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DasHoroscop.Romanvon

AlexanderDumas————————————

Ausdemfranzösischenvon

Dr.G.Fink

Stuttgart.Frankh'scheVerlagsbuchhandlung.

1859DruckderK.HofbuchdruckereizuGuttenberginStuttgart.

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Inhaltsverzeichnis

DasHoroscop.ErsterBandProlog.I.DieLandimesse.II.Worinerklärtist,warumes,wenn'samSt.Medardustagregnet,vierzigTagespäterregnet.III.DasWirthshauszumrothenRoß.IV.DieReisenden.I.TriumphzugdesPräsidentenMinards.II.DasGeburtsfestdesPräsidentenMinard.III.DasGeburtagsgeschenkdesPräsidentenMinard.IV.BeidenHugenotten.V.AmFußdesneuenThurmes.VI.DieSirene.VII.DieTugenddesFräuleinsvonSt.André.VIII.DerSaalderVerwandlungen.IX.DieToilettederVenus.ZweiterBand.IDiebeidenSchotten.II.WassichuntereinemBettzutragenkann.III.DiePortenderKöniginMutter.IV.MarsundVenus.V.WoHerrvonJoinvillegenöthigtistseinschlimmesAbenteuerzuerzählen.

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VI.EineheiserKehle.VII.Tire-laineundtire-soie.VIII.WiedieMutter,soderSohn.IX.WoHerrvonCondédemKönigAufruhrpredigt.X.WorinderKönigseineAnsichtinBetreffdesHerrnvonCondéunddesRathesAnneDubourgändert.XI.Kriegserklärung.XII.DerSohndesVerurtheilten.XIII.AusdenKinderschuhenXIV.WasderKopfdesPrinzenvonCondéwog.

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G

ErsterBand

Prolog.

I.

DieLandimesse.

egen Mitte Juni des Jahres 1559, an einemherrlichen Sommermorgen, drängte sich eine

Volksmenge,diemanetwaaufdreißigbisvierzigtausendPersonenschätzenkonnte,aufdemSankt-Genovefaplatzzusammen.Ein Mensch, der ganz frisch aus seiner Provinz

gekommen und auf einmal mitten in die Straße St.Jacques gerathen wäre, wo er dieseMenge hätte sehenkönnen, würde sich gewiß gewaltig den Kopf darüberzerbrochenhaben,wasdiesezahlreicheVersammlungaufdiesemPunktderHauptstadtbedeutensolle.DasWetterwarherrlich:manwolltealsonichtwieim

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Jahr 1551 das Reliquienkästchen der heiligenGenovefahervorholen,umdasAufhörendesRegenszuerlangen.Es hatte zwei Tage vorher geregnet: man führte also

nicht das besagte Reliquienkästchen der heiligenGenovefa in Prozession herum, um wie im Jahr 1556Regenzuerflehen.Man hatte keine unglückliche Schlacht nach Art der

vonSt.Quentinzubeklagen:manzogalsonichtwieimJahr,1557 mit dem Reliquienkästchen der heiligenGenovefaumher,umdenSchutzGotteszuerlangen.Nichtsdestowenigerwaresaugenscheinlich,daßdiese

ungeheureVolksmasse, die sich auf demPlatz der altenAbteiversammelthatte,irgendeinegroßeFeierbegehenwollte.AberwelcheFeier?SiewarnichtReligiösdenn,obschonmandaunddort

unter der Menge einige Mönchskutten bemerkte, sowarendieseverehrungswürdigenGewandedochnichtingenügender Anzahl vorhanden, um dem Fest einenreligiösenCharakterzugeben.Sie war nicht militärisch, denn der Kriegerstand war

nur schwach vertreten, und die anwesenden MitgliederdesselbenhattenwederPartisanennochMusketen.Sie war nicht aristokratisch, denn man sah über den

Köpfen nicht die wappengeschmückten Fahnen derEdelleute, noch die Federbüsche auf den Castetten dervornehmenHerrenflattern.

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Was in dieser tausendfarbigen Menge, wo Edelleute,Mönche,Diebe,Bürgersfrauen,Freudenmädchen,Greise,Hanswurste, Zauberer, Zigeuner, Handwerker,Bettelreimer, Verkäufer von Kräuterbier, die Einen zuPferd, die Andern zu Maulesel, Diese zu Esel, Jene inKutschen—manhattejust indiesemJahrdieKutschenerfunden — sich unter einander drängten, und derenMehrzahl gleichwohl hin und herging, sich herumstieß,herumwimmelte und sich abmühte, um in denMittelpunkt des Platzes zu gelangen;was, sagenwir, indieser Menge vorherrschte, das waren die Studenten:Studenten der vier Nationen, Schotten, Engländer,Franzosen,Italiener.Es verhielt sich in der That so:man hatte den ersten

Montag nach dem St. Barnabastag, und diese ganzeMenge war versammelt, um auf die Landimesse zugehen.AbervielleichtverstehendieLeserdiesesWortnicht,

das der Sprache des sechzehnten Jahrhunderts angehört.Erklärenwirihnenalso,wasdieLandimessewar.Gebt Achtung, liebe Leser, wir müssen jetzt

Etymologietreiben,nichtmehrundnichtwenigeralseinMitglied der Academie der Inschriften und schönenWissenschaften.DaslateinischeWortindictumbedeuteteinenTagund

Ort, die für irgend eineVolksversammlung indicirt oder

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bezeichnetsind.Das iwurdeAnfangs in e, dann später bleibend in a

verwandelt.Mansagtealsostattindictumnacheinander:l'indit,l'endit,dannl'arnditundendlichlandit.Daraus folgt, daß diesesWort Tag und Ort bedeutet,

diezuseinerVersammlungbezeichnetsind.ZurZeitCarlsdesGroßen,desinAachenresidirenden

Teutonenkönigs, zeigte man den Pilgern jedes JahreinmaldieheiligenReliquieninderKapelle.Carl derKahle versetzte dieseReliquien vonAachen

nachParis,undmanzeigtesiedemVolkeinmalimJahrauf einem Markt, der in der Nähe des Boulevards St.Denisabgehaltenwurde.Der Bischof von Paris, welcher fand, daß bei der

zunehmendenFrömmigkeitderGläubigendasMarktfeldin keinem Verhältnis: zu der Menge derHerbeiströmenden stand, verlegte das Landifest in dieEbenevonSt.Denis.Die Geistlichkeit von Paris brachte die Reliquien in

Procession dahin; der Bischof predigte daselbst undertheiltedemVollseinenSegen;aberesverhieltsichmitdem Segen wie mit den Geistern des Nebenmenschenoder den Früchten des Nachbars: nicht Jeder der willkann ihn ertheilen; die Geistlichen von St. Denisbehaupteten, ihnen allein stehe auf ihrem Gebiete dasRecht der Segnung zu, und sie verklagten den Bischof

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beim Parlament von Paris wegen Eingriffs in ihreGerechtsame.DieSachewurdevonbeidenSeitenhartnäckigundmit

solcherBeredtsamkeitverfochten,daßdasParlament,daesnichtwußte,wemesRechtgebensollte,allenbeidenUnrecht gab, und in Anbetracht der Unruhen, die sieveranlaßten,sowohldenBischöfenaufdereinen,alsdenAbbé's auf der anderen Seite verbot sich auf derLandimesseblickenzulassen.DerRectorderUniversitätwares,derdieinAnspruch

genommenenVorrechte ererbte: er hatte das Recht sichalljährlich am erstenMontag nach St. Barnabas auf dieLandimesse zu begeben, um daselbst das nothwendigePergament füralle seineCollegenauszuwählen;denaufdemMarktsitzendenKaufleutenwarsogarverbotenauchnur ein einziges Blatt zu verkaufen, bevor der HerrRectoralleseineEinkäufegemachthatte.Dieser Spaziergang des Rectors, der mehrere Tage

dauerte, brachte die Studenten auf die Idee ihn zubegleiten,undsieersuchtenihnumErlaubnis.Siewurdeihnengewährt,undvondiesemAugenblickanwurdedieReise alljährlich mit allem Pomp und aller Prachtveranstaltet,diemansichnurdenkenkann.ProfessorenundStudentenversammeltensichzuPferd

auf dem St. Genovefaplatz und zogen von da in guterOrdnungaufdasMarktfeld.DieCavalcadekamziemlich

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ruhig an ihremBestimmungsort an, dort aber schlossensichihnenalleZigeunerundHexenmeister—manzählteihrerdamalsdreißigtausendinParis—allezweideutigenFrauenzimmer— die Zahl von diesen hat noch nie einStatistiker angegeben — in Mannskleidern so wiesämmtliche Fräulein vom Vald'Amour, von Chaud-Gaillard, von der Straße Froid-Mantel an; eine wahreArmee, ähnlich jenen großen Völkerwanderungen vomviertenJahrhundert,nurmitdemUnterschied,daßdieseDamenkeineBarbarinnenoderWilde,sondernvielmehrnurallzucivilisirtwaren.AufderEbeneSt.DenismachteJederHalt,stiegvon

seinem Pferd, seinem Esel oder Maulthiere, schüttelteeinfach den Staub von seinen Stiefeln, Schuhen undCamaschenab,wennerzuFußgekommenwar,mischtesich in die ehrenwerthe Gesellschaft und versuchte aufihren Ton einzugehen oder ihn zu steigern. Man setztesich,man aß Blutwürste, Bratwürste und Pasteten,mantrankaufdieblumigenWangenderDamensschrecklicheQuantitäten weißer Weine von allen Hügeln derUmgegend, von St. Denies, la Briche, Epinaylez, St.DenisundArgenteuil.DieKöpfewurdenwarmbeidenLiebesredenundTrinksprüchen,dannentstandeinLärm,Geschrei, und Gejohle, es wurden Wettkämpfe imTrinkengehalten, dieZecher forderten immermehrundmehr, sie behaupteten ein rechter Kellner müßte wieBriareus hundert Hände haben, um unermüdlich

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einschenken zu können. Kurz und gut, man führteförmlichdasfünfteCapitelvonGargantuaauf.Die schöne Zeit oder vielmehr, das müßt Ihr selbst

zugeben, die lustige Zeit, wo Rabelais, Pfarrer vonMeudon, den Gargantua, und wo Brantome, Abt vonBourdeille,galantenDamenschrieb.Warmaneinmalbetrunken,sosangman,umarmtesich

fingHändelan,machtetausendTollheiten,verhöhntedieVorübergehenden.Manmußte sich doch lustigmachen,zumTeufel!Man knüpfte daher mit dem ersten besten

Ankömmling,derunterdieHandfiel,Gesprächean,dieje nach dem Charakter der Leute mit Gelächter,BeleidigungenoderPrügelnendeten.Es waren zwanzig Parlamentsbeschlüsse nöthig, um

diesem Unfug zu steuern; zuletzt mußte manversuchsweise dieMesse auf derEbene in die Stadt St.Denisselbstverlegen.Im Jahr 1550 wurde beschlossen, daß die Studenten

nicht mehr in corpare der Landimesse anzuwohnen,sondern dieselbe blos durch Deputationen von zwölfMann für jedes der vierNationalcollegien,wiesman siedamalsnannte,undzwardieProfessorenmitinbegriffen,zubeschickenhätten.AberdageschahFolgendes:Die nicht zugelassenen Studenten legten ihre

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Universitätskleider ab, zogen kurze Mäntelchen an,setzten farbige Hüte auf, trugen zerfetzte Strümpfe,fügten, um diesen Saturnalien Ehre zu machen, denDegen, der ihnen verbotenwar, zu, demDolch, den zutragen sie sich seit unvordenklichen Zeiten das Rechtangemaßthatten,undzogenaufallenmöglichenStraßennach demSprichwort:JederWeg führt nachRom, nachSt. Denis; da sie nun unter ihren Masken derWachsamkeitihrerLehrerentgingen,sowurdederUnfugnoch unendlich größer als vor der,Ordonnanz, diemanerlassenhatteumihmzusteuern.Man war also im Jahr 1559, und wenn man die

Ordnung sah, womit das Collegium sich in Marsch zusetzenbegann,sohättemanaufhundertMeilennichtandieAusschweifungen gedacht, denen es sich überlassensollte,sobaldeseinmalangekommenwar.Diesmal also zog wie gewöhnlich die Cavalcade in

ziemlich guter Ordnung auf, kam in die große Rue St.Jacques, ohne allzu vielLärm zumachen, stieß vordemChatelet angelangt eines jener Verwünschungshurrahsaus,zudenennurPariserVolkshaufenfähigsind—denndie Hälfte der Mitglieder, welche die Versammlungbildeten, kannte gewiß die unterirdischen GefängnissediesesMonumentsandersalsvonbloßenHöransagen—und nach dieser Kundgebung, welche immerhin einekleineHerzenserleichterungwar,drangsieindieRueSt.Denis.

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Laß uns ihr vorangehen, geneigter Leser, und sodannin der äbtlichen Stadt St. Denis Platz nehmen, umdaselbst einer Episode des Festes anzuwohnen, welchesich an die Geschichte knüpft, die zu erzählen wirunternommenhaben.Das officielle Festwar allerdings in der Stadt, in der

HauptstraßederStadt selbst; inderStadtundbesondersin der Hauptstraße war es, wo die Barbiere, dieBierwirthe, Tapetenmacher, Krämer,Weißzeughändlerinnen, Kummetmacher, Sattler, Sailer,Spornmacher, Lederhändler, Weißgerber, Rothgerher,Schuhmacher, Muldenmacher, Tuchmacher, Wechsler,Goldschmiede, Gewürzkrämer und besonders dieSchenkwirthe in hölzernen Buden, die sie schon zweiMonate vorher hatten erbauen lassen, ihren Geschäftenoblagen.Wer vor etwa zwanzig Jahren dem Markt von

Beaucaire oder, noch einfacher, vor zehn Jahren demJahrmarkt von St. Germain angewohnt hatte, der kannsicheinenBegriffvonderLandimessemachen,wennerdas Gemälde, das er in diesen beiden Lokalitätengesehen,aufriesigeVerhältnisseausdehnt.Wer aber regelmäßig jedes Jahr diese selbe

Landimesse besuchte, dieman noch in unsernTagen inderUnterpräfecturderSeine feiert, derkann sich,wennersiehtwassiejetztist,schlechterdingskeineVorstellungvondemmachen,wassiefrüherwar.

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Statt dieser düstern schwarzen Kleider, die bei allenFesten unwillkürlich als eine Erinnerung an Trauer, alseine Protestation der Traurigkeit, der Königin dieserarmenWelt,gegendieHeiterkeit,dienuralsUsurpatorinerscheint, selbst die am wenigsten Melancholischenwehmüthig stimmen, schimmerte diese ganze Masse inhellen Tuchkleidern, in Gold und Silberstoffen mitBorten, Tressen, Federn, Bändern, Sammt,golddurchwirktetn Tafft, Atlas mit Silberlahn, dieseganzeMenge, sagenwir, funkeltederSonneund schienihrihreglühendstenStrahleninBlitzenzurückzusenden;in der That war niemals ein ähnlicher Luxus von denobersten bis in die untersten Schichten derGesellschaftentfaltetworden,undobschonseitdemJahr1543zuerstFranz I. und dann Heinrich IV. zwanzig Luxusgesetzeerlassen hatten, so waren dieselben doch niemals zurAusführunggekommen.Die Erklärung dieses unerhörten Luxus ist höchst

einfach.DieEntdeckungderneuenWeltdurchColumbusund Americas Vespucius, so wie die Kriegszüge einesFernando Cortez und Pizarro nach dem berühmtenKönigreich Cathay, das von Marco Polo angezeigtworden, hatten eine solcheMenge baarGeld nach ganzEuropa geworfen, daß ein Schriftsteller diesesJahrhunderts sich über das Ueberfluthen des Luxus sowieüberdasSteigenderWaarenpreisebeklagt,diesieh,wie er behauptet, binnen achtzig Jahren mehr als

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vervierfachthatten.InzwischenwardiepittoreskeSeitedesFestesnichtin

St. Denis selbst. Zwar hatte die Ordonnanz desParlaments es in die Stadt verlegt, aber die unendlichmächtigere Ordonnanz des Volkes hatte es an den Flußversetzt.SomitwardieMesseinSt.Denis,dasFestaberamUfer. Dawir nichts zu laufen haben, sowollenwiruns hiermit an das Ufer unterhalb der Insel St. Denisbegeben,umalldazusehenundzuhören,wieeszugeht.DieCavalcade,diewirvomSt.Genovefaplatzausdie

Rue St. Jacques hinabziehen, das Chatelet mit einemHurrah begrüßen und von da in die Rue St. Deniseinmünden sahen, hatte zwischen elf und halb zwölfihren Einzug in der königlichen Necropole gehalten;sodann entwischten die Studenten gleich Schafen, dieman bei ihrer Ankunft auf der Wiese in Freiheit läßt,ihren Professoren und ergossen sich theils über dieFelder,theilsüberdieStadt,theilsüberdasSeineuferhin.Eswar,dasmußmangestehen,fürsorgloseHerzen—

dergleichenesauchjetztnoch,obschonnurwenige,gibt—einherrlicherAnblick,daunddort imSonnenschein,auf demGras desUferrandes, eineMeile in der Rundefrische Studenten von zwanzig Jahren zu den FüßenschönerjungerMädchenmitSchnürleibchenvonrothemAtlas,WangenvonrosenfarbigemAtlasundHälsenvonweißemAtlasliegenzusehen.

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DiesAugenBoccoaciosmußten den azurnenTeppichdes Himmels durchdringen und liebevoll auf diesengigantischenDecameronherabschauen.»Der ersteTheildesTagesvergingganzgut.Manhattewarmund trank.ManhatteHungerundaß.Manruhtesitzendoderliegendaus. Dann begannen die Unterhaltungen lärmend zuwerden und dieKöpfe sich zu erhitzen.Gottweiß,wieviele Weintöpfe gefüllt und geleert, wieder gefüllt undwiedergeleert,aufsNeuegefülltundzuletztzerschlagenwurden,woraufmaneinanderdieScherbenandieKöpfewarf.So kam es, daß gegen drei Uhr das Ufer mit theils

ganzen, theils zerbrochenen Töpfen und Tellern, mitvollen und leeren Tassen, mit Paaren, die in zärtlicherUmarmung auf dem Rasen lagen, mit Ehemännern, diefremdeFrauenzimmer für ihreWeiber,mitWeibern,dieihre Liebhaber für ihre Männer nahmen, bedeckt, daß,sagenwir,dasUfer,daskaumnochgrün,frischgewesenundwie ein Dorf amArnostrande gefunkelt hatte, jetzteinerTeniersschenLandschaftglich,dieeinerflämischenKirchmeßalsRahmendiente.AufeinmalerhobsicheinfurchtbaresGeschrei.»InsWassersinsWasser!«riefman.Alleserhobsich,dasGeschreiwurdeimmerarger.»Ins Wasser mit dem Ketzer! ins Wasser mit dem

Protestanten!insWassermitdemHugenotten!insWasser

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mitdemGottlosen!insWasser,insWasser,insWasser!«»Was gibt es denn, riefen zwanzig, hundert, tausend

Stimmen.»Er hat Gott gelästert, er hat an der Vorsehung

gezweifelt,erhatgesagt,eswerderegnen.«So unschuldig diese Anklage auf den ersten Blick

erscheinen mochte, so rief sie doch eine ungeheureAufregungunterderMengehervor.DieMengeamüsirtesichundwärewüthendgewesen,wenneinGewittersieinihren Lustbarkeiten gestört hätte. Die Menge hatte ihreSonntagskleideranundwärewüthendgewesen,wennderRegenihreSonntagskleiderverderbthätte.DasGeschreiin Folge dieser Aufklärung wurde daher immer ärger.Man näherte sich demOrt, woher die Stimmen kamen,und allmählig drängte sich ein so dichter Volkshaufendort zusammen,daß selbstderWindMühegehabthättedurchzukommen.Inmitten dieser Gruppe, die beinahe von sich selbst

ersticktwurde,kämpftesicheinjungerMenschvonetwazwanzigJahrenab,indemmanleichteinenvermummtenStudenten erkannte; mit blassen Wangen, bleichenLippen, aber geballten Fäusten schien er darauf zuwarten, daß kühnereAngreifer als die andern, statt sichmitbloßemGeschreizubegnügen,wirklichHandanihnlegten,unddannwollteerAlleszuBodenschlagen,wasihm unter die beiden Streitkolben geriethe, die seine

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geschlossenenFäustebildeten.Er war ein großer Blondin, aber ziemlichmager und

leibarm;er sahauswieeinesder alsHerrnverkleidetengalantenJüngfernchen,vondenenwirsoebensprachen;seine Augen mußten, wenn sie gesenkt waren, dieaußerordentlichste Ehrlichkeit anzeigen, und wenn dieDemutheinemenschlicheGestaltangenommenhätte,sowürde sie keinen andern Typus gewählt haben alsdenjenigen,welchendasGesichtdiesesJünglingsdarbot.WelchesVerbrechen konnte er doch begangen haben,

daß dieser ganze Volkshaufe ihm zu Leibe wollte, daßdiese ganze Meute hinter ihm herbellte, daß all dieseArmesichausstreckten,umihninsWasserzuwerfen?

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II.

Worinerklärtist,warumes,wenn'samSt.Medardustagregnet,vierzigTagespäterregnet.

Wir haben es im vorstehenden Capitel gesagt, er warHugenottundhatteerklärt,daßesregnenwürde.DieSachewarganzeinfach,wieihrsehenwerdet,und

gingfolgendermaßenzu.Der junges Blondin, der einen Freund oder eine

Freundinzuerwartenschien,gingamUferhinspazieren.VonZeitzuZeitblieberstehenundschauteinsWasser;dann, als er das Wasser lange genug angeschaut hatte,schauteeraufdenRasen;endlich,nachdemerdenRasenzurGenügebetrachtet, schlugerdieAugenaufundsahzumHimmelempor.Mankann allerdings finden, daßdieß eine einthönige

Beschäftigungwar,abermanwirdgestehenmüssen,daßsie harmlos war. Gleichwohl stießen sich einige derPersonen,welchedasLandifestnachihrerWeisefeierten,daran, daß dieser junge Mann es nach der seinigenfeierte.SeitungefähreinerhalbenStundehattenmehrereSpießbürger,vermischtmitStudentenundHandwerkern,deutlichgenugverrathen,daßsiesichüberdiedreifacher,Betrachtungendes jungenMannes ärgerten; sie ärgertensichumsomehr,alsdieserselbejungeMannihnennicht

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diemindesteBeachtungzuschenkenschien.»Ah,« sagte eine Mädchenstimme, »ich bin nicht

neugierig, aber ich möchte doch gerne wissen. warumdieser junge Mensch so hartnäckig zuerst das Wasser,danndieErdeunddanndenHimmelansieht.«»Duwillst eswissen?meineHerzensperrette?« fragte

einjungerSpießbürger,welchergalantdenWeinausdemGlasderDameunddieLiebeausihrenAugentrank.»Ja,Landry,undichwerdedemjenigen,dermirssagt,

einentüchtigenKußgeben.«»Ach,Perrette. ichwollte,daßDu füreinenso süßen

LohnetwasSchwierigeresfordertest.«»Ichwillmichmitdembegnügen.«»Versprichmirsnocheinmal.«»DahastDumeineHand.«Der junge Spießbürger küßte die Hand des jungen

MädchensunderhobsichmitdenWorten:»Dusollstessogleicherfahren.«Sofort schritt er auf den einsamen und stummen

Betrachterzu.»He da, jungerMann,« redete er ihn an, »ohneEuch

befohlenzuwollen,warumschautIhrdenndenRasensoan?HabtIhrEtwasverloren?«Als der jungeMann bemerkte, daß.man ihn Meinte,

drehte er sich um, nahm höflich seinen Hut ab undantwortete mit der größten Freundlichkeit: »Ihr täuscht

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Euch,meinHerr,ichsahnichtaufdenRasensondernindenFluß.«NachdiesenwenigenWortendrehteersichwiederauf

dieandereSeite.MeisterLandrywareinwenigverblüfft;er hatte keine so höfliche Antwort erwartet. DieseHöflichkeit rührte ihn. Er kehrte zu seiner GesellschaftzurückundkratztesichhinterdemOhr.»Nunwohl?«fragteihnPerrette.»Nun wohl, wir täuschten uns,« sagte Landry in

ziemlichkläglichemTone,»ersahnichtdenRasenan.«»Wasdenn?«»DenFluß.«ManlachtedemBotenunterdieNase,sodaßihmdie

SchamrötheinsGesichtstieg.»UndIhrhabtihnnichtgefragt,warumerindenFluß

schaue?«fragtePerrette.»Nein,«antworteteLandry;»erwarsohöflich,daßich

dachte,eswäreunbescheidennocheinezweiteFrageanihnzurichten.«»Zwei Küsse Jedem, der ihn fragt, warum er in den

Flußschaue?«sagtePerrette.DreiodervierLiebhabererhobensich.AberLandrygabdurcheinZeichenzuverstehen,daß

er die Sache einmal angefangen habe und folglich auchzuEndebringenmüsse.«MangabdieRichtigkeitseinerForderungzu.«

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Er wandte sich also von Neuem gegen den jungenBlondinundredeteihnzumzweitenMalan.»He da, junger Mann,« fragte er ihn, »he da junger

Mann,warumsehtIhrdennsoindenFlußhinein?«Die vorige Scene erneuerte sich wieder. Der junge

Manndrehtesichum,nahmseinenHutabundantwortetefortwährendhöflich:»EntschuldigenSiemich,meinHerr,ichsahnichtden

Flußan,sonderndenHimmel.«Nach diesen Worten salutirte der junge Mann und

begabsichaufdieandereSeite.Aber Landry, der schon durch diese zweite Antwort

aus seiner Fassung gebracht worden war, wie vorherdurch die erste, glaubte seine Ehre im Spiel, und da erseine Gesellschaft laut lachen hörte, so faßte er Muth,nahm den Studenten an seinem Mantel und sagtedringendzuihm:»DannjungerMann,wolltIhrmirvielleichtgefälligst

sagen,warumIhrdenHimmelansehet?«»Mein Herr,« antwortete der jungeMann, »wollt Ihr

mirgütigstsagen,warumIhrmichdasfraget?«»Nunwohl, ichwillmichoffengegenEucherklären,

jungerMann.«»Dassollmichfreuen,meinHerr.«»Ich frage es Euch, weil meine Gesellschaft sich

darüberärgert,daßIhrseiteinerStundeunbeweglichwie

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einKlotzdastehetund immerdiegleichenBewegungenmachet.«»Mein Herr,« antwortete der Student, »ich bin

unbeweglich, weil ich einen Freund erwarte. Ich bleibestehen, weil ich ihn beim Stehen aus größerer Fernekommen sehe. Da er nun nicht kommt und dasWartenmich langeweilt, da ferner die Langeweile mich zumGehenveranlaßt, so sehe ich auf denBoden, ummeineSchuhe nicht an den Scherben zu zerreißen, womit derRasen übersäet ist; wenn ich dann lang genug auf denBoden gesehen habe, so sehe ich in den Fluß; endlich,wenn ich langgenug indenFlußgesehenhabe, soseheichzumHimmelhinauf.«Der Spießbürger nahm diese Erklärung nicht für Das

wassiewar,nämlichfürdiereineundeinfacheWahrheit,sondernglaubte sichmystifcrirt undwurde rothwiedieKlatschrosen, die man von Ferne in den Klee undKornfeldernschimmernsah.»UndgedenketIhr, jungerMann,«fragteer, indemer

sich herausfordernd auf seine linke Hüfte stützte undgewaltig in die Brust warf, »gedenket Ihr dieselangweiligeBeschäftigungnochlangezutreiben?«»Ich gedachte sie noch bis zu dem Augenblick zu

treiben, wo mein Freund zu mir kommen würde, meinHerr, aber« — der junge Mann schaute zum Himmelempor—»ichglaubenicht,daßichwartenkann,bises

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ihmgefälligist...«»UndwarumwolltIhrnichtaufihnwarten?«»Weilesdergestaltregnenwird,meinHerr,daßweder

Sie, noch ich, noch sonst Jemand in einerViertelstundenochimFreienbleibenkönnen.«»Ihr sagt, es werde regnen?« fragte der Spießbürger

mitderMieneeinesMenschen,welcherglaubt,daßmansichüberihnlustigmache.»Ja,« und zwar tüchtig, mein Herr, antwortete der

jungeMannruhig.»IhrwolltohneZweifelspaßen,jungerMann?«»Ich schwere Euch, daß ich nicht die geringste Lust

dazuhabe.«»Dann wollt Ihr Euch über mich lustig machen?«

fragtederSpießbürgererbittert.»MeinHerr, ich gebe EuchmeinWort, daß ich dazu

ebensowenigLusthabealszueinemSpasse.«»WarumsagtIhrmirdann,eswerderegnen,während

dasWetterdochherrlich ist?«heulteLandry,der immerhitzigerwurde.»IchsageausdreiGründen,daßesdemnächstregnen

werde.«»KenntetIhrmirdiesedreiGründeanführen?«»Allerdings,wennesEuchFreudemacht.«»EsmachtmirFreude.«DerjungeMannsalutirtehöflichundmiteinerMiene,

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welchebesagenwollte:»Ihr seid so liebenswürdigmeinHerr,daßichEuchNichtsabschlagenkann.«»Ich erwarte Eure drei Gründe,« sagte Landry mit

geballtenFäustenundzähneknirschend.»Der erste, mein Herr,« sprach der junge Mann,

»besteht darin: Da es gestern nicht geregnet hat, so istdießeinGrund,daßesheuteregnenwird.«»Ihrverhöhntmich,meinHerr?«»Ganzundgarnicht.«»Nundenn,laßtdenzweitenhören.«»Derzweitebestehtdarin,daßderHimmeldieganze

NachtwieauchdenganzenMorgenüberzogenwarundesnochindiesemAugenblickist.«»WeilderHimmelüberzogenist,so istdasnochkein

Grund,daßesregnenwird,verstehtIhrmich?«»EsistwenigstenseineWahrscheinlichkeit.«»GebtjetztEurendrittenGrundzumBesten:nursage

ich Euch zum Voraus, wenn er nicht besser ist als diezweiersten,sowerdeichböse.«»WennIhrbösewürdet,meinHerr,somüßtetIhreinen

abscheulichenCharacterhaben.«»Ah! Ihr sagt, ich habe einen abscheulichen

Character?«»Mein Herr, ich spreche in der bedingten Zeit und

nichtimPräsens.«»DerdritteGrund,meinHerr?DerdritteGrund?«

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»DerdritteGrundzumRegnenist,dasesregnet,meinHerr.«»Ihrbehauptet,daßesregne?«»Ich behaupte es nicht blos, sondern ich versichere

es.«»Nein, das ist unerträglich!« sagte der Spießbürger

außersich.»Eswird sogleichnochunerträglicherwerden.« sagte

derjungeMann.»UndIhrglaubt,daß ichmirdasgefallen lasse?«rief

derSpießbürgerscharlachrothvorWuth.»Ichglaube,daßIhreEuchsogutgefallenlassenmüßt

wie ich,« sagte der Student, »undwenn ichEuch einenRath ertheilen darf, so machet es wie ich: suchet eineUnterkunft.«»Ha, das ist zu stark!«heulte derSpießbürger, indem

ersichgegenseineGesellschaftzurückwandte.Dannrieferdenjenigen,dieimBereichseinerStimme

waren,zu:»KommAllehierher!kommt,kommt!«Er schien sowüthend, daß Jedermann auf seinenRuf

herbeieilte.»Was gibt es?« fragten die Frauenzimmer mit

gellendenStimmen.»Was ist los?« fragten die Männer mit heiseren

Stimmen.

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»Wasesgibt?«sagteLandry,alsersichunterstütztsah,»esgehendaganzunglaublicheSachenvor.«»Wasdenn?«»DieserHerrwillmichganzeinfachamhellenMittag

dieSternesehenlassen.«»Ich bitte um Verzeihung, mein Herr,« versetzte der

jungeMann»mitdergrößtenSanftmuth»ichhabeEuchim Gegentheil gesagt, der Himmel sei schrecklichüberzogen.«»Das ist eine Figur, Herr Student,« versetzte Landry,

»verstehtIhrmich,dasisteineFigur.«»IndiesemFallisteseineschlechteFigur.«»Ihrsagt,daßicheineschlechteFigurmache!«heulte

der Spießbürger, dem das Blut zu den Ohren drang, sodaßerabsichtlichoderunwillkürlichschlechthörte.»Ha,dasistzustark,meineHerrnIhrsehetganzdeutlich,daßdieserSchlingeldasichüberunslustigmacht.«»Daß er sich über Euch lustig macht,« sagte eine

Stimme,»nunja,dasistmöglich.«»Uebermich wie über Euch und uns Alle; er ist ein

Witzbold, der blos Possen im Kopf hat und Euch zumSchabernackeinenRegenherbeiwünscht.«»MeinHerr, ichschwöreEuch,daß ichkeinenRegen

wünsche,daichsonstebensonaßwerdewieIhr,jasogarnoch nässer,weil ich drei oder vier Zollmehr habe alsIhr.«

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»Ihrwolltalsosagen,daßicheinKnirpssei?«»Dasistmirnichteingefallen,meinHerr.«»EinZwerg?«»DaswäreeineungerechtfertigteBeleidigung.Ihrhabt

beinahefünfFuß,meinHerr.«»Ich weiß nicht, warum ich Dich nicht ins Wasser

werfe!«ruftLandry.»Ach ja, ins Wasser! ins Wasser! sagten mehrere

Stimmen.»WennIhrmichinsWasserwerfet,meinHerrn,«sagte

derjungeMannmitseinergewöhnlichenHöflichkeit,»sowürdetIhrnichtsdestowenigernaßwerden.«Da der junge Mann durchs diese Antwort bewiesen

hatte, daß er für sich allein mehr Geist besaß als alleAndern, so kehrten sich alle Andern gegen ihn. Eingroßer Kerl trat heran und sagte halb spöttisch, halbdrohendzuihm:»Sageinmal,DuSpitzbube,warumbehauptestDu,daß

esindiesemAugenblickregne?«»WeilichTropfengespürthabe.«»Tropfen!« rief Landry. »Wenn es Tropfen regnet, so

istDießnochkeinstarkerRegen,underhatausdrücklichgesagt,daßestüchtigregnenwerde.«»DustehstalsomiteinemAstrologeninVerbindung?«

sagtedergroßeKerl.«»Ich stehe mit Niemand in Verbindung, mein Herr,«

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antwortete der junge Mann, der sich zu ärgern anfing,»nichteinmalmitEuch;derihrmichdutzet.«»InsWasser!insWasser!«riefenMehrereStimmen.In diesemAugenblickwar es, daßderStudent, als er

den Sturm heftiger werden sah, seine Fäuste ballte undsich zumKampf vorbereitete. Der Kreis um ihn herumbegannsichzuverdichten.»Ei, sieh da,« sagteEiner der neuAngekommen, »es

istMedardus.«»WasistmitMedardus?«fragtenmehrereStimmen.»Dieß ist der Heilige, dessen Fest wir heute feiern,«

versetzteeinSpaßvogel.»Schon gut,« sagte derjenige, der den jungen Mann

erkannt hatte, »dieser da ist kein Heiliger, sondernvielmehreinKetzer.«»Ins Wasser mit dem Ketzer!« rief die Menge, »ins

Wassermit demKetzer! insWassermit demGottlosen!ins Wasser mit dem Albigenser! Ins Wasser mit demHugenotten!«UndalleStimmenwiederholtenimChor:»InsWasser!insWasser!insWasser!«Dieses Geschrei war es, wodurch das Fest

unterbrochen wurde, mit dessen Beschreibung mir imbestenZugwaren.Aber just in diesem Augenblick, wie wenn die

VorsehungdemjungenManndieHilfezusendenwollte,

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derenersobedürftigschien,kamdererwarteteFreund—ein schöner Cavalier, von zwei bis dreiundzwanzigJahren, dessen vornehme Miene den Edelmann unddessen ganze Turnüre den Fremden verrieth — dererwartete Freund sagen wir, kam herbeigelaufen,durchbrach die Menge und hatte sich bis auf zwanzigSchrittevonseinenFreundvorangearbeitet,alsdieservonvorn, vonhinten, andenFüßenund amKopfe zugleichgepacktwieeinRasenderumsichschlug.»Vertheidige Dich, Medardus!« rief der neue

Ankömmling,»vertheidigeDich!«»Ihr sehet, daß es wirklich Medardus ist!« rief

derjenige,derihnmitdiesemNamenbegrüßthatte.UndalsobdieFührungdiesesNamenseinVerbrechen

wäre,schriedieganzeMenge:»Ja, es istMedardus! ja, es istMedardus! InsWasser

mitdemKetzer!insWassermitdemHugenotten!«»WiekanneinKetzerdieFrechheithabendenNamen

einessogroßenHeiligenzuführen?«riefPerrette.»InsWassermitdemGottlosen!«Und die Leute, die den armen Medardus ergriffen

hatten,schlepptenihnnachdemabschüssigenRand.»Hierher,Robert!« rief der jungeMann,welcher sah,

daßerdieserMassenichtzuwiderstehenvermochte,unddaßdieserSpaßleichtmitseinemTodendigenkannte.»InsWasser!« heultendieWeiber, die imHaßwie in

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derLiebewüthendsind.»Vertheidige Dich, Medardus!« rief der Fremde zum

zweitenMal,indemerdenDegenzog,»vertheidigeDich,ichbinda.«DannbegannermitderflachenKlingerechtsundlinks

einzuhauen und wälzte sich wie eine Lawine nach derBöschung hin. Aber es kam ein Augenblick, wo dieseMenge so dicht war, daß sie beim besten Willen nichtauseinanderzugehenvermochte.SieempfingdieHiebe,heulte vor Schmerz; ging aber nicht auseinander.Nachdem sie vor Schmerz geheult hatte, heulte sie vorWuth.Der neue Ankömmling, den man an seinem

ausländischenAccent leichtalseinenSchottenerkannte,schlugbeständigdarauflos,kamabernichtvorwärtsodergewanndochsolangsamseinTerrain,daßmanwohlsah,sein Freund würde im Wasser liegen, bevor er zu ihmgelangen könnte. Etwa zwanzig Bauern, die da waren,und fünf oder sechs Schiffsleute mischten sich in dieSache.VergebensklamrnertesichderarmeMedardusmitden Händen fest, vergebens stieß er mit den Füßen,vergebensbißerumsich,jedeSecundebrachteihndemUferrandnäher.DerSchotte hörte nur noch seinGeschrei, unddieses

näherte sich demWasser immer näher. Er selbst schrienicht mehr, sondern brüllte, und bei jedemGebrüll fiel

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seine flache Klinge oder sein Degenknopf auf einenKopf.AufeinmalwurdedasGeschreinochheftiger,dannverstummte es und dann hörteman dasGeräusch einesschwerenKörpers,derinsWasserfällt.»Ha,ihrHalunken!ha,ihrMörder!ha,ihrMeuchler!«

heulte der junge Mann indem er auch dem Flußvoranzudringen versuchte, um seinen Freund zu rettenodermitihmzusterben.Aber es war unmöglich. Eben so leicht hätte er eine

Granitwand umgeworfen, als diese lebendige Mauer.Gänzlich abgehetzt, zähneknirschend, mit Schaum vordemMundundschweißtriefenderStirnewicherzurück,Erwich bis auf dieHöhe der Böschung zurück, um zusehen,obernichtüberdieseMengehinwegdenKopfdesarmenMedardusbemerkenkönne,deretwawiederüberdas Wasser emporkäme. So stand er auf seinen Degengestützt,obenaufderBöschung,aberalserNichtszumVorschein kommen sah, da senkte er seine Augen aufdiese müthende Menge herab und sah voll Eckel dieseMenschenmeutean.Indemerganzallein,bleichundinseinemschwarzen

CostümsodastandglicherdemWürgengel,dermiteingezogenenFlügelneinenAugenblickausruhteAbernachdiesem Augenblick stieg die Wuth, die in seiner BrustkochtewiedieLavaineinemVulkan,brennendaufseineLippen.

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»IhrseidsammtundsondersHalunken,«sagteer,»Ihrseid sammt und sonders Meuchelmörder, undSchandbuben! Ihr habt Euch zu vierzigzusammengerottet, um einen armen Jungen, der EuchNichtezuLeidegethanhatte,zuermorden,insWasserzuwerfenundzuersäufen. IchbieteEuchallenzusammenden Kampf an. Ihr seid vierzig, kommt und ich werdeEuch alle vierzig Einen um den Andern wie Hundetodtschlagen,dennHundeseidIhr.«Die Bauern, Spießbürger und Studenten, an welche

dieseEinladungzumSterbenerging,bezeugtenganzundgarkeineLustdenKampfmitblankerWaffegegeneinenMann auszunehmen, der seinen Degen so sieghaft zuführen schien. Als der Schotte Dieß sah, steckte erverachtungsvollseinSchwertwiederindieScheide.»Ihr seid eben so feig als gemein, niederträchtige

Schufte!« fuhr er fort, indem er seine Hand über alleKöpfeausbreitete,»aberichwerdediesenTodanLeutenrächen,diewenigererbärmlichsindalsIhrdennIhrseiddesDegens eines Edelmanns nichtwürdig. Zurück alsoihr elende Bauern, und möge Regen und Hagel eureWeinberge Verwüsten und eure Ernten zu Bodenschlagen,undzwarsovieleTage lang,sovielLeuteIhrwaret,umeineneinzigenMenschenzutödten!«Aber da es nicht gerecht gewesen wäre diesenMord

ganzungestraftzulassen,unddadasBlutwiederumBlutfordert, so machte er eine große Pistole von seinem

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Gürtel los und schoß, ohne zu zielen, mitten unter dieMenge.»WieesGottgefällt,«sagteer.Der Schuß ging los, die Kugel pfiff, und einer der

Bursche, die so eben den jungen Mann ins Wassergeworfen hatten, stieß einen Schrei aus, fuhr mit derHandanseineBrustundsanktödtlichgetroffennieder.»Undjetztadieu!«riefer.»Ihrsolltnochöftervonmir

hören.IchheißeRobertStuart.«Als er diese Worte sprach, platzten die Wolken, die

sichseitgesternamHimmelgesammelthatten,plötzlichlos, und wie der unglückliche Medardus vorausgesagt,fieleinerjenerwolkenbruchartigenRegen,wiesieindenRegenzeitenniemalsfallen.DerjungeMannzogsichlangsamzurück.DieBauernwürden ihmunfehlbar nachgelaufen sein,

als sie sahen, daß seine Flüche augenblicklich ihreWirkung hervorbrachten, aber das Donnergrollen, dasihnen den jüngsten Tag anzukündigen schien, derströmendeRegen, dieBlitze, die ihreAugen blendeten,beschäftigten sie unendlich mehr als der Gedanke anRache, und von diesem Augenblick an entstand eineallgemeinewildeFlucht.DasUferdassoebennochvon fünfbis sechstausend

Personenbedecktgewesen,warjetztsoverlassenwiederStrand eines jener Flüsse der neuen Welt, die der

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genuesischeSchifferinderletztenZeitentdeckthatte.DerRegenströmtevierzigTagelangunausgesetztfort.Und deßhalb,wir glauben eswenigstens, liebeLeser,

deßhalbregnetes,wennesamSt.Medardustaggeregnethat,vierzigTagespäter

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III.

DasWirthshauszumrothenRoß.

