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Das Geschenk der Lichtquelle

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ATLAN 118 – Die Abenteuer der SOL

Nr. 617

Das Geschenk der Lichtquelle von Arndt Ellmer

Die Verwirklichung von Atlans Ziel, das schon viele Strapazen und Opfer gekostet hat – das Ziel nämlich, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen – scheint nun außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu lie-gen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besor-gen zu müssen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Randgebiete der Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird. Inzwischen herrscht im Umfeld der SOL Ruhe. Dafür aber ist in der SOL selbst der hoff-nungslos anmutende Kampf gegen das Manifest C entbrannt, das das Schiff in die Ver-nichtung zu führen droht. Um sich die Handlungsfähigkeit und die Chance zur Rettung der SOL zu bewahren, ver-läßt Atlan mit seinen engsten Mitarbeitern das Schiff und dringt in das Zentrum von Xiinx-Markant ein. Dabei durchlebt der Arkonide wiederum einen »temporären Reinkarnationseffekt«. Seine Vergangenheit in der Namenlosen Zone ersteht vor ihm neu – und Atlans Verbündeter erhält DAS GESCHENK DER LICHTQUELLE ...

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Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Arkonide in der Namenlosen Zone. Anti-ES – Atlans großer Gegenspieler. Kik – Ein seltsames Wesen opfert sich. Born – Das Energiewesen erhält einen »Körper«. Sanny – Eine Arltra-Rangerin. Pit – Ein Roboter der Basis.

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1.

Noch immer nichts? Verzweifelt blickte ich auf den großen Pa-

noramabildschirm und versuchte, irgend et-was zu erkennen. Für einen kurzen Augen-blick streifte mich ein Gedankenbruchstück, ein leichtes Wehen einer fernen Erkenntnis.

Mein Extrasinn rührte sich nicht. Er gab keinen Kommentar. Er hatte sich an die Er-folglosigkeit gewöhnt wie fast alle, die um mich herum waren.

»Nein!« stieß ich plötzlich hervor. »Ich fin-de mich nicht damit ab! Wir werden ihn fin-den!«

Joscan Hellmut trat neben mich und berühr-te mich vorsichtig am Arm. Ich zuckte un-willkürlich zusammen. Ich blickte ihn an. Der Sprecher der Solgeborenen machte kein glückliches Gesicht.

»Nichts!« flüsterte er. »Wir haben seine Spur noch immer nicht!«

Ich konnte es in diesen bangen Augenbli-cken nicht sagen, wie lange wir bereits such-ten. Waren es Wochen? Monate? Oder gar Jahre? Immer wieder entdeckten wir den Hauch einer fünfdimensionalen Spur. Dann folgten wir ihr gierig und überhastet, um sie jedesmal aus den Augen zu verlieren.

»SENECA!« sagte ich mutlos, aber auch die Biopositronik schwieg. Angesichts der Hilflosigkeit der Menschen in dem großen Schiff schien sie ihre gewohnte Ironie verlo-ren zu haben, und die Verkündigung der Flugdaten ähnelte jedesmal den tristen Wor-ten eines Schiffskommandanten, wenn er den Metallbehälter mit einem Toten dem Leer-raum zur Aufbewahrung übergab.

Seltsam. Früher hätten die Terraner in der SOL Witze über eine solche Stimmung ge-macht. Aber jetzt mochten die über zweitau-send Terraner sich vorkommen wie in einem großen Sarg, und die Solgeborenen hörten es nicht gern, wenn jemand Witze machte.

Dennoch, in diesen Tagen der ergebnislo-sen Suche, der Verfolgung einer vagen Spur, gab es keine Animositäten in den beiden SOL-Zellen und dem Mittelteil. Alle trachte-ten danach, daß die Schiffsführung Erfolg haben würde. »Wir werden nicht aufgeben«, versicherte ich Hellmut, dem das Schicksal

des unsterblichen Freundes ebensowenig gleichgültig war wie mir.

Ich schwor BULLOC grimmige Rache. Die Vierte Inkarnation der Superintelligenz BARDIOC durcheilte die Galaxis Ganuhr. In ihrer milchigen Energiesphäre führte sie eine Geisel mit sich, Perry Rhodan.

Barbar! dachte ich. Du darfst es mir glau-ben. Ich werde diesen gluckernden Ballon zum Platzen bringen, wenn ich ihn treffe. Es wird mir nicht schwerfallen. Und ich werde auch den Auftraggeber dieser Kreatur finden. BARDIOC!

Alles war vergeben und vergessen, auch der Zwist in der Vergangenheit. Mein Bemühen, die Sicherheit der Menschheit innerhalb der Provcon-Faust zu gewährleisten, war mit den Interessen Rhodans kollidiert, dem es in erster Linie um die Freiheit der Menschen und die Vertreibung der Laren gegangen war. Ich hat-te es letztendlich erkannt und die Konsequenz gezogen. Ich war an Bord des Generations-schiffs zurückgekehrt, um mit Perry gemein-sam an diesem Ziel zu arbeiten. Ein junger Mann hatte mich damals überzeugt.

Bjo Breiskoll. Wieder glaubte ich in mir ein fast nicht

feststellbares, geistiges Zupfen zu verspüren. Es war so, als wollte mich jemand auf etwas aufmerksam machen.

Komm endlich zu dir! Du hast die Realität längst vergessen!

Die Heftigkeit und Eindringlichkeit, mit der mein Extrasinn sich meldete, ließ mich zu-sammenfahren. Ich blinzelte und starrte aus brennenden Augen auf den Schirm. Mit mei-nen Augen war etwas nicht in Ordnung, denn der Schirm veränderte seine Abmessungen ständig.

»Joscan!« wollte ich ausrufen, aber seine Gestalt verschwamm und löste sich vollstän-dig auf. An seiner Stelle stand ein Roboter neben mir, menschenähnlich und doch wieder nicht.

Vergiß den Traum! Du bist nicht dort, wo du zu sein glaubst!

Die Worte rissen mich endgültig in die Wirklichkeit zurück. Ich streckte meine rechte Hand aus und umfaßte die verchromte Röhre des Geländers, das unterhalb der Kontrollan-lagen angebracht war, und hielt mich fest, bis

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ich mir sicher war, mein Gleichgewicht wie-dergefunden zu haben. Der Roboter näherte sich mir und hielt mir hilfsbereit seine Arme hin.

»Danke«, sagte ich heiser. »Es geht schon!«

Die Rückkehr in die Wirklichkeit war mit einem Schauer kalter Angst verbunden. Noch immer war der Bildschirm schwarz und leer, aber es war nicht der in der Hauptzentrale der SOL, sondern der im Steuerzentrum der Basis des Ersten Zählers, die mir zur Zeit als Auf-enthalt und Fahrzeug diente.

»Pit?« fragte ich erleichtert. »Wo sind wir?«

Der Roboter, einer derjenigen, die zur Basis gehörten und vom Ersten Zähler Janv-Zount erschaffen worden waren, bewegte sich um-ständlich. Er schien Mühe zu haben, sich zu artikulieren. Für die Roboter war das Ver-schwinden des Ersten Zählers ein Schicksals-schlag, den sie kaum verkrafteten.

»Wir haben uns nur unwesentlich von unse-rem bisherigen Standort entfernt«, hüstelte der Roboter Pit verhalten. »Du kannst Flir und Rond fragen, sie stehen dort drüben und prüfen die Meßgeräte!«

»Es ist gut«, meinte ich. »Sie sollen sich nicht bemühen. Es hat doch alles keinen Zweck!«

Noch immer wußte ich zu wenig über die Namenlose Zone, noch immer hatte ich keine Hinweise auf die Beschaffenheit meiner Um-gebung. Ich wußte, daß die Namenlose Zone in Regionen unterteilt war, aber ihre Ausmaße konnte ich nicht feststellen. Und das, obwohl ich seit Monaten durch diesen unbegreiflichen Raum kreuzte.

Rund dreizehn Jahre hielt ich mich inzwi-schen hier auf, gefangengenommen von der negativen Superintelligenz Anti-ES, die sich selbst in ihrer Verbannung einer kaum zu ü-berbietenden Form der Agitation gegen die positiven Kräfte befleißigte und die Freihei-ten, die ihr die Bestimmungen der Zone lie-ßen, ohne Unterlaß für ihre eigenen Zwecke nutzte.

Nach der mir gewohnten Zeitrechnung der Menschheitsgalaxis mochte es inzwischen 3601 n. Chr. geworden sein. Ob der Zeitab-lauf des Normaluniversums auch in der Na-

menlosen Zone galt, konnte ich nicht sagen, nahm es jedoch an. Vielleicht entdeckte ich eines Tages etwas, das mir auch in dieser Be-ziehung Klarheit verschaffte.

Ich senkte den Kopf und lauschte in mich hinein. Ich kannte meinen Extrasinn gut ge-nug, um zu verstehen, daß er im nächsten ge-eigneten Moment wieder in einen Gedanken-austausch mit mir treten würde.

Niedergeschlagenheit umfaßte mich. Drei-zehn Jahre waren eine lange Zeit, und ich hatte sie nur wenig nutzen können. Weiterhin war ich Gefangener der Namenlosen Zone, und ich hatte keine Gelegenheit erhalten, mein Ziel, die Kosmokraten zu erreichen.

Statt dessen kreuzte ich sinnlos hin und her und bildete mir ein, daß ich etwas finden müßte, das mir einen Anhaltspunkt geben konnte.

Die Grenzwächter sind kein Anhaltspunkt? fragte der Logiksektor.

»Sie sind ein Anhaltspunkt, denn sie ver-hindern jedes Durchkommen in einen der an-deren Sektoren oder über diese hinaus. Sie wissen selbst nicht, was Materiequellen sind, und glauben, daß es außer der Namenlosen Zone nichts gibt«, argumentierte ich. »Wo soll ich also suchen?«

Die Roboter waren ebensowenig in der La-ge gewesen, mir zur Erreichung meines Zieles zu verhelfen. Sie werteten aus und kamen zu keinen anderen Ergebnissen als ich selbst. Auch die Lichtquelle stellte keinen Kontakt zu mir und dem Extrasinn her.

Wenn ich wenigstens einen Weg gefunden hätte, in mein eigenes Universum zurückzu-kehren! Damit wäre mir möglicherweise am besten gedient, denn von dort konnte ich er-neut versuchen, mit Hilfe Laires zu den Kos-mokraten vorzustoßen und ihnen zu berichten, was sich in der Namenlosen Zone abspielte.

Laire? Weißt du denn, wo er geblieben ist? »Aber ich meine doch bloß ...« Es ist kein Ausweg! schärfte der Extrasinn

mir ein und erinnerte mich an all die vorange-gangenen Gespräche. Die Kosmokraten wür-den in der Namenlosen Zone nicht eingreifen, und ich war nach wie vor auf mich allein an-gewiesen. Die Roboter konnte ich nicht rech-nen.

Es sind da noch gewisse Andeutungen des

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Achten Zählers. Aber sie sind ungenau. Viel-leicht bedeuten sie etwas!

»In zehn Jahren«, erwiderte ich. »Du weißt, für übergeordnete Intelligenzen sind tausend Jahre wie ein Tag.«

Deinen Worten nach geht es dir wieder besser!

Ich schüttelte mißmutig den Kopf. Es war nicht mehr als ein wenig Galgenhumor, und doch zeigte es, daß ich die Hoffnung noch nicht völlig aufgegeben hatte. Genausowenig wie damals auf den Spuren BULLOCS.

Die SOL? fragte ich mich. Wo hat es dieses alte, treue Schiff nach der Trennung von den Terranern hinverschlagen?

Ich war mir nicht sicher, ob ich es jemals wiedersehen würde.

*

Pit öffnete die mittlere Dachkuppel des

Gästehauses und führte mich auf das flache Dach. Ich blickte über die natürliche Land-schaft, die auf der Oberfläche der Basis ange-legt war. Nur wenige Gebäude ragten über die Wiesen und Waldanlagen empor. Kaum zweihundert Meter entfernt lag die Lichtquel-le, auch Quelle der Jenseitsmaterie genannt. Ein transparenter Dom von etwa fünfzig Me-tern Höhe ragte aus dem Boden. Das Gerüst dieses Gebildes bestand aus gleichmäßigen, dicken Streben. Es war zweifellos künstlichen Ursprungs. Ein Meer aus Licht von hellrosa und zartgrünen Farben füllte es aus und um-gab es wie eine schützende Wolke. Erst weiter außerhalb des eigentlichen Gerüsts nahm das Licht eine weiße Färbung an. Undeutlich wa-ren die faust- bis kopfgroßen Brocken zu er-kennen, die in sprudelnden Kaskaden in die Höhe des Domes gechleudert wurden und dann in steilen Parabeln zurück in die eigent-liche Quelle stürzten. Das faszinierende, fremdartige Spiel besaß einen inneren, natür-lich anmutenden Kreislauf, der ästhetisch und in seiner Fremdartigkeit vollkommen war.

Ich wandte den Kopf und starrte zu dem schlanken, hohen Turm hinüber, an dessen Plattform die reparierte Gondel hing, aus der ich den Ersten Zähler befreit hatte. Nichts hatte sich dort ereignet, was auf die Rückkehr seines Bewußtseins hingewiesen hätte. Er war

zum Spinar geholt worden. Anti-ES hatte wahrscheinlich aus ihm einen neuen, voll-kommenen Janvrin gemacht. Und ganz be-stimmt war es der negativen Superintelligenz inzwischen gelungen, alle Zähler des Spinars für sich umzufunktionieren.

In meinem Rücken ragte das Felsmassiv auf. Dort, an der flach ansteigenden Seite un-ter dem Felsbogen lag die Höhle, in der ich meine Aufzeichnungen immer versteckt hatte, ohne mich nach dem nächsten Schlaf daran zu erinnern. Ich hatte in den letzten Monaten keine Gelegenheit gefunden, sie wieder auf-zusuchen. Es schmerzte, denn mit ihr verban-den sich die Gedanken an Beyl Transot, den Haluter, den einzigen mir vertrauten Gefan-genen, weil er aus dem Halo der heimatlichen Milchstraße stammte. Janvrin hatte den Halu-ter getötet.

Plötzlich glitt mir ein Name über die Lip-pen. Ich hatte das Wesen völlig vergessen.

»Kik!« stieß ich hervor. »Wo steckt Kik?« »Das Wesen, das du Kik nennst, kommt

und geht, wie und wann es will«, erklärte Pit mit rostiger Stimme. »Warte ab, bis sich et-was ereignet, das es interessiert. Dann wird es von selbst auftauchen!«

Ich war mit der Antwort nicht zufrieden, aber der Roboter gehörte zur Basis und kannte das Wesen wohl länger als mich.

Ich war Kik Dank schuldig. Er hatte in der ersten Zeit meines Hierseins die Nahrung für mich von seinen eigenen Rationen abge-zweigt. Selbstlos und ohne Gegenleistung.

Oder nicht? Was wußte ich denn über die Vorgänge in der Namenlosen Zone, über die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung?

»Geh in den Wald und such Kik!« wies ich den Roboter an, doch dieser verneinte ener-gisch.

»Es ist besser, wir kehren in die Hauptzent-rale zurück!« sagte er.

Als ich wieder den schwarzen, nichtssa-genden Bildschirm vor Augen hatte, verfluch-te ich den Roboter und seine Empfehlung. Fast überkam es mich wie eine Drangwäsche, und nach der langen Zeit des Untätigseins hätte ich ganze Wälder ausreißen und an an-derer Stelle wieder einpflanzen können.

Es gab nichts da draußen. Wohin ich die Basis des Ersten Zählers steuerte, flog ich ins

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Leere. Ich fand den Planetoiden von Anti-ES nicht mehr, auf dem es mich gefangengehal-ten hatte. Ich rekonstruierte den Rückweg zum Spinar nach den vorliegenden Daten. Ich flog ins Leere.

Die Leuchterscheinungen auf dem Schirm hielt ich für Überreaktionen meiner Nerven.

Sie sind real! Du hast etwas auf der Or-tung! beruhigte mich der Extrasinn.

Ich war wie umgewandelt. Rasch übernahm ich die Basis in manuelle Steuerung und lenk-te das Gebilde den Ortungsreflexen entgegen.

»Aufgepaßt, ich komme!« flüsterte ich. Die Basis raste durch den fremden Raum

und näherte sich dem Gebiet, in dem die hoch empfindliche Fernortung etwas ausgemacht hatte. Die Detailortung nahm ihre Arbeit auf.

Nicht zu hastig! dämpfte der Extrasinn meine Euphorie. Sieh dir die Dinger erst ein-mal aus der Nähe an!

»Nein!« stieß ich hilflos hervor. »Nein und nochmals nein!«

Alles in mir verkrampfte sich. Was hattest du erwartet? Eine Materiequel-

le? Ich hatte nichts erwartet. Und doch sehr

viel. Ich hatte gehofft, eine Gruppe von Schif-fen zu finden, eine Raumstation oder sonst etwas. Ich hatte mir eingebildet, fremde We-sen zu treffen oder auch Anti-ES, um mit ihm zu kämpfen.

»Felsen!« ächzte ich enttäuscht, und ein Rausch wilder Verzweiflung überkam mich. »Es sind ein paar Brocken Stein, licht- und leblos!«

Du hast deine Erwartungen zu hoch ge-steckt. Du hast geglaubt, noch etwas in der Namenlosen Zone ausrichten zu können!

»Ja, das habe ich«, gab ich zerknirscht zu. »Wundert es dich?«

Und jetzt? Wie fühlst du dich? Ich gab keine Antwort und schluckte einen

arkonidischen Fluch hinunter. Ich fühlte mich elend. Aber ein stetiges Ge-

fühl sagte mir, daß es nicht Zeit zum Aufge-ben war. Anti-ES würde mich nicht kleinkrie-gen, auch nicht in der Einsamkeit zwischen all diesen Robotern. Ich besaß die Fähigkeit, mich mit Gedankenkraft in einen Wachtraum zu versetzen, und die Bilder aus der früheren Zeit der SOL waren nicht zufällig gewesen.

Es gab starke Übereinstimmungen zwi-schen meinen damaligen Gefühlen, als wir der Sphäre BULLOCS folgten, und denen, die mich jetzt erfüllten.

»Ich werde immer ein Kämpfer sein«, sagte ich zu mir selbst und an den Logiksektor ge-richtet.

Eines wirst du immer sein, antwortete er. Und gerade jetzt bist du es mehr als in frühe-ren Zeiten. Der Einsame der Zeit!

2.

Das Licht glühte, und es blendete das We-

sen, so daß es die Augen schloß. Es wandte sich ab und wollte die Flucht ergreifen, doch die flüsternde Stimme in ihm hielt es zurück und bannte es auf die Stelle.

»Bleib, Kik!« vermittelte sie. »Du be-kommst von mir eine Aufgabe!«

Kiks große Augen ruhten ängstlich auf der Erscheinung, die er zu kennen glaubte. Er war sich noch nicht sicher, welcher Teil sie war. Er beschloß, zunächst einmal abzuwarten.

»Du bist eine Superintelligenz, nicht wahr?« sagte er und wackelte dabei mit dem fünften Bein, das er in der Art eines Arms nach oben streckte. »Kik ist immer brav ge-wesen. Nicht wahr?«

Das leuchtende Gebilde wogte eine Weile auf und ab. Es schwebte hin und her, als su-che es etwas oder wolle sich vergewissern, daß niemand dieses Gespräch belauschte.

»Wo bin ich hier? Ist dein Bereich ein Pla-netoid, nicht wahr?«

»Du sollst keine Fragen stellen«, wurde ihm bedeutet. »Was du nicht weißt, kannst du nicht verraten!«

»Kik schweigt und ist immer ganz still, nicht wahr?«

Die leuchtende Erscheinung hielt in ihrer Bewegung inne und senkte sich ganz auf den Boden herab, auf dem Kik stand. Sie umglitt ihn einmal, dann ein zweites Mal. An ihrer ursprünglichen Stelle verharrte sie.

»Ich suche etwas, und du wirst mir helfen, es zu finden«, sagte ihre Stimme lautlos in ihm. »Du hast eine wichtige Aufgabe.«

»Kik findet alles und ist immer wichtig, nicht wahr? Willst du Atlan finden, nicht wahr?«

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Das leuchtende Gebilde projizierte ein paar

Bilder in sein Gehirn, und sie berichteten von einem unglaublichen Vorgang. Kik sah die Teilung eines einzelnen Wesens und die Flucht des einen, kleinen Teils. Kik sah eine Jagd und mehrere Begegnungen, und immer floh der Teil, der die geringeren Kräfte besaß. Und noch etwas erhielt er vermittelt. Der kleinere Teil kam mit einem weiteren Geist-wesen zusammen, einem winzigen, energie-streuenden Gebilde. Beide zusammen bildeten ein Kleinstwesen aus. Der kleinere Teil und das Kleinstwesen mußten fliehen, während das energiestreuende Gebilde am Rand der Lichtquelle zurückblieb. Dann erloschen die Bilder.

»Basis des Ersten Zählers, nicht wahr?« stellte Kik fest. »Du bist zu groß, um der klei-nere Teil des erstgespaltenen Wesens zu sein, nicht wahr?«

Das leuchtende Gebilde gab lange Zeit kei-ne Antwort. Kik wurde es zu viel, und er has-tete davon, um nach kurzer Zeit an den Rand der winzigen Plattform zu gelangen. Ein Ruf hielt ihn zurück.

»Bleib! Du kannst dort nicht hinabspringen. Du würdest dich zu Tode stürzen!«

Kik kehrte zurück, und das Leuchtwesen fuhr fort:

»Ich habe aus großer Ferne ein paar Ge-danken des Kleinstwesens empfangen. Es nennt sich Chybrain, und mein Ziel ist es, ihn zu finden. Deshalb muß ich dorthin, wo ich seine Spur verloren habe.«

Kik schwieg, aber er wußte, welchen Ort es meinte. Und er begriff, daß das Wesen ihn dorthin schicken wollte, damit er für es spio-nierte und ihm Bericht erstattete über all das, was auf der Basis des Ersten Zählers vor sich ging.

»Ich darf mich dort nicht zeigen und muß vollkommen unsichtbar bleiben. Niemand wird mich orten können. Nur so werde ich mein Ziel erreichen!«

»Du wirst sie alle zu deinen Befehlsemp-fängern machen! Wie mich, nicht wahr?« Kik dachte an Janvrin zurück, vor dem er jedesmal die Flucht ergriffen hatte, wenn er auftauchte. Er wollte nicht getötet werden wie Beyl Tran-sot oder Verynth. Vorsichtig blinzelte er das leuchtende Ei an, das so groß vor ihm aufrag-

te. »Du sprichst viele Worte, die du nicht ver-

antworten kannst«, sagte es bedächtig. »Ich kann dir keine weiteren Erklärungen geben, aber ich bitte dich, für mich diese Aufgabe zu erfüllen!«

»Alles soll gut in Ordnung sein, nicht wahr?«

Er beobachtete, wie sich an dem Ei eine Beule aufwölbte, ein schimmernder Vorhang. Es bildete sich eine Öffnung, und das Wesen lud ihn ein, sie zu durchschreiten. Kik folgte der Einladung sofort.

Die Öffnung schloß sich, und das Wesen hob von der metallenen Plattform ab und ließ sie mitten in der Schwärze der Namenlosen Zone als Treibgut zurück, so wie sie vorher gewesen war. Nichts deutete darauf hin, daß hier ein wichtiges Gespräch stattgefunden hatte.

»Du weißt den Weg zur Basis, nicht wahr?« Das Wesen sandte ihm einen beruhi-genden Impuls.

»Ich spüre sie jetzt«, erwiderte es. Kik rollte seine seesternartigen Extremitä-

ten ein und ließ sich innerhalb des Energie-vorhangs auf den Bauch platschen.

»So bin ich’s zufrieden, nicht wahr?« grummelte er.

Er hatte endgültig begriffen, wer ihn da be-förderte.

*

Die Hast, mit der die Roboter in das Haus

stürzten, ließ mich verwundert aufhorchen. Ich begriff sofort, daß sich etwas Ungewöhn-liches ereignet haben mußte. So kannte ich die Maschinen des Ersten Zählers nur, wenn sie sich auf der Flucht befanden.

Anti-ES? War die Superintelligenz aufge-taucht?

Du scheinst im Leerraum dein logisches Denkvermögen eingebüßt zu haben! meldete sich mein Extrasinn. Anti-ES würde die Robo-ter seinem Willen unterwerfen und dich ein-sperren lassen!

