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Das Geschenk der Lichtquelle

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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 617 Anti-ES - Xiinx-Markant

Das Geschenk der

Lichtquelle von Arndt Ellmer

Die Arltra-Ranger kommen

Die Verwirklichung von Atlans Ziel, das schon viele Strapazen und Opfer gekostet hat – das Ziel nämlich, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen –, scheint nun außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst.

Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besorgen zu müssen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Randgebiete der Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird.

Inzwischen herrscht im Umfeld der SOL Ruhe. Dafür aber ist in der SOL selbst der hoffnungslos anmutende Kampf gegen das Manifest C entbrannt, das das Schiff in die Vernichtung zu führen droht.

Um sich die Handlungsfähigkeit und die Chance zur Rettung der SOL zu bewahren, verläßt Atlan mit seinen engsten Mitarbeitern das Schiff und dringt in das Zentrum von Xiinx-Markant ein.

Dabei durchlebt der Arkonide wiederum einen »temporären Reinkarnationseffekt«. Seine Vergangenheit in der Namenlosen Zone ersteht vor ihm neu – und Atlans Verbündeter erhält DAS GESCHENK DER LICHTQUELLE …

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Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide in der Namenlosen Zone. Anti-ES - Atlans großer Gegenspieler. Kik - Ein seltsames Wesen opfert sich. Born - Das Energiewesen erhält einen »Körper«. Sanny - Eine Arltra-Rangerin. Pit - Ein Roboter der Basis.

1. Noch immer nichts?

Verzweifelt blickte ich auf den großen Panoramabildschirm und versuchte, irgend etwas zu erkennen. Für einen kurzen Augenblick streifte mich ein Gedankenbruchstück, ein leichtes Wehen einer fernen Erkenntnis.

Mein Extrasinn rührte sich nicht. Er gab keinen Kommentar. Er hatte sich an die Erfolglosigkeit gewöhnt wie fast alle, die um mich herum waren.

»Nein!« stieß ich plötzlich hervor. »Ich finde mich nicht damit ab! Wir werden ihn finden!«

Joscan Hellmut trat neben mich und berührte mich vorsichtig am Arm. Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Ich blickte ihn an. Der Sprecher der Solgeborenen machte kein glückliches Gesicht.

»Nichts!« flüsterte er. »Wir haben seine Spur noch immer nicht!« Ich konnte es in diesen bangen Augenblicken nicht sagen, wie

lange wir bereits suchten. Waren es Wochen? Monate? Oder gar Jahre? Immer wieder entdeckten wir den Hauch einer fünfdimensionalen Spur. Dann folgten wir ihr gierig und überhastet, um sie jedesmal aus den Augen zu verlieren.

»SENECA!« sagte ich mutlos, aber auch die Biopositronik schwieg. Angesichts der Hilflosigkeit der Menschen in dem großen Schiff schien sie ihre gewohnte Ironie verloren zu haben, und die Verkündigung der Flugdaten ähnelte jedesmal den tristen Worten

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eines Schiffskommandanten, wenn er den Metallbehälter mit einem Toten dem Leerraum zur Aufbewahrung übergab.

Seltsam. Früher hätten die Terraner in der SOL Witze über eine solche Stimmung gemacht. Aber jetzt mochten die über zweitausend Terraner sich vorkommen wie in einem großen Sarg, und die Solgeborenen hörten es nicht gern, wenn jemand Witze machte.

Dennoch, in diesen Tagen der ergebnislosen Suche, der Verfolgung einer vagen Spur, gab es keine Animositäten in den beiden SOL-Zellen und dem Mittelteil. Alle trachteten danach, daß die Schiffsführung Erfolg haben würde. »Wir werden nicht aufgeben«, versicherte ich Hellmut, dem das Schicksal des unsterblichen Freundes ebensowenig gleichgültig war wie mir.

Ich schwor BULLOC grimmige Rache. Die Vierte Inkarnation der Superintelligenz BARDIOC durcheilte die Galaxis Ganuhr. In ihrer milchigen Energiesphäre führte sie eine Geisel mit sich, Perry Rhodan.

Barbar! dachte ich. Du darfst es mir glauben. Ich werde diesen gluckernden Ballon zum Platzen bringen, wenn ich ihn treffe. Es wird mir nicht schwerfallen. Und ich werde auch den Auftraggeber dieser Kreatur finden. BARDIOC!

Alles war vergeben und vergessen, auch der Zwist in der Vergangenheit. Mein Bemühen, die Sicherheit der Menschheit innerhalb der Provcon-Faust zu gewährleisten, war mit den Interessen Rhodans kollidiert, dem es in erster Linie um die Freiheit der Menschen und die Vertreibung der Laren gegangen war. Ich hatte es letztendlich erkannt und die Konsequenz gezogen. Ich war an Bord des Generationsschiffs zurückgekehrt, um mit Perry gemeinsam an diesem Ziel zu arbeiten. Ein junger Mann hatte mich damals überzeugt.

Bjo Breiskoll. Wieder glaubte ich in mir ein fast nicht feststellbares, geistiges

Zupfen zu verspüren. Es war so, als wollte mich jemand auf etwas aufmerksam machen.

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Komm endlich zu dir! Du hast die Realität längst vergessen! Heftigkeit und Eindringlichkeit, mit der mein Extrasinn sich

meldete, ließ mich zusammenfahren. Ich blinzelte und starrte aus brennenden Augen auf den Schirm. Mit meinen Augen war etwas nicht in Ordnung, denn der Schirm veränderte seine Abmessungen ständig.

»Joscan!« wollte ich ausrufen, aber seine Gestalt verschwamm und löste sich vollständig auf. An seiner Stelle stand ein Roboter neben mir, menschenähnlich und doch wieder nicht.

Vergiß den Traum! Du bist nicht dort, wo du zu sein glaubst! Die Worte rissen mich endgültig in die Wirklichkeit zurück. Ich

streckte meine rechte Hand aus und umfaßte die verchromte Röhre des Geländers, das unterhalb der Kontrollanlagen angebracht war, und hielt mich fest, bis ich mir sicher war, mein Gleichgewicht wiedergefunden zu haben. Der Roboter näherte sich mir und hielt mir hilfsbereit seine Arme hin.

»Danke«, sagte ich heiser. »Es geht schon!« Die Rückkehr in die Wirklichkeit war mit einem Schauer kalter

Angst verbunden. Noch immer war der Bildschirm schwarz und leer, aber es war nicht der in der Hauptzentrale der SOL, sondern der im Steuerzentrum der Basis des Ersten Zählers, die mir zur Zeit als Aufenthalt und Fahrzeug diente.

»Pit?« fragte ich erleichtert. »Wo sind wir?« Der Roboter, einer derjenigen, die zur Basis gehörten und vom

Ersten Zähler Janv-Zount erschaffen worden waren, bewegte sich umständlich. Er schien Mühe zu haben, sich zu artikulieren. Für die Roboter war das Verschwinden des Ersten Zählers ein Schicksalsschlag, den sie kaum verkrafteten.

»Wir haben uns nur unwesentlich von unserem bisherigen Standort entfernt«, hüstelte der Roboter Pit verhalten. »Du kannst Flir und Rond fragen, sie stehen dort drüben und prüfen die Meßgeräte!«

»Es ist gut«, meinte ich. »Sie sollen sich nicht bemühen. Es hat

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doch alles keinen Zweck!« Noch immer wußte ich zu wenig über die Namenlose Zone, noch

immer hatte ich keine Hinweise auf die Beschaffenheit meiner Umgebung. Ich wußte, daß die Namenlose Zone in Regionen unterteilt war, aber ihre Ausmaße konnte ich nicht feststellen. Und das, obwohl ich seit Monaten durch diesen unbegreiflichen Raum kreuzte.

Rund dreizehn Jahre hielt ich mich inzwischen hier auf, gefangengenommen von der negativen Superintelligenz Anti-ES, die sich selbst in ihrer Verbannung einer kaum zu überbietenden Form der Agitation gegen die positiven Kräfte befleißigte und die Freiheiten, die ihr die Bestimmungen der Zone ließen, ohne Unterlaß für ihre eigenen Zwecke nutzte.

Nach der mir gewohnten Zeitrechnung der Menschheitsgalaxis mochte es inzwischen 3601 n.Chr. geworden sein. Ob der Zeitablauf des Normaluniversums auch in der Namenlosen Zone galt, konnte ich nicht sagen, nahm es jedoch an. Vielleicht entdeckte ich eines Tages etwas, das mir auch in dieser Beziehung Klarheit verschaffte.

Ich senkte den Kopf und lauschte in mich hinein. Ich kannte meinen Extrasinn gut genug, um zu verstehen, daß er im nächsten geeigneten Moment wieder in einen Gedankenaustausch mit mir treten würde. Niedergeschlagenheit umfaßte mich. Dreizehn Jahre waren eine lange Zeit, und ich hatte sie nur wenig nutzen können. Weiterhin war ich Gefangener der Namenlosen Zone, und ich hatte keine Gelegenheit erhalten, mein Ziel, die Kosmokraten zu erreichen.

Statt dessen kreuzte ich sinnlos hin und her und bildete mir ein, daß ich etwas finden müßte, das mir einen Anhaltspunkt geben konnte.

Die Grenzwächter sind kein Anhaltspunkt? fragte der Logiksektor. »Sie sind ein Anhaltspunkt, denn sie verhindern jedes

Durchkommen in einen der anderen Sektoren oder über diese hinaus. Sie wissen selbst nicht, was Materiequellen sind, und

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glauben, daß es außer der Namenlosen Zone nichts gibt«, argumentierte ich. »Wo soll ich also suchen?«

Die Roboter waren ebensowenig in der Lage gewesen, mir zur Erreichung meines Zieles zu verhelfen. Sie werteten aus und kamen zu keinen anderen Ergebnissen als ich selbst. Auch die Lichtquelle stellte keinen Kontakt zu mir und dem Extrasinn her.

Wenn ich wenigstens einen Weg gefunden hätte, in mein eigenes Universum zurückzukehren! Damit wäre mir möglicherweise am besten gedient, denn von dort konnte ich erneut versuchen, mit Hilfe Laires zu den Kosmokraten vorzustoßen und ihnen zu berichten, was sich in der Namenlosen Zone abspielte.

Laire? Weißt du denn, wo er geblieben ist? »Aber ich meine doch bloß …« Es ist kein Ausweg! schärfte der Extrasinn mir ein und erinnerte

mich an all die vorangegangenen Gespräche. Die Kosmokraten würden in der Namenlosen Zone nicht eingreifen, und ich war nach wie vor auf mich allein angewiesen. Die Roboter konnte ich nicht rechnen.

Es sind da noch gewisse Andeutungen des Achten Zählers. Aber sie sind ungenau. Vielleicht bedeuten sie etwas!

»In zehn Jahren«, erwiderte ich. »Du weißt, für übergeordnete Intelligenzen sind tausend Jahre wie ein Tag.«

Deinen Worten nach geht es dir wieder besser! Ich schüttelte mißmutig den Kopf. Es war nicht mehr als ein wenig

Galgenhumor, und doch zeigte es, daß ich die Hoffnung noch nicht völlig aufgegeben hatte. Genausowenig wie damals auf den Spuren BULLOCS.

Die SOL? fragte ich mich. Wo hat es dieses alte, treue Schiff nach der Trennung von den Terranern hinverschlagen?

Ich war mir nicht sicher, ob ich es jemals wiedersehen würde.

*

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Pit öffnete die mittlere Dachkuppel des Gästehauses und führte mich auf das flache Dach. Ich blickte über die natürliche Landschaft, die auf der Oberfläche der Basis angelegt war. Nur wenige Gebäude ragten über die Wiesen und Waldanlagen empor. Kaum zweihundert Meter entfernt lag die Lichtquelle, auch Quelle der Jenseitsmaterie genannt. Ein transparenter Dom von etwa fünfzig Metern Höhe ragte aus dem Boden. Das Gerüst dieses Gebildes bestand aus gleichmäßigen, dicken Streben. Es war zweifellos künstlichen Ursprungs. Ein Meer aus Licht von hellrosa und zartgrünen Farben füllte es aus und umgab es wie eine schützende Wolke. Erst weiter außerhalb des eigentlichen Gerüsts nahm das Licht eine weiße Färbung an. Undeutlich waren die faust- bis kopfgroßen Brocken zu erkennen, die in sprudelnden Kaskaden in die Höhe des Domes geschleudert wurden und dann in steilen Parabeln zurück in die eigentliche Quelle stürzten. Das faszinierende, fremdartige Spiel besaß einen inneren, natürlich anmutenden Kreislauf, der ästhetisch und in seiner Fremdartigkeit vollkommen war.

Ich wandte den Kopf und starrte zu dem schlanken, hohen Turm hinüber, an dessen Plattform die reparierte Gondel hing, aus der ich den Ersten Zähler befreit hatte. Nichts hatte sich dort ereignet, was auf die Rückkehr seines Bewußtseins hingewiesen hätte. Er war zum Spinar geholt worden. Anti-ES hatte wahrscheinlich aus ihm einen neuen, vollkommenen Janvrin gemacht. Und ganz bestimmt war es der negativen Superintelligenz inzwischen gelungen, alle Zähler des Spinars für sich umzufunktionieren.

In meinem Rücken ragte das Felsmassiv auf. Dort, an der flach ansteigenden Seite unter dem Felsbogen lag die Höhle, in der ich meine Aufzeichnungen immer versteckt hatte, ohne mich nach dem nächsten Schlaf daran zu erinnern. Ich hatte in den letzten Monaten keine Gelegenheit gefunden, sie wieder aufzusuchen. Es schmerzte, denn mit ihr verbanden sich die Gedanken an Bey Transot, den

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Haluter, den einzigen mir vertrauten Gefangenen, weil er aus dem Halo der heimatlichen Milchstraße stammte. Janvrin hatte den Haluter getötet.

Plötzlich glitt mir ein Name über die Lippen. Ich hatte das Wesen völlig vergessen.

»Kik!« stieß ich hervor. »Wo steckt Kik?« »Das Wesen, das du Kik nennst, kommt und geht, wie und wann

es will«, erklärte Pit mit rostiger Stimme. »Warte ab, bis sich etwas ereignet, das es interessiert. Dann wird es von selbst auftauchen!«

Ich war mit der Antwort nicht zufrieden, aber der Roboter gehörte zur Basis und kannte das Wesen wohl länger als mich.

Ich war Kik Dank schuldig. Er hatte in der ersten Zeit meines Hierseins die Nahrung für mich von seinen eigenen Rationen abgezweigt. Selbstlos und ohne Gegenleistung.

Oder nicht? Was wußte ich denn über die Vorgänge in der Namenlosen Zone, über die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung?

»Geht in den Wald und sucht Kik!« wies ich den Roboter an, doch dieser verneinte energisch.

»Es ist besser, wir kehren in die Hauptzentrale zurück!« sagte er. Als ich wieder den schwarzen, nichtssagenden Bildschirm vor

Augen hatte, verfluchte ich den Roboter und seine Empfehlung. Fast überkam es mich wie eine Drangwäsche, und nach der langen Zeit des Untätigseins hätte ich ganze Wälder ausreißen und an anderer Stelle wieder einpflanzen können.

Es gab nichts da draußen. Wohin ich die Basis des Ersten Zählers steuerte, flog ich ins Leere. Ich fand den Planetoiden von Anti-ES nicht mehr, auf dem es mich gefangengehalten hatte. Ich rekonstruierte den Rückweg zum Spinar nach den vorliegenden Daten. Ich flog ins Leere.

Die Leuchterscheinungen auf dem Schirm hielt ich für Überreaktionen meiner Nerven.

Sie sind real! Du hast etwas auf der Ortung! beruhigte mich der

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Extrasinn. Ich war wie umgewandelt. Rasch übernahm ich die Basis in

manuelle Steuerung und lenkte das Gebilde den Ortungsreflexen entgegen.

»Aufgepaßt, ich komme!« flüsterte ich. Die Basis raste durch den fremden Raum und näherte sich dem

Gebiet, in dem die hoch empfindliche Fernortung etwas ausgemacht hatte.

Die Detailortung nahm ihre Arbeit auf. Nicht zu hastig! dämpfte der Extrasinn meine Euphorie. Sieh dir die

Dinger erst einmal aus der Nähe an! »Nein!« stieß ich hilflos hervor. »Nein und nochmals nein!« Alles in mir verkrampfte sich. Was hattest du erwartet? Eine Materiequelle? Ich hatte nichts erwartet. Und doch sehr viel. Ich hatte gehofft,

eine Gruppe von Schiffen zu finden, eine Raumstation oder sonst etwas. Ich hatte mir eingebildet, fremde Wesen zu treffen oder auch Anti-ES, um mit ihm zu kämpfen.

»Felsen!« ächzte ich enttäuscht, und ein Rausch wilder Verzweiflung überkam mich. »Es sind ein paar Brocken Stein, licht- und leblos!«

Du hast deine Erwartungen zu hoch gesteckt. Du hast geglaubt, noch etwas in der Namenlosen Zone ausrichten zu können!

»Ja, das habe ich«, gab ich zerknirscht zu. »Wundert es dich?« Und jetzt? Wie fühlst du dich? Ich gab keine Antwort und schluckte einen arkonidischen Fluch

hinunter. Ich fühlte mich elend. Aber ein stetiges Gefühl sagte mir, daß es

nicht Zeit zum Aufgeben war. Anti-ES würde mich nicht kleinkriegen, auch nicht in der Einsamkeit zwischen all diesen Robotern. Ich besaß die Fähigkeit, mich mit Gedankenkraft in einen Wachtraum zu versetzen, und die Bilder aus der früheren Zeit der SOL waren nicht zufällig gewesen.

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Es gab starke Übereinstimmungen zwischen meinen damaligen Gefühlen, als wir der Sphäre BULLOCS folgten, und denen, die mich jetzt erfüllten.

»Ich werde immer ein Kämpfer sein«, sagte ich zu mir selbst und an den Logiksektor gerichtet.

Eines wirst du immer sein, antwortete er. Und gerade jetzt bist du es mehr als in früheren Zeiten. Der Einsame der Zeit!

2. Das Licht glühte, und es blendete das Wesen, so daß es die Augen schloß. Es wandte sich ab und wollte die Flucht ergreifen, doch die flüsternde Stimme in ihm hielt es zurück und bannte es auf die Stelle.

»Bleib, Kik!« vermittelte sie. »Du bekommst von mir eine Aufgabe!«

Kiks große Augen ruhten ängstlich auf der Erscheinung, die er zu kennen glaubte. Er war sich noch nicht sicher, welcher Teil sie war. Er beschloß, zunächst einmal abzuwarten.

»Du bist eine Superintelligenz, nicht wahr?« sagte er und wackelte dabei mit dem fünften Bein, das er in der Art eines Arms nach oben streckte. »Kik ist immer brav gewesen. Nicht wahr?«

Das leuchtende Gebilde wogte eine Weile auf und ab. Es schwebte hin und her, als suche es etwas oder wolle sich vergewissern, daß niemand dieses Gespräch belauschte.

»Wo bin ich hier? Ist dein Bereich ein Planetoid, nicht wahr?« »Du sollst keine Fragen stellen«, wurde ihm bedeutet. »Was du

nicht weißt, kannst du nicht verraten!« »Kik schweigt und ist immer ganz still, nicht wahr?« Die leuchtende Erscheinung hielt in ihrer Bewegung inne und

senkte sich ganz auf den Boden herab, auf dem Kik stand. Sie umglitt ihn einmal, dann ein zweites Mal. An ihrer ursprünglichen

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Stelle verharrte sie. »Ich suche etwas, und du wirst mir helfen, es zu finden«, sagte

ihre Stimme lautlos in ihm. »Du hast eine wichtige Aufgabe.« »Kik findet alles und ist immer wichtig, nicht wahr? Willst du

Atlan finden, nicht wahr?« Das leuchtende Gebilde projizierte ein paar Bilder in sein Gehirn,

und sie berichteten von einem unglaublichen Vorgang. Kik sah die Teilung eines einzelnen Wesens und die Flucht des einen, kleinen Teils. Kik sah eine Jagd und mehrere Begegnungen, und immer floh der Teil, der die geringeren Kräfte besaß. Und noch etwas erhielt er vermittelt. Der kleinere Teil kam mit einem weiteren Geistwesen zusammen, einem winzigen, energiestreuenden Gebilde. Beide zusammen bildeten ein Kleinstwesen aus. Der kleinere Teil und das Kleinstwesen mußten fliehen, während das energiestreuende Gebilde am Rand der Lichtquelle zurückblieb. Dann erloschen die Bilder.

»Basis des Ersten Zählers, nicht wahr?« stellte Kik fest. »Du bist zu groß, um der kleinere Teil des erstgespaltenen Wesens zu sein, nicht wahr?«

Das leuchtende Gebilde gab lange Zeit keine Antwort. Kik wurde es zu viel, und er hastete davon, um nach kurzer Zeit an den Rand der winzigen Plattform zu gelangen. Ein Ruf hielt ihn zurück.

»Bleib! Du kannst dort nicht hinabspringen. Du würdest dich zu Tode stürzen!«

Kik kehrte zurück, und das Leuchtwesen fuhr fort: »Ich habe aus großer Ferne ein paar Gedanken des Kleinstwesens

empfangen. Es nennt sich Chybrain, und mein Ziel ist es, ihn zu finden. Deshalb muß ich dorthin, wo ich seine Spur verloren habe.«

Kik schwieg, aber er wußte, welchen Ort es meinte. Und er begriff, daß das Wesen ihn dorthin schicken wollte, damit er für es spionierte und ihm Bericht erstattete über all das, was auf der Basis des Ersten Zählers vor sich ging.

»Ich darf mich dort nicht zeigen und muß vollkommen unsichtbar

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bleiben. Niemand wird mich orten können. Nur so werde ich mein Ziel erreichen!«

»Du wirst sie alle zu deinen Befehlsempfängern machen! Wie mich, nicht wahr?« Kik dachte an Janvrin zurück, vor dem er jedesmal die Flucht ergriffen hatte, wenn er auftauchte. Er wollte nicht getötet werden wie Beyl Transot oder Verynth. Vorsichtig blinzelte er das leuchtende Ei an, das so groß vor ihm aufragte.

»Du sprichst viele Worte, die du nicht verantworten kannst«, sagte es bedächtig. »Ich kann dir keine weiteren Erklärungen geben, aber ich bitte dich, für mich diese Aufgabe zu erfüllen!«

»Alles soll gut in Ordnung sein, nicht wahr?« Er beobachtete, wie sich an dem Ei eine Beule aufwölbte, ein

schimmernder Vorhang. Es bildete sich eine Öffnung, und das Wesen lud ihn ein, sie zu durchschreiten. Kik folgte der Einladung sofort.

Die Öffnung schloß sich, und das Wesen hob von der metallenen Plattform ab und ließ sie mitten in der Schwärze der Namenlosen Zone als Treibgut zurück, so wie sie vorher gewesen war. Nichts deutete darauf hin, daß hier ein wichtiges Gespräch stattgefunden hatte.

»Du weißt den Weg zur Basis, nicht wahr?« Das Wesen sandte ihm einen beruhigenden Impuls.

»Ich spüre sie jetzt«, erwiderte es. Kik rollte seine seesternartigen Extremitäten ein und ließ sich

innerhalb des Energievorhangs auf den Bauch platschen. »So bin ich's zufrieden, nicht wahr?« grummelte er. Er hatte endgültig begriffen, wer ihn da beförderte.

* Die Hast, mit der die Roboter in das Haus stürzten, ließ mich verwundert aufhorchen. Ich begriff sofort, daß sich etwas

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Ungewöhnliches ereignet haben mußte. So kannte ich die Maschinen des Ersten Zählers nur, wenn sie sich auf der Flucht befanden.

Anti-ES? War die Superintelligenz aufgetaucht? Du scheinst im Leerraum dein logisches Denkvermögen eingebüßt zu

haben! meldete sich mein Extrasinn. Anti-ES würde die Roboter seinem Willen unterwerfen und dich einsperren lassen!

Kamen sie, um das zu tun? Es hörte sich nicht so an, und ich fragte mich, was sie wollten. Die Manifeste fielen mir ein, die Anti-ES geschaffen haben mußte. Kam so etwas wie Janvrin auf mich zu?

