreisenden genannt wur-den, weil der Sternenwind sie herantrieb undsie auf seinen Flügeln herabtrug bis auf denBoden des Planeten. Sie kamen mit denWinden der Unendlichkeit, und sie brachtenunserem Volk das ewige Glück.

Sie schauten sich um auf unserer Welt,und sie besuchten die Nachbarplaneten, diedamals in unseren Augen die Abbilder derewigen Götter aller Existenz waren. Sielehrten uns, daß diese Welten nicht für unsgeeignet waren, und sie führten viele Ge-spräche mit uns. Wir waren von Traurigkeiterfüllt, als sie uns überraschend wieder ver-ließen und in der Unendlichkeit verschwan-den. Wir ahnten nicht, daß sie uns nur hattenprüfen wollen. Wie war ihr Urteil ausgefal-len? Waren wir reif für ihre Gunst? Und wiesollte sich ein Volk die Gunst der Göttervorstellen?

Sie kehrten zurück. Die Bekassu jubelten.Sie veranstalteten die Fahrt zu den Inselndes Glücks. Dort trafen sich die Bewohnerdes südlichen und des nördlichen Kontin-ents. Sie feierten ein großes Fest, und dieGötter traten zu ihnen und verkündeten, daßsie dem Volk ein großartiges Geschenk ma-chen würden.

Sagt, ist je einem anderen Volk ein sol-ches Glück widerfahren, daß Götter sichherabließen, es zu beschenken? Die Götterblieben diesmal lange Zeit, und sie lehrtendie Bekassu in allen wichtigen Dingen, undsie führten sie in die Schiffe und brachte ih-nen bei, wie diese Schiffe zu fliegen waren.Sie schenkten ihnen viele Kleinigkeiten. DieBekassu lernten den Bau von Schienenbah-nen und von Wagen, die auf Luftkissen, fah-ren. Sie begriffen, was ein Funkgerät war,

und entwickelten unter göttlicher Anleitungall das, was sie benötigten, um die übrigenPlaneten des Sonnensystems zu erforschen.

Die legendären Sonnenwinde, es gab siewirklich, wenn sie auch nicht dazu ausreich-ten, die Raumschiffe zu transportieren.

Wisset, daß das Volk Kassubans zu die-sem Zeitpunkt den Glauben an seine un-sichtbaren Götter endgültig ablegte und sieals das verstand, was sie tatsächlich sind,nämlich Wesen aus den Tiefen des Alls, Le-bewesen wie die Bekassu. Die eigentlichenGötter, nämlich die Kräfte der Natur, brau-chen nicht nach Kassuban zu kommen. Siewaren bereits hier vorhanden, bevor unserVolk existierte.

Wenig ist bekannt über die Göttertage. Esgibt so gut wie keine geschichtliche Überlie-ferung. Geschichtsbewußtsein kam damalsaus unerfindlichen Gründen zu kurz. Fragtuns, wie die Götter aussahen. Wir könnennur sagen, daß sie so aussahen wie ihr. Wirwissen es, doch mehr als Gerüchte und vageVermutungen haben sich nicht gehalten. Alsdie Götter uns diesmal verließen und end-gültig wieder zu den Sternreisenden wurden,da ließen sie uns das Gebot zurück, und sieschickten das Ewigkeitsschiff.

Seit dieser Zeit kommt das Schiff regel-mäßig zu uns. Unser Volk aber wußte dasGeschenk der Raumfahrt zu nutzen. Es be-siedelte und erforschte insgesamt fünfzehnSternsysteme, und der Kontakt zu den Gur-rads vollzog sich erst viel später, als es zueiner zufälligen Begegnung kam.

Die Sterne sind uns nicht mehr fremd,auch nicht ihre Länder. Wir kennen die Win-de und die Sonnen. Und wir wissen um dieExistenz der Sternreisenden und sind glück-lich, daß sie zu uns zurückgekehrt sind unduns unseren sehnlichsten Wunsch erfüllen,ihnen das Rezitativ vorzutragen.«

6.

»So also sehr ihr aus. Ihr entstammt nichtalle demselben Volk. Aber genauso müssendie Götter von den Sternen ausgesehen ha-

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ben, als sie einst zu uns kamen, um uns dasGeschenk zu bringen!«

Loranbi verneigte sich tief vor der Dreier-gruppe, faltete seine Flughäute auseinanderund gab ein Fiepen von sich, bei dem derTranslator mit der Übersetzung streikte.

Eirene tat auf den Bekassu zu und strecktevorsichtig die Hand aus. Sie berührte einender geschmeidigen Tentakel des oberen Paa-res. Loranbi ließ es geschehen. Er glätteteden Arm und ließ ihn in der Hand des Gottesruhen.

»Die Berührung macht mich zutiefstglücklich«, gestand er. »Sage etwas, und duwirst in mir einen ewigen Verfechter deinerWorte finden.«

»Ich bin Eirene«, erklärte das Mädchen.»Und ich finde es prima, daß du dich uns alsFührer durch die Felsgruppe angebotenhast.«

»Es ist die Quamalong«, erläuterte derBekassu. »Sie bildet so etwas wie ein Muse-um. In den Quamalongs haben früher vieletausend Artgenossen gelebt. Das war in ei-ner Zeit, als ihr noch nicht nach Kassubangekommen wart. Ihr werdet in den Höhlenviele Dinge finden, die wir eurem Schutzempfehlen. Wir sind glücklich, daß ihr denWeg hierher gefunden habt.«

Covar Inguard schwieg. Er hielt besserden Mund, denn Eirene hatte ihn gebeten,dies zu tun. Covar kannte sich nicht so gutmit den Zusammenhängen aus. Er hätte viel-leicht eine Bemerkung gemacht, die einigesverdorben hätte. Deshalb hielt sich der Bar-bar von Bugaklis auch ein wenig abseits undließ Beodu den Vortritt. Der Attavennohüpfte unruhig hin und her, näherte sich balddem Zugang zur Felsengruppe und bald demMeer, dessen Brandung flüsternd gegen denweiten Felsstrand rollte und sich an kleinenRiffen brach.

Eirene ließ den Bekassu wieder los. Sieerklärte ihm die Geste. Loranbi steckte denKopf unter seine Häute und sagte: »Ichschäme mich. Soviel Glück habe ich nichtverdient. Ein Gott kommt zu mir und reichtmir seine Gliedmaßen. Weißt du, Gott Eire-

ne, daß so etwas nur in ganz wenigen Fällenüblich ist? Ein Bekassu reicht einem anderennur dann die Tentakel, wenn er sich diesembis über den Tod hinaus verbunden fühlt. Inarchaischer Zeit kam es zu solchen Szenen,wenn ein Krieg bevorstand. In Friedenszei-ten war die Geste in den Philosophenschulender Hochflora üblich, wenn dadurch einestarke geistige Verbundenheit dokumentiertwurde. Und in den Jubiras helfen die Artge-nossen einem gerade entbindenden Wesendadurch, daß sie seine Gliedmaßen knetenund biegen. Ich freue mich bereits darauf!«

Loranbi wandte sich um und setzte sich inRichtung des Zugangs in Bewegung. DerBekassu schnellte den felsigen Pfad entlang.Unter der Wucht seiner Sprünge rutschte derFelsenstaub unter seinen Tentakeln hinweg,und er landete mehrmals unsanft auf seinemSteiß. Am Ende des Pfades wartete er, bissich die Götter in ihrer würdevolleren Artgenähert hatten. Eirene sah, daß der Bekassudabei den Kopf zur Seite geneigt hielt undsie mit dem rechten Auge aufmerksam mu-sterte.

Vielleicht ist er ein wenig neidisch aufunsere Fortbewegungsart, dachte sie. Sieblickte sich nach ihren Begleitern um. Covarfolgte ihr auf dem Fuß, und Beodu blieb ste-hen und schaukelte in seinen Sprunggelen-ken. Der Attavenno stellte die Kopfflügelsteil nach vorn.

»Was hat Loranbi?« klang es glockenhellaus seinem Rüssel. Der halborganische Syn-thesizer-Translator verstand es, die Besorg-nis mitauszudrücken.

Eirene blickte wieder zu dem Bekassuhin. Loranbi schleuderte plötzlich die Flug-häute von sich weg und krümmte den Kör-per. Die Häute klatschten gegen den Felsbo-den und gaben peitschende Geräusche vonsich. Aus dem Mund des Wesens kam einquietschender Laut. Eirene eilte zu ihm hinund beugte sich über es.

»Kann ich dir helfen?« fragte sie neugie-rig. »Wenn ja, wie kann ich es tun!«

»Bringt mich weg von hier, zum Fahr-zeug. Ich muß sofort zu den Jubiras!«

Das Gebot der Götter 35

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Eirene schaltete sofort.»Du freust dich darauf, hast du vorhin ge-

sagt. Bekommst du ein Kind? Einen kleinenBekassu?«

Loranbi gab ein Grunzen von sich, zogdie Häute an sich und hüllte sich darin ein.