Kamen sie, um das zu tun? Es hörte sich nicht so an, und ich fragte mich, was sie woll-ten. Die Manifeste fielen mir ein, die Anti-ES geschaffen haben mußte. Kam so etwas wie

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Janvrin auf mich zu?

Das Getrampel der metallenen Fußsohlen wurde immer lauter. Es schepperte durch das Gebäude, und ich hörte die ersten Rufe und Schreie. Die Roboter rannten kopflos durch die Stockwerke und suchten mich.

Ich trat an die gebäudeinterne Rufanlage und schaltete sie ein.

»Ich bin in meinem Ruheraum!« teilte ich ihnen mit. »Es ist der rechte Korridor am zweiten Hauptschacht, Ausstieg im siebten Stockwerk!«

Das Getrampel kam näher, sie hatten mich vernommen. Ich öffnete.

Da standen sie, die Furchtsamen. Ihre star-ren Blicke vermochten es nicht, die Angst auszudrücken, die sie überfallen hatte. Dafür taten sie es durch ihre eckige Körpersprache. Sie hielten die Köpfe gesenkt und die Knie leicht angewinkelt. Mit nach vorn gebeugtem Oberkörper standen sie da, über zwanzig an der Zahl. Manche schielten furchtsam nach rückwärts.

»Was ist geschehen?« fragte ich. »Es ... es spukt, Atlan! Etwas ist auf der

Basis und jagt uns Furcht ein!« Sie gaben die Antwort durcheinander, und

ich hatte Mühe, sie zum Schweigen zu brin-gen und einen einzigen sprechen zu lassen.

»Wo spukt es?« Ich hatte Mühe, ernst zu bleiben, denn die Situation war für meine Begriffe einfach zu komisch.

Es stellte sich heraus, daß überall auf der Oberfläche der Basis Leuchterscheinungen aufgetreten waren. Sie betrafen alle Bauwerke und zogen sich in enger werdenden Kreisen um die Quelle der Jenseitsmaterie. Auch die Bäume und Büsche sparten sie nicht aus.

»Habt ihr Energie angemessen? Kann es sein, daß es sich um eine Teufelei von Anti-ES handelt?«

Die Roboter konnten es nicht sagen. Wie-der redeten sie durcheinander. Ich ließ die Schultern sinken. Bei Arkon! Brauchbare Helfer waren sie beileibe nicht, die metalle-nen Vertreter des Ersten Zählers. Am Schluß kam es so heraus, daß ich auch noch den See-lenarzt für sie spielen mußte. »Ihr werdet ge-träumt haben!« sagte ich barsch. »Kommt mit hinaus. Ich werde die Angelegenheit untersu-chen!«

Plötzlich so schnell bei der Sache? »Du siehst es«, antwortete ich unhörbar.

»Allerdings halte ich es für Einbildung dieser Maschinen.«

Du nimmst sie in Schutz! stellte der Extra-sinn fest. Du hoffst es, daß endlich etwas ge-schieht!

Ich erreichte den Ausgang und blickte hin-über zum Turm und seiner Plattform. An der Säule, an der die Gondel hing, züngelten hell-blau schimmernde Flammen. Sie verschwan-den dort und tauchten Sekunden später am Dach des Gästehauses auf. Sie wanderten über die Baumwipfel weiter dem Bug der Basis zu.

»Folgt mir!« Ich winkte den Robotern. »Wir werden angegriffen!«

Düster malte ich mir aus, was geschehen konnte. Es gab in diesen Wochen mit Sicher-heit nichts Schlimmeres für mich, als wenn fremde Kräfte die Basis lahmlegten und sie eroberten. Meine wenigen Ziele, die mir noch geblieben waren, wurden durch die Leuchter-scheinungen auch noch in Frage gestellt.

»Pit!« rief ich laut. »Wir brauchen Waffen zu unserem Schutz!«

Die Roboter folgten mir, und ich rannte die Strecke von über einem Kilometer bis zur Spitze des Gebildes. Der Wald und das Gras endeten dort wie überall abrupt. Eine steile Metallkante bildete den Übergang zu den un-ter der Oberfläche liegenden Sektoren der Basis, und ich ließ meine Augen prüfend über die lange Metallnase schweifen, die wie eine schräge Rampe nach unten ging. Positions-lichter zeigten an, wo sie zu Ende war. Dort unten wußte ich die Ortungs- und Feuerleit-systeme und die Beiboote des riesigen Raum-schiffs. Direkt vor mir ragten die Säulen der Schutzschirmprojektoren auf, die die Land-schaft der Basis in Form eines ellipsoiden Gewölbes mit Energie überspannten und den Eindruck eines planetaren Himmels hervorrie-fen.

»Dort ist es!« Einer der Roboter hatte es ausgerufen. An

der Kante entlang rollte ein kleines, fast über-sehbares Energiebällchen, und jedesmal, wenn es in der Nähe eines der Projektoren vorbeikam, sprang ein kleiner Blitz über und machte es ein wenig größer. Was da auf uns

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zukam, war eine energetisch massierte Form dessen, was man in der herkömmlichen Phy-sik als Kugelblitz bezeichnete. So lange er an metallenen Gegenständen seinen Weg fand, war es gut, er wurde dann abgeleitet. Brachte ihn aber irgendeine Masse dazu, von seinem Weg abzuweichen, dann ... Es war besser, ich sprach es nicht aus.

»Zurück!« stieß ich hervor. »Alles in De-ckung!«

Die Roboter folgten meiner Anweisung mit einer Geschwindigkeit, als hätten sie die gan-ze Zeit darauf gewartet. Sie rasten in den Wald hinein, und innerhalb von wenigen Se-kunden stand ich allein an der Kante und beo-bachtete das Bällchen, das ungerührt heraneil-te. Es war inzwischen faustgroß, und ich trat ein wenig zurück, um es nicht durch meine Masse aus der Bahn zu werfen und sein Ver-halten weiter beobachten zu können.

Genau vor mir hielt es an. Es war helle, rei-ne Energie, und ich schloß für einen Augen-blick geblendet die Augen. Es war ungewöhn-lich, was hier vor sich ging, höchst unge-wöhnlich. Nichts war an dieser Erscheinung, was auf den Gegner hinwies.

Du hast es erfaßt. Es ist ein dir nicht geläu-figer Vorgang.

»Kannst du nicht konkreter werden?« be-gehrte ich auf. »Deine Äußerung ist zweideu-tig. Wie soll ich sie auslegen?«

Wie du willst! konterte der Extrasinn. Auch ich weiß zu wenig, um die Lage fehlerlos be-urteilen zu können. Die Tatsache, daß nichts auf Anti-ES hindeutet, kann die Falle sein.

»Danke!« nörgelte ich. Der kleine Energieball erlosch von einem

Augenblick auf den anderen. Nichts deutete darauf hin, daß er dagewesen war. Ich bückte mich und näherte meine Hand vorsichtig der Kante. Ich erwartete ein Anzeichen von La-dung, von elektrischer Spannung. Nichts war da. Die Energie war weg.

Ich kehrte zu den Robotern zurück, die sich ganz in den Wald zurückgezogen hatten. Ein paar von ihnen mußte ich aus den Wipfeln der Bäume herunterbitten.

»Ich weiß noch nicht, was es ist«, erklärte ich ihnen. »Aber vorläufig besteht keine un-mittelbare Gefahr. Dennoch müssen wir dem Vorgang begegnen und seinen Ursprung he-

rausfinden. Es handelt sich nicht um Spuk, sondern um das Einwirken eines Feindes.«

Ich war fest davon überzeugt, daß wir uns vorsehen mußten. Die Leuchterscheinungen waren ziemlich sicher nur Anzeichen eines viel gravierenderen Vorgangs.

»Was sollen wir tun?« fragten die Roboter. Ich bemitleidete ihre Hilflosigkeit. Es fehlte ihnen ein zentraler Befehlsgeber.

»Alarm für die Basis«, sagte ich. »Sucht die gesamte Oberfläche und auch das Innere der Station ab. Irgendwo muß sich die Quelle dieser Erscheinungen befinden!«

Ich blieb stehen und beobachtete, wie die Roboter in verschiedenen Richtungen abzo-gen und über Funk ihre Artgenossen verstän-digten. Sie würden mit der Gewissenhaftig-keit von Maschinen suchen und etwas finden. Allerdings hegte ich manchmal Zweifel, ob es sich bei diesen Modellen um Roboter der mir gewohnten Kategorien handelte. In der Na-menlosen Zone hatte ich mich inzwischen damit abgefunden, daß nichts sich mit dem mir gewohnten vergleichen ließ. Nicht einmal die Maschinen.

Ich machte mich auf den Weg zur Licht-quelle.

*

Die Quelle der Jenseitsmaterie war von An-

fang an der wichtigste Orientierungspunkt für mich in dieser Landschaft gewesen. Bereits zweimal hatte sie mir geholfen. Zunächst, als ich meinen Extrasinn von ihr zurückerhielt, dessen Erinnerungen an den Vorgang genauso dürftig waren wie meine eigenen, und später die Aura der Unantastbarkeit, die sie mir ver-liehen hatte, um mich davor zu bewahren, daß Anti-ES aus mir ein Manifest machen konnte. Ich verdankte die Rettung dem Achten Zähler im Spinar, der mir die Hinweise auf die Vul-nurer und Lichtquelle-Jacta gegeben hatte. Ich hatte der Lichtquelle versprochen, alles zu tun, um die Rückkehr der Vermißten oder Vertriebenen zu ermöglichen. Wie ich dieses Versprechen jemals erfüllen wollte, wußte ich selbst nicht.

Die Aura hatte mich vor Anti-ES geschützt, aber die Quelle der Jenseitsmaterie hatte dar-auf bestanden, daß ich das Spinar schleunigst

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verließ. Ich tat es und irrte seitdem mit der Basis umher.

Die Aura der Unantastbarkeit hatte sich längst aufgelöst. Ich verspürte nichts mehr davon. Mein Körper und mein Geist waren wie eh und je den Angriffen der Superintelli-genz hilflos ausgeliefert.

Jetzt stand ich am Brunnenrand, der Einfas-sung des Doms, und beobachtete die Vorgän-ge in seinem Innern. Ich mußte den Kopf in den Nacken legen, um die Wege der Brocken zu verfolgen, die hinaufgeschleudert wurden und einen wilden Wirbel innerhalb des Leuchtens bildeten. Hellrosa und zartgrün empfand ich die Farben, und der stetige Wechsel verursachte einen Nebel vor meinen Augen, durch den ich die einzelnen Muster nicht mehr auseinanderhalten konnte.

Lichtquelle! dachte ich intensiv. Kannst du mich verstehen? Ich bin Atlan. Du hattest mit meinem Extrasinn Kontakt, weißt du es noch?

Du forderst sie heraus! Das ist nicht gut! Sie ist sehr sensibel! warf mein Extrasinn ein. Eine logische Begründung für seine Äußerung zu liefern, war er nicht imstande.

»Ich denke an etwas, aber ich kann es nicht in Worte fassen«, stellte ich fest, ohne einen Kommentar des Logiksektors zu erhalten. »Es sind die Farben, die es auslösen.«

Eine verschollene Erinnerung? »Lichtquelle!« dachte ich wieder, und

diesmal sprach ich es laut mit. »Kannst du mich empfangen? Etwas bedroht die Basis. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich glaube, daß auch du in Gefahr bist. Hast du diese Leuchterscheinungen festgestellt?«

Gib es auf, sagte der Extrasinn. Wenn sie den Kontakt will, wird sie sich bemerkbar machen.

Die Quelle der Jenseitsmaterie verhielt sich still, sie blieb passiv. Ich hielt es für ein schlechtes Zeichen. Daß ich damit recht be-hielt, zeigten die folgenden Ereignisse.

Langsam wandte ich mich ab und steuerte den nächstliegenden Einstieg in die »Unter-welt« der Basis an.

Ein Roboter kam mir an der Luke entgegen, es war Pit. Er hielt etwas in seiner Hand. Er erblickte mich und streckte es mir entgegen.

»Es beginnt!« schrie er mich an und drück-te mir eine rostige Handwaffe in die Finger.

»Komm nach unten, Atlan!« »Was beginnt? Hast du nichts Besseres ge-

funden als dieses Ding hier? Funktioniert es überhaupt?«

»Keine Ahnung«, gab Pit zurück. »Die Ba-sis ist bestens ausgerüstet und verfügt über unzählige Waffen und Abwehrsysteme. Aber das ist die einzige Handwaffe, die wir noch gefunden haben! Alle anderen sind zerstört!«

Es war unglaublich, die Haare wollten mir zu Berge stehen.

»Was beginnt?« wiederholte ich. »Der Angriff!« schrie Pit und zerrte mich

unsanft in die Luke hinein. »Eine Armee nä-hert sich der Basis. Sie kommt bestimmt nicht in friedlicher Absicht, denn sie antwortet auf keinen unserer Funkanrufe. Du mußt etwas unternehmen!«

3.

Rozzel nickte der Schar seiner Jenseitsboh-

rer zu und öffnete die Sormyng. Das Gebilde aus einer Zone übergekrümmten Raumes hing zitternd in der neuen Umgebung, die AR-CHITEKT ihnen als Namenlose Zone be-zeichnet hatte. Ihr Auftrag war fest umrissen. Ihr Herr wollte etwas in seinen Besitz brin-gen, das sich in dieser Zone befand. Er hatte ihnen die Sormyng anvertraut, mit der sie ein Loch in die Hülle der Namenlosen Zone »bohrten« und in sie eindrangen.

Rozzel schaltete an der halbmateriellen Ta-fel, mit der er das Gebilde bedienen konnte. Er gebrauchte dazu die silbernen Hände, zwei feine Handschuhe aus reinstem Nickel, denn mit seinem eigenen Körper war er nicht in der Lage, die leuchtenden und halb stofflichen Knöpfe und Schalter zu berühren. Er glitt durch die Materie hindurch.

»Denkt an die Macht von ARCHITEKT, was immer ihr tut!« schärfte der Arltra-Ranger seinen fünfzig Begleitern ein. »Unser Herr ist ein gerechter Herrscher, und ein Ver-sagen wird er rücksichtslos bestrafen.«

»Du kannst dich auf uns verlassen!« Die kleine Sanny eilte zu ihm und verbeugte sich höflich. Ihr Körper war wie der aller Arltra-Ranger von einem dichten, kurzhaarigen Pelz überzogen, der lindgrün leuchtete, im Innern des übergekrümmten Raumes und dem damit

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verbundenen Lichtmangel jedoch dunkelgrün bis schwarzbraun schimmerte. Lediglich der kugelrunde Kopf der Jenseitsbohrerin war völlig haarfrei und von einem sanften Bronze-ton. Aus kreisförmigen Augen mit hellblauen Pupillen sah sie den Kommandanten des Un-ternehmens ehrfürchtig an.

»Wir können nicht versagen, denn unsere Bewaffnung ist unüberwindlich. ARCHI-TEKT hat uns mit allem ausgestattet, was wir brauchen! Er ist ein umsichtiger Herr, dem sich gern dienen läßt!«

Sanny trug eine hellrote Kombination mit einem schwarzen Gürtel wie alle Arltra-Ranger, die zu dieser Mission in die Namen-lose Zone geschickt worden waren. Sie hatte ein Täschchen bei sich, einen braunen Fell-beutel, den sie sich über die Schulter gehängt hatte. Jetzt nahm sie einen kleinen Gegens-tand heraus und hielt ihn empor.

»Keiner hat ihn vergessen!« rief sie mit zwitschernder Stimme. »Jeder hat seinen E-nergiespaten dabei!«

Es war ein leuchtendes Handwerkszeug, das ARCHITEKT ihnen mit auf den Weg gegeben hatte. In der Form einem Spaten äh-nelnd, konnte mit ihm alles bewegt werden, was aus Materie und Energie bestand. Ganze Gebirge fielen unter der Wirkung eines sol-chen Spatens zusammen. Die meisten Werk-zeuge aus dem Flekto-Yn strahlten weiß und gleißend. Die kleinen Spaten der Jenseitsboh-rer jedoch schimmerten in dunkelblauem Licht. Sie waren für eine kleine und doch wichtige Aufgabe gedacht.

Die fünfzig Arltra-Ranger verteilten sich auf drei Schlitten, die außen an dem Fahrzeug aus übergekrümmtem Raum hingen. Es waren wellige Plattformen, und sie waren den gol-denen Flößen aus Psinterfall nachgebaut. So zumindest hatte ARCHITEKT es ihnen er-klärt. Und für den Umgang mit dem Schlitten und den Aufenthalt in der Namenlosen Zone hatte er sie mit besonderen geistigen Fähig-keiten ausgestattet. Sie spürten keinen Unter-schied zu jener Zone des Normalraums, in der sie zu Hause waren. Das Innere des überge-krümmten Raumes erinnerte sogar an manche Räume innerhalb des Flekto-Yn.

»Wir sind bereit«, klangen mehrere Stim-men auf. »Du kannst die Schleuder auslösen!«

Rozzel, der als einziger Wächter in der Sormyng zurückblieb, gab das Bestätigungs-zeichen. Er prüfte den Sitz seiner Handschu-he, dann berührte er den schwarzen, fast nicht sichtbaren Kopf. Ein feines Singen drang an seine Ohren, und er beobachtete, wie die Plattformen übergangslos aus seinem Sichtbe-reich verschwanden. Aus der Zone des über-gekrümmten Raumes traten sie in jenen Be-reich ein, der Namenlose Zone genannt wur-de.

Wieder einmal bewunderte Rozzel die Um-sicht, die ARCHITEKT bewiesen hatte. Allen Gegebenheiten der fremdartigen Umgebung hatte er Rechnung getragen, und der Jenseits-bohrer zog die silbernen Hände aus und legte sie sorgfältig neben sich auf den Boden. Er wartete auf die Rückkehr seiner Artgenossen und dachte, daß es kaum zwei oder drei Stun-den normaler Zeitrechnung dauern würde.

Inzwischen hatten sich die Wellenplattfor-men gut eine halbe Lichtstunde von der Sor-myng entfernt. Sie schaukelten nebeneinander durch den finsteren Leerraum. Die Jenseits-bohrer waren auf ihre Umgebung vorbereitet, und die Konditionierung für ihre Aufgabe ließ es nicht zu, daß Gefühle wie Angst oder Ver-lorenheit in ihnen auftreten konnten.

»Sanny, Ollug und Anfrer«, vernahmen sie die Stimme Uflagers. Er hatte von Rozzel das Kommando über den Vorstoß erhalten. Dicht neben ihm stand der kleine Lundwal, der mit 43 Zentimetern der kleinste Arltra-Ranger war, den sie kannten. Sein Gesicht leuchtete hellgelb von einem Strahlenunfall, aber AR-CHITEKT hatte ihnen erklärt, daß die Strah-lung sich lähmend auf jenes Gebilde auswir-ken würde, das zu beschaffen er sie ausge-schickt hatte.

»Was gibt es?« fragte Sanny. Sie brauchte sich nicht anzustrengen, um sich bis zum ü-bernächsten Schlitten bemerkbar zu machen. Die drei Plattformen bewegten sich, auf Gra-vitationswellen reitend, und ohne sichtbaren Schutz gegen den Leerraum auf ein noch un-sichtbares Ziel zu. Lediglich die Tatsache, daß die vorhandene Atemluft nicht ausging, deu-tete darauf hin, daß es so etwas wie ein Schutzfeld über den Plattformen gab.

»Wie mag es aussehen?« fragte Uflager. Er war einer der körperlich kräftigsten Jenseits-

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bohrer und hatte einen besonders großen Spa-ten erhalten.

»ARCHITEKT hat es uns nicht gesagt. A-ber er hat uns bedeutet, daß wir es sofort er-kennen würden. Unser Herr ist weise und denkt an alles. Warten wir ab, bis wir dort sind!«

In ihren Gedanken befaßten sie sich mit dem, was auf sie zukam. An den Schaukelbe-wegungen stellten sie fest, daß sie in ein Ge-biet kamen, in dem die Gravitationslinien enger und gekrümmter waren als bisher. Das wies auf das Vorhandensein einer Massekon-zentration hin. Fast gleichzeitig erkannten sie einen schwachen Nebelfleck vor sich, und Sanny sagte:

»Wir sind da! Macht die Störer bereit!« Sie wurden geortet und trafen die nötigen

Vorkehrungen. Ihr Herr hatte ihnen bedeutet, daß sie vielleicht nicht ungehindert an ihr Ziel kommen würden. Die Waffen, die sie besa-ßen, waren jedoch unüberwindlich.

»Eine Raumstation, mitten in der Leere«, staunte Ollug. »Das ist es also!« Und von der mittleren Plattform riefen mehrere Stimmen: »Eine Landschaft! Die Station hat eine Land-schaft obenauf!«

Sie entschlüsselten die Funkbotschaft, ohne darauf eine Antwort zu geben. Sie erfuhren den Namen der Station und versuchten sich vorzustellen, wie es in ihrem Innern aussah und wie tief sie vorstoßen mußten, um an ihr Ziel zu gelangen.

»Basis des Ersten Zählers«, lachte Uflager herausfordernd. »Bald gibt es dort nichts mehr zu zählen.« Er hatte die Stimme des Anrufers als die eines Roboters identifiziert. Auch gegen Metallkämpfer waren sie ge-wappnet.

Kurz darauf blitzte es an der Basis zum ers-ten Mal auf. Ein ganzer Schauer von Energie-strahlen höchster Kalibrierung folgte, doch die Arltra-Ranger auf ihren Schlitten reagier-ten nicht. Sie sahen zu, wie die Energien wir-kungslos vor ihnen verpufften oder weit zur Seite abgelenkt wurden und in den finsteren Leerraum hinausrasten. Sie dachten an Roz-zel, der zurückgeblieben war und die Energie-entfaltung anmaß. Wenn es ihm zu langweilig war, würde er sie in seinen Sektor konzentrie-ren und den Speichern der Sormyng zuführen,

nachdem er sie umgewandelt hatte. »Sollen wir ihnen eine Antwort verpas-

sen?« Anfrers Stimme vibrierte vor Kampfes-eifer.

»Eine kleine Warnung nur!« nickte Ufla-ger. »Dann landen wir!«

*

Anti-ES! Es konnte nur die negative Super-

intelligenz sein. Niemand anders sonst in der Namenlosen Zone verfügte über solche Machtmittel.

Wütend verfolgte ich, wie das Sperrfeuer der Basis wirkungslos an dem herannahenden Gegner abglitt. Die Massetaster lieferten kei-ne eindeutigen Werte, und auf dem Bild-schirm war nichts zu sehen. Es waren dunkle Gebilde, und das Licht, das die Oberfläche der Basis erhellte, reichte nicht aus, um Raumschiffe anzustrahlen.

Du bist schon wieder zu vorschnell! melde-te sich mein Extrasinn. Wer sagt dir, daß es sich um ein Eingreifen von Anti-ES handelt!

»Noch keine Antwort?« fragte ich wütend. Die Roboter verneinten. Vergebens musterten sie den Schirm, aber auch sie konnten nichts feststellen, was auf die Energiesphäre der Superintelligenz hinwies. Nirgendwo war ein leuchtendes Oval zu entdecken.

Es wäre auch zu unlogisch. Bisher ist Anti-ES immer unmittelbar über der Basis aufge-taucht, ohne daß eine längere Annäherung durch den Weltraum festzustellen war.

»Du vergißt die Leuchterscheinungen«, knirschte ich innerlich. »Sie deuten auf den Gegner hin. Außerdem hast du selbst gesagt, daß es sich um eine Falle handeln könnte.«

Ein schrecklicher Verdacht war in mir. Ich stellte mir vor, wie Anti-ES seinen Planetoi-den ausgefüllt hatte. Er war mit seiner Aura darin versunken und so unsichtbar geworden. Wenn es dasselbe mit der Basis gemacht hat-te?

Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Kosmokraten und die von ihnen beauftragten Zähler so dumm gehandelt hatten, daß sie das nicht verhindern konnten. Der Gedanke an das Schicksal aller Zähler jedoch jagte mir Angst ein. Nicht Angst vor der Superintelli-genz, das war es nicht! Ich war jederzeit be-

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reit, den Kampf mit ihr wieder aufzunehmen. In den Robotern hatte ich ja zumindest einge-schränkt Helfer gefunden. Nein, es war eine substanzielle Angst, die mich wieder überfiel und mir einredete, die Kosmokraten hätten versagt und das Negative in unserem Univer-sum würde auf die Dauer triumphieren. Da-gegen kämpfte ich und gegen die Erfolglosig-keit der letzten Zeit. Die Ohnmacht, nichts dagegen tun zu können, bedrückte mich. Und wie so oft fühlte ich den Drang in mir, die Richtigkeit meiner Überzeugung zu beweisen. Mein Extrasinn hatte vollkommen recht. Ich sehnte die Konfrontation herbei und war froh, daß endlich etwas geschah.