Wir werden es nicht unternehmen unsern Lesern zusagen, wohin sich die fünfzig oder sechzigtausendPersonen flüchteten, die demLandifest anwohnten und,alssiesoplötzlichvondieserneuenSündfluthüberraschtwurden, indenHütten,denHäusern,denSchenkenundsogarinderDomkircheSchutzsuchten.Esgabdamals in derStadtSt.Denis kaum fünf oder

sechs Wirthshäuser, und diese füllten sich in einemAugenblick dermaßen; daß manche Personen schnellerwieder hinausgingen, als sie hereingekommen waren,weil sie lieber im Regen ertrinken als in der Hitzeerstickenwollten.DaseinzigeWirthshaus,dasbeinaheleerblieb—und

diesen Vortheil verdankte es seiner abgesonderten Lage— war dasWirthshause zum rothen Roß, das ein paarBüchsenschußweitenvonSt.DenisanderStraßestand.Drei Personen bewohnten für den Augenblick das

großerauchigeZimmer,dasmanemphatischdenSaalderReisenden nannte, und das neben derKüche und einemüber diesem Erdgeschoß befindlichen Speicher, wo dieverspäteten Maulthiertreiber und Viehhändler schliefen,

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für sich allein den ganzenGasthof bildete. Eswar eineArt vonRiesenschoppender seinLicht durchdieThüreerhielt, welche bis ans Dach hinaufragte; dieZimmerdecke bestand nach demMuster der Arche ausBalken,diesichnachderFormdesDachesneigten.Wie in der Arche kroch eine gewisse Anzahl von

Thieren, Hunde, Katzen, Hühner und Enten auf demBoden herum, und in Ermanglung des Raben, der mitleeremSchnabel zurückkehren sollte, sowie derTaube,welche den Oelzweig heimbrachte, sah man um dierauchgewärzten Balken herum bei Tag Schwalben undbei Nacht Fledermäuse flattern. Die Möbel in diesemSaal beschränkten sich auf die unerläßlichen Utensilieneiner Herberge, d. h. auf hängende Tische, so wie aufkrüppelhafteStühlemitoderohneLehne.Die drei Personen, die dieses Zimmer bewohnten,

waren der Wirth, seine Frau und ein Reisender vondreißigbisfünfunddreißigJahren.Wir wollen sagen, wie diese drei Personen gruppirt

warenundmitwassiesichbeschäftigten.DerWirth,denwir inseinerEigenschaftalsHausherr

zuvörderst indieScenesetzen,beschäftigtesichmitgarNichts; er saß rittlings vor der Thüre auf einemStrohstuhl, er hatte sein Kinn auf den obern Theil derLehnegelegtundbrummteüberdasschlechteWetter.Seine Frau, die ein wenig hinter ihrem Manne saß,

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jedoch so, daß sie sich im Lichte befand, spann amRädchenund,benetzteanihremMunddenFaden,densieausdemHaufanihrerKunkelhervorzogundunterihrenFingerndrehte.Der Reisende hatte das Licht nicht gesucht, sondern

saß imGegentheilmitdemRückengegendieThüre imentferntestenWinkeldesZimmersundschien,nachdemWeinkrug und dem Becher zu schließen, die vor ihmstanden,Etwasdraufgehenzulassen.Gleichwohl schien es ihmnicht umsTrinken zu thun

zusein;denEllbogenaufdem,Tisch,denKopfinseineHand gestützt, war er in ein tiefes Nachdenkenversunken.»VerfluchtesWetter!«brummtederWirth.»Du beklagst Dich?« sagte die Frau; »Du hast es ja

selbstsoverlangt.«»Das ist wahr,«,versetzte der Wirth, »aber ich habe

Unrechtgehabt.«»Nun,sobeklageDichnicht.«Bei dieser nicht sehr tröstlichen, aber vollkommen

logischen Ermahnung ließ der Wirth seufzend seinenKopf hängen und hielt sich ruhig. Dieses Schweigenwährte etwa zehnMinuten; dann richtete derWirth denKopfwiederemporundwiederholte:»VerdammtesWetter!«»Du hast dieß schon einmal gesagt,« bemerkte die

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Frau.»Nun,sosageichsvonNeuem.«»UndwennDuesbiszumAbendanEinemfortsagst,

sowirdesdochNichtshelfen.«»Das ist wahrt aber es thut mir doch wohl über den

Donner,denRegenundHagelzulästern.«»Warum lästerst Du nicht lieber sogleich über die

Vorsehung?«»Wenn ich glauben könnte, baß sie uns ein solches

Wetterschicke...«DerWirthhieltinne.»DannwürdestDuübersie lästern;eiwie,gestehees

nursogleich.«»Nein,weil...«»Weilwas?«»Weil ich ein guter Christ bin und kein Hund von

einemKetzer.«Bei diesen Worten »weil ich kein Hund von einem

Ketzer bin« erwachte der Reisende, der sich imWirthshaus zum rothen Roß verfangen hatte, wie eineKatze in einem Schlag, aus seiner Betrachtung, richteteseinHauptemporundschlugmit seinemZinnbecher soheftig andenTisch,daßderKrugzu tanzenanfingundderBechersichabplattete.»Hier, hier,« rief der Wirth, der auf seinem Stuhl

aufsprang,wie derKrug auf demTisch auf gesprungen

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war,inderMeinung,daßseinGastihnrufe:»hier,meinjungerHerr.«Der junge Mann drehte seinen Stuhl auf einem der

Hinterfüßeundsichselbstmitihm,sodaßerdemWirthgegenüber kam, der vor ihm stand; er betrachtete ihndannvonKopfzuFußundsagte,ohneseineStimmeumeineNotezuerhöhen,abermitgerunzelterBrauezuihm:»Habt nicht Ihr so eben die Worte ausgesprochen:

HundvoneinemKetzer?«»Ja,meinjungerHerr,«stammeltederWirthertöthend.»Nun wohl, wenn Ihr es seid, einfältiger Kerl,«

versetzte der Kunde, »so seid Ihr weiter Nichts als einungezogenerEsel,undwürdetverdienen,baßmanEuchdieOhrenstutzte.«»Verzeiht,mein edlerHerr, aber ichwußtenicht, daß

Ihrder reformirtenReligionangehöret,«sagtederWirthanallenGliedernzitternd.»Seht,Einfaltspinsel,«fuhrderHugenotte,ohneseine

StimmeauchnurumeinenhalbenTonzusteigern, fort,»DasmußEuchbeweisen,daßeinWirth,deresmitallenArten von Leuten zu thun hat, seine Zunge im Zaumhaltenmuß; es konnte ja geschehen, daß er einenHundvon Katholiken vor sich zu haben glaubte, während ereinenEhrenwerthenSchülerLuthersundCalvinsvorsichhätte.«Und bei diesen beiden Namen lüpfte der Edelmann

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seinen Fils. DerWirth that das Gleiche. Der EdelmannzucktedieAchseln.»Schongut,«sagteer,»bringtmir jetzt frischenWein

und laßtmich dasWortKetzer nichtmehr hören, sonstrenne ich Euch meinen Degen durch den Leibe Ihrverstehtmich,meinFreund?«DerWirth zog sich rücklings zurück und ging in die

Küche,umdenverlangtenWeinzuholen.Während dieser Zeit befand sich der Edelmann,

nachdem er mit seinem Stuhl eine halbe Schwenkungnachrechtsgemachthatte,aufsNeueimFinstern,sodaßerderThüreabermalsdenRückenkehrte,alsderWirthzurückkamundseinKrügleinvorihnstellte.Jetzt streckte ihm der Edelmann schweigend seinen

zerdrücktenBecherhin,damiter ihmeinenneuendafürgeben sollte. Der Wirth machte ohne ein Wort zusprechen, mit den Augen und dem Kopf ein Zeichen,welchesbedeutete:»ZumTeufelesscheint,wennDieserzuschlägt,soschlägtertüchtigzu.«DannkamerzurückundreichtedemSchülerCalvinseinenfrischenBecher.»Esistgut,«sagtedieser,»soliebeichdieWirthe.«DerWirthlächeltedemEdelmannsoangenehmalsnur

möglichzuundnahmdannseinenPlatzimVordergrundwiederein.»Nun wohl,« fragte ihn seine Frau, welche, da der

Protestant so leise gesprochen, kein Wort von der

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Unterredung zwischen ihrem Mann und ihrem Gastverstanden hatte, »was hat dieser junge Herr zu Dirgesagt?«»Waserzumirgesagthat?«»Ja,dasfrageichDich.«»Er hat mir die allerschmeichelhaftesten Dinge

gesagt,« antwortete dieser; »mein Wein seiausgezeichnet,meinHausganzvortrefflichgehalten,under könne sich nicht genug darüber wundern, daß einsolcherGasthofnichtgrößereKundschaftbesitze.«»UndwashastDuihmgeantwortet?«»Dieses verdammte Wetter sei Schuld an unserem

Ruin.«In demAugenblick,wo unserMann zumdrittenMal

ganzvomZaungerissenüberdasWetterschimpfte, ließdie Vorsehung, als wollte sie ihn Lügen strafen, zugleicherZeit,abervonzweientgegengesetztenSeitenherzweineueGästeanrücken,deneinenzuFuß,denandernzu Pferd. Der Fußgänger, der einem Abenteurer gleichsah,lautvonlinks,d.h.vonderStraßevonParisher;derReiter,derdasCostümeinesPagentrug,kamvonrechts,d.h.vonderStraßenachFlandern.Aber als der Fußgänger die Schwellen des

WirthshausesÜberschritt,geriethenseineFüßeunterdiedesPferdes.ErstießeinenFluchausunderblaßte.SchondiesereinzigeFluchzeigtedieHeimathdesFluchersan.

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»Ah!CapdeDiou!«rieferDer Andere, ein Reiter von erster Stärke, ließ sein

PferdeinehalbeWendungnachlinksbeschreiben,rißesauf seine Hinterbeine, sprang herab, ehe das Thier mitseinenFüßendenBodenwiederberührthatte,stürzteaufdenVerwundetenzuundsagte imToneder lebhaftestenBesorgniß:»Oh, mein Capitän, ich bitte tausendmal um

Entschuldigung.«»Wißt Ihr,HerrPage,«versetztederGascogner,»daß

Ihrmichbeinaheerdrückthättet?«»GlaubetmirCapitän,«erwidertederjungePage,»daß

ichesaufsinnigstebedaure.«»Nun, tröstet Euch,mein jungerHerr, antwortete der

CapitänmiteinerGrimasse,welchebewies,daßerseinenSchmerz nochnicht ganz bewältigt hatte; »tröstetEuch,Ihr habt mir so eben, ohne daran zu denken, einenungeheuren Dienst geleistet, und ich weiß in Wahrheitnicht,wieichEuchmeineErkenntlichkeitdafürbezeugensoll.«»EinenDienst!«»Einenungeheuren!«erwidertederGascogner.»Undwieso,meinGott?«fragtederPage,deranden

nervösenGesichtsverzuckungen desAndern sah, daß ereiner großen Selbstbeherrschung bedurfte, um nicht zufluchen,stattzulächeln.

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»Es ist ganz einfach,« versetzte derCapitän, »es gibtnurzweiDingeinderWelt,diemichsehrärgernkönnen:alteWeiber und neue Stiefel; nun stecke ich schon seitheute früh in neuenStiefeln, in denen ich vonParis bishierhergehenmußte. IchbesannmichaufeinMittelsierechtbaldzuGrundezurichten,undnunhabtIhrimNuzu Eurem ewigen Ruhm dieses Wunder verrichtet. Ichbitte Euch daher an mich zu denken und bei jederGelegenheit über meine Person zu verfügen, die sichEuchhöchlichverbundenerklärt.«»MeinHerr,«sagtederPagesichverneigend,»Ihrseid

einMann vonGeist,wasmich nichtwundert, nachdemichdenFluchgehörthabe,womitIhrmichbegrüßtenIhrseidhöflich,wasmichnichtwundert,daichahne,daßIhrein Edelmann seid. Ich nehme Euer Anerbieten an undstellemichmeinerseitsvollständigzuEurenDiensten.«»Ohne Zweifel gedachtet Ihr in dieser Herberge

einzukehren?«»Ja, mein Herr, auf einige Augenblicke,« antwortete

derjungeMann,indemerseinPferdaneinenzudiesemBehufe in der Mauer befestigten Ring band, eineVerrichtung,beiwelcherderWirthmitfreudefunkelndenAugenzusah.»Und ich auch,« sagte der Capitän; »he da,

Teufelswirth,Weinherundvombesten!«»Sogleich,meineHerren,«sagtederWirth, indemer

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nachseinerKüchestürzte,»sogleich!«FünfSecundennachher kamermit zweiKrügenund

zwei Gläsern zurück, die er auf einen Tisch nebendemjenigenstellte,wobereitsderersteEdelmannsaß.«»HerrWirth«fragtederjungePagemiteinerweichen

frauenähnlichen Stimme, »habt Ihr in Eurem Haus einZimmer, wo ein junges Mädchen ein paar Stündchenausruhenkönnte?«»Wir haben blos diesen Saal hier,« antwortete der

Wirth.»AhTeufel,dasistunangenehm.«»Ihr erwartet eine Dame, mein wackerer Camerad?«

sagte der Capitän geheimnißvoll, indem er seine ZungeüberseineLippenspielenließunddamitdasEndeseinesSchnurrbartserwischte,woreinerzubeißenanfing.«»Die Dame kommt nicht meinetwegen Capitän,«

antwortetederjungeMannernsthaft;»sieistdieTochtermeines edlen Gebieters, des Herrn Marschalls von St.André«»Ei, wie schön sich das trifft! Solltet Ihr also im

DienstedeserlauchtenMarschallsvonSt.Andréstehe?«»IchhabedieseEhre,meinHerr.«»Und Ihr glaubt, daß der Marschall hier in dieser

elendenHütteeinkehrenwerde?«IhrbildetEuchdasein,mein junger Page? Ei, warum nicht gar!« sagte derCapitän.

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»Er muß wohl; seit vierzehn Tagen liegt der HerrMarschallkrankimSchloßvonVillers-Cotterets,unddaesihmunmöglichwarzuPferdnachPariszureisen,woer dem Tournier vom 29-sten anwohnen will, das zuEhren der Hochzeit seiner, König Philipps II. mit derPrinzessin Elisabeth und der Prinzessin Margareth mitdemHerzog Emanuel Philibert von Savoyen stattfindenso hat Herr von Guise als Schloßnachbar von Villers-Cotterets...«»Herr von Guise hat ein Schloß in der Nähe von

Villers-Cotterets?« fiel der Capitän ein, der beweisenwollte,daßerseinenHofkenne;«»woherbekommtIhrdochdiesesSchloß,jungerMann?»EsliegtinNunteuil-le-haudouin,Capitän,»underhat

eserstinderneuestenZeitgekauft,umsichaufdemWegdes Königs zu befinden, wenn dieser nach Villers-Cotteretsgehtunddaherzurückkommt.«»Ah,ah,ichfindedaßdasrechtgutgespieltist.«»Oh!« sagte der junge Page lachend, »die

Geschicklichkeitistesnicht,wasdiesemSpielerfehlt.«»DasSpielauchnicht,«bemerktederCapitän.»Ich sagte also« fuhr der Page fort, »daß Herr von

Guise demMarschall seineKutschegeschickt habe unddaß er ihn in langsamem Schritt heimführet; aber soangenehm die Kutsche sein mag und so langsam diePferde sie nach Gonesse führten, so ist doch der Herr

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Marschall müde geworden, und Fräulein Charlotte vonSt.Andréhatmichvorausgeschickt,umeineHerbergezusuchen,woihrVatereinwenigausruhenkönne.«Alsder ersteEdelmann, der vorAerger scharlachroth

wurde,wennmandenHugenottenBösesnachsagte,dieseWerte andern in seiner Nähe stehenden Tisch hörte,lauschte er und schien an der Unterhaltung ein sehrdirectesInteressezunehmen.»Per la crux Diou! Machte der Gascogner, »ich

schwöreEuch,jungerMann,daßich,wennichaufzweiMeileninderRundeeinZimmerwüßte,daswürdigwärediesezweiFeldherrnzuempfangen,dieEhresiedahinzuführen Niemand, Selbst meinem Vater nicht, abtretenwürde;aberleider,«fügteerhinzu,»weißichkeines.«Der hugenottische Edelmannmachte eineBewegung,

dieeinemZeichenderVerachtunggleichenkonnte.DieseBewegung zog die Aufmerksamkeit des Capitän aufsich.«»Ah,ah!«machteer.Damiterhobersich,grüßteden

HugenottenmitausgesuchterHöflichkeitundwandtesichnachErfüllung dieser Pflicht gegen den Pagen hin.DerHugenott erhob sich, wie der Gascogner gethan hatte,grüßte höflich, aber trocken, und drehte seinen Kopfgegen dieWand. Der Capitän schenkte dem Pagen ein;dieser hob seinGlas in dieHöhe, bevor es zum drittenTheilvollwar;danntranker.

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»Ihrsagtetalso,jungerMann,«beganner,»daßIhrimDienst des Marschalls von St. André, des Helden vonCerisoles und von Renty, stehet. Ich wohnte als jungerMensch der Belagerung von Boulogne bei und sah,welcheAnstrengungenermachte,umsichindenPlatzzuwerfen.Ah, sowahr ich lebe, das ist einmal einMann,derseinenMarschallstitelnichtgestohlenhat.«Dannhielteraufeinmalinneundschiennachdenklich

zuwerden.»Cap de Diou!« sagte er, »da fällt mir gerade Etwas

ein. Ich komme aus derGascogne, ich habe dasSchloßmeiner Väter verlassen, um mich in den Dienst einesberühmtenPrinzenodererlauchtenFeldherrnzubegeben.JungerMann,solltees imHausedesMarschallsvonSt.André nicht irgend einen Platz geben, den ein braverOfficierwieichaufpassendeWeiseausfüllenkönnte?IchbininBezugaufdenGehaltnichtheikel,undwennmanmirnurkeinealteFrauzumUnterhaltenundkeineneuenStiefelzumZerreißengibt,soversprecheichjedesAmt,dasmanmirgütigst anvertrauenwird, zurZufriedenheitmeinesGebietersauszufüllen.«»Ach, Capitän,« sagte der junge Page, »es thut mir

wirklich unendlich leid, aber unglücklicherweise ist dasHausdesHerrnMarschallsvollständig,und ichzweifle,ob er, selbst beim besten Willen, Euer verbindlichesAnerbietenannehmenkönnte.«

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»ZumHenker, das ist umso schlimmer für ihn;dennich kann mich rühmen, daß ich den Leuten, die michanstellen, kostbareDienste zu leisten vermag.Thunwirjetzt,alshätteichNichtsgesagt,undlaßtunsTrinken.«Der junge Page hatte bereits sein Glas erhoben, um

dem Capitän Bescheid zu thun, als er auf einmal eineBewegung machte und lauschte, dann aber sein Glaswiederausden«Tischstellte»Verzeiht, Capitän,« sagte er, »aber ich höre das

GeräuscheinerKutsche,unddadieKutschennochseltensind,soglaubeichwohlversichernzudürfen,daßesdiedes Herzogs von Guise sein wird; ich bitte also umErlaubnißEuchaufeinigeAugenblickezuverlassen.«»Immerzu,meinjungerFreund,immerzu,«sagteder

Capitän mit besonderem Nachdruck; »die Pflicht gehtAllemvor.«DieBitteumErlaubnißwareinepureHöflichkeitvon

demPagen.dennehenochderCapitänantwortete,hatteerraschdieHerbergeverlassenundwaranderBiegungdesWegesverschwunden.

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IV.

DieReisenden.

Der Capitän benutzte diese Abwesenheit, umnachzudenken und bei dieser Gelegenheit den Krugauszutrinken, den er vor sich hatte. Nachdem der ersteexpedirt war, verlangte er einen zweiten. Dann wandtesich der Capitän, wie wenn ihm der Denkstoffausgegangen wäre, oder wie wenn diese geistigeVerrichtung inFolge derUngewohnheit nicht ohne einereinlicheAnstrengungbei ihmvor sichging, gegendenHugenotten, grüßte ihn mit der affektirten Höflichkeit,wovonerbereitsBeweisegegebenhatte,undsagte:»So wahr ich lebe, mein Herr, es scheint mir, ich

begrüßeeinenLandsmann.«»Ihr täuschet Euch, Capitän,« antwortete der

Angeredete;»dennwenn ichmichnicht irre, soseid IhrausderGascogne,währendichausdemAngoumoisbin.«»Ah! Ihr seid aus demAngoumois!« rief derCapitän

im Tone bewundernder Ueberraschung: »aus demAngoumois,wahrhaftig!Ei!Ei!Ei!«»Ja, Capitän; ist Euch Das angenehm?« fragte der

Hugenotte.»Ichglaubeeswohl;erlaubtmirdeßwegenauch,daß

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ich Euch mein Compliment darüber mache; einprächtiges Land, fruchtbar, von herrlichen Flüssendurchschnitten;dieMännersindvollvonMuth,wiemanan dem verstorbenen König Franz I. sieht; die Frauensprudelte von Geist, wie Frau Margareth von Navarrabeweist;kurzundgut, ichgesteheEuch,meinHerr,daßich, wenn ich nicht aus der Gascogne wäre, aus demAngoumoisseinmöchte.«»Das ist in der That allzu viel Ehre für meine arme

Provinz, mein Herr,« sagte der angoumoisischeEdelmann, »und ich weiß nicht, wie ich Euch meinenDankabstattensoll.«»Oh!Nichtsistleichter,meinHerr,alsmirdasbischen

Dank zu beweisen, das Ihr meiner rauhen Offenheitgütigst zollen wollt. Erweiset mir die Ehremit mir aufden Ruhm und die Wohlfahrt Eurer Landsleuteanzustoßen.«« »Mit dem größten Vergnügen, Capitän,« sagte der

Hugenotte,indemerseinenKrugundseinGlasaufeineder Ecken des Tisches herüberstellte, an welchem derGascognerseitdemWeggangdesPagenganzalleinsaß.NachdemderToast auf denRuhmunddieWohlfahrt

derKinderdesAngoumoisausgebrachtwar,brachtederhugenottische Edelmann, um an Höflichkeit nichtzurückzustehen, denselben Toast auf dieWohlfahrt unddenRuhmderKinderderGascogneaus.

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DanundieHöflichkeitgehörigerwidertwar,nahmderangoumoisische Edelmann seinen Krug und sein Glaswieder und traf Anstalten nach seinem Platzzurückzugehen.»Oh,meinHerr« sagte derGascogner, »Ihrwollt die

Bekanntschaft gar zu schnell abbrechen; « erweisetmirdochdenGefallenEurenKrugandiesemTischvollendsauszutrinken.«»Ich fürchtete Euch zu belästigen, mein Herr,«

erwidertederHugenottehöflich,aberkalt.»Michbelästigen?Nie!Ueberdieß,meinHerr,binich

der Meinung, daß die besten und vollständigstenBekanntschaften bei Tisch erschlossen werden. Es istsehrselten,daßeinKrugnichtdreiGläserWeinenthält,nichtwahr?«»Allerdings, mein Herr, dieß ist sehr selten,«

antwortete derHugenotte, der sich sichtlich besann,wowohlderAnderehinauswollte.»Nun denn, so laßt uns mit jedem Glas Wein eine

Gesundheitausbringen.GestaltetIhrmireineGesundheitaufdasGlas?«»Jawohl,meinHerr.«»WennmansichdazuvereinigthatausHerzensgrund

die Gesundheit dreierMänner auszubringen, so beweistDieß,daßmanvongleicherGesinnungundvongleichenGrundsätzenist.«

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»Es ist etwas Wahres an dieser Bemerkung, meinHerr.«»EtwasWahres! etwasWahres! Ihr sagt, es sei etwas

Wahres daran.BeimBluteGottes,meinHerr, es ist diereinsteWahrheit.«Dann fügte er mit seinem einnehmendsten Lächeln

hinzu:»Um die Bekanntschaft anzufangen, mein Herr, und

um die Aehnlichkeit unserer Ansichten ans Lichtkommenzulassen,erlaubtmiralsoalsersteGesundheitdie des erlauchten Connetabels von Montmorencyauszubringen.«Der Edelmann, der bereits vertrauensvoll sein Glas

erhoben und ein heiteres Gesicht angenommen hatte,wurdewieder ernsthaft und stellte seinGlaswieder aufdenTisch.»Ihr werdet mich entschuldigen, mein Herr; aber bei

diesemMann kann ich Euch unmöglich Bescheid thun.HerrvonMontmorencyistmeinpersönlicherFeind.«»EuerpersönlicherFeind?«.»Soweit einMann in seiner Stellung der Feind eines

Mannesindermeinigen,soweitderGroßederFeinddesKleinenseinkann.«»Euer persönlicher Feind in diesem Fall wird er von

Stund an der meinige, um so mehr als ich offengestanden, ihnganzundgarnichtkenneundkeine tiefe

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Zärtlichkeitgegen ihnempfinde.SchlechterRuf:geizig,krittlich, ein Hurenjäger, läßt sich schlagen wie einEinfaltspinsel, fangen wie ein Dummkopf. Wie zumTeufel konnte mir doch die Idee kommen Euch einesolcheGesundheitvorzuschlagen?Erlaubtmirdaher,daßich meine Revanche nehme und eine andere ausbringe.AufdenerlauchtenMarschallvonSt.André!«»So wahr ich lebe. Ihr habt kein Glück, Capitän,«

antwortete der hugenottische Edelmann, indem er beidemNamenSt.AndréganzdasselbethatwaserbeidemNamen des Connetabels gethan hatte. »Ich trinke nichtauf die Gesundheit eines Mannes, den ich nicht achte,einesMannes,derbereitistfürEhrenundGeldAlleszuthun, eines Mannes, der seine Frau und seine Tochterverkaufen würde, wie er sein Gewissen verkauft hat,wennmanihmdengleichenPreisdafürböte.«»Oh, oap de Diou!« Was sagt Ihr mir da?« rief der

Gascogner, »wie sich wollte auf die Gesundheit einessolchen Mannes trinken. . . wo zum Teufel hattest Dudenn Deinen Kopf, Capitän?« fuhr der Gascogner fort,indem er sich selbst eines Verweis ertheilte. »He, guterFreund, wenn Du Dir die Achtung der ehrlichen Leutebewahren willst, so darfst Du künftig keine solcheDummheitenmehrmachen.«Dann wandte er sieh wieder an den Hugenotten und

sagte:

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»MeinHerr,vondiesemAugenblickanhegeichgegendenMarschall von St. André ganz dieselbe Verachtungwie Ihr.Da ichEuchnunnichtunterdemEindruckdesIrrthums lassenwill,den ichbegangenhabe, sowill icheine dritte Gesundheit ausbringen, gegen die IhrhoffentlichNichtseinzuwendenhabenwerdet.«»Welche,Capitän?«»DieGesundheitdeserlauchtenFranzvonLothringen,

Herzogs vonGuise!— auf denVertheidiger vonMetz!auf den Sieger von Calais! auf den Rächer von St.QuentinundvonGrävelingen!aufdenWiedergutmacherderDummheitendesConnetabelvonMontmorencyunddesMarschallsvonSt.André.«»Capitän,«sagtederjungeMannerblassend,»Ihrhabt

keinGlückmitmir,dennichhabeeinGelübdeabgelegt.«»Welches,meinHerr?Glaubetmit,daßich,wennich

zurErfüllungdesselbenEtwasbeitragenkann...«»Ich habe geschworen daß Derjenige, dessen

GesundheitIhrmirverschlaget,vonmeinerHandsterbensolle.«»EizumHenker!«riefderGascogner.Der Hugenotte machte eine Bewegung, um

aufzustehen.»Wie?« rief derGascogner. »Wasmacht Ihr da,mein

Herr?«»Mein Herr,« sagte der Hugenotte, »der Versuch ist

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gemacht;diedreiGesundheitensindausgebracht,unddawir, wie es scheint, über die Menschen nicht gleicherAnsicht sind, so steht zu befürchten, daß es nochschlimmer ausfallen wird, wenn wir an die Grundsätzekommen.«»Ha,beimlebendigenGott!mansollnichtsagen,mein

Herr, daß Männer, die geschaffen sind. um sich zuverstehen,sichumAndererwillenüberworfenhaben,diesie nicht einmal kennen, denn ich kenne weder denHerzog von Guise, nach den Marschall von St. André,noch den Connetabel von Montmorency. Nehmen wiralso an, ich habe die Unklugheit begangen dieGesundheitdreiergroßerTeufelausderHölle,desSatan,desLuciferundderAftarothauszubringen;Ihrgebetmirbei der dritten Gesundheit zu verstehen, daß ich meineSeele verliere, und nun trete ich natürlich in allerGeschwindigkeitzurück—IchstehealsonochimmeraufdemPunkt,vondemichausgegangenbin,unddaunsereGlaservollsind,solaßtuns,aufwennsEuchgefälligist,aufunserebeiderseitigeGesundheittrinken.GottverleiheEuch lange und glorreiche Tage,meinHerr, Das ist es,wasichaustiefstemHerzenvonihmerflehe!«»DerWunsch ist allzu höflich, als daß ich ihn nicht

zurückgebensollte,Capitän.«»Und dießmal leerte der Angoumois sein Glas nach

demBeispieldesCapitäns,welcherdemseinigenbereitsseinRechtangethanhatte.

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»Nunwohl,esbleibtalsodabei,«sagtederGascognermitderZungeschnalzend,»undwirverstehenunsganzvortrefflich;.vomheutigenTaganalso,meinHerr,könntIhrübermichalsEurenergebenstenFreundverfügen.«»IchstellemichaufgleicheWeisezuEurerVerfügung,

Capitän,« antwortete der Hugenotte mit seinergewöhnlichenHöflichkeit.»Ichmeinerseits« fuhrderGascogner fort,»willnoch

hinzufügen,meinHerr,daßichnuraufeineGelegenheitwarte,EucheinenDienstzuerweisen.«»Ichgleichfalls,«antwortetederAngoumois.»Aufrichtig,weinedlerHerr?«»Ganzaufrichtig,meinCapitän.«»Nunwohl,dieseGelegenheit,dieIhrsucht,mireinen

Dienst zu erweisen, habt Ihr, glaube ich, bereitsgefunden.«»Istsmöglich.daßichdiesesGlückgehabthätte?«»Ja; beim Kreuze Gottes. ich wüßte mich sehr

täuschen,wennIhrsienichtunterderHandhättet.«»Sosprecht.«»DieSache istdie, ichkommeausderGascogne; ich

habedasSchloßmeinerVäter,woichzusehendsundaufeine beklagenswerthe Art fetter wurde, verlassen.MeinBarbierhatmirtüchtigeBewegunganempfohlen,undichkommenachParisinderAbsicht,mirwelchezumachen.Es versteht sich von selbst, daß ich die Laufbahn der

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Waffen ergriffen habe. Solltet Ihr nicht im AngoumoisirgendeingutesPlätzchenwissen,daseingascognischerCapitän ausfüllen könnte, vorausgesetzt daß man ihnnichtalteWeiberzurUnterhaltenoderneueStiefel zumZerreißengibt?Ichwagemirzuschmeichelt,weinHerr,daß ich in diesem Fall die Geschäfte, die man miranvertrauen dürfte, auf eine vorteilhafte Art besorgenwerde.«»Ich möchte gern, Capitän,« antwortete der

Angoumois; »aber unglücklicher Weise habe ich sehrjungweineProvinzverlassenundkenneNiemanddort.«»BeidenEingeweidendesheiligenVaters,dasistsehr

unglücklich,weinHerr,aberda fälltmirebenein,meinedlerHerr, vielleichtwüßtet Ihr irgend ein Plätzchen ineinerandernProvinz;ichbestehenichtgeradedaraufinsAngoumoiszukommen,dennmanversichertmich,daßdortdieFieberherrschen;odervielleichtkönntetIhrmichirgendeinemtugendhaftenHerrnvonhohemGeschlechteempfehlen.Wenn er auch nicht vollkommen tugendhaftwäre, so wollte ich mich darein ergeben, vorausgesetztdaßGottihmanBravourzugetheilthatte,waserihmanTugendverweigert.«»Ich bedanke lebhaft, Capitän, daß ich einem so

schmiegsamenManne,wie Ihrseid, inNichtszudienenvermag; aber ich bin ein armer Edelmann wie Ihr, undwennicheinenleiblichenBruderhätte,sokönnteervomUeberflußmeinerBörseodermeinesCreditsseinLeben

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nichtstiften.«»Beim frommen Schächer!« rief derGascogner, »das

ist inWahrheitsehrverdrießlich;aberdawenigstensdieAbsicht vorhanden war, wein edler Herr,« fuhr derCapitän fort, indem er aufstand und sein Degengehängwiederfesterband,»sobinichEuchaufEhreingleicherWeiseverpflichtet.«Und er grüßte den Hugenotten, der ihm den Gruß

erwiderte, seinenKrug und seinGlaswieder nahm undsichaufsNeueanseinenerstenPlatzsetzte.ImUebrigenbrachtedieAnkunftderKutscheaufdie

handelnden Personen, die wir in Scene gesetzt haben,einenverschiedenenEindruckhervor.Wirhabengesehen,daßderangoumoisischeEdelmann

seinen Platz wieder einnahm, der ihm gestattete derThüredenRückenzukehren.DergascognischeCapitänblieb kerzengerade stehen,wie es einem jüngeren Sohnaus gutem Hause gegenüber den hohen Berühmtheitenzustand, welche der Page angekündigt hatte; der WirthundseineFrauendlichstürztenaufdieThürezu,umsichzur Verfügung der Reisenden zu stellen die ihrGlückssternzuihnenführte.DerPage,der,umseineKleidernichtdurchBerührung

derkothigenundeingesunkenenStraßezubeschmutzen,ausdemdreifachenKutschentrittstand,sprangherabundöffnetedenSchlag.EinMannvonvornehmerMienemit

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einerbreitenNarbeaufderWangestiegzuerstaus.EswarFranzvonLothringen,HerzogvonGuise,dem

manseitderfurchtbarenWunde,dieerinCalaiserhaltenhatte,denBeinahmenderBenarbtegegeben.ErtrugdieweißeSchärpemitdengoldenenFranzenundLilien,dieInsignie seines Grads als Generallieutenant derköniglichenArmeen.SeineHaarewarenkurzgeschnittenund standen bürstenartig empor; er trug die schwarzeSammtmützemitweißenFedern,diedamalsinderModewar,dasperlgraueundsilbergestickteWamms,dasseineLieblingsfarben enthielt, Hosen und Mantel vonscharlachrothem Sammt nebst langen Stiefeln, die mannöthigenfallsbisandenOberschenkelheraufziehenoderauchunterdemKniehinabschlagenkannte.»Ei,das ist jaeinewahreSündfluth,«sagteer, indem

er sichmitten in die Pfützen stellte, durch dieman zurWirthshausthüregelangenmußte.Dannwandte er sich zurKutsche zurück, neigte sich

insInnerehineinundsagte:»LiebeCharlotte, IhrkönntunmöglichEurehübschen

FäßchenindiesendickengarstigenKothstellen.«»Was dann thun?« fragte ein weiches flötenartiges

Stimmchen»Mein lieberMarschall,«fuhrderHerzogfort,»wollt

Ihr mir erlauben Eure Tochter in meinen Armenhineinzutragen? Dieß würde mich um vierzehn Jahre

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verjüngen, denn es sind heute gerade vierzehn Jahre,meine schönePathin, daß ichEuch auf dieseWeise ausEurer Wiege nahm. Wohlan denn, mein holdesTäubchen,« fügte er hinzu, »kommt hervor aus EurerArche.«So sprechend nahm er das junge Mädchen in seine

ArmeundstellteesmitdreigroßenSchritten ins InneredesSaales.DerTitelTäubchen,welchendergalanteHerzogseiner

Pathin gegeben hatte, die nunmehr bald seineSchwiegertochter werden sollte, war keineswegsangemaßt:eswarinderThatunmöglicheinenweißeremschmachtenderen und zierlicheren Vogel zu sehen alsdenjenigen, welchen der, Herzog so eben in seinenArmen weggetragen und auf den feuchten Platten desWirthshausesniedergestellthatte.Die dritte Person, die aus der Kutsche stieg oder

vielmehrzusteigenversuchte,warderMarschallvonSt.André. Er rief seinen Pagen, aber dieser hörte nicht,obgleicherkaumdreiSchrittevonihmstand.AlsächterPage verschlang er mit verliebten Blicken die TochterseinesGebieters.»Jacques! Jarques!« wiederholte der Marschall. »He

da!wirftDuendlichkommen,kleinerSchlingel.«»Ichbinda!«riefderjungePage,indemersichlebhaft

umwandte;»ichbinda,HerrMarschall.«

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»ZumHenker!« sagte dieser, »ich sehe es wohl, daßDuda bist; aber da solltestDunicht sein,DuLümmel!Komm schnell hierher, hierher an diesen Tritt da. Duweißtwohl,daßichimAugenblickgehindertbin,kleinerSchlingel!Au!Uf!Donnerwetter!«»Verzeiht,HerrMarschall,« sagte derPagebeschämt,

indemerseinemHerrnseineSchulterdarbot.»Stützet Euch aufmich, HerrMarschall,« sprach der

Herzog,indemerdemPodagristenseinenArmreichte.DerMarschallbenütztedieErlaubnißundgelangtemit

HilfedieserdoppeltenStützeebenfallsinsWirthshaus.ErwardamalseinMannvonetwafünfzigJahren,mit

rosigenblühendenWangen,obschonfürdenAugenblicketwasblaßinFolgederKrankheit,dieihnbefallenhatte.Er hatte einen rothenBart, blondeHaare, blaueAugen,undmansahesaufdenerstenBlick,daßderMarschallvonSt.AndrézehnoderzwölfJahrevorderEpoche,wowir angelangt sind, einer der schönstenCavaliere seinerZeitgewesenseinmußte.Er setzte sich mit einiger Mühe auf eine Art von

LehnstuhlausStroh,derinderEckedesCamins,d.h.imentgegengesetzten Winkel von demjenigen, wo dergascognischeCapitänundderangoumoisischeEdelmannsichbefanden,aufihnzuwartenschien.DerHerzogbotFräuleinCharlottevonSt.Andréden

Strohstuhl, auf welchem wir zu Anfang des

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vorhergehendenCapitelsdenWirthreitensahen.ErselbstbequemtesichmiteinemSchemelundgabdemWirtheinZeichen, daß er ein großes Feuer im Camin anmachensolle;dennobschonmansichimvollenSommerbefand,sowardochdieFeuchtigkeitvonderArt,daßdasFeueralseinhöchstdringendesBedürfnißerschien.In, diesem Augenblick fiel der Regen mit solcher

Heftigkeit,daßdasWasserzuroffenenThürewiedurcheinen durchbrochenen Damm oder eine Schleuße, dieman zu schließen vergessen hätte, ins Wirthshaushereinzudringenanfing.»Hollah, Wirth!« rief der Marschall, »macht doch

unsere Thüre zu! Wollt Ihr uns bei lebendigem Leibertränken?«Der Wirth übergab den Reißbüschel, den er

herbeibrachte, seiner Frau, überließ ihr als einermodernenVestalin das Geschäft das Feuer anzuzünden,undeilteandieThüre,umdenBefehldesMarschallszuvollziehen. Aber in dem Augenblick, wo er alle seineKräftezusammennahm,umdieThürezuschließen,hörtemanaufderStraßedenraschenGaloppeinesPferdes.InFolgedessenbliebderwürdigesMannstehen,damit

nichtderReisende,wennerdieThüreverschlossenfand,dasWirthshausfürvolloderfürgänzlichverlassenhaltenundindereinenwieinderandernVoraussetzungvorüberziehensollte.

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»Verzeiht,gnädigsterHerr,« sagteer, indemer seinenKopf durch die halboffene Thüre herein streckte, »aberichglaube,daßichnocheinenReisendenbekomme.«In der That hielt ein Reiter vor demWirthshause an,

sprangvonseinemPferdeundwarfdemWirthdenZügelzumitdenWorten:»FührdiesesThier indenStallund laßes ihmweder

anKleienochanHaberfehlen.«Dann trat er rasch in das vom Feuer noch nicht

beleuchtete Wirthszimmer und schüttelte seinen vomRegen triefendenHut ab, ohne daran zu achten, daß ersämmtlicheAnwesendebenetzte.Das erste Opfer dieses Regens war der Herzog von

Guise, der rasch aufstand, mit einem einzigen SprungbeidemFremdenwarundihmzurief:»He da, Herr Schlingel, könnt Ihr nicht Acht geben,

wasIhrthut?«BeidiesemGrußdrehtederneueAnkömmlingsichum

und fuhr blitzschnell mit der Hand an seinen Degen.Ohne Zweifel würde Herr von Guise seinen Ausdrucktheuer bezahlt haben, wenn er nicht, weniger vor demDegenalsvordemGesicht,zurückgetretenwäre.»Wie,Prinz,Ihrseids?«sagteer.Derjenige, welchen der Herzog von Guise als Prinz

anredete, brauchte blos einen Blick auf den berühmtenlothringischenFeldherrnzuwerfen,umihnseinerseitszu

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erkennen.»Jawohl,ichbins,HerrHerzog«antworteteerebenso

erstauntihnindieserelendenHerbergezutreffen,alsderHerzog erstaunt gewesen war ihn hereinkommen zusehen»Gestehet,Prinz,daßderRegeneinenMenschensehr

blendenmuß,daichEureHoheitfüreinenStudentenvonderLandimessehaltenkonnte.«DannfuhrermiteinerVerbeugungfort:»Ich bitte Eure Hoheit aufrichtigst um

Entschuldigung.«»Es ist wahrhaftig nicht der Mühe werth, Herzog,«

sagte der letztangekommene Gast in einemungezwungenen überlegenen Ton, der bei ihm zurGewohnheit gewordenwar. »Und durchwelchen Zufallbefindet Ihr Euch hier? Ich glaubte Euch in EurerGrafschaftNanteuil.«»Ichkommewirklichdavonher,Prinz.«»UeberSt.Denis?«»Wir haben einen Abstecher nach Gonesse gemacht,

umimVorbeigehendieLandimessemitanzusehen.«»Ihr, Herzog! Das könnte man etwa mir hingehen

lassen, da mein Leichtsinn, Dank meinen Freunden,sprichwörtlich zu werden anfängt. Aber wie kann derernste, der strengeHerzogvonGuise von seinemWegeabgehen,umeinStudentenfestmitanzusehen?«

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»Ich bin auch nicht auf diese Idee gekommen, Prinzich reiste mit demMarschall von St. André, und seineTochter, meine Pathin Charlotte, eine Kleine, die ihreCapricen hat, wollte sehen, was diese berühmteLandimesse eigentlich sei; dann aber wurden wir vondemRegenüberraschtundhabenhiereingestellt.«»DerMarschallistalsohier?«fragtederPrinz.»Da ist er,« sagte der Herzog, indem er die beiden

PersonenzumVorscheinkommenließ,welchederPrinzzwarimHalbschattenbemerkthatte,aberohneihreZügezu erkennen. Der Marschall machte eine Anstrengungundstandauf,indemersichaufseinenLehnstuhlstützte.»Marschall,« sagte der Prinz, auf ihn zugehend,

»entschuldigt mich, daß ich Euch nicht erkannt habe;aber außerdem, daß dieser Saal dunkel wie ein KellerodervielmehrdieserKellerdüsterwieeinGefängnißist,hatmichderRegendermaßengeblendet,daßich,wiederHerrHerzog,imStandewäreeinenEdelmannmiteinemBauern zu verwechseln. Glücklicherweise, meinFräulein,«fuhrderPrinzgegendasjungeMädchenfort,das er mit Bewunderung anschaute, »glücklicherweisestellt sich meine Sehkraft allmählig wieder ein und ichbeklagevonganzemHerzendieBlindendenen es nichtvergönnt ist ein Gesicht wie das Eurige betrachten zudürfen.«Dieses vom Zaun gerissene Compliment trieb die

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Röthe in die Wangen des Mädchens. Sie schlug ihreAugen auf, um denMann anzusehen, der ihr vielleichtdie erste Schmeichelei gesagt, die sie sei empfangenhatte;abersiesenktesiesogleichwieder,weildieBlitzeausdenAugendesPrinzensieblendeten.Wirwissennicht,welcherArt ihrEindruckwar, aber

gewiß war er voll Lieblichkeit und Zauber, denn einjungesMädchenvonvierzehn Jahrenkonntenichtwohlein einnehmenderes Gesicht zu sehen bekommen, alsdiesen Cavalier von neunundzwanzig Jahren, den manPrinznannteundmitdemTitelHoheitbegrüßteLudwig I.vonBourbon,PrinzvonCondé,war inder

ThateinvollendeterCavalier.Geboten am 7.Mai 1530, ging er zur Zeit, wo diese

Erzählungbeginnt,inseindreißigstesJahr.Er war eher klein als groß, aber von

bewundernswürdiger Taille. Seine kastanienbraunenHaare,diekurzgeschnittenwarenbeschattetenglänzendeSchläfe,worineinPhrenologunsererZeitalleBeulenderhöchsten Intelligenz gefunden haben würde. SeineAugen, blau wie Lasurstein, drückten eineunaussprechliche Sanftmuth und Zärtlichkeit aus, undhättennichtdichteBrauendiesemGesichteinigermaßeneineHärte gegeben, die ein blonderBart nochmilderte,so hätte man den Prinzen für einen schönen Studentengehalten, der ganz frisch aus dem Mutterhaus käme.