Das Getrampel der metallenen Fußsohlen wurde immer lauter. Es schepperte durch das Gebäude, und ich hörte die ersten Rufe und Schreie. Die Roboter rannten kopflos durch die Stockwerke und suchten mich.

Ich trat an die gebäudeinterne Rufanlage und schaltete sie ein. »Ich bin in meinem Ruheraum!« teilte ich ihnen mit. »Es ist der

rechte Korridor am zweiten Hauptschacht, Ausstieg im siebten Stockwerk!«

Das Getrampel kam näher, sie hatten mich vernommen. Ich öffnete.

Da standen sie, die Furchtsamen. Ihre starren Blicke vermochten es nicht, die Angst auszudrücken, die sie überfallen hatte. Dafür taten sie es durch ihre eckige Körpersprache. Sie hielten die Köpfe gesenkt und die Knie leicht angewinkelt. Mit nach vorn gebeugtem Oberkörper standen sie da, über zwanzig an der Zahl. Manche schielten furchtsam nach rückwärts.

»Was ist geschehen?« fragte ich. »Es … es spukt, Atlan! Etwas ist auf der Basis und jagt uns Furcht

ein!« Sie gaben die Antwort durcheinander, und ich hatte Mühe, sie

zum Schweigen zu bringen und einen einzigen sprechen zu lassen. »Wo spukt es?« Ich hatte Mühe, ernst zu bleiben, denn die

Situation war für meine Begriffe einfach zu komisch.

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Es stellte sich heraus, daß überall auf der Oberfläche der Basis Leuchterscheinungen – aufgetreten waren. Sie betrafen alle Bauwerke und zogen sich in enger werdenden Kreisen um die Quelle der Jenseitsmaterie. Auch die Bäume und Büsche sparten sie nicht aus.

»Habt ihr Energie angemessen? Kann es sein, daß es sich um eine Teufelei von Anti-ES handelt?«

Die Roboter konnten es nicht sagen. Wieder redeten sie durcheinander. Ich ließ die Schultern sinken. Bei Arkon! Brauchbare Helfer waren sie beileibe nicht, die metallenen Vertreter des Ersten Zählers. Am Schluß kam es so heraus, daß ich auch noch den Seelenarzt für sie spielen mußte.

»Ihr werdet geträumt haben!« sagte ich barsch. »Kommt mit hinaus. Ich werde die Angelegenheit untersuchen!«

Plötzlich so schnell bei der Sache? »Du siehst es«, antwortete ich unhörbar. »Allerdings halte ich es

für Einbildung dieser Maschinen.« Du nimmst sie in Schutz! stellte der Extrasinn fest. Du hoffst es, daß

endlich etwas geschieht! Ich erreichte den Ausgang und blickte hinüber zum Turm und

seiner Plattform. An der Säule, an der die Gondel hing, züngelten hellblau schimmernde Flammen. Sie verschwanden dort und tauchten Sekunden später am Dach des Gästehauses auf. Sie wanderten über die Baumwipfel weiter dem Bug der Basis zu.

»Folgt mir!« Ich winkte den Robotern. »Wir werden angegriffen!« Düster malte ich mir aus, was geschehen konnte. Es gab in diesen

Wochen mit Sicherheit nichts Schlimmeres für mich, als wenn fremde Kräfte die Basis lahmlegten und sie eroberten. Meine wenigen Ziele, die mir noch geblieben waren, wurden durch die Leuchterscheinungen auch noch in Frage gestellt.

»Pit!« rief ich laut. »Wir brauchen Waffen zu unserem Schutz!« Die Roboter folgten mir, und ich rannte die Strecke von über

einem Kilometer bis zur Spitze des Gebildes. Der Wald und das

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Gras endeten dort wie überall abrupt. Eine steile Metallkante bildete den Übergang zu den unter der Oberfläche liegenden Sektoren der Basis, und ich ließ meine Augen prüfend über die lange Metallnase schweifen, die wie eine schräge Rampe nach unten ging. Positionslichter zeigten an, wo sie zu Ende war. Dort unten wußte ich die Ortungs- und Feuerleitsysteme und die Beiboote des riesigen Raumschiffs. Direkt vor mir ragten die Säulen der Schutzschirmprojektoren auf, die die Landschaft der Basis in Form eines ellipsoiden Gewölbes mit Energie überspannten und den Eindruck eines planetaren Himmels hervorriefen.

»Dort ist es!« Einer der Roboter hatte es ausgerufen. An der Kante entlang rollte

ein kleines, fast übersehbares Energiebällchen, und jedesmal, wenn es in der Nähe eines der Projektoren vorbeikam, sprang ein kleiner Blitz über und machte es ein wenig größer. Was da auf uns zukam, war eine energetisch massierte Form dessen, was man in der herkömmlichen Physik als Kugelblitz bezeichnete. So lange er an metallenen Gegenständen seinen Weg fand, war es gut, er wurde dann abgeleitet. Brachte ihn aber irgendeine Masse dazu, von seinem Weg abzuweichen, dann … Es war besser, ich sprach es nicht aus.

»Zurück!« stieß ich hervor. »Alles in Deckung!« Die Roboter folgten meiner Anweisung mit einer

Geschwindigkeit, als hätten sie die ganze Zeit darauf gewartet. Sie rasten in den Wald hinein, und innerhalb von wenigen Sekunden stand ich allein an der Kante und beobachtete das Bällchen, das ungerührt heraneilte. Es war inzwischen faustgroß, und ich trat ein wenig zurück, um es nicht durch meine Masse aus der Bahn zu werfen und sein Verhalten weiter beobachten zu können.

Genau vor mir hielt es an. Es war helle, reine Energie, und ich schloß für einen Augenblick geblendet die Augen. Es war ungewöhnlich, was hier vor sich ging, höchst ungewöhnlich. Nichts war an dieser Erscheinung, was auf den Gegner hinwies.

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Du hast es erfaßt. Es ist ein dir nicht geläufiger Vorgang. »Kannst du nicht konkreter werden?« begehrte ich auf. »Deine

Äußerung ist zweideutig. Wie soll ich sie auslegen?« Wie du willst! konterte der Extrasinn. Auch ich weiß zu wenig, um die

Lage fehlerlos beurteilen zu können. Die Tatsache, daß nichts auf Anti-ES hindeutet, kann die Falle sein.

»Danke!« nörgelte ich. Der kleine Energieball erlosch von einem Augenblick auf den

anderen. Nichts deutete darauf hin, daß er dagewesen war. Ich bückte mich und näherte meine Hand vorsichtig der Kante. Ich erwartete ein Anzeichen von Ladung, von elektrischer Spannung. Nichts war da. Die Energie war weg.

Ich kehrte zu den Robotern zurück, die sich ganz in den Wald zurückgezogen hatten. Ein paar von ihnen mußte ich aus den Wipfeln der Bäume herunterbitten.

»Ich weiß noch nicht, was es ist«, erklärte ich ihnen. »Aber vorläufig besteht keine unmittelbare Gefahr. Dennoch müssen wir dem Vorgang begegnen und seinen Ursprung herausfinden. Es handelt sich nicht um Spuk, sondern um das Einwirken eines Feindes.«

Ich war fest davon überzeugt, daß wir uns vorsehen mußten. Die Leuchterscheinungen waren ziemlich sicher nur Anzeichen eines viel gravierenderen Vorgangs.

»Was sollen wir tun?« fragten die Roboter. Ich bemitleidete ihre Hilflosigkeit. Es fehlte ihnen ein zentraler Befehlgeber.

»Alarm für die Basis«, sagte ich. »Sucht die gesamte Oberfläche und auch das Innere der Station ab. Irgendwo muß sich die Quelle dieser Erscheinungen befinden!«

Ich blieb stehen und beobachtete, wie die Roboter in verschiedenen Richtungen abzogen und über Funk ihre Artgenossen verständigten. Sie würden mit der Gewissenhaftigkeit von Maschinen suchen und etwas finden. Allerdings hegte ich manchmal Zweifel, ob es sich bei diesen Modellen um Roboter der

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mir gewohnten Kategorien handelte. In der Namenlosen Zone hatte ich mich inzwischen damit abgefunden, daß nichts sich mit dem mir gewohnten vergleichen ließ. Nicht einmal die Maschinen.

Ich machte mich auf den Weg zur Lichtquelle. Die Quelle der Jenseitsmaterie war von Anfang an der wichtigste

Orientierungspunkt für mich in dieser Landschaft gewesen. Bereits zweimal hatte sie mir geholfen. Zunächst, als ich meinen Extrasinn von ihr zurückerhielt, dessen Erinnerungen an den Vorgang genauso dürftig waren wie meine eigenen, und später die Aura der Unantastbarkeit, die sie mir verliehen hatte, um mich davor zu bewahren, daß Anti-ES aus mir ein Manifest machen konnte. Ich verdankte die Rettung dem Achten Zähler im Spinar, der mir die Hinweise auf die Vulnurer und Lichtquelle-Jacta gegeben hatte. Ich hatte der Lichtquelle versprochen, alles zu tun, um die Rückkehr der Vermißten oder Vertriebenen zu ermöglichen. Wie ich dieses Versprechen jemals 'erfüllen wollte, wußte ich selbst nicht.

Die Aura hatte mich vor Anti-ES geschützt, aber die Quelle der Jenseitsmaterie hatte darauf bestanden, daß ich das Spinar schleunigst verließ. Ich tat es und irrte seitdem mit der Basis umher.

Die Aura der Unantastbarkeit hatte sich längst aufgelöst. Ich verspürte nichts mehr davon. Mein Körper und mein Geist waren wie eh und je den Angriffen der Superintelligenz hilflos ausgeliefert.

Jetzt stand ich am Brunnenrand, der Einfassung des Doms, und beobachtete die Vorgänge in seinem Innern. Ich mußte den Kopf in den Nacken legen, um die Wege der Brocken zu verfolgen, die hinaufgeschleudert wurden und einen wilden Wirbel innerhalb des Leuchtens bildeten. Hellrosa und zartgrün empfand ich die Farben, und der stetige Wechsel verursachte einen Nebel vor meinen Augen, durch den ich die einzelnen Muster nicht mehr auseinanderhalten konnte.

Lichtquelle! dachte ich intensiv. Kannst du mich verstehen? Ich bin Atlan. Du hattest mit meinem Extrasinn Kontakt, weißt du es noch?

Du forderst sie heraus! Das ist nicht gut! Sie ist sehr sensibel! warf

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mein Extrasinn ein. Eine logische Begründung für seine Äußerung zu liefern, war er nicht imstande.

»Ich denke an etwas, aber ich kann es nicht in Worte fassen«, stellte ich fest, ohne einen Kommentar des Logiksektors zu erhalten. »Es sind die Farben, die es auslösen.«

Eine verschollene Erinnerung? »Lichtquelle!« dachte ich wieder, und diesmal sprach ich es laut

mit. »Kannst du mich empfangen? Etwas bedroht die Basis. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich glaube, daß auch du in Gefahr bist. Hast du diese Leuchterscheinungen festgestellt?«

Gib es auf, sagte der Extrasinn. Wenn sie den Kontakt will, wird sie sich bemerkbar machen.

Die Quelle der Jenseitsmaterie verhielt sich still, sie blieb passiv. Ich hielt es für ein schlechtes Zeichen. Daß ich damit recht behielt, zeigten die folgenden Ereignisse.

Langsam wandte ich mich ab und steuerte den nächstliegenden Einstieg in die »Unterwelt« der Basis an.

Ein Roboter kam mir an der Luke entgegen, es war Pit. Er hielt etwas in seiner Hand. Er erblickte mich und streckte es mir entgegen.

»Es beginnt!« schrie er mich an und drückte mir eine rostige Handwaffe in die Finger. »Komm nach unten, Atlan!«

»Was beginnt? Hast du nichts Besseres gefunden als dieses Ding hier? Funktioniert es überhaupt?«

»Keine Ahnung«, gab Pit zurück. »Die Basis ist bestens ausgerüstet und verfügt über unzählige Waffen und Abwehrsysteme. Aber das ist die einzige Handwaffe, die wir noch gefunden haben! Alle anderen sind zerstört!«

Es war unglaublich, die Haare wollten mir zu Berge stehen. »Was beginnt?« wiederholte ich. »Der Angriff!« schrie Pit und zerrte mich unsanft in die Luke

hinein. »Eine Armee nähert sich der Basis. Sie kommt bestimmt nicht in

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friedlicher Absicht, denn sie antwortet auf keinen unserer Funkanrufe. Du mußt etwas unternehmen!«

3. Rozzel nickte der Schar seiner Jenseitsbohrer zu und öffnete die Sormyng. Das Gebilde aus einer Zone übergekrümmten Raumes hing zitternd in der neuen Umgebung, die ARCHITEKT ihnen als Namenlose Zone bezeichnet hatte. Ihr Auftrag war fest umrissen. Ihr Herr wollte etwas in seinen Besitz bringen, das sich in dieser Zone befand. Er hatte ihnen die Sormyng anvertraut, mit der sie ein Loch in die Hülle der Namenlosen Zone »bohrten« und in sie eindrangen.

Rozzel schaltete an der halbmateriellen Tafel, mit der er das Gebilde bedienen konnte. Er gebrauchte dazu die silbernen Hände, zwei feine Handschuhe aus reinstem Nickel, denn mit seinem eigenen Körper war er nicht in der Lage, die leuchtenden und halb stofflichen Knöpfe und Schalter zu berühren. Er glitt durch die Materie hindurch.

»Denkt an die Macht von ARCHITEKT, was immer ihr tut!« schärfte der Arltra-Ranger seinen fünfzig Begleitern ein. »Unser Herr ist ein gerechter Herrscher, und ein Versagen wird er rücksichtslos bestrafen.«

»Du kannst dich auf uns verlassen!« Die kleine Sanny eilte zu ihm und verbeugte sich höflich. Ihr Körper war wie der aller Arltra-Ranger von einem dichten, kurzhaarigen Pelz überzogen, der lindgrün leuchtete, im Innern des übergekrümmten Raumes und dem damit verbundenen Lichtmangel jedoch dunkelgrün bis schwarzbraun schimmerte. Lediglich der kugelrunde Kopf der Jenseitsbohrerin war völlig haarfrei und von einem sanften Bronzeton. Aus kreisförmigen Augen mit hellblauen Pupillen sah sie den Kommandanten des Unternehmens ehrfürchtig an.

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»Wir können nicht versagen, denn unsere Bewaffnung ist unüberwindlich. ARCHITEKT hat uns mit allem ausgestattet, was wir brauchen! Er ist ein umsichtiger Herr, dem sich gern dienen läßt!«

Sanny trug eine hellrote Kombination mit einem schwarzen Gürtel wie alle Arltra-Ranger, die zu dieser Mission in die Namenlose Zone geschickt worden waren. Sie hatte ein Täschchen bei sich, einen braunen Fellbeutel, den sie sich über die Schulter gehängt hatte. Jetzt nahm sie einen kleinen Gegenstand heraus und hielt ihn empor.

»Keiner hat ihn vergessen!« rief sie mit zwitschernder Stimme. »Jeder hat seinen Energiespaten dabei!«

Es war ein leuchtendes Handwerkszeug, das ARCHITEKT ihnen mit auf den Weg gegeben hatte. In der Form einen Spaten ähnelnd, konnte mit ihm alles bewegt werden, was aus Materie und Energie bestand. Ganze Gebirge fielen unter der Wirkung eines solchen Spatens zusammen. Die meisten Werkzeuge aus dem Flekto-Yn strahlten weiß und gleißend. Die kleinen Spaten der Jenseitsbohrer jedoch schimmerten in dunkelblauem Licht. Sie waren für eine kleine und doch wichtige Aufgabe gedacht.

Die fünfzig Arltra-Ranger verteilten sich auf drei Schlitten, die außen an dem Fahrzeug aus übergekrümmtem Raum hingen. Es waren wellige Plattformen, und sie waren den goldenen Flößen aus Psiriterfall nachgebaut. So zumindest hatte ARCHITEKT es ihnen erklärt. Und für den Umgang mit dem Schlitten und den Aufenthalt in der Namenlosen Zone hatte er sie mit besonderen geistigen Fähigkeiten ausgestattet. Sie spürten keinen Unterschied zu jener Zone des Normalraums, in der sie zu Hause waren. Das Innere des übergekrümmten Raumes erinnerte sogar an manche Räume innerhalb des Flekto-Yn.

»Wir sind bereit«, klangen mehrere Stimmen auf. »Du kannst die Schleuder auslösen!«

Rozzel, der als einziger Wächter in der Sormyng zurückblieb, gab

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das Bestätigungszeichen. Er prüfte den Sitz seiner Handschuhe, dann berührte er den schwarzen, fast nicht sichtbaren Kopf. Ein feines Singen drang an seine Ohren, und er beobachtete, wie die Plattformen übergangslos aus seinem Sichtbereich verschwanden. Aus der Zone des übergekrümmten Raumes traten sie in jenen Bereich ein, der Namenlose Zone genannt wurde.

Wieder einmal bewunderte Rozzel die Umsicht, die ARCHITEKT bewiesen hatte. Allen Gegebenheiten der fremdartigen Umgebung hatte er Rechnung getragen, und der Jenseitsbohrer zog die silbernen Hände aus und legte sie sorgfältig neben sich auf den Boden. Er wartete auf die Rückkehr seiner Artgenossen und dachte, daß es kaum zwei oder drei Stunden normaler Zeitrechnung dauern würde.

Inzwischen hatten sich die Wellen-Plattformen gut eine halbe Lichtstunde von der Sormyng entfernt. Sie schaukelten nebeneinander durch den finsteren Leerraum. Die Jenseitsbohrer waren auf ihre Umgebung vorbereitet, und die Konditionierung für ihre Aufgabe ließ es nicht zu, daß Gefühle wie Angst oder Verlorenheit in ihnen auftreten konnten.

»Sanny, Ollug und Anfrer«, vernahmen sie die Stimme Uflagers. Er hatte von Rozzel das Kommando über den Vorstoß erhalten. Dicht neben ihm stand der kleine Lundwal, der mit Zentimetern der kleinste Arltra-Ranger war, den sie kannten. Sein Gesicht leuchtete hellgelb von einem Strahlenunfall, aber ARCHITEKT hatte ihnen erklärt, daß die Strahlung sich lähmend auf jenes Gebilde auswirken würde, das zu beschaffen er sie ausgeschickt hatte.

»Was gibt es?« fragte Sanny. Sie brauchte sich nicht anzustrengen, um sich bis zum übernächsten Schlitten bemerkbar zu machen. Die drei Plattformen bewegten sich, auf Gravitationswellen reitend, und ohne sichtbaren Schutz gegen den Leerraum auf ein noch unsichtbares Ziel zu. Lediglich die Tatsache, daß die vorhandene Atemluft nicht ausging, deutete darauf hin, daß es so etwas wie ein Schutzfeld über den Plattformen gab.

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»Wie mag es aussehen?« fragte Uflager. Er war einer der körperlich kräftigsten Jenseitsbohrer und hatte einen besonders großen Spaten erhalten.

»ARCHITEKT hat es uns nicht gesagt. Aber er hat uns bedeutet, daß wir es sofort erkennen würden. Unser Herr ist weise und denkt an alles. Warten wir ab, bis wir dort sind!«

In ihren Gedanken befaßten sie sich mit dem, was auf sie zukam. An den Schaukelbewegungen stellten sie fest, daß sie in ein Gebiet kamen, in dem die Gravitationslinien enger und gekrümmter waren als bisher. Das wies auf das Vorhandensein einer Massekonzentration hin. Fast gleichzeitig erkannten sie einen schwachen Nebelfleck vor sich, und Sanny sagte:

»Wir sind da! Macht die Störer bereit!« Sie wurden geortet und trafen die nötigen Vorkehrungen. Ihr Herr

hatte ihnen bedeutet, daß sie vielleicht nicht ungehindert an ihr Ziel kommen würden. Die Waffen, die sie besaßen, waren jedoch unüberwindlich.

»Eine Raumstation, mitten in der Leere«, staunte Ollug. »Das ist es also!« Und von der mittleren Plattform riefen mehrere Stimmen: »Eine Landschaft! Die Station hat eine Landschaft obenauf!«

Sie entschlüsselten die Funkbotschaft, ohne darauf eine Antwort zu geben. Sie erfuhren den Namen der Station und versuchten sich vorzustellen, wie es in ihrem Innern aussah und wie tief sie vorstoßen mußten, um an ihr Ziel zu gelangen.

»Basis des Ersten Zählers«, lachte Uflager herausfordernd. »Bald gibt es dort nichts mehr zu zählen.« Er hatte die Stimme des Anrufers als die eines Roboters identifiziert. Auch gegen Metallkämpfer waren sie gewappnet.

Kurz darauf blitzte es an der Basis zum ersten Mal auf. Ein ganzer Schauer von Energiestrahlen höchster Kalibrierung folgte, doch die Arltra-Ranger auf ihren Schlitten reagierten nicht. Sie sahen zu, wie die Energien wirkungslos vor ihnen verpufften oder weit zur Seite abgelenkt wurden und in den finsteren Leerraum hinausrasten. Sie

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dachten an Rozzel, der zurückgeblieben war und die Energieentfaltung anmaß. Wenn es ihm zu langweilig war, würde er sie in seinen Sektor konzentrieren und den Speichern der Sormyng zuführen, nachdem er sie umgewandelt hatte.

»Sollen wir ihnen eine Antwort verpassen?« Anfrers Stimme vibrierte vor Kampfeseifer.

»Eine kleine Warnung nur!« nickte Uflager. »Dann landen wir!«

* Anti-ES! Es konnte nur die negative Superintelligenz sein. Niemand anders sonst in der Namenlosen Zone verfügte über solche Machtmittel.

Wütend verfolgte ich, wie das Sperrfeuer der Basis wirkungslos an dem herannahenden Gegner abglitt. Die Massetaster lieferten keine eindeutigen Werte, und auf dem Bildschirm war nichts zu sehen. Es waren dunkle Gebilde, und das Licht, das die Oberfläche der Basis erhellte, reichte nicht aus, um Raumschiffe anzustrahlen.

Du bist schon wieder zu vorschnell! meldete sich mein Extrasinn. Wer sagt dir, daß es sich um ein Eingreifen von Anti-ES handelt!

»Noch keine Antwort?« fragte ich wütend. Die Roboter verneinten. Vergebens musterten sie den Schirm, aber auch sie konnten nichts feststellen, was auf die Energiesphäre der Superintelligenz hinwies. Nirgendwo war ein leuchtendes Oval zu entdecken.

Es wäre auch zu unlogisch. Bisher ist Anti-ES immer unmittelbar über der Basis aufgetaucht, ohne daß eine längere Annäherung durch den Weltraum festzustellen war.

»Du vergißt die Leuchterscheinungen«, knirschte ich innerlich. »Sie deuten auf den Gegner hin. Außerdem hast du selbst gesagt, daß es sich um eine Falle handeln könnte.«

Ein schrecklicher Verdacht war in mir. Ich stellte mir vor, wie

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Anti-ES seinen Planetoiden ausgefüllt hatte. Er war mit seiner Aura darin versunken und so unsichtbar geworden. Wenn es dasselbe mit der Basis gemacht hatte?

Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Kosmokraten und die von ihnen beauftragten Zähler so dumm gehandelt hatten, daß sie das nicht verhindern konnten. Der Gedanke an das Schicksal aller Zähler jedoch jagte mir Angst ein. Nicht Angst vor der Superintelligenz, das war es nicht! Ich war jederzeit bereit, den Kampf mit ihr wieder aufzunehmen. In den Robotern hatte ich ja zumindest eingeschränkt Helfer gefunden. Nein, es war eine substanzielle Angst, die mich wieder überfiel und mir einredete, die Kosmokraten hätten versagt und das Negative in unserem Universum würde auf die Dauer triumphieren. Dagegen kämpfte ich und gegen die Erfolglosigkeit der letzten Zeit. Die Ohnmacht, nichts dagegen tun zu können, bedrückte mich. Und wie so oft fühlte ich den Drang in mir, die Richtigkeit meiner Überzeugung zu beweisen. Mein Extrasinn hatte vollkommen recht. Ich sehnte die Konfrontation herbei und war froh, daß endlich etwas geschah.