»Unsere Abwehrwaffen können sie nicht aufhalten«, sagte Pit in diesem Augenblick. »Wir können nichts tun.«

»Gebt alle Energien auf die Schutzschirm-projektoren!« befahl ich. »Notfalls setzen wir die Jenseitsenergieschleuder ein!«

»Unmöglich!« gab der Roboter zurück. »Es handelt sich bei den herannahenden Objekten um verträgliche Substanzen.«

»Was heißt das?« Ich hielt den monotonen Sermon der Roboter nur schwer aus. Ihr ge-mächliches Agieren ging mir auf die Nerven.

»Sie werden von der Jenseitsenergie nicht zerstört, sondern nehmen sie in sich auf und kräftigen sich dadurch!«

Dann handelte es sich einwandfrei um Ge-bilde, die aus der Namenlosen Zone stamm-ten. Von außerhalb konnten sie nicht kom-men.

Bist du da so sicher? Ich verlor die Beherrschung. »Anstatt mir

zu helfen, verunsicherst du mich dauernd!« hielt ich dem Extrasinn vor. Ich sprach laut, und Pit bezog die Äußerungen auf sich. Er bildete mit seinem Körper ein Abbild der Hilflosigkeit.

»Der Erste Zähler ist nicht da«, sagte er fast weinerlich. »Seit seinem Verschwinden geht es uns nicht gut!«

Angesichts der Tragik um diesen Roboter verrauchte mein Zorn schnell. Ich stellte mir die Frage, was ich allein gegen einen noch nicht einschätzbaren Gegner ausrichten konn-te. Zaghaft blickte ich an meiner Kombination herab zum Gürtel, wo die rostige Waffe hing. Ich hatte sie noch nicht ausprobiert und wußte

nicht, ob sie ihren Namen zu Recht trug oder eher in eine Schrottpresse gehörte.

Ein Aufblitzen auf dem Bildschirm blende-te mich. Es gab irgendwo in den Anlagen der Basis eine dumpfe Implosion, dann erlosch der Bildschirm. Ein Rumoren deutete an, daß irgendwelche Geräte in sich zusammenbra-chen, dann schrillte die Sirene für den Feuer-alarm.

»Schnell! Beeilt euch!« rief ich aus. »Es darf zu keinen größeren Zerstörungen kom-men!«

»Was du hörst, sind die Reparaturmaschi-nen, Atlan!« Es war Flir, der sprach. »Und hier hast du auch wieder das Bild!«

Die Automatik hatte umgeschaltet auf eines der Reservesysteme. Ganz leicht erkannte ich einen verschwommenen Reflex, und einer der Roboter an den Meßgeräten sagte: »Drei Plattformen. Sie manipulieren die Gravitati-onslinien, um ihre Geschwindigkeit herabzu-setzen!«

Ich wußte, was das bedeutete. Jetzt konnten wir nur hoffen, daß nirgends in der Basis die Andruckstabilisatoren ausfielen.

Aufgrund der Bewegung in der Raum-krümmung um die Station herum begann die Basis zu schwanken. Erkennbar war es, daß der Lichtfleck des Gegners nach oben aus dem Erfassungsbereich der Kameras wanderte und dann von der linken Seite wieder herein-trieb. Die Basis geriet in eine Taumelbewe-gung um alle ihre Achsen, und ich hegte Be-fürchtungen um die Existenz dieses für mich lebenswichtigen Gebildes.

»Abwehrmaßnahmen!« fragte ich die Au-tomatik. Die Antwort war klar und eindeutig.

»Keine Maßnahmen möglich!« Ich machte Pit ein Zeichen. »Wenn es hier

in der Nähe kleinere Waffensysteme gibt, die ausgebaut und auf fahrbare Lafetten montiert werden können, dann tut das sofort. Wir kön-nen hier unten nichts ausrichten. Wir müssen den Gegner auf der Oberfläche abfangen!«

Es war nur eine kleine Hoffnung, die ich hegte. Sie sagte mir, daß die Fremden zwar unüberwindliche Raumwaffen besaßen, aber im Bodenkampf vielleicht nicht so gut gerüs-tet waren, weil sie nicht mit großem Wider-stand rechneten.

Die Roboter zogen ab, und ich blieb allein

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in der Zentrale zurück. Ich schaltete an den Kamerasystemen und verfolgte den Weg der drei Plattformen. Sie hatten sich jetzt bis auf zwanzig Kilometer genähert und ihre Verzö-gerungsphase beendet. Die Taumelbewegung der Station hörte langsam auf.

Dann kamen sie herunter. Ich sah, daß sie herkömmliche Antigravs benutzten. Mühelos durchdrangen sie die Schutzschirmwölbung und senkten sich dem Boden der bewaldeten Oberfläche entgegen. Sie steuerten ein ganz bestimmtes Ziel an, überlegten es sich aber dann doch noch. Die Plattformen änderten dicht über dem Boden den Kurs und strebten der Spitze der Basis zu, wo sie im Randgebiet unmittelbar an der abfallenden Kante lande-ten.

Ich schickte eine Kamerasonde hinter ihnen her. Sie lieferten mir ein paar Bilder vom Aussehen dieser Wesen, bevor sie von ihnen entdeckt und abgeschossen wurde. Die dabei verwendete Energie war fremdartig und zer-störte die Hoffnung, die ich mir gemacht hat-te. Es gab keine Gegenwehr, und wenn das Ziel, das sie ursprünglich gehabt hatten, auch jetzt noch dasselbe war, dann besaß ich nur eine einzige Möglichkeit.

Du willst dich diesen Zwergen mit blanken Händen in den Weg stellen? Das ist glatter Selbstmord!

Der Extrasinn wußte genau, daß gerade die-ser Teil der Basis das Wertvollste war, was es in der Namenlosen Zone gab. Dort hatte er eine vorübergehende Bleibe gefunden, nach-dem er aus den Fängen von Anti-ES gerettet worden war. Dort hatte ich die Aura erhalten, die mir das Leben gerettet hatte. Wenn das Gebilde sich jetzt immer noch nicht rührte, dann war es unsagbar dumm.

Ich würde es zumindest versuchen, ihm zu helfen.

»Sieh dir diese Zwerge an«, murmelte ich halblaut und deutete auf die Kamerabilder. »Sie mögen gut bewaffnet sein, aber körper-lich bin ich ihnen überlegen.«

Ich war entschlossen, einen regelrechten Guerillakrieg gegen die Eindringlinge zu füh-ren. Zusammen mit den Robotern.

Eine zweite Kamerasonde zeigte, daß sich die Zwerge Zeit ließen. Sie waren noch nicht von ihren Plattformen gestiegen und beweg-

ten sich kaum. Ich aktivierte die Rundrufanla-ge.

»An alle Roboter!« sagte ich. »Sofort an die Oberfläche! Die Fremden haben es auf die Lichtquelle abgesehen!«

Ich hetzte hinaus und dachte daran, daß ich ihr ein Versprechen gegeben hatte. Es war nicht das erste, das ich in der Namenlosen Zone eingegangen war. Ich hoffte inständig, daß ich dieses wenigstens erfüllen konnte.

*

Geduckt schlichen wir am Fuß des Fels-

massivs entlang. Ich hatte dreißig der Roboter zu mir gerufen. So leise wie möglich folgten sie mir und hatten Mühe, in der gebückten Haltung ihr Gleichgewicht zu behalten.

»Wir teilen uns!« wies ich sie an. »Eine Hälfte schleicht am Rand der Basis entlang durch den Wald, die andere nähert sich von der Mitte her. Scheucht alle Tiere auf, denen ihr begegnet. Jagt sie auf die Zwerge zu, da-mit sie von uns abgelenkt werden!«

»Was hast du vor?« fragte der Roboter Pit. Ich erklärte es ihm.

»Wenn es uns gelingt, bis an die Plattfor-men zu kommen und ein paar von ihnen als Geiseln zu nehmen, dann befinden wir uns in einer besseren Position. Wir brauchen auch Waffen. Wir nehmen sie von ihnen!«

Die Roboter folgten mir weiter, sagten je-doch nichts. Endlich fragte Pit: »Mit welcher Gruppe gehst du?«

Ich entschied mich für die, die den direkten Weg durch den Wald nehmen wollte, und teilte mit einer Handbewegung die Gruppen ab. Es gab keinen Widerspruch, aber ich merkte deutlich, daß sie nicht glücklich dar-über waren, allein am Rand der Landschaft entlanggehen zu müssen.

Wir hatten das Felsmassiv hinter uns gelas-sen, als Flir sich umwandte und dann ste-henblieb. Er deutete mit ausgestrecktem Arm zum Torbogen empor. Dort oben, auf der schmalen Felsbrücke, bewegte sich eine Ges-talt. Sie schien uns zu beobachten.

»Kik!« stieß ich überrascht hervor. Es gab keinen Zweifel, er war es.

»Hatte ich nicht recht?« erkundigte Pit sich stolz. »Er kommt und geht, wann es ihm

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paßt!«

»Geht allein weiter«, sagte ich halblaut. »Versteckt euch im Wald und wartet, bis ich nachkomme!«

Auch ohne die Ratschläge meines Extra-sinns begriff ich, daß das Erscheinen des We-sens etwas bedeutete. Ich ließ die Roboter stehen und rannte in langen Sätzen zurück und den Hang empor, bis ich am Fuß der Felsnadel direkt vor dem Tor stand. Ich legte den Kopf in den Nacken und winkte empor.

»Warte!« rief ich. »Rühr dich nicht! Ich ho-le dich herunter!«

»Atlan! Hallo!« klang es herab. »Eine gute Aussicht ist hier oben. Nicht wahr?«

»Wie kommst du da hinauf?« fragte ich. »Kann ich dir helfen? Oder kannst du warten? Ich habe keine Zeit!«

»Ja, gut, Atlan. Ich komme, nicht wahr?« Er turnte mit seinen fünf tentakelförmigen

Extremitäten den schmalen Felsbogen entlang und begann, sich rasch an der Felsnadel hin-abzuhangeln. Sein Körper schwankte hin und her, aber er benötigte nicht einmal zwei Minu-ten, so hatte er den Fuß des Felsens erreicht und wandte sich mir zu.

Kik war nicht ganz einen Meter groß und hatte entfernt das Aussehen eines Seesterns, der auf fünf aufgerichteten Beinen ging. Manchmal benutzte er ein oder zwei dieser Beine als Arme. Oben in der Mitte des dun-kelbraunen, unbekleideten Körpers saß ein Kopf, der fast nur aus roten Haaren und einem großen Augenpaar zu bestehen schien. Diese Augen musterten mich zutraulich.

»Atlan, hallo. Lange nicht gesehen, nicht wahr?«

»Ja!« gab ich zurück. »Komm mit mir. Es sind Feinde auf der Basis. Ich weiß nicht ge-nau, was sie wollen, aber ihr Ziel muß die Lichtquelle sein!«

»Ja!« machte Kik. »Das ist ein Problem. Nicht wahr!«

»Kannst du mir helfen?« »Kik ist immer gern hilfsbereit. Tag und

Nacht. Nicht wahr? Oder hast du dein Ei nicht?« Er lachte meckernd und musterte mich aufmerksam.

»Born, du meinst Born!« erkannte ich. »Weißt du nicht, wo er ist? Ich hoffte, du könntest es mir sagen!«

»Born ist ein schlauer Kerl. Nicht wahr? Atlan, erzähle mir.«

Mit keinem Wort ging das Wesen darauf ein, wo es sich aufgehalten und warum es sich ausgerechnet die Felsnadel als Ausguck ge-nommen hatte. Seine Augen wanderten prü-fend umher, während ich einen hastigen Be-richt abgab. Dann verständigte ich mich über Funk mit den Robotern, aber bei den Zwergen hatte sich noch immer nichts gerührt. »Sie packen merkwürdige Geräte aus, die aussehen wie Schaufeln«, teilte Pit mir mit. »Wollen sie Bäume ausgraben?«

Ausgraben? Ich war irritiert und überlegte, aber Kik lenkte mich ab.

»Janv-Zount, der Erste Zähler, ist endgültig verschwunden. Nicht wahr?« vergewisserte er sich. »Und Born sucht nach seinem Kind, nicht wahr?«

Ich zuckte zusammen. Ich hatte zu Born seit langer Zeit keinen geistigen Kontakt mehr gehabt, und in der Nähe der Basis hatte er sich nicht sehen lassen. Konnte es sein, daß er nicht wußte, wo Chybrain war?

»Unser gemeinsames Kind ist verschwun-den«, hauchte ich tonlos. Eine furchtbare Ah-nung drängte sich in mir auf, und ich lauschte auf eine Reaktion des Extrasinns. Er regte sich nicht, die Mitteilung mußte ihn wie ein lähmender Schock getroffen haben.

Anti-ES! dachte ich. Er hat seine Finger im Spiel.

Meine Gedanken begannen jene Ereignisse zu reproduzieren, die sich in dem Felsmassiv abgespielt hatten, an dessen Fuß ich stand. Born hatte sich in ihm versteckt. Von hier aus hatte er den Extrasinn aus den Fängen von Anti-ES befreit. Hier war das Kind geboren worden, unser gemeinsamer Sohn. Und in diesem Fels hatte sich auch die Höhle befun-den, in der Laupertyn die Schlafhypnose und die damit verbundene Mnemo-Löschung er-zeugt hatte.

Chybrain! Noch wußte ich nicht, wie ich dazu gekommen war, diesen Namen zu wis-sen.

»Ja. Atlan. Du kennst Chybrain. Nicht wahr? Du mußt es wissen. Er ist weg!«

»Kik!« sagte ich eindringlich. »Wenn du weißt, wo Born ist, dann sage es mir. Ich muß mit ihm sprechen. Chybrain darf nicht ... Und

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Born muß mir helfen. Hörst du? Die Licht-quelle ist in Gefahr, du weißt es!«

»Atlan, nicht wahr. Wo Born ist, soll Kik wissen?«

»Es ist wichtig!« »O ja! Kik ist immer wichtig. Born ist weit

weg. Fast so weit wie Chybrain. Aber Anti-ES ist ganz in der Nähe. Nicht wahr?«

Die Lichtquelle ist jetzt nicht wichtig! Schmerzhaft drangen die Impulse des Extra-sinns auf mich ein. Chybrain und Born sind das Problem!

»Nein«, sagte ich kleinlaut. »Die Fremden und die Lichtquelle sind unser Problem. Mei-ne Vermutungen haben sich bestätigt. Anti-ES ist da. Ihm muß unsere Aufmerksamkeit gelten!«

Chybrain ist das Kind. UNSER Kind! »Höre, Kik«, bat ich den Seesternartigen.

»Ich bin auf mich allein gestellt. Die Licht-quelle rührt sich nicht. Sie wartet trauernd auf die Rückkehr der Vulnurer. Kannst du Born zu Hilfe holen?«

»Atlan, Kik kann es nicht. Aber Kik wird hierbleiben und sich in deiner Nähe halten. Nicht wahr? Kik hilft immer, wenn er kann.«

Er richtete sich auf seinen fünf Beinen auf und eilte davon.

Kik, das zutrauliche Wesen. Der Retter in so mancher Situation. Manchmal war es schwer, seine Sprache zu verstehen. Aber er hatte mir jedesmal, wenn ich aus dem Schlaf des Vergessens erwacht war, wichtige Infor-mationen vermittelt. Die Mnemo-Löschung hatte ihm nichts anhaben können.

Dafür war er wohl ein »Seestern«. Lag sein Gehirn geschützt inmitten seines Körpers?

Ich hatte keine Zeit mehr, mir darüber Ge-danken zu machen. Ich eilte weiter, den Ro-botern nach.

*

Als ich die Nähe der Plattform erreichte,

hielt ich nach den Maschinen des Ersten Zäh-lers Ausschau. Ich konnte keine einzige von ihnen sehen. Schließlich hörte ich ein feines Rascheln und ging ihm nach. Ich fand Rond, der sich fast vollständig in den weichen Erd-boden eingegraben hatte. Bei meinem An-blick kam er heraus, und augenblicklich wölb-

te sich überall die Erde. »Wir greifen an!« sagte ich und führte sie

bis zu den letzten Bäumen, die uns Deckung gaben.

Auf mein Kommando stürmten die Roboter los. In breiter Front und von zwei Seiten rann-ten sie auf die Zwerge zu, aber diese schienen von der Übermacht nicht beeindruckt. Sie hantierten weiter an ihren fremdartigen Gerä-ten.

Ich lief geduckt zwischen den Maschinen her. Meine Haare konnten mich verraten, und der Effekt der Überraschung war vertan. Ich hatte vor, plötzlich zwischen den fremden Eindringlingen zu erscheinen und einigen von ihnen die Waffen zu entreißen und zwei oder drei gefangenzunehmen.

Ich kam zu spät. Die Front der Roboter wurde durch die Luft

gewirbelt und unsanft zurück auf den Boden befördert. Ohne Ankündigung hatten sich die drei wellenförmigen Platten in die Luft erho-ben und zogen über die Wipfel der Bäume davon. Die Roboter rafften sich auf und sam-melten sich um mich.

»Zurück zur Lichtquelle!« schrie ich. Schweißperlen hatten sich auf meiner Stirn gebildet. Die Ohnmacht und Hilflosigkeit den Zwergen gegenüber machte mich zornig. Wie immer, wenn ich sehr stark erregt war, tränten meine Augen.

»Los, los!« drängte ich die Roboter. Für ein paar Augenblicke hatte ich die glitzernden Schaufeln in den Händen der Zwerge gese-hen, wie Pit sie mir über Funk beschrieben hatte. Aber es waren keine Schaufeln, es wa-ren winzige Spaten aus Energie, und ich sah die Fremden schon, wie sie anfingen, den Boden aufzugraben, um etwas mitzunehmen, was ihnen nicht gehörte.

Die Sorge um die Quelle der Jenseitsmate-rie beschleunigte meine Schritte, und ich rannte und stolperte der Mitte der Landschaft zu. An dem kleinen See vorbei, der sein Was-ser über einen Wasserfall in einen Bach ab-gab, sahen wir den Dom der Lichtquelle ein Stück entfernt unter uns liegen. Ohne auf das Geröll oder gangbare Wege zu achten, stürz-ten wir den Hügel hinab.

Die Plattformen waren neben der Licht-quelle gelandet, und die Zwerge waren damit

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beschäftigt, sich ringsherum zu verteilen. Je-der von ihnen trug einen der Energiespaten. Ihre. Absicht war unverkennbar.

»Kik!« rief ich. Und noch lauter: »KIK!« Das seltsame Wesen ließ sich nicht blicken,

und ich fühlte mich in dieser Situation allein gelassen.

Wir näherten uns dem Dom bis auf fünfzig Meter, dann hielt ich an. Die Roboter folgten meinem Beispiel. Erwartungsvoll starrten sie mich an, doch ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte.

»Pit«, fragte ich schließlich. »Wie lange benötigen die Maschinen der Basis, um eine entwichene Atmosphäre zu erneuern?«

»Es gibt keine Möglichkeiten, aus Gestein Sauerstoff zu gewinnen. Die Felsen der Basis sind nicht ausreichend dazu. Allerdings be-sitzt die Station für den Notfall eine Reserve-füllung«, erwiderte der Roboter. »Und wir haben die Möglichkeit, die Lichtquelle zu bitten, aus Jenseitsmaterie eine atembare At-mosphäre zu schaffen. Aber dazu müßte der Erste Zähler zurückkehren, denn die Quelle schweigt. Willst du etwa ...«

Ich nickte. »Wenn es nicht anders geht, schalte ich den

Energieschirm über der Basis ab. Die Zwerge werden den Dekompressionstod sterben, aber das ist immer noch besser, als wenn die Lichtquelle geraubt wird!«

Du glaubst das doch selbst nicht! Was ist in deinen Augen mehr wert? Das Leben eines intelligenten Wesens oder der Besitz der Lichtquelle?

Matt ließ ich mich zu Boden sinken. Der Extrasinn berührte genau jene empfindliche Saite in mir, die ich hatte leugnen wollen. Die Gedanken an die wichtigen Vorgänge um die negative Superintelligenz und den Wert der Quelle der Jenseitsmaterie machten mich kompromißlos. Auch das unverfrorene Vor-gehen der Fremden trug seinen Teil dazu bei.

»Etwas muß ich doch tun!« versuchte ich mich zu rechtfertigen. Der Extrasinn gab et-was von sich, was wie ein geringschätziges Lachen erklang.

Du bist nicht im arkonidischen Imperium, sagte er hart. Es geht dir nur um eines. Du willst nach dem Abflug der Fremden nicht wieder mit leeren Händen dastehen. Deshalb.

Dein Ehrgeiz macht dich blind! »Nein!« schrie ich. »Meine Einsamkeit ist

es, die mich rasend macht.« Und wieder rief ich laut: »Kik! Komm zurück!«

Pit deutete nach vorn, und es klang aus sei-nem Mund ebenso tonlos, als hätte ich es ge-sagt:

»Sie fangen an!« Ich erwiderte nichts und starrte nur hinüber.

4. »Atlan war im Spinar. Er hat dort den größ-

ten Teil dessen erfahren, was er noch nicht wußte?«

Die Gedankenstimme klang zweifelnd und tastend. Sie gehörte dem Leuchtenden Ei.

»Atlan. So ist es. Nicht wahr?« »Und er hat von der Lichtquelle die Wei-

sung bekommen, das Spinar wieder zu verlas-sen?«

»Kik hat es dir bereits berichtet. Nicht wahr? Kik lügt nicht!«

Der Seestern klammerte sich an die kleinen Felsbrocken, die auf der zackigen Oberfläche des Felsmassivs lagen und ihm nur einen un-sicheren Halt boten. Am liebsten wäre er an der seitlichen Steilwand hängengeblieben, aber dort erreichten ihn die Gedanken des anderen nicht.

»Kik meint, das Felsmassiv ist kein schöner Platz. Nicht wahr?«

»Du weißt, ich muß vorsichtig sein. Meine Annäherung hat zu Erscheinungen geführt, die mich verraten könnten. Niemand darf wis-sen, wo ich mich aufhalte!«

Kik konnte das Wesen nicht sehen, aber er wußte ungefähr, wo es sich aufhielt. Es war unter ihm, in dem Felsmassiv. Es erinnerte ihn daran, daß sich schon einmal jemand in diesem Gestein versteckt hatte. Born hatte sich hier vor Anti-ES versteckt gehalten.

Das Felsmassiv war tatsächlich ein hervor-ragendes Versteck.

»Berichte weiter!« forderte die Gedanken-stimme ihn auf.

Kik erzählte, was Atlan ihm gesagt hatte. Auch die Gedanken, die sich um den Kom-plex Chybrain und Born rankten.

»Atlan weiß um die Funktionen der Zähler. Nicht wahr?« meinte er zum Schluß. »Er hat

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alles erfahren und kennt sich aus, nicht wahr?«

Er wartete auf die Antwort des anderen, a-ber dieser ließ sich Zeit. Erst nach einer lan-gen Pause meldete er sich wieder.