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Gleichwohl trug dieses prächtige, gleich dem Azur desHimmels, helle Auge manchmal ein Gepräge trotzigerEnergie,sodaßdieSchöngeisterjenerZeitesmiteinemFlusseverglichen«derruhigsei,jenachdenStrahlen,dieihnbeleuchten,aber furchtbar, jenachdenStürmen,dieihnaufregen.MiteinemWort,ertrugaufseinemGesichtseinenvorherrschendenCharacter,d.h.PhysischenMuthund Liebesbedürfniß, beide auf den höchsten Gradgetrieben.JadiesemAugenblickbeleuchtetesichdieWirthsstube

in Folge der geschlossenen Thüre und des im Herdflammenden Feuers mit phantastischen Scheinen, diecapriciös auf die beiden Gruppen im rechten und imlinkenWinkelfielen;überdießfielenzwischendenobernOeffnungenvonZeitzuZeitBlitzeherein,welcheaufdieGesichter einen bläulichen Wiederschein warfen,wodurch selbst die Jüngsten und Lebenskräftigsten dasAnsehen von Bewohnern einer andern Welt erhielten.Dieser Eindruck war so stark, daß er selbst den Wirthergriff.Alsersah,daß,obschoneskaumsiebenUhrwar,die Nacht schon gänzlich hereingebrochen schien,zündete er eine Lampe an und stellte sie auf denKaminmantel über der Gruppe des Prinzen von Condédes Herzogs von Guise, des Marschalls von St. AndréundseinerTochter.Der Regen nahm nicht nur nicht ab, sondern wurde

immer stärkere an eine Weiterreise war also nicht zu

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denken. Ueberdieß kam zu dem Regen noch vom FlußhereinsofurchtbarerWind,daßdieFensterlädengegendieMauerschlugenunddasHausselbstvomGipfelbiszu seiner Grundlage zitterte.Wäre die Kutsche auf derStraße gewesen, so würde sie ohne allen Zweifel vomSturm fortgeweht worden sein: die Reisendenbeschlossen also im Wirthshaus zu bleiben, so langedieserentsetzlicheOrkandauernwürde.Aufeinmalhörtemanmitten indiesemschrecklichen

TumultderElemente,währendderRegenaufdieKöpfeherabrieselte, die Läden gegen dieMauer schlugen, dieZiegelvornDachherabgewehtwurdenundaufderErdezerbrachen, an die Thüre klopfen, und eine ächzendeStimme wiederholte in einem Ton, der jedes malschwächerwurde.»Oeffnet! Öffnet! im Namen unseres Herrn und

Heilandes,öffnet!«DerWirth,derandieAnkunfteinesneuenReisenden

glaubte, hatte sich, als er klopfen hörte, schnellaufgemacht, um die Thüre zu öffnen; aber als er dieStimme erkannte, blieb er mitten im Saal stehen undsagtekopfschüttelnd:»DutäuschestDichinderThüre,alteHexe.Nichthier

mußt Du klopfen, wennDuwillst, daßmanDir öffnensoll.«»Oeffnet,HerrWirth,«wiederholte dieselbe klagende

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Stimme; »es ist einewahreSünde ein armes altesWeibbeisolchemWetterdraußenzulassen.«»KehreDeinenBesenstielnacheinerandernSeite,Du

Teufelsbraut,« antwortete der Wirth durch die Thürehindurch; »die Gesellschaft hier ist zu vornehm fürDich.«»Und warum?« fragte der Prinz von Condé, den die

HartherzigkeitdesWirthesempörte,»warumöffnestDudieserarmenFraunicht?«»Weil sie eine Hexe ist, Euer Hoheit, die Hexe von

Andilly,einealteHalunkin,diemandesExempelswegenmitten auf der Ebene von St. Denis verbrennen sollte,weil sie von Nichts als Wunden und Beulen träumt,Nichts als Hagel und Donner prophezeit. Ich binüberzeugt, daß sie sich an irgend einem armen Bauerngerächt haben wird und daß sie an diesem verfluchtenWetterSchuldist.«»Herrodernicht««sagtederPrinz,»auf,öffneihr.Es

ist nicht erlaubt ein menschliches Geschöpf bei einemsolchenSturmvorderThürezulassen.«»Da Euer Hoheit es wünscht,« sagte der Wirth, »so

will ich dieser alten Ketzerin öffnen; aber ich wünschenur daß Euer Hoheit es nicht bereuen möge, denn esgeschiehtüberalleinUnglück,wosiehinkommt.«Der Wirth, der trotz seines Widerwillens gehorchen

mußte,öffnetedieThüre,undnunsahmaneinealteFrau

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mit zerzausten fliegenden grauen Haaren hereintretenodervielmehrhereinfallen.Sie trugeinganzzerrissenesrothesWollkleid und einen großenMantel, der sich imselben Zustand wie das Kleid befand und bis aus ihreFersehinabreichte.Der Prinz von Condé trat trotz seiner prinzlichen

Würde vor, um der Hexe ausstehen zu helfen, denn erwar das beste Herz von derWelt. Aber derWirthwarfsich dazwischen, stellte die Alte wieder auf ihre Beineundsagtezuihr:»Dann dem Herrn Prinzen von Condé, Hexe, denn

ohneihnhätteichDich,dasdarfstDumirglauben,zumWohl der Stadt und ihrer Umgegend vor der Thürecrepirenlassen.«Die Hexe ging ohne zu fragen, wer der Prinz sei,

gerade auf ihn zu, kniete nieder und küßte den SaumseinesMantels.DerPrinzließeinenBlickvollinnigenMitleidsaufdas

armeGeschöpffallen.»Wirth,« sagteer,»gibdieserarmenFraueinenKrug

WeinundzwarvonDeinembesten.Geh,trinkeinwenig,Alte,«fuhrerfort,»daswirdDichwärmen.«Die Alte setzte sich. an einen der Tische im

Hintergrund des Saals; auf diese Art befand sie sichgegenüberderEingangsthüreundhattezu ihrerRechtendie Gruppe des Prinzen, des Marschalls von St. André

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und seiner Tochter; zu ihrer Linken den gascognischenCapitän,denangoumoisischenEdelmannunddenjungenPagen.DerangoumoisischeEdelmannwarwiederineinetiefe

Träumerei versunken. Der junge Page weidete seineAugen an denReizen des Fräuleins von St.André.Dergascognische Capitän allein besaß seine ganzeGeistesfreiheit;erdachte,wenndiealteFrauauchnurimzehntenTheilderBehauptungendesWirthesHexesei,sokönnedießfürihnimmerhineinLichtundeinLeitfadensein, um die erledigte Stelle zu suchen,wegen deren ersichbeidemangoumoisischenEdelmannunddemPagenerkundigt, und worüber diese ihm nichts Bestimmteshattensagenkönnen.ErschrittalsoüberseineBankweg,pflanztesichvor

derHexeauf,diemitsichtlicherBefriedigungsoebenihrerstes Glas Wein getrunken hatte, und indem er mitgespreiztenBeinen,die linkeHandaufdenDegenknopfgelegt,denKopfaufdieBrustgeneigt,diealteFraumitseinem zugleich feinen und ausdauernden Blick fixirte,sagteer:»Sageinmal,Hexe,kannstDuwirklichinderZukunft

lesen?«»MitGottesHilfe«meinHerr,ja,zuweilen.«»KönntestDumirmeinHoroscopstellen?«»Ichwillsversuchen,wennesEuerWunschist.«

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»Nunja,esistmeinWunsch.«»DannstehichEuchzuBefehl.«»Sieh,dahastDumeineHand;dennihrZigeunerinnen

lesetjadochausderHand,nichtwahr?«»Ja.«Die Hexe ergriff mit ihren fleischlosen schwarzen

Händen die Hand des Capitäns, die beinahe eben sotrockenundschwarzwarwiedieihrige.»WaswolltIhr,daßichEuchzuerstsagensoll?«fragte

sie.»Du sollst mir zuerst sagen, ob ich Glück machen

werde.«DieHexeprüftedieHanddesGascognerslangeZeit.Dieserwurdeungeduldig,alsersah,daßdieHexesich

nicht aussprach; er schüttelte den Kopf und sagte dannmitzweifelnderMiene:»Wie zum Teufel kannst Du denn in der Hand eines

Menschenlesen,oberseinGlückmachenwird.«»Oh sehr leicht« gnädiger Heer, nur ist Das mein

Geheimniß.«»HerausmitDeinemGeheimniß.«»WennichsEuchsage,Capitän,«antwortetedieHexe,

»so ist es nicht mehr mein Geheimniß sondern dasEurige.«»Du hast Recht, behalte es, aber spute Dich! Du

kitzelstweineHand, Zigeunerin, und ich liebe es nicht,

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daßalteWeibermirdieHandkitzeln.«»IhrwerdetGlückmachen,Capitän.«»InWahrheit,Hexe?«»BeimKreuz!«»Oh cap deDiou, guteNachrichten, und glaubstDu,

daßesbaldseinwerde?«»JaeinigenJahren.«»Teufel! Ich hatte es schneller gewünscht; in einigen

TagenzumBeispiel.«»Ich kann blos denErfolg der Ereignisse sagen, aber

ichkannihrenGangnichtbeschleunigen.«»UndwirdmirDassehrmühseligwerden?«»Nein,abereskannAndernmühseligwerden.«»WaswillstDusagen?«»Ichwillsagen,daßIhrehrgeizigseid,Capitän.«»AhbeimKreuzeGottes,Dasistwahr,Zigeunerin.«»Nunwohl,umzuEuremZielzugelangenwerdenalle

WegeEuchgutsein.«»Ja,zeigemirnurdenjenigen,denicheinschlagensoll,

undDuwirstsehen.«»Oh, Ihr werdet ihn wohl von selbst einschlagen, so

furchtbarerauchseinmag.«»Undsageinmal,waswirdausmirwerden,wennich

diesenfurchtbarenWegeinschlage?«»EinMörder,Capitän.«

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»GottesBluts« rief derGascogner, »Du bist ein alterLuder und Du kannst Deine Horoscope Denjenigenstellen,diedummgenugsind,umdaranzuglauben.«Er bedeckte die Alte mit einem Blick der höchsten

EntrüstungundsetztesichwiederanseinenPlatz,indemerbrummte:»Mörder!Mörder!Ich!Höre,Hexe,esmüßteeinesehr

großeSummesein,wennichDaswerdensollte.«»Jacques,« sagte jetztFräuleinvonSt.André,welche

dasganzeTreibendesCapitänsbeobachtetundmitihrenneugierigenOehrchenvonvierzehnJahrenkeinWortvondem Zwiegespräch zwischen der Hexe und demGascognerverlorenhatte,zudemjungenPagen:»Jacques laßt Euch doch auch einmalEuerHoroscop

stellen;DaswirdmirSpaßmachen.«Der junge Mann, den man zum zweiten Mal mit

JacquesanredeteundderkeinandererwaralsderPage,erhobsichohneeineBemerkungzumachen,und trat inderHaltungabsolutenGehorsamszurHexehin.»Hier istmeineHand,guteFrau,« jagteer;»wollt Ihr

mir mein Horoscop stellen, wie Ihr es so eben demCapitängestellthabt?«»Seht gern, mein schöner Junge,« antwortete sie.

Damit ergriff sie die Hand, die der junge Mann ihrreichte,unddiesoweißwarwieeineMenschenhand.»DannschütteltesiedenKopf.

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»Nun,Alte,«fragtederPage,»IhrsehetindieserHandnichtsGutes,nichtwahr?«»Ihrwerdetunglücklichsein.«»Ach, armer Jarques,« sagte halb spöttisch, halb

besorgt das junge« Mädchen, das die Weissagungprovocirthatte.DerjungeMenschlächeltewehmüthigundmurmelte:»Ichwerdeesnichtsein,ichbinesschon.«»DieLiebewirdallEuerUnglückverursachen,« fuhr

dieAltefort.»Werdeichdochwenigstensjungsterben?«fragteder

Pagewieder.»Ach ja, mein armes Kind, mit vierundzwanzig

Jahren.«»Umsobesser.«»Wie so, Jacques, um so besser?Waswollt Ihr denn

damitsagen?«»Da ich ja doch unglücklich sein soll, wozu soll ich

leben?« antwortete der junge Mensch. »Und werde ichwenigstensaufeinemSchlachtfeldsterben?«»Nein.«»InmeinemBette?«»Nein.«»DurcheinenZufall?«»Nein.«

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»Wiewerdeichdennsterben,Alte?«»Ich kann Euch nicht genau sagen, wie Ihr sterben

werdet, aber ich kann Euch die Ursache Eures Todessagen.«»UndworinwirddieseUrsachebestehen?«DieAltesenkteihreStimme:»IhrwerdeteinMördersein,«sagtesie.Der junge Mensch wurde blaß. wie wenn das

prophezeite Ereigniß bereits eingetreten wäre. Er ginggesenktenHauptesanseinenPlatzzurückundsagtet:»Dank, Alte; möge sich erfüllen, was geschrieben

steht.«»Nun,« fragte derCapitän denPagen, »was hat diese

verdammte Alte zu Euch gesagt, mein schönes jungesHerrlein?«»Nichts was ich wieder sagen könnte, Capitän,«

antwortetedieser.DerCapitändrehtesichgegendenAngoumoisum.«»Nunwohl,meinwackereredlerHerr,«sagteer,»seid

Ihr nicht auch neugierig das Schicksal zu versuchen?Kommt doch her, wahr oder falsch, gut oder schlecht,hilft eine Prophezeiung doch immer über einigeAugenblickehinweg.«»Verzeiht mir, antwortete der Edelmann, der auf

einmal aus seiner Träumerei zu erwachen schien, »ichhabe imGegentheil diese Frau etwas sehrWichtiges zu

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fragen.«Damit stand er aus und ging mit der bestimmten

Haltung,dieaufKraftundFestigkeitdesWillensdeutet,geradeaufdieHexezu.»Zauberin,« sagte er mit düsterer Stimme, in dem er

ihr eine nervige Hand hinhielt, »wird mir dasUnternehmerndasichvorhabe,gelingen?«DieHexeergriffdiedargeboteneHand,sahsiejedoch

nureineSecundeanundließsiedannmiteinerArtvonEntsetzenfallen.»O ja,« sagte sie, »es wird Euch gelingen. Aber zu

EuremUnglück.«»Dochwirdesgelingen?«»Ja,aberumwelchenPreis,barmherzigerGott.«»Der Preis wird der Tod meines Feindes sein, nicht

wahr?«»Ja.«»WasliegtmirdannanallemAndern?«UndderEdelmannginganseinenPlatzzurück,indem

er dem Herzog von Guise einen Blick vollunaussprechlichenHasseszuwarf.»Seltsam! Seltsam! Seltsam!« murmelte die Alte,

»MörderalleDrei!««UndsiebetrachtetemiteinerArtvonSchreckendie

Gruppe, die aus dem gascognischen Capitän, demangoumoisischen Edelmann und dem jungen Pagen

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bestand.DieerlauchtenGästeaufderentgegengesetztenSeite des Saales waren dieser chiromantischen Sceneaufmerksammit den Augen gefolgtWir sagen mit denAugen,weilsienichtAlleshattenhören,wohlabersehenkönnen.SowenigVertrauenmannunauchzurHexereihaben

mag, so ist es doch immer interessant, diese düstereWissenschaft, Magie genannt, zu befragen, sei es nun,daßsietausendGlückseligkeitenvoraussagtundmanihrRechtgibt,oderdaßsietausenderleiUnglückprophezeitundmansiederLügebeschuldigt.DiesesGefühlwaresohne Zweifel, was den Marschall von St. Andréveranlaßte,dieAltegleichfallszubefragen.»Ich gebe wenig um all dieß Geschwätze,« sagte er;

»aber ich muß gestehen, daß in meiner Kindheit eineZigeunerin mir prophezeit hat, was mir bis in meinfünfzigstes Jahr zustoßen wird; ich bin sehtfünfundfünfzig alt, und es wäremir nicht unlieb, wenneine Andere mir nunmehr prophezeite, was mir bis zumeinem Tod widerfahren wird. Komm also heran,TochterBelzebubs,«rieferderAltenzu.DieHexestandaufundnähertesichderGruppe.»Hier ist meine Hand,« sagte der Marschall; »sprich

undzwarlaut,wasverkündestDumirGutes?«»Nichts,HerrMarschall.«»Nichts!ZumTeufelsDasistnichtviel;undBöses?«

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»Befragetmichnicht,HerrMarschall.«»Doch, zum Henker, ich will Dich nun einmal

befragen.Sprich,wasliesestDuinmeinerHand?«»Eure gewaltsame Unterbrechung der Lebenslinie,

HerrMarschall.«»Dasbedeutet,daßichnichtmehrlangezulebenhabe,

he?«»Mein Vater!« murmelte das junge Mädchen, indem

sie ihn mit einem Blicke bat, daß er es nicht weitertreibenmochte.»LaßdochCharlotte,«sagtederMarschall.»HöretaufdiesesschöneKind,«sagtedieHexe»Nein, Dumußt Dich ganz aussprechen, Zigeunerin!

Ichwerdealsobaldsterben?«»Ja,HerrMarschall.«»Werde ich eines gewaltsamenoder eines natürlichen

Todessterben?«»Eines gewaltsamen Todes. Ihr werdet den Tod auf

dem Schlachtfeld empfangen, aber nicht von einemehrlichenFeinde.«»VonVerräthershandalso?«»Ja, von Verräthershand. Das heißt, Ihr werdet

ermordetwerden.«»Mein Vater,« murmelte das junge Mädchen, sich

festerandenMarschallschmiegend.»Glaubst Du denn an all diese Teufeleien da?« sagte

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dieser,indemersieaufdieStirneküßte.»MeinlieberVater,unddennochklopftmirdasHerzin

der Brust, wie wenn das Unglück, das man Euchweissagt,baldeintreffensollte.»»Kind!« sagte der Marschall, die Achseln zuckend;

««komm,zeigDuihrjetztauchDeineHand,undmögenihre Prophezeiungen Deinem Leben all die Tagebeifügen,welchesiedemmeinigenabschneiden.«AberdasjungeMädchenweigertesichbeharrlich.»Nun, so will ich Euch mit gutem Beispiel

vorangehen« mein Fräulein,« sagte der Herzog vonGuise,indemerderHexeseineHandreichte.DannfügteermiteinemLächelnhinzu:»Ich sage Dir zum Voraus, Zigeunerin, daß man mir

schon dreimal mein Horoscop gestellt, und daß esdreimal auf Tod gelautet hat; zur Ehre der Zauberkunstlaßesnichtlügen.«»Gnädigster Herr,« sagte die Alte, nachdem sie die

HanddesHerzogsuntersuchthatte,»ichweißnichtwasmanEuchbisjetztprophezeithat;aberhörtwasichEuchprophezeie.«»Sprich!«»IhrwerdetwiederMarschallvonSt.Andréermordet

werden.«»Dastrifftvollkommenzu,«sagtederHerzog,»undes

gibt da kein Entrinnen. Da, nimm dieß und pack Dich

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zumTeufel.«UnderwarfderHexeeinGoldstückzu.»Ei zum Henker, diese Hexe prophezeit uns ja eine

ganzeMördereivonEdelleuten!Ichfangeanzubereuen,daß ich sie hereinkommen ließ, und da mit man nichtglaubenkann, ichwolle alleindemSchicksal entrinnen,soprophezeiemirsehtauch,Alte.«»GlaubtIhrdennanHexen,Prinz?«fragtederHerzog

vonGuise.»Wahrhaftig, Herzog, »ich habe so viele

Prophezeiungen fehlschlagen, so viele Horoscope inErfüllung gehen sehen, daß ich wie Michel Montaigneblossagenwill:Wasweißich?Kommher,guteFrau,daistmeineHand;was siehstDudarin?GutesundBöses,sagAlles.«So vernehmtwas ich in Eurer Hand sehe, gnädigster

Herr: ein Leben voll von Liebe und vonKämpfen, vonVergnügungen und von Gefahren und am Ende einenblutigenTod.«»Welcheichalsoauchermordetwerden?«»Ja,gnädigsterHerr.«»Wie der Marschall von St. André, wie Herr von

Guise?«»Wiesie.«»ObDunundieWahrheitsagstodernicht,guteFrau,

da Du mir ankündigst, daß ich in guter Gesellschaft

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sterbenwerde,sonimmdasfürDeineMühe.«Und er gab ihr nicht ein einzigesGoldstück,wie der

Herzog von Guise gethan hatte, sondern seine ganzeBörse.»MeineGott«gnädigsterHerr««sagtedieAlte,indem

siedemPrinzendieHandküßte,»daßdiearmeZauberinsich täusche und die Weissagung nicht in Erfüllunggehe.«»Und wenn sie trotz Deines Wunsches dennoch in

Erfüllunggeht,guteFrau«soversprecheichDirkünftiganZaubereizuglauben.Freilich,«fügteerlachendhinzu,»wirdesdannfastetwaszuspätsein.«Einen Augenblick herrschte düsteres Schweigen,

während dessen man den Regen langsam herabfallenhörte.»Nun««sagtederPrinz,»dasUnwetterläßtnach.Lebt

wohl, Herr Marschall, lebt wohl, Herr Herzog; manerwartetmichumneunUhr imHotelColigny; ichmußmichalsowiederausdenWegmachen.«»Ei wie, Prinz« bei diesem Unwetter?« fragte

Charlotte.»Mein Fräulein,« sagte der Prinz, »ich danke Euch

aufrichtigstfürEureBesorgtheit;aberichhabevomBlitzundDonnerNichtszu fürchten,da ichermordetwerdensoll.«Nachdem der Prinz sofort seine beidenWaffenbrüder

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begrüßt, auf Fräulein von St. André aber einen Blickgeheftet hatte, welcher das junge Mädchen zwang dieAugen niederzuschlagen, verließ er die Herberge, undeinen Augenblick darauf hörte man auf der Straße vonParisdenraschenGaloppeinesPferdes.»Laß die Kutsche verfahren, Jacques,« sagte der

Marschall. »Wenn man den Prinzen um neun Uhr imHotelColignyerwartet,soerwartetmanunsumzehnUhrimTournellespalast.«DieKutschekam.DerMarschallvonSt.André,seine

TochterundderHerzogvonGuisesetztensichhinein.LassenwirdieseGesellschafthinterdemPrinzenvon

CondéhernachParis fahren,wirwerdensie späterdortwiedertreffen.Stellen wir nur noch neben die Namen der drei

Personen,welchendieHexedenToddurchMörderhandprophezeit hatte, die Namen der drei andern, denen sievorhergesagt, daß sie Mörder werden sollten, so habenwir auf der einen Seite den Herzog von Guise, denMarschallvonSt.André,denPrinzenvonCondé;aufderandern Poltrot de Mere, Baubigny de Mezieres,Mentesquiou.OhneZweifelhattedieVorsehungdiesesechsMänner

im Wirthshaus zum rothen Roß zusammengeführt, umdenEinenwiedenAnderneineWarnungzukommenzulassen, die sich bei beiden Theilen als gleich unnütz

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erwies.

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I.

TriumphzugdesPräsidentenMinards.

Dienstag den 18. December 1559, sechs Monate nachdemLandifest,NachmittagsgegendreiUhr,beieinemsoschonen Sonnenuntergang, als man in dieservorgerückten Jahreszeit nur wünschen konnte, ritt derParlamentsrath, Meister Anton Minard, auf einemMaulthier von so armseligem Ansehen, daß es denschmutzigen Geiz seines Eigenthümers aufsHandgreiflichste verrieth, mitten in der altenTemplestraße.Meister Anton Minard, auf welchen wir die Blicke

unsererLeserfüreineWeilelenkenwollenwareinMannvon etwa sechzig Jahren, dickundbausbäckig, und ließdie blonden Locken seiner Perücke cokett im Windeflattern.Sein Gesicht muß in gewöhnlichen Zeiten die

vollendetsteSeligkeitausgedrückthaben;sicherlichhatteniemals ein Kummer die glatte, leuchtende undrunzellose Stirne verdüstert Keine Thräne hatte unterdiesendicken, starkhervorstehendenAugen ihreFurchegegraben; kurz und gut, blos egoistische SorglosigkeitundgemeineLustigkeitwarenmitihremFirnißüberdas

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Roth dieses blühenden Gesichtes gefahren, dasmajestätischvoneinemdreifachenKinngetragenwurde.Aber an diesem Tag strahlte das Gesicht des

Präsidenten Minard ganz und gar nicht in seinemgewöhnlichenHeiligenschein;dennobschonernurnochvierhundert Schritte von seinem Hause hinweg undfolglich,wieman sieht,dieEntfernungnichtmehrgroßwar, so schien er doch nicht mit Sicherheit auf seineglückliche Ankunft daselbst zu rechnen, und darausfolgte, daß sein Gesicht, der Spiegel seinerGewüthsbewegungen,diepeinlichsteUnruheausdrückte.In der That war die Volksmenge, welche das Geleite

des würdigen Präsidenten bildete, weit entfernt ihmFreudezumachen.Seiterausgerittenwar,hattesicheinungeheurer Menschenhaufen um ihn gesammelt, undschiensicheinwahresVergnügendarauszumachenihmübelmitzuspielen:dieallerärgstenSchreie;undKrakelerin der Hauptstadt den allerchristlichsten Königreichsschienen sich verabredeter Maßen an dem Platze desJustizpalastes eingefunden zu haben, um den brauenMannbisnachHausezugeleiten.WelcheGründe entfesselten doch dieMehrheit seiner

MitbürgergegendenwürdigenMeisterMinard?Wirwollensiemöglichstkurzauseinandersetzen.Meister Minard hatte so eben einen der mit allein

RechtgeachtetstenMännervonParis,seinenCollegenim

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Parlament, seinenBruder inGottden tugendhaftenRathAnneDubourg,zumTodverurtheilenlassen.Welches Verbrechen hatte hier begangen? Dasselbe

wie der Athenienser Aristides. Man nannte ihn denGerechten.FolgendeswarendieUrsachendesProcesses,dersechsMonatewährteundsoebeneinfürdenarmenRathsofatalesEndegenommenhatte.Im Juni 1559 hatte Heinrich II. auf die dringenden

Vorstellungen des Cardinals von Lothringen und seinesBruders Franz von Guise, die von der französischenGeistlichkeit alsGesandteGottes zurVertheidigungundErhaltungderkatholischen,apastolischenundrömischenReligion ernannt worden waren, Heinrich II. hatte einEdicterlassen,wodurchdasParlamentgezwungenwurdesämmtlicheLutheranerohneAusnahmeundohneGnadezumTodzuverurtheilen.AlsnundiesemEdictezumTrotzeinigeRätheeinem

Hugenotten aus dem Gefängniß geholfen hatten, daüberredetenderHerzogvonGuiseundderCardinalvonLothringen, die auf nichts Geringeren als auf diegänzliche Vertilgung der Protestanten ausgingen, denKönig, daß er am 10. Juni im großen Saal desAugustinerklosters eine öffentliche Gerichtssitzunghalten solle. In diesemKloster nämlich befand sich derHoffürdenAugenblick,weitderPalastselbstdurchdieVorbereitungenfürdieFestebeiderDoppelhochzeitdenKönigs Philipp II. mit Madame Elisabeth, und der

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Madamoiselle Margareth mit dem Prinzen EmanuelPhilibertinAnspruchgenommenwar.Drei- oder viermal im Jahr versammelten sich

sämmtlicheKammernoderGerichtedesHofesumeinereinzigen von ihnen, welche man die große Kammernannte,unddieseVersammlungwurdevorzugsweiseamMittwoch abgehalten, daher sie auch den NamenMercurialeführte.DerKönigbegabsichalsoamTagderMercuriale ins

Parlament und eröffnete die Sitzung mit der Frage,warummansicherlaubthabeProtestanteninFreiheitzusetzen,undwohereskomme,daßmandasEdict,dasihreVerurtheilung ausspreche, nicht gerichtlicheingeschriebenhabe.Fünf Räthe erhoben sich von einem und demselben

Gefühl getrieben, und Anne Dubourg sprach in seinemundseinerCollegenNamenmitfesterStimme:»Weil dieser Mann unschuldig war, und weil das

menschliche Gewissen gebietet einen Unschuldigen zubefreien,auchwennerHugenotteist.«DiesefünfRäthehießenDufaur,Fumée,dePoix,dela

PorteundAnneoderAntonDubourg.Dubourg war es, wie gesagt, der die Antwort

übernommenhatte.Erfügtealsohinzu:»Was dasEdict betrifft, Sire, so kann ich demKönig

nicht rathen es gerichtlich einschreiben zu lassen. Ich

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verlangeimGegentheil,daßmandieVerurtheilungen,diees enthält, einstelle, bis die Meinungen derjenigen, dieman so leichthin aufs Schaffot schickt, vor einem Rathreiflicherwogenundgründlicherörtertwordensind.«In diesem Augenblick trat der Präsident Minard

dazwischenundverlangtedenKöniguntervierAugenzusprechen.Es war dies, sagt Condé in seinen Memoiren, ein

verschmitzter, heimtückischer, wollüstiger undunwissender Mann, aber ein gewandter Ränkeschmiedund Complottmacher. Da er dem König und denHäuptern der römischenKirche zuGefallen seinwollteund überdieß fürchtete, die Meinung eines Dubourgkönntedurchdringen,sogaberdemKönigzuverstehen,die Räthe seines Hofes seien beinahe sämmtlichLutheraner, sie gehen darauf aus ihmMacht undKronezurauben,siebegünstigendieLutheraner,esseigräulichanzuhören, wie Einige unter ihnen von der heiligenMessesprechen,siebekümmernsichNichtsumGesetzeundköniglicheOrdonnanzen,sierühmensichganz laut,daß sie die selben verachten, sie kleiden sich nachmaurischerSitte,dieMeistenvon ihnengehenhäufig indie Versammlungen, aber niemals in die Messe, undwennerdasUebelnichtgleichbeidieserMercuriale inseinerWurzel abschneide, so sei die Kirche für immerverloren.Kurzundgut,mitHilfedesCardinalsvonLothringen

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beschwatzte er denKönig und brachte ihn dermaßen inHarnisch, daß er den Herrn von Lorges, Grafen vonMontgomery,CapitänderschottischenGarde,undHerrnvonChavigny,CapitänseinergewöhnlichenGarde,rufenließ, und ihnen Befehl ertheilte die fünf Räthefestzunehmen und unverzüglich nach der Bastille zuführenKaum war diese Verhaftung vorgenommen, so sah

auch schon Jedermann ihre Folgen voraus die GuisewolltendenHugenottendurcheinefurchtbareExecutionAngst einjagen, und man betrachtete, wenn auch nichtallefünfRäthe,dochwenigstensdenbedeutendstenunterihnen,nämlichAnnaDubourg,alsverlorenSchon am folgenden Tag war daher nachstehen des

Verschen, das dieNamen der fünfAngeklagten enthieltundvermögederGruppirungdieserNameneineIdeevondein Schicksal gab, das den Führer der hugenottischenOppositionerwartete,inganzParisverbreiteteParPoix,dalaPorte,duFaux,J'aporcoisduBourg,la

Fumée.Wiedemnunseinmag,die fünffacheVerhaftung,die

irgendeinemSchöngeistderZeitdiesenschlechtenVerseingegeben, rief inderganzenStadtParis,und inFolgedesseninallenStädtenFrankreichs,ganzbesondersaberin den nördlichen Provinzen eine Art von VerblüfftheitundBestürzung hervor.Man kann sogar dieVerhaftung

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diesesehrlichenAnneDubourgalsdieHauptursachederVerschwörungvonAmboisesowiesämmtlicherUnruhenund Schlachten betrachten, die vierzig Jahre langFrankreichsBodenblutigfärbten.Deshalb verweilen wir, man verzeihe es uns also, in

diesem ersten Kapitel bei allen geschichtlichenThatsachen,aufdenendasvollständigeBaugerüstediesesneuen Buches beruht, das wir unsern Lesern in allerDemuth, aber mit dem Vertrauen, woran ihre langeSympathieunsgewöhnthat,vorAugenlegen.VierzehnTagenachdieserVerhaftungFreitagden25.

Juni,amdrittenTagdesTourniers,welchesderKönigimTournellesschloß gab, ganz Inder Nähe derselbenBastille,wodiegefangenenRäthedieZinken,TrompetenundHobdendesFesteserklingenhörten, ließderKönigden Capitän seiner schottischen Garbe, diesen selbenGrafenvonMontgomery,dernebstHerrnvonChavignydie fünf Räthe insGefängniß abgeführt hatte, kommen,und befahl ihm unverzüglich gegen die Lutheraner inCaux-les-Tournoisauszuziehen.Dabei wurde dem Grafen von Montgomery

aufgegeben,allediejenigen,diederKezereiüberwiesenwären, über die Klinge springen, sie der Folterunterwerfen, ihnen die Zunge ausschneiden und siezuletzt bei langsamem Feuer verbrennen zu lassen;denjenigen, die nur verdächtig wären sollten blos dieAugenanegestochenwerden.

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Nun geschah es, daß fünf Tage, nachdem KönigHeinrichIIseinemCapitänderschottischenGardediesenBefehl ertheilt hatte, Gabriel von Lorges, Graf vonMontgomery, den König Heinrich mit seiner Lanzeerstach.Der Eindruck dieses Todes war so groß, daß er vier

von den fünf verhafteten Räthen rettete, und daß dieHinrichtungdesfünftenverschobenwurde.Einervondenfünf wurde freigesprochen drei wurden zu Geldstrafenverurtheilt. Anne Dubourg allein mußte für die andernbüßen,WarernichtderWortführergewesen?Wenn nun dieGuise die leidenschaftlichenAufhetzer

zu diesen Edicten waren, so war einer derleidenschaftlichsten Anführer derselben dieserheuchlerische Präsident Anton Minard, den wir in deralten Templestraße verlassen haben, wie er auf einemwiderspenstigen Maulthier zwischen einem doppeltenSpalier von entrüsteten Bürgern ritt, die ihn mitschrecklichem Geschrei, Beschimpfungen undDrohungenverfolgten.Und wenn wir sagten, er habe, obschon er nur noch

hundert Schritte von seinem Haus entfernt gewesen,dennoch keine Sicherheit gehabt mit heiler Hautheimzukommen,sohabenwirdieLagenichtschlimmergemacht, als siewirklichwar, dennTags zuvorwar amhellenTageinParlamentsschreiberNamensJulianFresneaus unmittelbarer Nähe mit einem Pistol erschossen

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worden,alserebenindenJustizpalastgehenwollte,um,wie man sagte, einen Brief vom Herzog von Guise zuüberbringen,worinderselbeseinenBruder,denCardinalvonLothringen,aufforderte,dieVerurtheilungvonAnneDubourgzubeschleunigen.Daraus folgt, daß dieser Mord, dessen Urheber man

nicht hatte ermitteln können, natürlich dem GedächtnißdesPräsidentenvorschwebte, unddaßdasGespenst desarmen, Tags zuvor erschossenen Schreibers hinter ihmausdemMaulthiersaß.DieserReisegesellschafterwares,derdenPräsidenten

soblaßmachteunddiekrampfhaftenBewegungenseinerFersen veranlaßte, womit er sein halsstarriges Thierbearbeitete,dasdarumkeineswegsschnellerging.GleichwohlkamermitheilerHautvorseinemHause

an;ichschwöreEuch,undwennernochlebte,sowürdeerselbstEuchschwören,daßeshöchsteZeitwar.InderThatdrängtesichdieMenge,erbittertdurchsein

Stillschweigen, das blos die Folge seiner Angst war,worin sie aber einen Beweis seiner Bosheit fürchtete,allmählig immer dichter um ihn, so daß er in förmlicheGefahrgeriethersticktzuwerden.Nun gelangte der PräsidentMinard, so sehr ihn auch

die Fluthen dieses stürmischen Meers bedroht hatten,gleichwohl sicher in den Hafen zur großen Beruhigungseiner Familie, welche alsbald die Thüre hinter ihm

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verriegelteundfestverschloß.DerwürdigeMannhatteüberdieseGefahrdermaßen

den Kopf verloren, daß er seinMaulthier an der Thürevergaß,waserbeieinerandernGelegenheitgewißnichtgethan hätte, obschon esmit zwanzig Sous Parisis sehrgutundweitüberseinenWerthbezahltgewesenwäre.Und es war ein großes Glück für ihn, daß er sein

Maulthiervergaß,dennalsdiesesgutePariservolk,dassoleichtvonDrohungenzumLachenundvomFurchtbarenzumGroteskenübergeht,sah,daßmanihmEtwasließ,sobegnügte es sichmitDemwasman ihm ließundnahmdasMaulthierstattdesPräsidenten.Was unter den Händen des Janhagels aus dem

Maulthier wurde, sagt die Geschichte nicht. Lassen wiralso das Maulthier und folgen wir seinem Herrn insInnereseinerFamilie.

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II.

DasGeburtsfestdesPräsidentenMinard.

Wirbekümmernunssehrwenig,nichtwahr, liebeLeserum die Besorgnisse, welche das lange Ausbleiben desPräsidenten Minard bei seiner Familie hervorgerufenhatte. Wir werden uns also nicht mehr damitbeschäftigen, sondern uns sogleich der Familieanschließen, wie diese sich ihrem Oberhauptangeschlossenhatte,undmitihrindenSpeisesaalgehen,wodasAbendessenaufgetragenwar.WerfenwireinenflüchtigenBlickaufdieGäste,dann

wollenwirauchihreUnterhaltungbelauschen.KeinerderGäste, die amTisch saßen,würdeaufden

ersten Blick die Sympathie eines intelligentenBeobachters erregt haben. Eswar eineMusterkarte vonall den nichtssagenden oder einfältigen Physiognomien,diemaninallenKlassenderGesellschaftwiederfindet.Jedes Mitglied der Familie des Präsidenten Minard

trug denWiederschein der Gedanken, die es bewegten,auf seinem Gesicht. Alle diese Gedanken krochen undwimmelten indenNebelnderUnwissenheitoder indenNiederungenderGemeinheit.BeidenEinenwaresdasInteresse,beidenAndernder

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Egoismus, bei Diesen der Geiz, bei Jenen derKnechtssinn.Man sah hier einen scharfen Gegensatz gegen die

Menge, welche, gleich dem Sclaven hinter demWagendesrömischenTriumphators,demPräsidentenMinardsoeben zugerufen hatte: »Erinnere Dich, Minard, daß Dusterblichbist!«DieMitgliederdieserFamilie,diesichzurJahresfeier seiner Ernennung zum Präsidenten, welchemitseinemGeburtstagzusammenfiel,versammelthalten,wartetensammtundsondersnuraufeinWortausseinemMunde,um ihnzuderglänzendenRolle,dieer soebenbeim Proceß seines Collegen gespielt, zubeglückwünschenundaufdasglücklicheErgebnißdiesesProcesses d. h. auf das Todesurtheil gegen HerrnDubourgzutrinken;undalsMinardaufseinenLehnstuhlsank,sichmitdemSchnupftuchüberdieStirnefuhrundsagte:»Ahwahrhaftig,ihrliebenLeute,heutehabenwireine stürmische Sitzung gehabt!« da brachen Alle inlautesGeschrei aus,wiewenn sie nur auf diesesSignalgewartethätten.»Schweigt, großer Mann!« sprach ein Neffe, der im

Namen Aller das Wort führte; »sprecht nicht, sondernruhet von Euren Strapazen aus und erlaubet uns denSchweiß zu trocknen, der vonEurer edlen Stirne fließt.HeuteistderJahrestagEurerGeburt,diesergroßeTag,soglorreich für Eure Familie Und für das Parlament, zudessen glänzendsten Leuchten Ihr gehöret. Wir sind

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versammelt, um ihn zu feiern, aber wir wollen nocheinigeAugenblickewarten. SchöpfetAthem; trinket einGlas von diesem alten Burgunden und dann werdensogleich auch wir auf die Erhaltung Eures kostbarenLebens trinken; aber ums Himmelswillen, hemmet denLauf desselben nicht durch eine Unvorsichtigkeit. EureFamilieflehtEuchan,daßIhrEuchihrerhaltet,daßIhrder Kirche ihre festeste Stütze, Frankreich einen seinerberühmtestenSöhneerhaltenmöget.«AufdiesekleineRede,welchederFormnachschonin

jener antiken Zeit veraltet war, wollte der PräsidentMinardmitThränen in denAugen antworten, allein diedürren Hände seiner Frau und die fleischigen HändeseinerFräuleinTöchterverschlossenihmdenMund,undverhinderten ihn zu sprechen. Endlich nach einigenMinuten Ruhe wurde Herrn Minard das Wortzurückgegeben,undeinlangesBstliefdurchdieReihenderAnwesenden damit selbst dieDiener, die hinter denThüren standen, keine Sylbe von der Antwort desberedtenRathesverlierensollten.»Ach, meine Freunde,« konnte er endlich beginnen,

»meine Brüder, meine Verwandten, meine tugendhafteund vielgeliebte Familie, ich danke Euch für EureFreundschaftundEureLobsprüche;aberichverdienesieauch inWahrheit, ohmeine zärtliche Familie! denn ichkann ohne Stolz oder wenn Ihr lieber wollt, mit einemedlenStolzsagen,jaichkannlautsagen,daßohnemich,

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ohne meine Ausdauer und ohne meine Hartnäckigkeit,der Ketzer Anne Dubourg zu dieser Stundefreigesprochen wäre wie seine Mitschuldigen: Poix,Fumée, du Faux und de la Porte; aber meinemenergischenWillenhatmanszuverdanken,daßdiePartiegewonnenwordenist,undichhabe,fuhrerfort,indemerseine Augen als Zeichen des Dankes zum Himmelaufschlug, »ich habe, Gott sei Dank, so eben dieVerurtheilung dieses elenden Hugenotten aussprechenlassen.«»Vievat hoch!« rief die Familie, indem sie mit ihren

ArmenindieHöhefuhr,wieauseinemMunde.»EslebeunserhochberühmteVerwandter!Es lebederMann,dersichstetsgleichgebliebenist!EslebederMann,derbeijeder Geleigenheit die Feinde des Glaubens zu Bodenschlägt!HochlebedergrobePräsidentMinard!«UnddieBedientenhinterderThüre,dieKöchinnender

Küche,derStallknechtimStall,riefenallenach:»HochlebedergroßePräsidentMinard!«»Dank,meineFreunde,Dank!«sagtederPräsidentmit

salbungsvollerStimme,»Dank!AberzweiMänner,zweigroße Männer, zwei Prinzen haben auch ein Recht aufdiese Lobsprüche, die Ihr an mich verschwendet: ohnesie, ohne ihreUnterstützung, ohne ihrenEinfluß,würdeich diesen glorreichen Handel niemals zu Ende geführthaben. Diese beiden Männer, meine Freunde, sind der

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HerzogvonGuiseundSeineEminenzderCardinalvonLothringen. Nachdem Ihr auf meine Gesundheitgetrunken, meine Freunde, laßt uns auch auf die ihrigetrinken, und möge Gott diesen beiden großenStaatsmännerneinlangesLebenschenken!«Man brachte die Gesundheit des Herzogs von Guise

unddesCardinalsvonLothringenaus;aberFrauMinardbemerkte,daßihrhuldreicherGemahldasGlaskaummitseinen Lippen berührte und es wieder auf den Tischstellte,während irgend eineErinnerungwie eineWolkeüber seinen Kopf hinzog und mit ihrem Schatten seineStirneverdüsterte.»Was habt Ihr mein Lieber?« fragte sie, »und woher

kommtdieseplötzlicheTraurigkeit?«»Ach!« sagte der Präsident, »es gibt keinen

vollständigenTriumph, keine ungemischte Freude!EinemelancholischeErinnerungdrängtsichnurauf.«»Und welche melancholische Erinnerung kann sich

Euch im schönsten Augenblick Eures Triumphesaufdrängen,theurerGemahl?«fragtediePräsidentin.»ImAugenblick,alsichaufeinlangesLebenfürHerrn

vonGuiseund seinenBruder trank, fiel esmir ein, daßgesterneinMenschermordetwordenist,welchensieanmichabzusendenmirdieEhreerwiesen.»EinMensch!«riefdieFamilie»DasheißteinCanzleischreiber,«versetzteMinard.

