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Spätestens seit Dan Browns Bestsel- ler-Romanen Illuminati und Sakrileg, beide verfilmt mit Hollywood-Star Tom Hanks, weiß auch der so genannte kleine Mann auf der Straße, dass Gemälde, Sta- tuen und Gebäude geheime Botschaften enthalten können. Die Ikonographie, zentraler Bestandteil des Studiums der Kunstgeschichte, erleb- te ihre größte Blüte mit Aby Warburg le- gendärem Vortrag im Jahre 1917 vor der Heidelberger Akademie der Wissenschaf- ten, wenige Jahre, nachdem die Görlitzer ihre Stadthalle eröffneten. Dem Auge des geschulten Betrachters bei ihrem Anblick unwillkürlich der Gedanke auf, der Ar- chitekt sei Freimaurer gewesen, habe der Nachwelt eine zwar verborgene, aber um so eindringlichere Botschaft hinterlassen wollen, gestrenge Warnung und weiser Ratschlag zugleich, auch und gerade be- züglich der Mühsal und Quälerei bei Ver- such ihrer Wiedereröffnung, hier und jetzt, exakt ein Jahrhundert später. Wo bleibt die Jugend? Eine schier unlösbare Sisyphusarbeit, das imposante, den todesähnlichem Dornrös- chenschlaf verharrenden Musentempel zum Leben zu erwecken, so das Resü- mee einer Veranstaltung im März 2017. Bundestagsabgeordnete der großen Par- teien reisen aus der fernen Hauptstadt an, die Kulturbürgermeister beider Seiten der Doppelstadt Görlitz-Zgorzelec gaben sich die Ehre. Mit auf dem Podium saß der wohl bedeutendste Kunsttopograph, neben ihm der betagte Vorsitzende des Förderverein. Ein wie gewohnt eloquenter Moderator, dem es so oft schon gelang, bürgerliches Engagement in der Region an einem Tisch zu vereinen, gab sein Bestes, legte gekonnt den Finger die die Wunde. Kaum Einer der zahlreichen Besuchern Mitte Dreißig oder drunter, Wo bleibt die Jugend, und: kennt sie die Stadthalle überhaupt? Sie sei es doch, die in ein oder zwei Jahrzehnten dann das hoffent- lich neu eröffnete Gebäude nutzen wür- de. Vielen von uns Anwesenden, der Gedan- ke stand tabu-beladen im Raum, wären dann dahingerafft vom Staub der Zeit, wie wohl auch das Bauwerk selbst, wenn nicht ein Wunder geschehe. Engagierte Wortmeldungen aus dem Publikum. Die Neueröffnung müsse alsbald beginnen, alles kein Problem. Besucher kämen in Scharen, wie einst in seligen Zeiten, als volkseigene Schornsteinschlote zu bei- den Seiten der Neiße lustig qualmten, als mitten durch die Fluss die so Friedens- grenze ging, waffenstarrend die sozialis- tischen Bruderländer trennte, aber ... nun ja. Letzteres dachte wohl mancher der Senioren, sprach es aber nicht aus. Abriss als Lösung Der Wortbeitrag eines weitgereisten aus fernem Lande, und doch so nah, seines Zeichen Hochschulprofessor, war da Jürgen Hoppmann: Das Geheimnis der Stadthalle Donnerstag, 9. März 2017, Seite 1 Das Geheimnis der Stadthalle 'enthüllt' von Jürgen Hoppmann Historische Ansicht. Paul Lustig, www.unser-goerlitz.de Stadthalleneinsturz. Robert Scholz, Wikipedia

Das Geheimnis der Stadthalle - ArsAstrologica...Sie wollen das Geheimnis der Stadthalle live erkunden, in Realtime, ungepixelt, Echtzeit total! Das kann erst einmal grausam sein. Der

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Page 1: Das Geheimnis der Stadthalle - ArsAstrologica...Sie wollen das Geheimnis der Stadthalle live erkunden, in Realtime, ungepixelt, Echtzeit total! Das kann erst einmal grausam sein. Der

Spätestens seit Dan Browns Bestsel-ler-Romanen Illuminati und Sakrileg,beide verfilmt mit Hollywood-Star TomHanks, weiß auch der so genannte kleineMann auf der Straße, dass Gemälde, Sta-tuen und Gebäude geheime Botschaftenenthalten können.