»Kik, du hast gut beobachtet. Aber es ist nicht genug. Du mußt deine Augen offenhal-ten. Was ist auf der Basis los? Was geschieht dort? Wer hat seine unsichtbare Hand im Spiel?«

»Kik ist immer wachsam, nicht wahr. Aber du hast Angst. Wovor?«

»Berichte lieber!« »Fremde stehlen die Lichtquelle. Atlan ist

in Not!« stieß Kik hervor. »Kik will ihm hel-fen, aber er darf nicht. Du willst, daß er sich im Hintergrund hält. Nicht wahr?«

»Die Lichtquelle ist wichtig. Sie darf ihren Platz nicht verlassen. Also geh und hilf Atlan! Aber du darfst nichts sagen. Weder wer dich hierhergebracht hat, noch daß jemand sich auf der Basis versteckt hält!«

»Kik weiß, daß du dein Ziel nicht verlierst. Nicht aus deinen Augen. Nicht wahr?«

»Ich habe keine Augen!« Kik zuckte ein wenig zusammen, sagte

dann: »Das hat der andere Teil auch nicht. Und Chybrain? Hat Chybrain Augen?«

»Du redest wieder zuviel. Ich werde dir ge-genüber ab sofort schweigen!«

»Kik übt nicht Verrat, nicht wahr? Aber er hilft Atlan!«

»Dann tu es. Aber suche in meinem Auf-trag weiter. Ich darf mich nicht zeigen, solan-ge ich nicht weiß, ob alles gutgeht!«

»Du hast Kik das erzählt, nicht wahr!« »Ich habe viel gesagt. Aber du hast behaup-

tet, ich wolle alle zusammen fangen und des-halb warten, bis sie eingetroffen sind. Du hast das gesagt, Kik!«

»Kik ist schlau. Nicht wahr. Er hat gleich gewußt, wer ihn zur Basis bringt, nicht wahr.«

»Ich schweige.« »Du hast Angst. Nicht wahr«, stellte Kik

fest. »Aber Kik hilft dir gern!« »Du sollst jetzt still sein. Geh hin und lenke

Atlan ab. Ich will die Gelegenheit benutzen, mich der Lichtquelle zu nähern!«

»Kik ist aufmerksam. Nicht wahr.« Er lach-te, verschwieg dem anderen jedoch, daß Atlan die Leuchterscheinungen bemerkt und sich

seine Gedanken gemacht hatte. Er kletterte die Steilwand hinab, ruhte sich

auf dem Felsbogen kurz aus und setzte seinen Weg fort. Auf umständlichen Pfaden eilte er der Lichtquelle entgegen und wurde von nie-mandem bemerkt, bis er in unmittelbarer Nä-he der Zwerge auftauchte.

*

Eigentlich hatten sie allen Grund, sich zu

wundern. Was sich ihnen bisher in den Weg gestellt hatte, war nichts weiter als ein belang-loser Aufmarsch von Robotern, die keine ein-zige Waffe mit sich führten. Es bedurfte nicht einmal des Einsatzes eines Ministörers, um sich ihrer zu entledigen. Lächelnd verfolgten sie, wie die Maschinen beim Start der drei Plattformen durcheinandergewirbelt wurden und Gräben in das Erdreich rissen.

Uflager schaltete den Empathor ab und klatschte begeistert in die Hände. Er bückte sich und nahm den Energiespaten auf, der ein wenig größer als die der anderen Arltra-Ranger war. Dennoch ging er ihm nicht wei-ter als bis zum Ellenbogengelenk.

»Der Kontakt war da!« verkündete er zwit-schernd. Seine Stimme vibrierte vor Erre-gung. »Rozzel schickt einen Gruß mit. Er hat sich dazwischengeschaltet!«

»Dann wissen wir jetzt, wohin wir uns zu wenden haben, welche Einrichtung dieser Raumstation unser Ziel ist!« jubelte Sanny. Sie umarmte Ollug und Anfrer und spähte hinab, wo die Wipfel der Bäume unter ihnen dahinzogen. Ein Grasgelände mit Büschen tauchte auf, und dann sahen sie den leuchten-den Dom, auf den die Plattformen zusteuer-ten.

»Quelle der Jenseitsmaterie nennt ARCHI-TEKT das Gebilde, das er in seinen Besitz bringen will!« erklärte Uflager und warf einen bezeichnenden Blick auf Lundwal mit dem gelben Gesicht. »Wir brauchen nicht lange zu suchen, denn es ist das Gebilde vor uns!«

Fiebrige Nervosität bemächtigte sich der Jenseitsbohrer beim Anblick des Domes. Sie versuchten aus der Ferne zu erkennen, was in dieser Quelle vor sich ging, aber die Eindrü-cke waren unvollkommen und verschwom-men. Doch die Plattformen brauchten nicht

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lange, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Niemand versuchte sie zu behindern.

Für die fünfzig Arltra-Ranger war es eine hohe Auszeichnung, daß ihr Herr sie mit die-sem Auftrag in die Namenlose Zone geschickt hatte. Er hatte sie intensiv darauf vorbereitet und konditioniert, und jetzt standen sie kurz vor ihrem Ziel.

Ein wenig waren sie traurig. ARCHITEKT hatte sie als Kämpfer ausgebildet und ihnen unüberwindliche Waffen mitgegeben. Nieder-geschlagen stellten sie fest, daß sie ihre Beute nicht erobern mußten, sondern sie einfach wegtragen konnten wie ein Geschenk.

Es verletzte den Stolz der Jenseitsbohrer, und sie äugten immer wieder hinüber auf die freie Ebene, wo sich die Roboter um ein le-bendes Wesen mit silberweißen Haaren ver-sammelt hatten. Scheinbar teilnahmslos ver-folgte dieses, was mit der Lichtquelle ge-schah.

Die Arltra-Ranger wußten, daß ihre Geräte und Waffen auf Jenseitsmaterie anziehend wirkten. Sie konnten dem Dom sämtliche Energien entziehen und ihn damit zerstören, doch das war nicht ihr Auftrag. Sie sollten das Gebilde unversehrt in das Normaluniversum bringen oder vielmehr in jenen Bereich ver-stärkter Raumkrümmung, in dem ARCHI-TEKT herrschte. Deshalb führten sie die E-nergiespaten mit sich.

Uflager umrundete trippelnd das Gebilde. Er berührte das Fundament des Domes, das sich als schützender Ring erwies und fest im Boden verankert war. Er schätzte, daß sich das Gebilde etwa dreißig Meter in den Boden hinein erstreckte.

»Fangen wir an!« zischte er laut, daß ihn al-le hörten. Die letzten eilten von den Plattfor-men herab und verteilten sich um die Quelle herum. Dann setzten sie die Spaten an.

Die Arltra-Ranger machten keine großen Umstände. Ihre Absicht war es, die Quelle in ihrer Gesamtheit mitzunehmen. Sie wollten sie einfach aus der Station herausbrechen. Was mit dem Rest der zurückbleibenden Ba-sis des Ersten Zählers geschah, interessierte sie nicht. Sie waren nicht darüber informiert, welche Funktion die Quelle der Jenseitsmate-rie im Rahmen des Ganzen besaß.

Die Energiespaten hielten, was sie verspro-

chen hatten. Jeder Stich in das Erdreich schleuderte etwa das Zwanzigfache von dem davon, was normalerweise auf eine Spatenflä-che gepaßt hätte. Innerhalb weniger Minuten bildete sich hinter den Jenseitsbohrern ein Ring aus aufgeschütteter Erde, und bald wa-ren die Roboter hinter diesem Wall nicht mehr zu sehen. Die natürliche Oberfläche der Basis erhielt erste, schwere Narben, und das Metall der Einfassung der Quelle verschmolz alsbald mit dem der eigentlichen Stations-wandung. Sobald sie tief genug waren, wür-den die Spaten wie Schmelzöfen das Metall angreifen und die Quelle aus der Basis her-austrennen.

»Rozzel hat mit höchstens drei Stunden ge-rechnet«, lachte Sanny, während sie den win-zigen Spaten wie eine Waffe schwang. »Er hat recht behalten. Es wird nicht einmal so lange dauern!«

In Gedanken malte sie sich bereits aus, welche Belohnung sie daheim im Flekto-Yn erwartete, wenn sie zurückkehrten. Sie wünschte sich, daß ARCHITEKT sie weiter-hin in seiner Nähe behielt und sie vielleicht zu den Wächtern der Quelle machte. Sie hatten es verdient.

Andererseits freute sich Sanny auch auf je-de andere Aufgabe, die der Herr ihr zuteilte. Sie und alle Arltra-Ranger waren glücklich, daß sie ARCHITEKT dienen durften. Die Jenseitsbohrerin trug sich sogar mit dem Ge-danken, jenes Lebewesen mit sich zu nehmen, das sie zwischen den Robotern entdeckt hat-ten. Die Maschinen selbst waren unwichtig und in ihren Augen technisch veraltet.

»Das Wesen mit den Silberhaaren wäre ein starker Diener für unseren Herrn«, machte sie ihre Artgenossen aufmerksam. Und noch ein anderes Wesen erblickte sie.

Es erschien plötzlich auf dem Kamm des Erdwalls, der immer breiter wurde und in die Ebene hinauswuchs. Es war ein flaches Ding auf fünf Beinen, und es beobachtete sie aus großen Augen. Eine Weile starrten sie sich stumm an, während Sanny mit ihrer Arbeit innehielt. Dann zuckte sie mit den Schultern und schürzte geringschätzig die Lippen. Sie grub weiter, und die erste Ladung Dreck flog hinauf und deckte das Tier zu.

Eine Schimpfkanonade brandete auf die

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Jenseitsbohrerin hinab, und erneut brach sie ihre Tätigkeit ab.

Das Wesen dort oben war also intelligent, wenn auch nicht besonders. Vielleicht eignete es sich als Spielzeug. Sie rief Uflager herbei und bat ihn, es nach Abschluß der Arbeiten mitnehmen zu dürfen. Er genehmigte es ihr.

»Komm herab, neuer Diener!« rief sie dem Ding zu, aber es reagierte nicht. Statt dessen schrillte Ollug plötzlich:

»Da seht! Die Quelle reagiert!« Sie starrten den wabernden Dom an und sa-

hen, daß sich die Farbe an seinem Rand ver-änderte. Sie wurde dunkler, und das weiße Licht nahm ein wenig ab. Sofort wurde es über der Landschaft der Basis düster, wie auf Planeten zu Zeiten der Dämmerung.

Die Arltra-Ranger hatten alle ihre Spaten weggelegt und beobachteten die Erscheinung. Das milchige Etwas im Innern der Quelle verfestigte sich und bildete einen undurch-dringlichen Vorhang, der ihnen die Sicht auf das nahm, was in ihrem Innern geschah. Ufla-ger begriff als erster.

»Beeilt euch!« kreischte er. »Es wird ein Wettlauf mit der Zeit!«

Sanny zweifelte zunächst an seinen Wor-ten, folgte jedoch seiner Aufforderung. Sie hielt den Vorhang für eine Instinktreaktion der Quelle, die keinen Einfluß auf ihre Arbeit haben würde.

Noch einmal blickte sie empor auf den Erdwall, aber das flache Wesen war ver-schwunden.

Kein Wunder, dachte Sanny. Es hat sich er-schreckt. Es ist nur halbintelligent.

Sie freute sich schon auf dieses Spielzeug.

* Die Basis des Ersten Zählers war von ihrer

Form her ein großes Raumschiff, auf dessen Oberfläche eine natürliche Landschaft ange-legt war. Ihre Lage bewirkte, daß sich für die-sen Teil der Begriff »oben« eingebürgert hat-te. Auch die Schwerkraft stimmte mit diesem Empfinden überein. Ein einziges Mal hatte ich die Unterseite besichtigt, die in den Leer-raum ragte. Neben etlichen Auswüchsen für Waffensysteme und den Antriebssektoren gab es Nasen und Beulen an dem Schiff, in denen

Hangars für Beiboote untergebracht waren. Kuppelförmige Ortungsbereiche und ein paar wie Igel aussehende Halbkugeln gehörten zu dem umfangreichen Energieversorgungssys-tem der Jenseitsenergieschleuder. Sie zerteil-ten jenen Teil der Außenfläche, der sich für die Anlage einer zweiten Landschaft geeignet hätte.

Die Basis war von dem Ersten Zähler ange-legt worden, um von ihr aus die erste der zehn Relativ-Einheiten zu bemessen oder abzuzäh-len, die Anti-ES von den Hohen Mächten in die Namenlose Zone verbannt worden war, weil es in der Auseinandersetzung mit ES zu unerlaubten Mitteln gegriffen hatte. Es war von Waffen der vierten Kategorie die Rede gewesen.

Offensichtlich hatte der Erste Zähler das Verhalten des Bestraften unterschätzt. Anti-ES hatte sich selbständig gemacht und begon-nen, sein eigenes Leben in der Namenlosen Zone zu entfalten. Es hatte den Ersten Zähler in seinem eigenen Schiff gefangengesetzt und einen Teil von ihm zu Janvrin gemacht, der die Basis bewachte und überall erschien, wo es die Interessen seines Herrn zu wahren galt. Bis sie ihn vernichtete.

Anti-ES war in der Offensive, und ich ahn-te plötzlich, daß die Superintelligenz ihren Namen zu Recht trug und wesentlich weiter war, als ich bisher geglaubt hatte. Sie arbeite-te zielstrebig daran, die Namenlose Zone ver-lassen zu können, und irgendwann würde es ihr auch gelingen.

Wenn die Kosmokraten nichts unternahmen und ich weiterhin erfolglos blieb.

Bald wird Anti-ES auf dich als Faustpfand verzichten können, stellte der Extrasinn fest. Bis dahin muß etwas geschehen sein.

»Die Lichtquelle ist aktiv geworden, das ist zumindest ein Anfang«, sagte ich. Sie hatte sich verdunkelt, und ich wertete es als Zei-chen dafür, daß sie Abwehrmaßnahmen er-griffen hatte. Ich gab den Robotern ein Zei-chen, sich ruhig zu verhalten, denn ich setzte voraus, daß sie weitere Schritte einleitete. Und wieder einmal mußte ich deprimiert fest-stellen: Es gab nichts in der Namenlosen Zo-ne, das den Erwartungen eines Wesens aus dem Normalraum entsprach.

Wieder verhielt sich die Quelle der Jen-

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seitsmaterie still, und meine Versuche, geisti-gen Kontakt mit ihr zu erhalten, blieben er-folglos.

Weit drüben hinter dem Gästehaus bildete sich ein dunkler Fleck in der Erde. Es war eine Schleuse, und ich sah Roboter, die ins Freie drängten und fünf Antigravscheiben mit sich führten, auf denen Desintegratoren befes-tigt waren. Ich gebrauchte diesen mir geläufi-gen Begriff für diese Waffen, weil ihre Wir-kung dieselbe war. Sie unterschieden sich jedoch in ihrem Prinzip, und ich nahm an, daß jene Desintegratoren, die ich von den terrani-schen Schiffen her kannte, in der Namenlosen Zone ohne Wirkung geblieben wären.

»Wir erwarten deinen Befehl, Atlan«, sagte Pit. Er stand schräg hinter mir und trat erwar-tungsvoll vor. »Was tun wir?«

Noch zögerte ich, und in einem aufkom-menden Sturm der Gefühle dachte ich an meine alten Freunde in der Milchstraße. Ich sah das Gesicht Perry Rhodans vor Augen, den ich in der Phase meines Aufbruchs zu der Materiequelle für Orbanaschol, meinen ärgs-ten Feind, gehalten hatte. Es war nur gut, daß der Barbar mich in meiner jetzigen Lage nicht antraf. Ich stellte mir das Lächeln der kleinen Fältchen seiner Augenwinkel vor und das Zucken um seinen Mund.

»Jetzt bist du der Barbar, Kristallprinz!« hätte er gesagt und mich dadurch zu extremen Leistungen angestachelt.

Pit bewegte sich unruhig, er wartete auf die Antwort. Ich deutete hinüber zu den Plattfor-men, die außerhalb des Erdwalls lagen, der pausenlos in die Höhe wuchs und bereits ei-nen Ring von zwanzig Metern Breite und über zehn Metern Höhe um die Lichtquelle herum bildete. Die Zwerge arbeiteten ohne Unterlaß mit ihren Zauberwerkzeugen, die man von der Größe her für Kinderspielzeug halten konnte.

»Wir schleichen hinüber und zerstören die Plattformen, solange sie ungeschützt sind«, flüsterte ich. »Es muß geräuschlos geschehen, damit die Fremden nicht auf uns aufmerksam werden!«

Bisher wußten wir nicht, wie sie heißen und woher sie kamen.

Hatte wirklich Anti-ES sie geschickt? Wo war es?

Ich begriff den Widerspruch nicht, und

auch der Extrasinn fand die Lösung nicht. Zuerst waren da die Leuchterscheinungen gewesen, die ich der negativen Superintelli-genz zuschrieb und als Zeichen ihrer heimli-chen Anwesenheit wertete. Dann kam der Überfall durch die Zwerge, die mit Mitteln arbeiteten, die es nur in der Namenlosen Zone geben konnte.

Es ist nur eine Vermutung. Du hast mit dei-ner Absicht recht, daß du dich in einem Zwei-frontenkrieg befindest. Zwischen unterschied-lichen Gegnern. Und auch das kann ein Irr-tum sein!

»Kommt!« flüsterte ich den Robotern zu, und Pit setzte sich mit den Maschinen an den Antigravscheiben in Verbindung. Fast ge-räuschlos brachten sie die Geschütze heran, und ich ließ sie die fremdartigen Fahrzeuge umstellen.

»Feuer!« befahl ich. Ein Teil der Batterien, die zur Energiever-

sorgung der Desintegratoren dienten, glühten singend auf. Gleißende Strahlen schossen auf die gewellten Fluggeräte zu und hüllten sie ein. Für wenige Sekunden schoß ein grellwei-ßer Vorhang in die Höhe, aber er fiel wieder in sich zusammen. Die Plattformen lagen un-versehrt an ihrem Platz, nur ein Schwall hei-ßer Luft zeugte von dem ergebnislosen Ver-such.

Die Fluggeräte saugten auch diese Energie in sich auf.

Die Roboter sprangen von den Geschützen zurück. Hellblaue Flammen tanzten auf dem blanken Metall der Verkleidungen und eilten nach vorn bis zu den Abstrahlspindeln. Sie versuchten, auf die Plattformen überzusprin-gen, aber sie wurden immer wieder zurück-geworfen und glitten schließlich auf den Bo-den herab, wo sie zwischen den Grasbüscheln in der Erde verschwanden.

Auf dem Erdwall wurde es hell. Die Zwer-ge kamen mit ihren Spaten, und sie hielten sie zum Schlag erhoben. Auf ihren kurzen Bein-chen eilten und rutschten sie den Hang herab. Unwillkürlich wich ich zurück.

Hinter mir war das Getrampel der Roboter zu hören, die sich zurückzogen. Pit rief nach mir, ich gab keine Antwort.

Steif blieb ich stehen und blickte den Zwergen entgegen. Langsam hob ich die rech-

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te Hand.

Die Zwerge achteten nicht auf mich. Der Erdwall hinter ihnen war in Bewegung gera-ten. Ein gewaltiger Berg Dreck veränderte seine Lage und krachte und donnerte zu Bo-den. Er begrub einen Teil der Fremden unter sich. Erde spritzte mir ins Gesicht und gegen die Kombination, und ich zog es vor, mich bis zu den ersten Büschen zurückzuziehen.

Zorniges Geschrei hob an. Die Zwerge ar-beiteten sich mit ihren Spaten heraus, aber inzwischen hatte sich ein beträchtlicher Teil des Erdwalls in Bewegung gesetzt. Er rutschte auf den tiefen Graben zu und verschwand darin, füllte ihn wieder aus. Diese Erschei-nung setzte sich um die Lichtquelle herum fort, und innerhalb von knapp zwei Minuten war von der Arbeit der Fremden nichts mehr zu sehen.

Ich atmete erleichtert auf. Die Lichtquelle. Sie griff ein. Sie wehrte

sich. Ein Schatten raste an den Zwergen vorbei

auf mich zu und hielt dicht vor mir an. Die großen Augen zwischen den wilden Haaren leuchteten.

»Atlan! Hier ist was los! Nicht wahr!« »Kik!« rief ich aus. »Du bist wieder da!

Hast du gesehen? Die Lichtquelle hat ...« »Atlan, nein!« unterbrach er mich. »Du

siehst die Dunkelheit, nicht wahr? Die Licht-quelle hat sich abgekapselt. Sie ist nicht fähig zu so etwas.«

»Aber!« sagte ich. »Was geschieht dann? Das war Telekinese!«

»Atlan, du nennst es so, nicht wahr. Kik nennt es anders. Siehst du, die Zwerge haben mich gesehen. Sie kommen. Nicht wahr?«

»Du warst das?« staunte ich überrascht. »Du beherrschst Telekinese? Du bist ein Psi-Wesen?«

»Atlan. Bis bald! Nicht wahr?« Kik raste davon, vor dem Fremden her, der

den kleinen Spaten umklammerte und dem Seestern folgte. Der Zwerg jaulte in einer un-verständlichen Sprache, aber ein Wort glaubte ich zu verstehen. Es ähnelte verblüffend dem Interkosmo.

»Spielzeug!« rief der Fremde. »Spielzeug!«

*

Sanny war die erste, die den Urheber der Erdbewegung erspähte. Mit einem lauten Ruf verständigte sie Uflager von dem Vorgang. Wütend beobachtete sie, wie der letzte Teil des Erdwalls im Graben verschwand. Ihre ganze Arbeit war zunichte, und die Ausrufe Ollugs zeigten an, daß die Erde sich verändert hatte. Sie war hart geworden, hart und schwer.

Sanny überlegte kurz. Ein großes Problem war es nicht, was geschehen war. Sie mußten eben nochmals ausgraben. Es kostete sie le-diglich Zeit, und es stand zu befürchten, daß das halbintelligente Wesen seinen gedanken-losen Spaß wiederholen würde.

Für mehr als halbintelligent hielt sie es wirklich nicht.

»Macht weiter!« rief sie. »Ich fange es ein und halte es euch vom Leib!«

Sie faßte den Spaten fester und rannte hin-ter dem Fliehenden her, der auf wirbelnden Beinen zwischen zwei Bodenwellen ver-schwand. Er eilte dem Rand der Ebene zu, schwenkte aber hinter einem kleinen Felshü-gel ab und hielt auf den Turm zu, an dem Sanny eine Gondel hängen sah.

Er will sich dort in Sicherheit bringen, dachte sie und beschleunigte ihr Tempo. Ihre kurzen Beinchen trappelten in weichem Stak-kato auf den Untergrund, aber sie kam dem Spielzeug um keinen Schritt näher. Nach ei-ner Weile gewann sie den Eindruck, als halte die Halbintelligenz den Abstand konstant.

Sie sah, daß das Wesen hinter dem Turm einen Haken schlug und wieder dem Innern der Landschaft zustrebte. Sie kürzte ab und holte auf. Bis auf zwanzig Längen kam sie an das Ding heran. Es hatte jetzt die Richtung auf das Gebäude eingeschlagen, rannte daran vorbei und suchte die ersten Bodenwellen zu gewinnen, die zu dem Felsmassiv hin aufstie-gen.

Bestimmt hat es dort eine Höhle, dachte Sanny. Die Jenseitsbohrerin blickte kurz zu-rück. Sie sah den wachsenden Erdwall um die Quelle der Jenseitsmaterie, dann entzog der erste Hügelkamm sie ihrem Blick. In einem Einschnitt unter ihr eilte das Wesen, und sie verfolgte es bis hinter die nächste Bodenwel-le. Sie erschrak bis in die tiefsten Körperfa-sern, als sie nach einer Biegung das Wesen

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unmittelbar vor sich sah. Es versperrte ihr den Weg und verhielt sich abwartend und lauernd. Sanny hob den Spaten zum Wurf.

»Abwarten, Zwerg!« klang ihr eine klare Stimme entgegen, die sich in ihrer Heimat-sprache ohne Fehler zu artikulieren schien. »Die Jagd ist zu Ende, nicht wahr?«

»Wer bist du?« sagte die Arltra-Rangerin und kniff die Augen zusammen. Es war hier in dem Einschnitt dunkler als draußen, und sie suchte den Hintergrund nach gefährlichen Artgenossen des Wesens ab. Die Umgebung war kahl und leer, sie waren allein. Langsam ließ Sanny den Spaten sinken.

»Kik, nicht wahr! So nennt man mich. Kik ist immer bereit. Nicht wahr?«

Sanny erkannte, daß sie es mit einem Intel-ligenzwesen zu tun hatte. Ihr Traum vom Spielzeug verblaßte, statt dessen sah sie in dem Wesen einen Feind, der ihre Arbeit stör-te.

»Ich werde dich töten«, zischte sie. »Jetzt sofort!«

»Das ist angenehm, nicht wahr?« jaulte Kik. »Wie heißt du denn? Ich muß schließlich wissen, wer mich tötet, nicht wahr?«

Mit einem gewaltigen Sprung war er bei ihr, und zwei seiner Extremitäten schlugen ihr gegen den Arm. Sie verlor den Spaten und fühlte die Umklammerung, gegen die sie nicht ankam. Sie begann zu schreien, aber niemand hörte sie. Langsam zog das Wesen namens Kik sie zu sich heran.