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»Wie! Einer Eurer Canzleischreiber ist gesternermordetworden.«»AchmeinGott,ja.«»Wirklich?«»Ihr kennt doch Julian Fresne?« fragte der Präsident

Minard.»JulianFresne?«riefeinVerwandter,»ja,Wirkennen

ihnallerdings.«»EineifrigerKatholik,«sagteeinZweiter.»EinsehrrechtschaffenerMann,«bemerkteeinDritter.»Ich habe ihn gestern in der Rue Barre-du-Bec

getroffen, als er gerade aus demHotel Guise kam und,wieermirsagte,nachdemPalaisgehenwollte.«»Nun wohl, Das ist es gerade: er wollte dem Herrn

CardinalvonLothringenausAuftragseinesBruders,desHerzogevonGuise,eineDepescheüberbringen,diemirmitgetheilt werden sollte. und dawurde er in derNähederNotre-Damebrückeermordet.«»Oh!«riefdiePräsidentin,»welcheinGräuel!«»Ermordet!« wiederholte die Familie im Chor,

»ermordet!AbermalseinMärtyrer!«»Man hat doch wenigstens den Mörder verhaftet?«

fragtediePräsidentinihrenGemahl.»Mankenntihnnicht««antworteteDieser.»ManhatdochVermuthungen?«fragtediePräsidentin.»ManhatsogarGewißheiten.«

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»Gewißheiten?«»Ja; wer soll es anders sein, als ein Freund von

Dubourg?«»Ganz gewiß ist es ein Freund von Dubourg,«

wiederholte die ganze Familie; »wer soll es bei Gottanderssein,alseinFreundvonDubourg?«»Hut;manJemandverhaftet?«fragtediePräsidentin.»UngefährhundertPersonen; ichselbsthabemehrals

dreißigbezeichnet.«»ManmüßtesehrUnglückhaben,«sagteeineStimme,

»wenn sich der Mörder nicht unter diesen hundertPersonenvorfindensollte.«»Wenn er nicht darunter ist,« erklärte der Präsident,

»so wird man noch hundert andere, ja noch zwei oderdreihundertverhaften.«»DieSchurken!«meinteeinachtzehnjährigesFräulein,

»mansolltesieAllezusammenverbrennen.«»Mandenktdaran,«antwortetederPräsident,»undder

Tag, wo man den massenhaften Tod der Protestantenbeschlossen habenwird,wird ein schöner Tag fürmichsein.«»Oh welch ein rechtschaffener Mann Ihr seid, mein

Gemahl!« sagte die Präsidentin mit Thränen in denAugen.DiebeidenTöchterdesHerrnMinardbegannen ihren

Vaterzuküssen.«

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»Undweißman,wasderBriefdesHerzogsenthielt?«fragtediePräsidentin.»Nein,««antworteteMinard, »gerade das hat denHof

heute so lebhaft beschäftigt; aber man wird es morgenerfahren, da der Herr Cardinal von Lothringen heuteAbendseinenerlauchtenBruderbesuchenwird.«»DerBriefistalsogestohlenworden?«»Ohne Zweifel, und es ist sogar wahrscheinlich, daß

derarmeJulianFresneblosdeswegenermordetwurde,weil er Ueberbringet dieses Briefes war. Nachdem derMörder sich desselben bemächtigt und die Fluchtergriffen, hat man Bogenschützen ausgeschickt, um aufihnzufahnden.DieganzeSchaarwacheundsämmtlicheMannschaft desHerrn vonMonchy sind heute früh aufdenBeinen; aber diesenAbend um fünfUhr hattemannochkeineNachrichten.«In diesem Augenblick trat eine Dienerin ein und

meldete Herrn Minard, daß ein Unbekannter alsUeberbringerdesBriefs,dergesternAbendJulianFresnedurch einen Mörder entwendet worden« ihnaugenblicklichzusprechenverlange.»Oh, laßt ihn sogleich hereinkommen!« rief der

Präsident strahlend vor Freude. »Gott belohnt meinenEifer für seine heilige Sache, indem er diese kostbareDepescheinweineHändefallenläßt.«Fünf Minuten nachher führte die Dienerin den

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Unbekannten ein, und Herr Minard sah einen jungenManns von vier- bis fünfundzwanzig Jahren mit rothenHaaren, blondem Bart, lebhaftem eindringlichem BlickundblassemGesichte.AufdieEinladungdesPräsidentensetzte er sich auf der andern Seite des Tisches ihmgegenüber.Eswarderselbe jungeMann,der,alser sichaufdem

Ufer zurückzog, zu den Mördern seines FreundesMedardusgesagt hatte,manwürdevielleicht einesTagsvonihmhören.EswarRobertStuart.DerjungeMannhatte,bevorersichsetzte,höflichund

miteinemLächelnaufdenLippendieganzeGesellschaftbegrüßt;dannhatteereinenStuhlgenommen,sodaßerdenPräsidentenvorunddieThürehintersichhatte.»MeinHerr,«sagteRobertStuart,indemersichanden

Präsidentenselbstwandte,»ichhabedochwohldieEhremitdemHerrnPräsidentenAntonMinardzusprechen?«»Jawohl,meinHerr,gewiß,«antwortetederPräsident

sehr erstaunt darüber, daß man in der PhosiognomikIgnorantgenugseinkönne,umnichtaufseinemGesichtzu lesen, daß nur er allein der berühmte Minard seinkönne und wirklich sei. »Ja, mein Herr, ich bin derPräsidentMinard.«»Sehtgut,meinHerr,«fuhrderUnbekanntefort,»und

wenn ich diese Frage an Euch gerichtet habe, die Euch

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auf den ersten Blick indiscret erscheinen könnte, sowerdetIhrausderFolgeersehen,daßichdießblosthat,weil ich durchaus jede Verwechslung zu vermeidenwünsche.«»Um was handelt es sich, mein Herr?« fragte der

Beamte.»Manhatmirgesagt,daßIhrMirdieDepeschezu übergebenwünschet, welche der unglückliche JulianFresnebeisichtrug,alserermordetwurde.«»Man ist vielleicht etwas zu weit gegangen, mein

Herr,«sagtederjungeMannmitunendlicherHöflichkeit»wennmanEuchmeldete,daßichEuchdieseDepescheüberreichenwürde. Ichhabe indieserBeziehungNichtsversprochen, und ich werde sie Euch geben oder auchbehalten,jenachdemIhrmireineFragebeantwortet,dieichanEuchzustellendieEhrehabenwerde:Ihrbegreift,meinHerr,daßich,umindenBesitzeinessowichtigenPapieres zu kommen, mein Leben riskiren mußte Manriskirt sein Leben nicht, wenn man nicht ein großesInteressedabeihat,daswißtIhr,derIhrimmenschlichenHerzen zu lesen gewohnt seid, Recht wohl. Damit alsoauch hierüber kein Mißverständniß aufkommen kann,habe ich die Ehre Euch zu wiederholen, daß ich Euchdiese Depesche nur dann überreichen werde, wenn ichmitEurerAntwortaufmeineFragezufriedenbin.«»UndworinbestehtdieseFrage,meinHerr?«»HerrPräsident,IhrwißtbesseralsirgendJemand,daß

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in einer wohlgeordneten Instuction Alles seiner Reihenach kommt: ich kann Euch also meine Frage erst ineinemAugenblicksagen.«»IhrhabtjedochdieDepeschebeiEuch?«»»Hieristsie,meinHerr.«Und der jungeMann zog ein versiegeltes Papier aus

derTascheundzeigteesdemPräsidenten.Der erste Gedanke Minards war, das muß man

gestehen,einesHalunkenwürdig:erdachtedaran,seinenVetternundNeffen,welchedieseBesprechungmiteinergewissenUeberraschunganhörten,einZeichenzugeben,daß sie über den Unbekannten herfallen ihm dieDepescheentreißenundihndannindieGefängnissedesChatelet zu den hundert Personen schicken sollten, diewegen der Ermordung des Canzleischreibers JulianFresnebereitsverhaftetwaren.AberaußerderEntschlossenheit,dieaufdemGesicht

des jungen Mannes abgeprägt war, welches alleKennzeichen einer bis zur Halsstarrigkeit getriebenenWillensstärke trug, so daß der Präsident fürchtete, ermöchte nicht die nöthigematerielleMacht besitzen, umsichdesPergaments zubemächtigen, dachte er auch, erwürde vermöge seiner außerordentlichen GewandtheitundFeinheitmitListweiteherzumZielgelangenalsmitGewalt;er that sichalsoZwangan,unddadieeleganteHaltung des jungen Mannes, sowie seine sorgfältige,

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obschon strenge Kleidung zum Voraus die Einladungrechtfertigte, die er an ihn zu erlassen gedachte, soersuchteerihn,sichandenTischzusetzenundmitihnenzu soupiren, damit er derEntwicklung seinerErzählungallenothwendigeZeitwidmenkönnte.DerjungeManndankteihmhöflich,lehnteaberseine

Einladungab.Der Präsident ersuchte ihn, wenigstens eine

Erfrischung anzunehmen, aber der junge Mann lehntedankendwiederumab.»Sosprechtdoch,meinHerr,«sagteMinard,»undda

Ihr Nichts annehmen wollt, so bitte ich Euch umErlaubnißmeinMahlfortzusetzen;dennichgesteheEuchoffen,daßicheinengewaltigenHungerhabe.«»Immer zu, mein Herr!« antwortete der jungeMann,

»undgutenAppetit!DieFrage,dieichanEuchzurichtenhabe,istvonsolcherWichtigkeit,daßeinigeVorfragenzuihrem Verständnis, nöthig werden. Eßt, Herr Präsident,ichwerdefragen.«»Fragt,meinHerr;ichesse,«sagtederPräsident.Und wirklich begann er, indem er seinen Gästen ein

Zeichen gab es ihmgleichzuthun,mit einemAppetit zuessen,derdasgegebeneProgrammnichtLügenstrafte»MeinHerr,«begannderUnbekannte langsammitten

unterdemGeräuschvonGabelnundMessern,dasindeßJeder möglichst zu dämpfen suchte, um keinWort von

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der bevorstehendenErzählung zuverlieren, »meinHerr,IhrmüßtausmeinemAccentbereitsersehenhaben,daßicheinAusländerbin?«»In der That,« antwortete der Präsident mit vollem

Mund,»IhrhabtetwasEnglischesinEuremAccent.«»Es ist wahr, mein Herr, und Euer gewöhnlicher

ScharfblickhatsichinBeziehungaufmichbewährt,Ichbin in Schottland geboren und würde noch dort sein,wennnichteinEreigniß,das ichEuchnichtzuerzählenbrauche, mich genöthigt hätte nach Frankreich zukommen.EinermeinerLandsleute,einfeurigerAnhängervonKnox...«»EinenglischerKetzer,nichtwahr,meinHerr,«fragte

der Präsident Minard, indem er sich ein volles GlasBurgundereinschenkte.»Mein vielgeliebter Lehrer,« antwortete der

Unbekanntesichverbeugend.Herr Minard sah seine ganze Gesellschaft mit einer

Miene an, welche deutlich sagte: »Gebt wohl Acht, ihrlieben Leute, Ihr werdet da schöne Dinge zu hörenbekommen.«RobertStuartfuhrfort:»EinermeinerLandsleute, ein feurigerAnhänger von

Knor, befand sich vor einigen Tagen in einem Haus,wohin ich selbst zuweilen komme:man sprach da vomTodesurtheilgegendenRathAnneDubourg.«

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Die Stimme des jungenMannes zitterte, als er dieselegten Worte sprach, und sein schon vorher blassesGesichtwurdenochblässer.Nichtsdestoweniger wollte er fortfahren, ohne daß

seine Stimme die Veränderung auf seinem Gesichte zutheilenschien;aberalserbemerkte,daßalleBlickesichgegenihnkehrten,sagteer:»AlsmeinLandsmannnurdenNamenAnneDubourg

aussprechenhörte, erblaßte ersichtlichwievielleicht ichselbst in diesem Augenblicke thue, und fragte diePersonen, die von dieser Verurtheilung sprachen, ob esmöglich sei, daß das Parlament eine solcheUngerechtigkeitbegehe.«»MeinHerr,«riefderPräsident,derseinerseitsbeinahe

seinenMundnichtmehr fand,alserdieseungewohntenWortehörte.»Ihrwißtdochdaß IhrmiteinemMitglieddesParlamentssprecht,nichtwahr?«»Entschuldigt, mein Herr,« antwortete der Schotte,

»meinLandsmannistes,dersichsoausdrückte;ersprachnicht von einemParlamentsmitglied, sondern vor einemeinfachen Canzleischreiber des Parlarments NamensJulian Fresne, der gestern ermordet worden ist. JulianFresne beging jetzt die Unvorsichtigkeit vor meinemLandsmann zu sagen: Ich habe in meiner Tasche einSchreibenvondemgnädigstenHerrnHerzogvonGuise,worinerdemParlamentdesKönigsbedeutet,daßesdie

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Geschichte mit einem gewissen Anne Dubourg endlicheinmal abmachen und denselben so schnell alsmöglichabfertigensolle.«»AlsmeinLandsmanndieseWertehörte,schauderteer

und wurde noch blässer, er erhob sich, ging auf JulianFresne zu und bestürmte ihn mit allen erdenklichenBitten,ermöchtediesenBriefnicht forttragen;erstellteihmvor,daß,wennAnneDubourgverurtheiltwürdeeinTheil der Todesschuld auf ihn selbst zurückfalle, alleinJulianFresnewarunerbittlich.«»Mein Landsmann grüßte den Canzleischreiber und

erwartete ihnvordemHause; er ließ ihneinigeSchrittethun,danngingeraufihnzuJulianFresne,sagteerganzleise und in sanftesten Ton, aber mit der größtenFestigkeit zu ihm, Du hast die ganze Nacht, um zuüberlegen;aberwennDumorgenumdieseStundeDeineAbsichtausgeführtodernichtaufgegebenhast,sobistDudesTodes.«»Oh!Oh!machtederPräsident.»Und auf gleiche Weise,« fuhr der Schotte fort,

»werden alle Diejenigen sterben, die mittelbar oderunmittelbar zum Tode von Anne Dubourg mitgewirkthaben.«Herr Minard schauderte, denn aus dem Vortrag des

Sprechers war unmöglich zu errathern ob diese letztenWortevondemLandsmanndesSchottenzuJulianFresne

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gesagt worden waren, oder ob sie Herrn Minard selbstgalten.»EureLandsmannisteinSchurke,meinHerr,«sagteer

zuRobertStuart,alsersah,daßseineFamilienuraufeinWortvon ihmwartete,umihrerEntrüstungdenLaufzulassen.»EinwahrerSchurke!einerbärmlicherSchurke!«rief

dieganzeFamilieimChor.»Mein Herr,« sagte der junge Mann, ohne sich im

mindestenandiesesGeschreizukehren,»ichbinSchotteundbegreifedieganzeBedeutungdesWortes,dasIhrsoeben ausgesprochen und das Eure ehrenwerthenVerwandtenEuchnachgesagthaben,nichtrecht,ichfahrealsofort.«Und nachdem er sich gegen die Familie verneigt, die

ihm, obschonmit sichtlichemWiderwillen, seinenGrußzurückgab,fuhrerfort:»Mein Landsmann ging heim, und da er kein Auge

schließen konnte, stand er auf und wandelte vor demHausedesCanzleischreibersJulianFresneaufundab.»Er ging die ganzeNacht und den ganzen folgenden

Morgendortspazieren;erbliebbisdreiUhrMittagsda,ohne zu essen und zu trinken, lediglich weil er JulienFresne sein gegebenes Wort halten wollte; denn,« fuhrder Schotte in Form einer Parenthese fort, »meineLandsleutemögenSchurken sein,HerrMinard, aber sie

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habenden großen Vorzug, daß sie ein gegebenes Wortniemalsbrechen.»Um drei Uhr endlich ging Julian Fresne aus; mein

Landsmann folgte ihm, und als er ihn nach dem Palastzugehensah,lieferihmdenRangab;dannhielterihninderEckederNotre-Damebrückeanundsagte:»JulianFresne,Duhastalsonichtüberlegt.«»JulianFresnewurdesehrblaß;derSchotteschienaus

der Erde hervorzukommen und machte ein äußerstdrohendes Gesicht, aber man muß dem würdigenCanzleischreiber die Gerechtigkeit wider fahren lassen,daßerfestundbestimmtantwortete:»Doch, ich habe überlegt; aber das Ergebniß meiner

Ueberlegung ist, daß ich den Befehl vollziehen muß,welchenderHerzogvonGuisemirertheilthat.«»Der Herzog von Guise ist nicht Euer Herr, das, er

EuchBefehleertheilenkann,«antwortetederSchotte.»Der Herzog von Guise ist nicht blos mein Herr,

erwiderte der Canzleischreiber, sondern auch der HerrvonganzFrankreich.«»Wieso?«.»WißtIhrnicht,meinHerr,daßderHerzogvonGuise

derwahreKönigimLandeist?«»MeinHerr,«sagtemeinLandsmann,»einepolitische

Erörterung über diesen Gegenstand würde uns zu weitführen; ich theile EureAnsicht keineswegs und komme

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auf die Frage zurück, die ich gestern Abend an Euchgestellt habe: Seid Ihr noch immer entschlossen diesenBriefinsParlamentzubringen?«»IchbegebemichindieserAbsichtdahin.«»IhrhabtihnalsobeiEuch?«»Ich habe ihn bei mir,« antwortete der

Gerichtsschreiber.«»Im Namen des lebendigen Gottes, rief mein

Landsmann, entsaget Eurer Absicht diesen Brief denHenkernvonAnneDubourgzuüberbringen.«»JafünfMinutenwirderinihrenHändensein.«« »Und Julian Fresne machte mit seinem Arm eine

Bewegung, um meinen Landsmann auf die Seite zuschieben.«»Nunwohl,daessichsoverhält, riefdieser,sosollst

wederDunochDeinBriefindenPalastkommen,JulianFresne.«»Damit zog er ein Pistol unter seinemMantel hervor

unddruckteesaufJulianFresneab,dertodtaufsPflasterstürzte; dann nahm mein Landsmann den Brief, derdiesenMord verursacht hatte, und ging friedlich seinesWegs weiter; sein Gewissen war ruhig, denn er hatteeinen Elenden getötet, indem er einenUnschuldigen zurettenversuchte.«Jetztwar es an dem rothbackigenPräsidenten, daß er

grünundgelbwurde,TausendSchweißtrpfenperltenauf

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seinerStirne.Das tiefste Schweigen herrschte in der ganzen

Versammlung.»Es ist zumErsticken heiß hier,« sagteHerrMinard,

indemer sich abwechselnd gegendie beidenEndenderTafelwandte;»findetIhresnichtauch,meineFreunde?«Man erhob sich, um das Fenster zu öffnen.Aber der

Schotte machte, indem er beide Hände ausstreckte, einZeichen,daßAltessitzenbleibensolle.»Bleibt ruhig aufEuern Plätzen,meineHerrn,« sagte

er; »ich, der ich nicht esse,will dasFenster öffnen, umdemHerrnPräsidentenLuftzuverschaffen;dajedochdieZugluft ihm schaden könnte,« fügte er, nachdem erwirklich das Fenster geöffnet hatte, hinzu, »so will ichdieThüreschließen.«Und nachdem er den Schlüssel im Thürschloß

herumgedreht, nahm er seinen Platz gegenüber demPräsidentenwiederein.NurwarbeidenzualldiesenVerrichtungennöthigen

Bewegungen der Mantel des Schotten ein wenigaufgegangen, und man hatte sehen können, daß erdarunter als Schutzwaffe einen Stahlpanzer und alsTrutzwaffe zwei Pistolen in seinem Gürtel sowie einenkurzenDegenanseinerSeitetrug.Er selbst schien sich ganz und gar nicht darum zu

bekümmern,wasman etwa gesehen oder nicht gesehen

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habenkönne,und indemer seinenPlatzgegenüberdemPräsidentenwiedereinnahm,vondem,ernurnochdurchdieBreitedesTischesgetrenntwar,fragteerihn:»Nunwohl,meinlieberHerrMinard,wiebefindetIhr

Euch?«»Etwas besser,« antwortete dieser mit großer

Herzensbangigkeit.»Glaubt, daß mich das freut,« versetzte der junge

Mann.Und er nahm seine Erzählung wieder auf inmitten

eines solchen Schweigens, daß man den Flug einerMückehättehörenkönnen.

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III.

DasGeburtstagsgeschenkdesPräsidentenMinard.

»MeinLandsmann«spracher,»nahmdenBriefmit,unddaerverfolgtzuwerdenfürchtete,soentfloherdurchdieRueMontmartrenachderverödetenGegendderGrange-Bateliere, wo er den Brief des Herzogs von Guise erstlesenkonnte.Erst jetzt bemerkte er,wie auch ich selbstbeimLesenbemerkte,daßdieserBriefdesHerzogsvonGuise weiter nichts als ein Umschlag über einerOrdonnanz des Königs Franz II. war, wie Ihr selbstsogleich sehen sollt, meine Herr, wenn ich ihn Euchzeigenwerde,denndadasSchreibennichtversiegeltwar,so glaubte mein Freund das Recht zu haben genaunachzusehen, vonwemes kamund anwen es gerichtetwar,umesnöthigenfallsineigenerPersonundmitallendem Unterzeichner gebührenden Rücksichten seinerAdressezuüberbringen.«JetztzogderSchottezumzweitenMaldasPergament

ausseinerBrust,entfalteteesundlaswiefolgt:»Unsern lieben getreuen Präsident am Parlamentshof

von Paris, Advocaten und Procuratoren desselbenGerichts.

»ImNamendesKönigs.

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»Liebe Getreue. Wir haben große Ursache zurUnzufriedenheit, daß wir solche Verzögerungen in derSchlichtung und Abfertigung des Processes sehenmüssen,derbeiUnsermParlamentshofgegendiewegenReligionssachen verhafteten Rathe und ganz besonderegegen den Rath Dubourg obschwebt, und da Wirwünschen,daßihmeinschnellesEndegemachtwerde,sobefehlenWirEuchundverordnenganzausdrücklich,daßIhrmitEinstellungallerandernGeschäfte lediglichderEntscheidung besagter Processe oblieget mit der vonUnserm besagten Hofe bezeichneten und noch zubezeichnendenAnzahlvonRichtern,ohnezuduldenoderzu gestatten, daß man diese Processe noch längerverschleppe, damit Wir eine andere und größereVeranlassungzurZufriedenheitbekommen,alswirbisherhatten.

UnterzeichnetFranz,undweiteruntenvonLaubespine.«

»Ei wie, mein Herr,« rief der PräsidentMinard, demdie Verlesung diesen Schreibens, wodurch das von ihmdurchgesetzte Verdammungsurtheil voll kommen Rechterhielt,wiedereinigenMuthverlieh»IhrhabteinsolchesSchreibenseitheutefrüh?'·»SeitgesternAbendumvierUhr,meinHerr;erlaubt,

daß ich der Wahrheit zur Steuer den Thatbestand insKlaresetze.«

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»IhrhabteinsolchesSchreibenseitgesternMittagumvier Uhr?« wiederholte der Präsident mit derselbenBetonung,»undIhrhabtmitderUeberbringungbisjetztgewartet?«»Ich wiederhole Euch, mein Herr,« sagte der junge

Mann,indemerdenBriefwiederinseinWammssteckte,»daß Ihr noch nicht wißt, um welchen Preis ich diesesSchreibenanmichgebrachthabe,undumwelchenPreisicheshergebenwill.«»Nun so sprecht doch,« sagte der Präsident, »und

erklärt EuernWunsch in Betreff der BelohnungwelcheIhr für eineHandlung inAnspruch nehmt, die übrigensweiter nichts als die Erfüllung einer einfachen Pflichtist.«»Es ist keine so einfachePflicht, als Ihr glaubt,mein

Herr,«erwidertederjungeMann;derselbeGrund,deresmeinem Landsmann wünschenswerth machte, daß derBrief nicht ins Parlament gelangte, ist noch jetztvorhanden,undseiesnun,daßderRathAnneDubourgmeinem Landsmann so nahe steht, daß sein Tod eingroßer persönlicher Schmerz für ihnwäre, oder daß dieUngerechtigkeitdesParlamentsihmalseinabscheulichesVerbrechen erscheint, und daß dann die Beharrlichkeit,womiterdenBriefbehält,blosdaherkommt,weilerwiejeder ehrlicheMensch dieVollziehung einer Schandthatzu verhindern oder doch wenigstens zu verzögernwünschenmuß, kurz undgut, er hat geschworen diesen

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Briefnurdannabzugeben,wennerdieGewißheitvonderFreisprechung Anne Dubourgs hätte, und überdieß alleDiejenigenzutötendiesichderBefreiungdiesesRatheswidersetzenwürden.Seht,meinHerr,darumhaterJulianFresne getödtet, nicht als ob er ein so gänzlichuntergeordnetes Geschöpf, wie ein Canzleischreiber ist,fürpersönlichschuldiggehaltenhätte;aberer,wolltedenHöhergestellten dadurch beweisen, daß er, nachdem ermit dem Leben des Untergebenen keine Umständegemacht, auch mit den Großen nicht viel Federlesensmachenwerde.«Hier gerieth der Präsident in starke Versuchung das

zweite Fenster öffnen zu lassen; jedes Haar seinerblondenPerücketrofvonSchweiß,wieeinWeidenzweignach einem Gewitter vom Regen trieft; da er jedochdiesesMittelbeieinersolchenAufregungnichtgenügendglaubte, so begnügte er sich über den Tisch herumverstörte Blicke zu werfen, wo durch er die Einen undAndern fragte, wie er sich gegenüber dem Schottenverhalten solle, der einen so grimmigen Freund habe;aber die Gäste, welche die Pantomime des Präsidentennicht begriffen oder nicht begreifen wollten, weil siefürchteten,eineganzeLegionvonSchottenmöchteübersieherstürzen,dieGäste,sagenwir,schlugendieAugenniederundbeobachteteneintiefesStillschweigen.Inzwischen konnte ein Parlarmentspräsident, der

Mann, den man so eben als die festeste Stütze des

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GlaubensunddengrößtenBürgerFrankreichsproclamirthatte, dieserMann konnte solche Drohungen nicht feighingeben lassen, ohne daraus zu antworten; aber wiesollte er antworten? Wenn er aufstand, um den Tischherumging und seinen friedlichen Gewohnheitenentgegen, den trotzigen Schatten um den Leib fassenwollte, so riskirte er, daß dieser seine Absichtdurchschaute und vom Leder zog oder eine Pistole ausseinemGürtelnahm.Dießgeschahganzsicher,nachdementschlossenen Ausdruck im Gesichte des Schotten zuschließen.WennalsoderGedankeseinen,wiemansieht,höchst lästigen Gast anzugreifen, auch für einenAugenblickindemPräsidentenaufstieg,sogingerdochschnell wie eine vom Wind gesagte Wolle wiedervorüber,unddieserüberausklareGeistsahsogleichein,daß er bei der Vollziehung eines solchen EntschlussesAlleszuverlierenundsehrwenigzugewinnenhatte.NunbefandsichunterdenzuverlierendenDingensein

Leben, das diesem guten Präsidenten Minard sehrangenehmwarunddasersolangalsmöglichzubehaltenwünschte. Er sann also auf ein Mittel, um aus dieserschwierigen Stellung herauszukommen, worin er, wieihmsein Instinkt sagte, sovielzu fürchtenhatte,daßertrotz seines Geizes gerne fünfzig Goldthaler gegebenhätte, um diesen verdammten Schatten auf der andernSeitederThürezuhaben,stattblosaufderandernSeitedesTisches.DiesesMittelbestanddarin,daßermitdem

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Eindringling das zu thun gedachte, was gewisse LeutemitbösenHundenthun,d.h.erwollteihmschmeichelnund fuchsschwänzeln. Nachdem er diesen Entschlußeinmalgefaßthatte,redeteerdenjungenMannineinemTonan,demereinigeMunterkeitzugebenversuchte.»Ha,meinHerr,sagteerzuihm,»nachEurerArtEuch

auszudrücken,nachEuremhöchstintelligentenGesichte,nachEurerdistinguirtenHaltungkannich,ohnemichzutäuschen,behaupten,daßIhrkeingewinnMannseid,ja,ichwill sogar sagen,daßAlles anEuchdenEdelmannvongutemHauseverräth.«DerSchotteverbeugtesichaberohnezuantworten.»Nunwohl,«fuhrderPräsidentfort,»daichmiteinem

Manne von guter Erziehung und nicht mit einemfanatischenBürger,wieEuerLandsmannistspreche«—erhattegroßeLustzusagen:undnichtmiteinemMörderwieEuerLandsmann, aberdieden JuristenungewohnteKlugheit hielt ihn zurück — »so erlaubt mir Euch zusagen,daßeineinzigerMannnichtdasRechtbesitztsichnachseinerpersönlichenAnschauungsweisezumRichterüber dasVerhalten von Seinesgleichen zumachen: eineMengeRücksichtenkannihnirreführen,undebendamitnicht Jeder sich zum Richter in seiner eigenen Sacheaufwerfe, sind dieGerichte eingesetztworden. Ich gebealso zu, junger Mann, daß Euer Landsmann bei seinerThat in vollkommenem Einklang mit seinem Gewissengebliebenist.AberIhrwerdetmirzugestehen,daß,wenn

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Jeder das Recht hätte Justiz zu üben, darin noch keinGrundläge,daßIhr—wennichannehmenwill,obschonich es für eine grundlose Annahme halte, daß Ihr dieGesinnungen Eures Landsmannes theilet—— ich sage,daßdarinkeinGrund läge,daß Ihr,einMannvonguterErziehungundkaltemBlut,mirmitteninmeinerFamiliedas Leben nähmet, unter dem Verwand, daß Ihr dieVerurteilungdesRathesDubourgnichtgutheißet.«»Herr Präsident,« sagte der Schotte, der unter dieser

weitschweifigen Rede die Kleinmüthigkeit von MeisterMinard hervorscheinen sah, »Herr Präsident, erlaubetmir, wie man im Parlament sagt, daß ich Euch auf dieFragezurückverweise,nichtmehrundnichtweniger,alswennIhreineinfacherAdvocatwäretundkeinPräsident.»Ei,wirsindjaimGegentheilmitteninderFrage,wie

mir scheint; wir sind in der vollen Frage selbst,«antworteteMinard,derwiedereinigeSicherheitgewann,sobaldderDialogineineihmgeläufigeFormzurücktrat.»Entschuldigt,meinHerr,«erwidertederSchotte,»Ihr,

wendetEuchunmittelbar anmich,währenddochbishervonmirgarnichtdieRedewar;eswarbisjetztnurvonmeinem Freund die Rede denn nicht aus eigenemAntrieb, sondern im Auftrag meines Freundes bin ichhierher gekommen, um mir eine Antwort auf folgendeFragezuerbitten:HerrPräsidentMinard,glaubtIhr,daßderHerrRathDubourgzumTodeverurtheiltsei?«

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Die Antwort war höchst einfach, da dieseVerurtheilungwirklichvor einerStunde erfolgtwarundder Präsident bereits die dießfallsigen GlückwünscheseinerFamilieentgegengenommenhatte.Da jedoch Meister Minard dachte, daß er vielleicht,

wennerdieThatsachedieserVerurtheilung,dieübrigenserst am folgenden Tag bekannt werden sollte, offeneingestände, von dem Schotten etwas Anderes alsGlückwünsche bekommen könnte, so blieb er bei demSystem,dessenAnnahmeerfürkluggehaltenhatte.»Was soll ich Euch antworten,meinHerr?« sagte er:

»ich kann Euch dieAnsichtenmeinerCollegen darübernicht mittheilen, sondern könnte Euch höchstens diemeinigegeben.«»Herr Präsident,« sagte der Schotte, »ich habe vor

EurerpersönlichenAnsichteinesolcheHochachtung,daßich Euch nicht um dieAnsichten Eurer Collegen frage,sondernumdieEurige.«»WaskannsieEuchhelfen?«fragtederPräsident,der

fortwährendAusflüchtesuchte.»Sie wirdmir das helfen, daß ich sie kennen lerne,«

antwortetederSchotte,derentschlossenschieninBetreffdesMeistersMinarddasselbezuthun,waseinJagdhundmit dem Hasen thut, d. h. ihn auf allen seinenSchleichwegenzuverfolgen,biserihnbewältigthat.»Mein Gott, mein Herr,«,sagte der Präsident, als er

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sich zur Erklärung genöthigt sah, »meine Ansicht überdenAusgangdiesesProzessesstehtschonseitlangerZeitfest.«Der junge Mann fixirte Herrn Minard scharf. Dieser

schlugunwillkürlichdieAugenniederundfuhrlangsamfort,wiewennerdieNotwendigkeitbegriffenhättejedesseinerWortegenauabzuwägen.»Esistallerdingsbedauerlich,«sagteer,»einenMann

zum Tod zu verurtheilen, der vermöge andererEigenschaften die öffentliche Achtung hätte verdienenkönnen — einen Collegen, ich möchte bei nahe sageneinen Freund — aber Ihr seht es ja selbst aus dieserköniglichenVerordnung,derHofwartetnuraufdasEndedieses unglücklichen Prozesses, uni wieder Athem zuschöpfenundzuandernüberzugehen:manmußalsomitderSacheeinEndewachen,undichzweiflenichtdaran,daß, wenn das Parlament gestern das Schreiben SeinerMajestät empfangen hätte, der arme unglückliche Rath,den ich alsKetzerverurtheilenmuß, aber alsMenschensehraufrichtigbeklage, seineStrafe schonheuteerlittenhabenwürdeodersehrnahedaranwäresiezuerleiden.«—»Ah! Es hat also doch Etwas genützt, daß mein

Freundgesterndiesen JulianFresnegetödtethat!« sagtederSchotte.»Nicht viel,« antwortete der Präsident, »es ist ein

Aufschub,weiternicht.«

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»AbereinAufschubvoneinemTag,dassindimmerhinvierundzwanzig Stunden Frist, die einem Unschuldigenvergönnt werden, und in vierundzwanzig Stunden kannsichvielverändern.«»MeinHerr,«sagtederPräsidentMinard,derinseiner

Eigenschaft als ehemaliger Advocat während derDiscussionallmähligwiederKräftegewann,»Ihrsprechtvon dem Rath Dubourg immer als von einemUnschuldigen.«»Ich spreche von ihm nach dem Gesichtspunkte

Gottes, mein Herr,« sagte der Schotte, indem er ernsteinenFingerzumHimmelerhob.»Ja,«sagtederPräsident,»abervonGesichtspunktder

Menschenaus?«»GlaubtIhr,MeisterMinard,«fragtederSchotte,»daß

selbst vom menschlichen Gesichtspunkt aus dasVerfahrenganzredlichsei'?«.»DieBischhöfehaben ihnverurtheilt,meinHerr,drei

Bischöfe haben denselben Ausspruch gethan; drei ganzgleicheUrtheilssprüche.«»Waren diese Bischöfe nicht Richter und Partei

zugleich?«»Dasistmöglich,meinHerr,aberwiekannsichauch

einHugenottankatholischeBischöfewenden?«»Anwenhätteersichwendensollen,meinHerr?«»Das ist eine sehr kitzlige Frage und voll von

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Schwierigkeiten.«»Deßhalb hat das Parlament beschlossen diese Frage

zuentscheiden.«»WieIhrsagt,meinHerr,«antwortetederPräsident.»Nun wohl, mein Herr, mein Landsmann hat sich

eingebildet, daß der Ruhm dieser Verurtheilung Euchzufalle.«DerPräsidenthieltesfürsoschmählichindieserFrage

voreinemeinzigenMenschenzurückzuweichen,währender sich kaum erst vor zehn andern der besagten Thatgerühmthatte,daßer,nachdemerseineVerwandtenmitdenAugenbefragtund,wieesscheint,ausihrenBlickeneinigeKraftgesammelthatte,erwiderte:»MeinHerr,dieWahrheitzwingtmichIhnenzusagen,

daß ich im gegebenen Fall allerdings die sehr zärtlicheund sehr aufrichtige Freundschaft, die ich meinemCollegen Dubourg widmete, meiner Pflicht geopferthabe.»Ah!«machtederSchotte.»Nunwohl,meinHerr,«fragteMeisterMinard,derdie

Geduldzu«verlierenanfing.»wohinführtunsdas?«»ZumZiel,undwirsindihmschonnahe.«»Sagt mir doch, was kann Eurem Landsmann daran

liegen,obichdieEntscheidungdesParlamentsbeeinflußthabeodernicht?«»Esliegtihmvieldaran.«

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»InwelcherBeziehung?«»Mein Landsmann behauptet, Ihr hattet die ganze

Sache angezettelt, und nun müsset Ihr sie auchentwirren.«»Ichbegreifenicht,«stammeltederPräsident.»Und doch ist die Sache höchst einfach: statt Euren

EinflußzurVerurtheilungaufzubieten,müßtIhrihnjetztzurFreisprechunggebrauchen.«»Ei,«sagteeinerderNeffen,dergleichfallsungeduldig

wurde, »Eure Rath Anna Dubourg ist nun einmalverurtheilt,wiekönntIhralsoverlangen,daßmeinOnkeljetztaufseineFreisprechunghinarbeite?«»Verurtheilt!«riefderSchotte;»habtIhrdauntennicht

gesagt,derRathDubourgseiverurteilt?«Der Präsident warf dem indiscreten Neffen einen

entsetztenBlickzu.Aber entweder sahderNeffediesenBlicknicht,oder

erachtetenichtdarauf.»Nunja,verurtheilt,«sagteer,»heuteMittagumzwei

Uhr ist er verurtheilt worden. Ha, Onkel, habt Ihr unsnichtsogesagt,odersollteichfalschgehörthaben?«»Ihr habt recht gehört, mein Herr,« versetzte der

Schotte gegen den jungen Martin indem er sich dasSchweigendesPräsidentenganzrichtigerklärte.DannwandteersichgegenMinardundfragte:»Also heute um zwei Uhr ist der Rath Dubourg

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verurtheiltworden?«»Ja,meinHerr,«stammelteMinard.»Undzuwas?zueinerGeldbuße?«KeineAntwort»ZumGefängniß?«DasselbeSchweigenvonSeitendesPräsidenten.Bei jeder Frage des Schotten wurde sein Gesicht

bleicher;beiderletztenwurdenseineLippenblau.»ZumTod?«fragteerendlich.DerPräsidentnicktemitdemKopf.So viel Unentschlossenheit in diesem Nicken lag, so

waresgleichwohlbejahend.»Nun wohl, es sei!« sagte der Schotte. »da er noch

nicht todt ist, so darf man am Ende auch nichtverzweifelt, und wie mein Freund sagte, da Ihr Allesangezettelthabt,somüßtIhrauchAltesentwirren.«»Wieso?«»Indem Ihr den König um Cassation des Urtheils

bittet.«»Ei,meinHerr,«sagteMeisterMinard,dermitjedem

Schritt über einen Abgrund wegzukommen meinte, umallerdingswiedereinenandernvorzufinden,dersichaberdennochbeijedemAbgrund,überdenerweggekommenwar,fürdenAugenblickberuhigte,»eimeinHerr,selbstwennichdieAbsichthättefürAnneDubourgGnadezuerbitten,sowurdederKönigsienichtbewilligen.«

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»Warumdas?«»Nun,weil derBrief, den Ihrvorgelesenhabt, seinen

Willenklargenugausspricht.«»Ja,scheinbar.«»Wieso?Scheinbar?«»Allerdings.DieserBriefdesKönigswar,wie ichdie

EhrehatteEuchzusagen,ineinenBriefdesHerzogsvonGuise eingeschlossen. Nun wohl, diesen Brief desHerzogsvonGreise,denichEuchnochnichtvorgelesenhabe,willichEuchjetztvorlesen.«Der jungeMann zog das Pergament von Neuem aus

seinerBrusthervorundverlasjetztdenBriefdesHerzogsFranzvonLothringen.Erwarfolgendermaßenabgefaßt:

AlsUeberschrift:»MeinHerrBruder,

»Hier ist endlich derBrief SeinerMajestät; ich habeihm denselben mit großer Mühe aus den Händengerissen, und war genöthigt ihm die Feder zu führen,damiterdiefünflumpigenBuchstabenschrieb,aufdenensein Name besteht. Wir müssen in der Nähe SeinerMajestät irgend einen unbekannten Freund diesesverdammtenKetzershaben.SputetEuchalso,damitderKönig nicht seinen Entschluß zurücknimmt oder denRath,wennerverurtheiltist,begnadigt.»EuerrespektvollerBruder,»17.DezemberdesJahrsder

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Gnade1559.»FranzvonGuise«DerSchotterichteteseinHauptwiederempor.»Habt Ihr recht gehört, mein Her?i« fragte er den

Präsidenten.»Jagewiß.«»SollichEuchdenBriefnocheinmalvorlesen,imFall

EuchirgendeinPunktentgangenwäre?«»Dasistunnöthig.«»Wollt Ihr Euch versichern, daß er wirklich von der

Hand des lothringischen Prinzen ist und wirklich seinSiegelträgt?«.»IchverlassemichhierinvollkommenaufEuch.«»Nun wohl, was geht für Euch aus diesem Brief

hervor?«»DaßderKönigAnstandgenommenhatzuschreiben,

mein Herr, daß der König aber dennoch zuletztgeschriebenhat.«»Aber er hatmitWiderwillen geschrieben, undwenn

ein Mann.wie Ihr z. B. Herr Präsident, zu diesemgekrönten Kinde, das man König nennt,« sagen würde:Sire,wirhabendenRathDubourgdesExempelswegenverurtheilt,aberEureMajestätmußihnderGerechtigkeitwegen begnadigen, sowürde der König, demHerr vonGuise die Hand führenmußte, um die fünf BuchstabenseinesNamenszuschreiben,Gnadeüben.«»UndwennmeinGewissenmirverbietetDaszuthun,

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was Ihr da von mir verlanget, mein Herr,« sagte derPräsidentinderaugenscheinlichenAbsichtseinTerrainzuerkunden.»DannwerdeichEuchbitten,meinHerr,desSchwures

eingedenk zu sein, welchen mein Freund, der Schotte,gethanhat,alserJulianFresnetödtete,erschwurnämlichgleichdiesemalleDiejenigenzutödten,welchevonnahoder fern zur Verurtheilung des Rathes Dubourgbeigetragenhätten.«IndiesemAugenblickzogganzgewißderSchattendes

Canzleischreibers, einem Schatten aus einerZauberlaterne ähnlich, über die Wand des Speisesaaleshin;aberohneZweifelwandtederPräsidentseinenKopfab,umihnnichtzusehen.»Ach,dasistUnsinn,wasIhrmirdasagt,«antwortete

erdemjungenMann.»Unsinn!warum,HerrPräsident?«»Weil Ihrmich, einenBeamten, und zwar inmeinem

eigenenHause,imSchooßemeinerFamiliebedrohet.«»Dieß geschieht, mein Herr, damit Ihr gerade aus

diesenRücksichtenaufHausundFamilieeinGefühldesMitleids,welchesGottEuchgegenAnderenichtinsHerzgelegthat,gegenEuchselbstschöpfet.«»Es scheintmir,meinHerr, daß Ihr, statt zu bereuen

und Euch zu entschuldigen, in EurenDrohungen gegenmichfortfahrenwollt.«

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»Ich habe es Euch bereits gesagt, mein Herr:Derjenige,derJulianFresnegetödtet,hatJedem,dersichder Befreiung und Rettung von Anne Dubourgwidersagenwürde,denTodgeschworen,unddamitmanan seinem Wort nicht zweifeln soll, hat er zuerst denCanzleischreiber getödtet, weniger weil er ihn fürschuldighielt,alsweilerdurchseinenTodseinenandernFeinden,sohochgestelltsieseinmochten,eineheilsameWarnung ertheilen wollte Werde! Ihr den König umBegnadigung von Anne Dubourg angehen? Ich fordereEuchimNamenmeinesFreundeszurAntwortauf.«»Ah!IhrfordertmichimNameneinesMörders,eines

Meuchlers, eines Diebes zur Antwort auf!« rief derPräsidenterbittert.»Bemerket wohl, mein Herr,« sagte der jungeMann,

»daß es Euch frei steht mir mit Ja oder Nein zuantworteten.«»Ah!EsstehtmirfreimitJaoderNeinzuantworten?«»Allerdings.«»Nundenn,«heultederPräsident.außersichüberdie

KaltblütigkeitseinesVerhörers,»sosagtEuremSchotten,daß es einen Mann Namens Anton Minard, einen derPräsidenten des Hofes, gebe, der seinerseits den TodArmeDubourgs geschworen habe; daß dieser Präsidentein Mann vonWort sei und es Euch morgen beweisenwerde.«

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»NundennmeinHerr,«antworteteRobertStuart,ohneeine Geberde zu machen und ohne ein Zeichen vonAufregung zu geben, indem er beinahe die gleichenWortenachsprach,»sowißt,daßeseinenSchottengibt,der den Tod des Herrn Anton Minard, eines derPräsidentendesHofs,geschworenhat;daßdieserSchotteeinMannvonWortistundesEuchheutebeweist.«Bei diesen legten Worten machte Robert Stuart, der

seine rechte Hand unter seinen Mantel gesteckt hatte,eine seiner Pistolen los, spannte geräuschlos den Hahn,legte, ehe man beider Schnelligkeit seiner Bewegungdaran dachte ihn zu verhindern, über denTisch hinüberd.h.inunmittelbarsterNäheaufIhnanundließkrachen.Herr Minard sank sammt seinem Stuhl rücklings zu

Boden.Eine andere Familie als die des Präsidenten würde

ohne Zweifel Alles gethan haben, um den Mörderfestzunehmen; aber nein, sämmtliche Gäste desverstorbenen Präsidenten waren nur auf ihre eigeneSicherheit bedacht; die Einen flohen unterVerzweiflungsgeschrei in die Küche, die Andernschlüpften unter den Tisch und hüteten sich wohl einWörtchenzusagen.EswareineallgemeineAusreißerei,und Robert Stuart, der sich gewissermaßen allein indiesem Speisesaal befand, wo Alles mittelst einerFallthüreverschwundenzuseinschien,zogsichlangsamnachArtderLöwen,wieDantesagt,zurück,ohnedaßes

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Jemandeinfielihnimmindestenzubeunruhigen.

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IV.

BeidenHugenotten.

EswarungefährachtUhrAbends,alsRobertStuartdasMinard'scheHausverließ.AlsernunwiederalleininderaltenTemplestraße stand, die damals seit Einspruch derNachtnochverödeterwar, als sieheutigenTages ist, sosprachermiteinerAnspielungaufdiezweiMänner,dieerermordethatte,dieausdrucksvollenWorte.»Nunsindeszwei.«Den vom Seineufer rechnete er nicht; er war eine

BaarbezahlungfürseinenFreundMedardus.Als er vor das Stadthaus d. h. auf den Greveplatz

gelangte, wo die Verurtheilten hingerichtet wurden,schaute er mechanisch nach dem Ort, wo mangewöhnlichdenGalgenaufrichtete;.dannnäherteersichdiesemOrte.»Hier,« sagte er. »wird Anne Dubourg die Strafe für

seinGenieerleiden,wennderKönigihnnichtbegnadigt.Und wie kann man den König zwingen ihn zubegnadigen?«fügteerhinzu.MitdiesenWortenentfernteersich.«Er trat in die Rue de la Tannerie und hielt vor einer

Thüre an, über welcher ein Schild knarrte mit der

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Inschrift:ZumDegendesKönigsFranzI.