Die Ikonographie, zentraler Bestandteildes Studiums der Kunstgeschichte, erleb-te ihre größte Blüte mit Aby Warburg le-gendärem Vortrag im Jahre 1917 vor derHeidelberger Akademie der Wissenschaf-ten, wenige Jahre, nachdem die Görlitzerihre Stadthalle eröffneten. Dem Auge desgeschulten Betrachters bei ihrem Anblickunwillkürlich der Gedanke auf, der Ar-chitekt sei Freimaurer gewesen, habe derNachwelt eine zwar verborgene, aber umso eindringlichere Botschaft hinterlassenwollen, gestrenge Warnung und weiserRatschlag zugleich, auch und gerade be-züglich der Mühsal und Quälerei bei Ver-such ihrer Wiedereröffnung, hier undjetzt, exakt ein Jahrhundert später.

Wo bleibt die Jugend?Eine schier unlösbare Sisyphusarbeit, dasimposante, den todesähnlichem Dornrös-chenschlaf verharrenden Musentempelzum Leben zu erwecken, so das Resü-mee einer Veranstaltung im März 2017.Bundestagsabgeordnete der großen Par-teien reisen aus der fernen Hauptstadt an,die Kulturbürgermeister beider Seitender Doppelstadt Görlitz-Zgorzelec gabensich die Ehre. Mit auf dem Podium saßder wohl bedeutendste Kunsttopograph,neben ihm der betagte Vorsitzende desFörderverein.

Ein wie gewohnt eloquenter Moderator,dem es so oft schon gelang, bürgerlichesEngagement in der Region an einemTisch zu vereinen, gab sein Bestes, legtegekonnt den Finger die die Wunde.Kaum Einer der zahlreichen BesuchernMitte Dreißig oder drunter, Wo bleibt dieJugend, und: kennt sie die Stadthalleüberhaupt? Sie sei es doch, die in einoder zwei Jahrzehnten dann das hoffent-lich neu eröffnete Gebäude nutzen wür-de.

Vielen von uns Anwesenden, der Gedan-ke stand tabu-beladen im Raum, wären

dann dahingerafft vom Staub der Zeit,wie wohl auch das Bauwerk selbst, wennnicht ein Wunder geschehe. EngagierteWortmeldungen aus dem Publikum. DieNeueröffnung müsse alsbald beginnen,alles kein Problem. Besucher kämen inScharen, wie einst in seligen Zeiten, alsvolkseigene Schornsteinschlote zu bei-den Seiten der Neiße lustig qualmten, alsmitten durch die Fluss die so Friedens-

grenze ging, waffenstarrend die sozialis-tischen Bruderländer trennte, aber ... nunja. Letzteres dachte wohl mancher derSenioren, sprach es aber nicht aus.

Abriss als LösungDer Wortbeitrag eines weitgereisten ausfernem Lande, und doch so nah, seinesZeichen Hochschulprofessor, war da

Jürgen Hoppmann: Das Geheimnis der Stadthalle Donnerstag, 9. März 2017, Seite 1

Das Geheimnis der Stadthalle'enthüllt' von Jürgen Hoppmann

Historische Ansicht. Paul Lustig, www.unser-goerlitz.de

Stadthalleneinsturz. Robert Scholz, Wikipedia

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schon konkreter. International, über dreiLändergrenzen hinweg, müsse die neueStadthalle werden oder ihr Tod seigewiss. Ratlos trotz vieler kluger Beiträ-ge schloss die Versammlung. Hernach imKneipengespräch, der Autor als Zeuge istbereit zur Testieren, bekundete der eineoder andere Bürger dieses vergessenenStädtchens am Ende der Welt, bekundetehinter vorgehaltener Hand, angesichtsder dauerhaft leeren Stadtsäckel mögeman den Bau dahinsiechen lassen biszum bitteren End, auf dass die Abrissrau-pe die Reste forträume, einst, in Zeiten,die nicht besser werden, das lehre die Er-fahrung.