»Was soll das heißen?« knurrte Covar In-guard. »Soll ich den Wagen holen?«

»Ja, tu das«, rief Eirene. »Kannst du ihnsteuern?«

Covar gab nur ein Brummen von sich undstürmte davon.

Eirene beugte sich wieder über Loranbi.»Du hattest uns gar nicht gesagt, daß du

eine Frau bist!«Sie erhielt einen Schubs. Beodu schob

sich neben sie und streckte die Arme aus.Vorsichtig begann er die Gliedmaßen desBekassu zu massieren.

»Du täuschst dich«, pfiff er. »Loranbi istkeine Frau. Denke daran, was Gucky sagte,bevor er die CIMARRON verließ!«

Eirene fuhr zusammen.»Du meinst …«, dehnte sie. »Mein Gott,

das ist ja phantastisch. Wenn Icho Tolot daswüßte …«

Sie blieben bei Loranbi, bis Inguard mitdem Wagen kam. Der Mann von Bugaklishatte sich an Bord der CIMARRON dietechnischen Kenntnisse angeeignet, die ihndazu befähigten, mit einem Fahrzeug einesfremden Volkes zurechtzukommen.

Gemeinsam luden sie Loranbi in den Wa-gen und kehrten auf der wenig ausgefahre-nen Straße zu der Stadt zurück, von der sieaufgebrochen waren. Covar hielt bei denerstbesten Bekassu an und informierte sie.Die Bekassu übernahmen den Wagen, unddie drei Gäste blieben auf der Straße zurück.Sie sahen, wie der Wagen mit hoher Ge-schwindigkeit davonraste.

Einer der Bekassu, der sich in der Näheaufhielt, hüpfte herbei und blieb in respekt-vollem Abstand vor ihnen halten. Sie sahen,daß es sich um ein recht junges Wesen han-delte.

»Wenn ich mich um euch kümmern darf«,erklärte der Bekassu. »Mein Name lautet

Eheenza!«

*

Der schmächtige Mann mit dem Kugel-kopf hatte sich in seiner Jugend eifrig mitorientalischen Selbstverteidigungskünstenbeschäftigt, war auch heute noch in der La-ge, jeden beliebigen Angreifer zu Boden zuschicken. Er hatte das Ki entdeckt, jene un-begreifliche Kraft, die nach seiner AnsichtKörper und Seele zusammenhielt, die Es-senz allen Seins darstellte und ihren Sitz ir-gendwo in der Nähe des Zwerchfells hatte.Bei Experimenten mit dem Ki hatte er dieersten pararealen Erlebnisse gehabt. Er hattesich darin geübt und hatte dadurch die Fä-higkeit erlangt, nicht nur sich selbst, sondernauch andere Wesen in parallele Wirklichkei-ten zu versetzen. Aus seiner Kunst hatte erim Laufe der Jahre eine Wissenschaft ge-macht. Parallele Wirklichkeiten, auch Para-realitäten genannt, waren solche, die sich umeinen Strangeness-Quantensprung von dergewohnten Wirklichkeit entfernt befanden.Er hatte Geräte entwickelt, mit denen sichdie Wirklichkeitsgradienten messen ließen,und er sah sich inzwischen im Besitz vonMaschinen, mit denen sich die gewohnteWirklichkeit kurzfristig in eine Pararealitätverwandeln ließ.

Beides zusammen, die Anwendung des Kiund die Kraft der Maschinen, machten ihnzu dem Spezialisten für Pararealitätschlechthin. Er konnte mit gutem Recht be-haupten, zumindest im Volk der Terranereinmalig mit dieser Fähigkeit zu sein.

Zur Zeit sah es allerdings danach aus, alswürden sein Wissen und seine FähigkeitenWenig nützen, um das von ihm anvisierteZiel zu erreichen.

Wieder einmal stand Sato Ambush vorder silbernen Wand der Hamiller-Tube. Ertrug einen schlichten schwarzen Kimono oh-ne irgendwelche Stickereien oder Schnör-keln. Der Pararealist hielt die Augen ge-schlossen. Sein Oberkörper schwankte in ei-ner leichten kreiseiförmigen Bewegung, und

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er beachtete den Mann nicht, der sich seitmehr als drei Stunden in seiner Nähe auf-hielt. Perry Rhodan hatte sich eine Sitzgele-genheit bringen lassen.

Seit mindestens zwanzig Stunden hatteHamiller keine Äußerung mehr getan. Nie-mand wußte, warum das so war. Es hattekeine Zwischenfälle gegeben, und BullysBesuch und die Worte seiner Unterhaltungwaren überall bekannt. Seit dem Gesprächmit Reginald schwieg die Hamiller-Tube.

Irgendwann, es war mitten im Nachmittagder Bordzeit, verlor Rhodan die Geduld. Erhatte wichtigere Dinge zu tun, als sich miteinem Kasten herumzuärgern. Er erhob sichund klappte den Sitz zusammen.

»Fehlanzeige«, stellte er fest. Sato Am-bush öffnete die Augen und wandte sich zuihm um. Er blickte den Unsterblichen ta-delnd an.

»Geduld ist meine Stärke«, sagte er leise.»Da ich nicht nach Kassuban gehe, habe ichviel Zeit. Ich kann warten!«

»Es wird zwecklos sein.« Rhodan zucktemit den Schultern. »Das Ding taugt nichtsmehr. Sobald wir nach Phönix-1 zurückkeh-ren, werde ich eine Verbindung mit derCASSIOPEIA herstellen und Harold Nymanmitteilen, daß er keine Gelegenheit mehr ha-ben wird, Kommandant der BASIS zu wer-den. Solange die Hamiller-Tube immerdümmer wird, ist die Chance gleich Null,daß die BASIS wieder zusammengebautwerden kann!«

Rhodan blickte scheinbar geistesabwe-send in den Hintergrund der Halle. Er fragtesich, warum er erst jetzt auf den Gedankengekommen war. Zu viele andere Dinge gin-gen ihm Kopf herum. Er zählte die Sekun-den. Es waren acht, bis an der Wand einLicht anging und anzeigte, daß Hamillersich nicht mehr völlig abkapselte.

»Dies ist ein Irrtum, Sir!« verkündete dieSyntronik. »Ich bin wohlauf. Ich sehe michjederzeit in der Lage, die BASIS wieder zu-sammenzufügen. Daß ich sie damals dezen-tralisierte, war eine Maßnahme, die sichnicht vermeiden ließ.«

»Warum nicht, Hamiller?«»Sir, es ging um eine Bedrohung der ge-

samten Besatzung. Ja, man könnte davonsprechen, daß alle Terraner außerhalb derMilchstraße sich dieser Bedrohung ausge-setzt sahen. Ich besitze leider keine Detailin-formationen!«

Die beiden Männer sahen sich an. SatosAugen leuchteten auf. Er trat auf die Wandzu.

»Payne!« flüsterte er. »Payne Hamiller,hör mir zu. Die Details sind nicht einmal sowichtig. Nicht in diesem Fall. Du weißt et-was über die Zeit nach der Katastrophe. Dasist mir seit langem klar. Dir vielleicht nicht.Könnte es sein, daß du dich im Lauf der Zeitan immer mehr Einzelheiten erinnerst? Ver-giß das Experiment mit dem Datum auf denÜbersichtsplänen nicht, 3586 A.D.! Kannstdu mir soweit folgen?«

»Sicher, Mister Ambush. Aber vergessenSie nicht, daß ich ständig darauf warte, daßSie mir einen Hinterhalt legen!«

»Das ist nicht meine Absicht, Payne. Ichwill nur den Spuren der Vergangenheitnachforschen bis in eine Zeit, die du einmalgekannt hast.«

»Keine Informationen, Sir. Ich weiß nicht,was in jener Zeit geschah, bevor die Medo-statistik ihre Arbeit aufnahm.«

»Hast du den Speicher bereit mit dem,was wir in den letzten Wochen und Monatenmiteinander gesprochen haben?«

»Sicherlich.«»Dann weißt du, was du selbst zum The-

ma Bully und dessen defektem Zellaktivatorim Zeitalter der Aphilie gesagt hast. Dies isteine Information, die aus einer Zeit stammt,die vor der Erbauung der BASIS liegt undziemlich lang vor deiner eigenen Erbauung.Wo hast du diese Information aufge-schnappt?«

»Das weiß ich nicht, Mister Ambush. Ichhalte es auch für sinnlos, darauf herumzurei-ten. Ich glaube, Mister Rhodan möchte et-was wissen. Habe ich recht?«

»Du hast recht, Payne«, sagte Rhodan.»Du weißt, daß wir uns im Heimatsystem

Das Gebot der Götter 37

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der Bekassu befinden. Du hast aus dem in-ternen und externen Funkverkehr sicherauch die Daten und die Koordinaten ent-nommen.«

»Natürlich, Sir. Eine meiner leichtestenAufgaben!«

»Frage: Was weißt du über die Station derKosmischen Hanse auf Kassuban? WelcheEinzelkontakte gab es zwischen der Hanseund den Bekassu? Und wo genau auf demfünften Planeten liegt diese Station?«

Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Tu-be sich zu einer Antwort entschloß.