EinenAugenblick konnteman glauben, erwolle hiereintreten,aberaufeinmalsagteer:»Nein, es wäre Wahnsinn in diese Schenke

zurückzukehren; in zehn Minuten werden dieBogenschützendasein.Nein,gehenmirzuPatrick.«Er schritt schnell durch die Rue de la Tannerie und

über die Notre-Damebrücke, warf im Vorüber geheneinenBlickaufdenOrt,woerTagszuvorJulienFresnegetödtethatte,sodanngingermitgrobenSchrittendurchdieCitéundüberdenPont-St.-Michel,biserinderRueduBattoir-St.-Andréankam.Hier blieb er, ruhig in der Rue de la Tannerie, vor

einemHausestehen,dasebenfallseinenSchildhatte;nurlautetedieInschriftdesselben:

ZurDistelSchottlands.»Hier wohnte doch Patrick Macpherson,« sagte er,

indem er sein Haupt erhob um das Fenster zurecognosciren; er hatte da oben unter dem Dach einStübchen und kam alle Tage hin, wenn er nicht imLouvreaufderWachewar.ErgabsichalleMühe,umdieMansardezubemerken;

alleindasvorgerückteDachhinderteihndaran.ErwolltedaherebendieThüreausstoßenoder,imFall

sie verschlossen war, mit seinem Degenknopf oder

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seinem Pistolenkolben klopfen, als besagte Thüre aufeinmal sich öffnete und ein Mann im Costüm derBogenschützenderschottischenGardeheraustrat.»Wer da?« fragte der Bogenschütze, der beinahe auf

denjungenMannstieß.»Ein Landsmann,« antwortete unser Held auf

schottisch.»Ah!Ah!RobertStuart!«riefderBogenschütze.»Erselbst,meinlieberPatrick.«»Und welcher Zufall führt Dich zu dieser Stunde in

meine Straße und vor meine Thüre?« fragte derBogenschütze, indem er seinem Freund beide Händeentgegenstreckte.»Ich will Dich um einen Gefallen ersuchen, mein

lieberPatrick.«»Sprich;nurmußtDuDichbeeilen.«»Dubistpressirt?«»ZumeinemgroßenLeidwesen ja; aberDubegreifst,

um halb zehnUhr istAppell imLouvres und es hat soebenausderKirchevonSt.AndréneunUhrgeschlagen;alsoichhöre.«»Die Sache ist die,mein lieber Freund. In Folge des

letztenEdictebinichvonmeinerHerbergefortgeschicktworden.«»Achja,ichbegreife:DugehörstderrechtenReligion

anundsolltestzweikatholischeBürgenhaben.«

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»Die zu suchen ich nicht die Zeit habe, und die ichvielleicht auchnicht findenwürde,wenn ich sie suchte:nunaberwürdeichheuteNachtVerhaftetwerden,wennich indenStraßenvonParisumherirrte.WillstDuzweioderdreiTageDeinZimmermitmirtheilen?«»ZweioderdreiNachte,wennDuwillst,undsogaralle

NächteimganzenJahr,wennDirDasVergnügenmachenkann;abermitdenTagenistesetwasAnderes.«»UndwarumDas,Patrick?«fragteRobert»Weilich«antwortetederBogenschützemiteinervon

Eitelkeit ganz verwirrten Miene, »weil ich, seit ichnimmerdasVergnügenhatteDichzusehen,mein lieberRobert,soglücklichwareineEroberungzumachen.«»Du,Patrick?«»WundertesDich?«fragtederBogenschütze,indemer

sichselbstgefälligwiegte.»Nein,gewißnicht;aberestrifftsichungeschickt.«Robert schien nicht geneigtmehr zu fragen; aber die

EigenliebeseinesLandsmannsfandbeidieserDiscretionihreRechnungnicht.»Ja, mein Lieber,« sagte er, »die Frau eines

Parlamentsraths hatmir ganz einfach dieEhre erwiesensich inmich zuverlieben, und ichwartemit jedemTagaufdieEhresiezuempfangen.«»Teufel!« machte Robert. »Dann nimm an, ich hätte

NichtsgesagtPatrick.«

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»Und warum das? Nimmst Du meine vertraulicheMittheilung für eine Weigerung? Ich nehme an, dieserechtschaffeneDame,wieHerrvonBrantomesagt,werdesich den einen oder andernTag dazu verstehen inmeinStübchenhinauszukommen—bemerkejedochwohl,daßDieß bloß eine willkürliche Annahme ist —dann gehstDu;imentgegengesetztenFallbleibstDubeimir,solangesDirgefällt;mankannesdochnichtbessereinrichten,dasmußtDuselbstgestehen.«»InderThat,lieberPatrick,«sagteRobert,der,wiees

schien, nurmit demhöchstenBedauern auf seinenPlanverzichtethätte;»ichnehmeDeinAnerbietendankbaranundwartenuraufGelegenheitDirdengleichenGefallenzuerweisen,inwaserauchbestehenmag.«»Schongut,«sagtePatrick,»darfmanUnterFreunden,

unter Landsleuten, unter Schotten von Dankbarkeitsprechen?Dasist,alsob...He!aberwarteinmal!«»Was?«fragteRobert.»Oh,eineIdeen,«riefPatrick,wiewennihmplötzlich

einleuchtenderGedankegekommenwäre.»Umwashandeltessich?herausmitderSprache.«»Mein lieber Freund,« sagte Patrick, »Du kannst nur

einengroßenDiensterweisen.«»EinengroßenDienst?«»Eine«nungeheurenDienst.«»Sprich,ichstehezuDeinerVerfügung.«

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»Danke!nur...«»Vollende.«»GlaubstDu,daßwirvomgleichenWuchsesind?«»Soziemlich.«»VonderselbenDicke?«»Ichglaubees.«»Tritt einmal in den Mondschein, damit ich Dich

ansehe.«RobertthatwasseinFreundverlangte.»WeißtDuauch,daßDueinprächtigesWammshast?«

fuhr Patrick fort, indem er denMantel seines FreundesaufdieSeitezog»PrächtigistnichtgeradedasWort.«»Ganzneu.«»IchhabeesvordreiTagengekauft.«»Etwaszudunkelfreilich,«fuhrPatrickfort;»abersie

wirddarineineAbsichterblickenmichvorallenBlickenumsobesserzuverbergen.«»AufwaswillstDuhinaus?«»DassollstDusogleichvernehmen,lieberRobert:mit

sofreundlichemAugedieDamemeinerGedankenmichansieht, eben so scheel sieht ihrGemahlmich an.Dießgeht so weit, daß er jedes mal wenn er einenBogenschützenvonderGardevorbeikommensieht, ihmdiegiftigstenBlickezuwirft,undDubegreifstwasfüreinAugeermachenwürde,wennerdieseUniformaufseiner

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Treppebemerkte.«»Allerdings,Dasbegreifeichsehrwohl.«»Nun hatmir,« fuhr Patrick fort, »die Frau denRath

gegeben niemehr inmeinemNationalcostüm zu ihr zukommen.Darausfolgt,daßichschondenganzenAbendauf ein anständiges Mittel sinne, um eine Kleidung zuerhalten,·wodurch ich meine Uniform vortheilhaftersetzenkönne:DeinCostümscheintmir,obwohletwasdüster oder vielleicht gerade wegen seiner Farbe, demZweckzuentsprechen,den ichmirversetze.ErweismiralsodieFreundschaftesmiraufmorgenzu leihen;« ichwerdemich so einrichten, daß ich es in den folgen denTagennichtmehrbrauche.«DieseletztenWortedesSchatten,welchedasmaßlose

Selbstvertrauen verriethen, das die Schotten immerbesaßenundnoch jetzt besitzen, zwangenRobert StuarteinLächelnab.»MeineKleider,meineBörseundmeinHerzgehören

Dir, lieberFreund,«antworteteer.»Inzwischenbemerkewohl, daß ich selbstmorgenwahrscheinlich auszugehenhabenwerde,undfürdiesenFallsindmirmeineKleiderfastnothwendig.«»Teufel!«»Gleich dem antiken Philosophen trage ich all mein

HabundGutbeimir.«»BeimheiligenDunstan!dasistärgerlich.«

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»Undthutmirunendlichleid.«»UmDir dieWahrheit zu gestehen, jemehr ichDein

Wamms ansehe, um so mehr scheint es mir für michgemachtzusein.«»Das ist also ein wahresWunder,« sagte Robert, der

seinen Freund zu irgend einer offeneren Mitheilungdrängenwollte.»Gibt es gar kein Mittel, um diesem Uebelstand

abzuhelfen?«« »Ich sehe keines, aber Du bist ein Mann von

PhantasiebesinneDicheinmal.«»Mirfälltetwasein!«rietPatrick.»Was?«»Freilich darf der Gemahl Deiner Geliebten nicht

denselben Abscheu vor den Herren Bogenschützen derschottischenGardehabenwiederGemahldermeinigen.«»Ich habe keine Geliebte, Patrick,« sagte Robert mit

düstererMiene.»Nun wohl denn,« versetzte der Bogenschütze, der

blos an die Ausführung seiner Idee dachte und sichfolglichmitnichtsAnderembeschäftigte,»indiesemFallmußjedesCostümDirgleichgültigsein.«»Ganzundgargleichgültig,«sprachderjungeMann.»Nunsonimmdasmeine,daichdasDeinenehme.«DiesmalunterdrückteRobertStuartseinLächeln.»Wieso?«fragteer,«wiewennernichtganzbegriffe.

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»Es wäre Dir doch nicht zuwider die schottischeUniformanzuziehen?«»Ganzundgarnicht«,»Nun wohl, wenn eine gebieterische Nothwendigkeit

Dich zum Ausgehen zwingt, so kannst Du in meinerUniformausgehen.«»DuhastRecht,dießistinderThathöchsteinfach.«»SiewirdDirüberdießZutrittimLouvreverschaffen.«RobertbebtevorVergnügen.»DießwarmeinEhrgeiz,«sagteerlächelnd.»Alsoaufmorgen!«»Aufmorgen!«sagteRobertStuart,indemerdieHand

seinesFreundesergriff.Patrickhieltihnauf.»DuvergissestbloseineSache,«sagteer.»Welche?«»SieistfreilichvonkeinemallzugroßenNutzen:esist

meinZimmerschlüssel.«»DasistbeiGottwahr,«sprachRobert,»gibher.«»Hier!GuteNacht,Robert.«»GuteNacht,Patrick.«Unddiebeiden jungenLeute trenntensich,nachdem

sieeinanderzumzweitenMaldieHandgedrückt;PatrickgingnachdemLouvrezu,RobertginginPatricksHaus.Lassenwir Patrick in den Louvre treten, wo er noch

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gerade recht zumVerles ankam, und folgenwirRobert,der nachdemer an zwei oder dreiThürenherumgetapptwar,endlichPatricksSchloßfand.Ein Rest von noch brennendem Rebholz beleuchtete

dasganzkleineStückchendesjungenGardisten.Eswarrecht sauberherausgeputztundhattegroßeAehnlichkeitmitdenStübchenunsererheutigenStudenten.Das Ameublement bestand aus einem ziemlich gut

ausgestatteten Bett, einer kleinen Truhe, zweiStrohsesseln und einem Tisch, aus welchem noch derDocht eines Talglichtes in einem langhalsigenSandsteinkrügchenrauchte.RobertnahmeinenBrand,bliesausLeibeskräftenund

brachtezuletzteineFlammezuStand,woranerdasLichtanzündete.Sodann setzte er sich vor das Tischchen und begann

dieStirneinbeideHändegesenkt,tiefnachzusinnen.»Dasistes,«sagteerendlich,indemermitderHandin

seine Haare fuhr, wie wenn er seine Stirne von einemfurchtbarenGewichtbefreienwollte,»dasistes,ichwillandenKönigschreiben.«Undererhobsich.AufdemKaminfandereinvollesTintenfäßchenund

eine Feder; aber vergebens suchte er nach Papier oderPergament,vergebensdurchwühlteerdieSchubladedesTischesunddiedreiFächerderTruhe,esfandsichnicht

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dasgeringsteFetzchenvor.Er suchte von Neuem, aber umsonst sein Kamerad

hatteohneZweifelseinletztesBlattzueinemSchreibenanseineRäthinverbraucht.Verzweiflungsvollsetzteersichwieder.»Oh!« sagte er, »so soll ich also dieses letzte Mittel

blos deßhalb nicht versuchen können,weil es an einemStückchenPapierfehlt.«Es schlug wirklich zehn Uhr: die Kaufleute in jener

ZeitbliebennichtwieheutzutagebisMitternachtauf;dieVerlegenheitwaralsowirklichvorhanden.»Auf einmal erinnerte sich Robert an den Brief des

Königs, den er bei sich behalten hatte; er zog ihn ausseiner Brust hervor, und beschloß auf der RückseitediesesBlattesanSeineMajestätzuschreiben.ErnahmTinteundFederundschriebfolgendenBrief:

»»Sire,»Die Verurtheilung des Rathes Anne Dubourg ist

ungerecht und gottlos. Man blendet Eure Majestät undveranlaßt sie das reinste Blut ihres Königreichs zuvergießen.»Sire, einMann ruft Euchmitten aus derMenge zu:

Oeffnet die Augen und betrachtet die Flamme derScheiterhaufen,welcheEhrgeizigeringsumEuchheraufallenPunktenFrankreichsentzünden.

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»Sire, öffnet die Ohren und höret das kläglicheGeächze,das aufdemGreveplatz ausgestoßenwirdundbisindenLouvredringt.»Höret und sehet,Sire.Wenn Ihr gehört undgesehen

habenwerdet,sowerdetIhrsicherlichverzeihen.«Der Schotte übeberlas seinen Brief noch einmal und

legteihndannverkehrtzusammen,d.h.so,daßdieersteSeite auf welcher der Brief des Königs stand, dieKehrseiteseineseigenenBriefeswurdeundviceversa.»Jetzt,«murmelteer,»wiesollichdiesenBriefinden

Louvrebringen?WennichbismorgenaufPatrickwarteso wird es zu spät. Ueberdieß würde der unglücklichePatrick als mein Mitschuldiger verhaftet werden. Ichcompromittire ihn schon genug dadurch, daß ich seineGastfreundschaftannehme.Wasthun?«Er trat ans Fenster und besann sich auf eine Idee. In

verzweifelten Fällen fragt man gern die äußernGegenständeumRath.Wir haben gesagt, daß es für den December ein

herrlicherTaggewesenwar.RobertfragtediefrischeLuft,denSternenhimmel,die

stilleNachtumRathwaserzuthunhabe.VonPatricksDachstübchenaus,demhöchstgelegenen

Orte des Hauses, erblickte er die Thürmchen desköniglichenPalastes.Auf einmal trat ihm der hölzerne Thurm, der am

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äußersten Ende dieses Palastes, so ziemlich demNeslethurm gegenüber, zwischen dem Fluß und deminnern Louvrehof sich erhob, prächtig gezeichnet imphantastischenMondscheinvordieAugen.Beim Anblick dieses Thurmes schien Robert das

gesuchteMittel gefunden zu haben, um seineBotschaftan den König gelangen zu lassen; denn er steckte seinPergamentwieder in seineBrust, löschte dasLicht aus,setzte seinen Hut wieder auf, holte sich von Neuem inseinenMantelundstiegraschdieTreppehinab.Einige Tage vorher war eine Ordonnanz er lassen

worden, welche Jedermänniglich verbot nach fünf UhrAbendszuFußoderzuWasserdieSeinezupassiren.Es war Nachts zehn Uhr; Robert konnte also nicht

darandenkendieFährezunehmen.»Er konnteweiterNichts thun, als daß er den selben

Weg, auf welchem er vom Greveplatz her gekommenwar,zurückmachte.ErgingalsowiedernachdemPontSt.Michelhinauf,

ließdieRuede laBarillerie links liegen,umnichtunterdiePalastwachenzugerathen,undkehrteüberdieNotre-DamebrückeindasNetzvonStraßenzurück,dieihnzumLouvreführenkonnten.Der Louvre war seit der Regierung Franz I. mit

Steinen,KiesundZimmerbalkenverschüttet.Man hätte ihn eher für das Innere eines Steinbruchs

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oderfüreinenjenerunvollendetenPaläste,dieschonvordemAufbau inTrümmerzerfallen,als fürdieWohnungdesKönigsvonFrankreichhaltenkönnen.Eswar also leicht zwischen denSteinblöcken,womit

der Louvre von innen wie von außen verstellt war,durchzuschlüpfen.VonSteinzuStein,vonGrabenzuGrabenkamRobert

Stuart, indemerderSeineentlangging,bisaushundertSchrittevondemgroßenPortaldesLouvre,geradedemFluß gegenüber,welcher in der Tiefe das ganze Terraineinnahm,denjetztdasQuaieinnimmt,sodanngingeramGebäude hin bis an den neuen Thurm, und als er zweiFensterbeleuchtetsah,hoberineinemderGroßeneinenSteinauf,dener indasPergamentwickelte,machtedieSchnur von seinem Hut los und band damit Stein undPergament zusammen; hierauf trat er zwei oder dreiSchrittezurück,umseinenAnlaufzunehmen,bemaßdieEntfernung, zielte, wie wenn es sich um einen Flinten-oder Pistolenschuß handelte, und warf Stein undPergament in eines der beleuchteten Zimmer des erstenStocks.Das Getöse des zerbrochenen Fensters und die

Bewegung, die in Folge desselben im Zimmerstattzufinden schien, verkündeten ihm, daß seineBotschaft angekommen war, und daß der Mangel anBotennichtSchulddaranwar,wennsieetwanichtzumKöniggelangte.

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»Ganz vortrefflich,« sagte er. »Und jetzt müssen wirwarten; wir werdenmorgen sehen, obmein Brief seineWirkunghervorgebrachthat.«Indemersichzurückzog,schauteersichbehutsamum,

weil er sich versichern wollte, daß er nicht bemerktworden sei; er sah auch in der Ferne Nichts als dieSchildwachen, diemit ihremgewohnten langsamenundabgemessenenGangaufundabschritten.»Eswarklar,daßsieNichtsbemerkthatten.RobertStuartgingdaheraufdemgleichenWeg,wieer

gekommen war, nach der Rue du Battoir-St.-AndrézurückmitderfestenUeberzeugung,daßervonNiemandgesehenodergehörtwordensei.Er täuschte sich: er war von zwei Männern gesehen

worden, die ungefähr fünfzigSchritte vor ihm in einemder Winkel des neuen Thurms, im Schatten desselbenverborgen waren und sich so lebhaft mit einanderunterhielten,daßsiezwarsahenundhörten,aberesdurchkeinerleiZeichenzuverstehengaben.DiesebeidenMännerwarenderPrinzvonCondéund

derAdmiralColigny.Sagen wir, welcher Gegenstand der Unterhaltung die

erlauchtenHerrndermaßenbeschäftigenkonnte,daß siesichumdieSteine,dieman indieser spätenStundederNachtindieFensterdesLouvrewarfganzundgarnichtzubekümmernschienen.

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V.

AmFußdesneuenThurmes.

»Jetzt,« sagt Brantome in seinem Buch von denberühmten Feldberrn, »müssen wir von einem dergrößtenKriegsheldensprechen,diejegelebthaben.«Machen wirs, wie Brantome; nur wollen wir gegen

GasparvonColignyHerrnvonChatillongerechter sein,alsesderHöflingderGuisesist.InzweiandernBüchernhabenwirbereitsausführlich

von dem berühmten Vertheidiger von St. Quentingesprochen; aber unsere Leser können die KöniginMargotvergessenhabenunddenPagendesHerzogsvonSavoyen noch nicht kennen; es erscheint uns daherdringend einigeWorte von derGeburt, der Familie undden Antecedenzien, wie man heutzutage sagt, desAdmiralszusprechen.Wir unterstreichendasWortAdmiral,weil derMann,

vondemwirsprechen,unterdiesemNamenbekanntwar,und man ihn nur sehr selten Gaspar von Coligny oderHerrnvonChatillonnannte.Gaspar von Coligny war am 17. Februar 1517 in

Chatillon-sur-Loing, dem herrschaftlichen Sitz seinerFamilie,geboren.

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SeinVater,einbressanischerEdelmann,hattesichnachder Vereinigung seiner Provinz mit dem Königreich inFrankreich niedergelassen; er behauptete einen hohenRang indenArmeendesKönigsundnahmdenNamenChatillonan,nachdemerEigenthümerdieserHerrschaftgewordenwar.Seine Gemahlin war Louise von Montmorency,

SchwesterdesConnetabels,vonwelchemwirschonsehroft zu sprechen Gelegenheit hatten, ganz besonders imAscanio, in den beiden Dianen und im Pagen desHerzogsvonSavoyen.Die vier Söhne desHerrn vonChatillon, Peter,Odet,

Gaspar und Dandelot waren also die Neffen desConnetabels.Der erste, Peter, starb mit fünf Jahren. Der zweite,

Odet,erhieltalsodieBestimmungdieEhredesNamensaufrechtzuerhalten.Zwanzig Jahre nach diesem Todesfall hatte der

Connetabel einen Cardinalshut zu seiner Verfügung.KeinerseinerSöhnewollteihnhaben;erbotihnalsodenSöhnenseinerSchwesteran;GasparundDandelot,zweikriegerische Naturen, lehnten ihn ab, Odet, eine ruhigeundbeschaulicheNatur,nahmihnan.GasparwaralsodasHauptderFamilie,umsomehrals

seinVaterschonimJahr1522gestorbenwar.Wirhabenanderswogesagt,wieerseineUebungenals

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Gesellschafter des Herzogs Franz von Guisedurchmachte,undwelcheFreundschaftdiebeidenjungenLeute vereinigte, bis sich nach der Schlacht vonRenty,wo BeideWunder der Tapferkeit verrichtet hatten, eineErkaltungzwischen ihneneinschlich.AlsnachdemToddes Herzogs Claude von Lothringen Franz und seinBruder,derCardinal,sichandieSpitzederkatholischenPartei gestellt, und der Staatsangelegenheiten benöhtigthatten, schlug diese Erkaltung in einen ehrlichen undgründlichenHaßum.Während dieser Zeit war der junge Gaspar von

Chatillon, trotz des Hasses der Guises, einer derausgezeichnetstenMännerseinerEpochegeworden,undhatte sich großen Ruhm und viele Ehren erworben. Erwar, wie auch sein Bruder Dandelot vom Herzog vonEnghien zum Ritter geschlagen worden, und zwar aufdemSchlachtfeldvonCerisoles,woJedervonihneneineFahnegenommenhatte;dannwarerimJahre1544zumOberst,dreiJahrespäterzumGeneraloberstderInfanterieundzuletztzumAdmiralernanntworden.Damals hatte er zuGunsten seinesBrudersDandelot,

den er zärtlich liebte, wie er denn auch seine zärtlicheGegenliebe besaß seine Stelle als Generaloberst derInfanterieniedergelegt.UmsJahr1545hattendiebeidenBrüderzweiTöchter

ausdemedlenbretagnischenHauseLavalgeheirathet.

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Im Pagen des Herzogs von Savoyen wird man denAdmiral bei der Belagerung von St. Quentin wiederfinden und sehen, mit welcher bewundernswürdigenStandhaftigkeit er dieStadtStein umStein vertheidigte,biserendlichbeimletztenSturmmitdenWaffen inderHandgefangengenommenwurde.WährendseinerGefangenschaftinAntwerpenfielihm

eine Bibel in die Hände, und nun wechselte er seineReligion.Sein Bruder Dandelot war schon seit sechs Jahren

Calvinist.Vermöge seiner hohen Stellung galt der Admiral

natürlich als der militärische Chef der reformirtenReligion.DaindeßderBruchzwischendenbeidenParteiennoch

nicht stattgefunden hatte, da die Zeit der Verfolgungennachnichtgekommenwar,sonahmenDandelotundseinBruder bei Hof die Posten ein, welche ihr Rang ihnenanwies.»AbersagteinGeschichtschreiberausjenerZeit,»der

HofhattekeinenfurchtbarerenGegner.«SeineKaltblütigkeit,seinMuthundseineGewandtheit

warenvonderseltenstenArt;erschiengeboren,umdaszuwerden,waserwirklichgewordenwar,natürlichderwahreChefdercalvinistischenPartei:erbesaßdiedazuerforderliche Beharrlichkeit und unbezwingbare

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Thatkraft; obschon oft besiegt,wurde er beinahe immernach seinen Niederlagen furchtbarer als seine FeindenachihrenSiegen.ErschlugseinenRangfürNichts,seinLeben nur sehr gering an, war zu jeder Stunde bereitdasselbezurVertheidigungdesKönigreichsoderfürdenSiegseinesGlaubenszuopfern,undverbandmitseinemkriegerischen Genie die gediegenen Tugenden dergrößtenBürger.Mitten in diesen stürmischen Zeiten gewährt der

AnblickdiesesheiternKopfesdemAugeeinenlieblichenRuhepunkt; es verhält sich damit wiemit jenen großenEichen, die mitten in den Ungewittern aufrecht stehenbleiben,wiemitjenenhohenBergen,derenGipfelmittenin denStürmen ruhig emporragt,weil dieserGipfel denBlitzüberherrscht.DerRegenwirdniemalsdurchdierunzeligeRindeder

Eiche eindringen, der Wind wird ihren Gipfel nichtbeugen; um sie zu entwurzeln, bedarf es eines jenerOrkane,dieAllesüberdenHaufenwerfen.DerBergwird zumVulkanwerden, bei jedem seiner

Ausbrüche wird der Thron bis in seine Grundlageerschüttert,zittern,undumdiesenKraterauszufüllen,umdieseLavazulöschen,bedarfeseinerjenerSündfluthen,welchedieGestaltderReicheverändern.Der Prinz von Condé besprach sich, wie wir gesagt

haben,mit demAdmiral.Mit diesemberühmten jungen

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MannunterhieltsichColignywährendderNachtvom18.aufden19.DecemberimSchattendesneuenThurms.Wir kennen den Prinzen von Condé wenigstens von

außen;wirhabenihnindasWirthshauszumrothenRoßtretensehenundauseinigenWorten,dieersprach,eineIdeevonseinemCharacterbildenkönnen.Manerlaubeuns jetztsowohldaßerdiesenCharacter

alsauchüberseineStellungamHofeinigeEinzelheiten,dieunsunumgänglichnöthigerscheinen.Herr von Condé zeigte noch nicht was er war; aber

man ahnte was aus ihm werden konnte, und dieseVoraussichtverliehdemschonenjungenPrinzen,derbisjetzt nur durch seine tollen und flüchtigen Liebschaftenbekanntwar und gleich seinemZeitgenossenDon Juan,riesige Listen von den berühmtesten Damen des Hofesführte,großeBedeutsamkeit.Er war damals, wie wir bereits gesagt zu haben

glauben,neunundzwanzigJahrealt.Erwarderfünfteundletzte Sohn Karls von Bourbon, Grafen von Vendome,des neuen Stammvaters aller Zweige des HausesBourbon.SeineälterenBrüderwarenAntonvonBourbon,König

von Navarra und Vater Heinrichs IV.; Franz, Graf vonEnghien;derCardinalKarlvonBourbon,ErzbischofvonRouen; und Johann, Graf von Enghien, der zwei JahrevorherinderSchlachtvonSt.Quentingetötetworden.

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Ludwig vonCondéwar also damals nur ein jüngererSohnderNichtsseinnannte,alsseinSchwertundseinenRittermantel.UnddasSchwertwarnochmehrwerthalsderMantel.DiesesSchwerthattederPrinzglorreichindenKrieger

HeinrichsII.gezogen,wieauchineinigenPrivatfehden,worin er sich beinahe, einen eben so großen Ruf fürseinen Muth geschaffen hatte, als er bereits für seinLiebesglück und seine Flatterhaftigkeit in der Liebebesaß.Für den Prinzen von Condé schien das Axiom: Der

BesitztötetdieLiebe,eigenserfundenwordenzusein.SobaldderPrinzbesaß,liebteernichtmehr.Die Sache war wohl bekannt unter den schönen

Damen, deren galante Geschichte Brantome unsgeschrieben,undsonderbargenug,dennochthatdießdenInteressen des jungen Prinzen keinen Eintrag, denn erwar so verliebt und so jovial, daß man folgendenvierzeiligenVersinGebetformaufihngemachthatte:

SchautnurdashübscheMännleinan,Wielachenesundsingenkann,HältstetseinLiebchenindenArmen,Mög'seinerSeel'sichGotterbarmen!

Wiemansieht,warbeidemDichterdieAbsichtbesserals dasVermögen, aber da dasVerschen deutlich genugdie allgemeineSympathiekennzeichnet,welcheLudwigvonCondédemHofeinflößte,sohabenwireszucitiren

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gewagt.Unser Buch ist übrigens Alexander Dumas

unterzeichnetundnichtRichelet.DieseSympathiewargroßzwischendemAdmiralund

demjungenPrinzen.DerAdmiral,dernochjungwar—zweiundvierzig—JahreliebteLudwigvonCondéwieereinenseinerjüngernBrüdergeliebthabenw?de,undderPrinz von Condé seinerseits, ein ritterlicher undabenteuerlicher Character, vonNatur weit mehr geneigtdas Mysterium der Liebe zu studiren, als sich um dieTriumpheoderNiederlagenderReligionzubekümmern,zumaldaerdamalsnocheingleichgültigerKatholikwar,der Prinz von Condé verhielt sich zu dem strengenAdmiral wie ein Schüler zu einem geliebten Lehrer, erhörteihnmiteinemOhran,währenderinderFernemitseinen Augen dem Galopp einer schönen Amazonefolgte,dievonderJagdheimkehrte,odermitdemandernOhrAuf dasLiedchen eines jungenMädchens lauschte,dasvomFeldezurückkam.Man vornehme seht was sich eine Stunde vorher

zugetragen.DerAdmiralhatte,alserausdemLouvrekam,woer

dem jungen König seine Aufwartung gemacht, mitseinem an die Finsternis gewohnten Feldherrnauge amFußdesneuenThurmeseinenineinenMantelgehülltenMann erblickt, der zu einem Balcon vor zwei

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beleuchteten Fenstern emporschaute und ein Signalentwederzuerwartenodergebenzuwollenschien.VonNatur nicht sehr neugierig,wollte er seinenWeg

nach seinemHotel inderRuedeBethisy fortsetzen, alses ihmdurchdenKopf fuhr,daßnureineinzigerMannzu einer Stunde, wo man gerne alle Vorhergehendenverhaftete, wenn sie nur ein wenig in die Nähe desLouvrekamen,dieKühnheithabenkönnevordemPalastdes Königs hundert Schritte von der Schildwache,spazierenzugehen,unddaßdieserMannderPrinzvonCondéseinmüsse.Ergingalsoaufihnzu,unddaderMannsichbeider

Annäherung des Admirals so viel als männlich in dieDunkelheitvertiefte,rieferihmineinerEntfernungvonzwanzigSchrittenzu:»HePrinz!«»Weristda?«fragtederPrinzvonCondédennerwar

eswirklich.»Gut Freund antwortete der Admiral, indem er

fortwährend näher kam und sich freute, daß seinScharfblickihnauchdie´malnichtgetäuschthabe.»Ah,ah!esistdieStimmedesHerrnAdmirals,wenn

ich mich nicht täusche, sagte der Prinz, der ihm jetztentgegenkam.Die beiden Herrn trafen sich aus der Gränze des

Schattens;derPrinzzogdenAdmiralzusichher,sodaß

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sichBeidejetztinderDunkelheitbefanden.»Wie zumTeufel,« fragte derPrinz, nachdemer dem

AdmiralzärtlichundmiteinergewissenEhrerbietungdieHandgedrückt,»wiehabtIhrerfahrendaßichhierbin?«»Ichhabeeserrathen,«antwortetederAdmiral.»Eiwahrhaftig.Dasisteinwenigstark.WiehabtIhrs

angegriffen?«»Ohganzeinfach.«»Sagtmirsdoch.«»Als ich einen Mann in der Nähe der Schildwache

bemerkte,sagteichzumir,daßesinFrankreichnureineneinzigen Ritter gebe, der im Stand sei sein Leben zuriskiren, umdenWind imVorhangeinerhübschenFrauspielenzusehen,unddaßEureHoheitdieserMannsei.«»MeinlieberAdmiral,erlaubtmirEuchzuvörderstfür

die vortreffliche Meinung zu danken, die Ihr von mirhabt, und Euch dann mein höchst auf richtigesCompliment zu machen: es ist unmöglich einenvollendeterenScharfblickzubesitzen,alsIhrbeweiset.«»Ah!«machtederAdmiral.»Ich sehe,« sagte der Prinz, »allerdings nach dem

Fenster eines Zimmers hinauf, wo zwar keine hübscheFrau,dennDiejenigediemichhierfesseltwarvorsechsMonaten noch ein Kind und ist jetzt kaum ein jungesMädchen, aber doch ein bezauberndes jungesMädchenvonvollendeterSchönheitwohnt.«

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»Ihr meint das Fräulein von St. André,« fragte derAdmiral.»Ganz richtig. Es kommt immer besser, mein lieber

Admiral,« antwortete der Prinz; »und Dieß erklärt mirwelchesInteressemichgetriebenhat,EuchzumFreundezunehmen.«»Also hat Euch ein Interesse dazu getrieben?« fragte

Colignylachend.»Ja,undzwareinsehrgroßes.«»Welches?MachtmichzuEuremVertrauten,Prinz:«»Seht,wenn ichEuchnichtzumFreundgehabthätte,

Herr Admiral, so hätte ich Euch vielleicht zum Feindbekommen, und dann werde ich wohl einenunversönlichenFeindinEuchgehabthaben.«DerAdmiralwarfbeidieserSchmeicheleivonSeiten

einesMannes,demerVorwürfemachenwollte,denKopfindieHöheundantworteteihmblos:»EsistEuchohneZweifelnichtunbekanntPrinz,daß

Fräulein von St. André mit Herrn von Joinville, demältestenSohndesHerzogsvonGuise,verlobtist.«»Ich Weiß es nicht blos, Herr Admiral, sondern ich

habemichauchbeiderNachrichtvondieserVerlobungsterblich indasFräuleinverliebt, sodaß ichwohlsagenkann,meineLiebe zumFräulein von St.André kommehauptsächlichvonmeinemHaßgegendieGuisesher.«»Es ist aber doch das erste Mal, Prinz, daß ich von

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dieser Liebe sprechen höre. In der Regel nehmen EureLiebesgeschichten wie die Lerchen singend ihren Flug.DieseLiebe istalsovonsoneuemDatum,daßsienochnichteinmalLärmgemachthat.«»Sieistnichtsoganzneu,meinlieberAdmiral;sieist

imGegentheilschonsechsMonatealt.«»Bah!wirklich?«fragtederAdmiralmiteinemBlick,

derseinErstaunenausdrückte.»Sechs Monate, ja, beinahe auf den Tag hin,

wahrhaftig. Ihr erinnertEuch doch einesHoroscops daseinealteHexebeiderLandimesseHerrnvonGuise,demMarschallvonSt.AndréundEuremgehorsamstenDienergestellthat?IchmeineEuchwenigstensdieseGeschichteerzähltzuhaben.«»Ja,icherinneremichvollkommen.DieSachegeschah

ineinemWirthshausaufderStraßevonGonessenachSt.Denis.«»Ja, so ists, mein lieber Admiral. Nun wohl, von

diesem Tag an datirt die Offenbarungmeiner Liebe fürdie reizendeCharlotte,undwiewennderTod,denmanmirgeweissagt,mireineganzbesondereLustzumLebeneingeflößthatte,vondiesemTaganhabeichnurnochinder Hoffnung gelebt von der Tochter des Marschallsgeliebt zu werden, und habe alleMittel meines Geistesaufgeboten,umzudiesemZielzugelangen.«»Und ohne Unbescheidenheit, Prinz,« fragte der

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Admiral;»istEureLiebeerwidertworden?«»Nein,meinVetter,nein;deßwegensehetIhrmichwie

einenTölpeldastehen.«»Und als galanter Ritter erwartet ihr daß man Euch

eineBlume,einenHandschuh,einWortzuwerfe?«»Wahrhaftig,icherwartenichteinmalmehrDas.«»Nun,aufwaswartetIhrdannnoch?«»Darauf,daßdasLichterlöscheunddaßdieBrautdes

Herrn Prinzen von Joinville einschlafe, damit ichmeinerseits auch mein Licht auslösche und einschlafe,wennichkann.«»Und es ist ohne Zweifel nicht das erste Mal, mein

lieberPrinz,daßIhraufdieseArtdemSchlafengehendesFräuleinsanwohnt?«»EsistnichtdasersteMal,meinVetter,undwirdauch

nichtdasletzteMalsein.EssindjetztbaldvierMonate,daßichmirdieseunschuldigeZerstreuunggönne.«»OhneWissendesFräuleinsvonSt.André,«fragteder

AdmiralmitzweifelnderMiene.»OhneihrWissen,ichfangeaneszuglauben.«»Ei,dasistjamehralsLiebe,meintheurerPrinz:esist

einwahrerCultus,esisteineAnbetungnachArtdessen,was gewisse Seefahrer uns von der Religion der Hinduund ihrerVerehrung gegen ihre unsichtbarenGottheitenerzählen.«»Eure Bemerkung trifft vollkommen zu, mein lieber

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Admiral; es ist ein wahrer Cultus, und ich muß meinganzes Christenthum zusammennehmen um nicht indiesenGötzendienstzuverfallen.«»Götzendienst heißt Bilderverehrung, mein lieber

Prinz, und Ihr besitzet vielleicht nicht einmal das BildEurerGöttin?«»Ja wahrhaftig, ich besitze nicht einmal ihr Bild,«

sagte der Prinz; »aber,« fuhr ermit einemLächeln fort,indemerdieHandaufseineBrustlegte,»ihrBildistdaundzwarsoscharfeingezeichnet,daßichkeinesandernPortraits bedarf als desjenigen, das in meinemGedächtnißlebt.«»Und welche Gränzen setzet Ihr für diese eintönige

Beschäftigungfest?«»Gutkeine.Ichwerdesohierherkommen,solangeich

FräuleinvonSt.Andréliebenwerde.Ichwerdesienachmeiner Gewohnheit solange lieben, als sie mir Nichtsbewilligt haben wird, und da sie mir allerWahrscheinlichkeitzufolgenicht sobaldDasbewilligenwird,wassiemirbewilligenmüßte,damitmeineLiebeinihre Periode der Abnahme treten sollte, so ist eswahrscheinlich,daßichsielangeliebenwerde.«»Ihr seiddocheinganzcurioserHeiliger,mein lieber

Prinz!«»WaswolltIhr?Ichbinnuneinmalso;dasDinggeht

soweit,da?ichmichselbstnichtbegreife.Solangeeine

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FraumirNichtsbewilligthat,binichwieeinNarrinsieverliebt, ich könnte ihrenMann, ihren Liebhaber, ja sieselbstundhintendreinmichselbstumbringen,ichkönnteihretwegen einen Krieg anfangen, wie Pericles fürAspasia, Cäsar für Eunoë, Antonius für Cleopatra;hernach,wennsienachgibt...«»Wennsienachgibt?«»Dann,meinlieberAdmiral,weheihrundmirselbst!

DaskalteTropfbadderUebersättigungfühltübermeinenWahnsinnundlöschtihnaus.«»AberwelcheinnärrischesVergnügenfindetIhrdarin

imMondscheinzuwachen?«»Unter den Fenstern eines hübschen Mädchens? Ein

ungeheures Vergnügen, mein lieber Vetter. Oh, Ihrbegreiftdasnicht,dennIhrseideinernsterundstrengerMann, der sein ganzes Glück in den Gewinn einerSchlachtoderindenSiegseinesGlaubenssetzt.Mitmir,Herr Admiral, ist es etwas Anderes: der Krieg ist fürmich nur ein Friede zwischen zwei Liebeshändeln,zwischen einer alten und einer neuen Liebe. Ich glaubewahrhaftig, daß Gott mich blos zum Lieben geschaffenhat, und ich zu nichtsAnderem tauge.Ueberdieß ist esdasGesetzGottes.GotthatunsbefohlenunsernNächstenwie uns selbst zu lieben. Nun wohl, da ich einvortrefflicher Christ bin, so liebe ich meinen Nächstenmehr als mich selbst. Nur liebe ich ihn in seiner

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schönstenHälfte,inseinerangenehmstenGestalt.«»AberwohabtIhrdennFräuleinvonStAndréseitder

Landimessewiedergesehen?«»Ach, mein lieber Admiral, das ist eine lange

Geschichte, und wenn Ihr nicht entschlossen seid, trotzder Gehaltlosigkeit meiner Erzählung, mir wenigstenseinevollehalbeStundealsguterVerwandterGesellschaftzu leisten, so rathe ich Euch nicht darauf zu bestehen,sondern mich allein meinen Träumereien und meinerZwiesprach mit dem Mond und den Sternen zuüberlassen,diefürmichwenigerleuchtendsindalsdiesesLicht,dasIhrdurchdieFenstermeinerGottheitstrahlensehet.«»Mein lieberVetter,«sagtederAdmiral lachend,»ich

habefürdieZukunftPlänemitEuch,dieIhrnichteinmalahnet;deshalbliegtesinmeinemInteresse,daßichEuchvon allen Euren Seiten studire. Kommt her, öffnet miralleThürenEuresInnern.Seht,wennicheinmalmitdemwahrenCondémitdemgroßenFeldherrnzu thunhabenwill, so möchte ich wissen, zu welcher Thüre ichhereinkommenkann,undwennichstattdesHelden,denichsuche,bloseinenzudenFüßenOmphalesspinnendenHerkules, blos einen auf dem Schooß Dellilasschlafenden Simson finde, so möchte ich wissen, zuwelcherichhinausgehenmuß.«»Ich werde Euch also die ganze Wahrheit sagen

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müssen?«»Allerdings.«»WieeinemBeichtvater?«»Nochbesser.«»Ich erkläre Euch zum Voraus, daß dieß eine wahre

Eklogewird.«»Die schönsten Verse von VirgiliusMaro sind nichts

AnderesalsEklogen.«»Ichbeginnealso.«»IchhöreEuchzu.«»IhrwerdetmirinsWortfallen,wennIhrgenughabt.«»IchversprecheesEuch;aberichglaube,daßichEuch

nichtinsWortfallenwerde.«»Ach, welch ein großer und erhobener Politiker Ihr

seid!«»WißtIhr,mein lieberPrinz,dasIhrmiraussehet,als

obIhrspottenwolltet?«»Ei warum nicht gar! Ihr wißt, daß man mich dazu

treibenkönnteineinenAbgrundzuspringen,wennmanmirvonsolchenDingenvorspricht.«»Nundenn,sobeginnt.«»Es war im September vorigen Jahrs nach der Jagd,

welchedieHerrenvonGuisedemganzenHofimWaldevonMeudonzumBestengaben.«»Ich erinnere mich davon gehört zu haben, war aber

nichtselbstdabei.«

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»Dann erinnert Ihr Euch auch, daß nach dieser JagdMadame Catherine sich mit allen ihren Ehrenfräulein,ihrer sogenannten fliegenden Schwadron, nach demSchloß des Herrn von Gondy in St. Cloud begab; IhrerinnertEuchdessen,dennIhrwaretdabei.«»Allerdings.«»Nun wohl, wenn Eure Aufmerksamkeit nicht durch

ernstere Gegenstände abgelenkt wurde, so erinnert IhrEuch auch noch, daß dort während des Imbisses einjunges Mädchen durch seine Schönheit dieAufmerksamkeit des Hofes und ganz besonders diemeinige fesselte. Eswar das Fräulein von St.André—NachdemImbißwährendderSpazierfahrtaufdemCanalerregte ein junges Mädchen durch seinen Geist dieBewunderung sämmtlicher Gäste und wiederum ganzbesondersdiemeinige.EswardasFräuleinvonSt.André— Am Abend endlich auf dem Ball richteten sich alleAugen und besonders die meinigen auf eine Tänzerin,derenunvergleichlicheGrazie allenLippeneinLächeln,allenStimmenschmeichlerischesGemurmel,allenAugenBlickederBewunderungentlockte.EswarabermalsdasFräuleinvonSt.André—ErinnertIhrEuchdessen?«»Nein.«»Umsobesser,dennwennIhrEucherinnerte,sowäre

es nicht der Mühe werth, daß ichs Euch erzählte. Ihrbegreift wohl, daß die im Gasthof zum rothen Roß in

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meinem Herzen schüchtern entzündete Flamme in St.Cloud zu einem verzehren den Feuerwurde. Die Folgedavon war, daß ich nach dem Ball, als ich in das mirangewieseneZimmerimerstenStockkam,statt insBettzu gehen, die Augen zu schließen und einzuschlafen,mich ans Fenster stellte, und beim Gedanken an sie inholde Träumerei, verfiel. Ich war, Gott weiß wie langeschon, darin versunken, als ich durch den Schleierhindurch, welchen die verliebten Gedanken vor meinenAugenausbreiteten,ein lebendigesWesen,beinaheebensounmateriellwiederWind,derdurchmeineHaarefuhr,zu sehen glaubte. Es war etwas Leichtes wie einverdichteterDunst;einweißundrosarotherSchatten,derdurch die Alleen des Paris glitt, just unter meinemFensterstehenbliebundsichaufdenStammdesBaumesstützte, dessen Blätterwerk meinen geschlossenenFensterladen streifte. Ich erkannte, oder vielmehr ichahnte,daßdieschönenächtlicheFeeNiemandanderswarals Fräulein von St. André und ich wäre höchstwahrscheinlichzumFensterhinausgesprungen,umdestoeher bei ihr anzukommen und desto schneller ihr zuFüßen zu fallen, als ein zweiter Schatten,weniger rosigund weniger weiß als der erste, aber beinahe eben soleicht, den Raum durchschritt, welcher eine Seite derAllee von der andern trennte. Dieser Schatten gehörteaugenscheinlichdemmännlichenGeschlechtean.«»Ah!ah!«murmeltederAdmiral.