GruselshowKünstler jedoch, sie verschmähen dieMacht des Faktischen, erschauen die

Welt mit anderen Augen, erinnern sich ankürzlich hier gedrehte, Oscar-prämierte

Filme, an legendäre Rockkonzerte in den80er Jahren, Tanzturnieren früher noch,an grandiose Sängerfeste zu Kaisers Zei-ten und … tja, und … landen dann natür-lich auch irgendwann beim Hinkefuß,der vor exakt 72 Jahre in der voll besetz-ten Stadthalle seine Durchhalteparolenkrähte, und das Publikum beklatschte be-geistert die eigene Götterdämmerung.Dass viele, die damals das Spektakelnicht mitmachen wollten, am Postplatzan Laternenpfähle aufgehängt wurden,sei hinzuzufügen. Wohl dokumentiert dasSpektakel von der Wochenschau desDritten Reich, der wohl meist geschauteFilm, wenn das Ausland unter dem Stich-wort 'Görlitz' googelt.

Das wahre LebenDie wirklich wahren, die echten Künstlerjedoch bleiben nicht im Internet hängen.Sie wollen das Geheimnis der Stadthalle

live erkunden, in Realtime, ungepixelt,Echtzeit total!

Das kann erst einmal grausam sein. DerBesucher, den Kopf gesenkt, weil gebeu-telt von der grauen Realität, lässt vor denStadthallenportal erst einmal den Kopfhängen. Er schaut hinab in die Tiefe undes graust im gar fürchterlich. Hier wirdVerfall gefeiert, erbarmungslos und kon-sequent.

Dann aber tritt man ein paar Schritte zu-rück, schaut hinauf zur Fassade, höherund höher, fast bis zum Himmel, kneiftdie Augen zusammen und setzt den For-scherblick auf, gleich jenem von TomHanks verkörperten Symbologen aus denUSA, der in besagten Hollywood-Block-bustern in Old Europe verborgene Bot-schaften, geheime Zeichen entschlüsselt,

Jürgen Hoppmann: Das Geheimnis der Stadthalle Donnerstag, 9. März 2017, Seite 2

Grand Budapest Hotel, miezeundtoast.blogspot.de

Göbbels Görlitzer Stadthalle März 1945, youtu.be

Eingang - ganz, ganz unten... Frank Vincentz, Wikipedia

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im Pariser Louvre und in Roms Pantheonbeispielsweise.

Der geheime CodeDirekt über dem Haupteingang der Gör-litzer Stadthalle, flankiert von strahlendweißen Sphinxen, ein griechisch-römi-sches Relief, verschleiert unter demSchmutz eines ganzen Jahrhunderts, eineNachbildung Nachbildung aus der Alba-nische Villa in Rom. Sein ikonografi-sche Bildprogramm birgt eine Botschaft,so schaurig-schön und passend zur Tra-gödie dieses Baudenkmals, dass Ver-schwörungstheoretiker verführt sind zuglauben, der Architekt wäre Geheim-bündler gewesen, Hellsichtiger, Illuminatoder zumindest Visionär.

Zufall oder Fügung, zumindest passt diekünstlerische Darstellung wie die Faustaufs Auge zum aktuellen Drama um dieStadthalle. Drei Figuren in griechischenGewändern. In der Mitte die lieblicheFlussnymphe Eurydike. Ihr zur Rechtender begnadete Sänger Orpheus, dessenGesang die Götter des Olymp erweichenkonnte. Sie streicheln sich, voll Sehn-sucht, fast flehentlich, wie wie bei einemlangen Abschied. Zurückgehalten wirdsie mit festem Griff vom GötterbotenHermes. Ein Moment, der dem, derwissend schauen kann, kalte Schauerüber den Rücken laufen lässt.