»Die Fragen sind leider nicht beantwort-bar, Mister Rhodan. Es liegt an mehrerenUrsachen. Erstens befindet sich die BASISin einem heillosen Zustand der Wirrnis, ge-meint ist die Dezentralisation. Zweitens gibtes keine Kontakte zwischen mir und ihremKommandanten. Harold Nyman könnte si-cher helfen. Drittens ist mir nicht bekannt,daß es jemals Informationen über die KH-Station und die hier tätigen Hanse-Spezialisten gegeben hat. Ich weiß nicht, wodiese Station gelegen haben soll. Hätten Siedie BASIS zusammengebaut und mir dasKommando übertragen, wäre es eher mög-lich, an diese Informationen heranzukom-men!«

»Danke, Hamiller, das war nicht sehr auf-schlußreich.«

»Keine Ursache, Sir. Bis auf ein ander-mal!«

Rhodan fühlte sich am Arm gepackt undhinausgezerrt. Sato Ambush zog ihn in einenkleinen Raum in der Nähe, der durch ein Pa-ratronsystem vor jeder Beobachtung oderBelauschung gesichert war. Dennoch flü-sterte der Pararealist, als er sprach.

»Es war aufschlußreicher als du denkst,Perry«, erklärte er mit heller Stimme.»Hamiller hat mich auf einen schlimmenVerdacht gebracht. Bisher sind wir davonausgegangen, daß es sich um eine Amnesiehandelt, die womöglich auf die bionischeKomponente zurückzuführen ist. Jetzt aberfrage ich mich, ob es nicht völlig anders ist.Wenn Hamiller das Wissen seiner Speicher

in kleinen Portionen auf alle Fragmente ver-teilt hat, dann ist unser Verhalten bisherfalsch gewesen. Dann hätten wir die BASISschleunigst zusammenfügen müssen. Es wi-derspricht allerdings dem Verhalten derSyntronik, nur das Hauptsegment verteidigtzu haben. Ein Teil des Wissens könnte be-reits vernichtet sein.«

Rhodan war sehr nachdenklich geworden.Er preßte die Lippen zu schmalen Strichenzusammen, und über der Nasenwurzel er-schien eine tiefe Falte. Nach einer Weileentspannte sich sein Gesicht wieder.

»Ich glaube nicht daran«, bekannte er.»Wir müssen mit allem rechnen. Sogar da-mit, daß Hamiller uns auf den Arm nimmt.Verwöhnst du ihn nicht ein bißchen zu sehr,Sato?«

»Inwiefern denn, Perry?«»Insofern, daß du dich zu sehr um ihn

kümmerst. Laß ihn mal eine Weile hungern.Vielleicht wird er dann kooperativer!« Erwarf einen Blick auf seinen Chrono. »Jetztmuß ich aber wirklich los. Kassuban wartet.Bis später!«

*

Die Station trug den Namen Tharan.Gucky durchmaß das kugelförmige Gebildemit ein paar Teleportationen, wobei er sichzuvor vergewisserte, daß es in der Umge-bung seines ungefähren Zieles keine Menta-limpulse gab. Er brachte es fertig, keinemeinzigen Bekassu zu begegnen. Er schätzteanhand der Größe der Station ihre ungefähreBewohnerzahl. Später stellte sich heraus,daß er sehr daneben lag. Tharan trug diedoppelte Anzahl Bekassu in sich, als er ver-mutet hatte.

Der Mausbiber beschloß, auf Tuchfüh-lung zu gehen. »Tuchfühlung« war dabei imübertragenen Sinn gemeint, denn die Bekas-su trugen keine Kleidung. Diese war ihnenfremd. Das Volk der Fledermausähnlichenlebte nackt, nur bedeckt von der lederartigenHaut, deren Farbe je nach Alter und Indivi-duum zwischen Taubengrau und Graubraun

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schwankte. Sie besaß etliche Hautfalten undHauttaschen, die von den Bekassu dazu be-nutzt wurden, persönliche Dinge darin unter-zubringen. Einige der Hautfalten verdecktenkörperliche Unzulänglichkeiten. Der einzigeSchutz, den der Körper dieser Wesen besaß,waren die weiten Flächen ihrer Flughäute,die sie zusammengefaltet trugen und damitden größten Teil des Körpers einhüllten.

Gucky materialisierte in einer Aggregat-kammer. Durch die Teleportation besaß ereinen Bewegungsimpuls, der ihn mit demRücken gegen die Wand trieb. Er fing sichab und drehte sich herum. Die Handschuhedes SERUNS fanden eine der Stangen. DerMausbiber hielt sich fest und ortete mit Hil-fe des Schutzanzugs. Der Öffner für die La-mellentür befand sich in unmittelbarer Nähe,und Gucky hangelte sich im Licht seinesScheinwerfers hinüber. Die Kammer selbstwar in Dunkelheit getaucht.

Ehe er den Mechanismus erreichte, öffne-te sich die Tür. Der Kopf eines Bekassuschob sich herein. Das Wesen zog den Kopfhastig wieder zurück.

»Verzeih, ich wollte dich nicht stören,Sternreisender«, klang es in Gurradsch auf.Neben ihrer Muttersprache beherrschten dieBekassu auch dieses Idiom, was durch dielangen Kontakte mit dem Volk der Löwen-mähnigen zu erklären war. Guckys Transla-torsystem schaltete augenblicklich um.

»Du störst nicht, komm herein. Oder war-te, ich komme zu dir. Ich werde dich beglei-ten.«

Der Schatten des Bekassu verschwand,und der Mausbiber stieß sich ab und schoßdurch die Öffnung hinaus. Er fing sich mitden Händen ab und brachte den Körper inRuhelage. Dann gab er dem SERUN die An-weisung, den Helm einzufahren. Das Gebil-de klappte nach oben und legte sich imNacken zu einer Kapuze zusammen.

Der Bekassu verfolgte den Vorgang miteinem mehrmaligen Drehen seines Kopfes.

»Ich wollte dir nicht zu nahe treten«, er-klärte das Wesen. »Ich habe nur durch Zu-fall meine Infrarotsinne auf meine Umge-

bung gerichtet und dabei festgestellt, daßsich in der Motorperipherie ein Lebewesenaufhielt.«

»Schon gut. Ich bin Gucky. Wohin gehstdu?«

»Ich suche das Trainingszentrum auf. Ichbin bei den Wettkämpfen abgelehnt worden.Jetzt versuche ich, meine Fähigkeiten auszu-bauen!«

Sie legten gemeinsam die Strecke bis zuder Halle zurück. Gucky kniff seine Augenzusammen und musterte das Durcheinander,das sich ihm bot. Mindestens fünfhundertBekassu tummelten sich in der Halle, die ei-nem bleigefaßten Labyrinth glich und tat-sächlich mit oben offenen Tunnelsystemenversehen war, die starke Dämmschichtentrugen. Der Mausbiber erkannte Bekassu,die sich zu zweit oder in kleinen Gruppendurch das Labyrinth bewegten. Manchmalverharrten sie, gingen ein Stück zurück undwieder vorwärts. Offensichtlich versuchtensie, durch die Dämmung hindurch etwas zuerkennen. Da auch hier Schwerelosigkeitherrschte, trugen die Bekassu an den Endenihrer Tentakel Magnetplättchen, die sie ander Bodenseite der Labyrinthe hielten.

»Erkläre mir, was vor sich geht!« bat derIlt. Er hätte es schneller erfahren, wenn ereinfach nach den Gedanken der Wesen ge-lauscht hätte. Aber es wäre nicht mit seinenGrundsätzen und seinen guten Vorsätzenvereinbar gewesen, außerdem machte es ihmSpaß, den abgehackten Zisch- und Murmel-lauten der Bekassu zuzuhören.