»Unsere Abwehrwaffen können sie nicht aufhalten«, sagte Pit in diesem Augenblick. »Wir können nichts tun.«

»Gebt alle Energien auf die Schutzschirmprojektoren!« befahl ich. »Notfalls setzen wir die Jenseitsenergieschleuder ein!«

»Unmöglich!« gab der Roboter zurück. »Es handelt sich bei den herannahenden Objekten um verträgliche Substanzen.«

»Was heißt das?« Ich hielt den monotonen Sermon der Roboter nur schwer aus. Ihr gemächliches Agieren ging mir auf die Nerven.

»Sie werden von der Jenseitsenergie nicht zerstört, sondern nehmen sie in sich auf und kräftigen sich dadurch!«

Dann handelte es sich einwandfrei um Gebilde, die aus der Namenlosen Zone stammten. Von außerhalb konnten sie nicht kommen.

Bist du da so sicher? Ich verlor die Beherrschung. »Anstatt mir zu helfen, verunsicherst

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du mich dauernd!« hielt ich dem Extrasinn vor. Ich sprach laut, und Pit bezog die Äußerungen auf sich. Er bildete mit seinem Körper ein Abbild der Hilflosigkeit.

»Der Erste Zähler ist nicht da«, sagte er fast weinerlich. »Seit seinem Verschwinden geht es uns nicht gut!«

Angesichts der Tragik um diesen Roboter verrauchte mein Zorn schnell. Ich stellte mir die Frage, was ich allein gegen einen noch nicht einschätzbaren Gegner ausrichten konnte. Zaghaft blickte ich an meiner Kombination herab zum Gürtel, wo die rostige Waffe hing. Ich hatte sie noch nicht ausprobiert und wußte nicht, ob sie ihren Namen zu Recht trug oder eher in eine Schrottpresse gehörte.

Ein Aufblitzen auf dem Bildschirm blendete mich. Es gab irgendwo in den Anlagen der Basis eine dumpfe Implosion, dann erlosch der Bildschirm. Ein Rumoren deutete an, daß irgendwelche Geräte in sich zusammenbrachen, dann schrillte die Sirene für den Feueralarm.

»Schnell! Beeilt euch!« rief ich aus. »Es darf zu keinen größeren Zerstörungen kommen!«

»Was du hörst, sind die Reparaturmaschinen, Atlan!« Es war Flir, der sprach. »Und hier hast du auch wieder das Bild!«

Die Automatik hatte umgeschaltet auf eines der Reservesysteme. Ganz leicht erkannte ich einen verschwommenen Reflex, und einer der Roboter an den Meßgeräten sagte: »Drei Plattformen. Sie manipulieren die Gravitationslinien, um ihre Geschwindigkeit herabzusetzen!«

Ich wußte, was das bedeutete. Jetzt konnten wir nur hoffen, daß nirgends in der Basis die Andruckstabilisatoren ausfielen.

Aufgrund der Bewegung in der Raumkrümmung um die Station herum begann die Basis zu schwanken. Erkennbar war es, daß der Lichtfleck des Gegners nach oben aus dem Erfassungsbereich der Kameras wanderte und dann von der linken Seite wieder hereintrieb. Die Basis geriet in eine Taumelbewegung um alle ihre Achsen, und ich hegte Befürchtungen um die Existenz dieses für

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mich lebenswichtigen Gebildes. »Abwehrmaßnahmen!« fragte ich die Automatik. Die Antwort war

klar und eindeutig. »Keine Maßnahmen möglich!« Ich machte Pit ein Zeichen. »Wenn es hier in der Nähe kleinere

Waffensysteme gibt, die ausgebaut und auf fahrbare Lafetten montiert werden können, dann tut das sofort. Wir können hier unten nichts ausrichten. Wir müssen den Gegner auf der Oberfläche abfangen!«

Es war nur eine kleine Hoffnung, die ich hegte. Sie sagte mir, daß die Fremden zwar unüberwindliche Raumwaffen besaßen, aber im Bodenkampf vielleicht nicht so gut gerüstet waren, weil sie nicht mit großem Widerstand rechneten.

Die Roboter zogen ab, und ich blieb allein in der Zentrale zurück. Ich schaltete an den Kamerasystemen und verfolgte den Weg der drei Plattformen. Sie hatten sich jetzt bis auf zwanzig Kilometer genähert und ihre Verzögerungsphase beendet. Die Taumelbewegung der Station hörte langsam auf.

Dann kamen sie herunter. Ich sah, daß sie herkömmliche Antigravs benutzten. Mühelos durchdrangen sie die Schutzschirmwölbung und senkten sich dem Boden der bewaldeten Oberfläche entgegen. Sie steuerten ein ganz bestimmtes Ziel an, überlegten es sich aber dann doch noch. Die Plattformen änderten dicht über dem Boden den Kurs und strebten der Spitze der Basis zu, wo sie im Randgebiet unmittelbar an der abfallenden Kante landeten.

Ich schickte eine Kamerasonde hinter ihnen her. Sie lieferten mir ein paar Bilder vom Aussehen dieser Wesen, bevor sie von ihnen entdeckt und abgeschossen wurde. Die dabei verwendete Energie war fremdartig und zerstörte die Hoffnung, die ich mir gemacht hatte. Es gab keine Gegenwehr, und wenn das Ziel, das sie ursprünglich gehabt hatten, auch jetzt noch dasselbe war, dann besaß ich nur eine einzige Möglichkeit.

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Du willst dich diesen Zwergen mit blanken Händen in den Weg stellen? Das ist glatter Selbstmord!

Der Extrasinn wußte genau, daß gerade dieser Teil der Basis das Wertvollste war, was es in der Namenlosen Zone gab. Dort hatte er eine vorübergehende Bleibe gefunden, nachdem er aus den Fängen von Anti-ES gerettet worden war. Dort hatte ich die Aura erhalten, die mir das Leben gerettet hatte. Wenn das Gebilde sich jetzt immer noch nicht rührte, dann war es unsagbar dumm.

Ich würde es zumindest versuchen, ihm zu helfen. »Sieh dir diese Zwerge an«, murmelte ich halblaut und deutete auf

die Kamerabilder. »Sie mögen gut bewaffnet sein, aber körperlich bin ich ihnen überlegen.«

Ich war entschlossen, einen regelrechten Guerillakrieg gegen die Eindringlinge zu führen. Zusammen mit den Robotern.

Eine zweite Kamerasonde zeigte, daß sich die Zwerge Zeit ließen. Sie waren noch nicht von ihren Plattformen gestiegen und bewegten sich kaum. Ich aktivierte die Rundrufanlage.

»An alle Roboter!« sagte ich. »Sofort an die Oberfläche! Die Fremden haben es auf die Lichtquelle abgesehen!«

Ich hetzte hinaus und dachte daran, daß ich ihr ein Versprechen gegeben hatte. Es war nicht das erste, das ich in der Namenlosen Zone eingegangen war. Ich hoffte inständig, daß ich dieses wenigstens erfüllen konnte.

* Geduckt schlichen wir am Fuß des Felsmassivs entlang. Ich hatte dreißig der Roboter zu mir gerufen. So leise wie möglich folgten sie mir und hatten Mühe, in der gebückten Haltung ihr Gleichgewicht zu behalten.

»Wir teilen uns!« wies ich sie an. »Eine Hälfte schleicht am Rand der Basis entlang durch den Wald, die andere nähert sich von der

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Mitte her. Scheucht alle Tiere auf, denen ihr begegnet. Jagt sie auf die Zwerge zu, damit sie von uns abgelenkt werden!«

»Was hast du vor?« fragte der Roboter Pit. Ich erklärte es ihm. »Wenn es uns gelingt, bis an die Plattformen zu kommen und ein

paar von ihnen als Geiseln zu nehmen, dann befinden wir uns in einer besseren Position. Wir brauchen auch Waffen. Wir nehmen sie von ihnen!«

Die Roboter folgten mir weiter, sagten jedoch nichts. Endlich fragte Pit: »Mit welcher Gruppe gehst du?«

Ich entschied mich für die, die den direkten Weg durch den Wald nehmen wollte, und teilte mit einer Handbewegung die Gruppen ab. Es gab keinen Widerspruch, aber ich merkte deutlich, daß sie nicht glücklich darüber waren, allein am Rand der Landschaft entlanggehen zu müssen.

Wir hatten das Felsmassiv hinter uns gelassen, als Für sich umwandte und dann stehenblieb. Er deutete mit ausgestrecktem Arm zum Torbogen empor. Dort oben, auf der schmalen Felsbrücke, bewegte sich eine Gestalt. Sie schien uns zu beobachten.

»Kik!« stieß ich überrascht hervor. Es gab keinen Zweifel, er war es.

»Hatte ich nicht recht?« erkundigte Pit sich stolz. »Er kommt und geht, wann es ihm paßt!«

»Geht allein weiter«, sagte ich halblaut. »Versteckt euch im Wald und wartet, bis ich nachkomme!«

Auch ohne die Ratschläge meines Extrasinns begriff ich, daß das Erscheinen des Wesens etwas bedeutete. Ich ließ die Roboter stehen und rannte in langen Sätzen zurück und den Hang empor, bis ich am Fuß der Felsnadel direkt vor dem Tor stand. Ich legte den Kopf in den Nacken und winkte empor.

»Warte!« rief ich. »Rühr dich nicht! Ich hole dich herunter!« »Atlan! Hallo!« klang es herab. »Eine gute Aussicht ist hier oben.

Nicht wahr?« »Wie kommst du da hinauf?« fragte ich. »Kann ich dir helfen?

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Oder kannst du warten? Ich habe keine Zeit!« »Ja, gut, Atlan. Ich komme, nicht wahr?« Er turnte mit seinen fünf tentakelförmigen Extremitäten den

schmalen Felsbogen entlang und begann, sich rasch an der Felsnadel hinabzuhangeln. Sein Körper schwankte hin und her, aber er benötigte nicht einmal zwei Minuten, so hatte er den Fuß des Felsens erreicht und wandte sich mir zu.

Kik war nicht ganz einen Meter groß und hatte entfernt das Aussehen eines Seesterns, der auf fünf aufgerichteten Beinen ging. Manchmal benutzte er ein oder zwei dieser Beine als Arme. Oben in der Mitte des dunkelbraunen, unbekleideten Körpers saß ein Kopf, der fast nur aus roten Haaren und einem großen Augenpaar zu bestehen schien. Diese Augen musterten mich zutraulich.

»Atlan, hallo. Lange nicht gesehen, nicht wahr?« »Ja!« gab ich zurück. »Komm mit mir. Es sind Feinde auf der Basis.

Ich weiß nicht genau, was sie wollen, aber ihr Ziel muß die Lichtquelle sein!«

»Ja!« machte Kik. »Das ist ein Problem. Nicht wahr!« »Kannst du mir helfen?« »Kik ist immer gern hilfsbereit. Tag und Nacht. Nicht wahr? Oder

hast du dein Ei nicht?« Er lachte meckernd und musterte mich aufmerksam.

»Born, du meinst Born!« erkannte ich. »Weißt du nicht, wo er ist? Ich hoffte, du könntest es mir sagen!«

»Born ist ein schlauer Kerl. Nicht wahr? Atlan, erzähle mir.« Mit keinem Wort ging das Wesen darauf ein, wo es sich

aufgehalten und warum es sich ausgerechnet die Felsnadel als Ausguck genommen hatte. Seine Augen wanderten prüfend umher, während ich einen hastigen Bericht abgab. Dann verständigte ich mich über Funk mit den Robotern, aber bei den Zwergen hatte sich noch immer nichts gerührt. »Sie packen merkwürdige Geräte aus, die aussehen wie Schaufeln«, teilte Pit mir mit. »Wollen sie Bäume ausgraben?«

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Ausgraben? Ich war irritiert und überlegte, aber Kik lenkte mich ab.

»Janv-Zount, der Erste Zähler, ist endgültig verschwunden. Nicht wahr?« vergewisserte er sich. »Und Born sucht nach seinem Kind, nicht wahr?«

Ich zuckte zusammen. Ich hatte zu Born seit langer Zeit keinen geistigen Kontakt mehr gehabt, und in der Nähe der Basis hatte er sich nicht sehen lassen. Konnte es sein, daß er nicht wußte, wo Chybrain war?

»Unser gemeinsames Kind ist verschwunden«, hauchte ich tonlos. Eine furchtbare Ahnung drängte sich in mir auf, und ich lauschte auf eine Reaktion des Extrasinns. Er regte sich nicht, die Mitteilung mußte ihn wie ein lähmender Schock getroffen haben.

Anti-ES! dachte ich. Er hat seine Finger im Spiel. Meine Gedanken begannen jene Ereignisse zu reproduzieren, die

sich in dem Felsmassiv abgespielt hatten, an dessen Fuß ich stand. Born hatte sich in ihm versteckt. Von hier aus hatte er den Extrasinn aus den Fängen von Anti-ES befreit. Hier war das Kind geboren worden, unser gemeinsamer Sohn. Und in diesem Fels hatte sich auch die Höhle befunden, in der Laupertyn die Schlafhypnose und die damit verbundene Mnemo-Löschung erzeugt hatte.

Chybrain! Noch wußte ich nicht, wie ich dazu gekommen war, diesen Namen zu wissen.

»Ja. Atlan. Du kennst Chybrain. Nicht wahr? Du mußt es wissen. Er ist weg!«

»Kik!« sagte ich eindringlich. »Wenn du weißt, wo Born ist, dann sage es mir. Ich muß mit ihm sprechen. Chybrain darf nicht … Und Born muß mir helfen. Hörst du? Die Lichtquelle ist in Gefahr, du weißt es!«

»Atlan, nicht wahr. Wo Born ist, soll Kik wissen?« »Es ist wichtig!« »O ja! Kik ist immer wichtig. Born ist weit weg. Fast so weit wie

Chybrain. Aber Anti-ES ist ganz in der Nähe. Nicht wahr?«

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Die Lichtquelle ist jetzt nicht wichtig! Schmerzhaft drangen die Impulse des Extrasinns auf mich ein. Chybrain und Born sind das Problem!

»Nein«, sagte ich kleinlaut. »Die Fremden und die Lichtquelle sind unser Problem. Meine Vermutungen haben sich bestätigt. Anti-ES ist da. Ihm muß unsere Aufmerksamkeit gelten!«

Chybrain ist das Kind. UNSER Kind! »Höre, Kik«, bat ich den Seesternartigen. »Ich bin auf mich allein

gestellt. Die Lichtquelle rührt sich nicht. Sie wartet trauernd auf die Rückkehr der Vulnurer. Kannst du Born zu Hilfe holen?«

»Atlan, Kik kann es nicht. Aber Kik wird hierbleiben und sich in deiner Nähe halten. Nicht wahr? Kik hilft immer, wenn er kann.«

Er richtete sich auf seinen fünf Beinen auf und eilte davon. Kik, das zutrauliche Wesen. Der Retter in so mancher Situation.

Manchmal war es schwer, seine Sprache zu verstehen. Aber er hatte mir jedesmal, wenn ich aus dem Schlaf des Vergessens erwacht war, wichtige Informationen vermittelt. Die Mnemo-Löschung hatte ihm nichts anhaben können.

Dafür war er wohl ein »Seestern«. Lag sein Gehirn geschützt inmitten seines Körpers?

Ich hatte keine Zeit mehr, mir darüber Gedanken zu machen. Ich eilte weiter, den Robotern nach.

Als ich die Nähe der Plattform erreichte, hielt ich nach den Maschinen des Ersten Zählers Ausschau. Ich konnte keine einzige von ihnen sehen. Schließlich hörte ich ein feines Rascheln und ging ihm nach. Ich fand Rond, der sich fast vollständig in den weichen Erdboden eingegraben hatte. Bei meinem Anblick kam er heraus, und augenblicklich wölbte sich überall die Erde.

»Wir greifen an!« sagte ich und führte sie bis zu den letzten Bäumen, die uns Deckung gaben.

Auf mein Kommando stürmten die Roboter los. In breiter Front und von zwei Seiten rannten sie auf die Zwerge zu, aber diese schienen von der Übermacht nicht beeindruckt. Sie hantierten

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weiter an ihren fremdartigen Geräten. Ich lief geduckt zwischen den Maschinen her. Meine Haare

konnten mich verraten, und der Effekt der Überraschung war vertan. Ich hatte vor, plötzlich zwischen den fremden Eindringlingen zu erscheinen und einigen von ihnen die Waffen zu entreißen und zwei oder drei gefangenzunehmen.

Ich kam zu spät. Die Front der Roboter wurde durch die Luft gewirbelt und unsanft

zurück auf den Boden befördert. Ohne Ankündigung hatten sich die drei wellenförmigen Platten in die Luft erhoben und zogen über die Wipfel der Bäume davon. Die Roboter rafften sich auf und sammelten sich um mich.

»Zurück zur Lichtquelle!« schrie ich. Schweißperlen hatten sich auf meiner Stirn gebildet. Die Ohnmacht und Hilflosigkeit den Zwergen gegenüber machte mich zornig. Wie immer, wenn ich sehr stark erregt war, tränten meine Augen.

»Los, los!« drängte ich die Roboter. Für ein paar Augenblicke hatte ich die glitzernden Schaufeln in den Händen der Zwerge gesehen, wie Pit sie mir über Funk beschrieben hatte. Aber es waren keine Schaufeln, es waren winzige Spaten aus Energie, und ich sah die Fremden schon, wie sie anfingen, den Boden aufzugraben, um etwas mitzunehmen, was ihnen nicht gehörte.

Die Sorge um die Quelle der Jenseitsmaterie beschleunigte meine Schritte, und ich rannte und stolperte der Mitte der Landschaft zu. An dem kleinen See vorbei, der sein Wasser über einen Wasserfall in einen Bach abgab, sahen wir den Dom der Lichtquelle ein Stück entfernt unter uns liegen. Ohne auf das Geröll oder gangbare Wege zu achten, stürzten wir den Hügel hinab.

Die Plattformen waren neben der Lichtquelle gelandet, und die Zwerge waren damit beschäftigt, sich ringsherum zu verteilen. Jeder von ihnen trug einen der Energiespaten. Ihre Absicht war unverkennbar.

»Kik!« rief ich. Und noch lauter: »KIK!«

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Das seltsame Wesen ließ sich nicht blicken, und ich fühlte mich in dieser Situation allein gelassen.

Wir näherten uns dem Dom bis auf fünfzig Meter, dann hielt ich an. Die Roboter folgten meinem Beispiel. Erwartungsvoll starrten sie mich an, doch ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte.

»Pit«, fragte ich schließlich. »Wie lange benötigen die Maschinen der Basis, um eine entwichene Atmosphäre zu erneuern?«

»Es gibt keine Möglichkeiten, aus Gestein Sauerstoff zu gewinnen. Die Felsen der Basis sind nicht ausreichend dazu. Allerdings besitzt die Station für den Notfall eine Reservefüllung«, erwiderte der Roboter. »Und wir haben die Möglichkeit, die Lichtquelle zu bitten, aus Jenseitsmaterie eine atembare Atmosphäre zu schaffen. Aber dazu müßte der Erste Zähler zurückkehren, denn die Quelle schweigt. Willst du etwa …«

Ich nickte. »Wenn es nicht anders geht, schalte ich den Energieschirm über

der Basis ab. Die Zwerge werden den Dekompressionstod sterben, aber das ist immer noch besser, als wenn die Lichtquelle geraubt wird!«

Du glaubst das doch selbst nicht! Was ist in deinen Augen mehr wert? Das Leben eines intelligenten Wesens oder der Besitz der Lichtquelle?

Matt ließ ich mich zu Boden sinken. Der Extrasinn berührte genau jene empfindliche Saite in mir, die ich hatte leugnen wollen. Die Gedanken an die wichtigen Vorgänge um die negative Superintelligenz und den Wert der Quelle der Jenseitsmaterie machten mich kompromißlos. Auch das unverfrorene Vorgehen der Fremden trug seinen Teil dazu bei.

»Etwas muß ich doch tun!« versuchte ich mich zu rechtfertigen. Der Extrasinn gab etwas von sich, was wie ein geringschätziges Lachen erklang.

Du bist nicht im arkonidischen Imperium, sagte er hart. Es geht dir nur um eines. Du willst nach dem Abflug der Fremden nicht wieder mit leeren Händen dastehen. Deshalb. Dein Ehrgeiz macht dich blind!

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»Nein!« schrie ich. »Meine Einsamkeit ist es, die mich rasend macht.« Und wieder rief ich laut: »Kik! Komm zurück!«

Pit deutete nach vorn, und es klang aus seinem Mund ebenso tonlos, als hätte ich es gesagt:

»Sie fangen an!« Ich erwiderte nichts und starrte nur hinüber.

4. »Atlan war im Spinar. Er hat dort den größten Teil dessen erfahren, was er noch nicht wußte?«

Die Gedankenstimme klang zweifelnd und tastend. Sie gehörte dem Leuchtenden Ei.

»Atlan. So ist es. Nicht wahr?« »Und er hat von der Lichtquelle die Weisung bekommen, das

Spinar wieder zu verlassen?« »Kik hat es dir bereits berichtet. Nicht wahr? Kik lügt nicht!« Der Seestern klammerte sich an die kleinen Felsbrocken, die auf

der zackigen Oberfläche des Felsmassivs lagen und ihm nur einen unsicheren Halt boten. Am liebsten wäre er an der seitlichen Steilwand hängengeblieben, aber dort erreichten ihn die Gedanken des anderen nicht.

»Kik meint, das Felsmassiv ist kein schöner Platz. Nicht wahr?« »Du weißt, ich muß vorsichtig sein. Meine Annäherung hat zu

Erscheinungen geführt, die mich verraten könnten. Niemand darf wissen, wo ich mich aufhalte!«

Kik konnte das Wesen nicht sehen, aber er wußte ungefähr, wo es sich aufhielt. Es war unter ihm, in dem Felsmassiv. Es erinnerte ihn daran, daß sich schon einmal jemand in diesem Gestein versteckt hatte. Born hatte sich hier vor Anti-ES versteckt gehalten.

Das Felsmassiv war tatsächlich ein hervorragendes Versteck. »Berichte weiter!« forderte die Gedankenstimme ihn auf.

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Kik erzählte, was Atlan ihm gesagt hatte. Auch die Gedanken, die sich um den Komplex Chybrain und Born rankten.

»Atlan weiß um die Funktionen der Zähler. Nicht wahr?« meinte er zum Schluß. »Er hat alles erfahren und kennt sich aus, nicht wahr?«

Er wartete auf die Antwort des anderen, aber dieser ließ sich Zeit. Erst nach einer langen Pause meldete er sich wieder.

»Kik, du hast gut beobachtet. Aber es ist nicht genug. Du mußt deine Augen offenhalten. Was ist auf der Basis los? Was geschieht dort? Wer hat seine unsichtbare Hand im Spiel?«

»Kik ist immer wachsam, nicht wahr. Aber du hast Angst. Wovor?«

»Berichte lieber!« »Fremde stehlen die Lichtquelle. Atlan ist in Not!« stieß Kik

hervor. »Kik will ihm helfen, aber er darf nicht. Du willst, daß er sich im Hintergrund hält. Nicht wahr?«

»Die Lichtquelle ist wichtig. Sie darf ihren Platz nicht verlassen. Also geh und hilf Atlan! Aber du darfst nichts sagen. Weder wer dich hierhergebracht hat, noch daß jemand sich auf der Basis versteckt hält!«

»Kik weiß, daß du dein Ziel nicht verlierst. Nicht aus deinen Augen. Nicht wahr?«

»Ich habe keine Augen!« Kik zuckte ein wenig zusammen, sagte dann: »Das hat der andere

Teil auch nicht. Und Chybrain? Hat Chybrain Augen?« »Du redest wieder zuviel. Ich werde dir gegenüber ab sofort

schweigen!« »Kik übt nicht Verrat, nicht wahr? Aber er hilft Atlan!« »Dann tu es. Aber suche in meinem Auftrag weiter. Ich darf mich

nicht zeigen, solange ich nicht weiß, ob alles gutgeht!« »Du hast Kik das erzählt, nicht wahr!« »Ich habe viel gesagt. Aber du hast behauptet, ich wolle alle

zusammen fangen und deshalb warten, bis sie eingetroffen sind. Du

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hast das gesagt, Kik!« »Kik ist schlau. Nicht wahr. Er hat gleich gewußt, wer ihn zur

Basis bringt, nicht wahr.« »Ich schweige.« »Du hast Angst. Nicht wahr«, stellte Kik fest. »Aber Kik hilft dir

gern!« »Du sollst jetzt still sein. Geh hin und lenke Atlan ab. Ich will die

Gelegenheit benutzen, mich der Lichtquelle zu nähern!« »Kik ist aufmerksam. Nicht wahr.« Er lachte, verschwieg dem

anderen jedoch, daß Atlan die Leuchterscheinungen bemerkt und sich seine Gedanken gemacht hatte.