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»JustdiesenAusrufhabe ichmiraucherlaubt,«sagteCondé»aberdiebeleidigendenZweifel,dieinBetreffderTugend des Fräuleins von St. André in mir erwachtwaren, dauerten nicht lange; denn die beiden Schattenbegannenzuzwitschern,unddadasGetönederStimmendurchdieBaumzweigeunddieSpaltenderLädenbiszumir herauf drang, so hätte ich was die handelndenPersonen der Scene, die zwanzig Schritte unter miraufgeführt wurde, sprachen; auch hatte ich bereits alleBeideerkannt.«»Werwarensiedenn?«»FräuleinvonSt.AndréundderPageihresVaters.«»Undumwashandelteessich?«»Ganz einfachumeineFischpartie für den folgenden

Tag.«»UmeineFischpartie?«»Ja, mein Vetter; Fräulein von St. André ist eine

fanatischeLiebhaberinvomFischenmitderAngelleine.«»Und um eine Fischpartie zu besprechen, hatten ein

jungesMädchenvonfünfzehnJahrenundeinjungerPagevonneunzehneinanderaufNachtszwölfodereinUhrindiesenParkbeschieden.«»IchzweifeltewieIhrdaran,meinlieberAdmiral,und

ich muß sagen, daß dieser junge Page sehr betroffenschien, als er, nachdem er voll Eifer und ohne ZweifelmitganzandernHoffnungenherbeigelaufenwar,ausdes

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Fräuleins eigenem Munde erfuhr, sie habe ihn blosdeßhalb beschieden, weil sie ihn bitten wolle zweiAngelleinen, eine für sie und die andere für ihn,anzuschaffenundsichdamitMorgensfünfUhramUferdesKanals einzufinden.Dem jungenPagen entwischtensogardieWorte:»Aber,meinFräulein,wennIhrmichauskeinerandern

Absichtbeschiedenhabt,alsweilIhreineAngelleinevonmirwünschtensowaresunnöthigauseinersoeinfachenSacheeinsogroßesGeheimnißzumachen.«»Dann täuschet Ihr Euch, Jacques,« antwortete das

junge Mädchen: »ich werde, seit die Feste begonnenhaben, dermaßen umschmeichelt und gefeiert, von sovielen Schönthuern und Anbetern umlagerd, daß ich,wenn ich Euch um eine Angelschnur ersucht hätte undmeine Absicht unglücklicher Weise bekannt wordenwäre,heutefrühumfünfUhrdreiViertelderHerrendesHofs, mit Inbegriff des Herrn von Condé am Ufer desKanals vorgefunden haben würde; und Dieß hätte, wieIhr Euch wohl deuten könnt, die Fische dermaßenerschreckt,daßichnichteinmaldenkleinstenGründlinggefangenhätte.IchhabenunDasnichtgewollt; ichwillvielmehrmorgenohne andereGesellschaft als dieEure,Ihr undankbarer Mensch einen wundervollen Fischzugthun.«»Achja,meinFräulein,«sagtederjungePage,»achja,

ichbineinUndankbarer!«

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»Alsoesbleibtdabei,Jacques,umfünfUhr.»Ich werde mich schon um vier Uhr mit zwei

Angelleineneinfinden,meinFräulein.«»Aber Ihrdürftnichtvormirundohnemich fischen,

Jacques.«»Oh,ichverspreche,daßichaufEuchwartenwill.«»Gutalso.FürEureMühehabtIhrhiermeineHand.»Ach,meinFräulein!« riefder jungeMann, indemer

sich über diese cokette Hand hermachte und sie mitKüssenbedeckte.»Sachte, sachte!« riefdas jungeMädchen, indemsie

dieHandzurückzog,»ichhabeEucherlaubtweineHandzuküssen,abernichtsieinFlammenzusetzen.UndjetztguteNacht, Jacques!Um fünfUhr amUfer des großenKanals.«»Ach, kommt wann Ihr wollt, mein Fräulein, ich

versprecheEuch,daßichdaseinwerde.«»Gehtjetzt,geht!«sagteFräuleinvonSt.Andréindem

sieihmmitderHandwinkte.»Der Page gehorchte augenblicklich und lautlos, wie

einGeistdemZaubereigehorcht,vondemerabhängt.InwenigeralseinerSecundewarerverschwunden.»FräuleinvonSt.AndrébliebnocheinenAugenblick

da;nachdemsiesichsodannversicherthatte,dassNichtsdie Stille der Nacht und die Einsamkeit des Gartensstörte,verschwandsieebenfallsmitdemfestenGlauben,

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daßsiewedergesehennochgehörtwordensei.«»UndIhrseidgewißmeinlieberPrinz,daßdieschlaue

DirneEuchnichtanEuremFensterahnte?«»Ach, mein lieber Vetter, Ihr raubet mir alle meine

Illusionen.«DanntraternachnäherzumAdmiralundsagte:»Nunwohl,daIhreinsotiefblickenderPolitikerseid,

sowill ichEuchnurgestehen,»esgibtAugenblickewoichnichtdaraufschwörenmöchte.«»Aufwas?«»Daß sie mich nicht gesehen habe, und daß diese

Angelleine, diese Fischpartie, diese Bestellung aufMorgens fünf Uhr nicht eine bloß Comödie gewesensei?«»Ei,warumnichtgar?«»Oh, ich läugne niemals, wenn es sich um eine

weiblicheSpitzbübereihandelt,«sagtederPrinz,»undjejünger und naiver die Person ist, um soweniger läugneich. Aber das müßt Ihr gestehen, mein lieber Admiral,daß wenn die Sache sich wirklich so verhält, dasDämchensehrgewandtist.«»Ichgebeesgernezu.«»Ihrbegreiftwohl,daßichmichamfolgendenMorgen

umfünfUhrinderNähedesgroßenCanalsaufdieLauergestellthabe.DerPagehatteWortgehalten,ErwarschonvorTagesanbruchda.DieschöneCharlotteihrerseitswar

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gleichderMergenrötheeinenAugenblickvorderSonneer schienen und hatte mit ihrem Rosenfinger seinewohlbeköderteAngelleineausJacquesHändenentgegengenommen.EinenAugenblickfragteichmich,warumsiebeimfischeneinesKameradenbedürfe;aberbaldbegriffich, daß so reizende Finger sich nicht der Gefahraussetzen durften die schrecklichen Thiere zu berühren,welche sie an die Angel heften und sogar diejenigen,welche sie hinwegnehmen mußte, wenn der Page ihrnicht dieses abstoßende Geschäft erspart hätte. Aufsolche Art blieb also von dieser Fischpartie, die bissieben Uhr währte, dem schönen und eleganten jungenMädchen Nichts als das Vergnügen, und dieses mußtegroßsein,dennwahrhaftigdiejungenLeutchenbekameneineganzePfannevoll.«»UndIhr,washabtIhrbekommen,meinlieberPrinz?«»EinenabscheulichenCatarrh,dennichstandmitden

FüßenundeinergrimmigenLiebe,derenFolgenIhrjetztsehet,imWasser.«»Und Ihr glaubet, die kleine Plaudertasche habe von

EurerAnwesenheitNichtegewußt?«»Ach mein Gott, lieber Vetter, vielleicht wußte sie

michda;aberwahrlich,wennsieihrenFischansichzog,rundete sie ihrenArmsograziösüberdasUferhinundhob ihr Röckchen so kokett in die Höhe, daß ich umdieses Armes und dieses Beines willen Alles verzeihen

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würde, dennwenn siemichdawußte, somachte sie alldiese allerliebstenArtigkeitenmir undnicht demPagenzuLiebe,sintemalichzuihrerRechtenwarundsieihrenrechtenArm rundete, ihr rechtesBein in dieHöhe hob.Kurzundgut,meinlieberAdmiral,ichliebesie,wennsienaiv ist; aber wenn sie kokett ist, so ist es noch weitschlimmer,dannbeteichsiean!Ihrsehet,daßichaufdieeineoderandereWeisesehrkrankbin.«»Undseitdem?«»Seit dem, lieber Vetter, habe ich diesen reizenden

ArmunddiesesBeinwiedergesehen,abernurvonferne,ohne mich jemals der Besitzerin dieser Zauberschätzenähern zukönnen, denn sobald siemich auf einerSeitebemerkt,soentfliehtsie,dieseGerechtigkeitmußichihrwiderfahrenlassen,nachderandern.«»Und wohin soll diese stumme Leidenschaft zuletzt

führen?«»Ach, mein Gott, das müßt Ihr einen gescheidtern

Mannfragen,als ichbin, lieberVetter;dennwenndieseLeidenschaftstummist,wieIhrsagt,soistsiezugleicherZeit auch taubundblind, d. h. sie hört auf keinenRathundsiehtnichtüberdiegegenwärtigeStundehinaus,willbesondersnichtdarüberhinaussehen.«»Aber,meinlieberPrinz,Ihrmüßtdochinirgendeiner

Zukunft eine Belohnung für diesen musterhaftenSclavendiensthoffen.«

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»Natürlich;aberdieseliegtineinersofernenZukunft,daßichgarnichthinzuschauenwage.«»Nunwohl,laßtEuchrathen,schautnichthin.«»Warumdas,HerrAdmiral?«»Weil IhrNichtsdasehenwürdet,undweilEuchdas

allenMuthraubenkönnte.«»IchversteheEuchnicht.«»Ei, mein Gott, es ist doch sehr leicht zu verstehen,

aberzudiesemEndemüßtIhrmichanhören.«»Sprecht,»HerrAdmiral.«»MachtEuchaufEtwasgefaßt,meinlieberPrinz.«»Wenn es sich um Fräulein von St. André handelt,

macheichmichaufAllesgefaßt.«»Ich will Euch dieWahrheit ohne Umschweif sagen,

meinlieberPrinz.«»HerrAdmiral, ich bin Euch seit langer Zeitmit der

ehrerbietigen Zärtlichkeit, die man einem ältern Bruderwidmet, undmit der zärtlichenHingebung, dieman füreinenFreundhat,Izugethan.IhrseiddereinzigeManninder Welt, dem ich das Recht zuerkenne mir zu rathen.Damitsage ichEuchzugleich,daß ichdieWahrheitausEurem Munde nicht nur nicht fürchte, sondern Euchvielmehrgehorsamstdarumbitte.Sprecht!«»Dank,Prinz!« antwortetederAdmiral als einMann,

der die gewaltigen Einflusses begriff, welche dieLiebesangelegenheiten aus ein Gemüth wie Herr von

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Condéhervorbringenkonnten,weßhalb er auchDingen,dieerbeieinemAndernalsdemBruderdesKönigsvonNavarra kaum beachtet haben wurde, eine bedeutendeWichtigkeit beilegte; »Dank! und da Ihr mir ein soschönesSpieleinräumt,sowillichEuchdieganzenackteWahrheitsagen:FräuleinvonSt.AndréliebtEuchnicht,mein lieber Prinz; Fräulein von St. André wird Euchniemalslieben.«»Solltet Ihr nicht ein wenig Astrolog sein, Herr

Admiral? und solltet Ihr zufällig die Sterne über michbefragthaben,ummireine sogarstigeProphezeiungzumachen?«»Nein: aber wißt Ihr, warum sie Euch nicht lieben

wird?«fügtederAdmiralhinzu.»Wiesoll ichdaswissen,da ichdochAllesaufbiete,

ummirihreLiebezuerwerben.«»SiewirdEuchnichtlieben,weilsienieJemandlieben

wird,diesenkleinenPagensowenigalsEuch;sieisteintrockenes Herz, eine ehrgeizige Seele. Ich habe sie alskleines Kind gekannt, und ohne die astrologischenKenntnisse zu besitzen, die Ihr so eben bei mirvermuthet, habe ich imStillen prophezeit, daß sie einesTags eine Rolle in diesem großen Haus des Lastersspielenwürde,daswirvorAugenhaben.UndmiteinerGeberdehöchsterVerachtungzeigteder

AdmiralaufdenLouvre.

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»Ah,ah!«sagteHerrvonCondé,»das isteinandererGesichtspunkt, von welchem aus ich sie noch nichtbetrachtethabe.«»Sie war noch nicht acht Jahre alt, als sie die

vollendeteBuhldirnespielte,à laAgnesSoreloderFrauvon Etampes; ihre jungen Freundinnen setzten ihr einpappendeckelnesDiademaufdenKopfundfürtensieumdas Hotel herum spazieren mit dem Ruf: Es lebe diekleine Königin! Nun wohl, sie hat die Erinnerung andieses Kinderkönigthum — fortwährend bewahrt. Siebehauptet,daßsieHerrnvonJoinville, ihrenBräutigam,liebe:alleinsielügt.Siestelltsichzwarso,aberwißtIhrauch warum? Weil der Vater des Herrn von Joinville,HerrvonGuise,meinehemaligerFreundund jetztmeinerbittertster Gegner, binnen Kurzem König vonFrankreichseinwird,wennmanihmNichts indenWegwirft.«»Ha, zum Teufels ist das Eure Ueberzeugung mein

Vetter?«»Meine aufrichtige Ueberzeugung, lieber Prinz, und

ich schließe daraus, daß Eure Liebe zu dem schönenEhrenfräulein der Königin eine unglückliche Liebe ist,weßhalb ich Euch beschwöre Euch so bald alsmöglichdavonloszusagen.«»IstdasEuerRath?«»Ja, und ich ertheile ihn Euch vom Grund meines

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Herzens.«»Und ich, lieber Vetter, will Euch vor allen Dingen

sagen,daßichihnsoannehmewieergegebenwird.«»NurwerdetIhrihnnichtbefolgen?«»Was wollt Ihr, mein lieber Admiral? man ist nicht

HerrüberdieseDingeda.«»Gleichwohl, mein lieber Prinz, müßt Ihr aus der

VergangenheitaufdieZukunftschließen.«»Nunwohlja,ichgestehe,daßsiebisjetzt,keinesehr

heftigeSympathiefürEurenDienerempfindet.«»Aber Ihr glaubet,Dieß könne nicht vonDauer sein.

Ah!ichweiß,daßIhreineguteMeinungvonEuchselbsthabt,meinlieberPrinz.«»WaswolltIhr?manwürdedenAnderneineallzugute

GelegenheitzurVerachtunggeben,wennmansichselbstverachtete. Aber das ist es nicht. Wenn sie dieseZärtlichkeit nicht fürmich hat, so könnt Ihr doch nichtverhindern,daß ichdieselbeunglücklicherWeise für siehabe. Ihr zuckt die Achseln darüber. Was wollt Ihrmachen?Steht,esmirfreizuliebenodernichtzulieben?WennichzuEuchsagte:IhrhabtdieBelagerungvonSt.QuentindreiWochen langmitzweitausendManngegendie fünfzig oder sechzigtausend Flamänder und SpanierdesPrinzenEmanuelPhilibertunddesKönigsPhilippII.ausgehalten; nun wohl, Ihr müßt jetzt selbst die Stadtbelagern;esliegendreißigtausendManndrinnen,undIhr

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habt blos zehntausend; würdet Ihr Euch weigern St.Quentinzubelagern?Nein,nichtwahr?...«Warum? Weil Ihr vermöge Eures bewährten

kriegerischenGeniesdieGewißheithabt,daßfürtapfereMännerkeinPlatzuneinnehmbarist.Nunwohl,ich,meinlieberVetter,rühmemichvielleicht,aberichglaubeeinebewährte Wissenschaft der Liebe zu besitzen, wie IhrEuerbewährtesGeniefürdenKrieg,undichsageEuch:KeinPlatzistuneinnehmbar;IhrhabtmirdasBeispielimKrieggegeben,meinlieberAdmiral,erlaubtmir,daßichEuchdasBeispielinderLiebegebe.«»Ach,Prinz!Prinz!«sagtederAdmiralschwermüthig,

»was für ein großerFeldherrwürdet Ihr geworden sein,wenn statt der fleischlichen Gelüste, welche Euch dieLiebe ins Herz legen, hohe Leidenschaften Euch denDegenindieHandgelegthätten.«»Ach!IhrwolltvonderReligionsprechen«»Ja, Prinz, und wollte Gott, daß Ihr einer von den

UnsernundfolglicheinervondenSeinenwürdet!«»Mein lieber Vetter,« sagte Condé mit seiner

gewöhnlichen Heiterkeit, unter welcher er jedoch dieWillenskraft eines Mannes hervorschimmern ließ, derohnedaßmanesihmansieht,oftüberdiesenGegenstandnachgedachthat,»Ihrwerdetesvielleichtnichtglauben,aber ichhabeüberdieReligionzumMindestenebensobestimmteIdeenwieüberdieLiebe»

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»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte der Admiralerstaunt.«DasLächelnverschwandvondenLippendesPrinzen

underfuhrernsthaftfort:»Damit will ich sagen, Herr Admiral, daß ich meine

eigeneReligion,meineneigenenGlauben,meineeigenechristlicheLiebehabe;daßich,umGottzuehren,keinerfremden Vermittlung bedarf, und so lang Ihr mir nichtbeweisenkönnt,meinlieberVetter,daßEureneueLehrederaltenvorzuziehenist,soerlaubt,daßichdieReligionmeinerVäterbeibehalte,esmüßtemichdenndieLauneankommen sie zu ändern, um Herrn von Guise einenStreichzuspielen.«»Oh,Prinz!Prinz!«murmeltederAdmiral,»werdetIhr

auf solche Art diese Schätze von Kraft, Jugend undIntelligenzvergeuden,diederEwigeEuchgeschenkthat,undwerdetIhrsienichtzumVortheilirgendeinergroßenSacheanzuwendenwissen?IstEuerinstinctmäßigerHaßgegen die Herren von Guise nicht eine providentielleMahnung?ErhebetEuch,Prinz,undwennIhrdieFeindeEuresGottes nicht bekämpfet, so bekämpfetwenigstensdieFeindeEuresKönigs.«»Ei,«sagteCondé,»Ihrbergreift jetzt,Vetter,daß ich

meinen eigenen König habe, wie meinen eigenen Gott:allerdings ist mein König eben so klein»als mein Gottgroß ist.MeinKönig, lieberAdmiral, istderKönigVon

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Navarra,mein Bruder. Das istmeinwahrer König. DerKönig von Frankreich kann für mich blos einangenommenerKönig,einOberlehensherrsein.«»Ihr wollt die Frage umgehen, Prinz; Ihr habt Euch

dochfürdiesenKöniggeschlagen?«»Nun ja,weil ichmich jenachmeinerLaune füralle

Könige schlage, gerade wie ich nach meiner PhantasiealleFrauenliebe.«»Es ist also unmöglich,mein lieberPrinz, über einen

dieser Gegenstände ernsthaft mit Euch zu sprechen?«fragtederAdmiral.»Nicht doch,« antwortete der Prinz mit einem

gewissenErnst,»wirwerdenzueinerandernZeitdarübersprechen, mein Vetter, und ich werde Euch über dieseSache Rede stehen. Glaubet mir, ich würde mich füreinen sehr erbärmlichen Menschen und einen sehrschofeln Bürger halten, wenn ich mein ganzes Lebeneinzig und allein dem Dienst der Damen widmete. Ichweiß daß ich Pflichten zu erfüllen habe, Herr Admiral,unddaßdie Intelligenz, derMuthunddieGewandtheit,kostbareGaben,dieichvomHerrnempfangen,mirnichtblos verliehen worden sind, um Serenaden unter denBalconen darzubringen. Aber habt Geduld, mein lieberVetterund trefflicherFreund.LaßdieseerstenFlammender Jugend verdunsten; bedenket daß ich noch nichtdreißigJahrealtbin,zumTeufel,HerrAdmiral,unddaß

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ichinErmangelungeinesKriegsdieThatkraftdieichinmir spüre, doch zu irgend Etwas verwenden muß.VerzeihtmiralsonochdiesesAbenteuer,unddaichdenRath,denIhrmirgabetnichtangenommenhabe,sogebetmirdenjenigen,umdenichEuchbitte«»Sprecht,Tollkopf!«sagtederAdmiralväterlich,»und

Gott gebe, da?der Rath, den ich Euch ertheilen werde,Euchirgendwienützenmöge.«»Herr Admiral,« sagte der Herr Prinz von Condé

indem er den Arm seines Vetters ergriff, »Ihr seid eingroßer General, ein großer Stratege, unbestritten dergrößte Kriegsmann unserer Zeit: sagt mir: wie würdetIhr's an meiner Stelle zum Beispiel angreifen, um zudieserStunde,d.h.gegen,MitternachtbeiFräuleinvonSt. André einzudringen und ihr zu sagen, daß Ihr sieliebet.«»Ichsehewohl,mein lieberPrinz, sagtederAdmiral,

»das Ihr nicht wahrhaft geheilt werdet, wenn Ihr diesePerson nicht genau kennen lernt. Ich leiste Euch alsoeinen Dienst, wenn ich Euch in Eurer Thorheitunterstütze, bis diese Thorheit sich in Vernunftumwandelt.Nunwohl,anEurerStelle...«»Still!«sagteCondéindenSchattenzurücktretend.«»Undwarum?«»Weil es mir scheint, als ob Etwas wie ein zweiter

VerliebtersichdemFensternäherte.«

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»Jawahrhaftig,«sagtederAdmiral.UndnachdemBeispiel desPrinzenverlor er sich im

dunkelnSchattendesThurms.UnbeweglichundmitzurückgehaltenemAthemsahen

sie jetzt Robert Stuart herannahen; sie sahen ihn denSteinaufheben,einBilletumbinden,undSteinundBilletdurchdasbeleuchteteFensterschleudern.Dann hörten sie das Geklirr der zertrümmerten

Scheiben.Hierauf sahensiedenUnbekannten,densie füreinen

Verliebten gehalten halten, obschon er, man muß ihmdiese Gerechtigkeit widerfahren lassen, nichts wenigerals Das war, entfliehen und verschwinden, als er dieGewißheit hatte, daß sein Wurfgeschoß am Ort seinerBestimmungangelangtwar.»Ah! so wahr ich lebe,« sagte Condé, »ohne Euch

EuresRathesfüreinandermalzuentbinden,meinlieberVetter,sodankeichEuchdochfürheutedafür.«»Warum?«»WeilichmeinMittelgefundenhabe.«»Welches?«»Nun bei Gott, Dieß ist sehr einfach; dieses

zerbrocheneFenstergehörtdemMarschallvonSt.André,undesistsicherlichinkeinergutenAbsichtzertrümmertworden.«»Nun?«

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»Nun, ichkamausdemLouvre; ichhörtedasGeklirrder Fensterscheibe, ich fürchtete, es müßte irgend einComplott gegen den Marschall dahinter stecken, undwahrlich, trotz der späten Nacht, konnte ich nichtwiderstehen, sondern bin aus eitel Theilnahme für ihnheraufgestiegen, um zu fragen, ob ihm kein Unglückwiderfahrensei.«»Narr!Narr!dreifacherNarr!«sagtederAdmiral.«»IchbatEuchumeinenRathmeinFreund;würdet?Ihr

mireinenbessernertheilthaben?«»Ja.«»Welchen?«»Nichthinzugehen.«»Ei,Ihrwißtja,Dießwardererste,undichhabeEuch

bereitsgesagt,daßichihnnichtbefolgenwolle.«»Nundenn, es sei!Gehenwir zu demMarschall von

St.André.«»Ihrkommtalsomitmir?«»Mein lieber Prinz»wenn man einen Narren nicht

hindern kann seine Narrheiten auszuführen, und wennmandiesenNarren so liebt,wie ichEuch liebe, somußmansichbeidieserNarrheitbetheiligenunddafürsorgen,dass er so viel alsmöglichNutzen daraus zieht. GehenwirzudemMarschall.«»Mein lieber Admiral, Ihr werdet mir sagen, welche

Bresche ich ersteigen, durch welche Salve ich passiren

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muß um Euch zu folgen, und bei der nächstenGelegenheit werde ich Euch nicht folgen, sondernvoranschreiten.«»GehenwirzudemMarschall.«Und sie begaben sich Beide nach demHaupteingang

des Louvre, wo der Admiral, nachdem er die Paroleabgegeben hatte, eintrat und hinter ihm der Prinz vonCondé.

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VI.

DieSirene.

VorderWohnungangelangt,welchederHerrMarschallvon St. André in seiner Eigenschaft als KöniglicherKammerherr imLouvre innehatte,klopftederAdmiral;aberdie langsamaufgestoßeneThürewichunterseinemFingerundöffnetesichinsVorzimmer.DortstandeinLakaimitäußerstbestürzterMiene.»Mein Freund,« sagte der Admiral zu ihm, »ist der

HerrMarschallinsospätherNachtnochsichtbar?«»DerHerrMarschall,«antwortetederLakai,»würdees

gewiß für Eure Excellenz noch sein, aber einunerwartetes Ereigniß hat ihn so eben genöthigt zumKönigzugehen.«»EinunerwartetesEreigniß,«sagteCondé.»Ein unerwartetes Ereigniß führt auch uns zu ihm,«

versetzte Herr von Coligny, »und wahrscheinlich ist esdasselbe.HandeltessichnichtumeinenStein,dereinesseinerFensterzertrümmerthat?«»Ja,gnädigsterHerr,undderzudenFüßendesHerrn

Marschalls in dem Augenblick niederfiel, wo er ausseinemArbeitscabinetinseinSchlafzimmertrat.«»Ihr sehet, daß ich dasEreigniß kenne,meinFreund,

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undda ichdemHerrnMarschall vielleicht ausdieSpurdes Verbrechers helfen könnte, so hätte ich mich gernemitihmüberdieSachebesprochen.«»Wenn der Herr Admiral,« antwortete der Lakai,

»warten und inzwischen bei Fräulein von St. Andrévorsprechen möchte, so würde der Herr Marschallwahrscheinlichbaldzurückkommen.«»AberdasFräuleinistvielleichtindiesemAugenblick

nicht mehr auf?« fragte der Prinz von Condé »und wirmöchtenumAllesinderWeltnichtzudringlichsein.«»Oh gnädigster Herr,« sagte der Kammerdiener, der

den Prinzen erkannt hatte, »Eure Hoheit kann beruhigtsein. Ich habe so eben eine der Frauen des gnädigenFräuleins gesehen, und sie hat gesagt, das gnädigeFräulein werde nicht zu Bette gehen, bis ihr Vaterzurückgekommenseiundbissiewisse,wasdieserBriefbedeute.«»WelcherBrief?«fragtederAdmiral.DerPrinzstießihnmitdemEllbogen.»Das ist ganz einfach,« sagte er, »der Brief, der

wahrscheinlichumdenSteingebundenwar.«DannsagteerleisezudemAdmiral:»Das ist eineArtvonCorrespondez,die ichmehrals

einmalmitErfolgangewandthabe,meinVetter.«»Nun wohl,« sagte der Admiral, »wir nehmen Euer

Anerbietenan,meinFreund.»FragtdasFräuleinvonSt.

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André ob sie den Herrn Prinzen von Condé und michempfangenkönne.«Der Diener entfernte sich und kam nach einigen

SecundenmitderNachrichtzurück,dasgnädigeFräuleinerwartediebeidenHerrn.Dann schritt er ihnen nach dem Corridor voran,

welcherzurWohnungdesFräuleinsvonSt.Andréführte.»Gesteht, mein lieber Prinz, sagte der Admiral

halblaut, »daß Ihr mich da zu einem sonderbarenHandwerkveranlaßhabt.«»Mein lieber Vetter,« sagte Condé, »Ihr kennet das

Sprichwort: Es gibt kein dummesHandwerk, besondersunterdenjenigen,diemanausErgebenheittreibt.«Der Diener meldete Seine Hoheit den Herrn Prinzen

von Condé und Seine Excellenz den Admiral Coligny.Dann hörte man Fräulein von St. André mit ihrerlieblichstenStimmesagen:»Siemögeneintreten.«»Der Diener entfernte sich»und die beiden Herren

traten in das Zimmer, wo Fräulein von St. André sichaufhielt; inderMittedesselbenfunkelte jenefünfarmigeLampe, deren Licht der Prinz schon seit drei Monatenzwischen den Scheiben und den Fenstervorhängen desjungenMädchenshindurchbeobachtete.Es war ein mit hellblauem Atlas ausgeschlagenes

Boudoir, in welchem Fräulein von St. André rosaroth,

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weißundblond,wieeineNajadeineinerazurnenGrotteerschien.«»Ach mein Gott!« begann der Prinz von Condé wie

wenn ihm seine Aengstlichkeit nicht gestattete sichmitden gewöhnlichen Complimenten aufzuhalten, »was istdenn Euch oder dem Herrn Marschall so ebenwiderfahren?«»Ah,«versetztedasFräuleinvonSt.André,»Ihrwißt

dasEreignißschon,HerrPrinz?«»Ja, mein Fräulein,« versetzte der Prinz; »der Herr

Admiral und ich kamen aus dem Louvre; wir befandenunsjustunterEuernFenstern,alseinSteinzischendüberunsere Köpfe hinflog; zu gleicher Zeit hörten wir einstarkes Geklirre von zertrümmerten Fenstern, das unserschreckte; wir kehrten deßhalb augenblicklich in denLouvre zurück und nahmen uns die Freiheit hierherzukommen, um bei Euern Lakeien zu fragen, ob demHerrnMarschallNichtszugestoßensei.DerbraveMannandenwir unswandten, hatte und sehrunklugerWeisegesagt, daßwir unsbeiEuch selbst erkundigenkönnen,daßIhrvielleichttrotzderspätenNachtdieGewogenheithaben würdet uns zu Gunsten des Motivs, das unsherbeiführte, Eure Thüre zu öffnen. Der Herr AdmiralnahmAnstand. Ich da gegen bei dem großen Interesse,das ichdemHerrnMarschallunddenübrigenPersonenseiner Familie widme, bestand darauf. daß wirhierhergehen sollten, und so sind wir denn da, mein

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Fräulein, mögt Ihr uns nun zudringlich nennen odernicht.«»Ihr seid inWahrheit allzugütig,meinPrinz,daß Ihr

uns blos allein bedroht glaubtet und Euch umunsertwillen beunruhiget. Aber diese Gefahr gilt, wennsie vorhanden ist, höheren Häuptern als die unsrigensind.«»WaswalltIhrdamitsagen,meinFräulein?«fragteder

Admirallebhaft.»DieserStein,derdieScheibenzertrümmerte,warmit

einem beinahe drohenden Schreiben an den Königumwickelt.MeinVaterhatdieBotschaftaufgehobenundanihreAdressegebracht.«»Aber,« fragte der Prinz von Condé in plötzlicher

Inspiration, »hat man den Hauptmann der Garden inKenntnißgesetzt?«»Das weiß ich nicht, gnädigster Herr,« antwortete

FräuleinvonSt.André,»aberjedenfallssollteman,wennesnichtgeschehenist»essogleichtun.«Allerdings,es istkeineMinutezuverlieren,«fuhrder

Prinzfort.DannwandteersichzuColignymitderFrage:»CommandirtnichtEuerBruderDandelotdieseWache

imLouvre?«»Erselbst,meinlieberPrinz,«antwortetederAdmiral,

der Condé'sGedanken im Flug erfaßte; »jedenfallswillich ihm selbst sagen, daß er seine Wachsamkeit

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verdoppeln,dieParoleverändern,kurzundgutaufseinerHutseinsolle.«»Geht, Herr Admiral,« rief der Prinz ganz vergnügt

darüber, daßman ihn so gut begriffen hatte, »undGottgebe,daßernochzurZeitankommt!«DerAdmiraltratlächelndabundließdenPrinzenvon

CondéalleinbeidemFräuleinvonSt.Andrézurück.Das junge Mädchen schaute mit spöttischem Blick

demernstenAdmiralnach.DannwandtesiesichandenPrinzenundsagte:»Jetztbehauptemannoch,daßEureHoheitdemKönig

nichtwieIhremeigenenBruderzugethansei.«»WerhatdennjeandieserAnhänglichkeitgezweifelt,

meinFräulein?«fragtederPrinz.»Der ganze Hof, gnädigster Herr, und ich ins

Besondere.«»DaßderHofdaranzweifelt, findeichsehrnatürlich;

der Hof gehört Herrn von Guise, während Ihr, meinFräulein...«»Ich gehöre ihm noch nicht; aber ich werde ihm

gehöre: das ist der Unterschied zwischen dem PräsensunddemFuturum,gnädigsterHerr,mehrnicht.«»Also hält man noch immer an dieser unglaublichen

Verbindungfest?«»Mehralsje,gnädigsterHerr.«»Ich weiß nicht warum,« sagte der Prinz, »aber ich

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habe in meinem Kopf, ich sollte sagen in meinemHerzen, dengeheimenGedanken, daß sie nie zuStandekommenwerde.«»Wahrhaftig,meinPrinz,ichwürdeAngstbekommen,

wennIhrnichteinsoschlechterProphetwäret.«»Gütiger Gott! Wer hat denn meine astrologische

WissenschaftbeiEuchsosehrinVerrufgebracht?«»Ihrselbst,Prinz.«»Undwiedas?«»Indem Ihr mir prophezeitet, daß ich Euch lieben

werde.«»Habichdaswirklichprophezeit?«»Oh, ich sehe, daß Ihr den Tag des wunderbaren

Fischfangsvergessenhabt.«»Um ihn zu vergessen, mein Fräulein müßte ich die

MaschendesNetzeszerrissenhaben,worin IhrmichandiesemTagefinget.«»OhPrinz,IhrwürdetbesservoneinemNetzsprechen,

worin IhrEuch selbst gefangen habt. Ich habe,Gott seiDank,niemalseinNetzausgespannt,womitesaufEuchabgesehengewesenwäre.«»Nein; aber Ihr habt mich an Euch gelockt wie jene

Sirenen,vondenenHorazspricht.«»Oh,« sagte Fräulein von St. André die, wie damals

alleDamen,diebeinaheebensogelehrtalsgalantwaren,Lateinverstand,»desinitinpisceam«sagtHoraz.Schaut

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micheinmalan,höreichalsFischauf?«»Nein, und Ihr seid deßhalb nur um so gefährlicher,

weil Ihr die Stimme und die Augen der antikenZauberinnen habt. Ihr habt mich ohne es zu wissen,unschuldigerWeisevielleicht, anEuchgelockt, aber ichbin jetzt da und ich schwöre Euch, daß ich inunauflöslicheKettengeschlagenbin.«»Wenn ich Euren Worten den mindesten Glauben

schenken könnte, Prinz, so würde ich Euch aufrichtigbeklagen, denn unerwiederte Liebe scheint mir dergrausamste Schmerz zu sein, den ein fühlendes Herzempfindenkann.«»BeklagetmichalsovonganzerSeele,meinFräulein;

dennnie ist ein liebenderMannwenigergeliebtwordenalsich.«»Ihr werdet mir wenigstens die Gerechtigkeit

widerfahren lassen, Prinz,« antwortete Fräulein von St.Andrélächelnd,»daßichEuchzurZeitgewarnthabe.«»Ich bitte um Entschuldigung, mein Fräulein; es war

bereitszuspät.«»Und von welcher Aera datiret Ihr die Geburt Eurer

Liebe? von der christlichen oder von dermuhamedanischen?«»Beim Landifest, mein Fräulein, von jenem

unglücklichen oder glücklichen Tag, wo ich EuchgänzlichinEurenMantelvermummtsah,woEureHaare

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imSturm sich aufgelöst hatten und in blondenFlechtenumEurenSchwanenhalssichschlängelten.«»Aber IhrhabtmichandiesemTagkaumangeredet,

Prinz.«»Wahrscheinlich sah ich Euch zu viel an, und so hat

die Anschauung das Wort getötet. Man spricht zu denSternen auch nicht:man schaut sie an,man träumt undmanhofft!«»AberwißtIhrauch,Prinz,daßdießeineVergleichung

ist,dieHerrnRonsardeifersüchtigmachenkönnte?«»SiewundertEuch?«»Ja, ich wuße nicht. daß Ihr so viel poetischen Sinn

habt.»DiePoeten,meinFräulein,sinddieEchosderNatur:

die Natur singt, und die Poeten singen die Lieder derNaturnach.«»Eskommtimmerbesser,Prinz,undichsehe,daßman

Euchverleumdethat,wennmansagte,daßIhrblosGeistbesitzet;Ihrbesitzet,wiemirscheint,nochüberdießeineglänzendeEinbildungskraft.«»Ich habe in meinem Herzen Euer Bild, und dieses

strahlendeBildbeleuchtet selbstmeineunbedeutendstenWorte: schreibet also das Verdienst, das Ihr mirzuerkennenwollt,einzigundalleinEuchselbstzu.«»Nun wohl, Prinz, so laßt Euch einen Rath geben:

SchließtEureAugenundsehetmeinBildnichtan,dasist

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dasGlücklichstewasichEuchwünschenkann.«»Fräulein von St. André trat jetzt, eben so

triumphirend über ihrenSieg alsHerr vonCondé durchseineNiederlage gedemüthigtwar, einenSchritt auf ihnzuundreichteihmdieHandmitdenWorten:»Sehet,Prinz,sobehandleicheinenBesiegten.«DerPrinzergriffdieweiße,aberkalteHanddesjungen

MädchensunddrücktefeurigseineLippendarauf.Bei dieser schlecht berechneten Bewegung fiel eine

Thräne,dieimWinkelseinesAugeszitterteunddieseinHochmuth vergebens zu trocknen versucht hatte, aufdieseMarmorhand,wo sie zitterteundwie einDiamantglänzte.FräuleinvonSt.Andréfühlteundsahsiezugleich.»Ei warhaftig, ich glaube, Ihr weinet in allem Ernst,

Prinz,«riefsiemitlautemLachen.»Es ist ein Regentropfen nach einem Gewitter,«

antwortete der Prinz seufzend. »Was gibt es da zumVerwundern?«Fräulein von St. André heftete einen flammenden

Blick auf den Prinzen und schien einen AugenblickzwischenCoketterie undMitleid zu schwanken; endlichaber zog sie, ohne daßman sagen konnte,welches vonbeiden Gefühlen obsiegte, vielleicht unter dem Einflußder Vermischung beider, ein seines Battisttüchlein ohneWappen und Anfangsbuchstaben, aber ganz von ihrem

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Lieblingsgeruchdurchduftet,ausderTasche,warfesdemPrinzenzuundsagte:»Sehet gnädigster Herr, solltet Ihr zufällig an dieser

Krankheit des Weinens leiden, so habt Ihr hier einSchnupftuch,umEureThränenzutrocknen.«DannfügtesiemiteinemBlicke,derganzentschieden

demGebietderCoketterieangehörte,hinzu:»BehalteteszumAndenkenaneineUndankbare.«UndsieverschwandleichtwieeineFee.Der Prinz nahm halb liebestoll das Schnupftuch und

eilte, als fürchtete er, man möchte ihm das kostbareGeschenk wieder nehmen, die Treppe hinab. Er dachtenichtmehrdaran,daßdasLebendesKönigsbedrohtwar;er vergaß daß sein Vetter, der Admiral, ihn bei demFräulein von St. André abholen sollte, und das Einzigewas er zu thun vermochte war, darüber das theureTüchleinmitLiebesküssenbedeckte

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VII.

DieTugenddesFräuleinsvonSt.André.

Erst am Uferrand blieb Condé stehen, wie wenn ergedacht hätte, daß zum mindesten die fünfhundertSchritte, die er jetzt zwischen sich undFräulein vonSt.Andrégebrachthatte,nöthig seien,um ihmden ruhigenBesitzdeskostbarenSchnupftuchszusichern.Jetzt erst fiel ihm auch ein, daß er dem Admiral

versprochen hatte auf ihn zu warten: er wartete alsoungefähr eine Viertelstunde, während welcher er dasTüchlein an seine Lippen preßte und an seine Brustdrückte, wie etwa ein sechzehnjähriger Gymnasiast beiseinererstenLiebe.Erwartete er jetztwirklich denAdmiral oder blieb er

ganz einfach stehen, um noch länger dieses Licht zusehen,dasdenfatalenEinflußhatte,ihn,denglänzendenNachtschmetterling anzulocken, bis er sich daranverbrannte?Im Uebrigen war der arme Prinz in allem Ernst

entflammt, und dieses durchduftete Schnupftuch trugdazubeiihnschrecklichinBrandzustecken.Der stolze Kämpe der Liebe war weit entfernt sich

überwunden zu glauben, und hätte das jungeMädchen,

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hinter ihren Fenstervorhängen verborgen, beimMondscheineinezweiteThräne,diesmaleineThränederWonne,indenWimperndesPrinzenglänzengesehen,sowürde sie ohne Zweifel begriffen haben, daß diesesSchnupftuch die Thränen nicht nur nicht trocknete,sondernvielmehrdieGabehattesiehervorzulockenunddaß dies Thränen des Kummers durch die Thränen derWonnevermischtwaren.NacheinigenMinutendieserLiebesentzückungenund

wahnsinnigenKüssewurdeeinerderSinnedesPrinzen,dernichtbeschäftigtwar,ohneZweifelzurRachedafür,daß sein Herr ihn gänzlich vergessen hatte, plötzlichdurch ein unerwartetes Geräusch geweckt. Dieser SinnwarderGehörsinn.Das Geräusch kam offenbar aus den Falten des

Schnupftuchs.Es erinnerte andenTanzderbeimerstenHauch desHerbstwindes abgefallenenBlätter oder auchan eine kleineVölkerschaft von Insekten, die nach demFest des Tages massenhaft in ihre Baumhöhlezurückkehrt;oderendlichanjenemelancholischenTöne,welche die Wassertropfen machen, wenn sie aus denBrunnenindieBeckenherabfallen.Es war eine Art von Geknitter, wie wenn man ein

seidenesKleidunterdieHandbekommt.Woherkames?Augenscheinlich konnte dieses allerliebste

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Battisttüchlein nicht aus eigenem Antrieb und vermögeseinereigenenWillenskrafteinGeräuscherregen,dasfürihneinesoentschiedeneWirklichkeithatte.Verwundert über dieses Geräusch wickelte der Prinz

sorgfältig das Schnupftuch auf, das ihm naiv seinGeheimnißüberlieferte.Es war ein zusammengerolltes Papierchen, das sich

ohne Zweifel aus Versehen in den Falten diesesSchnupftuchsbefand.DiesesBillet schiennichtblosvondesselben,Parfum

durchduftetzusein,wiedasSchnupftuch,sonderndiesesallerliebste Parfum kam vielleicht nicht von demSchnupftuch,sondernvondemBillet.Herr von Condé schickte sich an das Papierchen

zwischen demDaumen und demZeigefinger zu fassen,undzwarsosorgfältigwieeinKind,daseinenaufeinerBlume sitzenden Schmetterling an den Flügeln zuergreifenwünscht;aberwiederSchmetterlingdemKindentwischt,soentwischtedasBilletdurcheinenWindstoßentführt,HerrnvonCondé.Herr von Condé sah es in der Nacht wie eine

Schneeflocke flattern und sprang ihm mit noch weitgrößererHastnach,alseinKnabeseinemSchmetterlingnachjagt.UnglücklicherWeisewar das Papiermitten unter die

fürdiePalastbautenzugehauenenSteinegefallen,undda

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esbeinahedieselbeFarbehatte,sowaresschweresunterihnenherauszufinden.Der Prinz begann mit hartnäckigem Eifer zu suchen.

Hatte er sich nicht in den Kopf gesetzt (die VerliebtensinddochinWahrheitsonderbareLeute),FräuleinvonSt.André habe ihn unter ihren Fenstern gesehen, sie habediesesBilletchen,zumVorausgeschrieben,umesihmbeikommender Gelegenheit zu geben, und jetzt da dieseGelegenheitsichgefunden,habesieesihmüberreicht?Dieses Billetchen gab ihm wahrscheinlich die

Erklärung ihres Benehmens: das Geschenk mit deinSchnupftuch war blos eine Beförderung des Billets aufdiePost.»Man muß gestehen, es war wirklich Unglück ein

solchesBilletzuverlieren.AberdasBilletdurftenichtverlorengehen;Herrvon

CondéschwureszuGott,undmußteerbiszumMorgenwarten.Inwischensuchteer,abervergebens.Einen Augenblick kam er aus die Idee nach der

Wachstube im Louvre zu laufen, dort ein Licht zuentlehnenunddannweiterzusuchen.Ja; aberwennwährenddieserZeitderFensterneinen

neuen Windstoß herbeiführte, wer sagte dann demPrinzen, daß er das Billet da finden werde, wo er esgelassen?

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Während der Prinz sich diesen schmerzlichenBetrachtungen überließ, sah er eine Patroullie auf sichzukommen, von einem Sergenten geführt, der eineLaterneinderHandtrug.Besseres konnte er sich für den Augenblick nicht

wünschen.ErriefdenSergenten,gabsichzuerkennenundborgte

ihmseineLaterneab.NachdemerzehnMinutenlanggesucht,stießereinen

Freudenschreiaus:erhattedasglückseligePapiersoebenbemerkt.Dießmal machte es keinen Fluchtversuch und mit

unsäglicherFreudedecktederPrinzseineHanddarauf.AberimselbenAugenblickverspürteereineHand,die

sich auf seine Schulter legte, und eine wohlbekannteStimmefragteihninverwundertenTone:»Was zum Teufel macht Ihr denn da, mein lieber

Prinz?SolltetIhrzufälligeinenMenschensuchen?«DerPrinzerkanntedieStimmedesAdmirals.Er gab dem Sergenten rasch die Laterne zurück und

schenktedenSoldatendiezweioderdreiGoldstücke,dieer bei sich hatte, und die wahrscheinlich für denAugenblick das ganze Vermögen des armen jüngerenSohnesausmachten.»Ah, sagte er, »ich suche Etwas was für einen

Verliebten noch weit wichtiger ist als ein Mensch für

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einenPhilosophen:ichsucheeinenBrief.«»UndhabtIhrihngefunden?«»Ja,zumGlück,dennhätteichihnnichtsohartnäckig

gesucht, sowürdewahrscheinlichmorgen eine ehrsameDamevomHofschrecklichcompromitirtwerden.«»EizumTeufel,dasnenneicheinendiscretenKavalier

UnddiesesBillet...«»Hatnur fürmichWichtigkeit,mein lieberAdmiral,«

sagte der junge Prinz, indem er es in die SeitentascheseinesWamsessteckte.»Sagtmiralso,währendichEuchindieRueBethisybegleite,waszwischendemMarschallvonSt.AndréunddemKönigvorgefallenist.«»So wahr ich lebe, etwas sehr Seltsames: ein Brief,

worin gegen die auf den 22. angekündigte HinrichtungdesRathesAnnaDubourgprotestirtwird.«»Eiei,meinlieberAdmiral,«sagtederPrinzlachend,

»dassiehtmirgeradeaus,alskämeesvonirgendeinemkezerischenTollkopf.«»IchfürchteesinderThat,versetzteColigny,»undich

zweifle sehr daran, ob dem armen Rath damit einGefallen geschieht.Wie kann man jetzt noch um seineBegnadigung bitten?DerKönig kann immer antworten:Nein,dennwenn ichdenRathnichthinrichten ließe, sowurdemanglauben,ichhabeFurcht.«»Nun wohl,« sagte Condé überlegt diese wichtige

Frage,meinlieberAdmiral.undichzweiflenichtdaran,

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daß Ihr in Eurer Weisheit ein Mittel finden werdet dieSacheinOrdnungzubringen.«Und da man erst an der Kirche St. Giermain-

l'Auxerrois angelangt war, da ferner der Prinz auf derMüllerbrückeüberdieSeinegehenmußteumseinHotelzu erreichen, da endlich dieNachtwächter zehnSchrittevon ihm Ein Uhr schreen, so lieferte ihm das Alleszusammen, die Localität, der weite Weg und die späteNacht,einenerwünschtenVorwand,umdenAdmiralzuverlassenundnachHausezugehen.DerAdmiralseinerseitswarzusehrmitseineneigenen

Gedankenbeschäftigt,umihnzurückzuhalten.Es stand also dem Weggang des Herrn von Condé

Nichts im Weg, und als dieser sich einmal außer derSehweite desHerrn vonChatillon befand, da begann eraus Leibeskräften zu laufen, hielt aber beständig seineHand fest auf dem kost baren Billet in seinerWammstasche, um es nicht von Neuem zu verlieren.AberdiesmalwarkleineGefahrvorhanden.Nach Hause kommen, die fünfzehn oder achtzehn

Stufen,dieinseineWohnungführen,hinanstiegen,durchseinenKammerdienerWachskerzenanzündenlassen,ihnfortzuschickenmitdemBedeuten,daßer seinerDienstenichtmehr bedürfe, die Thüre schließen, an die Lichtertreten und das Papier aus seiner Tasche ziehen — dasAlleswardieSachevonkaumzehnMinuten.

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Nur zog im Augenblick, wo er diese bezauberndeLiebesbotschaft — ein so süß duftendes Billet konntenichtsAnderessein—aufrollteundlas,eineWolkeüberseineAugenhin,undseinHerz schlugsoheftig,daßergenöthigtwarsichandasKaminzustützen.EndlichberuhigtesichderPrinz.SeinsAugenklärten

sich,konntenaufdemBillethaften,under las folgendeZeilen, auf welche er in dem holden Wahn einerSelbsttäuschungenganzundgarnichtgefaßtwar.Und Ihr, liebe Leser. seid Ihr wohl gefaßt auf den

Inhalt dieses Briefs, der aus Versehen in demSchnupftuchgeblieben,dasFräuleinvonSt.AndréihremverzweifeltenLiebhaberzugeworfenhat?Ihr Kenner des Menschenherzens, habt Ihr eine gute

MeinungvondemjungenMädchen,daswederfürdiesenhübschenPagen noch für diesen schönenPrinzenLiebeempfindet,unddasdemEinenRendezvousgibtumeineAngelleine von ihm zu verlangen, dem Andern ihrSchnupftuchzuwirft,damit er sichdieThränen trockne,dieihretwegenfließen,undzwardießAlles,währendsieimBegriffstehteinenDrittenzuheirathen?BringtdieNaturwirklichsolchesteinerneeherHerzen

hervor, welche die stärkste und schneidendste Klingenichtzuritzenvermag?Ihrzweifelt?Sehet den Inhalt des Briefes an und Ihrwerdet nicht

mehrzweifeln.