»Warum geschieht dieser Überfall?« drang die Stimme eindringlich an ihr Ohr. »Die Lichtquelle wird entführt, nicht wahr!«

»Du wirst nichts von mir erfahren«, zwit-scherte sie. »Du kannst es auch nicht verhin-dern, daß es geschieht. Bis du zurück bist, ist es längst geschehen!«

Sie glaubte ein Zucken in den Gliedmaßen zu spüren, die sie festhielten. Kik hob sie hoch und brachte ihre Augen vor seine eige-nen.

»So laß es also geschehen, nicht wahr? Jetzt!«

Sanny bemerkte die blauen Flämmchen, die übergangslos über Kiks Haaren tanzten. Seine Augen schienen zu wachsen und anzuschwel-len, und in ihnen taten sich unendliche Ab-gründe auf. Sie wollte schreien, aber da war

sie schon hineingefallen und trieb als winzi-ges, leichtes Blatt in einem Wind, der zu kei-nem Weltall und zu keiner Zone gehörte. Er-innerung setzte ein.

Ihre Heimat, ihre Anverwandten. Und dann eines Tages die Zerstörung ihrer Welt, ihre Deportation.

Und Sanny schrie. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib und hörte erst auf, als die Gliedmaßen Kiks sie sanft auf dem Boden absetzten. Augenblicklich sank sie nieder und brach in ein herzzerreißendes Wimmern aus.

Viel später erst nahm sie ihre Umgebung wieder wahr. Sie sah Kik vor sich am Boden kauern und sie unausgesetzt beobachten.

»Ich bin Sanny«, flüsterte sie heiser. »Ich bin eine Molaatin und habe meine Heimat verloren!«

»Kik weiß es, er hat deine Gedanken gese-hen, nicht wahr? Du bist erwacht! Du wirst mir antworten. Nicht wahr?«

»Ja«, sagte Sanny. »Herzlich gern.« Ein Blick voller Abscheu auf den Spaten, der hin-ter ihr lag, ein zweiter, freundlicher auf Kik, der wartend verharrte, dann begann sie zu erzählen.

Sie gehörte zu einer großen Gruppe von Molaaten, die nach der Zerstörung ihrer Welt Heimat-3 an einen Ort gebracht worden war, der Flekto-Yn hieß und in dem ein Wesen namens ARCHITEKT herrschte. Er hatte die Molaaten zu seinen kleinen Baumeistern ge-macht und sie seither zu Arbeiten gezwungen, die sie unter normalen Umständen nie getan hätten. In jüngster Zeit hatte ARCHITEKT eine Gruppe von ihnen zusätzlich konditio-niert. Er hatte ihnen die Erinnerung an ihr früheres Leben genommen und sie zu den Arltra-Rangern gemacht. Dann hatte er sie in die Sormyng gesteckt, eine Zone überge-krümmten Raumes, ein sogenanntes Loch zum Jenseits, von dem aus sie in die Namen-lose Zone eindrangen und zur Quelle der Jen-seitsmaterie vorstießen.

»ARCHITEKT will die Quelle der Jen-seitsmaterie für sich, und er nimmt keine Rücksichten auf das Jenseits und die Hohen Mächte, die hier herrschen sollen!« schloß sie ihre Erzählung ab.

»Ein großes Unrecht, nicht wahr?« sagte Kik. »Die Lichtquelle ist sehr wertvoll und

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erfüllt auf der Basis ihren bestimmten Zweck. Sie gehört zu dem Schiff des Ersten Zählers. Die Außenhaut der Basis besteht aus hoch-verdichteter Jenseitsmaterie. Nicht wahr!«

Sanny sprang auf. Sie griff nach ihrem Spa-ten, aber er war in ihrer Hand wie glühendes Eisen. Aufschreiend ließ sie ihn fallen.

»Wir müssen etwas tun!« zwitscherte sie aufgeregt. »Die Quelle der Jenseitsmaterie darf nicht entfernt werden!«

»Nein, darf nicht. Der Sinn der Namenlo-sen Zone wäre dahin. Nicht wahr?« stellte Kik fest. »Was sollen wir tun? Natürlich den Graben immer wieder zuschütten. Nicht wahr!«

»Das hätte keinen Sinn. Die Arltra-Ranger geben nicht auf. Sie sind darauf konditioniert, daß sie erst zurückkehren, wenn sie ihre Auf-gabe erfüllt haben! Kannst du es nicht mit allen machen wie mit mir? Daß du sie von ihrer Konditionierung befreist?«

»Kik kann alles. Aber ihm fehlt die Zeit, nicht wahr? Atlan wartet auf ihn!«

»Atlan, das ist der Silberhaarige!« erkannte Sanny. »Ist er der Erste Zähler?«

»Atlan. Nein! Er ist ein Gefangener! Wie alle, nicht wahr? Wie Born, wie Kik, wie Ve-rynth einer war!« Seine Stimme wurde bei der Erinnerung an den Bruder leiser. »Wie Anti-ES. Nicht wahr? Auch Anti-ES ist nicht frei-willig hier.«

»Komm, Kik!« rief Sanny. Sie winkte ihm. »Laß uns die Lichtquelle aufsuchen. Sonst kommen wir zu spät!«

5.

Kik verfügte über Psi-Fähigkeiten! Wenn jemand mir helfen konnte, die Ein-

dringlinge zu vertreiben, dann war es der See-stern.

Ich stieg in die Basis hinab und rannte zur Hauptzentrale. Ich wollte die Roboter aus-schicken, Kik beizustehen.

Die Zentrale war leer, und doch war ich mir sicher, daß alle Maschinen des Ersten Zählers im Innern des Schiffes verschwunden waren.

»Pit!« rief ich. »Wo seid ihr?« Ich erhielt keine Antwort. Sie waren vor

dem blauen Leuchten an den Desintegratoren ausgerissen. Bestimmt hatten sie sich ver-

steckt. Einem Gedanken folgend, suchte ich jenen

Bereich auf, in dem ich damals meine erste Begegnung mit ihnen gehabt hatte. Ich hatte sie eng zusammengekauert gefunden. Sie hat-ten getrauert, weil der Erste Zähler gefangen war und sie ihm nicht helfen konnten.

Diesmal fand ich die Räume leer. Zum Durchsuchen der gesamten Basis hatte ich keine Zeit, also kehrte ich in die Zentrale zu-rück. Vorsichtig schlich ich mich hinein und versteckte mich hinter einer Schrankwand, in der es unablässig summte. Ich beschloß, eini-ge Minuten zu warten.

Es wurden zehn daraus. Ich hörte nichts außer den üblichen Geräuschen, die die Ma-schinen verursachten. Zwischendurch gab es einmal ein leises Geräusch, das von draußen kam und sich anhörte, als tippe jemand mit einem Finger gegen die Wand.

Das Geräusch wiederholte sich, und durch die geöffnete Tür sah ich einen der Roboter auf Zehenspitzen an der Zentrale vorüber-schleichen. Er bewegte sich übervorsichtig, und jedesmal, wenn einer seiner Füße den Boden berührte, gab es ein klackendes Ge-räusch.

Lautlos huschte ich hinter der Schrankwand hervor bis zur Tür. Die Maschine war vier Meter von mir. Sie nahm mich nicht wahr und konzentrierte sich so sehr auf ihr Tun, daß sie den Windhauch meiner Annäherung nicht ortete. Wie aus dem Boden gewachsen, tauch-te ich neben ihr auf und versperrte ihr den Weg.

»Halt!« befahl ich. »Was soll das Versteck-spielen! Ich will wissen, wo ihr seid!«

»Atlan!« ächzte der Roboter. »Wir dachten, du seist tot!«

Er wandte sich um und rannte davon. Ich vernahm nichts, aber ich wußte, daß er eine Funkbotschaft ausstrahlte und alle zur Zentra-le rief. So lange wollte ich nicht warten, ich ging an die Oberfläche. Ich mußte Kik finden.

Kaum war ich aus der Schleuse gestiegen, erhielt ich einen Schlag in den Rücken. Ich war so überrascht, daß ich keine Gegenwehr leistete. Ehe ich mich’s versah, lag ich auf dem Rücken, und auf mir saßen zehn Zwerge. Sie schwangen drohend ihre Energiespaten, und einer von ihnen schrillte:

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»Du wirst uns nicht mehr stören! ARCHI-

TEKT wird einen brauchbaren Diener aus dir machen!«

Ich spürte heiße Metallbänder an meinen Armen und Beinen. Sie umschlossen die Gliedmaßen so eng, daß ich mich nicht mehr rühren konnte. Die Fremden hoben mich auf und entwickelten eine erstaunliche Kraft. Sie trugen mich hinüber zu den Plattformen und legten mich auf der mittleren ab. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, entfernten sie sich und fuhren fort, die Lichtquelle auszugraben und aus ihrer Verankerung zu brechen. Die ersten kreischenden Seufzer des Metalls präg-ten sich meinen Ohren wie Hilferufe ein.

Du hast verstanden, was sie sagten, stellte der Extrasinn fest. Eine Basis zu Verhandlun-gen ist also gegeben.

»Bloß nützt sie mir nichts, solange ich ein Gefangener bin«, sagte ich, halb ohnmächtig vor Zorn. Mir blieb nur die Hoffnung, daß Kik oder die Roboter mich entdeckten.

*

Sie versteckten sich dicht am Erdwall, und

Kik hielt mit seinen Fähigkeiten den Dreck von ihnen fern. Aber um sie herum wuchs der ringförmige Hügel immer höher auf, und die Geräusche der Spaten waren laut und nerven-zermürbend.

»Sie haben angefangen«, flüsterte Sanny. »Sie lösen die Quelle aus der Basis!«

»Sanny. Kik wird helfen. Nicht wahr!« Der Seesternartige zog sie ein Stück mit

sich fort und konzentrierte sich. Seine Augen glühten, als er den ganzen von dieser Seite sichtbaren Teil des Walls in Bewegung setzte und langsam in den tiefen Graben hineinrut-schen ließ. Wilde Schreie tönten von unten herauf, und die Arltra-Ranger kletterten hastig heraus und liefen jammernd vor dem rut-schenden Hügel davon. Diesmal blieb das Erdreich locker und feinkörnig. Es rieselte hinunter in die Tiefe und füllte alles wieder auf. Lediglich an den Stellen, wo die Spaten bereits tiefe Wunden in die Metallwandungen der Basis gerissen hatten, deckte Kik nichts zu, denn hier würden die Roboter reparieren müssen. Als Warnung ließ er jedoch ein we-nig von der Erde hinabfallen.

Sanny deutete auf einen der Molaaten in ih-rer Nähe. Er hatte sie erblickt und kam herbei.

»Du hast ihn eingefangen«, stellte er fest. »Aber warum hinderst du ihn nicht daran, daß er sein dummes Spiel fortsetze?«

Er musterte seine Artgenossin mißtrauisch und wich ein wenig zurück.

»Du hast ...« fuhr er fort. »Mit dir ist etwas nicht in Ordnung. Hat er dich hypnotisiert? Nein. Es muß etwas anderes sein. Ja, jetzt habe ich es! Du hast deine Aura verloren! ARCHITEKT hat dich im Zorn über dein Unvermögen entlassen. Du bist kein Arltra-Ranger mehr!«

Er wollte fort, aber Kik ergriff ihn mit sei-nen Armen und zog ihn zu sich heran. Sanny half ihm und legte dem Überrumpelten die Hand auf den Mund, daß er nicht schreien konnte.

»Komm, weg von hier!« flüsterte sie Kik zu, doch er reagierte nicht. Er starrte den Mo-laaten an und zog ihn dicht vor seine Augen, wie er es mit Sanny gemacht hatte.

Die ehemalige Jenseitsbohrerin begriff, daß er Zeit brauchte, um sich in die Psyche des Molaaten zu versetzen und die Konditionie-rung zu lösen. Was ihr selbst wie ein endloser Traum vorgekommen war, nahm möglicher-weise etliche Minuten in Anspruch.

Sie sah weitere Molaaten herankommen. »Kik, flieh!« Sie packte ihn, aber er ließ

sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Sanny verzweifelte schier, denn sie sah, daß die Arltra-Ranger sie langsam einkreisten. Sie riefen nach Uflager, und der Anführer näherte sich ebenfalls.

In ihrer Not riß sie einfach an einem der Gliedmaßen des Seesterns, und Kik stürzte, auf nunmehr zwei Beinen stehend, zu Boden. In seinem Versuch, das Gleichgewicht zu finden, ließ er den Molaaten los und löste sich aus seiner Starre.

»Tu etwas!« flehte Sanny. Sie zitterte. »Hilf mit deiner Telekinese! Ich will nicht sterben!«

»Sanny. Kik ist bei dir. Nicht wahr! Warum hast du Angst?«

Seine Augen weiteten sich plötzlich. Er packte sie und raste davon, mitten zwischen den verblüfften Jenseitsbohrern hindurch. Wie durch Zufall fand er einen offenen Zugang in

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das Schiff. Er ließ die Molaatin hinein und stieg ihr nach. Er schloß die Luke und verrie-gelte sie. Er hörte noch das zornige Geschrei der Verfolger, dann war er bereits in dem an-schließenden Korridor.

»Kik ist hier zu Hause«, trompetete er. »Nicht wahr?«

»Ja«, sagte Sanny. »Weißt du denn, wie lange du hier bist?«

»Kik ist geduldig, nicht wahr«, erhielt sie zur Antwort. »Aber Sanny will nicht sterben. Warum?«

Die Molaatin verschränkte unschlüssig die Arme. Eigentlich wußte sie selbst nicht ge-nau, was sie zu dieser Äußerung veranlaßt hatte. Fürchtete sie sich vor ihren Artgenossen oder vor der Rache von ARCHITEKT?

»Ich kann ohne meine Konditionierung nicht in das Flekto-Yn zurückkehren«, sagte sie, während sie neben Kik durch das Schiff eilte. »Ich muß hierbleiben und auf die Licht-quelle aufpassen, wie du das zu tun scheinst.«

»Oh, Kik ist vielseitig, nicht wahr! Er tut noch viel mehr. Es gibt viel zu tun in einem so großen Schiff. Wir sollten Atlan suchen. Er ist ein guter Freund. Nicht wahr?«

»Ich weiß nicht«, meinte Sanny. »Wo fin-den wir ihn?«

Kik führte sie bis zu einer Luke, die mit ro-ter Farbe gekennzeichnet war. Er öffnete sie und kehrte an die Oberfläche zurück. Sie be-fanden sich auf der Kuppe am See, unmittel-bar neben dem Wasserfall. Das Geräusch des stürzenden Wassers übertönte ihr Gespräch und das Geräusch, das durch das Öffnen und Schließen der wenig benutzten Luke entstand.

»Hier sind wir sicher!« erklärte Kik und blickte sich aufmerksam um. Sie konnten den See überblicken und die Annäherung eines anderen Wesens rechtzeitig erkennen. Dann blieb ihnen immer noch die Flucht durch die Luke oder an den Felsen des Wasserfalls hin-ab.

»Du bleibst hier, ja?« fragte er. »Du gehst nicht weg, sondern wartest. Nicht wahr?«

»Was willst du tun?« »Kik ist nicht vergeßlich, nicht wahr. Er hat

etwas Wichtiges zu erledigen. Er muß einen Bericht abgeben. Und Atlan finden. Er kommt hierher zurück. Nicht wahr?«

»Also gut«, stimmte Sanny zu. »Aber beei-

le dich. Ein Teil der Arltra-Ranger ist bereits wieder dabei, den Graben zu säubern. Ich glaube, diesmal verdampfen sie die Erde oder bringen sie mit den Plattformen weit weg.«

»Kein Problem für Kik, nicht wahr?« Dann war der flache Körper hinter zwei

Felsen verschwunden.

* »Du hast es gesehen. Nicht wahr! Atlan ist

weg. Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann, nicht wahr?«

»Kik, du hast mir wertvolle Dienste geleis-tet. Ich hoffe, daß ich dir eines Tages einen Gefallen erweisen kann«, wisperte die Stim-me in ihm. Kik gab ein gurgelndes Geräusch von sich, es klang wie Lachen.

»Kik hat Gefallen gern, nicht wahr«, japste er. »Aber er hat keine Zeit. Er muß sich beei-len. Sanny braucht ihn und seinen Schutz, nicht wahr!«

Der Seestern ruhte vor dem Eingang des Gästehauses, in dem sich das leuchtende We-sen jetzt aufhielt. Niemand hatte den Wechsel bemerkt, niemand kümmerte sich darum. Die Roboter waren ausgerissen und hielten sich dem Haus fern.

»Alles ist ruhig auf der Basis des Ersten Zählers«, sagte die Gedankenstimme. »Hast du auch nichts übersehen?«

»Kik hat große Augen, nicht wahr?« »Ich weiß um deine Vorzüge, aber es ist

nicht genug. Ich muß absolute Sicherheit ha-ben!«

»Es besteht kein Grund zur Angst. Du hast nichts, wovor du dich zu fürchten brauchst. Nicht wahr?«

»Du hast recht. Es gibt keine Anzeichen für das Vorhandensein eines Hindernisses, das mir gefährlich werden könnte. Ich werde noch einmal alles prüfen und dann handeln. Atlan ist mein erstes Ziel.«

»Du weißt, wo er sich befindet, nicht wahr!«

»Er liegt auf einer der Plattformen. Ich werde die Roboter mit meinen Flammen so lenken, daß sie auf ihn stoßen und ihn befrei-en können, bevor die Arltra-Ranger oder Mo-laaten, wie du sie nennst, mit ihm davonflie-gen.«

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»Sie schaukeln. Es sind Schaukelplattfor-

men, nicht wahr?« »Was verstehst du davon, Kik!« »Du verheimlichst mir alles«, beschwerte

sich Kik. »Und dabei besteht überhaupt kein Grund, nicht wahr?«

»Es besteht schon ein Grund, aber er fällt bald weg. Sobald ich mich umgesehen habe. Dann spreche ich gern wieder mit dir und erkläre dir alles, was du wissen willst. Zu-nächst einmal muß ich Atlan haben!«

»Du willst etwas mit ihm tun. Nicht wahr!« »Du wirst es sehen, kleiner Kik. Du wirst

dich freuen!« »Ja, nicht wahr«, machte der Seestern. Er

dachte daran, wie der andere ihn auf der Platt-form in sich aufgenommen und bis zur Basis des Ersten Zählers getragen hatte. Er dachte an seine Worte, daß er Chybrain unbedingt finden wollte, und erinnerte sich der Bitte, die der andere ausgesprochen hatte. Ja, er hatte es sogleich begriffen, wen er vor sich hatte, aber er konnte sich die Hintergründe nicht denken, die den anderen zu seinem Vorgehen veran-laßten. »Du bist sehr groß für den kleineren Teil, nicht wahr«, hatte er festgestellt und gleichzeitig innerlich gejauchzt über seinen makabren Scherz.

Groß war das leuchtende Ei, und es schien an Macht und Kraft gewonnen zu haben. Dennoch legte es sich heimlich auf die Lauer, denn es wollte alles auf einmal erkennen.

Nur so war es sicher, nur so konnte alles gutgehen.

»Komm heraus und zeige dich, nicht wahr«, verlangte Kik. »Atlan wird sich nicht groß sträuben, von dir befreit zu werden. Nicht wahr?«

»Du hast recht. Er befindet sich in keiner beneidenswerten Lage und wäre jedem dank-bar, der ihn befreit. Aber noch ist die Ent-scheidung nicht gefallen. Laß mich jetzt al-lein, damit ich nochmals prüfen kann. Du weißt, die Basis eignet sich in ihrer Größe hervorragend für eine Falle.«

»Kik weiß das alles. Das ist klar. Nicht wahr. Und er freut sich darüber. Aber er denkt auch an Sanny und die Jenseitsbohrer. Sie sind bald an ihrem Ziel. Dann ist die Licht-quelle verloren, nicht wahr!«

»Ich beeile mich wirklich!« versprach der

Versteckte. »Du brauchst gar keine Angst zu haben!

Schließlich bist du seit deiner letzten Begeg-nung mit Atlan sehr gewachsen. Nicht wahr!«

Kik stellte sich zu seiner vollen Größe auf. Er streckte seine fünf Beine von sich und richtete die Augen auf die undurchdringliche Wand des Hauses. Er wußte, daß der andere ihn sehen konnte.

Langsam wandte der Seesternartige sich um und suchte den Schein der Lichtquelle. Er war noch mehr verblaßt, und über der Basis war es wieder ein wenig dunkler geworden. Noch war die Umgebung zu erkennen, aber die Sicht betrug nicht viel mehr als sechzig oder siebzig Meter. Dann verschwammen die Kon-turen.

Kik setzte sich in Bewegung. Etwas zog ihn zu Sanny hin, die am See auf ihn wartete.

»Komm heraus!« sagte er nochmals. »Komm endlich, Born! Nicht wahr?«

*

Sanny atmete auf, als sie die Silhouette des

seltsamen Wesens erkannte. Sie eilte zwi-schen den Felsbrocken hervor und wartete, bis Kik den See umrundet hatte und vor ihr an-hielt. Der dunkelbraune Körper erschien ihr im Halbdunkel von tiefschwarzer Färbung. Kik wedelte mit zwei Armen, und seine Au-gen glänzten hellgelb. Wie glimmende Edel-steine hingen sie zwischen den dichten Haa-ren. Das Wesen neigte sich ein wenig nach vorn und sah Sanny an.

»Alles in Ordnung, nicht wahr?« fragte es. Die Molaatin streckte ihm die Handflächen entgegen.

»Ich weiß es nicht. Da war eine Lichterket-te, die sich durch die Hügel zog und irgendwo verschwand.«

»Die Roboter, nicht wahr? Sie suchen noch immer nach Atlan. Aber ich weiß, wo er ist.«

»Kik, ich glaube, es waren die Lichter der Spaten!«

Sanny kannte die Form der kleinen Ener-giegeräte in der Dunkelheit nicht mehr. Es war, als sei mit der Konditionierung auch ein Teil der Erinnerung an Einzelheiten ihres Da-seins als Arltra-Rangerin beseitigt worden. Sie war unruhig, und Kik merkte es. Vorsich-

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tig trippelte er ein paar Schritte zur Seite und spähte über den abfallenden Felshang nach unten.

»Das Felsmassiv drüben ist ein sicherer Platz«, sagte er. »Aber nicht zum Klettern für Sanny! Nicht wahr?«

»Laß uns hier verschwinden!« bat Sanny. Es war zu spät. Von allen Seiten ertönten

Schreie. Unbemerkt hatten sich die Jenseits-bohrer herangeschlichen. Sie hatten sie einge-kreist und wohl nur darauf gewartet, daß auch Kik zurückkehrte, der zweimal ihre Arbeit zunichte gemacht hatte.

Kik erfaßte die Situation mit einem einzi-gen Blick seiner klugen Augen. »Sanny, ver-steck dich!« zischte er, dann sprang er vor. Mit einem Teil seiner Extremitäten hob er Steine auf und schleuderte sie den Angreifern entgegen. Trotz der schlechten Sichtverhält-nisse traf er mehrere Molaaten und schickte sie ins Reich der Träume.

Kik machte ein paar Meter Boden gut und verschaffte Sanny die Möglichkeit, sich von der Steilkante zu entfernen und die Flucht zu ergreifen. Er hoffte, daß sie es tat. Gelegen-heit, darauf zu achten, hatte er jedoch keine.

Die Arltra-Ranger griffen wild an. Mit ih-ren Spaten stürzten sie auf ihn zu, und er kam gar nicht nach mit Steinewerfen. Er fand auch keine mehr am Boden und zog sich hastig zurück.

»Vorsicht, Kik!« Das war Sanny. Sie be-fand sich dicht hinter ihm, ein wenig seitlich vielleicht. Sie hatte ihn nicht verlassen.

»Dort ist sie! Tod der Verräterin!« schrien ein paar der Jenseitsbohrer. Das Dröhnen ei-nes Ministörers lag in der Luft, und irgendwo neben dem Seestern explodierten die Felsen, als hätte eine Titanenfaust auf sie eingeschla-gen.

»Sanny! Flieh!« Kik schrie es in Panik. Er-neut sah er es aufblitzen. Er warf sich zur Sei-te in die Richtung, in der er die Schußbahn vermutete. Er spürte den Schlag, der seinen Körper traf und ihn zerfetzte. Neben ihm war das Jammern der Molaatin.