Er kletterte die Steilwand hinab, ruhte sich auf dem Felsbogen kurz aus und setzte seinen Weg fort. Auf umständlichen Pfaden eilte er der Lichtquelle entgegen und wurde von niemandem bemerkt, bis er in unmittelbarer Nähe der Zwerge auftauchte.

* Eigentlich hatten sie allen Grund, sich zu wundern. Was sich ihnen bisher in den Weg gestellt hatte, war nichts weiter als ein belangloser Aufmarsch von Robotern, die keine einzige Waffe mit sich führten. Es bedurfte nicht einmal des Einsatzes eines Ministörers, um sich ihrer zu entledigen. Lächelnd verfolgten sie, wie die Maschinen beim Start der drei Plattformen durcheinandergewirbelt wurden und Gräben in das Erdreich rissen.

Uflager schaltete den Empathor ab und klatschte begeistert in die Hände. Er bückte sich und nahm den Energiespaten auf, der ein wenig größer als die der anderen Arltra-Ranger war. Dennoch ging er ihm nicht weiter als bis zum Ellenbogengelenk.

»Der Kontakt war da!« verkündete er zwitschernd. Seine Stimme vibrierte vor Erregung. »Rozzel schickt einen Gruß mit. Er hat sich dazwischengeschaltet!«

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»Dann wissen wir jetzt, wohin wir uns zu wenden haben, welche Einrichtung dieser Raumstation unser Ziel ist!« jubelte Sanny. Sie umarmte Ollug und Anfrer und spähte hinab, wo die Wipfel der Bäume unter ihnen dahinzogen. Ein Grasgelände mit Büschen tauchte auf, und dann sahen sie den leuchtenden Dom, auf den die Plattformen zusteuerten.

»Quelle der Jenseitsmaterie nennt ARCHITEKT das Gebilde, das er in seinen Besitz bringen will!« erklärte Uflager und warf einen bezeichnenden Blick auf Lundwal mit dem gelben Gesicht. »Wir brauchen nicht lange zu suchen, denn es ist das Gebilde vor uns!«

Fiebrige Nervosität bemächtigte sich der Jenseitsbohrer beim Anblick des Domes. Sie versuchten aus der Ferne zu erkennen, was in dieser Quelle vor sich ging, aber die Eindrücke waren unvollkommen und verschwommen. Doch die Plattformen brauchten nicht lange, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Niemand versuchte sie zu behindern.

Für die fünfzig Arltra-Ranger war es eine hohe Auszeichnung, daß ihr Herr sie mit diesem Auftrag in die Namenlose Zone geschickt hatte. Er hatte sie intensiv darauf vorbereitet und konditioniert, und jetzt standen sie kurz vor ihrem Ziel.

Ein wenig waren sie traurig. ARCHITEKT hatte sie als Kämpfer ausgebildet und ihnen unüberwindliche Waffen mitgegeben. Niedergeschlagen stellten sie fest, daß sie ihre Beute nicht erobern mußten, sondern sie einfach wegtragen konnten wie ein Geschenk.

Es verletzte den Stolz der Jenseitsbohrer, und sie äugten immer wieder hinüber auf die freie Ebene, wo sich die Roboter um ein lebendes Wesen mit silberweißen Haaren versammelt hatten. Scheinbar teilnahmslos verfolgte dieses, was mit der Lichtquelle geschah.

Die Arltra-Ranger wußten, daß ihre Geräte und Waffen auf Jenseitsmaterie anziehend wirkten. Sie konnten dem Dom sämtliche Energien entziehen und ihn damit zerstören, doch das war nicht ihr Auftrag. Sie sollten das Gebilde unversehrt in das

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Normaluniversum bringen oder vielmehr in jenen Bereich verstärkter Raumkrümmung, in dem ARCHITEKT herrschte. Deshalb führten sie die Energiespaten mit sich.

Uflager umrundete trippelnd das Gebilde. Er berührte das Fundament des Domes, das sich als schützender Ring erwies und fest im Boden verankert war. Er schätzte, daß sich das Gebilde etwa dreißig Meter in den Boden hinein erstreckte.

»Fangen wir an!« zischte er laut, daß ihn alle hörten. Die letzten eilten von den Plattformen herab und verteilten sich um die Quelle herum. Dann setzten sie die Spaten an.

Die Arltra-Ranger machten keine großen Umstände. Ihre Absicht war es, die Quelle in ihrer Gesamtheit mitzunehmen. Sie wollten sie einfach aus der Station herausbrechen. Was mit dem Rest der zurückbleibenden Basis des Ersten Zählers geschah, interessierte sie nicht. Sie waren nicht darüber informiert, welche Funktion die Quelle der Jenseitsmaterie im Rahmen des Ganzen besaß.

Die Energiespaten hielten, was sie versprochen hatten. Jeder Stich in das Erdreich schleuderte etwa das Zwanzigfache von dem davon, was normalerweise auf eine Spatenfläche gepaßt hätte. Innerhalb weniger Minuten bildete sich hinter den Jenseitsbohrern ein Ring aus aufgeschütteter Erde, und bald waren die Roboter hinter diesem Wall nicht mehr zu sehen. Die natürliche Oberfläche der Basis erhielt erste, schwere Narben, und das Metall der Einfassung der Quelle verschmolz alsbald mit dem der eigentlichen Stationswandung. Sobald sie tief genug waren, würden die Spaten wie Schmelzöfen das Metall angreifen und die Quelle aus der Basis heraustrennen.

»Rozzel hat mit höchstens drei Stunden gerechnet«, lachte Sanny, während sie den winzigen Spaten wie eine Waffe schwang. »Er hat recht behalten. Es wird nicht einmal so lange dauern!«

In Gedanken malte sie sich bereits aus, welche Belohnung sie daheim im Flekto-Yn erwartete, wenn sie zurückkehrten. Sie wünschte sich, daß ARCHITEKT sie weiterhin in seiner Nähe

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behielt und sie vielleicht zu den Wächtern der Quelle machte. Sie hatten es verdient.

Andererseits freute sich Sanny auch auf jede andere Aufgabe, die der Herr ihr zuteilte. Sie und alle Arltra-Ranger waren glücklich, daß sie ARCHITEKT dienen durften. Die Jenseitsbohrerin trug sich sogar mit dem Gedanken, jenes Lebewesen mit sich zu nehmen, das sie zwischen den Robotern entdeckt hatten. Die Maschinen selbst waren unwichtig und in ihren Augen technisch veraltet.

»Das Wesen mit den Silberhaaren wäre ein starker Diener für unseren Herrn«, machte sie ihre Artgenossen aufmerksam. Und noch ein anderes Wesen erblickte sie.

Es erschien plötzlich auf dem Kamm des Erdwalls, der immer breiter wurde und in die Ebene hinauswuchs. Es war ein flaches Ding auf fünf Beinen, und es beobachtete sie aus großen Augen. Eine Weile starrten sie sich stumm an, während Sanny mit ihrer Arbeit innehielt. Dann zuckte sie mit den Schultern und schürzte geringschätzig die Lippen. Sie grub weiter, und die erste Ladung Dreck flog hinauf und deckte das Tier zu.

Eine Schimpfkanonade brandete auf die Jenseitsbohrerin hinab, und erneut brach sie ihre Tätigkeit ab.

Das Wesen dort oben war also intelligent, wenn auch nicht besonders. Vielleicht eignete es sich als Spielzeug. Sie rief Uflager herbei und bat ihn, es nach Abschluß der Arbeiten mitnehmen zu dürfen. Er genehmigte es ihr.

»Komm herab, neuer Diener!« rief sie dem Ding zu, aber es reagierte nicht. Statt dessen schrillte Ollug plötzlich:

»Da seht! Die Quelle reagiert!« Sie starrten den wabernden Dom an und sahen, daß sich die Farbe

an seinem Rand veränderte. Sie wurde dunkler, und das weiße Licht nahm ein wenig ab. Sofort wurde es über der Landschaft der Basis düster, wie auf Planeten zu Zeiten der Dämmerung.

Die Arltra-Ranger hatten alle ihre Spaten weggelegt und beobachteten die Erscheinung. Das milchige Etwas im Innern der

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Quelle verfestigte sich und bildete einen undurchdringlichen Vorhang, der ihnen die Sicht auf das nahm, was in ihrem Innern geschah. Uflager begriff als erster.

»Beeilt euch!« kreischte er. »Es wird ein Wettlauf mit der Zeit!« Sanny zweifelte zunächst an seinen Worten, folgte jedoch seiner

Aufforderung. Sie hielt den Vorhang für eine Instinktreaktion der Quelle, die keinen Einfluß auf ihre Arbeit haben würde.

Noch einmal blickte sie empor auf den Erdwall, aber das flache Wesen war verschwunden.

Kein Wunder, dachte Sanny. Es hat sich erschreckt. Es ist nur halbintelligent.

Sie freute sich schon auf dieses Spielzeug.

* Die Basis des Ersten Zählers war von ihrer Form her ein großes Raumschiff, auf dessen Oberfläche eine natürliche Landschaft angelegt war. Ihre Lage bewirkte, daß sich für diesen Teil der Begriff »oben« eingebürgert hatte. Auch die Schwerkraft stimmte mit diesem Empfinden überein. Ein einziges Mal hatte ich die Unterseite besichtigt, die in den Leerraum ragte. Neben etlichen Auswüchsen für Waffensysteme und den Antriebssektoren gab es Nasen und Beulen an dem Schiff, in denen Hangars für Beiboote untergebracht waren. Kuppelförmige Ortungsbereiche und ein paar wie Igel aussehende Halbkugeln gehörten zu dem unfangreichen Energieversorgungssystem der Jenseitsenergieschleuder. Sie zerteilten jenen Teil der Außenfläche, der sich für die Anlage einer zweiten Landschaft geeignet hätte.

Die Basis war von dem Ersten Zähler angelegt worden, um von ihr aus die erste der zehn Relativ-Einheiten zu bemessen oder abzuzählen, die Anti-ES von den Hohen Mächten in die Namenlose Zone verbannt worden war, weil es in der Auseinandersetzung mit

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ES zu unerlaubten Mitteln gegriffen hatte. Es war von Waffen der vierten Kategorie die Rede gewesen.

Offensichtlich hatte der Erste Zähler das Verhalten des Bestraften unterschätzt. Anti-ES hatte sich selbstständig gemacht und begonnen, sein eigenes Leben in der Namenlosen Zone zu entfalten. Es hatte den Ersten Zähler in seinem eigenen Schiff gefangengesetzt und einen Teil von ihm zu Janvrin gemacht, der die Basis bewachte und überall erschien, wo es die Interessen seines Herrn zu wahren galt. Bis sie ihn vernichtete.

Anti-ES war in der Offensive, und ich ahnte plötzlich, daß die Superintelligenz ihren Namen zu Recht trug und wesentlich weiter war, als ich bisher geglaubt hatte. Sie arbeitete zielstrebig daran, die Namenlose Zone verlassen zu können, und irgendwann würde es ihr auch gelingen.

Wenn die Kosmokraten nichts unternahmen und ich weiterhin erfolglos blieb.

Bald wird Anti-ES auf dich als Faustpfand verzichten können, stellte der Extrasinn fest. Bis dahin muß etwas geschehen sein.

»Die Lichtquelle ist aktiv geworden, das ist zumindest ein Anfang«, dachte ich. Sie hatte sich verdunkelt, und ich wertete es als Zeichen dafür, daß sie Abwehrmaßnahmen ergriffen hatte. Ich gab den Robotern ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten, denn ich setzte voraus, daß sie weitere Schritte einleitete. Und wieder einmal mußte ich deprimiert feststellen: Es gab nichts in der Namenlosen Zone, das den Erwartungen eines Wesens aus dem Normalraum entsprach.

Wieder verhielt sich die Quelle der Jenseitsmaterie still, und meine Versuche, geistigen Kontakt mit ihr zu erhalten, blieben erfolglos.

Weit drüben hinter dem Gästehaus bildete sich ein dunkler Fleck in der Erde. Es war eine Schleuse, und ich sah Roboter, die ins Freie drängten und fünf Antigravscheiben mit sich führten, auf denen Desintegratoren befestigt waren. Ich gebrauchte diesen mir geläufigen Begriff für diese Waffen, weil ihre Wirkung dieselbe war.

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Sie unterschieden sich jedoch in ihrem Prinzip, und ich nahm an, daß jene Desintegratoren, die ich von den terranischen Schiffen her kannte, in der Namenlosen Zone ohne Wirkung geblieben wären.

»Wir erwarten deinen Befehl, Atlan«, sagte Pit. Er stand schräg hinter mir und trat erwartungsvoll vor. »Was tun wir?«

Noch zögerte ich, und in einem aufkommenden Sturm der Gefühle dachte ich an meine alten Freunde in der Milchstraße. Ich sah das Gesicht Perry Rhodans vor Augen, den ich in der Phase meines Aufbruchs zu der Materiequelle für Orbanaschol, meinen ärgsten Feind, gehalten hatte. Es war nur gut, daß der Barbar mich in meiner jetzigen Lage nicht antraf. Ich stellte mir das Lächeln der kleinen Fältchen seiner Augenwinkel vor und das Zucken um seinen Mund.

»Jetzt bist du der Barbar, Kristallprinz!« hätte er gesagt und mich dadurch zu extremen Leistungen angestachelt.

Pit bewegte sich unruhig, er wartete auf die Antwort. Ich deutete hinüber zu den Plattformen, die außerhalb des Erdwalls lagen, der pausenlos in die Höhe wuchs und bereits einen Ring von zwanzig Metern Breite und über zehn Metern Höhe um die Lichtquelle herum bildete. Die Zwerge arbeiteten ohne Unterlaß mit ihren Zauberwerkzeugen, die man von der Größe her für Kinderspielzeug halten konnte.

»Wir schleichen hinüber und zerstören die Plattformen, solange sie ungeschützt sind«, flüsterte ich. »Es muß geräuschlos geschehen, damit die Fremden nicht auf uns aufmerksam werden!«

Bisher wußten wir nicht, wie sie heißen und woher sie kamen. Hatte wirklich Anti-ES sie geschickt? Wo war es? Ich begriff den Widerspruch nicht, und auch der Extrasinn fand

die Lösung nicht. Zuerst waren da die Leuchterscheinungen gewesen, die ich der negativen Superintelligenz zuschrieb und als Zeichen ihrer heimlichen Anwesenheit wertete. Dann kam der Überfall durch die Zwerge, die mit Mitteln arbeiteten, die es nur in der Namenlosen Zone geben konnte.

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Es ist nur eine Vermutung. Du hast mit deiner Absicht recht, daß du dich in einem Zweifrontenkrieg befindest. Zwischen unterschiedlichen Gegnern. Und auch das kann ein Irrtum sein!

»Kommt!« flüsterte ich den Robotern zu, und Pit setzte sich mit den Maschinen an den Antigravscheiben in Verbindung. Fast geräuschlos brachten sie die Geschütze heran, und ich ließ sie die fremdartigen Fahrzeuge umstellen.

»Feuer!« befahl ich. Ein Teil der Batterien, die zur Energieversorgung der

Desintegratoren dienten, glühten singend auf. Gleißende Strahlen schossen auf die gewellten Fluggeräte zu und hüllten sie ein. Für wenige Sekunden schoß ein grellweißer Vorhang in die Höhe, aber er fiel wieder in sich zusammen. Die Plattformen lagen unversehrt an ihrem Platz, nur ein Schwall heißer Luft zeugte von dem ergebnislosen Versuch.

Die Fluggeräte saugten auch diese Energie in sich auf. Die Roboter sprangen von den Geschützen zurück. Hellblaue

Flammen tanzten auf dem blanken Metall der Verkleidungen und eilten nach vorn bis zu den Abstrahlspindeln. Sie versuchten, auf die Plattformen überzuspringen, aber sie wurden immer wieder zurückgeworfen und glitten schließlich auf den Boden herab, wo sie zwischen den Grasbüscheln in der Erde verschwanden.

Auf dem Erdwall wurde es hell. Die Zwerge kamen mit ihren Spaten, und sie hielten sie zum Schlag erhoben. Auf ihren kurzen Beinchen eilten und rutschten sie den Hang herab. Unwillkürlich wich ich zurück.

Hinter mir war das Getrampel der Roboter zu hören, die sich zurückzogen. Pit rief nach mir, ich gab keine Antwort.

Steif blieb ich stehen und blickte den Zwergen entgegen. Langsam hob ich die rechte Hand.

Die Zwerge achteten nicht auf mich. Der Erdwall hinter ihnen war in Bewegung geraten. Ein gewaltiger Berg Dreck veränderte seine Lage und krachte und donnerte zu Boden. Er begrub einen Teil der

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Fremden unter sich. Erde spritzte mir ins Gesicht und gegen die Kombination, und ich zog es vor, mich bis zu den ersten Büschen zurückzuziehen.

Zorniges Geschrei hob an. Die Zwerge arbeiteten sich mit ihren Spaten heraus, aber inzwischen hatte sich ein beträchtlicher Teil des Erdwalls in Bewegung gesetzt. Er rutschte auf den tiefen Graben zu und verschwand darin, füllte ihn wieder aus. Diese Erscheinung setzte sich um die Lichtquelle herum fort, und innerhalb von knapp zwei Minuten war von der Arbeit der Fremden nichts mehr zu sehen.

Ich atmete erleichtert auf. Die Lichtquelle. Sie griff ein. Sie wehrte sich. Ein Schatten raste an den Zwergen vorbei auf mich zu und hielt

dicht vor mir an. Die großen Augen zwischen den wilden Haaren leuchteten.

»Atlan! Hier ist was los! Nicht wahr!« »Kik!« rief ich aus. »Du bist wieder da! Hast du gesehen? Die

Lichtquelle hat …« »Atlan, nein!« unterbrach er mich. »Du siehst die Dunkelheit, nicht

wahr? Die Lichtquelle hat sich abgekapselt. Sie ist nicht fähig zu so etwas.«

»Aber!« sagte ich. »Was geschieht dann? Das war Telekinese!« »Atlan, du nennst es so, nicht wahr. Kik nennt es anders. Siehst

du, die Zwerge haben mich gesehen. Sie kommen. Nicht wahr?« »Du warst das?« staunte ich überrascht. »Du beherrscht

Telekinese? Du bist ein Psi-Wesen?« »Atlan. Bis bald! Nicht wahr?« Kik raste davon, vor dem Fremden her, der den kleinen Spaten

umklammerte und dem Seestern folgte. Der Zwerg jaulte in einer unverständlichen Sprache, aber ein Wort glaubte ich zu verstehen. Es ähnelte verblüffend dem Interkosmo.

»Spielzeug!« rief der Fremde. »Spielzeug!«

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*

Sanny war die erste, die den Urheber der Erdbewegung erspähte. Mit einem lauten Ruf verständigte sie Uflager von dem Vorgang. Wütend beobachtete sie, wie der letzte Teil des Erdwalls im Graben verschwand. Ihre ganze Arbeit war zunichte, und die Ausrufe Ollugs zeigten an, daß die Erde sich verändert hatte. Sie war hart geworden, hart und schwer.

Sanny überlegte kurz. Ein großes Problem war es nicht, was geschehen war. Sie mußten eben nochmals ausgraben. Es kostete sie lediglich Zeit, und es stand zu befürchten, daß das halbintelligente Wesen seinen gedankenlosen Spaß wiederholen würde.

Für mehr als halbintelligent hielt sie es wirklich nicht. »Macht weiter!« rief sie. »Ich fange es ein und halte es euch vom

Leib!« Sie faßte den Spaten fester und rannte hinter dem Fliehenden her,

der auf wirbelnden Beinen zwischen zwei Bodenwellen verschwand. Er eilte dem Rand der Ebene zu, schwenkte aber hinter einem kleinen Felshügel ab und hielt auf den Turm zu, an dem Sanny eine Gondel hängen sah.

Er will sich dort in Sicherheit bringen, dachte sie und beschleunigte ihr Tempo. Ihre kurzen Beinchen trappelten in weichem Stakkato auf den Untergrund, aber sie kam dem Spielzeug um keinen Schritt näher. Nach einer Weile gewann sie den Eindruck, als halte die Halbintelligenz den Abstand konstant.

Sie sah, daß das Wesen hinter dem Turm einen Haken schlug und wieder dem Innern der Landschaft zustrebte. Sie kürzte ab und holte auf. Bis auf zwanzig Längen kam sie an das Ding heran. Es hatte jetzt die Richtung auf das Gebäude eingeschlagen, rannte daran vorbei und suchte die ersten Bodenwellen zu gewinnen, die zu dem Felsmassiv hin aufstiegen.

Bestimmt hat es dort eine Höhle, dachte Sanny. Die

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Jenseitsbohrerin blickte kurz zurück. Sie sah den wachsenden Erdwall um die Quelle der Jenseitsmaterie, dann entzog der erste Hügelkamm sie ihrem Blick. In einem Einschnitt unter ihr eilte das Wesen, und sie verfolgte es bis hinter die nächste Bodenwelle. Sie erschrak bis in die tiefsten Körperfasern, als sie nach einer Biegung das Wesen unmittelbar vor sich sah. Es versperrte ihr den Weg und verhielt sich abwartend und lauernd. Sanny hob den Spaten zum Wurf.

»Abwarten, Zwerg!« klang ihr eine klare Stimme entgegen, die sich in ihrer Heimatsprache ohne Fehler zu artikulieren schien. »Die Jagd ist zu Ende, nicht wahr?«

»Wer bist du?« sagte die Arltra-Rangerin und kniff die Augen zusammen. Es war hier in dem Einschnitt dunkler als draußen, und sie suchte den Hintergrund nach gefährlichen Artgenossen des Wesens ab. Die Umgebung war kahl und leer, sie waren allein. Langsam ließ Sanny den Spaten sinken.

»Kik, nicht wahr! So nennt man mich. Kik ist immer bereit. Nicht wahr?«

Sanny erkannte, daß sie es mit einem Intelligenzwesen zu tun hatte. Ihr Traum vom Spielzeug verblaßte, statt dessen sah sie in dem Wesen einen Feind, der ihre Arbeit störte.

»Ich werde dich töten«, zischte sie. »Jetzt sofort!« »Das ist angenehm, nicht wahr?« jaulte Kik. »Wie heißt du denn?

Ich muß schließlich wissen, wer mich tötet, nicht wahr?« Mit einem gewaltigen Sprung war er bei ihr, und zwei seiner

Extremitäten schlugen ihr gegen den Arm. Sie verlor den Spaten und fühlte die Umklammerung, gegen die sie nicht ankam. Sie begann zu schreien, aber niemand hörte sie. Langsam zog das Wesen namens Kik sie zu sich heran.

»Warum geschieht dieser Überfall?« drang die Stimme eindringlich an ihr Ohr. »Die Lichtquelle wird entführt, nicht wahr!«

»Du wirst nichts von mir erfahren«, zwitscherte sie. »Du kannst es auch nicht verhindern, daß es geschieht. Bis du zurück bist, ist es

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längst geschehen!« Sie glaubte ein Zucken in den Gliedmaßen zu spüren, die sie

festhielten. Kik hob sie hoch und brachte ihre Augen vor seine eigenen.