Ein fataler FehlerDer uralte griechische Mythos besagt,dass Orpheus und Eurydike einst einLiebespaar waren. Doch ein Sohn desSonnengottes bedrängte sie, auf derFlucht biss sie eine giftige Natter. Or-pheus stimmte Klagelieder an, die selbstdie Tiere des Waldes zum Weinenbrachte. Sogar die Götter der Unterwelthatten Mitleid. Sie gestatteten Orpheus,in Begleitung von Hermes in die Unter-welt hinabsteigen. Fände er die tote Eu-rydike, dürfe er ihr voran hinauf zum Le-ben schreiben. Doch blicke er sich vordem Tor zur Oberwelt um, sei sie für alleZeit verloren.

Ein kühler Kopf, der Götterbote Hermes,ein Wanderer zwischen den Welten, stetsneutral, sich niemals auf eine Seiteschlagend, wohl deshalb zugleich alsGott der Händler und Diebe bezeichnet.Er half dem Meistersänger, den Schattender schönen Flussnymphe zu finden.

Alles würde gut, gemeinsam schritten dieDrei hoch zur Oberwelt und wenn sie

nicht gestorben sind, so leben sie nochheute. Doch halt! Im Griechische Dramagibt es im Gegensatz zu Hollywood keinHappy End!

Auf dem Weg nach oben zögerte Or-pheus, verlor seinen Glauben, ließ sichvon Zweifeln und Pessimismus treiben.Folgte ihm die Geliebte wirklich? Erblickte sich um. Und da stand sie nun,seine Eurydike. Mit Tränen in den Au-gen. Mit seinem Blick zurück hatte ergegen das Gesetzt der Unterwelt versto-ßen. Nur hieß es, für immer Abschiednehmen. Gleich würde Hermes sie zu-rückführen ins Reich der Toten - für im-mer und ewig. Genau diesen Momentzeigt das Relief im Giebel über dem Ein-gang der Stadthalle.

ConclusioMögen die Alten, die bewunderungswür-dig zäh die Niederungen des leerenStadtsäckels beharrlich ignorieren, sichVerbündete suchen, gleich gegenüber aufder anderen Straßenseite. Dort hat sichgerade wieder ein rege schnatternderHaufen von Wandervögeln eingefunden.Aus allen Teilen Deutschlands, ausTschechien und Polen kommen sie, die

Erstsemester-Studenten, wollen Kulturund Management studieren, Wirtschaft,Sozial- und Ingenieurswesen. Sind herr-lich naiv, das Privileg der Jugend,schauen nur nach vorne. Mögen die alt-eingesessenen Görlitzer, diese verwege-nen Brückenbauer und und größenwahn-sinnigen Kulturhauptstädter, den neu zu-gereisten Flöhe in die Ohren setzen, ih-nen ein paar coole Sounds auf der Orgelvorspielen und zu ganz abgefahrenenDance-Partys einladen oder was auch im-mer. Auf dass diese Grünschnäbel sichaufmachen, dieses verwunschene Dorn-röschenschloss in Sichtweise des Uni-Campus neues Leben einzuhauchen.Mögen die Alten den Stab an die Neuenübergeben, denn ihnen gehört dieZukunft.

Drama oder Happy End? Die GörlitzerStadthalle birgt ein Geheimnis. Mankann es ihr am Gesicht ablesen.

~

Der Autor ist Mitglied der SPD Görlitz. Mehr zu ihm auf www.ArsAstrologica.com

Jürgen Hoppmann: Das Geheimnis der Stadthalle Donnerstag, 9. März 2017, Seite 3

Portal. Lvova Anastasiya, Wikipedia

Relief in der Villa Albani. Wikipedia

Stadthallenorgel und Tänzerin. Thomas Leder, youtube.de