»Die Bekassu üben sich im Infrarot-Spu-ren, Sternreisender Gucky. Du wirst dieseArena nie leer vorfinden. Immer gibt es Art-genossen, die sich hier in ihren Fähigkeitenüben. Willst du die Ultraschall-Zentren se-hen? Dort ist noch mehr los. Jedesmal, wennder Zeitpunkt naht, daß das Ewigkeitsschiffkommt, sind die Trainingszentren übervöl-kert.«

»Ich verstehe. Jeder will zu den Auser-wählten gehören. Was geschieht nun? Wastun deine Artgenossen hier, wenn das Ewig-keitsschiff angekommen ist?«

Das Gebot der Götter 39

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»Sie suchen die äußeren Bezirke der Stati-on auf. Dort gibt es Panoramagalerien mitoptischen Beobachtungsgeräten. Jeder ver-sucht, das Schiff wenigstens einmal zu Ge-sicht zu bekommen, bevor es wieder ver-schwindet. Es dauert nicht mehr lange. Ichspüre in mir bereits die Unruhe, die jedenBekassu erfaßt, wenn es soweit ist.«

Er unterbrach sich. Gucky benutzte dieGelegenheit und trat in das Labyrinth ein.Der Eifer der Bekassu machte ihm Spaß,und er wollte sie ein wenig überraschen, oh-ne gleich Auskunft über seine Fähigkeitengeben zu müssen. Sein Spieltrieb übermann-te ihn. Er marschierte mit Hilfe des Gravo-aggregats des SERUNS durch das Labyrinthund hielt nach den Gedanken der BekassuAusschau. Er wartete jeweils, bis sie an ih-ren Namen dachten, dann meldete er sich.

»Mir gegenüber befindet sich Huranzo«,verkündete er und nannte die Zahl derdurchlaufenden Markierung an der Wand.

Seine exakte Auskunft überraschte undverwirrte die Bekassu, und Gucky wieder-holte das Spiel, ehe er zu seinem Begleiterzurückkehrte.

»Du bist wirklich einer der Götter, denndu beherrschst die Fähigkeit viel besser alsjeder Bekassu«, wurde er empfangen. »DieAuserwählten würden vor Neid erblassen,wenn sie es sehen würden. Jeder von unshofft, der Beste unter den Besten zu sein,aber jetzt müssen wir erkennen, daß unserBemühen nichts ist gegen das, was du unszeigst. Seid ihr zu uns gekommen, weil wirzu hochmütig geworden sind?«

»Darauf will ich dir später antworten odergar nicht«, sagte Gucky. »Sprich weiter. Be-schreibe die Gefühle, die die Auserwähltenbeseelen, wenn sie auf das Ewigkeitsschiffwarten!«

»Es sind die Gefühle des ganzen Volkes.Jeder Bekassu fühlt ähnlich oder gleich. DieAuserwählten sammeln sich in der äußerstenStation um Kassuban, nachdem sie sich einletztes Mal auf die Erde ihrer Heimatweltgelegt haben. Sie drängen sich zusammenund bauen ein unwahrscheinlich starkes Ge-

fühl der Zusammengehörigkeit auf. In dieserPhase darf niemand mehr kommen, um siezu stören. Eine Mitteilung, daß bei der Aus-wahl ein Fehler gemacht wurde und ein an-derer in Wirklichkeit das Recht hat, auf dasEwigkeitsschiff zu warten, würde den Be-troffenen psychisch vernichten und Siech-tum hervorrufen, das bald im Tod endenwürde. Die Auserwählten sprechen mitein-ander über das Gebot der Götter, sie ermuti-gen sich gegenseitig, die eigenen Interessenund die Neugier vor dem Neuen hintenanzu-stellen und nur für die Wünsche der Götterda zu sein. Wenn das Schiff dann kommt,müssen sie sich beherrschen, um vor Freudenicht den Verstand zu verlieren. Sie gehenan Bord des Ewigkeitsschiffs und werdenmitgenommen in das Nirgendwo, um dortden vierjährigen Dienst für die Götter zu er-füllen. Nach diesem Zeitraum kehren sie zu-rück und genießen hohes Ansehen. MancherAuserwählte ist später zum Rat aufgestie-gen. Die meisten jedoch ziehen sich ganz insich selbst zurück und werden Weise undPhilosophen. Du kennst die Philosophen-schulen in der Hochflora oder hast von ih-nen gehört?«

»Ja«, log Gucky. Er war plötzlich unge-duldig geworden. Am liebsten wäre er vorden Augen der Bekassu teleportiert, um sei-ne Nachricht loszuwerden. Dann aber be-sann er sich, daß die Gruppen auf Kassubanvielleicht ähnliche oder identische Informa-tionen erhalten hatten.

»Das Ewigkeitsschiff kommt bald«, sagteer deshalb. »Hast du einen besonderenWunsch, von wo aus du seine Ankunft undseinen Abflug beobachten möchtest?«

»Am liebsten im Observatorium Tharans.Aber die Astronomen lassen nie jemand hin-ein.«

»Diesmal werden sie eine Ausnahme ma-chen. Gib mir einen deiner Tentakel!«

Der Bekassu reichte ihm einen Arm, undGucky faßte den Greiflappen fest und tele-portierte mit ihm vor den Augen seiner Art-genossen. Sie tauchten im Observatoriumauf, wo sie gehörige Verwirrung hervorrie-

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fen. Mit ein paar knappen Anweisungenschuf der Mausbiber Ordnung.

»Daß ihr gut auf ihn aufpaßt«, mahnte erdie Astronomen. »Und laßt ihn so langedurch das Teleskop blicken, wie er möchte!Von mir aus auch durch alle Teleskope!«

Da die Teleskope alle in eine Richtungeingestellt waren, gab es keinen Zweifel,daß dort die Ankunft des Ewigkeitsschiffszu erwarten war.

Der Bekassu sank vor dem Ilt nieder.»Die Götter sind edel und gut«, sagte er.

»Wir sind ihnen ewig dankbar!«Gucky verschwand vor seinen Augen und

manifestierte damit endgültig die Kundevom alles vollbringenden Gott.

7.

Das war es also!Bullys Beine zuckten. Am liebsten wäre

er aufgesprungen, aber er beherrschte sichund wartete, bis die Bekassu das Rezitativbeendet hatten.

Endlich wußten sie, worum es sich beidem Geschenk handelte, das die Götter denBekassu gegeben hatten. Bully wartete, bisIan und Vee sowie der Roboter ihm hinausin den Vorraum gefolgt waren. Die Bekassuverharrten abwartend im Saal. Sie wußtenoffenbar nicht, wie sie die Reaktion derSternreisenden beurteilen sollten.

»Dieser Teufelsbraten von einem Ilt«,knurrte Bully. »Er hatte wieder einmal denrichtigen Riecher. Die Trahsitionstechnikund einige andere technische Errungenschaf-ten stammen von den Göttern. Die Bekassuidentifizierten uns mit ihnen. Folglich stecktdie Hanse dahinter. Weiß der Himmel, wassich in den Jahrzehnten nach der GroßenKatastrophe alles ereignet hat. Es muß dieHanse-Spezialisten dazu bewogen haben,den Bekassu die Möglichkeit einer Flucht inden Raum zu eröffnen und sich danach ausdem Orsa-System zurückzuziehen. Ichmöchte nur wissen, was da genau geschehenist!«

»Das möchten wir alle«, stimmte Long-

wyn zu. »Wer weiß, vielleicht erfahren wires bald!«

»Ich habe den Funkverkehr mit den ande-ren Gruppen betreut«, mischte sich der Frei-herr von Dittelbrunn ein. An seiner Entste-hung waren zwar mehrere Besatzungsmit-glieder der CIMARRON beteiligt, doch sei-nen Namen hatte er mit Sicherheit von VeeYii Ly, dessen Vorliebe für terranische Ge-schichte allseits bekannt war.

»Und?« bellte der untersetzte Terraner.»Was ergibt sich daraus?«

»Bisher nichts, Bully. Es wurden keineNiederlassungen der Gurrads gefunden,auch keine Hinterhalte oder irgend etwas,was auf eine Verschwörung gegen unsschließen lassen würde.«

Longwyn lachte. »Das wäre auch sehrseltsam nach dem, was wir jetzt über die Be-kassu wissen. Weiter!«

»Es wurde kein Raumhafen gefunden, derdem gleicht, der auf Icho Tolots Memonach-richt zu sehen ist. Und zu guter Letzt istauch der Standort der Hanse-Station nochnicht ermittelt worden. Enza Mansor teiltmit, daß sie den Bekassu Radonzu dort ab-gesetzt hat, wo er zum letzten Mal mit derErde Kassubans vereint sein wollte. DerAuserwählte hat sich immer wieder für dasVersehen auf Aontan entschuldigt, und allewaren froh, als er endlich verschwand. Esheißt, daß die dreiundvierzig AuserwähltenKassubans inzwischen alle auf dem Weg indie Orbit-Station sind, an der sie vom Ewig-keitsschiff abgeholt werden!«

»Gut. Wir werden uns mit den anderenGruppen in Verbindung setzen, sobald wirmehr wissen. Wo steckt Perry? Gibt es vonihm keine Nachricht?«

»Er befindet sich auf Weg zur Oberfläche.Er hat wegen Hamiller Verspätung.«

Reginald Bull schüttelte unwillig denKopf. Er kehrte in den Saal zurück und for-derte die Bekassu auf, sich zu erheben.