»Flieh!« ächzte er im Niedersinken. Seine Kräfte verließen ihn, er knickte mit den Bei-nen ein. Sein Körper rutschte ein wenig und verlor den Halt. Er glitt über die Kante und stürzte hinab in die Tiefe. Es platschte, als er

am Rand des kleinen Baches aufschlug. »Kik!« Sanny hatte den Schuß gehört und

das Mündungsfeuer erkannt. Sie hatte mit dem Leben abgeschlossen. Sie wunderte sich, warum sie nichts spürte. Erst dann merkte sie, daß der Seestern ihr das Leben gerettet hatte. Sie sah ihn fallen und folgte ihm augenblick-lich. Ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben kletterte sie hinab, und über sich hörte sie die aufgeregten Stimmen ihrer Artgenossen, die den Boden absuchten, heruntersahen und sich dann entfernten, um den Steilhang zu umge-hen.

Sanny riß sich die Hände blutig, aber sie achtete nicht darauf. Sie kletterte mit der Zeit um die Wette, und irgendwie schaffte sie es. Sie kam unten an und warf sich neben Kik auf die Knie. Sie versuchte, ihn herumzudrehen.

»Laß!« sagte das Wesen mit schwacher Stimme. »Es hat keinen Sinn. Kik stirbt. Nicht wahr?«

»Kik!« schluchzte Sanny. »Treuer Kik. Was kann ich für dich tun?«

Unter einem Stöhnen wälzte sich der Kör-per herum, sahen verschleierte Augen sie an.

»Ja, Sanny!« machte der Sterbende. »Kik hat seinen Auftrag nur unvollkommen ausge-führt. Hilf ihm. Führe die schwere Aufgabe zu Ende! Bitte!«

»Gern, Kik. Was muß ich tun?« »Ich gebe dir die Kraft, die man auch mir

gegeben hat, als ich den eigentlichen Auftrag bekam!« flüsterte er. »Willst du?«

»Ich will!« sagte sie eindringlich. »Ich will alles für dich tun, was ich kann!«

Sie sah das Zucken des verformten Körpers und wußte, daß es mit ihm zu Ende ging. Daß er sein »Nicht wahr« ganz vergaß, merkte sie erst später, als es fast vorbei war.

»Die ... die Teufel sind gleich da«, hauchte Kik. »Ich ... ich muß mich beeilen, Sanny!«

Sanny spürte, daß etwas den sterbenden Körper verließ, einen Augenblick über ihr hing und dann in sie eindrang. Sie rätselte, ob es Einbildung war. Dann jedoch erkannte sie plötzlich, was geschehen war.

Die Kraft ging auf sie über. Eine ungeheure Kraft war es, und sie befähigte sie, Dinge zu erkennen, die in der Zukunft lagen. Und noch etwas anderes war da. Ein Wille, der ihr den Weg wies, ohne Unterlaß für die positiven

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Kräfte des Universums zu streiten. Der Name Atlan prägte sich ihr tief in ihrem Innern ein, und sie wußte, daß sie ihn nie vergessen wür-de.

Sanny spürte, daß Kik starb. Sie streichelte seinen Körper, und er gab einen Seufzer von sich. Die neuen Kräfte in ihr, für die sie noch keinen Namen hatte, erwachten voll zum Le-ben, und sie sah einen Teil der Zukunft vor-aus. Sie erlebte, wie sie durch Kiks Tod aus der Namenlosen Zone verschwand und in das Normaluniversum zurückkehrte. Es geschah durch den Schock, den Kiks Tod auslöste, und er bewirkte auch, daß sie die Erinnerung an ihr bisheriges Leben verlor. Sanny gelangte auf eine Molaatenwelt, die noch lebendig war und mit ihrem gesamten Volk existierte. Sie ließ sich dort nieder in dem Bewußtsein, daß sie wie Kik nie altern würde und so lange warten mußte, bis Atlan ihren Weg kreuzte. Ihr Wille und ihre neuen Fähigkeiten würden sie in dieser Zeit nie verlassen.

Und eines Tages würde die entscheidende Stunde kommen.

Sanny erlebte diese Stunde und die Tage davor. Heimat-11, so hieß diese Welt, wurde von einem riesigen Gebilde heimgesucht, das die Sonne verdunkelte. Viele der Molaaten verschwanden spurlos von der Oberfläche ihrer Welt. Andere flohen in den Weltraum, und Sanny war bei ihnen. Sie erlebte die Zer-störung von Heimat-11 mit. Sanny und ihre Begleiter flohen zu einer anderen Welt des 16-Planetensystems ihrer Sonne, aber dort erging es ihnen ebenso, und schließlich flüch-teten sie sich in einen Asteroiden, der früher einmal einer der Stützpunkte ihres Volkes gewesen war.

Sanny wartete, und sie trug ihre Aufgabe unauslöschlich in sich. Sie wußte, daß jetzt ihre Stunde gekommen war. Sie würde jenen treffen, dessen Name Kik ihr eingegeben hat-te.

Das alles sah Sanny in Bruchteilen einer Sekunde. Es schien, als habe Kik geduldig gewartet.

Noch einmal bäumte sich der Sterbende jetzt auf.

»Sanny. Leb wohl!« hauchte er fast unhör-bar. »Kik stirbt und wird bald bei Verynth sein. Alles Gute, kleine Sanny!«

Seine Augen brachen, und im selben Au-genblick begann sein Körper sich aufzulösen. Er wurde immer durchscheinender, und schließlich verwehte er als unsichtbarer Hauch. Nichts blieb von ihm übrig.

Ging er zu den Hohen Mächten ein? Kiks Tod löste den Schock in Sanny aus,

den sie bereits vorhergesehen hatte. Sie ver-gaß alles, was bisher gewesen war, und nahm auch die Annäherung ihrer Artgenossen nicht mehr wahr. Eine unwiderstehliche Kraft pack-te sie und schleuderte sie aus ihrer Existenz in der Namenlosen Zone hinaus.

Die heranstürmenden Arltra-Ranger fanden keinen der beiden mehr vor. Sie sahen nur den Streifen hellblauen Blutes, der am Uferbe-wuchs entlanglief und in den Bach mündete, der die Spur eilig mit sich davontrug.

6.

Die Roboter zerrten mich eilig unter die

Oberfläche der Basis und rannten in eine der technischen Abteilungen hinein. Pit legte mich vorsichtig wie ein zerbrechliches, dün-nes Glas auf eine Art Werkbank und verlangte nach dem Desintegrator.

»Vorsichtig!« mahnte ich. »Versucht es lieber mit einer Säge!«

Pit folgte dem Ratschlag. Das von den Fremden verwendete Metall war mit der Waf-fe nicht zerstörbar, und so sägte der Roboter drauf los. Eine knappe Viertelstunde benötig-te er, dann fiel auch der letzte Teil der Fesseln von mir ab. Ich erhob mich und massierte die Handgelenke.

»Danke«, sagte ich. »Es war Rettung in höchster Not. Habt ihr Kik gefunden?«

Er war wie schon oft spurlos verschwun-den, und die Roboter vertrösteten mich. Ich konnte jedoch nicht warten.

»Sucht die gesamte Oberfläche ab«, wies ich sie an. »Kik ist der einzige, der die Zwer-ge aufhalten kann!«

»Aber die blauen Flammen ...«, begann Rond, doch ich fiel ihm ins Wort.

»Sie haben euch zu mir getrieben, nicht wahr? Angegriffen haben sie euch nicht!«

Ich machte mir Gedanken über die seltsame Form der Energieentfaltung. Wieder mußte ich an Anti-ES denken, aber die mächtige

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Superintelligenz hatte es wohl kaum nötig, Versteck zu spielen. Oder mußte sie sich vor den Fremden in acht nehmen?

»Auf!« sagte ich. »Ich gehe mit euch!« Ich ergriff die rostige Waffe, die noch immer in meinem Gürtel steckte, und führte die Robo-ter hinauf.

Wir verließen die Basis zwischen der Lichtquelle und dem Turm, um den Fremden keine Angriffsfläche zu bieten. Eine kleine Erhebung mit einem klobigen Felsbrocken als Spitze verdeckte die Sicht und ermöglichte es uns, ungesehen auszuschwärmen. In Zweier-gruppen machten wir uns auf den Weg und durchforsteten zunächst den hinteren Teil der Landschaft einschließlich des Turmes. Wir fanden nichts, und ich schickte die Roboter nach vorn weiter. Sie sollten sich so nahe wie möglich an die Quelle der Jenseitsmaterie heranmachen. Immerhin war es möglich, daß Kik ebenfalls von den Zwergen gefangenge-nommen worden war.

Ich selbst machte mich mit Pit dorthin auf, wo ich dem rätselhaften Wesen zum ersten-mal begegnet war. Im Halbdunkel war das Felsmassiv nur undeutlich zu sehen. Am Fuß der Nadel hielten wir an.

»Kik!« rief ich laut. Ich bekam keine Antwort, und wir trennten

uns und umrundeten langsam das Massiv. Nirgends fand ich eine Spur, aber als ich mit Pit zusammentraf, zeigte er mir eine Stelle zwischen den Bodenwellen.

Ein Energiespaten! Ich eilte hinab in die Vertiefung, und Pit folgte mir.

»Nicht anfassen!« rief der Roboter. »Er ist sehr heiß!«

Ich kniete mich nieder und musterte das kleine Gerät aufmerksam. Es hatte exakt die Form eines winzigen Handspatens und be-stand aus reiner Energie. Ich sah keinen Me-tallkern und überhaupt nichts, was darauf hinwies, welche Kräfte die Energie zusam-menhielten und zu solcher Wirksamkeit ver-dichteten, wie ich sie an der Lichtquelle erlebt hatte. Mit den kleinen Dingern waren die Zwerge in der Lage, die gesamte Basis zu zerstören, wenn sie nur wollten. Daß sie bis-her nicht darangegangen waren, ließ mich hoffen. Sie hatten es einzig auf die Quelle der Jenseitsmaterie abgesehen. Jemand wollte

sich dieser Quelle bemächtigen. Anti-ES konnte nicht dahinterstecken. Ihm

gehörte die Quelle automatisch, wenn es zur Basis zurückkehrte. Es gab kein Lebewesen und keine Maschine, die sich ihm hätte wider-setzen können.

Das scheint eine endgültige Feststellung zu sein, sagte der Extrasinn. Bist du dir darüber im klaren?

Ich nickte abwesend. Ja, ich war es. Immer stärker wurde in mir der Eindruck, daß ich falsche Vermutungen gehegt hatte. Jedoch hatte ich die Unberechenbarkeit von Anti-ES angeführt und darauf gewartet, daß sein Vor-gehen etwas bewirken würde, was mit mir zusammenhing. Ich hatte mich getäuscht.

Wer aber ist es dann? fragte ich mich. Wer hat die Zwerge geschickt, um die Lichtquelle zu stehlen? Warum reagiert Anti-ES nicht?

Gerade die Superintelligenz mußte ein ge-steigertes Interesse daran haben, daß niemand die Quelle der Macht entführte. Und eine sol-che bildete die Quelle der Jenseitsmaterie ohne Zweifel.

Es spielt keine Rolle. Zumindest vorläufig nicht. Alles geschieht in einem größeren Zu-sammenhang, den du nicht kennst. Du kannst es mit dem Verhalten der Kosmokraten ver-gleichen.

Hatten die Kosmokraten die Fremden ... NEIN! Sie mischen sich nicht ein, wie du

wohl weißt. »Also gut«, seufzte ich. »Gehen wir davon

aus, daß Anti-ES nicht hier ist und auch nicht in der Nähe. Aber irgendwer produziert die Leuchterscheinungen auf der Basis. Und sie haben mit den Zwergen nichts zu tun!«

Wer bleibt noch? Pit bewegte sich. Er bückte sich und nahm

den winzigen Spaten auf. Ich erhob mich und deutete hinüber in die Richtung, in der die Lichtquelle lag.

»Da du ihn offensichtlich tragen kannst, ohne daß er dich beschädigt, wirst du ihn bis zum Gästehaus bringen und dort vorerst able-gen. Später können wir ihn untersuchen!«

Wir eilten hinüber und stießen auf die ers-ten Roboter, die zurückkehrten. Sie hatten Kik nirgends gefunden, und eine Gruppe war unterwegs, um auch das Innere des Schiffes nach diesem Wesen zu durchsuchen.

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»An der Lichtquelle tut sich etwas«, teilte

Rond mit. »Ich habe bemerkt, daß die Zwerge ihre Arbeit unterbrochen haben!«

»Dann braucht ihr nicht mehr nach Kik zu suchen!« rief ich erfreut aus. »Das kann nur er sein!«

Wir rannten am Gästehaus vorbei, wo Pit den Spaten deponierte, und versuchten mit den Augen zu erkennen, was drüben vor sich ging.

Die Zwerge gebärdeten sich merkwürdig. Sie hatten ihre Spaten weggeworfen und bil-deten einen Kreis um die drei Plattformen. Jauchzend und auf ihren kurzen Beinchen hüpfend, tanzten sie um die Fahrzeuge herum wie um ein goldenes Kalb. Der Erdhügel war so hoch, daß er den Dom fast vollständig ver-deckte.

Blaue Flammen tauchten auf. Sie erschie-nen aus dem Nichts und setzten sich auf den haarlosen Kugelköpfen der Fremden fest. Sie bildeten einen leuchtenden Kranz, und die Zwerge sanken zu Boden und legten sich flach hin. Sie rührten sich nicht mehr, und die Flammen huschten nach ein paar Sekunden davon.

Die Zwerge sprangen auf. Kreischend schrien sie durcheinander und tappten unkon-trolliert umher, bis sie ein Ruf zum Erdwall befahl. Verwirrt und zögernd nahmen sie ihre Arbeit wieder auf.

Etwas war geschehen, und ich ahnte, daß es zum Nachteil der Zwerge war. Die blauen Flammen setzten ihnen zu.

Hallo Atlan! sagte in mir eine Stimme, und sie riß mich fast von den Füßen. Mit einem Mal begriff ich, was das alles bedeutete. Ich wußte, daß ich mir unnötig Sorgen gemacht hatte, und erkannte doch die Notwendigkeit seines Vorgehens. Und ich verspürte den Ju-bel meines Extrasinns zum Teil körperlich.

»Born!« rief ich laut. »Du bist zurückge-kehrt!«

Auch die Roboter begriffen, was los war. Born und die blauen Flammen! rief der

Extrasinn. Wir sind wieder vereint! Meine Gedanken überschlugen sich. Born

und der Extrasinn hatten ein gemeinsames Kind. Born war zurückgekehrt, und ich warte-te gespannt auf seinen nächsten Gedanken, der sich darauf bezog.

Ja, ich bin da, teilte der von Anti-ES ab-gespaltene positive Teil mit. Anti-ES ist nicht in der Nähe, deshalb kann ich es wagen, mich zu zeigen.

Wo bist du? dachte ich. Im Gästehaus. Ich lade euch ein zu mir! Ich blickte Pit und die umstehenden Robo-

ter an. »Es wird alles gut!« sagte ich voller Erre-

gung.

* Born zeigte sich uns als leuchtendes Ei von

acht Metern Höhe. Gegenüber unserer letzten Begegnung war er gewaltig gewachsen. Fast hätte man denken können, daß er sich mit einem anderen Energiewesen zusammengetan hatte.

Vieles hat sich ereignet seit unserer Tren-nung, Atlan! begann Born. Ich habe die Zeit benützt, um mich vor Anti-ES zu verbergen und nach unserem gemeinsamen Kind zu su-chen. Es ist damals mit mir entflohen und hat sich selbständig gemacht. Ich weiß nicht, wa-rum es so sein mußte, aber mein Kontakt zu ihm ging mir verloren. So habe ich denn an mir selbst gearbeitet und bin größer und stär-ker geworden. Aber noch nicht stark genug.

»Auch hier auf der Basis hat sich vieles er-eignet«, sagte ich. »Ich war auf dem Spinar und habe Kontakt mit den Zählern gehabt. Anti-ES ist es nicht gelungen, mich in eines seiner Manifeste zu verwandeln. Die Licht-quelle gab mir die Kraft dazu.«

Ich weiß alles, teilte Born mit. Er sprach sowohl zu mir als auch zu dem Extrasinn, der immer wieder zustimmend dazwischenfuhr. Ich habe Kik auf die Basis geschickt, um he-rauszufinden, ob Anti-ES sich hier aufhält. Er hat mir berichtet, was du ihm erzähltest. Ich kenne deine Erlebnisse und habe beobachtet, was sich auf der Basis abspielt. Ich werde dir helfen, wenn Anti-ES mir die Zeit dazu läßt. Viel wichtiger aber ist es, daß ich Chybrain finde. Unser Sohn hat sich selbständig ge-macht, und ich besitze keine konkrete Spur von ihm. Ich befürchte, daß er fast nichts über seine Herkunft weiß und irgendwo umherirrt. Manchmal glaube ich, daß er mich sucht und nicht findet oder an Grenzen stößt, die ihm

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die Suche unmöglich machen. Er ist noch ein Kind.

Wir müssen ihm unbedingt helfen! fügte der Extrasinn hinzu. Chybrain darf Anti-ES nicht in die Hände fallen!

»Jetzt verstehe ich alles!« sagte ich. »Chybrain! Du hast den Namen in meinem Bewußtsein verankert, Born! Chybrain, unser gemeinsames Kind.«

Eigentlich ist es nur mein gemeinsames Kind! meldete sich der Extrasinn, doch Born wies den Partner zurecht.

Du darfst so etwas nicht sagen. Ohne Atlan bist du ein Nichts, ein hilfloses Etwas, das von mir aus den Fängen von Anti-ES gerettet wurde. Denke an die ARK SUMMIA und an die Geburt Chybrains. Nichts davon hast du allein vollbracht, und dein Stolz darf nicht in Überheblichkeit umschlagen. Betrachte dich vorläufig als Wächter der Basis. Vielleicht wird Chybrain eines Tages hierher an den Ort seiner Geburt zurückkehren. Ich selbst muß so stark werden, daß ich alles unbeschadet ü-berdauere und meine kosmische Freiheit wie-dererhalte. Anti-ES ist dabei das Haupthin-dernis. Es will mich zurückhaben und hat die erste Relativ-Einheit völlig durcheinanderge-bracht.

»Was wird aus der Lichtquelle?« fiel ich ein. »Ihr muß zuerst geholfen werden. Das ist wichtiger als die Gefahr, die von Anti-ES ausgeht, oder die Suche nach Chybrain. Wer sind diese Zwerge, die die Quelle der Jen-seitsmaterie rauben wollen?«

Intelligentes Leben ist wichtiger als die Quelle! Etwas Ähnliches hatte mein Extrasinn schon einmal gesagt. Ihm ging es um Chybrain, dem Sohn.

Sie nennen sich Arltra-Ranger oder Jen-seitsbohrer, sagte Born lautlos in meinem Kopf. Sie kommen aus dem realen Raum, und ihr Herr nennt sich ARCHITEKT. Er ist mächtig und für mich unerreichbar und un-angreifbar. Es verstößt gegen die Gesetze der Hohen Mächte, sich mit ihm einzulassen. Denn ich bin zwar Born, aber ein Teil eines Verbannten. Aber ich kann euch gegen die Jenseitsbohrer helfen. Sanny hat Kik erzählt, daß ihr Volk in Wirklichkeit Molaaten heißt. Die Arltra-Ranger sind konditionierte Molaa-ten. Ich werde dich unterstützen, Atlan, wenn

du mir versprichst, dich zukünftig um Chybrain zu kümmern!

»Ich verspreche es dir«, stimmte ich erfreut zu. »Aber wo ist Kik? Er könnte uns helfen!«

Kik ist tot, Atlan. Auch Sanny ist tot, und trotzdem hat er ihr das Leben gerettet. Du wirst das nicht verstehen. Eines Tages viel-leicht. Doch laß mich nun sagen, was wichtig für die Lichtquelle ist.

Kik tot! Die Mitteilung traf mich empfind-lich. Ich vermißte das fremdartige Wesen, zu dem ich eine aufrichtige Freundschaft unter-halten hatte, trotz seiner Andersartigkeit. Wo immer es ging, hatte Kik mir geholfen, und jetzt war er in Aufopferung für eine Molaatin gestorben. Born klärte mich über die Hinter-gründe auf, sofern sie ihm bekannt waren. Er hatte die Entwicklung am See mitverfolgt, jedoch nicht eingreifen können, genauso wie er jetzt gegen die Jenseitsbohrer nicht direkt in Aktion treten konnte. Er wollte sie mit ein paar geistigen Verwirrspielen von ihrer Arbeit abhalten und mir Gelegenheit geben, die Ent-scheidung herbeizuführen. Born sprach da-von, daß die Arltra-Ranger sich in einer Aus-beulung einer übergekrümmten Zone aufhiel-ten, die von einem Bereich irgendwo draußen erzeugt und von den Plattformen aufrechter-halten wurde. Wenn diese Zone wegfiel, wür-den auch die Jenseitsbohrer in ihr normales Universum zurückfallen. Born kannte die Ü-bergangsstelle, an der sie in die Namenlose Zone eingedrungen waren. Dort wollte er mich hinschicken.

Born verließ das Gästehaus und führte die Roboter und mich bis in die Nähe der Licht-quelle. Tief unten hörte ich die Molaaten ar-beiten. Jetzt aber ließen sie es sein und kamen emporgeklettert. Sie entfernten sich bis zu einer kleinen Kuppe, die etwa zweihundert Meter entfernt lag. Um diese herum stellten sie sich auf und begannen zu graben. Born suggerierte ihnen, daß sich die Lichtquelle dorthin versetzt hatte. Mühelos gelang es ihm, ihre Konditionierung zu durchbrechen und ihre Gehirne zu beeinflussen.

Du mußt dich beeilen! schärfte er mir ein. Born setzte sich mit der Quelle der Jen-

seitsmaterie in Verbindung. Sie verlor ihre Dunkelheit, und mit ihr wurde es auch über der Basis wieder hell. Bald sprudelte die

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Quelle wie immer vor uns auf, und Born rich-tete meine Aufmerksamkeit auf die Spitze des Domes. Er hatte Kontakt mit der Lichtquelle, und ich wußte vom Extrasinn, daß er ihr eine Bitte vortrug.

Zum ersten Mal erlebte ich mit, wie sich an der Spitze des Domes ein dunkler Fleck bilde-te. Etwas Glänzendes erschien dort und streb-te langsam an der Außenseite einer der Stütz-streben abwärts, bis es den Rand der Umman-telung erreichte. Auch an ihr glitt es abwärts und blieb schließlich dicht über dem Boden hängen.

Es war eine Kugel mit etwa einem Meter Durchmesser, hellrosa und zartgrün leuch-tend. Ich schickte einen Roboter nach einer Antigravscheibe, und dann schob ich sie ei-genhändig darunter und beobachtete, wie die Kraft die Kugel entließ und diese leicht rol-lend auf der Scheibe verharrte.

Ein Stück Jenseitsmaterie! Ein Geschenk der Lichtquelle!

Damit, klang Borns Stimme in mir auf, wirst du die Jenseitsbohrer besiegen. Fliege hin zu jenem Bereich. Ich werde hier auf dich warten. Beeile dich. Anti-ES kann jederzeit auf der Basis auftauchen, und dann muß ich fliehen!

Ich warf einen Blick hinüber zu den Arltra-Rangern, die an einer völlig sinnlosen Stelle einen riesigen Graben aushoben und verzückt den Felsklotz in der Mitte anstarrten. Ich gab Pit eine Anweisung.

Der Roboter steuerte die Scheibe mit der Kugel in die Basis hinein und führte mich in die spitze Schnauze des Raumschiffs zu ei-nem der Hangars. Ich bestieg ein Beiboot und verstaute die Kugel. Mit einer freundschaftli-chen Geste verabschiedete ich den Roboter. Ich klopfte ihm auf die Schulter und gab ihm die Handwaffe zurück. Ich würde es wohl nie erfahren, ob sie funktionierte oder nicht.

Ich blickte ihm eine Weile nach und spürte die Unruhe des Extrasinns in mir. Born mel-dete sich nicht.

Ich ließ die beiden Hälften des Hangar-schotts auffahren und lenkte das Beiboot hin-aus. Mit voller Beschleunigung jagte ich da-von, dem Ziel zu, das Born mir exakt be-schrieben hatte. Ich konnte es selbst in der Namenlosen Zone nicht verfehlen.

Ich warf einen Blick auf den Bildschirm, der die Landschaft tief unter dem Schutz-schirm zeigte. Ich lächelte eigentümlich.

Für mich war es wie ein Abschied.

* Das Beiboot hatte das Aussehen einer Stu-

benfliege. Den schwarzen, glänzenden Kopf fast am Boden, das Hinterteil mit dem Trieb-werkssektor auf hohen Beinen steil aufgerich-tet, hatte es im Hangar gestanden. Es besaß kurze, nach außen abgeschrägte Stummelflü-gel, und ein Teil der Kontrollschlüssel, die in rascher Folge über den kleinen Monitor huschten, deutete darauf hin, daß diese Flügel auch bewegt werden konnten.