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»LieberSchatz.kommtmorgenNachtumEinUhrseigewiß in das Zimmer der Verwandlungen: das Zimmer,wowirgesternNachtbeisammenwaren,esliegtzunahebeim Gemach der beiden Königinnen; unsere Vertrautewirddafürsorgen,daßdieThüreoffenbleibt.«KeineUnterschrift;dieHandunbekannt.»Oh,dasverworfeneGeschöpf!«riefderPrinz,indem

ermitderFaustaufdenTischschlugunddenBrieffallenließ.Und nach diesem ersten Ausbruch, der aus seinem

tiefsten Herzen kam, stand er einen Augenblick wievernichtetda.BaldaberbekamerwiederSpracheundBewegung;er

gingmitgroßenSchrittenimZimmeraufundabundrief:»AlsohattederAdmiralRecht.«ErbemerktejetztdenBrief,deneraufeinenLehnstuhl

hattefallenlassen.»Also,«fuhrerimmerhitzigerwerdendfort,»alsobin

ichdasSpielzeug einer ausgemachtenCokette gewesen,undDiejenigediemitmirgespielthat, ist einKindvonfünfzehn Jahren! Ich, der Prinz von Condé, d. h. derMann, der bei Hof für den feinsten Kenner desFrauenherzensgilt, ichhabemichdurchdieGaunereieneines kleinen Mädchens bethören lassen. Beim BluteChristi, ich schäme mich meiner selbst! Ich habe michwie ein Schuljunge hänseln lassen, und ich habe drei

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Monate meines Lebens, drei Monate im Leben einesgescheidten Mannes mit zwecklosen Opfern ohneVernunft, ohneNutzen, ohneRuhmvergeuden ich habedrei Monate mit einer fieberhaften Liebe zu einernichtswürdigenDirnevergeudet,ich!ich!«Ererhobsichwüthend.»Achja;aberjetztdaichsiekenne,«fuhrerfort,»jetzt

sollsieesmitmirzuthunhaben;wirwollensehen,wervonunsBeidenamfeinstenspielt.DukennstmeinSpiel,schönes Jungfräulein; aber ich kenne jetzt auch dasDeinige.Oh, ich bürge dir dafür, ichwerdedenNamendieses Menschen erfahren, der kein ruhiges Vergnügengenießenkonnte.«DerPrinzzerknittertedenBrief, steckte ihnzwischen

seine hohle Hand und seinen Handschuh, nahm seinenDegen wieder, setzte seinen Hut auf und wollte ebenausgehen,alsplötzlicheinGedankeihnzurückhielt.ErstemmtesichmitdemEllbogenandieWand,lehnte

seineStirneinseineHandundsanntiefnach;dann,nacheinemAugenblickderUeberlegung,nahmerseinenHutwieder ab, ließ ihn durch's Zimmer fliegen, setzte sichwieder an den Tisch und las diesen Brief, der eine soschreckliche Aenderung in seinem Gemüthhervorgebrachthatte,zumzweitenMale.»Teufelsbrut!« sagte er, als er mit der Lectüre fertig

war, »heuchlerisches und lügnerisches Weibsstück du

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stießestmichmit der einenHand zur und locktestmichmitderandernan;dagebrauchtestgegenmich,einenbiszur Einseitigkeit ehrlichen Mann, alle Mittel Deinerhöllischen Falschheit, und ich sah Nichte; ich begriffNichts; als ehrlicher Mann war ich so dumm anEhrlichkeitzuglauben,alstugendhafterMann,warichsodummmichvorderfalschenTugendzuverbeugen.Achja,ichweinte;jaichweintevorAerger;jaichweintevorWonne!Fließet,fließetjetzt,meineThränen!ThränenderScham und Wuth! Fließet und verwischet die Flecken,womit diese unsaubere Liebemich bedeckt hat! Fließetund reißet, wie ein Strom das dürre Laub, die letztenSelbstverwünschungen meiner Jugend, den letztenGlaubenmeinerSeelemitfort!!!Und in der That begann dieser kräftige Geist, dieses

LöwenherzzuschluchzenwieeinKind.Als er auf solche Art seinem Schmerz Genüge

geleistet, laserdenBriefzumdrittenMal,aberdießmalohneBitterkeit.DieThränenhattendieSelbsttäuschungender Jugend

und den Glauben der Seele, welchen nur diejenigenVerlieren die ihn nie gehabt haben, nicht fortgerissen,wohlaberimGegentheildenZornunddieGalle.FreilichlassensieHohnundVerachtunghintersich.»Jedenfalls,« sagte er nach einemAugenblick, »habe

ichmirselbstgeschworendenNamendiesesMannes in

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Erfahrung zu bringen, und ich werde ihn auch inErfahrungbringen;mansollnicht sagen,daßeinMann,mitwelchemsiesichübermeinelächerlicheLeidenschaftlustig gemacht, mich verhöhnt habe und am Lebengebliebensei.AberdieserMann,fuhrderPrinzfort,»wermagersein?.«UnderlasdenBriefvonNeuem.»IchkennediesHandschriftbeinahesämtlicherHerrn

am Hofe, vom König an bis herab bis auf Herrn vonMouchy, und doch ist mir diese da unbekannt. Beigenauerer Betrachtung könnte man sie für eineFrauenhand,füreinenachgemachteHandhalten.NachtsEin Uhr Saal der Verwandlungen. Warten wir aufmorgen; Dandelot hat die Wache im Louvre, Dandelotwirdmirbehilflichsein,undnöthigenfallsauchderHerrAdmiral.«UndnachdemderPrinzdiesenEntschlußgefaßthatte,

gingernochdreioderviermalinseinemZimmeraufundab, dann warf er sich zuletzt ganz angekleidet aus seinBett.Aber die Gemüthsbewegungen aller Art, die ihn

heimgesucht, hatten ihm ein Fieber zugezogen, das ihmnichtgestatteteeinAugezuschließen.Niehatteervoreinerwennauchnachsomörderischen

SchlachteinesolcheNachterlebt.Glücklicher Weise war es schon sehr spät; die

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NachtwächterriefendreiUhr,alsderPrinzsichaufseinBettwarf.BeiTagesanbruchstanderaufundgingzumAdmiral.HerrvonColignywareinFrühaufsteher,undderPrinz

fand ihn schon auf den Beinen. Als der Admiral HerrnvonCondéerblickte,erschrackerüberseineBlässeundAufregung.»Oh mein Gott!« rief er, »was habt Ihr denn, mein

lieberPrinz,wasistEuchzugestoßen?«»Ihr erinnert Euch,« sagte der Prinz, daß Ihr mich

gestern angetroffen.habt, wie ich unter den Steinen imLouvreeinenBriefsuchte,nichtwahr?«»Ja, und Ihr habt auch das Glück gehabt ihn zu

findend.«»Das Glück! Ich glaube in der That, daß ich diesen

Ausdruckgebrauchthabe.«»WardieserBriefnichtvoneinerFrau?«»Doch.«»UnddieseFrau?«»Sie ist, wie Ihr gesagt habt, mein Vetter ein

UngeheuervonHeuchelei.«»Ah, ah! Fräulein vonSt.André; es scheint, da? von

ihrdieRedeist.«»Da leset selbst; dieß ist der Brief, den ich verloren

unddenderWindauseinemSchnupftuchentführthatte,dassiemirgeschenkt.«

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DerAdmirallas.ImAugenblickwoerzuEndewarkamDandelotvom

Louvreher,woerdieNacht zugebrachthatte.Dandelotwar im Alter des Prinzen und sehr nahe mit ihmverbunden.»Ah.mein lieberDandelot,« riefCondé,»ichkamzu

demHerrnAdmiralhauptsächlichinderHoffnungEuchdazutreffen!«»Nunwohl.dabinich,meinPrinz.«»IchhabeEuchumeinenDienstzuersuchen.«»ZuEuremBefehl.«»Sohört,umwasessichhandelt: Ichmußauseinem

Grund,den ichEuchnichtmittheilendarf.heuteAbendum Mitternacht in's Zimmer der Verwandlungenkommen;habt Ihr irgend einenGrundmir denGang zuverschließen?«»Ja, gnädigster Herr, und zu meinem großen

Bedauern.«»Undwarumdas?«»Weil Seine Majestät heute Nacht einen Drohbrief

erhaltenhat,worineinMannerklärt,daßerMittelhabebis zum König zu gelangen, und weil der König diestrengsten Befehle ertheilt hat, wodurch sämmtlichenEdelleuten, die keinenDienst haben, der Eintritt in denLouvrenachzehnUhruntersagtist.«»Aber,mein lieberDandelot,« sagtederPrinz,»diese

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Maßegelkannmichnichtbetreffen;ichhabebisjetztzujederStundemeinenEintrittimLouvregehabt.undwenndieMaßegelnichtpersönlichgegenmicherlassenwerdenist...«»Es versteht sich von selbst, gnädigster Herr daß die

MaßegelnichtgegenEuchpersönlicherlassenseinkann;da sie aber gegen Alle erlassen ist, so seid Ihr auchdarunterbegriffen.«»Nunwohl. Dandelot,« Ihrmüßt zumeinenGunsten

eine Ausnahme machen aus Motiven, die der HerrAdmiral kennt und die diesen Vorgängen da gänzlich,fremdsind:auseinemganzpersönlichenGrundmußichheute um Mitternacht in den Saal der Verwandlungengelangen,undesistüberdießdringendnöthig,daßdieserBesuch für Jedermann, selbst für Seine Majestät einGeheimnisbleibe.«Dandelot zögerte, weil er sich schämte dem Prinzen

Etwasabzuschlagen.Er wandte sich gegen den Admiral, um ihn mit den

Augenzubefragen,waserthunsolleDerAdmiralmachtemitdemKopfeinZeichendasso

vielbedeutetealsdievierWorte:»Ichhaftefürihn.«DandelotfaßtewackerseinenEntschluß.»Nun,gnädigsterHerr,«sagteer,»sogestehetmir,daß

dieLiebeeinigenAntheilanEurerExpeditionhat,damitich einen etwaigen Verweis wenigstens wegen einer

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Sacheerhalte,dieeinEdelmanngestehenkann.«»Oh, in dieser Beziehung will ich Euch Nichts

verhehlen,Dandelot: aufEhre, dieLiebe ist der einzigeGrund,weßhalbichEuchumdiesenDienstersuche.«»Nun denn, gnädigster Herr,« sagte Dandelots »es

bleibtalsodabei,umMitternachtwerdeIchEuchindenSaalderVerwandlungeneinführen.«»Dank,Dandelot,«sprachderPrinz,indemerihmdie

Hand reichte, »und wenn Ihr je in einer Angelegenheitdieser oder irgend einer andern Art eines Beistandesbedürft, so bitte ich Euch Niemand anders als michdarumanzugehen.«Nachdem er sodann beiden Brüdern die Hände

gedrückt,stiegHeinrichvonCondéraschdieTreppedesHotelsColignyhinab.

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VIII.

DerSaalderVerwandlungen.

Erinnert Euch, theure Leser, der fieberischen Stunden,welche ihr langsam eine um die andere zähltet, als Ihrdem Augenblick Eures ersten Rendezvousentgegenharrtet, oder noch besser, denket an diequalvollen Bangigkeiten zurück, die Euch das Herzzusammenschnürten, wenn Ihr der unglücksschwangernMinute entgegensahet,welcheEuch denBeweis für dieUntreueEurerAngebetetenbringensollte,dannkönntIhrEuch einen Begriff machen, wie langsam undschmerzlichsichfürdenarmenPrinzenvonCondédieserewigeTaghinschleppte.Er versuchte es jetzt mit dem bekannten Recept der

Aerzte und Philosophen aller Zeiten, nämlich daß mandie Kümmernisse des Geistes durch körperlicheAnstrengungen bekämpfen müsse. Er befahl seinschnellstes Roß schwang sich hinauf, überließ ihm denZügeloderglaubtedießwenigstensZeit thun,undnacheinerViertelstunde befanden sichRoß undReiter in St.Cloud,woHerrvonCondéindeßalserseinHotelverließkeineswegseinenBesuchbeabsichtigthatte.Er triebseinPferd ineineentgegengesetzteRichtung.

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Nach einer Stunde befand er sich wieder an demselbenPlatz das Schloß von St. Cloud war für ihn derDiamantberg der Schiffer von Tausend und eine Nacht,wohin die Schiffe unaufhörlich zurückkommen, da alleihreAnstrengungenumsichzuentfernennutzlosbleiben,DasMittel der Philosophen undAerzte, das bei andernLeuten unfehlbar ist, wollte, wie es scheint, bei demPrinzenvonCondénichtverfangen.ErwarAbendszwarkörperlich wie gerädert, aber moralisch noch eben sokrank,ebensobekümmertwieamMorgen.Als der Tag sich neigte, kehrte er erschöpft,

niedergeschlagen,sterbendinseinHotelzurück.SeinKammerdienerüberreichteihmdreiBriefe,denen

er ansah, daß sie von den ersten Damen des Hofeskamen: er öffnete sie nicht einmal. Der Kammerdienermeldete ihm, ein junger Mensch sei den Tag übersechsmal in#s Hotel gekommen, um, wie er behauptet,dem Prinzen Mittheilungen der wichtigsten Art zumachen, er habe jedoch trotz der dringendstenVorstellungenseinenNamenverweigert;alleinderPrinzbeachtetedieseNachrichtebensowenig,alswennmanzuihmgesagthätte:»GnädigsterHerr,esistschönWetter,«oder:»GnädigsterHerr,esregnet.«Er ging in seinSchlafzimmer und schlugmechanisch

einBuchauf.AberwelchesBuchkonntedieBissedieserSchlangeübertäuben,dieanseinemHerzennagte?

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Erwarf sichauf seinBett.Aber so schlecht er inderlegtenNachtgeschlafenhatte,somüdeervomheutigenRennen geworden war, so rief er doch vergebens denFreund, den man Schlaf nennt, und der gleich andernFreundenindenTagendesGlückesanEurerSeitesteht,aber, wenn man feiner am meisten bedarf, in denAugenblickendesMißgeschickessichfernhält.Endlich kam die so ersehnte Stunde: eine Uhr ließ

zwölf Glockenschläge vernehmen; der Nachtwächtergingvorbeiundrief:»EshatzwölfUhrgeschlagen.«Der Prinz nahm seinen Mantel, gürtete sein Schwert

um,hingseinenDolchanundging.Unnützzufragen,welcheRichtungereinschlug.Zehn Minuten nach zwölf Uhr stand er vor dem

Louvrethor.DieSchildwachehattedieLosung,derPrinzbrauchte

sichbloszunennen:ertratein.EinMannergingsichindemCorridor, aufwelchemdieThüre desZimmers derVerwandlungensichöffnete.CondézögerteeinenAugenblick.DieserMannkehrte

ihmdenRückenzu;aberbeidemGeräusch,dasderPrinzmachte,drehteersichum,undunserVerliebtererkannteDandelot,derihnerwartete.»Hier bin ich,« sagte dieser, »um Euch meinem

Versprechen gemäß gegen jeden Liebhaber oder

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Ehemann beizustehen, der Euch den Weg versperrenkönnte.Condédrücktemit fieberischerHanddieHandseines

Freundes.»Dank!« sagte er, »aber ich habe meines Wissens

Nichts zu fürchten: ich bin nicht der Mann, den manliebt.«»ZumTeufel,warumkommtIhraberhierher?«tfragte

Dandelot.»Umzusehen,wenmanliebt...aber,still,hierkommt

Jemand.«»Wo?IchseheNiemand.«»Aberich,ichhöreTritte.«»ZumHenker!«sagteDandelot,»wasfürfeineOhren

dochdieEifersüchtigenhaben.«Condé zog seinen Freund in eineVertiefung und von

da sahen sie Etwas wie einen Schatten herbeikommen,der, vor der Thüre des Saales der Verwandlungenangelangt, einen Augenblickstehen blieb, lauschte, sichumschaute,dannaber,alserNichtshörteundNichtssah,dieThüreaufstießundeintrat.»Es ist nicht Fräulein von St. André,« murmelte der

Prinz;»diesedaistumeinenKopfgrößer.«»Also Fräulein von St. André erwartet Ihr?« fragte

Dandelot.»Icherwartesienicht;ichlaureihrauf.«»AberwiekönnteFräuleinvonSt.André...«

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»Still!«»Gleichwohl...«»Seht, mein lieber Dandelot, um Euer Gewissen zu

beruhigen,nehmtdiesesBillethier;bewahreteswiedenStern Eurer Augen; leset es mit Muße, und wenn ichzufälligheuteNachtnichtentdeckensolltewasichsuche,so gebt Euch Mühe unter allen Handschriften, die IhrkennendenHerrndieserdaaufzufinden.«»DarfichdiesesBilletmeinemBrudermittheilen?«»Er hat es bereits gelesen: vor ihm habe ich keine

Geheimnisse.Ach, ich gäbe viel dafür, um zu erfahren,werdiesesBilletgeschriebenhat.«»MorgenwerdeichesEuchzurückschicken.«»Nein, ich werde es selbst bei Euch holen; laßt es

EuremBruder;vielleichtwerdeichEuchselbstEtwaszuerzählen haben. . . Ei sehet, da kommt dieselbe Personheraus.«Der Schatten, der in's Zimmer gegangen war, kam

wirklich heraus und schlug diesmal die Richtung derbeiden Freunde ein; glücklicher Weise war dieserCorridor, wahrscheinlich mit Vorbedacht, schlechtbeleuchtet, und in ihrer Vertiefung befanden sie sichaußerhalbdesWegs,sowieingänzlicherDunkelheit.Aber aus dem schnellen und sichern Schritt, womit

dieserSchattentrotzderFinsternißeinherging,warleichtzu ersehen, daß er mit dem Weg vollkommen vertraut

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war.Im Augenblick, wo er an den beiden Freunden

vorbeikam,drückteHerrvonCondéDandelotdieHand.»Lanoue!«murmelteer.Lanoue war eine der Frauen Catharinas von Medici,

und zwar, wie man sagte, die Lieblings undVertrauensdamederKöniginMutter.Washattesiehierzuthun,wennsienichtdurchdasim

BilletangezeigteRendezvousberufenwurde?Im Uebrigen hatte sie die Thüre nicht geschlossen,

sondern halb offen gelassen: folglichwollte siewie derkommen.EswarkeinAugenblickzuverlieren,denndasnächste

Mal wurde die Thüre höchst wahrscheinlich hinter ihrgeschlossen.Alle diese Betrachtungen fuhren dem Prinzen

blitzschnell durch den Kopf; er drückte noch einmalDandelots Hand und stürzte auf den Saal derVerwandlungenzu.Dandelot machte eine Bewegung, um ihn

zurückzuhalten:Condéwarschonfern.Wie er gedacht hatte, wich die Thüre unter einem

einfachenDruck,underbefandsichimZimmer.Dieses Zimmer, eines der schönsten im Louvre, ehe

Carl IX.diekleineGalleriebeginnen ließ, führte seinenmythologischen Namen von den Tapisserien, die es

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bedeckten.DieHauptgegenstände dieserGemälde, bei denen die

Nadel mehr als einmal siegreich gegen den Pinselgekämpfthatte,wareninderThatdieFabelnvonPerseusund Andromeda, von der Medusa, vom Gott Pan, vonApolloundDaphne.Diejenige aber, welche die Aufmerksamkeit ganz

besonders anzog, war, sagt ein Geschichtsschreiber, dieFabelvonJupiterundDanae.Danae war von so zarter und kunstfertiger Hand

ausgeführt, daß man auf ihrem Gesicht das Entzückengewahrte,womitsiedenGoldregenfühlte,sahundhörte.Siewar alsKöniginder andernTapisserienvon einer

silbernen Lampe beleuchtet, die von Benvenuto Celliniselbstsculptirtundnicht,wiemanversicherte,gegossenworden war. Und in der That, welcher andere als derflorentinische Meiselkünstler hatte sich schmeichelnkönnen einen Silberblock in eine Blumenvaseumzuschaffen, aus welcher die Flamme selbst alsLichtblumehervorstrahlt!Diese Danae bildete dieWände eines Alkovens, und

die Lampe, welche die unsterbliche gemalte Danaebeleuchtete, hatte zugleich die Bestimmung all dielebendigen sterblichenDanaen zu bestrahlen, welche indem Bett, worüber sie hing, den Goldregen der Jupiterdieses irdischen Olymps erwarten sollten, denman den

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Louvrenannte.Der Prinz schaute um sich, hab die Fenster und

Thürvorhängeaufumsichzuvergewissern,daßeralleinsei, stieg dann nach dieser genauenDurchsuchung überdas Geländer weg, legte sich auf den Teppich undschlüpfteunterdasBett.Für diejenigen unserer Leser, die mit dein

Ameublement des sechzehnten Jahrhunderts nichtvertrautsind,wollenwirsagenwasdasGeländerwar.GeländernanntemandiegallerieartigeVerzäunungaus

kleinen Pfeilern, die sich um die Betten herumzog, umdieAlcoven zu schließen,wieman sie nach heutzutageimChorderKirchenundCapellenundinLudwigsXIV.SchlafzimmerninVersaillessieht.Wirhabengeglaubt,derLeserwürdeuns,indemermit

HerrnvonCondéüberdasGeländer stiegeundzwar soschnell, wie wirs ihn thun ließen, mit seinenBemerkungen verschonen, allein bei nähererUeberlegung matten wir doch der Erklärung nichtausweichen, sondern ihr lieber mit frischem Muthentgegengehen.DerPrinz, sagtenwir, legte sichausdenTeppichund

schlüpfteunterdasBettAch ja, allerdings, dießwar eine lächerliche Stellung

und unwürdig eines Prinzen, zumal wenn dieser PrinzCondé heißt. Ader was wollt Ihr? Es ist nicht meine

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Schuld, wenn der junge, schöne, verliebte Prinz vonCondébiszurLächerlichkeiteifersüchtigwar,unddaichdieThatsache inderGeschichtedesPrinzenverzeichnetfinde, so wird man mir erlauben, nicht scrupulöser zuseinalsderGeschichtsschreiber.UndIhreBemerkung,lieberLeser, istsowahrundso

verständig, daß der Prinz, als er kaum unter dem Bettwar, ganz aus dieselben Betrachtungen gerieth und mitden strengsten Selbstvorwürfen sich fragte, welcheunanständigeFigur erunterdiesemBettmachenwürde,wenn ihn auch nur ein Bedienter entdecken sollte, zuwelchenzahllosenSticheleienundboshaftenSpöttereiener seinen Feinden reichlichen Stoff liefern würde, mitwelcherSchmach er sich in denAugen seinerFreundeszubedeckenriskire.Ergingsoweit,darüberdasszornigeGesicht des Admirals auf der Tapisserie zu erblickenglaubte, dennwennwir uns als Kinder oderMänner ineiner zweifelhaften Lage befinden, so ist die Person andiewirdenken,derenDazukommenundVorwürfewegenunserer Narrheit wir am meisten fürchten, immerdiejenige,diewirammeistenliebenundverehren.»Der Prinz ertheilte sich also — wir bitten den

gewissenhaften Leser davon überzeugt zu sein, all dieVerweise,dieeinMannvonseinemCharacterund,seinerStellungineinersolchenLagesichertheilenmußte;aberdasErgebnißallseinerBetrachtungenwar,darüberetwazwanzig Centimeter tiefer, wie man heutzutage sagen

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wurde, unter das Bett schlüpfte und sich möglichstbequemdaeinrichtete.Ueberdießhatteeranetwasganzandereszudenken.ErmußtesichüberdasBenehmenklarwerden,daser

einzuhalten hätte, wenn er sich einmal den beidenLiebendengegenüberbefände.Das Einfachste schien ihm plötzlich hervorzurücken

undohnelangeErklärungenmitseinemNebenbuhlerdenDegenzukreuzen.SoeinfachindeßdieseMaßregelwar,soschiensieihm

dochbeinähererUeberlegungnichtohneGefahrzusein,wennauchnichtfürseinePerson,sodochfürseineEhre.Wer dieser Nebenbuhler immer sein mochte, so war erzwar allerdings einMitschuldiger an der Coketterie desFräuleins von St. André aber ein sehr unschuldigerMitschuldiger.Der Prinz ging also von seinem ersten Plane ab und

beschloß ganz kalt zuzusehen und zuzuhören, was sichunterdenAugenundvordenOhreneinesNebenbuhlerszutragen würde. Er hatte eben diesen großen Act derSelbstverleugnungvollbracht,alsdassehrlauteSchlagenseinerUhrihmplötzlicheineGefahrenthüllte,andieernicht gedacht hatte. Damals waren, wie übrigens dieBeschäftigungCarlsV. In St. Just beweist, die Taschenund Pendeluhren nicht blos Luxusgegenstände, sondernauchPhantasiestücke,undgingenweitwenigernachder

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HoffnungdesMechanikers,alsnachihrereigenenLaune;So kam es, daß die Uhr des Herrn von Condé die derLouvreuhr um eine halbe Stunde nachging, auf einmalzwölfschlug.Herr vonCondéwurde,wiemanbereits gesehenhat,

von einer ungewöhnlichen Ungeduld heim gesucht. Erfürchtete,seinesUhrkönnte,wennsiegeendethätte,Lustbekommen von vorn anzufangen, und ihn durch ihrenSchlag zu verrathen; deßhalb nahm er das indiscreteKleinod in die Höhlung seiner linken Hand, hielt denGriff seinesDolches fest daraus. drückte ihn fest gegendasZifferblatt,undunterdiesemDruck,derdasdoppelteGehäuse zertrümmertet hauchte die unschuldige UhrihrenletztenSeufzeraus.DiemenschlicheUngerechtigkeitwarbefriedigt.Kaum war diese Execution vollendet, als die

ZimmerthürevonNeuemmit einemGeräusche aufging,welchesdieAugendesPrinzenaufsielenkte:ersahjetztFräulein von St. André mit lauernden Blicken undlauschendemOhrhereintreten, aufdenZehenhinterderabscheulichen Creatur einhergehend, die sich Lanouenannte.

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IX.

DieToilettederVenus.

Wenn wir sagen, sie sei auf Zehen hinter dieserabscheulichenLanoueeinhergeschlichen,sotäuschenwiruns,nichtinBezugaufLanoue,sondernaufFräuleinvonSt.André.EinmalimSaalderVerwandlungen,gingFräuleinvon

St.Andrénichtmehrhinterher,sondernvorLanoueher.Lanouebliebhinten,umdieThürezuschließen.Das junge Mädchen stellte sich vor einen

Toilettentisch,woraufzweiLeuchter standen,welchenuraufdiemittheilsameFlamme,dieihnendasLebengebensollte, warteten, um mit ihrem ganzen Glanze zuleuchten.»Ihrseidgewißdaßmanunsnichtgesehenhat;meine

liebe Lanoue?« fragte sie mit jener holden Stimme,welche, nachdem sie im Herzen des Prinzen die LiebeentzündetsehrseinenZornentflammte.»Oh, fürchtet Nichts, gnädiges Fräulein,« antwortete

die Kupplerin. »In Folge des Drohbriefes, der gesterndem Könige zukam, sind die strengsten Befehleergangen,undnachzehnUhrAbendssinddieThoredesLouvreverschlossenworden.«

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»FürJedermann?«fragtedasjungeMädchen.»FürJedermann.«»OhneAusnahme?«»OhneAusnahme.«»SelbstfürdenPrinzenCondé.Lanouelächelte.»FürdenPrinzenvonCondéganzbesonders,gnädiges

Fräulein.«»IhrwißtesgewißLanoue?«»Ganzgewiß,gnädigesFräulein.«»Ah!Drum...«»DasjungeMädchenhieltinne.»Was habt Ihr denn von dem Herrn Prinzen zu

fürchten?«»Sehrviel,Lanoue.«»Wieso,sehrviel?«»Ja,undganzbesondersEtwas.«»Was?«»Daßermichbishierherverfolgenkönnte.«»Bishierher?«»Ja.«»BisindenSaalderVerwandlungen?«»Ja.«»Aber wie kann er denn wissen, daß das gnädige

Fräuleindaist?«

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»Erweißes,Lanoue.«»Der Prinz hörte, wie man wohl begreift, mit der

gespanntestenAufmerksamkeitzu.»Werkonnteesihmmittheilen?«»Ichselbst.«»Ihr?«»Ja,ichselbstinmeinerEinfalt.«»Oh,meinGott.«»DenkDirnur,gesternhabeichimAugenblick,woer

mich verlassen wollte, in Folge eines Scherzes dieUnvorsichtigkeit begangen ihm, mein Schnupftuchzuzuwerfen; in diesem Schnupftuch befand sich dasBilletchen,dasDumirsoebenüberreichthattest.«»Abereswarnichtunterzeichnet!«»ZuallemGlücknicht.«»DasistwirklicheingroßesGlück,JesusMaria.«DieKupplerinbekreuztesichandächtig.»Und,«fuhrsiefort,»IhrhabtEuerSchnupftuchnicht

zurückgefordert?«»Doch. IchhabeMezieresdenTagübersechsmalzu

ihm geschickt; der Prinz war schon am Morgenausgeritten und Abends um 9 Uhr noch nichtzurückgekehrt.«»Ah, ah!«murmelte der Prinz, »das ist der Pagemit

derAngelschnur,dersodringenddaraufbestandmichzusprechen.«

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»Ihr trauet diesem jungen Menschen, gnädigesFräulein?«»Eristinmichvernarrt.«»Die Pagen sind sehr schwatzhaft; es gibt ein

Sprichwortdarüber.«»MezieresistnichtmeinPage,sondernmeinSklave,«

sagte das junge Mädchen im Ton einer Königin. »Ah,Lanoue; dieser verwünschte Herr von Condé! Es kannihm nichts Schlimmeres begegnen, als was ich ihmwünsche.«»Dank, Schönste der Schönen!« murmelte der Prinz.

»IchwerdeEurervortrefflichenGesinnungengegenmichgedenken.«»Nun wohl, gnädiges Fräulein,« sagte Lanoue, »für

heuteNachtkönntIhrruhigsein.IchkennedenKapitänder schottischen Garde und ich werde ihm den HerrnPrinzenempfehlen.«»InwessenAuftrag?«»Ganz auf eigene Faust! Seid ruhig, das wird

genügen.«»Ah,Lanoue!»»Waswollt Ihr, gnädigesFräulein?Währendman für

dieAndernsorget,darfmanwohlaucheinwenigansichselbstdenken.«»Dank,Lanoue;denndieserGedankealleinstörtedas

Vergnügen, das ich mir von der heutigen Nacht

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versprach.«Lanoueschicktesichanwegzugehen.»He,Lanoue,« sagteFräuleinvonSt.André»eheDu

weggehst, zünde mir doch diese Leuchter an: ich willnicht in dieser Dunkelheit bleiben; diese großenhalbnackten Figuren machen mir Angst; es ist mir, alswolltensiesichvonderTapisserieabhebenundaufmichzukommen.«»Ah,wennsiekommen,«sagteLanoue,indemsieam

Kaminfeuer ein Papier anzündete, »so könnt »Ihr ganzruhigsein,siethunesdannblos,umEuchalsdieGöttinVenuseinzubeten.«UndsiezündetedenfünfarmigenLeuchteran,sodaß

das schöne jungeMädchen in einer Flammenglorie denBlickendesPrinzenausgesetztblieb.Sie war entzückend im Wiederstrahl des

Toilettenspiegels, in ihrem durchsichtigen Gaskleid,durch welches das Rosenroth des FleischeshervorschimmerteIn der Hand hielt sie einen blühenden Myrtenzweig,

densiealseinenKranzinihrHaarsteckte.Priesterin der Venus, hatte sie sich mit der heiligen

Blüthegeschmückt.Als das junge Mädchen jetzt allein im Zimmer war

oder wenigstens sich allein glaubte, begann sie kokettundverliebtsichimSpiegelzubetrachten,bogmitihren

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rosigen Fingerspitzen ihre schwarzen, sammtweichenAugenbrauen und drückte ihre flache Hand aus diegoldeneGardeihrerHaare.SogeschmücktundineinerPositur,dieihrefeineund

geschmeidige Taille hervorhob, wiegte sich das jungeMädchen, frisch wie Quellwasser, roth wie eineMorgenwolke, heiter wie die Jungfrauschaft, lebendigwie jene erstenFrühlingspflanzen, die vollLebensdrangden letzten Schnee durchbrechen, vor demSpiegel, undso glich sie, wie Lanoue gesagt hatte, der VenusCytherea, aber derVenus in ihremvierzehnten Jahr, amMorgenwosie,amUferstehend,imBegriffihrenEinzugimhimmlischenHofezuhalten,sichzumletztenMalimSpiegel des Meeres betrachtete, noch abgekühlt vonseinerletztenBerührung.Nachdem sie ihreAugenbrauenkrummgebogen, ihre

Haare geglättet, durch einen Augenblick Ruhe ihrenWangen, welche ein unruhiger und hastiger Gang allzuwarmbepurpurthatte, ihrenrosigenTonwiedergegeben,gabdas jungeMädchendieBeäugelung ihresGesichtesimSpiegelauf;ihreAugensenktensichvomHalsaufdieSchultern und schienen ihre Brust zu suchen, die indunstigen Spitzenwogen, jenen Wolken gleich, welchedererste;HauchdesNordwindsverjagt,verlorenwar.Sie war so schon mit ihren leuchten Augen ihren

erröthenden Wangen, dem halboffenen Munde; denZähnen,diegleicheinerdoppeltenPerlenreihe in einem

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Korallenkästchen funkelten; sie war so wahrhaft dasAbbildderWollust,daßderPrinzindiesemAugenblickihreKotetterie,ihrenHaßihreDrohungenvergaßundimBegriffstandausseinemVersteckhervorzukommen,sichihrzuFüßenzuwerfenundzurufen:»Was Himmels willen, junges Mädchen, liebe mich

seineStundeundnimmfürdieseStundederLiebemeinLebenhin!«ZumGlückoderUnglückfür ihn,dennwirhabendie

Vor- oder Nachtheile nicht erwogen, welche dieAusführung dieses plötzlichen Gedankens hätte habendürfen, drehte sich das jungeMädchen nach der Thüreumundsagteoderstammeltevielmehr:»Ach, Geliebtester meines Herzens, wirst Du denn

nichtkommen?«DieserAusrufunddieserAnblickgabendemPrinzen

seinenganzenZornzurück,undFräulein,vonSt.Andréerschien ihm von Neuem als das hassenswerthesteGeschöpfderErde.»SiegingnachdemnächstenFensters zogdiedichten

Vorhänge hinweg, versuchte das schwere Fenster zuöffnen,unddaesihrenzartenlänglichenHändenanKraftzu einem solchen Geschäft mangelte, so begnügte siesich,ihrenKopfandaskostbareGlaszudrücken.DasGefühlderFrische,dassichihrerStirnemittheilte,

veranlaßte sie ihre schmachtenden Augen wieder

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aufzuschlagen; sie blieben eine Weile unklar und wiegeblendet,dannbegannensieallmähligdieGegenständezuunterscheiden,undheftetenzuletztaufeinemineinenMantel gehüllten Manne, der unbeweglich inSteinwurfsweitevomLouvrestand.DerAnblickdiesesMannesentlocktedemFräuleinein

Lächeln,undesunterliegtkeinemZweifel,daßderPrinz,wenn er dieses Lächeln gesehen hätte, den boshaftenGedanken,dereshervorgerufen,geahnthabenwürde.Uederdießwäreer,wennernahegenuggewesenwäre,

umdiesesLächelnzu sehen,auchnahegenuggewesen,um die Worte zu hören,, die in triumphirendem TonzwischendenLippendesjungenMädchenshervorglitten:»Erist's!«Dann fügte sie mit einem Ausdruck unnennbaren

Spotteshinzu:»Gehet immerhin spazieren, mein lieber Herr von

Condé, ich wünsche Euch viel Vergnügen zu EuremSpaziergang.«Es war augenscheinlich, daß Fräulein von St. André

denMannimMantelfürdenPrinzenvonCondéhielt.UnddieserIrrthumwarganznatürlichFräulein von St. André war aufs Genaueste von den

Besuchenunterrichtet,welchederPrinzseitdreiMonatenjeden Abend incognito unter ihren Fenstern abstattete,aber siehatte sichwohlgehütetEtwasdavongegen ihn

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verlautenzulassen,dennwennsiegesagthätte,daßsieesbemerkthabe,sohättesieaucheingestanden,daßsiesichseitdreiMonatenleisemiteinemGedankenbeschäftigte,densielautverläugnete.Fräulein von St. André glaubte also den Prinzen am

Uferzusehen.Nun war der Anblick des am Ufer spazierenden

Prinzen, während sie davor zitterte ihm im Louvre zubegegnen, das allerberuhigendste Bild, das Frau Luna,dieseblasseundmelancholischeFreundinderVerliebtemihrzeigenkonnte.Beeilen wir uns jetzt unsern Lesern, die recht gut

wissen, daßderPrinz nicht allgegenwärtigwar, folglichnicht zu gleicher Zeit innen und außen unter dem Bettund am Ufer sein konnte, mitzutheilen, wer dieser ineinenMantel gehüllteMannwar,welchen Fräulein vonSt. André für den Prinzen hielt, der nach ihrer AnsichtmitdenZähnenklappernmußte.DieserMannwar unserHugenotte vongestern, unser

schottischer Freund, Robert Stuart, der statt dererwarteten Antwort auf sein Schreiben in Erfahrunggebracht hatte. Daß die Herrn vom Parlament den Tagüber Alles aufgeboten, damit die Hinrichtung AnneDubourgs am morgenden oder übermorgenden Tag vorsich gehen sollte; es war Robert Statut, entschlosseneinenzweitenVersuchzuwagen.

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InFolgediesesEntschlussessahdasjungeMädchenindemselben Augenblick, wo das boshafte Lächeln aufihrenLippen schwebte, denMann amUfer seinenArmausdemMantelhervorstrecken,eineBewegungmachen,die sie für einedrohendeGeberdehielt, undmitgroßenSchrittenhinwegeilen.ZugleicherZeithörtesieeinähnlichesGeklirrewiein

der letzten Nacht, das heißt das Zersplittern einerFensterscheibe.«»Ah!«riefsie,»erwaresnicht!Und die Rosen ihres Lächelns verschwanden

augenblicklichunterdenVeilchenihrerHaut.Oh, diesmal schauerte sie in allem Ernst, nicht mehr

vor Vergnügen, sondern vor Schreck; sie ließ denFenstervorhangzurückfallenundkamtaumelndundblaßzurück, um sich auf dieLehnedesCanapees zu stützenauf welchem sie vor einigen Minuten noch soschmachtendhingegossengelegenhatte.WieamvorhergehendenTag,wareinesderFensterin

derWohnungdesMarschallsvonSt.Andrézertrümmertworden.Nur war es diesmal eines der Fenster von der

Seineseiteher,aberesgehörtenochimmerzurWohnungihresVaters.Wenn der Marschall, wie am vorhergehenden Tag,

noch auf, oder wenn er schon zu Bette gegangen war,

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aberplötzlichausdemSchlafegeschrecktwurdeundansZimmer seiner Tochter klopfte jedoch keine Antworterhielt.waskonntedageschehen?SiezittertejetztvollAngstundfielhalbinOhnmacht,

zum großen Erstaunen des Prinzen, der die plötzlicheVeränderung auf dem Gesichte des jungen Mädchensgesehenhatte,ohneihreUrsacheerrathenzukönnen;siebefand sich in jenem Zustand gänzlicher Erschöpfung,wo Alles was geschehen kann Demjenigen was istvorzuziehen ist, als die Thüre sich öffnete und Lanouehastigeintrat.Sie war beinahe eben so verstört wie das Mädchen

selbst.»Oh, Lanoue, sagte Diese, »weißt Du, was so eben

geschehenist?«»Nein, gnädiges Fräulein,« antwortete die Kupplerin,

»aberesmußetwassehrSchrecklichessein,dennIhrseidtodtenblaß.«»Sehr schrecklich in der That, und Du mußt mich

augenblicklichinmeineWohnungzurückbegleiten.«»UndwarumDas,gnädigesFräulein?«»Du weißt, was gestern um Mitternacht geschehen

ist?«»DasgnädigeFräuleinmeintdenStein,dermiteinem

DrohbriefgegendenKönigumbundenwar?«»Ja.»Dasselbeistsoebenwiedergeschehen,Lanoue,

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ein Mann, ohne Zweifel der gleiche, »den ich für denPrinzenvonCondéhielt,hat,wiegestern soebeneinenStein geworfen und eine Fensterscheibe desMarschallszertrümmert.«»UndIhrhabtAngst?«»Allerdings, Du begreifst, Lanoue, ich fürchte, mein

VaterkönnteanmeineThüreklopfen,undwennerkeineAntwort bekommt, aus Mißtrauen oder Unruhe meinZimmeröffnen,daserdannleerfindenwürde.«»Oh,wennIhrDasfürchtet,gnädigesFräulein,«sagte

Lanoue,»sokönntIhrEuchberuhigen.«»Warum?«»EurerVateristbeiderKöniginCatharina.«»BeiderKöniginMorgensumeinUhr?«»Ach,gnädigesFräulein,eshatsicheingroßerUnfall

zugetragen.«»Wasdenn?«»IhreMajestätensindheuteaufdieJagdgeritten.«»Nun?«»Nun, gnädiges Fräulein, das Pferd der kleinen

Königin (so nanntemanMaria Stuart) hat gestrauchelt,IhreMajestät ist gefallen, und da sie im drittenMonatschwanger ist, so fürchtetman, siemöchte sich verletzthaben.«»Ah,meinGott!«»SodaßderganzeHofaufdenBeinenist.«

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»Ichglaubeeswohl.«»DaßalleEhrenfräuleinsich indenVorzimmernoder

beiderKöniginmutterbefinden.«»UndDuhastmichnichtbenachrichtigt,Lanoue?«»Ich habe die Sache so eben erst selbst erfahren,

gnädigesFräulein,undhabemirnurdieZeitgenommenhinzulaufen,ummichvonderWahrheitzuversichern.«»DannhastDuihngesehen?«»Wen?«»»Ihn.«»Natürlich.«»Nunwohl?«»Nun wohl, gnädiges Fräulein, die Sache ist

verschoben. Ihr begreift wohl, daß er sich in einemsolchenAugenblicknichtentfernenkann.«»Undaufwannverschoben?«»Aufmorgen.«»Wo?«»Hier.«»ZurselbenStunde?«»Ja.«»Sokommschnell,Lanoue.«»Da bin ich schon, gnädiges Fräulein, Laßtmich nur

zuvordieKerzenauslöschen.«»InWahrheit,« rief das junge Mädchen, »Man sollte

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glauben,einböserGeistseigegenunsentfesselt.«»Oh, im Gegentheil,« sagte Lanoue, indem sie die

letzteKerzeausblies.»Wie so, im Gegentheil?« fragte Fräulein von St.

AndrévomGangeher.»Allerdings; dieser Unfall wird Euch Eure Freiheit

schenken.«UndsieeiltedemFräuleinnach.DieTrittederbeidenWeggehendenverhalltenbald in

denTiefendesGanges.»Also morgen,« sagte seinerseits der Prinz, der aus

seinem Versteck hervorkam und das Geländer wiederüberstieg, ohne über den Namen seines Nebenbuhlersklüger geworden zu sein, als er gestern war. »Morgen,übermorgen, alle Tage, wenn es sein muß aber bei derSeele meines Vaters, ich werde bis zum Aeußerstenschreiten.«UnderverließgleichfallsdenSaalderVerwandlungen,

schlug im Corridor die entgegengesetzte Richtung vonFräuleinvonSt.AndréundLanoueein,schrittdurchdenHofunderreichtedieStraßenthüre,ohnedaßinmittenderVerwirrung, welche die beiden obenerwähnten Vorfälleim Louvre hervorgerufen hatten, Jemand daran dachte,wohinoderwoherzufragen.

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R

ZweiterBand.