»So laß es also geschehen, nicht wahr? Jetzt!« Sanny bemerkte die blauen Flämmchen, die übergangslos über

Kik´s Haaren tanzten. Seine Augen schienen zu wachsen und anzuschwellen, und in ihnen taten sich unendliche Abgründe auf. Sie wollte schreien, aber da war sie schon hineingefallen und trieb als winziges, leichtes Blatt in einem Wind, der zu keinem Weltall und zu keiner Zone gehörte. Erinnerung setzte ein.

Ihre Heimat, ihre Anverwandten. Und dann eines Tages die Zerstörung ihrer Welt, ihre Deportation.

Und Sanny schrie. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib und hörte erst auf, als die Gliedmaßen Kik´s sie sanft auf dem Boden absetzten. Augenblicklich sank sie nieder und brach in ein herzzerreißendes Wimmern aus.

Viel später erst nahm sie ihre Umgebung wieder wahr. Sie sah Kik vor sich am Boden kauern und sie unausgesetzt beobachten.

»Ich bin Sanny«, flüsterte sie heiser. »Ich bin eine Molaatin und habe meine Heimat verloren!«

»Kik weiß es, er hat deine Gedanken gesehen, nicht wahr? Du bist erwacht! Du wirst mir antworten. Nicht wahr?«

»Ja«, sagte Sanny. »Herzlich gern.« Ein Blick voller Abscheu auf den Spaten, der hinter ihr lag, ein zweiter, freundlicher auf Kik, der wartend verharrte, dann begann sie zu erzählen.

Sie gehörte zu einer großen Gruppe von Molaaten, die nach der Zerstörung ihrer Welt Heimat-3 an einen Ort gebracht worden war, der Flekto-Yn hieß und in dem ein Wesen namens ARCHITEKT herrschte. Er hatte die Molaaten zu seinen kleinen Baumeistern gemacht und sie seither zu Arbeiten gezwungen, die sie unter normalen Umständen nie getan hätten. In jüngster Zeit hatte ARCHITEKT eine Gruppe von ihnen zusätzlich konditioniert. Er

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hatte ihnen die Erinnerung an ihr früheres Leben genommen und sie zu den Arltra-Rangern gemacht. Dann hatte er sie in die Sormyng gesteckt, eine Zone übergekrümmten Raumes, ein sogenanntes Loch zum Jenseits, von dem aus sie in die Namenlose Zone eindrangen und zur Quelle der Jenseitsmaterie vorstießen.

»ARCHITEKT will die Quelle der Jenseitsmaterie für sich, und er nimmt keine Rücksichten auf das Jenseits und die Hohen Mächte, die hier herrschen sollen!« schloß sie ihre Erzählung ab.

»Ein großes Unrecht, nicht wahr?« sagte Kik. »Die Lichtquelle ist sehr wertvoll und erfüllt auf der Basis ihren bestimmten Zweck. Sie gehört zu dem Schiff des Ersten Zählers. Die Außenhaut der Basis besteht aus hoch verdichteter Jenseitsmaterie. Nicht wahr!«

Sanny sprang auf. Sie griff nach ihrem Spaten, aber er war in ihrer Hand wie glühendes Eisen. Aufschreiend ließ sie ihn fallen.

»Wir müssen etwas tun!« zwitscherte sie aufgeregt. »Die Quelle der Jenseitsmaterie darf nicht entfernt werden!«

»Nein, darf nicht. Der Sinn der Namenlosen Zone wäre dahin. Nicht wahr?« stellte Kik fest. »Was sollen wir tun? Natürlich den Graben immer wieder zuschütten. Nicht wahr!«

»Das hätte keinen Sinn. Die Arltra-Ranger geben nicht auf. Sie sind darauf konditioniert, daß sie erst zurückkehren, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben! Kannst du es nicht mit allen machen wie mit mir? Daß du sie von ihrer Konditionierung befreist?«

»Kik kann alles. Aber ihm fehlt die Zeit, nicht wahr? Atlan wartet auf ihn!«

»Atlan, das ist der Silberhaarige!« erkannte Sanny. »Ist er der Erste Zähler?«

»Atlan. Nein! Er ist ein Gefangener! Wie alle, nicht wahr? Wie Born, wie Kik, wie Verynth einer war!« Seine Stimme wurde bei der Erinnerung an den Bruder leiser. »Wie Anti-ES. Nicht wahr? Auch Anti-ES ist nicht freiwillig hier.«

»Komm, Kik!« rief Sanny. Sie winkte ihm. »Laß uns die Lichtquelle aufsuchen. Sonst kommen wir zu spät!«

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5. Kik verfügte über Psifähigkeiten!

Wenn jemand mir helfen konnte, die Eindringlinge zu vertreiben, dann war es der Seestern.

Ich stieg in die Basis hinab und rannte zur Hauptzentrale. Ich wollte die Roboter ausschicken, Kik beizustehen.

Die Zentrale war leer, und doch war ich mir sicher, daß alle Maschinen des Ersten Zählers im Innern des Schiffes verschwunden waren.

»Pit!« rief ich. »Wo seid ihr?« Ich erhielt keine Antwort. Sie waren vor dem blauen Leuchten an

den Desintegratoren ausgerissen. Bestimmt hatten sie sich versteckt. Einem Gedanken folgend, suchte ich jenen Bereich auf, in dem ich

damals meine erste Begegnung mit ihnen gehabt hatte. Ich hatte sie eng zusammengekauert gefunden. Sie hatten getrauert, weil der Erste Zähler gefangen war und sie ihm nicht helfen konnten.

Diesmal fand ich die Räume leer. Zum Durchsuchen der gesamten Basis hatte ich keine Zeit, also kehrte ich in die Zentrale zurück. Vorsichtig schlich ich mich hinein und versteckte mich hinter einer Schrankwand, in der es unablässig summte. Ich beschloß, einige Minuten zu warten.

Es wurden zehn daraus. Ich hörte nichts außer den üblichen Geräuschen, die die Maschinen verursachten. Zwischendurch gab es einmal ein leises Geräusch, das von draußen kam und sich anhörte, als tippe jemand mit einem Finger gegen die Wand.

Das Geräusch wiederholte sich, und durch die geöffnete Tür sah ich einen der Roboter auf Zehenspitzen an der Zentrale vorüberschleichen. Er bewegte sich übervorsichtig, und jedesmal, wenn einer seiner Füße den Boden berührte, gab es ein klackendes Geräusch.

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Lautlos huschte ich hinter der Schrankwand hervor bis zur Tür. Die Maschine war vier Meter vor mir. Sie nahm mich nicht wahr und konzentrierte sich so sehr auf ihr Tun, daß sie den Windhauch meiner Annäherung nicht ortete. Wie aus dem Boden gewachsen, tauchte ich neben ihr auf und versperrte ihr den Weg.

»Halt!« befahl ich. »Was soll das Versteckspielen! Ich will wissen, wo ihr seid!«

»Atlan!« ächzte der Roboter. »Wir dachten, du seist tot!« Er wandte sich um und rannte davon. Ich vernahm nichts, aber ich

wußte, daß er eine Funkbotschaft ausstrahlte und alle zur Zentrale rief. So lange wollte ich nicht warten, ich ging an die Oberfläche. Ich mußte Kik finden.

Kaum war ich aus der Schleuse gestiegen, erhielt ich einen Schlag in den Rücken. Ich war so überrascht, daß ich keine Gegenwehr leistete. Ehe ich mich's versah, lag ich auf dem Rücken, und auf mir saßen zehn Zwerge. Sie schwangen drohend ihre Energiespaten, und einer von ihnen schrillte:

»Du wirst uns nicht mehr stören! ARCHITEKT wird einen brauchbaren Diener aus dir machen!«

Ich spürte heiße Metallbänder an meinen Armen und Beinen. Sie umschlossen die Gliedmaßen so eng, daß ich mich nicht mehr rühren konnte. Die Fremden hoben mich auf und entwickelten eine erstaunliche Kraft. Sie trugen mich hinüber zu den Plattformen und legten mich auf der mittleren ab. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, entfernten sie sich und fuhren fort, die Lichtquelle auszugraben und aus ihrer Verankerung zu brechen. Die ersten kreischenden Seufzer des Metalls prägten sich meinen Ohren wie Hilferufe ein.

Du hast verstanden, was sie sagten, stellte der Extrasinn fest. Eine Basis zu Verhandlungen ist also gegeben.

»Bloß nützt sie mir nichts, solange ich ein Gefangener bin«, sagte ich, halb ohnmächtig vor Zorn. Mir blieb nur die Hoffnung, daß Kik oder die Roboter mich entdeckten.

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*

Sie versteckten sich dicht am Erdwall, und Kik hielt mit seinen Fähigkeiten den Dreck von ihnen fern. Aber um sie herum wuchs der ringförmige Hügel immer höher auf, und die Geräusche der Spaten waren laut und nervenzermürbend.

»Sie haben angefangen«, flüsterte Sanny. »Sie lösen die Quelle aus der Basis!«

»Sanny. Kik wird helfen. Nicht wahr!« Der Seesternartige zog sie ein Stück mit sich fort und konzentrierte

sich. Seine Augen glühten, als er den ganzen von dieser Seite sichtbaren Teil des Walls in Bewegung setzte und langsam in den tiefen Graben hineinrutschen ließ. Wilde Schreie tönten von unten herauf, und die Arltra-Ranger kletterten hastig heraus und liefen jammernd vor dem rutschenden Hügel davon. Diesmal blieb das Erdreich locker und feinkörnig. Es rieselte hinunter in die Tiefe und füllte alles wieder auf. Lediglich an den Stellen, wo die Spaten bereits tiefe Wunden in die Metallwandungen der Basis gerissen hatten, deckte Kik nichts zu, denn hier würden die Roboter reparieren müssen. Als Warnung ließ er jedoch ein wenig von der Erde hinabfallen.

Sanny deutete auf einen der Molaaten in ihrer Nähe. Er hatte sie erblickt und kam herbei.

»Du hast ihn eingefangen«, stellte er fest. »Aber warum hinderst du ihn nicht daran, daß er sein dummes Spiel fortsetzt?«

Er musterte seine Artgenossin mißtrauisch und wich ein wenig zurück.

»Du hast …« fuhr er fort. »Mit dir ist etwas nicht in Ordnung. Hat er dich hypnotisiert? Nein. Es muß etwas anderes sein. Ja, jetzt habe ich es! Du hast deine Aura verloren! ARCHITEKT hat dich in Zorn über dein Unvermögen entlassen. Du bist kein Arltra-Ranger mehr!«

Er wollte fort, aber Kik ergriff ihn mit seinen Armen und zog ihn

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zu sich heran. Sanny half ihm und legte dem Überrumpelten die Hand auf den Mund, daß er nicht schreien konnte.

»Komm, weg von hier!« flüsterte sie Kik zu, doch er reagierte nicht. Er starrte den Molaaten an und zog ihn dicht vor seine Augen, wie er es mit Sanny gemacht hatte.

Die ehemalige Jenseitsbohrerin begriff, daß er Zeit brauchte, um sich in die Psyche des. Molaaten zu versetzen und die Konditionierung zu lösen. Was ihr selbst wie ein endloser Traum vorgekommen war, nahm möglicherweise etliche Minuten in Anspruch.

Sie sah weitere Molaaten herankommen. »Kik, flieh!« Sie packte ihn, aber er ließ sich nicht von seinem

Vorhaben abbringen. Sanny verzweifelte schier, denn sie sah, daß die Arltra-Ranger sie langsam einkreisten. Sie riefen nach Uflager, und der Anführer näherte sich ebenfalls.

In ihrer Not riß sie einfach an einem der Gliedmaßen des Seesterns, und Kik stürzte, auf nunmehr zwei Beinen stehend, zu Boden. In seinem Versuch, das Gleichgewicht zu finden, ließ er den Molaaten los und löste sich aus seiner Starre.

»Tu etwas!« flehte Sanny. Sie zitterte. »Hilf mit deiner Telekinese! Ich will nicht sterben!«

»Sanny. Kik ist bei dir. Nicht wahr! Warum hast du Angst?« Seine Augen weiteten sich plötzlich. Er packte sie und raste davon,

mitten zwischen den verblüfften Jenseitsbohrern hindurch. Wie durch Zufall fand er einen offenen Zugang in das Schiff. Er ließ die Molaatin hinein und stieg ihr nach. Er schloß die Luke und verriegelte sie. Er hörte noch das zornige Geschrei der Verfolger, dann war er bereits in dem anschließenden Korridor.

»Kik ist hier zu Hause«, trompetete er. »Nicht wahr?« »Ja«, sagte Sanny. »Weißt du denn, wie lange du hier bist?« »Kik ist geduldig, nicht wahr«, erhielt sie zur Antwort. »Aber

Sanny will nicht sterben. Warum?« Die Molaatin verschränkte unschlüssig die Arme. Eigentlich

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wußte sie selbst nicht genau, was sie zu dieser Äußerung veranlaßt hatte. Fürchtete sie sich vor ihren Artgenossen oder vor der Rache von ARCHITEKT?

»Ich kann ohne meine Konditionierung nicht in das Flekto-Yn zurückkehren«, sagte sie, während sie neben Kik durch das Schiff eilte. »Ich muß hierbleiben und auf die Lichtquelle aufpassen, wie du das zu tun scheinst.«

»Oh, Kik ist vielseitig, nicht wahr! Er tut noch viel mehr. Es gibt viel zu tun in einem so großen Schiff. Wir sollten Atlan suchen. Er ist ein guter Freund. Nicht wahr?«

»Ich weiß nicht«, meinte Sanny. »Wo finden wir ihn?« Kik führte sie bis zu einer Luke, die mit roter Farbe

gekennzeichnet war. Er öffnete sie und kehrte an die Oberfläche zurück. Sie befanden sich auf der Kuppe am See, unmittelbar neben dem Wasserfall. Das Geräusch des stürzenden Wassers übertönte ihr Gespräch und das Geräusch, das durch das Öffnen und Schließen der wenig benutzten Luke entstand.

»Hier sind wir sicher!« erklärte Kik und blickte sich aufmerksam um. Sie konnten den See überblicken und die Annäherung eines anderen Wesens rechtzeitig erkennen. Dann blieb ihnen immer noch die Flucht durch die Luke oder an den Felsen des Wasserfalls hinab.

»Du bleibst hier, ja?« fragte er. »Du gehst nicht weg, sondern wartest. Nicht wahr?«

»Was willst du tun?« »Kik ist nicht vergeßlich, nicht wahr. Er hat etwas Wichtiges zu

erledigen. Er muß einen Bericht abgeben. Und Atlan finden. Er kommt hierher zurück. Nicht wahr?«

»Also gut«, stimmte Sanny zu. »Aber beeile dich. Ein Teil der Arltra-Ranger ist bereits wieder dabei, den Graben zu säubern. Ich glaube, diesmal verdampfen sie die Erde oder bringen sie mit den Plattformen weit weg.«

»Kein Problem für Kik, nicht wahr?« Dann war der flache Körper hinter zwei Felsen verschwunden.

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* »Du hast es gesehen. Nicht wahr! Atlan ist weg. Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann, nicht wahr?«

»Kik, du hast mir wertvolle Dienste geleistet. Ich hoffe, daß ich dir eines Tages einen Gefallen erweisen kann«, wisperte die Stimme in ihm. Kik gab ein gurgelndes Geräusch von sich, es klang wie Lachen.

»Kik hat Gefallen gern, nicht wahr«, japste er. »Aber er hat keine Zeit. Er muß sich beeilen. Sanny braucht ihn und seinen Schutz, nicht wahr!«

Der Seestern ruhte vor dem Eingang des Gästehauses, in dem sich das leuchtende Wesen jetzt aufhielt. Niemand hatte den Wechsel bemerkt, niemand kümmerte sich darum. Die Roboter waren ausgerissen und hielten sich dem Haus fern.

»Alles ist ruhig auf der Basis des Ersten Zählers«, sagte die Gedankenstimme. »Hast du auch nichts übersehen?«

»Kik hat große Augen, nicht wahr?« »Ich weiß um deine Vorzüge, aber es ist nicht genug. Ich muß

absolute Sicherheit haben!« »Es besteht kein Grund zur Angst. Du hast nichts, wovor du dich

zu fürchten brauchst. Nicht wahr?« »Du hast recht. Es gibt keine Anzeichen für das Vorhandensein

eines Hindernisses, das mir gefährlich werden könnte. Ich werde noch einmal alles prüfen und dann handeln. Atlan ist mein erstes Ziel.«

»Du weißt, wo er sich befindet, nicht wahr!« »Er liegt auf einer der Plattformen. Ich werde die Roboter mit

meinen Flammen so lenken, daß sie auf ihn stoßen und ihn befreien können, bevor die Arltra-Ranger oder Molaaten, wie du sie nennst, mit ihm davonfliegen.«

Page 57: Das Geschenk der Lichtquelle

»Sie schaukeln. Es sind Schaukelplattformen, nicht wahr?« »Was verstehst du davon, Kik!« »Du verheimlichst mir alles«, beschwerte sich Kik. »Und dabei

besteht überhaupt kein Grund, nicht wahr?« »Es besteht schon ein Grund, aber er fällt bald weg. Sobald ich

mich umgesehen habe. Dann spreche ich gern wieder zu dir und erkläre dir alles, was du wissen willst. Zunächst einmal muß ich Atlan haben!«

»Du willst etwas mit ihm tun. Nicht wahr!« »Du wirst es sehen, kleiner Kik. Du wirst dich freuen!« »Ja, nicht wahr«, machte der Seestern. Er dachte daran, wie der

andere ihn auf der Plattform in sich aufgenommen und bis zur Basis des Ersten Zählers getragen hatte. Er dachte an seine Worte, daß er Chybrain unbedingt finden wollte, und erinnerte sich der Bitte, die der andere ausgesprochen hatte. Ja, er hatte es sogleich begriffen, wen er vor sich hatte, aber er konnte sich die Hintergründe nicht denken, die den anderen zu seinem Vorgehen veranlaßten. »Du bist sehr groß für den kleineren Teil, nicht wahr«, hatte er festgestellt und gleichzeitig innerlich gejauchzt über seinen makabren Scherz.

Groß war das leuchtende Ei, und es schien an Macht und Kraft gewonnen zu haben. Dennoch legte es sich heimlich auf die Lauer, denn es wollte alles auf einmal erkennen.

Nur so war es sicher, nur so konnte alles gutgehen. »Komm heraus und zeige dich, nicht wahr«, verlangte Kik. »Atlan

wird sich nicht groß sträuben, von dir befreit zu werden. Nicht wahr?«

»Du hast recht. Er befindet sich in keiner beneidenswerten Lage und wäre jedem dankbar, der ihn befreit. Aber noch ist die Entscheidung nicht gefallen. Laß mich jetzt allein, damit ich nochmals prüfen kann. Du weißt, die Basis eignet sich in ihrer Größe hervorragend für eine Falle.«

»Kik weiß das alles. Das ist klar. Nicht wahr. Und er freut sich darüber. Aber er denkt auch an Sanny und die Jenseitsbohrer. Sie

Page 58: Das Geschenk der Lichtquelle

sind bald an ihrem Ziel. Dann ist die Lichtquelle verloren, nicht wahr!«

»Ich beeile mich wirklich!« versprach der Versteckte. »Du brauchst gar keine Angst zu haben! Schließlich bist du seit

deiner letzten Begegnung mit Atlan sehr gewachsen. Nicht wahr!« Kik stellte sich zu seiner vollen Größe auf. Er streckte seine fünf

Beine von sich und richtete die Augen auf die undurchdringliche Wand des Hauses. Er wußte, daß der andere ihn sehen konnte.

Langsam wandte der Seesternartige sich um und suchte den Schein der Lichtquelle. Er war noch mehr verblaßt, und über der Basis war es wieder ein wenig dunkler geworden. Noch war die Umgebung zu erkennen, aber die Sicht betrug nicht viel mehr als sechzig oder siebzig Meter. Dann verschwammen die Konturen.

Kik setzte sich in Bewegung. Etwas zog ihn zu Sanny hin, die am See auf ihn wartete.

»Komm heraus!« sagte er nochmals. »Komm endlich, Born! Nicht wahr?«

* Sanny atmete auf, als sie die Silhouette des seltsamen Wesens erkannte. Sie eilte zwischen den Felsbrocken hervor und wartete, bis Kik den See umrundet hatte und vor ihr anhielt. Der dunkelbraune Körper erschien ihr im Halbdunkel von tief schwarzer Färbung. Kik wedelte mit zwei Armen, und seine Augen glänzten hellgelb. Wie glimmende Edelsteine hingen sie zwischen den dichten Haaren. Das Wesen neigte sich ein wenig nach vorn und sah Sanny an.

»Alles in Ordnung, nicht wahr?« fragte es. Die Molaatin streckte ihm die Handflächen entgegen.

»Ich weiß es nicht. Da war eine Lichterkette, die sich durch die Hügel zog und irgendwo verschwand.«

»Die Roboter, nicht wahr? Sie suchen noch immer nach Atlan.

Page 59: Das Geschenk der Lichtquelle

Aber ich weiß, wo er ist.« »Kik, ich glaube, es waren die Lichter der Spaten!« Sanny kannte die Form der kleinen Energiegeräte in der

Dunkelheit nicht mehr. Es war, als sei mit der Konditionierung auch ein Teil der Erinnerung an Einzelheiten ihres Daseins als Arltra-Rangerin beseitigt worden. Sie war unruhig, und Kik merkte es. Vorsichtig trippelte er ein paar Schritte zur Seite und spähte über den abfallenden Felshang nach unten.

»Das Felsmassiv drüben ist ein sicherer Platz«, sagte er. »Aber nicht zum Klettern für Sanny! Nicht wahr?«

»Laß uns hier verschwinden!« bat Sanny. Es war zu spät. Von allen Seiten ertönten Schreie. Unbemerkt

hatten sich die Jenseitsbohrer herangeschlichen. Sie hatten sie eingekreist und wohl nur darauf gewartet, daß auch Kik zurückkehrte, der zweimal ihre Arbeit zunichte gemacht hatte.

Kik erfaßte die Situation mit einem einzigen Blick seiner klugen Augen. »Sanny, versteck dich!« zischte er, dann sprang er vor. Mit einem Teil seiner Extremitäten hob er Steine auf und schleuderte sie den Angreifern entgegen. Trotz der schlechten Sichtverhältnisse traf er mehrere Molaaten und schickte sie ins Reich der Träume.

Kik machte ein paar Meter Boden gut und verschaffte Sanny die Möglichkeit, sich von der Steilkante zu entfernen und die Flucht zu ergreifen. Er hoffte, daß sie es tat. Gelegenheit, darauf zu achten, hatte er jedoch keine.

Die Arltra-Ranger griffen wild an. Mit ihren Spaten stürzten sie auf ihn zu, und er kam gar nicht nach mit Steinewerfen. Er fand auch keine mehr am Boden und zog sich hastig zurück.

»Vorsicht, Kik!« Das war Sanny. Sie befand sich dicht hinter ihm, ein wenig seitlich vielleicht. Sie hatte ihn nicht verlassen.

»Dort ist sie! Tod der Verräterin!« schrien ein paar der Jenseitsbohrer. Das Dröhnen eines Ministörers lag in der Luft, und irgendwo neben dem Seestern explodierten die Felsen, als hätte eine Titanenfaust auf sie eingeschlagen.

Page 60: Das Geschenk der Lichtquelle

»Sanny! Flieh!« Kik schrie es in Panik. Erneut sah er es aufblitzen. Er warf sich zur Seite in die Richtung, in der er die Schußbahn vermutete. Er spürte den Schlag, der seinen Körper traf und ihn zerfetzte. Neben ihm war das Jammern der Molaatin.

»Flieh!« ächzte er im Niedersinken. Seine Kräfte verließen ihn, er knickte mit den Beinen ein. Sein Körper rutschte ein wenig und verlor den Halt. Er glitt über die Kante und stürzte hinab in die Tiefe. Es platschte, als er am Rand des kleinen Baches aufschlug.

»Kik!« Sanny hatte den Schuß gehört und das Mündungsfeuer erkannt. Sie hatte mit dem Leben abgeschlossen. Sie wunderte sich, warum sie nichts spürte. Erst dann merkte sie, daß der Seestern ihr das Leben gerettet hatte. Sie sah ihn fallen und folgte ihm augenblicklich. Ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben kletterte sie hinab, und über sich hörte sie die aufgeregten Stimmen ihrer Artgenossen, die den Boden absuchten, heruntersahen und sich dann entfernten, um den Steilhang zu umgehen.