Ich lehnte mich in dem kleinen Sessel zu-rück, in dem ich nirgends Halt fand, musterte den Bildschirm, der identisch mit dem Sicht-fenster der Kanzel war. Ich schaltete ihn ab und hatte die Schwärze des Weltraums vor mir. Sie unterschied sich nicht von dem, was mir der Bildschirm zeigte.

Ich folgte der energetischen Spur, die die Plattformen gezogen hatten. Sie war unsicht-bar, doch erschien sie auf den Ortern als dün-ner, geradliniger Faden, der mich dorthin führte, wohin Born mich gewiesen hatte. Ich schloß die Augen und überließ es der Auto-matik, den Flug so lange fortzusetzen, bis sich die Umgebung des Schiffes meßbar änderte.

War es endlich soweit? Der Extrasinn schwieg trotz der Intensität

der gedanklichen Frage. Endlich hatte ich ein Ziel. Die zermürben-

den Monate der vergeblichen Suche waren vorbei. Die lange Zeit des Aufenthalts in der Namenlosen Zone schrumpfte vor dem Aus-blick auf das Kommende zusammen zu einer verschwindend kleinen Spanne, und ich dach-te an all die Freunde, die ich jenseits des un-durchdringlichen Vorhangs in dem Bereich wußte, den man nach menschlichen Maßstä-ben Normalraum nannte. Der Weg dorthin, er führte an der Schnur eines Wesens entlang, das sich ARCHITEKT nannte.

Laire! Der Helfer der Kosmokraten fiel mir ein. Noch immer hoffte ich, ihm eines Tages erneut zu begegnen und dann endlich den Weg an mein eigentliches Ziel zu beschreiten,

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ATLAN 118 – Die Abenteuer der SOL

von dem Anti-ES mich so heimtückisch ab-gebracht hatte. Bildete sich die negative Su-perintelligenz ein, die Kosmokraten hätten nichts von ihrem Schachzug bemerkt? Glaub-te sie, die Tatenlosigkeit der Hohen Mächte deute darauf hin, daß sie ahnungslos waren?

Ich lachte laut. Niemand hörte es, und mit der Basis stellte ich keine Funkverbindung her. Ich wollte allein sein mit mir und meinen Gedanken – und denen des Extrasinns, der sich wohltuend zurückhielt.

Ich hatte tatsächlich geglaubt, in der Na-menlosen Zone noch etwas Sinnvolles aus-richten zu können. Nach dreizehn Jahren! Jetzt schien sich diese Vorstellung zu be-wahrheiten.

Born helfen, das war für mich selbstver-ständlich. Der von mir unabsichtlich befreite positive Teil von Anti-ES wurde größer und stärker, und eines Tages würde er die Kraft besitzen, dem negativen Teil die Stirn zu bie-ten und die Auseinandersetzung für sich zu entscheiden. Wer weiß, vielleicht erreichte er damit sogar, daß seine Verbannung verkürzt wurde. Denn zehn Relativ-Einheiten waren mit Sicherheit eine lange Zeit, die sich kein Sterblicher vorstellen konnte.

»Born wird es ohne mich schaffen!« sagte ich halblaut. »Was zu tun war, habe ich getan, und mein Verschwinden wird Anti-ES zusätz-lich schwächen!«

Ich wartete auf einen Kommentar des Ext-rasinns, doch er kam nicht. Offenbar schwelg-te er in den frischen Erinnerungen an den Ge-dankenaustausch mit Born und den Nachrich-ten über Chybrain, wie ihr gemeinsames Kind hieß.

Unser gemeinsames Kind! Etwa drei Stunden nach der mir gewohnten

Zeitrechnung war ich unterwegs, bis die Or-tung Alarm gab. Weit voraus existierte ein kleiner Bereich, in dem die Raumkrümmung verändert war. Sie verhielt sich dort, als gäbe es an dieser Stelle eine Massenhäufung, ein Schwarzes Loch oder etwas Ähnliches. Op-tisch war nichts zu erkennen.

Ich wich ein wenig von der Spur ab und flog parallel zu ihr weiter. Wenn das die Zone des Übergangs war, dann mußte ich mich vor-sehen. Mit Sicherheit war sie bewacht. Und die technischen Möglichkeiten der Jenseits-

bohrer hatte ich bei ihrer Landung auf der Basis und im Anschluß daran gut genug ken-nengelernt.

Als ich mich dem Gebilde bis auf zwei Mil-lionen Kilometer genähert hatte, hielt ich an und schleuste die Scheibe mit der Jenseitsma-terie aus. Ich wollte sie ganz nah heranbugsie-ren und dann zur Explosion bringen oder war-ten, bis sie selbst bei der Berührung eine Exp-losion auslöste.

Aber Pit hatte über die Geräte und Fahr-zeuge der Arltra-Ranger behauptet, daß sie verträgliche Substanzen für Jenseitsmaterie waren und ihre Energie assimilierten.

Saß Born einem Irrtum auf? Nein, du Narr! Der Kommentar des Logik-

sektors stach in meinem Gehirn wie feinste Nadeln, und ich sprang aus dem kleinen Ses-sel auf. Ich starrte auf den Bildschirm, denn ich sah mitten in der stark gekrümmten Zone ein sanftes Glitzern. Lichter?

Ich nahm Fahrt auf und näherte mich wei-ter, wobei ich die Antigravscheibe und die Jenseitsmaterie mitzog.

Tatsächlich. Mein Verdacht bewahrheitete sich. Der übergekrümmte Raum besaß in sei-ner Mitte eine Öffnung, den Übergang. Dort mußten die Jenseitsbohrer hindurchgekom-men sein.

Was ich sah, waren die Sterne des Normal-raums. Die Sterne einer Galaxis! War es die Milchstraße?

Ich zweifelte daran, und in Gedanken malte ich mir aus, daß ich irgendwo in einem Spi-ralsystem weit weg von der Heimat heraus-kommen würde und nie in meinem ewigen Leben die Möglichkeit erhalten würde, den Abgrund zwischen den Milchstraßen zu über-brücken.

Beeile dich, es geht um dein Leben! Dort drüben wird man nicht untätig zusehen!

Wie durch Zauberhand setzte sich die Ku-gel aus Jenseitsmaterie in Bewegung. Sie ver-ließ die Scheibe und schwebte davon, dem Zentrum des übergekrümmten Raumes entge-gen. Es sah aus, als werde sie davon magisch angezogen.

Es war soweit. Ich durfte nicht zögern. Ich beschleunigte das Beiboot und hielt auf

die Öffnung zum anderen Universum zu. Es war ein ungefährliches Manöver, dort durch-

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ATLAN 118 – Die Abenteuer der SOL

zukommen, denn die Öffnung besaß knapp zweihundert Meter Durchmesser, das Beiboot nur eine maximale Flügelspannweite von achtzehn Metern.

Die Rettung, sie war greifbar nah. Anti-ES! dachte ich intensiv und in der

Hoffnung, es würde mich hören. Du hast es nicht geschafft. Du kannst mich nicht halten und mir auch nicht folgen. Bis du da bist, ist der Durchgang zerstört!

Hatte Chybrain diesen Durchgang benutzt, um zu fliehen? Hatte Born deshalb keinen rechten Kontakt mehr zu ihm erhalten?

Die Kugel aus Jenseitsmaterie war mir weit voraus, und ich beschleunigte noch mehr.

Es ging nicht mit rechten Dingen zu. Ich hatte vorgehabt, die Scheibe mit der Kugel hinter mir in die Öffnung stürzen zu lassen und bei der Explosion weit entfernt zu sein. Jetzt aber kam es gerade anders herum.

Halte an! dachte ich. Es gab keinerlei Re-aktion.

Jetzt befand sich die Jenseitsmaterie direkt in meiner Flugrichtung und verlangsamte. Dort, wo ich den unsichtbaren, übergekrümm-ten Raum ahnte, entstand ein Leuchtfeuer. Es raste auf mich zu.

Ich handelte, ohne zu denken. Meine Finger rasten über die Kontrollen, und das Beiboot machte einen Satz zur Seite. Nur knapp ent-ging es dem Energieschlag, und ein zweiter befand sich bereits auf dem Weg zu ihm.

Jetzt gab es für mich kein Überlegen mehr. Im Zickzack raste ich auf die Öffnung zu.

Narr! Dreimal verdammter Narr! »Die Kugel ist meiner Kontrolle entglitten.

Ich muß etwas tun!« rief ich hastig. Ich war es! sagte der Extrasinn eindring-

lich. Ich habe die Jenseitsmaterie hingelenkt. Da, sieh nur!

Ein greller Blitz entstand dort, wo die Ster-ne leuchteten. Er dehnte sich gleichmäßig nach allen Seiten aus. Auf der Spur, die zur Basis führte, glitten plötzlich optisch sichtba-re Lichter entlang. Sie mündeten alle in dem Leuchtball, der übergangslos erlosch.

Die Anzeigen der Orter zeigten gewöhnli-che Leere, wie ich sie von überall aus der Namenlosen Zone kannte.

In diesem Augenblick passierte der Gleiter die Stelle, an der es geschehen war. Nichts

war zurückgeblieben, und ich wendete in ei-ner großen Schleife und steuerte in jene Rich-tung, in der ich die Basis des Ersten Zählers wußte.

Ich hatte verstanden. »Warum hast du es nur verhindert!« warf

ich dem Extrasinn vor. »Es ist das eine so richtig wie das andere!«

Nein! Du wirst in der Namenlosen Zone noch gebraucht. Und du hast Born ein Ver-sprechen gegeben, daß du dich um Chybrain kümmerst. Das darfst du nicht vergessen!

»Ich vergesse es nicht!« knurrte ich grim-mig. Die Hoffnung auf eine Rückkehr war wie weggewischt. Natürlich war mir klar, daß der Extrasinn mehr an Chybrain hing als ich selbst. Solange es nicht feststand, daß das gemeinsame Kind mit Born die Namenlose Zone verlassen hatte, gab es keine Veranlas-sung, dies selbst zu tun.

Ich aktivierte achselzuckend die Funkanla-ge.

»Basis!«, sagte ich. »Könnt ihr mich hören? Gebt mir einen Peilstrahl. Ich komme zurück. Der Auftrag ist erledigt!«

Ich fühlte mich einsam und freute mich, wieder bei den Robotern, Born und der Licht-quelle sein zu können. Die Basis war für mich so etwas wie eine dritte Heimat geworden, nach Arkon und Terra.

»Einsamer der Zeit!« rief ich. »Wolltest du wirklich tauschen?«

Wer weiß. Vielleicht wäre ich in einer fremden Galaxis wesentlich einsamer gewe-sen als hier in der Namenlosen Zone.

7.

Aus der Tiefe des Grabens drang geschäfti-

ges Klirren von Metall an meine Ohren. Dort unten waren die Roboter am Werk. Sie besei-tigten die von den Jenseitsbohrern angerichte-ten Schäden an dem Fundament und der Ver-ankerung der Lichtquelle. Nach Pits Aussagen benötigten sie etwa zwei bis drei Tage dazu. Mit der Zerstörung des übergekrümmten Be-reichs waren alle Arltra-Ranger und ihre Werkzeuge von der Basis verschwunden. So-gar der Energiespaten, den Pit am Gästehaus abgelegt hatte, war nicht mehr da. Über die Energiespur war alles in das Universum jen-

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seits des Tores zurückgekehrt.

Die Roboter kümmerten sich um nichts an-deres als die Wiederherstellung der wertvol-len Quelle. Auch Born besaß starkes Interesse daran. Wie mein Auftrag im einzelnen abge-laufen war, wollte er nicht wissen.

Ich schritt hinüber zum Felsmassiv, wo das Ei aus leuchtenden Sechsecken reglos über dem Boden hing. Ein paar kleine Tiere, die von dem Licht angelockt worden waren, sto-ben bei meinem Erscheinen auseinander.

»Schon eine Spur von Anti-ES?« fragte ich. Born verneinte telepathisch.

Ich rechne ständig mit seinem Erscheinen, meinte er. Dann bleibt mir nur die Flucht!

»Du hast es gut«, entgegnete ich. »Mir bleibt nicht einmal die. Ich muß hierbleiben und versuchen, mich seinen Nachstellungen zu entziehen. Es wird mir schwerfallen, denn ich habe meinen besten Helfer verloren, Kik.«

Es mußte sein, Atlan. Kik hatte eine Aufga-be, und er hat sie abgegeben an Sanny. Du darfst deshalb nicht traurig sein. Du wirst andere Freunde finden. Freunde gibt es über-all. Man darf sie nur nicht übersehen.

Born versuchte mir Mut zu machen, und ich war ihm dankbar dafür. Die Ereignisse auf der Basis hatten mich zudem ein wenig von der vergangenen Zeit abgelenkt, in der ich untätig durch die Namenlose Zone gestreift war. Das Eingreifen der Arltra-Ranger war nicht unbemerkt geblieben.

Anti-ES würde wieder erscheinen. Ich konnte mich verstecken, doch es fehlte

mir Leitgeist, der meinen Körper imitierte und der Superintelligenz vormachte, ich sei tot. Es fehlte mir Kik, der immer dann aufgetaucht war, wenn ich mich in Not befand. Und es fehlte mir natürlich Born, der nicht stark ge-nug war, um in einer direkten Auseinander-setzung mit Anti-ES bestehen zu können.

»Was hast du herausgefunden?« wollte ich wissen. »Du hast auf der Suche nach Chybrain die Namenlose Zone durchstreift. Welche Entdeckungen hast du gemacht?«

Ich werde es dir sagen. Irgendwann, teilte Born mir mit. Jetzt nicht, denn wenn Anti-ES kommt, dann entreißt es dir das Wissen, und das wiederum würde mich in Gefahr bringen. Du mußt dich also ein wenig gedulden.

Er bewegte sich von dem Felsmassiv weg

und trieb in Richtung des hinteren Teils der Landschaft davon. Ich folgte ihm um das Gäs-tehaus herum, bis er anhielt.

Die Lichtquelle ruft uns, Atlan. Sie möchte sich bedanken!

»Dann laß uns zu ihr gehen!« Wozu? Das war der Extrasinn. Sie kann

sich doch nicht akustisch bemerkbar machen! Die Lichtquelle empfindet Freundschaft für

uns, eröffnete Born. Sie macht keinen Unter-schied zwischen mir, dir und dem Extrasinn. Sie hält uns für Wesen, die hilfsbedürftig sind, doch nur über mich weiß sie, wie sie mir hel-fen kann. Und dem Extrasinn hat sie schon einmal geholfen. Und damit auch dir, Atlan.

»Wie will sie dir helfen, Born?« Sie will mir einen Körper aus Jenseitsmate-

rie bauen lassen. Sie ist bereit, diese zur Ver-fügung zu stellen. Aber sie weiß ebenso wenig wie ich selbst, wie ein solcher Körper ausse-hen könnte.

Ich spürte, wie ich Feuer fing und mir das Blut in den Kopf stieg und meine Wangen mit Hitze übergoß.

Einen Körper für Born. Das war etwas Neues, Umwerfendes. Ohne zu überlegen, sagte ich laut:

»Du sollst einen Körper haben, mit dem du allem überlegen bist, was sich dir in den Weg stellt. Anti-ES soll erblassen, wenn es zu-rückkehrt und dich sieht!«

Du willst mir den Körper bauen? »Ja. Aber du mußt meine Gedanken an die

Lichtquelle übermitteln. Und wir brauchen die Roboter, um die wichtigsten Teile zu-sammenzufügen!«

Ein bestätigendes Ziehen war in meinem Kopf, und Born teilte mit: Die Lichtquelle wird die Informationen direkt aus deinem Gehirn nehmen.

*

Kurz darauf begannen wir unser Werk. Wir

hatten uns in der Nähe der Lichtquelle ver-sammelt, und die Roboter unter Pits Leitung warteten auf meine ersten Anweisungen.

Ich hatte mich auf den Boden gesetzt und den Kopf in die Hände gestützt. Ich dachte nach. Born tauschte mit mir Gedanken aus und brachte eigene Überlegungen ein. Das

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Wichtigste für ihn bezeichnete er mit dem Wort Heimstatt. Er meinte nicht sich selbst, sondern dachte unausgesetzt an Chybrain, den Sohn.

»Gut«, sagte ich. »Ich konstruiere dir einen Körper, der dich mit allen Mitteln ausstattet und auch eine Heimat für Chybrain ist.« Wir hofften alle drei, daß das Kind eines Tages wieder unseren Weg kreuzen würde.

Ich stellte mir vor, daß das Äußere des rie-sigen Körpers für Born ein Abbild seiner wahren Gestalt sein mußte, ein langes, leuch-tendes Oval aus lauter Sechsecken. In seinem Innern konnte ich neben den lebenserhalten-den Einrichtungen andere Dinge unterbringen, die wichtig waren. Schutzschirme, verschie-dene Antriebssysteme und ein Netz zur men-talen Befehlsübermittlung waren das mindes-te. Born selbst brachte aus seinem Wissen, über das er als ehemaliger Teil von Anti-ES verfügte, etliche Ideen und Hinweise auf be-sondere Maschinen und Aggregate mit ein, denen die negative Superintelligenz im Lauf ihres Wirkens begegnet war.

Und so stellte sich in stundenlanger, mühe-voller Arbeit heraus, wie der Körper für Born aussehen sollte. Im Zentrum würde eine ku-gelförmige Zentralzelle ruhen, der eigentliche Bereich Borns. Innerhalb der Außenhülle aus Jenseitsmaterie würden alle anderen Anlagen geschaffen, Lebenserhaltungssysteme für freiwillige oder unfreiwillige Besucher, Steu-eranlagen, autarke Energieversorgungen, ein Dimensionsmobil für Überlichtflug und Di-mensionswechsel sowie einen Realhyperpul-sator für den Unterlichtflug. Vorratskammern und der Hyperreduktor für den absoluten Or-tungsschutz mußten ebenso hineinpassen wie der Heptatrafer, der die Energie für alle Sys-teme lieferte. Er bereitete uns die meisten Schwierigkeiten, aber hier half uns die Licht-quelle, die ihn so konstruierte, daß er die E-nergie hauptsächlich aus einer Existenzebene abzog, die uns unbekannt war und auch von der Quelle der Jenseitsmaterie nicht präzisiert werden konnte. Sie versicherte lediglich, daß diese Ebene sowohl in der Namenlosen Zone als auch in anderen Bereichen des Univer-sums erreichbar sei.

Wir vergaßen die Prallfelder und ihre Ge-neratoren nicht, ebensowenig die Braincircu-

its für die mentale Befehlsübermittlung. Und natürlich erhielt der Körper eine »Heimstatt des Sohnes«, einen kleinen Bereich in der unteren Hälfte, ziemlich nahe an der Außen-wandung gelegen. Ganz in seiner Nähe be-fanden sich die Hangars für eine Unzahl von Robotern, die nach Borns Wunsch menschli-che Formen erhalten sollten.

Blieb noch der Gasdruck-Kompensator. Die Idee war mir ganz unvermutet gekommen und basierte auf der Vorstellung, dem Körper ein noch größeres, gewaltigeres Aussehen zu ge-ben. Ich dachte an Frösche, die ihren Kehl-sack aufbliesen oder an Fische, die sich mit Wasser vollpumpten und dadurch zu einer riesigen Kugel aufquollen, um ihre natürli-chen Feinde zu erschrecken und zu verjagen. Der Gasdruck-Kompensator schuf mit Hilfe eingelagerten Ammoniak-Methan-Gemischs eine kugelförmige Hülle um den Körper, die in ihrer größten Ausdehnung etwa zwanzig-tausend Kilometer Durchmesser erreichte. Ein unsichtbares Energiefeld würde diese Hülle weitgehend festhalten. Das ausgeströmte Gas konnte wieder eingesaugt werden, bis auf einen Rest, der z.B. bei der Erstellung eines Kometenschweifs verlorenging.

Born würde zu einer beeindruckenden Er-scheinung überall da werden, wo er auftauch-te.

Ein zusätzlicher Spezialheptatrafer für ei-nen Umkehr-Fiktivtransmitter füllte weiteren Raum, der bisher noch leer gewesen war.

Insgesamt erhielt der künstliche Körper ei-ne Länge von 2024 Metern und einen größten Durchmesser von 1236 Metern.

Die Lichtquelle nahm die Produktion auf. Born und ich bildeten mit ihr einen Gedan-kenverbund, und der positive Teil der Super-intelligenz formte mit seiner geistigen Kraft und der Unterstützung der Lichtquelle alle Einrichtungen und den Eikörper.

Die Quelle sprudelte die Jenseitsmaterie nur so heraus, und die Roboter stürzten sich mit Begeisterung auf die Einzelteile, um sie in der Weise zusammenzusetzen, wie es ihnen gesagt worden war. Langsam, Stunde für Stunde, wuchs das riesige Gebilde empor. Die Einzelteile waren genau passend gefertigt, es gab keine Verzögerungen. Zwanzig Stunden rechnete ich, dann war der riesige Körper fast

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fertig. In einer separat geformten Halterung lag er senkrecht auf der Oberfläche und ragte in den Himmel hinein. Lediglich sein Unter-teil ruhte auf der Basis, der Rest reckte sich weit in den Weltraum der Namenlosen Zone hinein, und Pit schuf zu diesem Zweck eine nahtlos anschließende Strukturlücke. Schließ-lich war die Basis des Ersten Zählers nur halb so lang wie Borns neuer Körper und nur ein Viertel so breit. Die lichte Höhe des Energie-schirms über der Landschaft betrug rund hun-dertzwanzig Meter.

Die Roboter arbeiteten wie lange nicht mehr. Sie entwickelten regelrechten Eifer, und die Niedergeschlagenheit, die sie seit dem Verschwinden ihres Herrn befallen hatte, schien verflogen.

Niemand störte den Bau, und nach dreißig Stunden zog Born in den Mittelpunkt des Ei-körpers ein und machte sich mit den Funktio-nen vertraut. Ich begleitete ihn und sah zu, wie er es sich in seiner Unterkunft bequem machte.

»Zufrieden?« fragte ich. Du hast mir sehr geholfen, bestätigte er. At-

lan, ich danke dir. »Ich habe dir zu danken«, erwiderte ich.

»Und wenn es nur eine winzige Erkenntnis ist, die ich gewonnen habe.«

Welche denn? »Daß ich hier in der Namenlosen Zone

meinen Platz und meine Aufgabe habe. Noch immer!«

Siehst du! meldete sich der Extrasinn. End-lich hast du es erfaßt. Deine Zeit, die dreizehn Jahre, waren nicht umsonst. Auch die Zukunft wird auf dich angewiesen sein, glaube es mir!

»Viel Glück, Born! Kehre bald zurück!« vermittelte ich dem Ei. »Ab und zu kommst du und hilfst mir aus der Klemme!«

Ich kehre zurück, versprach Born. Zunächst jedoch werde ich zu einem Testflug aufbre-chen. Du solltest hinausgehen.

Ich tat es und begab mich in sichere Entfer-nung. Ich beobachtete, wie das riesige Ei sich langsam vom Boden löste und in die Dunkel-heit hinaufzog, während der Schutzschirm sich immer weiter um den kleiner werdenden Rumpf zusammenzog und sich dann schloß. Noch einmal erreichte uns ein geistiger Im-puls von Born.

Der neue Körper trägt auch neue Namen. Merkt sie euch gut. In der Zukunft wird man von Wöbbeking und von Nar’Bon sprechen. Atlan, ich danke dir. Dir und deinem Extra-sinn!

Lichtquelle! dachte ich konzentriert. Hörst du mich? Auch dir gehört dieser Dank. Ohne dich wäre Wöbbeking-Nar’Bon nicht möglich gewesen.

Sie hat sich wieder in sich zurückgezogen, sagte der Extrasinn.

Ich beobachtete die Roboter, die ihre Repa-raturarbeiten fortsetzten und anschließend den tiefen Graben zuschütteten und das Gelände um die Quelle der Jenseitsmaterie einebneten.

»Ich mußte auch noch mit anderen Dingen rechnen«, erwiderte ich. »Damit, daß ich ge-braucht werde, zum Beispiel. Und unter wel-chen Voraussetzungen!«

Es schien, als habe sich nichts verändert zu früher.

Die Lichtquelle schwieg, und ich war mit den Robotern allein.