»Es tut mir leid, wenn ich euch unterbre-che«, meinte er. »Sicher wolltet ihr uns nochmehr erzählen. Aber wir haben keine Zeit.Das Ewigkeitsschiff kommt bald, und bis

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dahin müssen wir uns ein wenig umsehen!«»Euer Wunsch ist auch unser Wunsch«,

entgegnete Schaudorbat ungerührt. »Seid ihrdenn mit unserem Geschenk zufrieden?«

»Sehr zufrieden. Doch bitte denkt daran,daß wir uns jetzt nicht einfach hier nieder-lassen können. Wir werden später in unsereStadt zurückkehren. Bringt uns nun zumRaumhafen zurück!«

Die Bekassu schnellten empor und hüpf-ten hinaus. Sie begleiteten die Galaktiker zurEinschienenbahn und brachten sie zumRaumhafen zurück. Unter unzähligen Be-teuerungen der Freundschaft und des Wohl-wollens verabschiedeten sie sich an derSpace-Jet und verschwanden erst, als Ian dieMaschinen des Diskus anwarf und das klei-ne Fahrzeug in taumelnde Bewegung ver-setzte. Die Jet hob auf ihrem Antigravpolsterab und machte sich auf den Weg entlang derKüste. Bis zum Einbruch der Dunkelheitsuchte sie die Hochflora und das Ufer ab,beobachteten mehrere Städte. Lange Gesprä-che mit den Bekassu wurden geführt, abereine weitere Information sprang nicht dabeiheraus. Die Wesen Kassubans wurden im-mer unruhiger und unkonzentrierter, und dieeinzige Mitteilung, die noch sinnvoll erschi-en, war die, daß bald der Zeitpunkt gekom-men war, an dem das Ewigkeitsschiff ein-traf.

Die Jet flog der Nacht voraus und umrun-dete den Kontinent des Südpols. Zweimalgab es Sichtkontakt zu Landungsbooten an-derer Gruppen, einmal setzte Ian die Jet beieiner Gruppe ab, die auf den Gipfeln desMansara-Gebirges nach Spuren suchte. Jeo-lo Darwing, einer der Botaniker an Bord derCIMARRON, hatte sich an eine umfangrei-che Untersuchung der Hochflora und derGebirge über der Vegetationsgrenze ge-macht, während die anderen Mitglieder sei-ner Gruppe nach Stationen oder Hinweiseauf die Existenz Fremder suchten.

»Wir bleiben hier oben«, entschied Bully.»Sechs Stunden Schlaf müssen einfach drinsein. Die Bordwache übernimmt automa-tisch der Freiherr von Dingsbums.«

»Von Dittelbrunn!« korrigierte der Robo-ter, doch das hörte Bully schon nicht mehr.Er befand sich auf dem Weg zu einer derkleinen Kabinen, um sich aufs Ohr zu legenund sich nur dann wecken zu lassen, wennsich etwas Entscheidendes ereignete. Rho-dan befand sich inzwischen längst auf Kas-suban und beteiligte sich daran, alles Wis-senswerte zusammenzutragen, was ihnen ir-gendwie nützlich sein konnte.

Bully schlief bald ein.Und er träumte – von Gucky. Wer konnte

es ihm verdenken.

*

Eheenza war ein eitler Geck. Das hattenEirene und Covar Inguard in den vergange-nen Stunden erfahren. Der 2,40 große Be-kassu war ziemlich jung, erst elf Kassuban-Jah-re alt. Er fiel durch seinen ungewöhnlichschlanken Körper auf, was er auf sein ge-zieltes Konditionstraining unter den planeta-ren Schwerkraftverhältnissen zurückführte.Seine Haut schimmerte hellgrau und wiesauf der Bauchseite dunkle, fingerkuppen-große Pigmentflecken auf, die er als Aus-zeichnung empfand. Er war auf der Pionier-welt Eirdashan geboren und mit seinem Ei-ter Gwerander nach Kassuban gekommen,als dieser in den Regierungsrat berufen wor-den war. Der Eiter hatte Eheenza protegiert,aber Eheenza war deshalb nicht übermütiggeworden. Er verfügte über keine besonde-ren Fähigkeiten, war ein durchschnittlicherBekassu seiner Generation und sagte unver-blümt seine Meinung.

In den gemeinsamen Stunden hatte Eireneden jungen Bekassu ins Herz geschlossen.Sie empfand Freundschaft für ihn, undEheenza dankte es ihr durch besondersgroße Aufrichtigkeit. Er führte sie in alleBereiche der Stadt, und die kleine Gruppeerlebte die Bekassu in ihrer täglichen Weltder Arbeit und des Zusammenlebens. Es gabkeine Familien im eigentlichen Sinn. Der Ei-ter und seine Kinder lebten immer in einergrößeren Gemeinschaft anderer, und in die-

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ser Gemeinschaft besaß jeder einzelne einenFreiraum für sich selbst, wo er sich in seineAheyma oder auch in die Stille der Hochflo-ra zurückziehen konnte. Sie erlebten, wiejunge Bekassu ihre vergeblichen Flugversu-che unternahmen und dabei ohne Ausnahmeauf der Schnauze landeten. Das Volk hattejede Flugfähigkeit verloren, und die Flug-häute reichten höchstens bei günstigem Auf-wind zu einem kurzen Gleitflug von einerniedrigen Bodenerhebung.

»Willst du es nicht auch probieren?« frag-te Eirene, als sich die Sonne dem Horizontnäherte. »Du hast die Sonne im Rücken undden Wind von vorn!«

Eheenza strich sich über seine Pigment-flecken und rauschte mit den Flughäuten. Erstreckte sie bis zu einer Spannweite von vierMetern aus.

»Ich könnte mich schmutzig machen«,sagte er. »Mein Körper hat eine solche Tor-tur nicht verdient. Meinst du nicht auch?«

»Nun ja, wie du denkst. Hast du eigent-lich heute schon gebadet?«

»Ich nehme täglich zwei Bäder. Zunächstdas Sandbad, in der Wärme des Tages danndas Wasserbad. Was denkst du? Sieh michan! Mein Körper ist gepflegt und leuchtetund glänzt mehr als alle meine Artgenossen.Das ist fein.«

Sie entfernten sich in Richtung der Stadt,und Eirene überlegte, ob sie nicht nochmalszu den Quamalongs fahren sollten. Sie ent-schied sich dagegen. Die Quamalongs hattennur historische Bedeutung, und es war dieAufgabe aller Gruppen auf Kassuban, nachHinweisen der Gegenwart zu forschen.

Sie suchte ihr Landungsboot auf und setz-te sich mit den anderen Gruppen in Verbin-dung. Noch gab es nicht viel zu melden, sieerfuhr lediglich, daß Bullys Gruppe wertvol-le Informationen erhalten hatte.

Eirene kehrte zu ihren Gefährten und zuEheenza zurück. Der Bekassu hatte Covarund Beodu in eine philosophische Auseinan-dersetzung verwickelt.

»Die Bedeutung für das Volk der Bekassuliegt darin, daß es nur unter den Bedingun-

gen der Schwerkraft überleben kann, alsoauf Bekassu und den anderen kolonisiertenPlaneten. Aber zwei Drittel der Bevölkerunglebt in den Orbitalstationen. Die meistenStädte hier unten sind verlassen. Seht michan. Welcher Bekassu kann schon einen sotrainierten Körper aufweisen. Das Leben inder Schwerelosigkeit läßt unser Volk fettund faul werden, und irgendwann wird sichdie Degeneration deutlich bemerkbar ma-chen. Gut, vielleicht vergehen noch ein paartausend Jahre, aber irgendwann wird der Ef-fekt sichtbar sein!« erläuterte er.

Covar Inguard zog Eirene zur Seite.»Er scheint ein bißchen frühreif zu sein«,

flüsterte er ihr ins Ohr.»Selbst wenn.« Eirene lachte auf. »Er ist

einfach nett, oder?«»Ich habe aufgrund meiner guten Figur

und meiner Weisheit viele Gegner«, fuhrEheenza fort. »Ich habe kürzlich die Aus-wahlspiele mitgemacht und alle Prüfungenbestanden, die den Spielen vorausgehen. Ichwar der beste in den Grundprüfungen undder zweitbeste in den Hochprüfungen. Abereiner der Prüfer war mir nicht wohlgeson-nen. Er ließ mich durchfallen, obwohl meineLeistungen hervorragend waren, Ich bin be-trogen worden. Wo anders könnte ich Ge-rechtigkeit finden als bei den Göttern. Ichwage es nicht, eine Bitte auszusprechen,aber vielleicht weißt du, was ich sagenwill!«

Eirene wußte es. Er wollte sie bitten, eingutes Wort einzulegen, damit er doch nochan Bord des Ewigkeitsschiffs zu den Auser-wählten gelangen konnte.