Sanny riß sich die Hände blutig, aber sie achtete nicht darauf. Sie kletterte mit der Zeit um die Wette, und irgendwie schaffte sie es. Sie kam unten an und warf sich neben Kik auf die Knie. Sie versuchte, ihn herumzudrehen.

»Laß!« sagte das Wesen mit schwacher Stimme. »Es hat keinen Sinn. Kik stirbt. Nicht wahr?«

»Kik!« schluchzte Sanny. »Treuer Kik. Was kann ich für dich tun?« Unter einem Stöhnen wälzte sich der Körper herum, sahen

verschleierte Augen sie an. »Ja, Sanny!« machte der Sterbende. »Kik hat seinen Auftrag nur

unvollkommen ausgeführt. Hilf ihm. Führe die schwere Aufgabe zu Ende! Bitte!«

»Gern, Kik. Was muß ich tun?« »Ich gebe dir die Kraft, die man auch mir gegeben hat, als ich den

eigentlichen Auftrag bekam!« flüsterte er. »Willst du?« »Ich will!« sagte sie eindringlich. »Ich will alles für dich tun, was ich kann!«

Page 61: Das Geschenk der Lichtquelle

Sie sah das Zucken des verformten Körpers und wußte, daß es mit ihm zu Ende ging. Daß er sein »Nicht wahr« ganz vergaß, merkte sie erst später, als es fast vorbei war.

»Die … die Teufel sind gleich da«, hauchte Kik. »Ich … ich muß mich beeilen, Sanny!«

Sanny spürte, daß etwas den sterbenden Körper verließ, einen Augenblick über ihr hing und dann in sie eindrang. Sie rätselte, ob es Einbildung war. Dann jedoch erkannte sie plötzlich, was geschehen war.

Die Kraft ging auf sie über. Eine ungeheure Kraft war es, und sie befähigte sie, Dinge zu erkennen, die in der Zukunft lagen. Und noch etwas anderes war da. Ein Wille, der ihr den Weg wies, ohne Unterlaß für die positiven Kräfte des Universums zu streiten. Der Name Atlan prägte sich ihr tief in ihrem Innern ein, und sie wußte, daß sie ihn nie vergessen würde.

Sanny spürte, daß Kik starb. Sie streichelte seinen Körper, und er gab einen Seufzer von sich. Die neuen Kräfte in ihr, für die sie noch keinen Namen hatte, erwachten voll zum Leben, und sie sah einen Teil der Zukunft voraus. Sie erlebte, wie sie durch Kiks Tod aus der Namenlosen Zone verschwand und in das Normaluniversum zurückkehrte. Es geschah durch den Schock, den Kiks Tod auslöste, und er bewirkte auch, daß sie die Erinnerung an ihr bisheriges Leben verlor. Sanny gelangte auf eine Molaatenwelt, die noch lebendig war und mit ihrem gesamten Volk existierte. Sie ließ sich dort nieder in dem Bewußtsein, daß sie wie Kik nie altern würde und so lange warten mußte, bis Atlan ihren Weg kreuzte. Ihr Wille und ihre neuen Fähigkeiten würden sie in dieser Zeit nie verlassen.

Und eines Tages würde die entscheidende Stunde kommen. Sanny erlebte diese Stunde und die Tage davor. Heimat-11, so hieß

diese Welt, wurde von einem riesigen Gebilde heimgesucht, das die Sonne verdunkelte. Viele der Molaaten verschwanden spurlos von der Oberfläche ihrer Welt. Andere flohen in den Weltraum, und Sanny war bei ihnen. Sie erlebte die Zerstörung von Heimat-11 mit.

Page 62: Das Geschenk der Lichtquelle

Sanny und ihre Begleiter flohen zu einer anderen Welt des 16-Planetensystems ihrer Sonne, aber dort erging es ihnen ebenso, und schließlich flüchteten sie sich in einen Asteroiden, der früher einmal einer der Stützpunkte ihres Volkes gewesen war.

Sanny wartete, und sie trug ihre Aufgabe unauslöschlich in sich. Sie wußte, daß jetzt ihre Stunde gekommen war. Sie würde jenen treffen, dessen Name Kik ihr eingegeben hatte.

Das alles sah Sanny in Bruchteilen einer Sekunde. Es schien, als habe Kik geduldig gewartet.

Noch einmal bäumte sich der Sterbende jetzt auf. »Sanny. Leb wohl!« hauchte er fast unhörbar. »Kik stirbt und wird

bald bei Verynth sein. Alles Gute, kleine Sanny!« Seine Augen brachen, und im selben Augenblick begann sein

Körper sich aufzulösen. Er wurde immer durchscheinender, und schließlich verwehte er als unsichtbarer Hauch. Nichts blieb von ihm übrig.

Ging er zu den Hohen Mächten ein? Kiks Tod löste den Schock in Sanny aus, den sie bereits

vorhergesehen hatte. Sie vergaß alles, was bisher gewesen war, und nahm auch die Annäherung ihrer Artgenossen nicht mehr wahr. Eine unwiderstehliche Kraft packte sie und schleuderte sie aus ihrer Existenz in der Namenlosen Zone hinaus.

Die heranstürmenden Arltra-Ranger fanden keinen der beiden mehr vor. Sie sahen nur den Streifen hellblauen Blutes, der am Uferbewuchs entlanglief und in den Bach mündete, der die Spur eilig mit sich davontrug.

6. Die Roboter zerrten mich eilig unter die Oberfläche der Basis und rannten in eine der technischen Abteilungen hinein. Pit legte mich vorsichtig wie ein zerbrechliches, dünnes Glas auf eine Art

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Werkbank und verlangte nach dem Desintegrator. »Vorsichtig!« mahnte ich. »Versucht es lieber mit einer Säge!« Pit folgte dem Ratschlag. Das von den Fremden verwendete Metall

war mit der Waffe nicht zerstörbar, und so sägte der Roboter drauf los. Eine knappe Viertelstunde benötigte er, dann fiel auch der letzte Teil der Fesseln von mir ab. Ich erhob mich und massierte die Handgelenke.

»Danke«, sagte ich. »Es war Rettung in höchster Not. Habt ihr Kik gefunden?«

Er war wie schon oft spurlos verschwunden, und die Roboter vertrösteten mich. Ich konnte jedoch nicht warten.

»Sucht die gesamte Oberfläche ab«, wies ich sie an. »Kik ist der einzige, der die Zwerge aufhalten kann!«

»Aber die blauen Flammen …«, begann Rond, doch ich fiel ihm ins Wort.

»Sie haben euch zu mir getrieben, nicht wahr? Angegriffen haben sie euch nicht!«

Ich machte mir Gedanken über die seltsame Form der Energieentfaltung. Wieder mußte ich an Anti-ES denken, aber die mächtige Superintelligenz hatte es wohl kaum nötig, Versteck zu spielen. Oder mußte sie sich vor den Fremden in acht nehmen?

»Auf!« sagte ich. »Ich gehe mit euch!« Ich ergriff die rostige Waffe, die noch immer in meinem Gürtel steckte, und führte die Roboter hinauf.

Wir verließen die Basis zwischen der Lichtquelle und dem Turm, um den Fremden keine Angriffsfläche zu bieten. Eine kleine Erhebung mit einem klobigen Felsbrocken als Spitze verdeckte die Sicht und ermöglichte es uns, ungesehen auszuschwärmen. In Zweiergruppen machten wir uns auf den Weg und durchforsteten zunächst den hinteren Teil der Landschaft einschließlich des Turmes. Wir fanden nichts, und ich schickte die Roboter nach vorn weiter. Sie sollten sich so nahe wie möglich an die Quelle der Jenseitsmaterie heranmachen. Immerhin war es möglich, daß Kik

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ebenfalls von den Zwergen gefangengenommen worden war. Ich selbst machte mich mit Pit dorthin auf, wo ich dem

rätselhaften Wesen zum erstenmal begegnet war. Im Halbdunkel war das Felsmassiv nur undeutlich zu sehen. Am Fuß der Nadel hielten wir an.

»Kik!« rief ich laut. Ich bekam keine Antwort, und wir trennten uns und umrundeten

langsam das Massiv. Nirgends fand ich eine Spur, aber als ich mit Pit zusammentraf, zeigte er mir eine Stelle zwischen den Bodenwellen.

Ein Energiespaten! Ich eilte hinab in die Vertiefung, und Pit folgte mir.

»Nicht anfassen!« rief der Roboter. »Er ist sehr heiß!« Ich kniete mich nieder und musterte das kleine Gerät aufmerksam.

Es hatte exakt die Form eines winzigen Handspatens und bestand aus reiner Energie. Ich sah keinen Metallkern und überhaupt nichts, was darauf hinwies, welche Kräfte die Energie zusammenhielten und zu solcher Wirksamkeit verdichteten, wie ich sie an der Lichtquelle erlebt hatte. Mit den kleinen Dingern waren die Zwerge in der Lage, die gesamte Basis zu zerstören, wenn sie nur wollten. Daß sie bisher nicht darangegangen waren, ließ mich hoffen. Sie hatten es einzig auf die Quelle der Jenseitsmaterie abgesehen. Jemand wollte sich dieser Quelle bemächtigen.

Anti-ES konnte nicht dahinterstecken. Ihm gehörte die Quelle automatisch, wenn es zur Basis zurückkehrte. Es gab kein Lebewesen und keine Maschine, die sich ihm hätte widersetzen können.

Das scheint eine endgültige Feststellung zu sein, sagte der Extrasinn. Bist du dir darüber im klaren?

Ich nickte abwesend. Ja, ich war es. Immer stärker wurde in mir der Eindruck, daß ich falsche Vermutungen gehegt hatte. Jedoch hatte ich die Unberechenbarkeit von Anti-ES angeführt und darauf gewartet, daß sein Vorgehen etwas bewirken würde, was mit mir

Page 65: Das Geschenk der Lichtquelle

zusammenhing. Ich hatte mich getäuscht. Wer aber ist es dann? fragte ich mich. Wer hat die Zwerge

geschickt, um die Lichtquelle zu stehlen? Warum reagiert Anti-ES nicht?

Gerade die Superintelligenz mußte ein gesteigertes Interesse daran haben, daß niemand die Quelle der Macht entführte. Und eine solche bildete die Quelle der Jenseitsmaterie ohne Zweifel.

Es spielt keine Rolle. Zumindest vorläufig nicht. Alles geschieht in einem größeren Zusammenhang, den du nicht kennst. Du kannst es mit dem Verhalten der Kosmokraten vergleichen.

Hatten die Kosmokraten die Fremden … NEIN! Sie mischen sich nicht ein, wie du wohl weißt. »Also gut«,

seufzte ich. »Gehen wir davon aus, daß Anti-ES nicht hier ist und auch nicht in der Nähe. Aber irgendwer produziert die Leuchterscheinungen auf der Basis. Und sie haben mit den Zwergen nichts zu tun!«

Wer bleibt noch? Pit bewegte sich. Er bückte sich und nahm den winzigen Spaten

auf. Ich erhob mich und deutete hinüber in die Richtung, in der die Lichtquelle lag.

»Da du ihn offensichtlich tragen kannst, ohne daß er dich beschädigt, wirst du ihn bis zum Gästehaus bringen und dort vorerst ablegen. Später können wir ihn untersuchen!«

Wir eilten hinüber und stießen auf die ersten Roboter, die zurückkehrten. Sie hatten Kik nirgends gefunden, und eine Gruppe war unterwegs, um auch das Innere des Schiffes nach diesem Wesen zu durchsuchen.

»An der Lichtquelle tut sich etwas«, teilte Rond mit. »Ich habe bemerkt, daß die Zwerge ihre Arbeit unterbrochen haben!«

»Dann braucht ihr nicht mehr nach Kik zu suchen!« rief ich erfreut aus. »Das kann nur er sein!«

Wir rannten am Gästehaus vorbei, wo Pit den Spaten deponierte, und suchten mit den Augen zu erkennen, was drüben vor sich ging.

Page 66: Das Geschenk der Lichtquelle

Die Zwerge gebärdeten sich merkwürdig. Sie hatten ihre Spaten weggeworfen und bildeten einen Kreis um die drei Plattformen. Jauchzend und auf ihren kurzen Beinchen hüpfend, tanzten sie um die Fahrzeuge herum wie um ein goldenes Kalb. Der Erdhügel war so hoch, daß er den Dom fast vollständig verdeckte.

Blaue Flammen tauchten auf. Sie erschienen aus dem Nichts und setzten sich auf den haarlosen Kugelköpfen der Fremden fest. Sie bildeten einen leuchtenden Kranz, und die Zwerge sanken zu Boden und legten sich flach hin. Sie rührten sich nicht mehr, und die Flammen huschten nach ein paar Sekunden davon.

Die Zwerge sprangen auf. Kreischend schrien sie durcheinander und tappten unkontrolliert umher, bis sie ein Ruf zum Erdwall befahl. Verwirrt und zögernd nahmen sie ihre Arbeit wieder auf.

Etwas war geschehen, und ich ahnte, daß es zum Nachteil der Zwerge war. Die blauen Flammen setzten ihnen zu.

Hallo Atlan! sagte in mir eine Stimme, und sie riß mich fast von den Füßen. Mit einem Mal begriff ich, was alles bedeutete. Ich wußte, daß ich mir unnötig Sorgen gemacht hatte, und erkannte doch die Notwendigkeit seines Vorgehens. Und ich verspürte den Jubel meines Extrasinns zum Teil körperlich.

»Born!« rief ich laut. »Du bist zurückgekehrt!« Auch die Roboter begriffen, was los war. Born und die blauen Flammen! rief der Extrasinn. Wir sind wieder

vereint! Meine Gedanken überschlugen sich. Born und der Extrasinn

hatten ein gemeinsames Kind. Born war zurückgekehrt, und ich wartete gespannt auf seinen nächsten Gedanken, der sich darauf bezog.

Ja, ich bin da, teilte der von Anti-ES abgespaltene positive Teil mit. Anti-ES ist nicht in der Nähe, deshalb kann ich es wagen, mich zu zeigen.

Wo bist du? dachte ich. Im Gästehaus. Ich lade euch ein zu mir! Ich blickte Pit und die umstehenden Roboter an.

Page 67: Das Geschenk der Lichtquelle

»Es wird alles gut!« sagte ich voller Erregung.

* Born zeigte sich uns als leuchtendes Ei von acht Metern Höhe. Gegenüber unserer letzten Begegnung war er gewaltig gewachsen. Fast hätte man denken können, daß er sich mit einem anderen Energiewesen zusammengetan hatte.

Vieles hat sich ereignet seit unserer Trennung, Atlan! begann Born. Ich habe die Zeit benützt, um mich vor Anti-ES zu verbergen und nach unserem gemeinsamen Kind zu suchen. Es ist damals mit mir entflohen und hat sich selbständig gemacht. Ich weiß nicht, warum es so sein mußte, aber mein Kontakt zu ihm ging mir verloren. So habe ich denn an mir selbst gearbeitet und bin größer und stärker geworden. Aber noch nicht stark genug.

»Auch hier auf der Basis hat sich vieles ereignet«, sagte ich. »Ich war auf dem Spinar und habe Kontakt mit den Zählern gehabt. Anti-ES ist es nicht gelungen, mich in eines seiner Manifeste zu verwandeln. Die Lichtquelle gab mir die Kraft dazu.«

Ich weiß alles, teilte Born mit. Er sprach sowohl zu mir als auch zu dem Extrasinn, der immer wieder zustimmend dazwischenfuhr. Ich habe Kik auf die Basis geschickt, um herauszufinden, ob Anti-ES sich hier aufhält. Er hat mir berichtet, was du ihm erzähltest. Ich kenne deine Erlebnisse und habe beobachtet, was sich auf der Basis abspielt. Ich werde dir helfen, wenn Anti-ES mir die Zeit dazu läßt. Viel wichtiger aber ist es, daß ich Chybrain finde. Unser Sohn hat sich selbständig gemacht, und ich besitze keine konkrete Spur von ihm. Ich befürchte, daß er fast nichts über seine Herkunft weiß und irgendwo umherirrt. Manchmal glaube ich, daß er mich sucht und nicht findet oder an Grenzen stößt, die ihm die Suche unmöglich machen. Er ist noch ein Kind.

Wir müssen ihm unbedingt helfen! fügte der Extrasinn hinzu. Chybrain darf Anti-ES nicht in die Hände fallen!

Page 68: Das Geschenk der Lichtquelle

»Jetzt verstehe ich alles!« sagte ich. »Chybrain! Du hast den Namen

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in meinem Bewußtsein verankert, Born! Chybrain, unser gemeinsames Kind.«

Eigentlich ist es nur mein gemeinsames Kind! meldete sich der Extrasinn, doch Born wies den Partner zurecht.

Du darfst so etwas nicht sagen. Ohne Atlan bist du ein Nichts, ein hilfloses Etwas, das von mir aus den Fängen von Anti-ES gerettet wurde. Denke an die ARK SUMMIA und an die Geburt Chybrains. Nichts davon hast du allein vollbracht, und dein Stolz darf nicht in Überheblichkeit umschlagen. Betrachte dich vorläufig als Wächter der Basis. Vielleicht wird Chybrain eines Tages hierher an den Ort seiner Geburt zurückkehren. Ich selbst muß so stark werden, daß ich alles unbeschadet überdauere und meine kosmische Freiheit wiedererhalte. Anti-ES ist dabei das Haupthindernis. Es will mich zurückhaben und hat die erste Relativ-Einheit völlig durcheinandergebracht.

»Was wird aus der Lichtquelle?« fiel ich ein. »Ihr muß zuerst geholfen werden. Das ist wichtiger als die Gefahr, die von Anti-ES ausgeht, oder die Suche nach Chybrain. Wer sind diese Zwerge, die die Quelle der Jenseitsmaterie rauben wollen?«

Intelligentes Leben ist wichtiger als die Quelle! Etwas Ähnliches hatte mein Extrasinn schon einmal gesagt. Ihm ging es um Chybrain, dem Sohn.

Sie nennen sich Arltra-Ranger oder Jenseitsbohrer, sagte Born lautlos in meinem Kopf. Sie kommen aus dem realen Raum, und ihr Herr nennt sich ARCHITEKT. Er ist mächtig und für mich unerreichbar und unangreifbar. Es verstößt gegen die Gesetze der Hohen Mächte, sich mit ihm einzulassen. Denn ich bin zwar Born, aber ein Teil eines Verbannten. Aber ich kann euch gegen die Jenseitsbohrer helfen. Sanny hat Kik erzählt, daß ihr Volk in Wirklichkeit Molaaten heißt. Die Arltra-Ranger sind konditionierte Molaaten. Ich werde dich unterstützen, Atlan, wenn du mir versprichst, dich zukünftig um Chybrain zu kümmern!

»Ich verspreche es dir«, stimmte ich erfreut zu. »Aber wo ist Kik? Er könnte uns helfen!«

Kik ist tot, Atlan. Auch Sanny ist tot, und trotzdem hat er ihr das Leben

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gerettet. Du wirst das nicht verstehen. Eines Tages vielleicht. Doch laß mich nun sagen, was wichtig für die Lichtquelle ist.

Kik tot! Die Mitteilung traf mich empfindlich. Ich vermißte das fremdartige Wesen, zu dem ich eine aufrichtige Freundschaft unterhalten hatte, trotz seiner Andersartigkeit. Wo immer es ging, hatte Kik mir geholfen, und jetzt war er in Aufopferung für eine Molaatin gestorben. Born klärte mich über die Hintergründe auf, sofern sie ihm bekannt waren. Er hatte die Entwicklung am See mitverfolgt, jedoch nicht eingreifen können, genauso wie er jetzt gegen die Jenseitsbohrer nicht direkt in Aktion treten konnte. Er wollte sie mit ein paar geistigen Verwirrspielen von ihrer Arbeit abhalten und mir Gelegenheit geben, die Entscheidung herbeizuführen. Born sprach davon, daß die Arltra-Ranger sich in einer Ausbeulung einer übergekrümmten Zone aufhielten, die von einem Bereich irgendwo draußen erzeugt und von den Plattformen aufrechterhalten wurde. Wenn diese Zone wegfiel, würden auch die Jenseitsbohrer in ihr normales Universum zurückfallen. Born kannte die Übergangsstelle, an der sie in die Namenlose Zone eingedrungen waren. Dort wollte er mich hinschicken.

Born verließ das Gästehaus und führte die Roboter und mich bis in die Nähe der Lichtquelle. Tief unten hörte ich die Molaaten arbeiten. Jetzt aber ließen sie es sein und kamen emporgeklettert. Sie entfernten sich bis zu einer kleinen Kuppe, die etwa zweihundert Meter entfernt lag. Um diese herum stellten sie sich auf und begannen zu graben. Born suggerierte ihnen, daß sich die Lichtquelle dorthin versetzt hatte. Mühelos gelang es ihm, ihre Konditionierung zu durchbrechen und ihre Gehirne zu beeinflussen.

Du mußt dich beeilen! schärfte er mir ein. Born setzte sich mit der Quelle der Jenseitsmaterie in Verbindung.

Sie verlor ihre Dunkelheit, und mit ihr wurde es auch über der Basis wieder hell. Bald sprudelte die Quelle wie immer vor uns auf, und Born richtete meine Aufmerksamkeit auf die Spitze des Domes. Er hatte Kontakt mit der Lichtquelle, und ich wußte vom Extrasinn,

Page 71: Das Geschenk der Lichtquelle

daß er ihr eine Bitte vortrug. Zum ersten Mal erlebte ich mit, wie sich an der Spitze des Domes

ein dunkler Fleck bildete. Etwas Glänzendes erschien dort und strebte langsam an der Außenseite einer der Stützstreben abwärts, bis es den Rand der Ummantelung erreichte. Auch an ihr glitt es abwärts und blieb schließlich dicht über dem Boden hängen.

Es war eine Kugel mit etwa einem Meter Durchmesser, hellrosa und zartgrün leuchtend. Ich schickte einen Roboter nach einer Antigravscheibe, und dann schob ich sie eigenhändig darunter und beobachtete, wie die Kraft die Kugel entließ und diese leicht rollend auf der Scheibe verharrte.

Ein Stück Jenseitsmaterie! Ein Geschenk der Lichtquelle! Damit, klang Borns Stimme in mir auf, wirst du die Jenseitsbohrer

besiegen. Fliege hin zu jenem Bereich. Ich werde hier auf dich warten. Beeile dich. Anti-ES kann jederzeit auf der Basis auftauchen, und dann muß ich fliehen!

Ich warf einen Blick hinüber zu den Arltra-Rangern, die an einer völlig sinnlosen Stelle einen riesigen Graben aushoben und verzückt den Felsklotz in der Mitte anstarrten. Ich gab Pit eine Anweisung.

Der Roboter steuerte die Scheibe mit der Kugel in die Basis hinein und führte mich in die spitze Schnauze des Raumschiffs zu einem der Hangars. Ich bestieg ein Beiboot und verstaute die Kugel. Mit einer freundschaftlichen Geste verabschiedete ich den Roboter. Ich klopfte ihm auf die Schulter und gab ihm die Handwaffe zurück. Ich würde es wohl nie erfahren, ob sie funktionierte oder nicht.

Ich blickte ihm eine Weile nach und spürte die Unruhe des Extrasinns in mir. Born meldete sich nicht.

Ich ließ die beiden Hälften des Hangarschotts auffahren und lenkte das Beiboot hinaus. Mit voller Beschleunigung jagte ich davon, dem Ziel zu, das Born mir exakt beschrieben hatte. Ich konnte es selbst in der Namenlosen Zone nicht verfehlen.

Ich warf einen Blick auf den Bildschirm, der die Landschaft tief unter dem Schutzschirm zeigte. Ich lächelte eigentümlich.

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Für mich war es wie ein Abschied.

* Das Beiboot hatte das Aussehen einer Stubenfliege. Den schwarzen, glänzenden Kopf fast am Boden, das Hinterteil mit dem Triebwerkssektor auf hohen Beinen steil aufgerichtet, hatte es im Hangar gestanden. Es besaß kurze, nach außen abgeschrägte Stummelflügel, und ein Teil der Kontrollschlüssel, die in rascher Folge über den kleinen Monitor huschten, deutete darauf hin, daß diese Flügel auch bewegt werden konnten.