*

Ich war den Turm emporgeklettert und hat-

te die Landschaft von oben betrachtet. Nichts außer einem dunklen Streifen um die Licht-quelle erinnerte an den Vorfall mit den Jen-seitsbohrern. Und von Born war lediglich das Gestell des neuen Körpers geblieben. Auch es bestand aus Jenseitsmaterie, und ich trug den Robotern über Funk auf, es zur Lichtquelle hinüberzuschaffen und zu versuchen, ihr das überfällige Material zurückzugeben. Die Quelle der Jenseitsmaterie reagierte nicht. Dafür lösten sich die Streben und Konstrukti-onen vor meinen Augen in Nichts auf, und ein helles Glühen des Doms zeigte, daß dieser die manifestierte Energie auf seine Weise zu-rückgeholt hatte.

Es ist ein wunderbares Geschenk, das die Lichtquelle Born gemacht hat, rührte sich mein Extrasinn. Und wir durften daran teil-haben.

»Es ist vor allem ein wichtiges Geschenk«, sagte ich. »Wir werden es in der Zukunft se-hen. Born selbst hat es angedeutet. Was mö-gen die beiden Namen bedeuten? Wöbbeking und Nar’Bon?«

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Der abgespaltene positive Teil hatte uns

nicht mitgeteilt, warum er sich so nennen wollte. Er hatte auch nicht gesagt, ob dies nur Namen für seinen neuen Körper sein sollten oder auch neue Namen für ihn selbst.

Es spielte vorläufig keine Rolle. Born wür-de nach seinem Testflug zurückkehren und dann seine Suche nach Chybrain aufnehmen. Ich glaubte, daß er allein gehen würde. Er würde mich auf der Basis zurücklassen.

Ich stieg den Turm hinab und schritt den Weg entlang, der zu einem der Bunker führte, einer der wenigen Waffenstationen, die es an der Oberfläche der Landschaft gab. Die Robo-ter kamen mir entgegen. Sie umringten mich, und Pit packte mich am Arm.

»Komm mit, Atlan!« sagte er schroff. »Was ist denn los?« rief ich aus. Eine Ah-

nung keimte in mir auf. »Du hast keine Fragen zu stellen«, antwor-

tete der Roboter. »Anti-ES!« schrie ich. »Bist du zurückge-

kehrt?« Ein Lachen brandete über der Landschaft

auf. Ich erkannte, daß sich die negative Super-intelligenz mit ihrer Aura bereits in der Basis niedergelassen hatte und diese mit allen tech-nischen Einrichtungen beherrschte. Sie gab den Robotern die Befehle, und diese führten mich hinab in das Innere des Raumschiffs und sperrten mich in einer kleinen Zelle unweit der Zentrale ein.

»Hast du geglaubt, du könntest mir ent-kommen, du Wicht?« lachte Anti-ES. »Wie in früheren Zeiten war es nur ein kleiner Auf-schub für dich. Ich hatte Wichtiges zu tun und keine Zeit, mich um dich Winzling zu küm-mern. Jetzt aber werden wir abrechnen!«

»Du solltest mir dankbar sein«, sagte ich. »Fremde wollten die Lichtquelle stehlen, auf die du so sehr angewiesen bist!«

Die Superintelligenz schwieg für eine Wei-le verblüfft.

Sie hat keine Ahnung, was inzwischen auf der Basis geschehen ist, stellte der Extrasinn fest. Aber sie wird sich die Informationen schnell von den Robotern holen!

Tatsächlich dauerte es nicht lange, da mel-dete Anti-ES sich erneut.

»Ich weiß jetzt, welche Teufeleien du aus-geheckt hast, Arkonide. Aber all das wird dir

nichts nützen. Ich habe die Macht und die Mittel, meine Drohung endgültig wahrzuma-chen. Ich werde dich ein für allemal deines Körpers berauben!«

»Du hast es schon einmal vergeblich ver-sucht!« lachte ich trotzig. Ich wollte Zeit schinden, aber es merkte das.

»Du hoffst umsonst, Atlan. Ich habe die Falle für Born bereits aufgebaut. Er wird nach seinem Testflug hierher zurückkehren. Es wird sein letzter Flug gewesen sein. Ich werde den Riesenkörper für mich selbst beanspru-chen!«

Die Gefahr besteht, wisperte mein Extra-sinn. Mit Wöbbeking wird Anti-ES ein Stück mächtiger. Wir haben ihm unabsichtlich in die Hände gearbeitet. Dennoch, es gibt eine Möglichkeit!

»Welche?« Ich fieberte. Entspanne dich und stelle mir deine gesam-

te Konzentrationsfähigkeit zur Verfügung! Ich spürte, daß der Extrasinn sich in sich

selbst zurückzog und sich konzentrierte. Ich wollte an die unsichtbaren Bande denken, die ihn mit Born verknüpften. Die spinnfadenähn-liche Spur zwischen den Jenseitsbohrern und ihrem Übergangsort fiel mir ein. Gab es etwas Ähnliches, nicht Meßbares zwischen Born und dem Extrasinn?

Das Lachen in meiner Zelle schwoll zu ei-nem nervenbetäubenden Dröhnen an. Unwill-kürlich preßte ich die Hände auf die Ohren, aber es half nichts.

»Du bist wehrlos!« brüllte Anti-ES erhei-tert. »Begreifst du das noch immer nicht?«

Mir wurde schwindlig. Ich begann die Kon-trolle über meine Gliedmaßen zu verlieren und mußte aus feuchten Augen mitansehen, wie meine Arme und Beine Bewegungen aus-führten, deren Befehle sie nicht von meinem Gehirn erhielten. In meinem Innern fingen Prozesse an, meinen Körper auf die Auflö-sung vorzubereiten, und der Zellaktivator ver-stärkte seine Tätigkeit um das Dutzendfache. Er versuchte mit aller Gewalt, die Erschei-nungen zu kompensieren und schaffte es auch. Wenn Anti-ES jedoch stärker angriff, war auch er machtlos.

Ich schwieg und hoffte nur. Langsam wur-de mir schwarz vor den Augen, und ich stürz-te zu Boden. Ein helles Singen setzte sich in

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meinen Ohren fest.

Extrasinn! flehte ich. Tu etwas! Rufe die Lichtquelle!

Die Lichtquelle rührte sich nicht. Sie sandte mir kein zweites Mal eine Aura, die verhin-derte, daß Anti-ES aus mir ein Manifest machte, wie es mit Jant-Zount und anderen Zählern geschehen war. Vielleicht benötigte es auch Körpersubstanz, um einen neuen An-ti-Homunk zu formen.

Benjamin Vouster! zuckte ein Name durch mein Gehirn. Ein höhnisches Lachen kam als Antwort.

»Etwas Ähnliches wird dir widerfahren!« sagte Anti-ES. »Du wirst alle Höllen des Diesseits und des Jenseits erle...«

Die Worte gingen in einen Schrei über. Plötzlich wich die Last von meinem Körper. Ein Kreischen und Ächzen ging durch die Basis, dann herrschte Totenstille.

Es ist geschafft! jubelte der Extrasinn. Er hat es geschafft!

»Born!« hauchte ich erschöpft. »Was tut er?«

Merkst du, wie die Basis schwankt? Ich schüttelte den Kopf. Ich merkte nichts.

Die Andruckneutralisatoren glichen im Innern alles aus.

Born ist da. Er eilt mit seinem Gasfeld durch die Basis und treibt Anti-ES davon. Ich spüre, wie die Aura des Bösen verschwindet. Nein, Born spürt es, aber er läßt es mir zu-kommen! Jetzt ist er hindurch.

»Die Falle!« ächzte ich. »Er darf nicht ...« Er hat davon gewußt, durch mich. Unbe-

wußt bestand eine Verbindung zwischen ihm und mir. Er hat die Falle umgangen und Anti-ES vertrieben!

Die bestehende geistige Verwandtschaft zwischen dem Extrasinn und Born hatte sich erneut bewährt.

Ich richtete mich langsam auf, da kam nochmals die wütende Stimme von Anti-ES durch.

»Noch ist nichts entschieden!« keifte die Superintelligenz. »Ich werde mir Wöbbeking holen. Darauf könnt ihr euch verlassen!«

Es ist nichts als eine Behauptung, klang die andere, freundliche Stimme in mir auf. Sie war so anders und doch von gleichem Tonfall. Deutlich war herauszuhören, daß Born eben

ein Teil von Anti-ES gewesen war und noch immer war. Mehr als die genetische Ver-wandtschaft oder Abstammung war da jedoch nicht. Es gab keine weiteren Übereinstim-mungen.

Wie kommst du zurecht? erkundigte sich der Extrasinn.

Ich beherrsche den neuen Körper ohne Schwierigkeiten, antwortete Born. Er wird mir wertvolle Dienste leisten.

Seine Stimme war bei diesen Worten im-mer leiser geworden.

»Du entfernst dich!« stellte ich fest. »Du bleibst nicht hier?«

Eine Weile werde ich noch brauchen, um alle Einzelheiten Wöbbekings auszuprobieren. Ich werde mein erstes und oberstes Ziel ver-folgen und nach unserem gemeinsamen Kind suchen. Chybrain darf nicht verloren gehen. Lebt wohl!

Leb wohl, erwiderte der Extrasinn traurig. Und auf Wiedersehen!

Dann war Born enteilt, und ich wußte, daß es diesmal für einen längeren Zeitraum sein würde, wenn uns nicht der Zufall irgendwo in der Namenlosen Zone zusammenführte. Born wollte die Suche nach Chybrain intensivieren. Ich war sicher, er würde sie nicht aufgeben, bevor er den Sohn nicht gefunden hatte.

»Und wir?« fragte ich. »Was tun wir?« Natürlich. Wir hatten die Basis. Mit ihr

konnten wir nach wie vor ewige Zeiten durch die Namenlose Zone streifen und nach An-haltspunkten suchen. Nach Helfern und nach Himmelskörpern. Es war schwierig in dieser Zone, die keinen einzigen Stern an ihrem Himmel aufzuweisen hatte. Falls es überhaupt ein Himmel nach üblichen Vorstellungen war.

Du irrst. Jetzt hat sie einen Stern. Einen einzigen. Er leuchtet in seinem Gasmantel. Es ist Born!

»Also gut. Wenn das ein Stern ist. Hat er auch Planeten?«

Ich schritt zur Tür und prüfte die Verriege-lung. Danach legte ich ein Ohr an das kalte Metall. Ich hörte stampfende Schritte, die sich näherten. Zufrieden nickte ich.

Kurz darauf öffnete sich die Tür. Pit stand vor mir, drei weitere Roboter begleiteten ihn.

»Anti-ES hat keine Macht mehr über uns«, erklärte er. »Wir sind gekommen, um dich zu

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befreien!«

Er ließ mich hinaus und folgte mir zur Zentrale.

»Ich weiß es bereits, was sich ereignet hat«, sagte ich zu ihm. »Es ist nett von euch, daß ihr zuerst an mich gedacht habt!«

»An wen hätten wir sonst denken sollen?« fragte Pit mit roboterhafter Logik. Klang sei-ne Stimme nicht überaus weinerlich? »Du bist ja der einzige, den wir noch haben!«

Ich erwiderte nichts, dachte mir jedoch meinen Teil. Wenn mir die Maschinen des Ersten Zählers nicht ab und zu ein wenig nützlich gewesen wären, hätte ich sie sowieso längst desaktiviert und eingemottet. Zum Ro-boterpsychologen fühlte ich mich nämlich nicht berufen.

Ein paar Minuten später stand ich wieder vor dem nichtssagenden, schwarzen Bild-schirm, und die Basis eilte mit gleichbleiben-der Geschwindigkeit durch die Namenlose Zone.

Der Anblick unterschied sich durch nichts von dem, der sich mir vor all den Ereignissen geboten hatte.

»Ist eigentlich etwas vorgefallen?« erkun-digte ich mich scheinheilig. Pit bildete mit seinem Körper so etwas wie ein Fragezeichen. »In den letzten Tagen?«

»Atlan leidet unter den Nachwehen der Mnemo-Löschung!« rief Rond von seinen Meßgeräten herüber. »Du solltest ihm alles ausführlich erzählen!«

»Nein, nein!« wehrte ich hastig ab. »Es war nur ein Scherz. Ich weiß, daß die Mnemo-Löschung nicht mehr wirkt!«

Ich merkte, daß ich abgekämpft und müde war. Ich übergab Pit das Kommando und in-struierte ihn, mich sofort wecken zu lassen, wenn es zu einer Unregelmäßigkeit kam. Dann zog ich mich in eine Kabine in der Nähe der Zentrale zurück und legte mich aufs Ohr.

Ich wünschte mir noch, daß ich etwas An-genehmeres träumen würde. Von früher. Ein Erlebnis von der SOL. Oder ein Abenteuer mit Born, das in einer glücklicheren Zukunft lag.

Ich fiel in einen tiefen Schlaf. Er war traumlos und erfrischend.

8. Ruckartig richtete ich mich auf. Ich spürte,

wie der Kontakt zu Wöbbeking abbrach. Ein letztes Wehen seiner Stimme blieb in mir zu-rück. Es klang wie »Bis bald!«, doch beruhig-te es mich nicht. Die Eile, mit der er sich zu-rückzog, ließ Befürchtungen in mir aufkom-men.

Um mich herum waren sorgenvolle Gesich-ter, wie immer, wenn ich aus dem temporären Reinkarnationseffekt erwachte. Ich sah Bjo, Tyari, Vorlan und Uster Brick. Hage und Blödel standen ein wenig abseits, schienen meiner Erzählung jedoch nicht weniger auf-merksam gelauscht zu haben. Meine Augen suchten Iray, doch sie war nicht da.

»Alles in Ordnung?« fragte Breiskoll. Ich nickte.

»Wie immer. Ihr seid es ja inzwischen ge-wohnt!«

Der Roboter Blödel näherte sich, und ich mußte an Pit denken und lachen, obwohl Pit fast menschenähnlicher gewesen war als diese wandelnde Positronik unseres Galakto-Genetikers, dieser humoristische Blechhau-fen.

Endlich war mir ein Teil der Zusammen-hänge vollständig klar. Ja, das Bild verdeut-lichte sich mit dem Wissen des zu Ende ge-gangenen Effekts derart, daß ich nicht wußte, wo ich anfangen sollte. Da war Sanny, die ich nicht in der Zentrale der CHYBRAIN erblick-te. Da war ARCHITEKT, bei dem es sich um Hidden-X handelte.

Und da war natürlich auch Wöbbeking-Nar’Bon. Und Chybrain selbst, der nun nicht mehr unter uns weilte.

Endlich wußte ich, warum Wöbbeking im-mer wieder verlangt hatte, ich solle mich um Chybrain kümmern. Er war unser gemeinsa-mes Kind. Er war damals verschwunden und war später als Karjanta auf der SOL aufge-taucht. Er hatte indirekt Elvin Glador und die SOLAG mit an die Macht gebracht. Über Chybrain hatte ich seit unserer ersten Begeg-nung in der SOL nie viel gewußt, und es gab dafür nur eine Erklärung. Nach meinem Auf-enthalt bei den Kosmokraten mußte ich das Versprechen bezüglich Chybrain und vieles andere wieder vergessen haben.

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ATLAN 118 – Die Abenteuer der SOL

Die Wege des Schicksals und die Pfade der

Entwicklung waren verschlungen und un-durchsichtig. Manchmal nahmen sie tragiko-mische Züge an.

»Ich habe alles gespeichert«, blubberte Blödel neben mir. »Für den Fall, daß SENE-CA etwas damit anfangen kann!«

SENECA! Die SOL war irgendwo in der Dunkelwolke oder auf dem Weg dorthin. SE-NECA stand unter dem Einfluß des Manifests Erfrin. Das Schiff war zum Untergang verur-teilt, wenn wir nicht rasch halfen.

»Anti-ES!« sagte ich laut und blickte die Umstehenden an. »Nun weiß auch der dümmste, welche Absichten es noch immer verfolgt!«

»Es will Wöbbeking in seine Gewalt brin-gen«, nickte Bjo. »Deshalb zeigt sich Born nicht in unserer Nähe, sondern nimmt von irgendeinem Versteck geistigen Kontakt mit dir auf!«

»Er hat sich abrupt zurückgezogen! Es muß Gefahr für ihn bestehen!«

Anti-ES war kein primär machtbesessenes Wesen, wie Hidden-X es gewesen war. Ich empfand Genugtuung bei dem Gedanken, daß es der Spiegelung einer anderen Superintelli-genz niemals gelungen war, die Quelle der Jenseitsmaterie an sich zu reißen, nach der sie getrachtet hatte.

Wäre es ihr gelungen, hätte die Entwick-lung im Normalraum eine andere Richtung genommen! warf der Extrasinn ein.

Es hieß, daß Born und ich dafür verant-wortlich zeichneten, daß es nicht geschehen war. Dafür hatte Anti-ES seine Macht weiter ausgedehnt. Es wirkte bis nach Xiinx-Markant und plante seine Erhebung gegen die Hohen Mächte und die Aufhebung seiner Verbannung in die Namenlose Zone. Teilwei-se mußte sein Agieren bereits Erfolg gehabt haben, denn sonst hätte es nicht mit Hilfe von dem neu geschaffenen Anti-Homunk in dieser Galaxis wirken können. Wöbbeking fehlte ihm als die letzte Kraft, die es zum Erreichen seines nächsten Zieles benötigte.

Ich teilte meine Gedanken mit, und Hage stimmte mir vorbehaltlos zu.

»Es darf nie geschehen!« sagte er. »Wir al-le müssen dafür sorgen, daß Wöbbeking nie die Dunkelzone betritt! Auch du, Atlan!«

Es war selbstverständlich. Wir würden der negativen Superintelligenz einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen.

Wir durften nicht zögern. »Wir fliegen weiter in Richtung der Quelle

der Mentalstrahlung«, sagte ich. »Versucht, einen Kontakt zur SOL herzustellen!«

Nach dem Abschluß der Ereignisse im Em-tau-System war es Bjo nicht mehr gelungen, Sternfeuer auf der SOL telepathisch zu errei-chen. Jetzt, wo wir seit Stunden im Leerraum hingen, hatte er noch immer keinen Erfolg.

Es war, als hätte der Teufel seine Hand im Spiel.

»Nun, da wir das Wissen besitzen, wie man ein Manifest zerstören kann, ohne das in ihm gebundene Bewußtsein des betreffenden Zäh-lers zu töten, ist es uns nicht möglich, dieses Wissen an die SOL weiterzugeben«, stellte ich zerknirscht fest. »Bjo, du kümmerst dich weiter um einen Kontakt zu Sternfeuer!«

Breiskoll senkte zustimmend den Kopf und zog sich in einem Winkel der Zentrale zurück.

»Wir anderen können nur die Augen offen-halten!« fügte ich hinzu.

Ich stand auf und ging zum Bildschirm hin-über. Obwohl die Phasen der temporären Re-inkarnation nie länger dauerten, als ich zur Erzählung meiner Erlebnisse brauchte, kam es mir vor wie eine Ewigkeit, und ich genoß den Anblick des sternenübersäten Himmels der fremden Galaxis Xiinx-Markant. Hier herrschte Leben, wenn es auch ein gezwungen kriegerisches war.

Langsam ging ich zum Ausgang. Ich wollte Sanny aufsuchen. Ich mußte mit der Molaatin sprechen. Alles in mir drängte danach, ihr endlich die Wahrheit über jene Zeit ihres Le-bens zu berichten, die sie aufgrund der Ereig-nisse auf der Basis ganz vergessen hatte. Sie mußte erfahren, daß Hidden-X ihr Volk noch auf ganz andere Weise ausgenutzt hatte, als ihr dies bekannt war. Warum sie mir vor kur-zer Zeit einmal in der Gestalt Kiks gegenü-bergestanden war, hatte sich durch den Tod des Seesternartigen und das Übertreten einer unbekannten Kraft geklärt. Auch Sannys pa-ramathematische Fähigkeiten resultierten dar-aus.

Wohl immer ein Geheimnis würde bleiben, wer Kik gewesen war und in wessen Auftrag

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er gehandelt hatte. Auch hier hegte ich einen Verdacht, daß die Hohen Mächte ihre Hand im Spiel hatten und also doch nicht so unwis-send über die Vorgänge in der Namenlosen Zone waren, wie ich während meiner Erleb-nisrückblenden manchmal annahm. Genaues herauszufinden, war mir in der Gegenwart wohl kaum möglich. Vielleicht stieß ich im Lauf meiner weiteren Nachforschungen in der Dunkelzone oder an einem anderen Ort dieser Galaxis auf einen Hinweis. Oder ich fand ihn in der Namenlosen Zone.

Und ich hoffte, daß mich irgendwann in der Zukunft ein Vorgang in die Lage versetzen würde, auch all das in die Erinnerung zurück-zuholen, was ich bei den Kosmokraten und in ihrem Auftrag erlebt hatte.

Irgendwann mußte auch dieser Zeitpunkt kommen.

Ich traf Sanny in ihrer Kabine und unter-hielt mich über eine Stunde mit ihr. In dieser Zeit hatten die beiden Beiboote der SOL das Emtau-System weit hinter sich gelassen, in dem sich die Kalackter aus unbegreiflichen Gründen und bei einem absehbaren Sieg über unser Häuflein zurückgezogen hatten. Die CHYBRAIN und die FARTULOON strebten dem neuen Ziel entgegen.

Sanny sagte lange nichts. Schließlich faßte sie nach meiner Hand und drückte sie so kräf-tig, wie es ihr kleiner Körper ihr erlaubte.

»Ich danke dir sehr, Atlan«, zwitscherte sie. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie es mich die ganze Zeit bedrückt hat, nur einen Teil meines Lebens zu kennen und doch zu wis-sen, daß ich in Wirklichkeit biologisch älter war, als meine Erinnerung zurückreichte. Hidden-X hat uns also zu Kampfmaschinen umfunktioniert und in die Namenlose Zone geschickt!«

»Doch, ich kann es mir vorstellen!« lächel-te ich. »Ich war schließlich dabei! Ich sah dich an mir vorbeieilen und etwas von einem Spielzeug rufen! Du hast Kik wohl für ein Tier gehalten.«

»Und er hat mir das Leben gerettet. Der Treue!«

Instinktiv verwendete sie dieselben Worte,

die sie zu Kik gesagt hatte, als dieser im Ster-ben lag und sie um einen letzten Gefällen bat. Ich sah den Schmerz in ihren Augen, daß sie selbst keine Erinnerung daran hatte und allein auf das angewiesen war, was ich ihr berichtet hatte.

»Trage es tapfer«, meinte ich. »Du hast dich an meinen Namen erinnert und auf mein Erscheinen gewartet. Du hast Kiks Aufgabe bisher so erfüllt, wie er es nicht besser hätte tun können!«

Es war ein schwacher Trost, aber die kleine Sanny würde darüber hinwegkommen.

»Wir fliegen weiterhin die Strahlungsquelle an, ganz wie Tyari und du es gewollt haben«, sagte ich, und für einen Augenblick huschte ein erleichtertes Lächeln über ihr Gesicht.

Ich ließ Sanny allein und nahm es ihr nicht übel, wenn sie sich für ein paar Stunden nicht um die Situation der beiden Beiboote der SOL kümmern würde. Ja, ich gab Anweisung, sie auf keinen Fall zu stören. Ich wollte ihr Zeit lassen, das Gehörte zu verarbeiten. Vielleicht würde sie der Gedanke glücklich machen, schon seit langer Zeit für eine gute Sache da zu sein und zu kämpfen.

Was ist gut? »Schweig!« herrschte ich den Extrasinn an.

»Es liegt nicht in unserer Macht, diese Frage zu beantworten. Gut ist meistens das, was einem selbst nichts nützt!«

Dann kehrte ich in die Zentrale der CHYBRAIN zurück. Bjo erwartete mich schon.

Bei den anstehenden Problemen würde er auf meinen Rat kaum verzichten wollen. Als er mein Grinsen sah, meinte er:

»Die Einsamkeit der Namenlosen Zone scheint endgültig verflogen zu sein, nicht wahr?«

»Ich habe mich wieder an euch gewöhnt. Nicht wahr?« gab ich zurück.

Ich wußte, daß ich den flachen Körper mit seinen fünf Extremitäten und den großen, treuherzigen Augen nie würde vergessen kön-nen.

ENDE

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ATLAN 118 – Die Abenteuer der SOL

Weiter geht es in Band 119 der Abenteuer der SOL mit:

Planetoid der Forscher von Kurt Mahr

Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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