»Das Schiff ist groß. Es spielt keine Rol-le, ob es dreiundvierzig oder vierundvierzigAuserwählte sind, oder? Vielleicht fehlt aufden anderen Welten meines Volkes einer,den ich ersetzen kann!«

Das Flehen in seiner Stimme rührte PerrysTochter beinahe zu Tränen. Seit sie sich mitdem Thema Ewigkeitsschiff befaßte, regtesich in ihr die Neugier. Sie fieberte den Zeit-punkt fast so entgegen wie Eheenza. In ih-rem Hinterkopf entstand ein Plan, der jetzt

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feste Züge annahm. Sie mußte es nur einwenig geschickt anstellen, und vielleichtwürde Gucky ihr ja helfen.

»Ich werde dafür sorgen, daß du einenPlatz im Ewigkeitsschiff bekommst«, ver-sprach sie dem Bekassu und sicherte sichdamit für immer seine Zuneigung undFreundschaft.

*

Orsa stand eine Handbreit über dem Hori-zont, als ein Funkanruf von Enza MansoorPerry Rhodan in die oberste Stadt an der Kü-ste rief. Dort hatte eine Patrouille eine Grup-pe von Bekassu entdeckt, die nach ihrer ei-genen Aussage auf die Götter warteten. Vorsich auf dem Boden hatten sie eine Unzahltechnischer Gegenstände ausgebreitet, undals Rhodan eintraf, erkannte er auf den er-sten Blick, daß es sich um Geräte aus terra-nischer Produktion handelte. Von kleinen,tragbaren Interkomen bis hin zu Hyperfunk-sender-Teilen war alles vertreten, und diegrößeren Gegenstände gehörten offensicht-lich zu einem ehemaligen Ersatzteillager,denn sie standen nicht miteinander in Zu-sammenhang.

Einer der Bekassu nannte sich Nudalgo.Er erkannte Rhodan als den Wortführer sei-ner Götter und ließ sich vor ihm zu Bodensinken. Rhodan befahl ihm, sich aufzurich-ten und auf dem Steiß zu sitzen. Er konntees nicht ausstehen, wenn ein intelligentesLebewesen sich vor ihm in den Staub warf.Da Rhodan fließend Gurradsch sprach, be-nötigte er für die Unterhaltung keinen Trans-lator.

»Wir haben nicht gesündigt!« rief Nudal-go aus. »Ihr müßt es uns glauben. Wir habenes nie gewagt, in die Station einzudringen.Was wir gefunden haben und als geheimeSchätze betrachteten, stammt alles aus derUmgebung der Station. Vielleicht haben esdie Götter dort hingelegt, damit wir es fin-den!«

Rhodan mußte heimlich grinsen bei derInterpretation. Die Bekassu wußten offen-

sichtlich nicht genau, wie sie eine Reaktionder Sternreisenden einzuschätzen hatten. Ei-nerseits erhofften sie sich Nachsicht, ande-rerseits plagte sie das schlechte Gewissen.

»So wird es gewesen sein«, gab er zurAntwort. »Wir zürnen euch nicht, Ihr habtdie Dinge in der Nähe der Station gefunden,ihr dürft sie behalten. Wir schenken sieeuch. Doch eine Auflage müßt ihr erfüllen.Ihr bringt sie jetzt zurück an Ort und Stelle.Dort laßt ihr sie mindestens drei Tage lie-gen. Danach könnt ihr sie abholen. Ihrbraucht sie dann nicht mehr zu verstecken.Sie sind unser Geschenk an euch!«

Die Bekassu zogen sich hastig zurück undmachten sich auf den Weg.

Rhodan gab Notkus Kantor einen Wink.Der Terraner eilte zu ihm.

»Bleibt mit euren SERUNS dran«, sagteer. »Laßt euch nicht sehen, aber verfolgt ih-ren Weg bis dorthin, wo sie die Gegenständeablegen. Sobald die Bekassu abgezogensind, benachrichtigt ihr uns. Ihr könnt dannschon mit der Suche nach der Station begin-nen!«

Notkus machte sich mit seiner Gruppe aufden Weg. Die Bekassu und die SERUN-Trä-ger verschwanden hinter der Stadt, und Rho-dan schritt hinüber zu Space-Jet 1. Er wolltesich mit den übrigen Suchgruppen in Ver-bindung setzen. Es waren einige wichtigeDetails herausgefunden worden.

Kurz vor der Bodenschleuse blieb Rhodanstehen. Vor ihm flimmerte die Luft. In Se-kundenbruchteilen zeichneten sich die Um-risse eines Lebewesens ab. Es trug einen SE-RUN mit offenem Helm und zeigte ihm denNagezahn.

»Da bist du ja«, sagte Rhodan erleichtert.»Wie war es?«

»Alles halb so wild«, meinte der Mausbi-ber. »Lediglich in Bullys Kabine ist der Teu-fel los. Der Dicke tobt und wirft mit demBettzeug um sich!« Er schüttelt tadelnd denKopf. »Zum Glück sind nicht alle Menschensolche Barbaren!«

»Kann es sein, daß du Bully etwas unsanftaus dem Schlummer gerissen hast?«

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»Bestimmt nicht.« Gucky blinzelte. »Odermeinst du? Nun ja, vielleicht könnte man esso verstehen. Aber ich glaube nicht …«

In der Bodenschleuse tauchte Eriza auf.Sie gab die erste Meldung der Verfolger-gruppe durch.

»Sie dringen in die Hochflora ein.« Rho-dan senkte den Kopf. »Beinahe habe ich esmir gedacht. Der Gebirgszug südlich derSteppe eignet sich gut für eine Station, diekeiner sehen soll.«

Entschlossen schritt er auf die Schleusezu.

»Kleiner, wir machen jetzt Nägel mitKöpfen. Es ist Zeit, daß wir uns alle Berich-te geben lassen.«

Zwei Minuten später ging der Sammelrufan alle sechs Gruppen hinaus, die sich aufden beiden Kontinenten auf der Suche be-fand. Es dauerte nicht ganz eineinhalb Stun-den, dann hatten sich die Landungsbooteund die zweite Jet eingefunden. Auf demgrasbewachsenen Boden westlich der ober-sten Stadt wurde die Besprechung abgehal-ten.

Jede Gruppe hatte etwas herausgefundenund war Spuren gefolgt. Ein genaues Bildergab sich jedoch erst durch das Zusammen-kommen aller dieser Informationen. Dem-nach hatte sich einst die Kosmische Hansehier niedergelassen und eine Station errich-tet. Das wußte man bereits aus den Informa-tionen der CIMARRON-Speicher. Hier aufKassuban bestätigte es sich nochmals. Auseinem nicht genau feststellbaren Grund hat-ten die Hanse-Spezialisten einst Kassubanverlassen, zuvor hatten sie jedoch dem Volkder Bekassu den Transitionsantrieb als Ge-schenk vermacht.

Bis hierher erschien alles logisch. SeitJahrhunderten ließen die Sternreisenden sichdieses Geschenk jedoch entgelten, indem siein regelmäßigen Abständen ein sogenanntesEwigkeitsschiff schickten, das alle fünfzehnbesiedelten Welten abklapperte und beson-ders fähige Bekassu an Bord nahm.

Eine Theorie bildete sich. Wenn dieswirklich auf die Hanse zurückging, handelte

es sich dann bei dem Ewigkeitsschiff umeinen der Kosmischen Basare? Was stecktedahinter?

Nach vierjähriger Dienstzeit kehrten dieBekassu mit demselben Schiff auf ihre Wel-ten zurück, doch sie besaßen kein Wissenmehr an die Zeit und den Ort ihres Aufent-halts. Sie wußten nicht zu sagen, was sie inder ganzen Zeit getan hatten. Sie wußtennur, daß sie irgendwo gewesen waren. Siesetzten ihr Leben da fort, wo sie es vier Jah-re zuvor unterbrochen hatten.

War dieses Vorgehen wirklich typisch fürHanse-Spezialisten?

Schlimme Zeiten erforderten außerge-wöhnliche Maßnahmen, aber Rhodan gabsich damit nicht zufrieden. Sicherheit wür-den sie nur dann haben, wenn sie in der Sta-tion die nötigen Hinweise fanden.

Also warteten sie auf eine Nachricht vonNotkus Kantor.