Ich lehnte mich in dem kleinen Sessel zurück, in dem ich nirgends Halt fand, musterte den Bildschirm, der identisch mit dem Sichtfenster der Kanzel war. Ich schaltete ihn ab und hatte die Schwärze des Weltraums vor mir. Sie unterschied sich nicht von dem, was mir der Bildschirm zeigte.

Ich folgte der energetischen Spur, die die Plattformen gezogen hatten. Sie war unsichtbar, doch erschien sie auf den Ortern als dünner, geradliniger Faden, der mich dorthin führte, wo Born mich gewiesen hatte. Ich schloß die Augen und überließ es der Automatik, den Flug so lange fortzusetzen, bis sich die Umgebung des Schiffes meßbar änderte.

War es endlich soweit? Der Extrasinn schwieg trotz der Intensität der gedanklichen Frage. Endlich hatte ich ein Ziel. Die zermürbenden Monate der

vergeblichen Suche waren vorbei. Die lange Zeit des Aufenthalts in der Namenlosen Zone schrumpfte vor dem Ausblick auf das Kommende zusammen zu einer verschwindend kleinen Spanne, und ich dachte an all die Freunde, die ich jenseits des undurchdringlichen Vorhangs in dem Bereich wußte, den man nach menschlichen Maßstäben Normalraum nannte. Der Weg dorthin, er führte an der Schnur eines Wesens entlang, das sich ARCHITEKT

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nannte. Laire! Der Helfer der Kosmokraten fiel mir ein. Noch immer hoffte

ich, ihm eines Tages erneut zu begegnen und dann endlich den Weg an mein eigentliches Ziel zu beschreiten, von dem Anti-ES mich so heimtückisch abgebracht hatte. Bildete sich die negative Superintelligenz ein, die Kosmokraten hätten nichts von ihrem Schachzug bemerkt? Glaubte sie, die Tatenlosigkeit der Hohen Mächte deute darauf hin, daß sie ahnungslos waren?

Ich lachte laut. Niemand hörte es, und mit der Basis stellte ich keine Funkverbindung her. Ich wollte allein sein mit mir und meinen Gedanken und denen des Extrasinns, der sich wohltuend zurückhielt.

Ich hatte tatsächlich geglaubt, in der Namenlosen Zone noch etwas Sinnvolles ausrichten zu können. Nach dreizehn Jahren! Jetzt schien sich diese Vorstellung zu bewahrheiten.

Born helfen, das war für mich selbstverständlich. Der von mir unabsichtlich befreite positive Teil von Anti-ES wurde größer und stärker, und eines Tages würde er die Kraft besitzen, dem negativen Teil die Stirn zu bieten und die Auseinandersetzung für sich zu entscheiden. Wer weiß, vielleicht erreichte er damit sogar, daß seine Verbannung verkürzt wurde. Denn zehn Relativ-Einheiten waren mit Sicherheit eine lange Zeit, die sich kein Sterblicher vorstellen konnte.

»Born wird es ohne mich schaffen!« sagte ich halblaut. »Was zu tun war, habe ich getan, und mein Verschwinden wird Anti-ES zusätzlich schwächen!«

Ich wartete auf einen Kommentar des Extrasinns, doch er kam nicht. Offenbar schwelgte er in den frischen Erinnerungen an den Gedankenaustausch mit Born und die Nachrichten über Chybrain, wie ihr gemeinsames Kind hieß.

Unser gemeinsames Kind! Etwa drei Stunden nach der mir gewohnten Zeitrechnung war ich

unterwegs, bis die Ortung Alarm gab. Weit voraus existierte ein

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kleiner Bereich, in dem die Raumkrümmung verändert war. Sie verhielt sich dort, als gäbe es an dieser Stelle eine Massenhäufung, ein Schwarzes Loch oder etwas Ähnliches. Optisch war nichts zu erkennen.

Ich wich ein wenig von der Spur ab und flog parallel zu ihr weiter. Wenn das die Zone des Übergangs war, dann mußte ich mich vorsehen. Mit Sicherheit war sie bewacht. Und die technischen Möglichkeiten der Jenseitsbohrer hatte ich bei ihrer Landung auf der Basis und im Anschluß daran gut genug kennengelernt.

Als ich mich dem Gebilde bis auf zwei Millionen Kilometer genähert hatte, hielt ich an und schleuste die Scheibe mit der Jenseitsmaterie aus. Ich wollte sie ganz nah heranbugsieren und dann zur Explosion bringen oder warten, bis sie selbst bei der Berührung eine Explosion auslöste.

Aber Pit hatte über die Geräte und Fahrzeuge der Arltra-Ranger behauptet, daß sie verträgliche Substanzen für Jenseitsmaterie waren und ihre Energie assimilierten.

Saß Born einem Irrtum auf? Nein, du Narr! Der Kommentar des Logiksektors stach in meinem

Gehirn wie feinste Nadeln, und ich sprang aus dem kleinen Sessel auf. Ich starrte auf den Bildschirm, denn ich sah mitten in der stark gekrümmten Zone ein sanftes Glitzern. Lichter?

Ich nahm Fahrt auf und näherte mich weiter, wobei ich die Antigravscheibe und die Jenseitsmaterie mitzog.

Tatsächlich. Mein Verdacht bewahrheitete sich. Der übergekrümmte Raum besaß in seiner Mitte eine Öffnung, den Übergang. Dort mußten die Jenseitsbohrer hindurchgekommen sein.

Was ich sah, waren die Sterne des Normalraums. Die Sterne einer Galaxis! War es die Milchstraße?

Ich zweifelte daran, und in Gedanken malte ich mir aus, daß ich irgendwo in einem Spiralsystem weit weg von der Heimat herauskommen würde und nie in meinem ewigen Leben die Möglichkeit erhalten würde, den Abgrund zwischen den

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Milchstraßen zu überbrücken. Beeile dich, es geht um dein Leben! Dort drüben wird man nicht untätig

zusehen! Wie durch Zauberhand setzte sich die Kugel aus Jenseitsmaterie in

Bewegung. Sie verließ die Scheibe und schwebte davon, dem Zentrum des übergekrümmten Raumes entgegen. Es sah aus, als werde sie davon magisch angezogen.

Es war soweit. Ich durfte nicht zögern. Ich beschleunigte das Beiboot und hielt auf die Öffnung zum

anderen Universum zu. Es war ein ungefährliches Manöver, dort durchzukommen, denn die Öffnung besaß knapp zweihundert Meter Durchmesser, das Beiboot nur eine maximale Flügelspannweite von achtzehn Metern.

Die Rettung, sie war greifbar nah. Anti-ES! dachte ich intensiv und in der Hoffnung, es würde mich

hören. Du hast es nicht geschafft. Du kannst mich nicht halten und mir auch nicht folgen. Bis du da bist, ist der Durchgang zerstört!

Hatte Chybrain diesen Durchgang benutzt, um zu fliehen? Hatte Born deshalb keinen rechten Kontakt mehr zu ihm erhalten?

Die Kugel aus Jenseitsmaterie war mir weit voraus, und ich beschleunigte noch mehr.

Es ging nicht mit rechten Dingen zu. Ich hatte vorgehabt, die Scheibe mit der Kugel hinter mir in die Öffnung stürzen zu lassen und bei der Explosion weit entfernt zu sein. Jetzt aber kam es gerade anders herum.

Halte an! dachte ich. Es gab keinerlei Reaktion. Jetzt befand sich die Jenseitsmaterie direkt in meiner Flugrichtung

und verlangsamte. Dort, wo ich den unsichtbaren, übergekrümmten Raum ahnte, entstand ein Leuchtfeuer. Es raste auf mich zu.

Ich handelte, ohne zu denken. Meine Finger rasten über die Kontrollen, und das Beiboot machte einen Satz zur Seite. Nur knapp entging es dem Energieschlag, und ein zweiter befand sich bereits auf dem Weg zu ihm.

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Jetzt gab es für mich kein Überlegen mehr. Im Zickzack raste ich auf die Öffnung zu.

Narr! Dreimal verdammter Narr! »Die Kugel ist meiner Kontrolle entglitten. Ich muß etwas tun!«

dachte ich hastig. Ich war es! sagte der Extrasinn eindringlich. Ich habe die

Jenseitsmaterie hingelenkt. Da, sieh nur! Ein greller Blitz entstand dort, wo die Sterne leuchteten. Er dehnte

sich gleichmäßig nach allen Seiten aus. Auf der Spur, die zur Basis führte, glitten plötzlich optisch sichtbare Lichter entlang. Sie mündeten alle in dem Leuchtball, der übergangslos erlosch.

Die Anzeigen der Orter zeigten gewöhnliche Leere, wie ich sie von überall aus der Namenlosen Zone kannte.

In diesem Augenblick passierte der Gleiter die Stelle, an der es geschehen war. Nichts war zurückgeblieben, und ich wendete in einer großen Schleife und steuerte in jene Richtung, in der ich die Basis des Ersten Zählers wußte.

Ich hatte verstanden. »Warum hast du es nur verhindert!« warf ich dem Extrasinn vor.

»Es ist das eine so richtig wie das andere!« Nein! Du wirst in der Namenlosen Zone noch gebraucht. Und du hast

Born ein Versprechen gegeben, daß du dich um Chybrain kümmerst. Das darfst du nicht vergessen!

»Ich vergesse es nicht!« knurrte ich grimmig. Die Hoffnung auf eine Rückkehr war wie weggewischt. Natürlich war mir klar, daß der Extrasinn mehr noch an Chybrain hing als ich selbst. Solange es nicht feststand, daß das gemeinsame Kind mit Born die Namenlose Zone verlassen hatte, gab es keine Veranlassung, dies selbst zu tun.

Ich aktivierte achselzuckend die Funkanlage. »Basis!«, sagte ich. »Könnt ihr mich hören? Gebt mir einen

Peilstrahl. Ich komme zurück. Der Auftrag ist erledigt!« Ich fühlte mich einsam und freute mich, wieder bei den Robotern,

Born und der Lichtquelle sein zu können. Die Basis war für mich so

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etwas wie eine dritte Heimat geworden, nach Arkon und Terra. »Einsamer der Zeit!« rief ich. »Wolltest du wirklich tauschen?« Wer weiß. Vielleicht wäre ich in einer fremden Galaxis wesentlich

einsamer gewesen als hier in der Namenlosen Zone.

7. Aus der Tiefe des Grabens drang geschäftiges Klirren von Metall an meine Ohren. Dort unten waren die Roboter am Werk. Sie beseitigten die von den Jenseitsbohrern angerichteten Schäden an dem Fundament und der Verankerung der Lichtquelle. Nach Pits Aussagen benötigten sie etwa zwei bis drei Tage dazu. Mit der Zerstörung des übergekrümmten Bereichs waren alle Arltra-Ranger und ihre Werkzeuge von der Basis verschwunden. Sogar der Energiespaten, den Pit am Gästehaus abgelegt hatte, war nicht mehr da. Über die Energiespur war alles in das Universum jenseits des Tores zurückgekehrt.

Die Roboter kümmerten sich um nichts anderes, als die Wiederherstellung der wertvollen Quelle. Auch Born besaß starkes Interesse daran. Wie mein Auftrag im einzelnen abgelaufen war, wollte er nicht wissen.

Ich schritt hinüber zum Felsmassiv, wo das Ei aus leuchtenden Sechsecken reglos über dem Boden hing. Ein paar kleine Tiere, die von dem Licht angelockt worden waren, stoben bei meinem Erscheinen auseinander.

»Schon eine Spur von Anti-ES?« fragte ich. Born verneinte telepathisch.

Ich rechne ständig mit seinem Erscheinen, meinte er. Dann bleibt mir nur die Flucht!

»Du hast es gut«, entgegnete ich. »Mir bleibt nicht einmal sie. Ich muß hierbleiben und versuchen, mich seinen Nachstellungen zu entziehen. Es wird mir schwerfallen, denn ich habe meinen besten

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Helfer verloren, Kik.« Es mußte sein, Atlan. Kik hatte eine Aufgabe, und er hat sie abgegeben

an Sanny. Du darfst deshalb nicht traurig sein. Du wirst andere Freunde finden. Freunde gibt es überall. Man darf sie nur nicht übersehen.

Born versuchte mir Mut zu machen, und ich war ihm dankbar dafür. Die Ereignisse auf der Basis hatten mich zudem ein wenig von der vergangenen Zeit abgelenkt, in der ich untätig durch die Namenlose Zone gestreift war. Das Eingreifen der Arltra-Ranger war nicht unbemerkt geblieben.

Anti-ES würde wieder erscheinen. Ich konnte mich verstecken, doch es fehlte mir Leitgeist, der

meinen Körper imitierte und der Superintelligenz vormachte, ich sei tot. Es fehlte mir Kik, der immer dann aufgetaucht war, wenn ich mich in Not befand. Und es fehlte mir natürlich Born, der nicht stark genug war, um in einer direkten Auseinandersetzung mit Anti-ES bestehen zu können.

»Was hast du herausgefunden?« wollte ich wissen. »Du hast auf der Suche nach Chybrain die Namenlose Zone durchstreift. Welche Entdeckungen hast du gemacht?«

Ich werde es dir sagen. Irgendwann, teilte Born mir mit. Jetzt nicht, denn wenn Anti-ES kommt, dann entreißt es dir das Wissen, und das wiederum würde mich in Gefahr bringen. Du mußt dich also ein wenig gedulden.

Er bewegte sich von dem Felsmassiv weg und trieb in Richtung des hinteren Teils der Landschaft davon. Ich folgte ihm um das Gästehaus herum, bis er anhielt.

Die Lichtquelle ruft uns, Atlan. Sie möchte sich bedanken! »Dann laß uns zu ihr gehen!« Wozu? Das war der Extrasinn. Sie kann sich doch nicht akustisch

bemerkbar machen! Die Lichtquelle empfindet Freundschaft für uns, eröffnete Born. Sie

macht keinen Unterschied zwischen mir, dir und dem Extrasinn. Sie hält uns für Wesen, die hilfsbedürftig sind, doch nur über mich weiß sie, wie sie

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mir helfen kann. Und dem Extrasinn hat sie schon einmal geholfen. Und damit auch dir, Atlan.

»Wie will sie dir helfen, Born?« Sie will mir einen Körper aus Jenseitsmaterie bauen lassen. Sie ist bereit,

diese zur Verfügung zu stellen. Aber sie weiß ebenso wenig wie ich selbst, wie ein solcher Körper aussehen könnte.

Ich spürte, wie ich Feuer fing und mir das Blut in den Kopf stieg und meine Wangen mit Hitze übergoß.

Einen Körper für Born. Das war etwas Neues, Umwerfendes. Ohne zu überlegen, sagte ich laut:

»Du sollst einen Körper haben, mit dem du allem überlegen bist, was sich dir in den Weg stellt. Anti-ES soll erblassen, wenn es zurückkehrt und dich sieht!«

Du willst mir den Körper bauen? »Ja. Aber du mußt meine Gedanken an die Lichtquelle

übermitteln. Und wir brauchen die Roboter, um die wichtigsten Teile zusammenzufügen!«

Ein bestätigendes Ziehen war in meinem Kopf, und Born teilte mit: Die Lichtquelle wird die Informationen direkt aus deinem Gehirn nehmen.

* Kurz darauf begannen wir unser Werk. Wir hatten uns in der Nähe der Lichtquelle versammelt, und die Roboter unter Pits Leitung warteten auf meine ersten Anweisungen.

Ich hatte mich auf den Boden gesetzt und den Kopf in die Hände gestützt. Ich dachte nach. Born tauschte mit mir Gedanken aus und brachte eigene Überlegungen ein. Das Wichtigste für ihn bezeichnete er mit dem Wort Heimstatt. Er meinte nicht sich selbst, sondern dachte unausgesetzt an Chybrain, den Sohn.

»Gut«, dachte ich. »Ich konstruiere dir einen Körper, der dich mit

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allen Mitteln ausstattet und auch eine Heimat für Chybrain ist.« Wir hofften alle drei, daß das Kind eines Tages wieder unseren Weg kreuzen würde.

Ich stellte mir vor, daß das Äußere des riesigen Körpers für Born ein Abbild seiner wahren Gestalt sein mußte, ein langes, leuchtendes Oval aus lauter Sechsecken. In seinem Innern konnte ich neben den lebenserhaltenden Einrichtungen andere Dinge unterbringen, die wichtig waren. Schutzschirme, verschiedene Antriebssysteme und ein Netz zur mentalen Befehlsübermittlung waren das mindeste. Born selbst brachte aus seinem Wissen, über das er als ehemaliger Teil von Anti-ES verfügte, etliche Ideen und Hinweise auf besondere Maschinen und Aggregate mit ein, denen die negative Superintelligenz im Lauf ihres Wirkens begegnet war.

Und so stellte sich in stundenlanger, mühevoller Arbeit heraus, wie der Körper für Born aussehen sollte. Im Zentrum würde eine kugelförmige Zentralzelle ruhen, der eigentliche Bereich Borns. Innerhalb der Außenhülle aus Jenseitsmaterie würden alle anderen Anlagen geschaffen, Lebenserhaltungssysteme für freiwillige oder unfreiwillige Besucher, Steueranlagen, autarke Energieversorgungen, ein Dimensionsmobile für Überlichtflug und Dimensionswechsel sowie einen Realhyperpulsator für den Unterlichtflug. Vorratskammern und der Hyperreduktor für den absoluten Ortungsschutz mußten ebenso hineinpassen wie der Heptatrafer, der die Energie für alle Systeme lieferte. Er bereitete uns die meisten Schwierigkeiten, aber hier half uns die Lichtquelle, die ihn so konstruierte, daß er die Energie hauptsächlich aus einer Existenzebene abzog, die uns unbekannt war und auch von der Quelle der Jenseitsmaterie nicht präzisiert werden konnte. Sie versicherte lediglich, daß diese Ebene sowohl in der Namenlosen Zone als auch in anderen Bereichen des Universums erreichbar sei.

Wir vergaßen die Prallfelder und ihre Generatoren nicht, ebensowenig die Braincircuits für die mentale Befehlsübermittlung. Und natürlich erhielt der Körper eine »Heimstatt des Sohnes«, einen

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kleinen Bereich in der unteren Hälfte, ziemlich nahe an der Außenwandung gelegen. Ganz in seiner Nähe befanden sich die Hangars für eine Unzahl von Robotern, die nach Borns Wunsch menschliche Formen erhalten sollten.

Blieb noch der Gasdruck-Kompensator. Die Idee war mir ganz unvermutet gekommen und basierte auf der Vorstellung, dem Körper ein noch größeres, gewaltigeres Aussehen zu geben. Ich dachte an Frösche, die ihren Kehlsack aufbliesen oder an Fische, die sich mit Wasser vollpumpten und dadurch zu einer riesigen Kugel aufquollen, um ihre natürlichen Feinde zu erschrecken und zu verjagen. Der Gasdruck-Kompensator schuf mit Hilfe eingelagerten Ammoniak-Methan-Gemischs eine kugelförmige Hülle um den Körper, die in ihrer größten Ausdehnung etwa zwanzigtausend Kilometer Durchmesser erreichte. Ein unsichtbares Energiefeld würde diese Hülle weitgehend festhalten. Das ausgeströmte Gas konnte wieder eingesaugt werden, bis auf einen Rest, der z.B. bei der Erstellung eines Kometenschweifs verlorenging.

Born würde zu einer beeindruckenden Erscheinung überall da werden, wo er auftauchte.

Ein zusätzlicher Spezialheptatrafer für einen Umkehr-Fiktivtransmitter füllte weiteren Raum, der bisher noch leer gewesen war.

Insgesamt erhielt der künstliche Körper eine Länge von 2024 Metern und einen größten Durchmesser von 1236 Metern.

Die Lichtquelle nahm die Produktion auf. Born und ich bildeten mit ihr einen Gedankenverbund, und der positive Teil der Superintelligenz formte mit seiner geistigen Kraft und der Unterstützung der Lichtquelle alle Einrichtungen und den Eikörper.

Die Quelle sprudelte die Jenseitsmaterie nur so heraus, und die Roboter stürzten sich mit Begeisterung auf die Einzelteile, um sie in der Weise zusammenzusetzen, wie es ihnen gesagt worden war. Langsam, Stunde für Stunde, wuchs das riesige Gebilde empor. Die Einzelteile waren genau passend gefertigt, es gab keine

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Verzögerungen. Zwanzig Stunden rechnete ich, dann war der riesige Körper fast fertig. In einer separat geformten Halterung lag er senkrecht auf der Oberfläche und ragte in den Himmel hinein. Lediglich sein Unterteil ruhte auf der Basis, der Rest reckte sich weit in den Weltraum der Namenlosen Zone hinein, und Pit schuf zu diesem Zweck eine nahtlos anschließende Strukturlücke. Schließlich war die Basis des Ersten Zählers nur halb so lang wie Borns neuer Körper und nur ein Viertel so breit. Die lichte Höhe des Energieschirms über der Landschaft betrug rund hundertzwanzig Meter.

Die Roboter arbeiteten wie lange nicht mehr. Sie entwickelten regelrechten Eifer und die Niedergeschlagenheit, die sie seit dem Verschwinden ihres Herrn befallen hatte, schien verflogen.

Niemand störte den Bau, und nach dreißig Stunden zog Born in den Mittelpunkt des Eikörpers ein und machte sich mit den Funktionen vertraut. Ich begleitete ihn und sah zu, wie er es sich in seiner Unterkunft bequem machte.

»Zufrieden?« fragte ich. Du hast mir sehr geholfen, bestätigte er. Atlan, ich danke dir. »Ich habe dir zu danken«, erwiderte ich. »Und wenn es nur eine

winzige Erkenntnis ist, die ich gewonnen habe.« Welche denn? »Daß ich hier in der Namenlosen Zone meinen Platz und meine

Aufgabe habe. Noch immer!« Siehst du!, meldete sich der Extrasinn. Endlich hast du es erfaßt.

Deine Zeit, die dreizehn Jahre, waren nicht umsonst. Auch die Zukunft wird auf dich angewiesen sein, glaube es mir!

»Viel Glück, Born! Kehre bald zurück!« vermittelte ich dem Ei. »Ab und zu kommst du und hilfst mir aus der Klemme!«

Ich kehre zurück, versprach Born. Zunächst jedoch werde ich zu einem Testflug aufbrechen. Du solltest hinausgehen.

Ich tat es und begab mich in sichere Entfernung. Ich beobachtete, wie das riesige Ei sich langsam vom Boden löste und in die

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Dunkelheit hinaufzog, während der Schutzschirm sich immer weiter um den kleiner werdenden Rumpf zusammenzog und sich dann schloß. Noch einmal erreichte uns ein geistiger Impuls von Born.

Der neue Körper trägt auch neue Namen. Merkt sie euch gut. In der Zukunft wird man von Wöbbeking und von Nar'Bon sprechen. Atlan, ich danke dir. Dir und deinem Extrasinn!

Lichtquelle! dachte ich konzentriert. Hörst du mich? Auch dir gehört dieser Dank. Ohne dich wäre Wöbbeking/Nar'Bon nicht möglich gewesen.

Sie hat sich wieder in sich zurückgezogen, sagte der Extrasinn. Ich beobachtete die Roboter, die ihre Reparaturarbeiten fortsetzten

und anschließend den tiefen Graben zuschütteten und das Gelände um die Quelle der Jenseitsmaterie einebneten.

»Ich mußte auch noch mit anderen Dingen rechnen«, erwiderte ich. »Damit, daß ich gebraucht werde, zum Beispiel. Und unter welchen Voraussetzungen!«

Es schien, als habe sich nichts verändert zu früher. Die Lichtquelle schwieg, und ich war mit den Robotern allein.

* Ich war den Turm emporgeklettert und hatte die Landschaft von oben betrachtet. Nichts außer einem dunklen Streifen um die Lichtquelle erinnerte an den Vorfall mit den Jenseitsbohrern. Und von Born war lediglich das Gestell des neuen Körpers geblieben. Auch es bestand aus Jenseitsmaterie, und ich trug den Robotern über Funk auf, es zur Lichtquelle hinüberzuschaffen und zu versuchen, ihr das überfällige Material zurückzugeben. Die Quelle der Jenseitsmaterie reagierte nicht. Dafür lösten sich die Streben und Konstruktionen vor meinen Augen in Nichts auf, und ein helles Glühen des Doms zeigte, daß dieser die manifestierte Energie auf seine Weise zurückgeholt hatte.

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Es ist ein wunderbares Geschenk, das die Lichtquelle Born gemacht hat, rührte sich mein Extrasinn. Und wir durften daran teilhaben.

»Es ist vor allem ein wichtiges Geschenk«, sagte ich. »Wir werden es in der Zukunft sehen. Born selbst hat es angedeutet. Was mögen die beiden Namen bedeuten? Wöbbeking und Nar'Bon?«

Der abgespaltene positive Teil hatte uns nicht mitgeteilt, warum er sich so nennen wollte. Er hatte auch nicht gesagt, ob dies nur Namen für seinen neuen Körper sein sollten oder auch neue Namen für ihn selbst.

Es spielte vorläufig keine Rolle. Born würde nach seinem Testflug zurückkehren und dann seine Suche nach Chybrain aufnehmen. Ich glaubte, daß er allein gehen würde. Er würde mich auf der Basis zurücklassen.

Ich stieg den Turm hinab und schritt den Weg entlang, der zu einem der Bunker führte, eine der wenigen Waffenstationen, die es an der Oberfläche der Landschaft gab. Die Roboter kamen mir entgegen. Sie umringten mich, und Pit packte mich am Arm.

»Komm mit, Atlan!« sagte er schroff. »Was ist denn los?« rief ich aus. Eine Ahnung keimte in mir auf. »Du hast keine Fragen zu stellen«, antwortete der Roboter. »Anti-ES!« schrie ich. »Bist du zurückgekehrt?« Ein Lachen brandete über der Landschaft auf. Ich erkannte, daß

sich die negative Superintelligenz mit ihrer Aura bereits in der Basis niedergelassen hatte und diese mit allen technischen Einrichtungen beherrschte. Sie gab den Robotern die Befehle, und diese führten mich hinab in das Innere des Raumschiffs und sperrten mich in einer kleinen Zelle unweit der Zentrale ein.

»Hast du geglaubt, du könntest mir entkommen, du Wicht?« lachte Anti-ES. »Wie in früheren Zeiten war es nur ein kleiner Aufschub für dich. Ich hatte Wichtiges zu tun und keine Zeit, mich um dich Winzling zu kümmern. Jetzt aber werden wir abrechnen!«

»Du solltest mir dankbar sein«, sagte ich. »Fremde wollten die Lichtquelle stehlen, auf die du so sehr angewiesen bist!«

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Die Superintelligenz schwieg für eine Weile verblüfft. Sie hat keine Ahnung, was inzwischen auf der Basis geschehen ist, stellte

der Extrasinn fest. Aber sie wird sich die Informationen schnell von den Robotern holen!

Tatsächlich dauerte es nicht lange, da meldete Anti-ES sich erneut. »Ich weiß jetzt, welche Teufeleien du ausgeheckt hast, Arkonide.

Aber alles wird dir nichts nützen. Ich habe die Macht und die Mittel, meine Drohung endgültig wahrzumachen. Ich werde dich ein für allemal deines Körpers berauben!«

»Du hast es schon einmal vergeblich versucht!« lachte ich trotzig. Ich wollte Zeit schinden, aber er merkte das.

»Du hoffst umsonst, Atlan. Ich habe die Falle für Born bereits aufgebaut. Er wird nach seinem Testflug hierher zurückkehren. Es wird sein letzter Flug gewesen sein. Ich werde den Riesenkörper für mich selbst beanspruchen!«

Die Gefahr besteht, wisperte mein Extrasinn. Mit dem Wöbbeking wird Anti-ES ein Stück mächtiger. Wir haben ihm unabsichtlich in die Hände gearbeitet. Dennoch, es gibt eine Möglichkeit!

»Welche?« Ich fieberte. Entspanne dich und stelle mir deine gesamte Konzentrationsfähigkeit zur

Verfügung! Ich spürte, daß der Extrasinn sich in sich selbst zurückzog und

sich konzentrierte. Ich wollte an die unsichtbaren Bande denken, die ihn mit Born verknüpften. Die spinnfadenähnliche Spur zwischen den Jenseitsbohrern und ihrem Übergangsort fiel mir ein. Gab es etwas Ähnliches, nicht Meßbares zwischen Born und dem Extrasinn?

Das Lachen in meiner Zelle schwoll zu einem nervenbetäubenden Dröhnen an. Unwillkürlich preßte ich die Hände auf die Ohren, aber es half nichts.

»Du bist wehrlos!« brüllte Anti-ES erheitert. »Begreifst du das noch immer nicht?«

Mir wurde schwindlig. Ich begann die Kontrolle über meine

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Gliedmaßen zu verlieren und mußte aus feuchten Augen mitansehen, wie meine Arme und Beine Bewegungen ausführten, deren Befehle sie nicht von meinem Gehirn erhielten. In meinem Innern fingen Prozesse an, meinen Körper auf die Auflösung vorzubereiten, und der Zellaktivator verstärkte seine Tätigkeit um das Dutzendfache. Er versuchte mit aller Gewalt, die Erscheinungen zu kompensieren und schaffte es auch. Wenn Anti-ES jedoch stärker angriff, war auch er machtlos.

Ich schwieg und hoffte nur. Langsam wurde mir schwarz vor den Augen, und ich stürzte zu Boden. Ein helles Singen setzte sich in meinen Ohren fest.

Extrasinn! flehte ich. Tu etwas! Rufe die Lichtquelle! Die Lichtquelle rührte sich nicht. Sie sandte mir kein zweites Mal

eine Aura, die verhinderte, daß Anti-ES aus mir ein Manifest machte, wie es mit Janv-Zount und anderen Zählern geschehen war. Vielleicht benötigte es auch Körpersubstanz, um einen neuen Anti-Homunk zu formen.

Benjamin Vouster! zuckte ein Name durch mein Gehirn. Ein höhnisches Lachen kam als Antwort.

»Etwas Ähnliches wird dir widerfahren!« sagte Anti-ES. »Du wirst alle Höllen des Diesseits und des Jenseits erle …«

Die Worte gingen in einen Schrei über. Plötzlich wich die Last von meinem Körper. Ein Kreischen und Ächzen ging durch die Basis, dann herrschte Totenstille.

Es ist geschafft! jubelte der Extrasinn. Er hat es geschafft! »Born!« hauchte ich erschöpft. »Was tut er?« Merkst du, wie die Basis schwankt? Ich schüttelte den Kopf. Ich merkte nichts. Die

Andruckneutralisatoren glichen im Innern alles aus. Born ist da. Er eilt mit seinem Gasfeld durch die Basis und treibt Anti-

ES davon. Ich spüre, wie die Aura des Bösen verschwindet. Nein, Born spürt es, aber er läßt es mir zukommen! Jetzt ist er hindurch.

»Die Falle!« ächzte ich. »Er darf nicht …«

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Er hat davon gewußt, durch mich. Unbewußt bestand eine Verbindung zwischen ihm und mir. Er hat die Falle umgangen und Anti-ES vertrieben!

Die bestehende geistige Verwandtschaft zwischen dem Extrasinn und Born hatte sich erneut bewährt.

Ich richtete mich langsam auf, da kam nochmals die wütende Stimme von Anti-ES durch.

»Noch ist nichts entschieden!« keifte die Superintelligenz. »Ich werde mir Wöbbeking holen. Darauf könnt ihr euch verlassen!«

Es ist nichts als eine Behauptung, klang die andere, freundliche Stimme in mir auf. Sie war so anders und doch von gleichem Tonfall. Deutlich war herauszuhören, daß Born eben ein Teil von Anti-ES gewesen war und noch immer war. Mehr als die genetische Verwandtschaft oder Abstammung war da jedoch nicht. Es gab keine weiteren Übereinstimmungen.

Wie kommst du zurecht? erkundigte sich der Extrasinn. Ich beherrsche den neuen Körper ohne Schwierigkeiten, antwortete

Born. Er wird mir wertvolle Dienste leisten. Seine Stimme war bei diesen Worten immer leiser geworden. »Du entfernst dich!« stellte ich fest. »Du bleibst nicht hier?« Eine Weile werde ich noch brauchen, um alle Einzelheiten Wöbbekings

auszuprobieren. Ich werde mein erstes und oberstes Ziel verfolgen und nach unserem gemeinsamen Kind suchen. Chybrain darf nicht verlorengehen. Lebt wohl!

Leb wohl, erwiderte der Extrasinn traurig. Und auf Wiedersehen! Dann war Born enteilt, und ich wußte, daß es diesmal für einen

längeren Zeitraum sein würde, wenn uns nicht der Zufall irgendwo in der Namenlosen Zone zusammenführte. Born wollte die Suche nach Chybrain intensivieren. Ich war sicher, er würde sie nicht aufgeben, bevor er den Sohn nicht gefunden hatte.

»Und wir?« fragte ich. »Was tun wir?« Natürlich. Wir hatten die Basis. Mit ihr konnten wir nach wie vor

ewige Zeiten durch die Namenlose Zone streifen und nach Anhaltspunkten suchen. Nach Helfern und nach Himmelskörpern.

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Es war schwierig in dieser Zone, die keinen einzigen Stern an ihrem Himmel aufzuweisen hatte. Falls es überhaupt ein Himmel nach üblichen Vorstellungen war.

Du irrst. Jetzt hat sie einen Stern. Einen einzigen. Er leuchtet in seinem Gasmantel. Es ist Born!

»Also gut. Wenn das ein Stern ist. Hat er auch Planeten?« Ich schritt zur Tür und prüfte die Verriegelung. Danach legte ich

ein Ohr an das kalte Metall. Ich hörte stampfende Schritte, die sich näherten. Zufrieden nickte ich.

Kurz darauf öffnete sich die Tür. Pit stand vor mir, drei weitere Roboter begleiteten ihn.

»Anti-ES hat keine Macht mehr über uns«, erklärte er. »Wir sind gekommen, um dich zu befreien!«

Er ließ mich hinaus und folgte mir zur Zentrale. »Ich weiß es bereits, was sich ereignet hat«, sagte ich zu ihm. »Es

ist nett von euch, daß ihr zuerst an mich gedacht habt!« »An wen hätten wir sonst denken sollen?« fragte Pit mit

roboterhafter Logik. Klang seine Stimme nicht überaus weinerlich? »Du bist ja der einzige, den wir noch haben!«

Ich erwiderte nichts, dachte mir jedoch meinen Teil. Wenn mir die Maschinen des Ersten Zählers nicht ab und zu ein wenig nützlich gewesen wären, hätte ich sie sowieso längst desaktiviert und eingemottet. Zum Roboterpsychologen fühlte ich mich nämlich nicht berufen.

Ein paar Minuten später stand ich wieder vor dem nichtssagenden, schwarzen Bildschirm, und die Basis eilte mit gleichbleibender Geschwindigkeit durch die Namenlose Zone.

Der Anblick unterschied sich durch nichts von dem, der sich mir vor all den Ereignissen geboten hatte.

»Ist eigentlich etwas vorgefallen?« erkundigte ich mich scheinheilig. Pit bildete mit seinem Körper so etwas wie ein Fragezeichen. »In den letzten Tagen?«

»Atlan leidet unter den Nachwehen der Mnemo-Löschung!« rief

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Rond von seinen Meßgeräten herüber. »Du solltest ihm alles ausführlich erzählen!«

»Nein, nein!« wehrte ich hastig ab. »Es war nur ein Scherz. Ich weiß, daß die Mnemo-Löschung nicht mehr wirkt!«

Ich merkte, daß ich abgekämpft und müde war. Ich übergab Pit das Kommando und instruierte ihn, mich sofort wecken zu lassen, wenn es zu einer Unregelmäßigkeit kam. Dann zog ich mich in eine Kabine in der Nähe der Zentrale zurück und legte mich aufs Ohr.

Ich wünschte mir noch, daß ich etwas Angenehmeres träumen würde. Von früher. Ein Erlebnis von der SOL. Oder ein Abenteuer mit Born, das in einer glücklicheren Zukunft lag.

Ich fiel in einen tiefen Schlaf. Er war traumlos und erfrischend.

8. Ruckartig richtete ich mich auf. Ich spürte, wie der Kontakt zu Wöbbeking abbrach. Ein letztes Wehen seiner Stimme blieb in mir zurück. Es klang wie »Bis bald!«, doch beruhigte es mich nicht. Die Eile, mit der er sich zurückzog, ließ Befürchtungen in mir aufkommen.

Um mich herum waren sorgenvolle Gesichter, wie immer, wenn ich aus dem temporären Reinkarnationseffekt erwachte. Ich sah Bjo, Tyari, Vorlan und Uster Brick. Hage und Blödel standen ein wenig abseits, schienen meiner Erzählung jedoch nicht weniger aufmerksam gelauscht zu haben. Meine Augen suchten Iray, doch sie war nicht da.

»Alles in Ordnung?« fragte Breiskoll. Ich nickte. »Wie immer. Ihr seid es ja inzwischen gewohnt!« Der Roboter Blödel näherte sich, und ich mußte an Pit denken und

lachen, obwohl Pit fast menschenähnlicher gewesen war als diese wandelnde Positronik unseres Galakto-Genetikers, dieser humoristische Blechhaufen.

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Endlich war mir ein Teil der Zusammenhänge vollständig klar. Ja, das Bild verdeutlichte sich mit dem Wissen des zu Ende gegangenen Effekts derart, daß ich nicht wußte, wo ich anfangen sollte. Da war Sanny, die ich nicht in der Zentrale der CHYBRAIN erblickte. Da war ARCHITEKT, bei dem es sich um Hidden-X handelte.

Und da war natürlich auch Wöbbeking/Nar'Bon. Und Chybrain selbst, der nun nicht mehr unter uns weilte.

Endlich wußte ich, warum Wöbbeking immer wieder verlangt hatte, ich solle mich um Chybrain kümmern. Er war unser gemeinsames Kind. Er war damals verschwunden und war später als Karjanta auf der SOL aufgetaucht. Er hatte indirekt Elvin Glador und die SOLAG mit an die Macht gebracht. Über Chybrain hatte ich seit unserer ersten Begegnung in der SOL nie viel gewußt, und es gab dafür nur eine Erklärung. Nach meinem Aufenthalt bei den Kosmokraten mußte ich das Versprechen bezüglich Chybrain und vieles andere wieder vergessen haben.

Die Wege des Schicksals und die Pfade der Entwicklung waren verschlungen und undurchsichtig. Manchmal nahmen sie tragikomische Züge an.

»Ich habe alles gespeichert«, blubberte Blödel neben mir. »Für den Fall, daß SENECA etwas damit anfangen kann!«

SENECA! Die SOL war irgendwo in der Dunkelwolke oder auf dem Weg dorthin. SENECA stand unter dem Einfluß des Manifests Erfrin. Das Schiff war zum Untergang verurteilt, wenn wir nicht rasch halfen.

»Anti-ES!« sagte ich laut und blickte die Umstehenden an. »Nun weiß auch der dümmste, welche Absichten es noch immer verfolgt!«

»Es will Wöbbeking in seine Gewalt bringen«, nickte Bjo. »Deshalb zeigt sich Born nicht in unserer Nähe, sondern nimmt von irgendeinem Versteck geistigen Kontakt mit dir auf!«

»Er hat sich abrupt zurückgezogen! Es muß Gefahr für ihn bestehen!«

Anti-ES war kein primär machtbesessenes Wesen, wie Hidden-X

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es gewesen war. Ich empfand Genugtuung bei dem Gedanken, daß es der Spiegelung einer anderen Superintelligenz niemals gelungen war, die Quelle der Jenseitsmaterie an sich zu reißen, nach der sie getrachtet hatte.

Wäre es ihr gelungen, hätte die Entwicklung im Normalraum eine andere Richtung genommen! warf der Extrasinn ein.

Es hieß, daß Born und ich dafür verantwortlich zeichneten, daß es nicht geschehen war. Dafür hatte Anti-ES seine Macht weiter ausgedehnt. Es wirkte bis nach Xiinx-Markant und plante seine Erhebung gegen die Hohen Mächte und die Aufhebung seiner Verbannung in die Namenlose Zone. Teilweise mußte sein Agieren bereits Erfolg gehabt haben, denn sonst hätte es nicht mit Hilfe von dem neu geschaffenen Anti-Homunk in dieser Galaxis wirken können. Wöbbeking fehlte ihm als die letzte Kraft, die es zum Erreichen seines nächsten Zieles benötigte.

Ich teilte meine Gedanken mit, und Hage stimmte mir vorbehaltslos zu.

»Es darf nie geschehen!« sagte er. »Wir alle müssen dafür sorgen, daß Wöbbeking nie die Dunkelzone betritt! Auch du, Atlan!«

Es war selbstverständlich. Wir würden der negativen Superintelligenz einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen.

Wir durften nicht zögern. »Wir fliegen weiter in Richtung der Quelle der Mentalstrahlung«,

sagte ich. »Versucht, einen Kontakt zur SOL herzustellen!« Nach dem Abschluß der Ereignisse im Emtau-System war es Bjo

nicht mehr gelungen, Sternfeuer auf der SOL telepathisch zu erreichen. Jetzt, wo wir seit Stunden im Leerraum hingen, hatte er noch immer keinen Erfolg.

Es war, als hätte der Teufel seine Hand im Spiel. »Nun, da wir das Wissen besitzen, wie man ein Manifest zerstören

kann, ohne das in ihm gebundene Bewußtsein des betreffenden Zählers zu töten, ist es uns nicht möglich, dieses Wissen an die SOL

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weiterzugeben«, stellte ich zerknirscht fest. »Bjo, du kümmerst dich weiter um einen Kontakt zu Sternfeuer!«

Breiskoll senkte zustimmend den Kopf und zog sich in einem Winkel der Zentrale zurück.

»Wir anderen können nur die Augen offenhalten!« fügte ich hinzu. Ich stand auf und ging zum Bildschirm hinüber. Obwohl die

Phasen der temporären Reinkarnation nie länger dauerten, als ich zur Erzählung meiner Erlebnisse brauchte, kam es mir vor wie eine Ewigkeit, und ich genoß den Anblick des sternenübersäten Himmels der fremden Galaxis Xiinx-Markant. Hier herrschte Leben, wenn es auch ein gezwungen kriegerisches war.

Langsam ging ich zum Ausgang. Ich wollte Sanny aufsuchen. Ich mußte mit der Molaatin sprechen. Alles in mir drängte danach, ihr endlich die Wahrheit über jene Zeit ihres Lebens zu berichten, die sie aufgrund der Ereignisse auf der Basis ganz vergessen hatte. Sie mußte erfahren, daß Hidden-X ihr Volk noch auf ganz andere Weise ausgenutzt hatte, als ihr dies bekannt war. Warum sie mir vor kurzer Zeit einmal in der Gestalt Kiks gegenübergestanden war, hatte sich durch den Tod des Seesternartigen und das Übertreten einer unbekannten Kraft geklärt. Auch Sannys paramathematische Fähigkeiten resultierten daraus.

Wohl immer ein Geheimnis würde bleiben, wer Kik gewesen war und in wessen Auftrag er gehandelt hatte. Auch hier hegte ich einen Verdacht, daß die Hohen Mächte ihre Hand im Spiel hatten und also doch nicht so unwissend über die Vorgänge in der Namenlosen Zone waren, wie ich während meiner Erlebnis-Rückblenden manchmal annahm. Genaues herauszufinden, war mir in der Gegenwart wohl kaum möglich. Vielleicht stieß ich im Lauf meiner weiteren Nachforschungen in der Dunkelzone oder an einem anderen Ort dieser Galaxis auf einen Hinweis. Oder ich fand ihn in der Namenlosen Zone.

Und ich hoffte, daß mich irgendwann in der Zukunft ein Vorgang in die Lage versetzen würde, auch all das in die Erinnerung

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zurückzuholen, was ich bei den Kosmokraten und in ihrem Auftrag erlebt hatte.

Irgendwann mußte auch dieser Zeitpunkt kommen. Ich traf Sanny in ihrer Kabine und unterhielt mich über eine

Stunde mit ihr. In dieser Zeit hatten die beiden Beiboote der SOL das Emtau-

System weit hinter sich gelassen, in dem sich die Kalackter aus unbegreiflichen Gründen und bei einem absehbaren Sieg über unser Häuflein zurückgezogen hatten. Die CHYBRAIN und die FARTULOON strebten dem neuen Ziel entgegen.

Sanny sagte lange nichts. Schließlich faßte sie nach meiner Hand und drückte sie so kräftig, wie es ihr kleiner Körper ihr erlaubte.

»Ich danke dir sehr, Atlan«, zwitscherte sie. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie es mich die ganze Zeit bedrückt hat, nur einen Teil meines Lebens zu kennen und doch zu wissen, daß ich in Wirklichkeit biologisch älter war, als meine Erinnerung zurückreichte. Hidden-X hat uns also zu Kampfmaschinen umfunktioniert und in die Namenlose Zone geschickt!«

»Doch, ich kann es mir vorstellen!« lächelte ich. »Ich war schließlich dabei! Ich sah dich an mir vorbeieilen und etwas von einem Spielzeug rufen! Du hast Kik wohl für ein Tier gehalten.«

»Und er hat mir das Leben gerettet. Der Treue!« Instinktiv verwendete sie dieselben Worte, die sie zu Kik gesagt

hatte, als dieser im Sterben lag und sie um einen letzten Gefallen bat. Ich sah den Schmerz in ihren Augen, daß sie selbst keine Erinnerung daran hatte und allein auf das angewiesen war, was ich ihr berichtet hatte.

»Trage es tapfer«, meinte ich. »Du hast dich an meinen Namen erinnert und auf mein Erscheinen gewartet. Du hast Kiks Aufgabe bisher so erfüllt, wie er es nicht besser hätte tun können!«

Es war ein schwacher Trost, aber die kleine Sanny würde darüber hinwegkommen.

»Wir fliegen weiterhin die Strahlungsquelle an, ganz wie Tyari

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und du es gewollt haben«, sagte ich, und für einen Augenblick huschte ein erleichtertes Lächeln über ihr Gesicht.

Ich ließ Sanny allein und nahm es ihr nicht übel, wenn sie sich für ein paar Stunden nicht um die Situation der beiden Beiboote der SOL kümmern würde. Ja, ich gab Anweisung, sie auf keinen Fall zu stören. Ich wollte ihr Zeit lassen, das Gehörte zu verarbeiten. Vielleicht würde sie der Gedanke glücklich machen, schon seit langer Zeit für eine gute Sache da zu sein und zu kämpfen.

Was ist gut? »Schweig!« herrschte ich den Extrasinn an. »Es liegt nicht in

unserer Macht, diese Frage zu beantworten. Gut ist meistens das, was einem selbst nichts nützt!«

Dann kehrte ich in die Zentrale der CHYBRAIN zurück. Bjo erwartete mich schon.

Bei den anstehenden Problemen wurde er auf meinen Rat kaum verzichten wollen. Als er mein Grinsen sah, meinte er:

»Die Einsamkeit der Namenlosen Zone scheint endgültig verflogen zu sein, nicht wahr?«

»Ich habe mich wieder an euch gewöhnt. Nicht wahr?« gab ich zurück.

Ich wußte, daß ich den flachen Körper mit seinen fünf Extremitäten und den großen, treuherzigen Augen nie würde vergessen können.

ENDE

Atlans Wissen um die Geheimnisse der Namenlosen Zone, jenes Wissen, das der »temporäre Reinkarnationseffekt« dem Arkoniden wieder zugänglich macht, beginnt sich auszuzahlen. Denn es trägt letztlich dazu bei, der SOL aus der Klemme zu helfen. Wissen und Wissenschaft sind auch gefragt auf Munater – denn Munater ist der PLANETOID DER FORSCHER …

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PLANETOID DER FORSCHER – unter diesem Titel erscheint auch der nächste Atlan-Band. Als Autor des Romans zeichnet Kurt Mahr.