Die Wartezeit verbrachte Perry Rhodandamit, daß seine Tochter ihm den jungenEheenza vorstellte. Dieser plauderte munterdrauflos, und Eirene sah plötzlich ihren ge-heimen Plan gefährdet, an Bord des Ewig-keitsschiffs zu gehen und sich dort umzuse-hen. Inzwischen hatte sie von Eheenza er-fahren, in welcher Reihenfolge das Schiffdie einzelnen Planeten abflog. Sie wußte denAnfangs- und den Endpunkt.

»Die Idee, hier an Bord dieses Schiffes zugehen, ist nicht schlecht«, sagte Perry, an-statt sie zu tadeln, wie sie es erwartet hatte.»Doch zunächst benötigen wir die Informa-tionen der Hanse-Station.«

Sie wurde kurz darauf entdeckt, und Rho-dan machte sich mit einer kleinen Gruppeauf den Weg. Die übrigen Besatzungsmit-glieder des Schiffes kehrten in die Lan-dungsboote zurück und flogen zur CIMAR-RON.

Die Bekassu in den Städten wurden sicht-bar nervöser. Bis zum Eintreffen des Ewig-keitsschiffs waren es nur noch wenige Stun-den, und die Zeit brannte den Galaktikernunter den Nägeln.

Dazu kam noch, daß Space-Jet 2 eine

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Verzögerung in Kauf nehmen mußte. Ein inder CIMARRON gebauter Roboter, der aufden klingenden Namen Freiherr von Dittel-brunn hörte, hatte einen Totalausfall. BeimEinstieg in die Jet versagten alle seine Ener-giekreise. Er verklemmte sich und wurdebeim Versuch, die Bodenschleuse zu schlie-ßen halb zerquetscht. Bully machte sichschließlich schimpfend auf den Weg nachunten. Er entnahm dem Roboter den Spei-cher, schälte die Biomolplastschicht ab undwuchtete die Maschine dann ein paar Zenti-meter nach hinten.

Sie bekam das Übergewicht und stürztedie Stufen hinab ins Gras. Dort blieb sie lie-gen als Relikt der Götter, und die Bekassuwürden sie vermutlich eine Weile verehren.Vielleicht stellten sie die Maschine in einerHalle als Standbild auf oder versenkten sieim Meer. Letzteres gönnte Bully der Murks-konstruktion von ganzem Herzen.

8.

Nudalgo und seine Bekassu waren abge-zogen. Notkus und seine Begleiter hattenden überwucherten Eingang freigelegt. Eshandelte sich um ein mit Felsstücken ver-kleidetes Schott, und der Öffnungsmecha-nismus reagierte auf den Hanse-Kode, der inder Zeit vor der Großen Katastrophe ver-wendet worden war. Das Schott schwenktenach außen, dahinter flammte Licht auf.Zehn Mann hoch folgten sie dem Stollen,der in das Innere des Berges führte. DieHanse-Station war klein, mit zwanzigSchlafkabinen, drei Aufenthaltsräumen, ei-nem Fitneßbereich und dem Arbeitssektor,der sich über drei Hallen erstreckte, von de-nen keine länger oder breiter war als dreißigMeter. Die Techniker stellten fest, daß dasLicht aus einer speziellen Notstromversor-gung stammte. Alle übrigen Anlagen warenabgeschaltet und konnten nicht einmal vonder Zentrale aus in Betrieb genommen wer-den. Es dauerte drei Stunden, bis die Techni-ker eine Überbrückung gebaut hatten. MitHilfe des Notstroms konnte wenigstens der

alte Speicher in Betrieb, genommen werden.Da sie wußten, was sie suchen wollten,

stellte die Benutzung kein Problem dar. Siegaben den Hanse-Kode und den Alpha-Kodefür die Präferenz der Hanse-Sprecher ein.Danach standen ihnen alle Informationenzur Verfügung.

Der erste Teil ihres Wissens wurde bestä-tigt. Die Hanse hatte einige Jahre diese Stati-on betrieben, hatte sich danach wegen Uner-giebigkeit in wissenschaftlicher und wirt-schaftlicher Hinsicht von Kassuban zurück-gezogen und sich streng an die Gesetze derHanse gehalten. Die Entwicklung der Bekas-su war von ihr nicht beeinflußt worden, d.h.sie hatte dem Volk keine technische Ent-wicklungshilfe geleistet.

»Damit sind alle unsere Vermutungenbeim Teufel«, erkannte Bully. Er machte ge-rade kein glückliches Gesicht. Von wem ha-ben die Bekassu die Raumfahrt dann? Undworum handelt es sich bei dem Ewigkeits-schiff?

Sie gingen weiter den Speicherinhaltdurch. Die Hanse hatte noch einen zweitenStützpunkt angelegt, in den sie die gesamteMannschaft umsiedeln wollte. Dieser lag imPaura-System auf dem Planeten Paura-IV,knapp 29 Lichtjahre von Orsa entfernt undin der Nähe des Black Holes.

Der Name Paura war Perry Rhodan be-reits bekannt. Eirene hatte ihn genannt. Pau-ra war die letzte Station des Ewigkeits-schiffs, bevor es in unbekannter Ferne ver-schwand. Woher der Name kam, wußte mannicht. Bekassischen Ursprungs schien ernicht zu sein.

Einige weniger interessante Informatio-nen blieben unbesehen. Rhodan ließ denSpeicherinhalt in den Speicher seiner Jetüberspielen, dann wurde der Hanse-Speichergelöscht. Die Station wurde endgültig still-gelegt. Die Gruppe verließ das Bergmassivund machte sich auf den Rückflug zur CI-MARRON. Es hatte keinen Sinn, den Be-kassu eine Erklärung für den plötzlichen Ab-flug zu geben. Das Volk mußte sich ebendamit abfinden, daß die Götter sich zurück-

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gezogen hatten, nachdem sie ihr Volk ge-prüft hatten.

Gurrads wären keine gefunden worden,die Bekassu hatten ausführlich erklärt, daßsich keine dieser Wesen auf ihren Weltenaufhielten.

Tolots Raumhafen war nicht gefundenworden. Er befand sich nicht im Orsa-Sy-stem, soviel war sicher.

Nur die Hanse-Station war vorhanden,aber sie hatte keine Erklärungen für das ge-liefert, was damals oder seit jener Zeit vor-gefallen war.

Als sie sich der CIMARRON näherten,klopfte Perry seinem Freund Bully auf dieSchulter.

»Schade, daß wir nicht gewettet haben«,meinte er. »Du hattest fast die Hosen vollvon düsteren Ahnungen und Prophezeiun-gen. Sie haben sich alle als unbegründet er-wiesen. Glaubst du jetzt an die Harmlosig-keit der Bekassu?«

»Natürlich«, brummte Bully unwillig.»Ich weiß jetzt, daß die eigentlich Verdäch-tigen irgendwo anders sitzen. Im Ewigkeits-schiff oder im Nirgendwo. Was willst dutun?«

Rhodan erklärte es ihm, und ReginaldBull war einverstanden.

*

Sie hatten die Bekassu in dem Glaubengelassen, daß sie Angehörige jenes Volkeswaren, dem die Bekassu die Raumfahrt ver-dankten. Perry hatte sich Eirenes Idee ganzzu eigen gemacht und beschlossen, zusam-men mit ihr, Bully, Gucky, Beodu und o-varInguard an Bord des Ewigkeitsschiffs zu ge-hen. Er teilte seine Absicht den Bekassuganz offiziell mit, und die Wesen empfan-den es als Ehre und Auszeichnung. Rhodanwar einverstanden, daß sie Eheenza zu den

Auserwählten mitnahmen, da seine Tochtersich mit dem Bekassu angefreundet hatte.

Es war höchste Zeit. Nach kurzem Auf-enthalt in der CIMARRON flog Ian Long-wyn sie zu der Station hinüber, von der ausdie Auserwählten an Bord des Ewigkeits-schiffs gingen. Die CIMARRON und dieHARMONIE setzten sich in Bewegung undflogen nach Longwyns Rückkehr voraus indas Paura-System, um die kleine Gruppedort wieder abzuholen. Rhodan und seineBegleiter wollten inzwischen herausfinden,worum es sich bei dem Ewigkeitsschiff han-delte und wem es gehörte.

Eine knappe Stunde nach ihrem Eintref-fen in der Station wurde die Annäherung desEwigkeitsschiffs gemeldet. Es tauchte aufden Beobachtungswänden auf, ein ellipsoi-des Ding mit einem unregelmäßigen Heckund einem schiffsbreiten Auslegerarm nachunten. Es leuchtete in kupfernem Rot,schwenkte schwerfällig zur Seite und ging inder Nähe der Station längsseits. Einschlauchartiger Auswuchs- näherte sich derStation und legte sich um eine der Schleu-sen. Ein Signal ertönte, und die Bekassu lie-ßen den Sternreisenden den Vortritt beimBesteigen »ihres« Schiffes.

Rhodan warf seinen Begleitern einen letz-ten, aufmunternden Blick zu, dann setzte ersich in Bewegung. Sie folgten ihm auf demFuß, danach kam Eheenza mit den dreiund-vierzig Auserwählten.

Was erwartete sie in diesem Schiff? Esflog nach Paura, aber von dort aus weiter insNirgendwo oder, wie die Bekassu sich auchausgedrückt hatten, in die Ewigkeit.

»Wie weit ist es wohl bis in die Ewig-keit?« fragte Gucky, aber keiner gab ihm ei-ne Antwort.

E N D E

Der August des Jahres 1143 NGZ ist angebrochen. Rhodan und Co. haben das »Gebot derGötter« zu ihren Gunsten interpretiert und diesen Vorteil genutzt. Sie sind an Bord des Ewig-

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keitsschiffs gegangen und treten eine abenteuerliche Reise an.Mehr zu diesem Thema berichtet Clark Darlton im nächsten Perry Rhodan-Band. Der Ro-

man erscheint unter dem Titel:FLUG IN RICHTUNG EWIGKEIT

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Computer: Auf der Spur des vierarmigen Propheten

Den »konservierten Legendenerzähler« nannten sieihn auf Lookout-Station. Überall in den Weiten der Lo-kalen Gruppe drückte er die Sohlen seiner riesigenStiefel in den Sand und hinterließ ein paar vage Ab-drücke: Icho Tolot, der Rätselhafte. Früh schon war ervon Sabhal, dem Basisplaneten der Gänger des Net-zes, in Richtung M87 aufgebrochen. Es zog ihn dort-hin. Er wollte erfahren, was im Lauf der Jahrhunderteaus den Vorfahren seiner Art geworden war; dennschließlich stammen die Haluter von den »Bestien«ab, die durch Genmanipulation von Okefenokees ausder Spezies der Skoars gezüchtet worden waren. Esscheint eine harmlose Variante der Drangwäsche ge-wesen zu sein, die ihn damals zum Aufbruch drängteund den Netzgängern Lebewohl sagen ließ. Was mager seit jenen Tagen alles erlebt haben?

Es muß etwa 500 Jahre her sein, daß der vierarmi-ge Gigant in der Lokalen Gruppe auftauchte. So we-nigstens lauten die Aussagen der Gurrads, die anstel-le der Posbis heute die Hundertsonnenwelt beherr-schen. Die Gurrads wissen dies nicht aus eigener Er-fahrung; sie haben es selber wiederum von den Pos-bis gehört. Damals schon gab es das Gerücht, daßPerry Rhodan nicht mehr am Leben sei. Das Gerüchtscheint den Haluter in Rage versetzt zu haben. Mansagt, er habe tagelang wie ein Berserker getobt undmit Donnerstimme hinausposaunt, Perry Rhodan kön-ne nicht sterben, er lebe gewiß noch, man müsse nurnach ihm suchen. Nachdem er sich einigermaßen be-ruhigt hatte, machte er sich in der Tat auf die Suchenach dem verschollenen Freund. Die Posbis aber wa-ren von seiner Darbietung so beeindruckt, daß sieebenfalls von der Hundertsonnenwelt aufbrachen, umRhodan zu suchen. Viel später dann kehrt Icho Tolotzur Hundertsonnenwelt zurück. Was er dort wollte,läßt sich heute nicht mehr genau ermitteln. Er hattePerry Rhodan nicht gefunden, schwor aber immernoch Eide darauf, daß der Terraner am Leben sei. DieGurrads, die inzwischen anstelle der Posbis eingezo-gen waren, hielten solches Gerede für gefährlich. Sieüberlisteten den Haluter, sperrten ihn in einen Ener-giesarg und lieferten ihn den Maahks auf Lookout-Sta-tion aus.

Den Inhalt des Sargs erbeutete Ratber Tostan beiseinem Besuch auf Lookout. Es stellte sich heraus,daß es sich nur um eine Hülle handelte: um Icho To-lots rote Kampfmontur. Wo hatte der Haluter seinenHäschern ein Schnippchen geschlagen? War schonden Gurrads nur ein leerer Kampfanzug in die Händegefallen, oder hatte Icho Tolot es fertiggebracht, ausdem Energiesarg zu entkommen?

was ist das für ein Spiel, daß der Haluter spielt? Wirwissen – aber Icho Tolot weiß es nicht, als er mit sei-ner Suche beginnt –, daß Perry Rhodan 695 Jahrelang im Innern eines Stasis-Felds gefangen sitzt. DerHaluter hat also nicht die geringste Chance, Rhodanzu finden, es sei denn, er fände durch irgendeinen Zu-fall das Stasis-Feld und brächte es fertig, dort einzu-dringen.

Wie betreibt er seine Suche? Reist er wahllos in der

Gegend herum und lauscht den Reden des Volkes?Er hat ein leistungsfähiges Raumschiff, nehmen wiran. Vielleicht ist es sogar die alte HALUTA aus Netz-gängertagen, mittlerweile mit Primärantrieb auf Meta-grav-Basis. Eine solche Suche erscheint uns nichtganz so aussichtslos, wenn wir uns erinnern, daß vorkurzem noch in einem ganzen Universum nach PerryRhodan gesucht wurde – mit Erfolg obendrein.

Wir wissen nicht, welche Strategie der Haluter an-wendet. Vielleicht reist er wirklich aufs Geratewohldurchs Universum. Man fragt sich, nach welchen Kri-terien er sein Suchgebiet begrenzt. Sucht er auch inder Mächtigkeitsballung ESTARTU? In Gruelfin?Manchmal kommt es einem so vor, als würde er denWeg kennen, den Perry Rhodan in ferner Zukunft ge-hen wird. Wie käme er sonst auf die Idee, in der StadtPatembe auf Ayshran-Ho einen Memowürfel zu hin-terlassen, der ihn auf einem unbekannten Raumhafenstehend darstellt, während er die Worte spricht: »Folgtmir, Freunde. Ich bin auf dem Weg zu den Säulen derVergangenheit.« Freilich kann es auch sein, daß erTausende solcher Würfel überall in der Lokalen Grup-pe verstreut hat, um die Wahrscheinlichkeit zu erhö-hen, daß einer davon auch wirklich den »Freunden« –gemeint sein können nur Perry Rhodan und seine Be-gleiter – gefunden wird. Aber warum drückt er sich soorakelhaft aus? Erwartet er, daß Perry Rhodan weiß,wo die Säulen der Vergangenheit zu finden sind?

Wiederum berührt es uns eigenartig, daß PerryRhodan in der Tat erst vor kurzem zum erstenmal vonden Säulen der Vergangenheit gehört hat, und zwarvon Lafsater-Koro-Soth auf der Welt der Porleyter. Esgibt zu viele Dinge in diesem eigenartigen Spiel, dieeigentlich keinen Sinn ergeben, sich nachträglich je-doch als durchaus sinnvoll herausstellen. Perry Rho-dan ist fest entschlossen, der Spur des alten Freun-des zu folgen. Die Suche wird jetzt von beiden Seitenaus betrieben.

Es ist allerdings fraglich, ob die Suche nach PerryRhodan des Haluters einziges Anliegen ist. Wir habenschon einmal darüber gesprochen, daß das Gerüchtvon Rhodans Tod entweder auf Betreiben des unbe-kannten Gegners in der Milchstraße ausgestreut wur-de oder ihm doch wenigstens sehr gelegen kommt.Denn Perry Rhodan ist der Kern, um den herum derWiderstand gegen den »Teufel in Terras Hallen« aus-kristallisieren könnte. Solange Perry Rhodan als totgilt, wird sich niemand Hoffnung machen, daß derTerraner eines Tages auftauchen und die Exilgalakti-ker zum Kampf gegen die Tyrannen der Milchstraßeführen könnte – die Tyrannen, von denen man redet,von deren Existenz Geoffry Waringer überzeugt ge-wesen zu sein scheint, von denen man aber immernoch nicht weiß, ob es sie wirklich gibt. Könnte esnicht das Anliegen des Haluters sein, dem schändli-chen Gerücht entgegenzutreten? Auf der Hundertson-nenwelt hat er durch sein Getobe immerhin das ge-samte Posbi-Volk davon überzeugt, daß Perry Rho-dan noch am Leben sein und man nach ihm suchenmuß. Spielt er die Rolle des Herolds, der Überall in

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der Lokalen Gruppe verkündet: »Hört her! Der, den ihrfür tot haltet, wird in naher Zukunft wieder auftau-chen!« Eine solche Handlungsweise müßte ihn auto-matisch zum Feind der Unbekannten in der Milchstra-ße machen.

Perry Rhodan ist durch die Verfolgung der Bekassuvorübergehend abgelenkt. Aber sobald sich die Mög-lichkeit ergibt, wird er die Spur des Freundes wiederaufnehmen.

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