I

DiebeidenSchotten.

obert Stuart welchen Fräulein von St André vomZimmerderVerwandlungenaus,dassoschnellund

soseltsamwiederinDunkelheitversetztwurde,bemerkthatte; Robert Stuart, welchen das junge Mädchen imAnfang soboshaft fürdenPrinzenvonCondégehalten,war, nachdem er seinen zweiten Stein geworfen undsomit dem König einen zweiten Brief zugesandt hatte,wiegesagteiligstverschwunden.Bis zum Chatelet war er stark gelaufen; aber einmal

dort,hatteersichvorVerfolgungsichergefühltundwar,abgesehen von der Begegnung mit zwei oder dreiStraßendieben, an denen er auf den Brückenvorbeigekommenwar,dieaberderAnblickseineslangenDegens und seines am Gürtel hängenden Pistols inEntfernung gehalten hatte, ziemlich ruhig zu seinemFreundundLandsmannPatrickzurückgekehrt.«Dort hatte er sich mit der scheinbaren Ruhe, die er

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seiner Selbstbeherrschung verdankte, schlafen gelegt;abersogroßauchdieseSelbstbeherrschungwar,sogingsiedochnichtsoweit,daßsiedemSchlafegebot,undsokames,daßersichzweioderdreiStundenlanginseinemodervielmehr inseinesLandsmannesBettherumwälzte,ohnedarindieRuhezufinden,dieihnseitdreiNächtenfloh.Erst gegen Tagesanbruch schien der Geist, durch die

Müdigkeit überwältigt, den Körper zu verlassen undgestattetedemSchlafseineStelleeinzunehmen.AbernungehörtedieserKörper sovollständigdemSchlaf anundversankineinesotiefeLethargie,daßJedermannihnfüreinen gänzlich vorn Leben verlassenen Leichnamgehaltenhabenwürde.Uebrigenshatte er amTag zuvor seinemVersprechen

gemäß seinen Freund Patrick bis zum Abend erwartet,alleinderBogenschützewaramAbendzuvorvonseinemCapitän, welcher Befehl erhalten hatte keinen einzigenMann aus dem Palast zu lassen — wir wissen schonwarum— in den Louvre consignirt worden, und hattesomitdieKleiderRobertsnichtbenutzenkönnen.Abends sieben Uhr hatte sich Robert Stuart, da er

keineNachricht von seinem Freund erhalten, nach demLouvre begeben und daselbst die strengen Befehle, dieertheiltworden,sowiedieVeranlassungdazuerfahren.Er war sodann in den Straßen von Paris

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umhergeschweift und hatte hundert verschiedeneLesarten, eine wunderbarer als die andere über dieErmordung des Präsidenten Minard gehört dem seineTodesartweitmehrGlanzverschaffte,als irgendeinArtseinesLebens.RobertStuart,dersichderUnwissenheitderEinenund

derNeugierdederAndernerbarmte,hatteseinerseitsundnachgutenQuellen,wieerversicherte,diesenTodmitallseinen wahren Einzelheiten und wirklichen Umständenerzählte aber es versteht sich von selbst, daß seineZuhörerkeinWortvonseinerDarstellunghattenglaubenwollen.Wir wissen für diese Ungläubigkeit keinen andern

Grundanzuführen, alsdaßdieseDarstellungdieeinzigewahrewar.ErhatteüberdießdieRaschheitundStrengeerfahren,

womit das Parlament sein Urtheil gegen den RathDubourg zu vollstrecken gedachte, dessen Hinrichtung,wiemanversicherte,binnenachtundvierzigStundenaufdemGreveplatzstattfindensollte.Gegen diese Starrköpfigkeit der Richter hatte Robert

Stuart kein anderesMittel gewußt, als daß er eine neueundnochbestimmtereEpistelandenKönigerließ.NachseinerWachewarseinFreundPatentderendlich

aus dem Louvre entlassen worden, in allerGeschwindigkeit nachHause geeilt, seineLeiter,wie er

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sagte, hinaufgestiegen und in sein Zimmer gestürzt mitdemRuf:»Feuer!«Er hatte dieß für das einzige Mittel gehalten, um

RobertStuartzuweckenalsersah,daßdasGeschmetterder Thüre, die er zugeschlagen, der Stühle, die erherumgestoßen und des Tisches, den er verrückt hatte,nichtgenügten,umihnausseinemSchlafezurütteln.Patricks Geschrei, noch weit mehr als der Sinn

desselben,erweckteRobertendlich;dasGeräuschdrangbis zu ihm, aber seine Ideenklärten stehnicht sogleich.Dieerstewar,daßman ihnverhaftenwolle ;er strecktedaher den Arm gegen seinen Degen aus, der imBettgangestandundzogihnhalbausderScheide.»Ei,ei,«riefPatricklachend,»esscheintDubistmit

großerStreitlustaufgewacht,meinlieberStuart,beruhigeDichnurundvorallenDingenstehauf,esistZeit«»Ah,Dubists?«sagteSinnen»Freilich bin ichs. Ich will Dir ein andermal mein

Zimmerleihen,Dukannstdaraufzählen,damitDumichumbringenkannst,wennichheimkomme.«»WaswillstDu?Ichschlief.«»Ich sehe eswohl und gerade daswundertmich;Du

schliefest.«»PatrickgingansFensterundzogdieVorhänge.»Dasiehher,sagteer.

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DerhelleTagdranginsZimmer.»WievielUhristesdenn?«fragteStuart.»Zehn Uhr hat es schon in allen Kirchen von Paris

geschlagen,«sagtederBogenschütze.»Ich erwarteteDich gestern den ganzenTag, und ich

kannsogarsagendieganzeNacht.Der Bogenschütze machte seine Bewegung mit den

Schultern.»Was willst Du?« sagte er, »ein Soldat ist blos ein

Soldat,undwäreeraucheinschottischerBogenschütze;wir waren den ganzen Tag und die ganze Nacht imLouvreconsignirt,aberheutebinichfrei,wieDusiehst.«»Das heißt, Du verlangst jetzt Dein Zimmer zurück,

Patrick?«»NeinabericherbittemirDeineKleider.«»Ah,esistwahr,ichhattedieFrauRäthinvergessen.«»Glücklicher, Weise vergißt sie mich nicht, wie Dir

dieseWildpretpastetebeweisenkann,dieaufdemTischstehtundnuraufunserngnädigenAppetitwartet.HatderDeinigesicheingestellt?dermeinestehtschonseitzweiStundenaufdemPosten.«»UndumaufmeineKleiderzurückzukommen...«»Ja, richtig: nunwohlDubegreifst daßmeineRäthin

nicht mir Nichts Dir Nichts meine vier Stockwerkeheraufkletternkann.Nein,diesePasteteistnureinBote;sieüberbrachtemireinenBriefdesInhalts,daßmanmich

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von12Uhran—dießistdieStunde,wounserRathnachdem Parlament absegelt— bis vier Uhr, wo er in denHafen der ehelichen Glückseligkeit zurückkehrt,erwarte.«FünfMinutennach12Uhrwerde ichalsobeiihr sein und ihreHingebung dadurch belohnen, daß ichmich,ineinemCostümeinfinde,dassienichtblosstellenkann, vorausgesetzt daß Du noch in den gleichenGesinnungengegenDeinenFreundverharrst.«»Meine Kleider sind zu Deiner Verfügung«, lieber

Patrick, « sagte Robert. »Sie liegen, wieDu siehst, aufdiesem Stuhle da und warten nur, auf einenBesitzergreifer. Gib mir dagegen die Deinigen undverfügtüberdiesehierganznachDeinemGutdünken.«»Sogleich; aber zuvörderst wollen wir ein Wort mit

dieser Pastete plaudern; Du brauchst nicht aufzustehen,umanderUnterhaltungTheilzunehmen;ichwerdedenTischanDeinBettrücken.Hier!istesrechtso?«»Ganzvortrefflich,meinlieberPatrick.«»Jetzt«—Patrick zog seinenDolch und über reichte

ihn seinem Freunde am Stiel — Jetzt schneide mir,während ich Etwas zum Anfeuchten hole, diesemBurschendadenBauchaufundsagmirdann,obmeineRäthinnichteineFrauvonGeschmackist.«Robert gehorchte dem Befehl mit derselben

Pünktlichkeit, womit ein schottischer Bogenschützeselbst den Befehlen seines Hauptmanns gehorcht haben

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würde, und als Patrick mit beiden Händen den rundenBaucheinenvollenWeinkrugesstreichelnd,andenTischzurückkam, fand er die Kuppel des gastronomischenGebäudesbereitsabgehoben.»Ah!beimheiligenDunstan!«sagteer,»einHase,der

mittenuntersechsRebhühnernimLagersitzt!Welcheinschönes Land,wo dasHaar und die Feder in so holderEintrachtbeisammenleben!NenntHerrRabelaisesnichtdas Schlaraffenland Robertmein Freund, folgemeinemBeispiel.VerliebeDichineineJuristenfrau,meinJunge,stattineinSoldatenweib,unddannbraucheichnichtwiePharaosiebenfetteKüheimTraumzusehen,umDirdendoppeltenUeberflußderGüterdesHimmelsundderErdezuprophezeien.LaßunssiebenützenmeinlieberStuart,sonstwärenwirnichtwürdigsieerhaltenzuhaben.«UmseineLehrepraktischzubeweisen,setztesich,der

BogenschützeandenTischundnahmeineerstePortion,welche Demjenigen was er die Vorhut seines AppetitsnanntealteEhremachte,aufseinenTeller.Robert aß gleichfalls. Mit zwanzig Jahren ißt man

immer,welcheBekümmernisseauchdenGeistbefangenhaltenmögen.Er aß also schweigsamen sogar sorgenvoller als sein

Freund,abereraßdoch.Uebrigens wurde Patrick durch die Idee demnächst

seine Räthin zu sehen so heiter gestimmt, daß er für

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Beideplauderte.Esschlughalbzwölf.PatrickerhobsichhastigvonderTafelzermalmteein

letztes Stück von der goldenenKruste der Pastete unterseinenZähnen,diesoweißwarenwiediedesWolfesinseinen Bergen, trank ein letztes GlasWein und beganndieKleiderseinesLandsmannesanzulegen.In diesem Aufzug hatte er das eigenthümlich steife

Wesen, das die Kriegshelden unserer Tage gewöhnlichhaben;wennsieihreUniformengegenstädtischeKleidervertauschen.DasGesichtund,dieHaltungeinesSoldatenbargenin

derThatimmerEtwasvonseinerUniformundverrathenihn überall, wohin er gehen, unter welchem Costüm erauftretenmag.Der Bogenschätze war nichtsdestoweniger in diesem

Anzug ein schöner Kavalier mit blauen Augen, rothenHaarenundeinerfrischenglänzendenHaut.Als er sich in einem Spiegelbruchstück betrachtete,

schien er zu sich selbst zu sagen: »Wennmeine Räthinnicht zufrieden ist, so muß sie wahrhaftig sehr heikelsein.Gleichwohlwandte er sich, sei es nun ausMißtrauen

gegen sich selbst oderweil er Roberts Beistimmung zuerhalten wünschte, gegen seinen Kameraden und fragteihn:

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»WiefindestDumich,lieberFreund?«»Ei, ganz vortrefflich von Gesicht und Haltung ;sich

zweifle nicht, daß Du einen tiefen Eindruck auf DeineRäthinhervorbringst.«Das war es just was Patrick wollte, und er sah sich

nachWunschebedient.Erlächelte,machteseinenKragenzurechtundreichte

RobertdieHand.»NundennaufWiedersehen,«sagteer,»icheilesiezu

beruhigen, denn die armeFraumuß inTodesangst sein,sie hat mich seit zwei Tagen nicht gesehen und Nichtsvonmirgehört.«ErmachteeineBewegunggegendieThüre,bliebaber

stehenundfügtehinzu:»Appropos,ichbraucheDirnichtzusagen,daßmeine

Uniform Dich nicht verurtheilt hier zu bleiben Du bistnicht in meinen vierten Stock consignirt, wie ich esgesternindemLouvrewar.DukannstfreiundimhellenSonnenschein, wenn solcher vorhanden ist, oder imSchatten, wenn sich keine Sonne zeigt, in der Stadtumher gehen, undwennDu nur untermeinenKleidernkeinenschlimmenHandelbekommst—wasichDirauszwei Gründen empfehle : erstens weil man Dichverhaften, insChatelet führenunddort erkennenwürde,zweitens weil ich, Dein unschuldiger Freund, wegenVerlassungmeinerUniform gestraftwürde—wennDu

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also, ich wiederhole Dies, unter meinen Kleidern nurkeinenschlimmenHandelbekommst,sobistDufreiwieeinSpatz.«»In dieser Beziehung hast Du Nichts zu fürchten,

Patrick, « antwortete der Schotte, »ich bin von Naturnichtsehrhändelsüchtig.«»Hem,hem!«machtederBogenschütze, indemerden

Kopfschüttelte»Ichmöchtemichnichtdaraufverlassen,DubisteinStückvoneinemSchotten,undDumußt,wiejederMensch, der jenseits derTweed aufgewachsen ist,Stunden haben wo es nicht rathsam ist Dich scheelanzusehen. ImUebrigen begreifst Du, daß ich Dir bloseinen Rath gebe und weiter Nichts. Ich sage Dir suchekeineHändel,aberwennmanmitDiranbindenwill,beimeinemheiligenSchutzpatron,soweichenichtausZumHenker, es handelt sich darum die Ehre; der Uniformaufrecht zu erhalten, undwennDuDeine Gegner nichtbei Zeit umbrächtest, so hast Du, merk Dies wohl, anDeiner Seite einen Claymore und einen Dirk, die vonselbstausderScheidespringenwürden.«»Seiruhig,Patrick,Duwirstmichhierfinden,wieDu

michverlassenhast.«»Nein, nein, Du sollst Dich nicht langweilen, eiferte

derstarrköpfigeBergbewohner,»dennesistganztrostlosin meinem Zimmer da ; Abends zwar ist die Aussichtnicht unangenehm, weil man gar Nichts sieht, aber bei

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Tag sieht man Nichts als Dächer und Glockenthürme,wennnämlichderRauchundderNebelesgestattet.«»Dann ist es hier immer noch so gutwie in unserem

viel geliebten Vaterland, wo es beständig regnet, «bemerkteRobert.»Bah!«sagtePatrick,»undwennesschneit.«Und zufrieden, daß er sein Schottland in

atmosphärischer Beziehung wieder zu Ehren gebracht,entschloßsichPatrickendlichzugehen,bliebaberanderTreppenocheinmalstehen,öffnetedieThürewiederundsagte:»AllesdaswarblosScherz:Laufherum,woDuwillst,

fang Händel an und schlage Dich nach Herzenslust ;wennDu nur ohne Löcher inDeinerHaut und folglichauchinDeinemWammsnachHausekommst,soistAllesrecht, aber, lieber Freund, ich habe Dir eine einzigeernstliche Vorstellung ans Herz zu legen, und diemußtDuwohlbedenken.«»Welche?«»Mein Freund, in Anbetracht der schwierigen

Umstände, worin wir leben, und der Drohungen, dieschändliche Ketzer sich gegen den König erlauben, binichgenöthigtSchlagachtUhrwiederimLouvrezusein;man hat auf heute Abend den Appell um eine Stundefrüherangesagt.«»Du wirst mich bei Deiner Rückkehr hier wieder

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treffen.«»Nun,sobehüteDichGott!«»VielVergnügen!«»Das erwartetmich sicher, « sagte der Bogenschütze

mitderGeberdeeinesverliebtenSiegers.Unddießmalginger,leichtwieeinEroberer,stolzwie

der schönste Herr am Hof, eine Melodie aus seinemHeimathland trällernd, die bis zu Robert Brucehinaufgehenmochte.DerarmeschottischeSoldatwarindieserStundeweit

glücklicher als der Vetter des Frankenkönigs, als derBruderdesKönigsvonNavarra,alsderjungeundschöneLudwigvonCondé.Wirwerdenübrigenssogleicherfahren,wasderPrinz

in diesem Augenblick that und sagte; aber wir sindgenöthigt noch einige Augenblicke in Gesellschaft mitMeisterRobertStuartzuverweilen.Dieser hatte, wie er seinem Freunde gesagt, zwei

Gegenstände ernster Ueberlegung, die wichtig genugwaren, daß er sich bis vier Uhr Nachmittags nichtlangweilte;erhieltihmalsoWortunderwarteteihn.VonvierbisfünfUhrwarteteernochimmer,abermit

größererUngeduld.Dieß war die Stande, wo er sich an die Thüre des

Parlaments zu stellen gedachte, um frischeNachrichten,nicht über die Verurtheilung des Rathes Dubourg,

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sondernüberdenBeschlußinBetreffseinerHinrichtungzuerhalten.Um halb sechs ertrug er es nicht mehr und ging

ebenfalls aus hinterließ jedoch seinem Landsmann einpaarZeilen,worin er ihm sagte, er könne ruhig sein, erwerdeihmSchlagsiebenUhrseineUniformganzsicherzurückbringen.Die Nacht begann hereinzubrechen; Robert ging in

großerHastbisvordasThordesPalastes.Eine ungeheureVolksmenge hatte sich auf demPlatz

versammelt;dieSitzungdesParlamentsdauertenoch.Dieß erklärte ihm das Ausbleiben seines Freunde

Patrick, aber er erfuhr auf dieseArt nicht, was drinnenverhandeltwurde.«ErstumsechsUhrgingendieRätheauseinander.Was vom Ergebniß der Sitzung zu Roberts Ohren

gelangte,warunheilvoll.DieHinrichtungsartwarbeschlossenwordenderRath

sollteaufdemScheiterhaufensterben.Nurwußtemannicht,obdieHinrichtungamnächsten,

amzweitnächstenodererstamdrittenTag,dasheißtam22,am23oderam24stattfindensollte.Vielleichtgabessogar noch mehrere Tage Aufschub, damit die armeKönigin,MariaStuart,diesichTagszuvorverletzthatte,anwohnenkonnte.AberDießsolltenurdanngeschehen,wenndieWunde

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leicht genug war, um die Hinrichtung nicht länger alseineWochezuverschieben.Robert Stuart verließ den Platz des Palastes in der

Absicht nach der Rue du Battoir-St. Andrézurückzukehren.Aber er sah von Ferne einen schottischen

Bogenschützen, der sich schon vor der Stunde desAppellsnachdemLouvreverfügte.Jetztkam ihmeine Idee: erwollteunterdemCostüm

seines Freundes in den Louvre eindringen und daselbstdas heißt an zuverlässiger Quelle, Nachrichten über diejunge Königin einziehen, deren Gesundheitsumständeeinen so furchtbaren Einfluß auf das Leben desVerurtheiltenhabensollten.ErhattebeinahezweiStundenvorsichundbegabsich

nachdemLouvre.Weder am ersten nach am zweiten Thor wurde ihm

eineSchwierigkeitgemacht.ErbefandsichalsoimHofe.Kaumwar er da, someldeteman einenAbgesandten

desParlaments.Dieser Abgesandte des Parlaments wünschte im

Namen der erlauchten Versammlung, deren Botschaftererwar,mit demKönig zu sprechen.Man ließDandelotkommen.DandelotholtedieBefehledesKönigsein.ach zehnMinutenkamer zurückmit demAuftrag in

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eigenerPersondenRatheinzuführen.Robert Stuart begriff daß er mit einiger Geduld und

Gewandtheit erfahren konnte, was er zu erfahrenwünschte,wenn der Rathweggegangenwar. Erwartetealso.DerRathbliebbeinaheeineStundebeidemKönig.Robert hatte bereits so lange gewartet, daß er

entschlossenwarauchnochbisansEndezuwarten.EndlichkamderRathheraus.Dandelot der ihn begleitete, sah sehr traurig, ja sogar

düsteraus.Er sagte ganz leise dem Capitän der schottischen

GendamerieeinigeWorteinsOhrundentferntesich.Diese Worte bezogen sieh augenscheinlich auf die

BotschaftdesRathes.»Meine Herrn, « sagte der Capitän der schottischen

Garde zu seinen Leuten, »ich melde Euch hiermit daßübermorgen ein außerordentlicher Dienst stattfindet,wegen der Hinrichtung des Rathes Anne Dubourg aufdemGreveplatz.«RobertStaatwußtewaserwissenwolltet;er thatalso

schnelleinigeSchrittegegendasThor,aberohneZweifelbesannersichanders,dennerbliebplötzlichstehen,undnacheinigenMinutentiefenNachdenkenskamerzurückund verlor sich inmitten seiner Kameraden, was beidenAnzahl der Mannschaft und der Dunkelheit der Nacht

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sehrleichtwar.

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II.

WassichuntereinemBettzutragenkann.

Der Prinz Condé hatte als er in den Saal derVerwandlungen trat Dandelot für den folgenden Mittagum zwölfUhr ein Rendezvous bei seinemBruder, demAdmiralgegeben.EsdrängteihndermaßenColignyundbesonders dein jüngeren und weniger ernsten DandelotdieEreignisse derNacht zu erzählen, daß er sich schonvorderfestgesetztenStundeinderRueBethisyeinfand.Dandelots seinerseits war schon vor dem Prinzen

gekommen.ErbefandsichseiteinerStundebeiColignyunddieverliebteLaunedesFräuleinsvonStAndréwarzwischen diesen beiden ernsten Geistern ernsterverhandelt worden, als zwischen dem Prinzen undDandelot.DieVerbindungdesMarschallsvonStAndrémitden

GuiseswarkeinebloßeFamilienverbindung,sonderneinreligös-politischer Bund gegen die calvinistische Parteiund die Art, wie man mit dem Rath Anne Dubourgverfuhr,bewies,dasmanganzundgarnichtgeneigtwarmitSectirernvieleUmständezumachen.Die beiden Brüder hatten sich über das Billet des

FräuleinsvonSt.AndrédieKöpfezerbrochen;vergebens

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hatten sie alle ihre Erinnerungen zu Rathe gezogen,keinervonBeidenhattedieSchriftzügeerkannt,undmanhatte bei der Frau Admiralin, die in ihrem ZimmereingeschlossenihreAndachtsübungenhieltangefragt,obsie von ihren Erinnerungen nicht besser bedient werde,alsihrGatteundihrSchwager.Bei jeder andern Veranlassung würden Dandelot und

besonders Coligny sich dagegen ausgesprochen haben,daß ihr Vetter, der Prinz von Condé, sich auf dieseabenteuerlichen Tollheiten einlasse, allein selbst dieehrlichstenHerzenschließenGewissenscapitulationenabund glauben in den äußersten Umständen Etwasnachgebenzumüssen.Nun war es von großer Wichtigkeit für die

calvinistischePartei,daßHerrvonJoinvilleFräuleinvonSt André nicht heirathete, und wenn anders dasRendezvous des Fräuleins nicht dem Prinzen vonJoinvillegalt,wassichnichtwohlannehmenließ,sowaresmehralswahrscheinlich,daßHerrvonCondé,wennerüberhauptEtwassah,einensolchenLärmaufschlug,daßdieSachederFamilieGuisezuOhrenkamundirgendeinBrucherfolgte.Nochmehr;ausdieserIndiscretiondesPrinzenwußte

höchstwahrscheinlicheineWiderwärtigkeitfürihnselbstentstehen; und dann konnte der Prinz, der zwischen derkatholischenunddercalvinistischenReligionschwankte,vielleicht Protestant werden, zumal da Coligny und

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DandelotihnnachdieserSeitehinzogen.Oft ist ein Mann für eine Partei mehr werth als ein

Sieg.Nun aberwar dieser schone, junge und tapfere Prinz

nicht blos ein Mann, sondern auch ein siegreicherKriegsheld.Man erwartete ihn also im Hotel Coligny mit Einer

Ungeduld,woranerselbstkeinenBegriffhatte.Er kam, wie wir gesagt haben, vor der bezeichneten

Stunde, und als die beiden Brüder ihn zu einerGeneralbeichte aufforderten, begann er eine Erzählung,worin er, sagen wirs zur Ehre seiner Wahrhaftigkeit,NichtsvonAllemverschwiegwasihmwiderfahrenwar.Er erzählte Alles was er gesehen und gehört, er

übergingnichteineneinzigenUmstandundgestandsogardieLageein,indieersichversetzthatte.AlsMannvonGeistmachtederPrinzgleichAnfangs

einige Witze über sieh selbst, um den Andernzuvorzukommen, und damit diese, nachdem die Sacheeinmalgeschehenwar,sichnichtüberihnlustigmachenkonnten.»Und jetzt, « fragte der Admiral nachdem der Prinz

seineErzählungbeendethatte,»wasgedenketihrjetztzuthun?«»Bei Gott, « sagte Condé, »etwas höchst Einfaches,

und wobei ich mehr als je auf Euern Beistand rechne,

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mein lieber Dandelot; ich will meine Expeditionerneuern..«DiebeidenBrüderschautensichan.Sie waren ganz mit dem Prinzen einverstanden;

gleichwohl glaubte Coligny, seine Ehre gebiete ihmeinigeEinwendungenzumachen.AberbeimerstenWort,daserwagteumdemPrinzen

abzurathen, legte dieser die Hand auf seinen Arm undsagtezuihm:»MeinlieberAdmiral,wennIhrindiesemPunktnicht

mit mir einverstanden seid, so laßt uns von etwasAnderem reden, dennmeinEntschluß ist gefaßt, und eswürde mich gar zu hart ankommen mit demjenigenMann,denichammeisteninderWeltliebeundverehre,dh.mitEuchzurechten.«DerAdmiral verneigte sich als einMann, der sich in

einen Entschluß, dessen Bekämpfung er nicht in seineMacht gestellt sieht, ergibt, war aber im Grunde seinesHerzens hoch erfreut über die Beharrlichkeit seinesVetters.Eswurdealsoausgemacht,daßDandelotamheutigen

Abend, wie am gestrigen, im dem Prinzen Gelegenheitverschaffen solle in den Saal der Verwandlungen zugelangen.»Man bestellte sich auf ein Viertel vor Zwölf in

denselbenGangwieamAbendzuvor.

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DasLosungswortwurdedemPrinzenanvertraut,damiterohneSchwierigkeitenhereinkonnte.DannforderteerseinBilletzurück.Nun gestand der Admiral dem Prinzen, daß er, da

wedererselbstnochseinBruderdieSchriftzuerkennenvermocht,dasBittetderFrauAdmiralingeschickthabe,diemanaberumdieseStundenicht störendürfe,dasieihrAndachtsübungenhalte.Dandelot verpflichtete sich es noch am Abend im

Cirkel der Königin Catharina seiner SchwägerineinzufordernundderAdmiralseinerseitsversprachseineFraudaranzuerinnern,daßsiedasBillet indenLouvremitnehmenmüsse.Nachdem diese verschiedenen Punkte abgemacht

warenverabschiedeten sichDandelot undderPrinz vondemAdmiral,Dandelot um auf seinenPosten der PrinzuminseineWohnungzurückzukehren.DerRestdesTagesverging fürdenLetztererebenso

langsamundfieberischwiedervorhergehendeTag.Endlich verflossen die Stunden eine um die andere,

undeswurdehalbZwölf.AusdemwasunseremRobertStuartdreiStundenvor

demEintrittdesPrinzenindenPalastwiderfahren,weißmanbereits,vonwelchenGedankenderHofinAnspruchgenommenwurde.Man sprach im Louvre von Nichts als von der

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Hinrichtung des Rathes Dubourg, welche der KönigselbstausdennächstfolgendenTagfestgesetzthatte.DerPrinz fandDandelot tief betrübt; da jedochdiese

Hinrichtung von unwiderleglicheWeise die Summe desCredits darstellte, welchenHerr vonGuise, der erklärteVerfolgerdesRathesDubourgbeidemKönigegenoß,sowünschte Dandelot nur um so sehnlicher das GelingenderMystifikationwomitHerrvonJoinvillebedrohtwar,damit seine Feinde inmitten ihres blutigen Triumpheswenigstenslächerlichgemachtwürden.Wie am Abend zuvor, war der Gang in Dunkelheit

gehüllt; wie am Abend zuvor, war der Saal derVerwandlungennurvondersilbernenLampebeleuchtet;wie amAbendzuvor,warderToilettentischvorbereitet;wie amAbend zuvor, warteten die armen Leuchter nuraufBefehl,umvonNeuemdiezauberischenSchönheitenvongesternzubestrahlen.NurstanddießmaldasGeländerdesAlkovensoffen.DießwareineweitereAnzeige,welchebekräftigtedaß

dasRendezvousnichtabbestelltwordenwar.Da nun der Prinz Schritte im Gang zu vernehmen

glaubte,soschlüpfteerraschunterdasBett,ohnedaßersichdieMühenahmdieselbenBetrachtungenwiegesternanzustellen;einBeweis,daßmansichanAllesgewöhnt,sogarandasVersteckspielenunterdenDecken.Der Prinz hatte sich nicht getäuscht, es waren

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allerdingsTritte, die er imGanggehörthatte, unddieseTritte suchten allerdings den Saal der Verwandlungen,denn sie hielten vor dem Eingang inne und der Prinzhörte das leichteKnarren einer Thüre, die sich in ihrenAngelndreht.»Gut,«sagteer,»unsereVerliebtenhabenheutemehr

Eilealsgestern.Dasistganzeinfach,siehabensichseitvierundzwanzigStundennichtgesehen.«Die Tritte näherten sich leise, wie wenn Jemand

verstohlenerMaßeneintritt.DerPrinzreckteseinenKopfvorundsahdienackten

BeineeinesBogenschützenderschottischenGarde.»Oh,oh!machtederPrinz,»wassolldasheißen?«UnderrecktedenKopfnochetwasmehrvor,sodaßer

nachdenBeinenauchdenLeibsah.Er hatte sich nicht getäuscht, es war wirklich ein

Bogenschütze der schottischen Garde, derhereingekommenwar.NurschienderneueAnkömmlingimZimmerebenso

fremdzu seinwieer selbst esgesterngewesen; aucherhob die Vorhänge und die Teppiche der Tische in dieHöhe, aber da ihm Nichts von alle dem eine sichereZufluchtestätte zu verbeißen schien, so näherte er sichdemBett, und da erwie der Prinz dasVersteck für guthielt, so schlüpfte er hinab, aber aus derentgegengesetzten Seite von derjenigen, wo Herr von

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Condéselbstsoebenhinabgeschlüpftwar.EhejedochderSchotteZeithattesichunterdemBett

bequemzumachen,verspürteerdieSpitzeeinesDolchean seinem Herzen, während eine Stimme ihm ins Ohrsagte:»Ich weiß nicht, wer Ihr seid, noch welche Absicht

Euch hierher fährt, aber kein Wort, keine Bewegung,sonstseidIhreinManndesTodes.«»Ich weiß nicht, wer Ihr seid, noch welche Absicht

Euchhierherführt,antwortetederneueAnkömmlingimgleichen Ton, »aber ich nehme von NiemandBedingungenan:stoßetalsoimmerhinzu,wennesEuchgut dünkt; EuerDolch ist am rechten Platz, ich fürchtedenTodnicht.«»Ah,ah!«sagtederPrinz,»Ihrscheintmireintapferer

Mann zu sein, und die Tapfern sind mir immerwillkommen.IchbinderPrinzLudwigvonCondé,meinHerr,undsteckemeinenDolchwiederindieScheide.IchhoffedaßIhrjetztdasselbeVertrauengegenmichzeigenundmirsagenwerdetwerIhrseid.«»Ich bin Schotte gnädigster Herr, und heiße Robert

Stuart.«»DieserNameistmirunbekannt,meinHerr.DerSchotteschwieg.»WürdeesEuchgefallen,«fuhrderPrinzfort,»mirzu

sagen, inwelcherAbsicht Ihr in dieses Zimmer kommt

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undwarumIhrEuchunterdiesesBettversteckthabt?«»Ihr seid mir mit dem Beispiel des Vertrauens

vorangegangen, gnädigster Herr ; es wäre Euer würdigfortzufahren und mir zu sagen, in welcher, Absicht Ihrselbsthierseid.«»Wahrhaftig,dasistleicht,«sagtederPrinzindemer

sichbequemer legte,»ichbin inFräuleinvonSt.Andréverliebt.«»IndieTochterdesMarschalls?«fragtederSchotte.»Just in diese,meinHerr. Da ich nun auf indirectem

Weg in Erfahrung gebracht, daß sie heuteAbend ihremGeliebtenhier einStelldicheingegeben, sohabe ichdiestrafbareNeugierde gehabt, den glücklichen Sterblichenerfahren zu wollen, welcher die Gunst des ehrsamenFräuleins genießt, und habe mich unter dieses Bettgesteckt, wo ich mich, ehrlich gestanden, nicht ganzbehaglichfühle.SprechtjetztIhr,meinHerr.«»Gnädigster Herr, man soll nicht sagen, daß ein

Unbekannter einem Prinzen weniger Vertrauen schenkeals dieser Prinz einem Unbekannten geschenkt ha:t Ichbin es, der vorgestern und gestern an den Königgeschriebenhat.«»Ah, zum Henker! und der die Fensterscheiben des

MarschallsvonStAndréalsBriefpostbenützte?«»Ichbinderselbe.«»Entschuldigt,«sagtederPrinz,»aberdann...«

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»Was,gnädigsterHerr?«»Wenn ichmich rechterinnere, sohabt Ihr indiesem

Brief,wenigstensimersten,denKönigbedroht?«»Ja, gnädigster Herr, für den Fall, daß er dem Rath

DubourgseineFreiheitnichtwiederschenke.«»Und um Eurer Drohung mehr Gewicht zugeben,

sagtet Ihr, das Ihr es gewesen seid, der denPräsidentenMinard getödtet habe?« fragte der Prinz, dem es beidieser unmittelbaren Nachbarschaft mit einem Manne,der einen solchen Brief geschrieben hatte, nicht ganzwohlzuMuthewar.»Allerdings, gnädigster Herr, bin ich es der den

PräsidentenMinardgetödtethat,«antwortetederSchotteohne daß man seiner Stimme das mindeste Bebenanmerkte.»Würdet IhrsvielleichtgarwagendemKönigGewalt

anzuthun?«»IchbinindieserAbsichthierhergekommen.«»IndieserAbsicht!«riefderPrinz,welchervergaß,wo

ersichbefandundwiegefährlichesfürihnwargehörtzuwerden.»Ja, gnädigsterHerr, aber ichmöchteEuerHoheit zu

bemerken geben, daß sie etwas laut spricht, und daßunsere gegenseitige Stellung uns die Verpflichtungauferlegtleisezusprechen.«»IhrhabtRecht,«sagtederPrinz.«

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»JabeiGott,meinHerr, laßt uns leise sprechendennwirredenvonDingendieineinemPalastwiederLouvreübelklingen.«UnderfuhrwirklichmitgedämpfterStimmefort:»Zum Henker, es ist ein großes Glück für Seine

Majestät,daßich,michambestimmtenPlatzeingefundenhabe, obschon ich in einer ganz andern Absichtgekommenbin.«»Ihr gedenket Euch also meinem Plane zu

widersetzen?«»Ich glaube es wohl. Was fällt Euch denn ein? Ihr

wollt Euch an einem König vergreifen, damit ein Rathnichtverbranntwerdensolle.«»DieserRath,gnädigsterHerr, istderrechtschaffenste

MannaufErden.«»Gleichviel!«»DieserRath,gnädigsterHerr,istmeinVater.«»Ah!dasistetwasAnderes.Nundenn,dannistesein

großes Glück nicht mehr für den König, sondern fürEuch,dassichEuchgetroffenhabe.«»Warum?«»Ihr werdet es sogleich sehen. . . Verzeiht, hab ich

nichtEtwasgehört?...Neinichtäuschtemich.Ihrfragtetmich, warum es ein großes Glück sei, daß ich Euchgetroffenhabe?«»Daswill ichEuchsagen:vorallenDingenmüsstIhr

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mir bei Eurer Ehre schwören daß Ihr kein Attentat aufdenKönigmachenwollt.«»Nie!«»Aber wenn ich Euch mein prinzliches Wort

verpfände, daß ich die Begnadigung den Rathesauswirkenwerde?«»WennIhrEuerWortverpfändet,gnädigsterHerr?«»Ja.«»Dann werde ich wie Ihr sagen: das ist etwas

Anderes.«»Nunwohl,sowahr icheinEdelmannbin, ichwerde

neinMöglichstesthun,umHerrnDubourgzuretten.«»Nun wohl, so wahr ich Robert Stuart heiße,

gnädigster Herr, wenn der König Euch diese Gnadebewilligt,sowirdderKönigmirheiligsein.«»Zwei Männer von Ehre brauchen blos ein Wort

auszutauschen; unser Wort ist ausgetauscht, mein Herr,sprechenmirvonetwasAnderem.«»Ichglaube,gnädigsterHerr,daßesbesserwäre,wenn

wirgarnichtsprächen.«»HabtIhreinGeräuschegehört?«»Nein,aberjedenAugenblickkönnte...«»Bah!SiewerdenEuchwohlnochZeit lassenmirzu

sagen,wieIhrhiehergekommenseid.«»Das ist ganz einfach, gnädigster Herr : ich bin mit

HilfedieserVerkleidungindenLouvregelangt«

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»IhrseidalsokeinBogenschütze?«»NeinichhabedasCostümvoneinemmeinerFreunde

entlehnt.«»Da habt Ihr Eurem Freunde einen schönen Streich

gespielt.«»Ich hätte erklärt, daß ich ihm dasCostüm gestohlen

habe.«»UndwennIhrdenKöniggetödtethättetohneZeitzu

dieserErklärunggehabtzuhaben?«»Dann hätte man in meiner Tasche ein Papier

gefunden,dasseineUnschulddarthat.«»Nun ich sehe, daß Ihr einMann vonOrdnung seid,

aber dieß Alles erklärt mir noch nicht, wie Ihr hierhergekommen seid, undwarum Ihr Euch unter dasBett indiesem Zimmer versteckt habt, das Seine MajestätvielleichtnichtviermalimJahrebetritt.«»Weil Seine Majestät heute Nacht hierher kommt,

gnädigsterHerr.«»Ihrseiddessengewiß?«»Ja,gnädigsterHerr.«»AberwoherwißtIhres?Bittesagtmirdas.«»VoreinemAugenblickstandichineinemCorridor.«»Inwelchem?«»Ichweißesnicht,ichkommezumerstenMalinden

Louvre.«»Nunwahrhaftig,fürdasersteMalwißtIhrEuchrecht

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wohlzubehelfen.«»AlsoIhrwaretineinemCorridor.«»Ich steckte hinter dein Thürvorhang eines

unbeleuchteten Zimmers, als ich zwei Schritte vor mirzischenhörte.IchlauschteundhörtefolgendeWortediezweiDamenzueinandersprachen:»Es bleibt also für heute Abend ausgemacht, nicht

wahr?«»Ja.«»ImSaalderVerwandlungen?«»Ja.«»Schlag einUhrwird derKönig dort erscheinen. Ich

willdenSchlüsselhineinstecken.«»Ihr habt das gehört!« rief der Prinz, der abermals

vergaß, wo er sich befand, und seiner Stimme einefurchtbareGewaltgab.»Ja, gnädigster Herr, « antwortete der Schotte; »was

sollteichsonstindiesemZimmerthun?«»Dasistrichtig,«sagtederPrinz.DannmurmelteerbeiSeite:»Oh!eswarderKönig!«»Ihr sagt, gnädigster Herr?« fragte der Bogenschütze

inderMeinung,dieseWorteseienanihngerichtet.«»IchfrageEuch,meinHerr,wieIhresangestellthabt,

um dieses Zimmer zu finden, da Ihr selbst gesteht, daßIhrimLouvrenichtbekanntetseid.«

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»Oh, daswar ganz einfach, gnädigsterHerr, ichhabeden Thürvorhang halb geöffnet und der Personnachgeschaut,diedenSchlüsselhineinsteckensollte.Alssie dieß gethan hatte, ging sie ihres Wegs weiter undverschwandamEndedesCorridors.Jetztwollteichmichherauswagen, als ich Tritte herankommen hörte; ichverbarg mich wieder hinter meiner Tapisserie, und einMann ging in der Dunkelheit an mir vorüber ; als ervorüberwarverfolgte ich ihngleichfallsmitdenAugenund sah, daß er vor der Thüre dieses Zimmer stehenblieb, sie ausstieß und hineintrat. Da sagte ich zu mir:dieserMann ist derKönig. Ichnahmmir nur nochZeitmeine Seele Gott zu befehlen. Ich schlug denWeg einwelchen mir die Frau und der Mann nach einanderangezeigthatten.IchfandnichtnurdenSchlüssel inderThüre, sondern auch die Thüre halb offen; ich stieß sieauf und ging hinein; als ich Niemand sah glaubte ichmich getäuscht zu haben, und dachte der Mann deroffenbar im Louvre wohl bekannt war, sei in einbenachbartesZimmergetreten.IchsuchteeinenPlanummich zu verstecken. Ich sah ein Licht. . . Das UebrigewißtIhr,gnädigsterHerr.«»Ja,beiGott«ichweißes,aber...«»Stile,gnädigsterHerr.«»Warum?«»Dießmalkommtman.

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»IchhabeEuerWort,meinHerr.«»UndichdasEinigegnädigsterHerr.«DieHändederbeidenMännerberührtensich.Ein leichter Tritt, ein Frauentritt berührte schüchtern

denTeppich.«»Fräulein, vonStAndré, « sagte derPrinz ganz lese,

»hierzumeinerLinken.«In diesem Augenblick öffnete sich eine Thüre am

andern Ende des Zimmers, und ein junger Mensch,beinahenocheinKind,tratein.«»DerKönig !« sagte der Schotte ganz leise, »hier zu

meinerRechten.«»Ha,beiGott,murmeltederPrinz,»ehrlichgestanden

ichhätteanihnnichtgedacht.«

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III.

DiePortenderKöniginMutter.

Das mit braunen Stoffen ausgelegte und mit dunklemeichenemGetäfeleingefaßteZimmer,welchesCatharinavon Medici im Louvre bewohnte, so wie das langeTrauerkleid,dassiealsWittwevonetlichenMonaten indiesem Augenblick und überdieß für den Rest ihresLebenstrug,machtenaufdenerstenBlickeinentraurigenEindruck;abermanbrauchtenurüberdenThronhimmel,unter welchem sie saß, hinauszuschauen, um sich zuüberzeugen,daßmansichinkeinerTodtenstadtbefand.In der That strahlte über diesem Thronhimmel ein

Regenbogen, von einer griechischen Devise ein gefaßt,welchederKönigseinerSchwiegertochtergegebenhatte,unddie sich,wiewir schonanderwärtsgesagtzuhabenglauben, mit denWorten wieder geben ließ: Ich bringedasLichtunddieHeiterkeit.Wenn übrigens dieser Regenbogen als eine Brücke

zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, zwischeneiner Trauer und einem Freudenfest nicht genügt hättedenFremdenaufzuheitern,derplötzlichindiesesZimmergerathen wäre, so hätte er blos seine Augen unter denThronhimmel zu senken gebraucht, um das wahrhaft

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schöne Geschöpf das in diesem Lehnstuhl saß undCatharinavonMedicihieß,umgebenvon sieben jungenDamen, welche man die königliche Plejade nannte,anzuschauen.ImJahr1519geborengingLorenz'sTochterbereitsin

ihrvierzigstesJahr,undwenndieFarbeihrerKleiderdenTodinseinerganzenkaltenStrengevorAugenführte,soenthüllten ihre lebhaften, durchdringendem von beinaheübernatürlichemGlanz strahlendenAugen das Leben inseiner ganzen Kraft und Schönheit. Ueberdieß dieelfenbeinerneWeiße ihrerStirne,derGlanz ihresTeints,die Reinheit, der Adel, die Strenge ihrer Gesichtszüge,die Unbeweglichkeit ihrer Physiognomie, wogegen dieBeweglichkeit ihrer Augen unaufhörlich contrastirte,allesdasmachtediesenKopfzurMaskeeinerrömischenKaiserin;vomProfilgesehen,mitdemfestenAugeunddenunbeweglichenLippenhattemansie füreineantikeCameegehalten.GleichwohlhattediesegewöhnlichdüstereStirnesich

so eben aufgeklärt ; diese meist unbeweglichen Lippenhattensichsoebenhalbgeöffnetundbewegt,undalsdieFrauAdmiralineintrat,hatte sieMüheeinenAusrufderUeberraschung zurück zuhalten, weil sie diese sonst soernsthafteFraulächelnsah.Abersieerriethbald,wobeiderWindwehte.Bei der Königin befand sich der hochwürdigste Herr

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CardinalvonLothringen,ErzbischofvonReimsundvonNarbonne,BischofvonMetz,vonToulundvonVerdun,vonTherouanne,vonLucon,vonValence,AbtvonSaint-Denis,vonFecamp,vonCluny,vonMarmoutiereu.s.w.DerCardinalsvonLothringen,mitdemwirunsschon

beinahe so oft wie mit der Königin Catharina selbstbeschäftigthaben,daerinderGeschichtedesAusgangsdes XVI. Jahrhunderts eine sehr bedeutende Stelleeinnimmt; dieser Cardinal von Lothringen, der zweiteSohndesHerzogsvonGuise,derBruderdesBenarbten,der Mann, über welchen sich alle in FrankreichbekanntenundunbekanntengeistlichenGnadenzugleichergossen,derMannendlichder,alserimJahr1548nachRom geschickt wurde, durch seine Jugend, seineSchönheit, seineAnmuth, seinenmajestätischenWuchs,seinen prächtigen Aufzug, seine leutseligen Manieren,seinenGeist,seineLiebezurWissenschaft,inderewigenStadtdengrößtenEindruckhervorgebrachthatte,wareinJahrzuvorvondemPapstPaulusIII.mitdemrömischenPurpurbeehrtworden.Erwar im Jahr 1525 geboren und zählte also in dem

Zeitpunkt, wo wir jetzt angelangt sind, vierunddreißigJahre. Er war ein verschwenderischer prachtliebenderstolzer Cavalier und sagte, wie seine GevatterinCatharina,wennmanihmdieErschöpfungderFinanzenvorhielt:»ManmußGottumAllesloben;abermanmußleben.«

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Seine Gevatterin Catharina, da wir ihr diesenvertrautenNameneinmalgegebenhaben,warwirklichinder vollen Bedeutung des Worten seine Gevatterin; siewürde damals keinen Schritt gethan haben, ohne denHerrnCardinalvonLothringenzuRathzuziehen.DieseVertraulichkeit erklärt sichdurchdieHerrschaft,welchederCardinal über dieKöniginMutter ausübte, und gibtdenSchlüsselzuderunbeschränktenMachtderabsolutenGewaltdesHausesLothringenamfranzösischenHof.Als daher die Frau Admiralin den Cardinal von

LothringenaufdenLehnstuhlCatharina'sgestütztsah,daerklärtesiesichdasLächelnderKöniginMutter:»OhneZweifelhattederCardinalmitdemfeinenSpott,dessenGabeerimhöchstenGradebesah,irgendEtwaserzählt.Die andern Personen, welche die Königin Mutter

umgaben, waren Franz von Guise und der Prinz vonJoinville, sein Sohn, der Verlobte des Fräuleins von StAndré;derMarschallvonStAndréselbst;derPrinzvonMontpensier, seine Frau, Jacobine von Ungarn, soberühmt durch ihren Einfluß aufCatharina vonMedici,undderPrinzdelaRoche-sur-Yon.Hinter ihnen der junge Herr von Bourdeilles

(Brantome), Ronsard, Baïf, ein guter Kerl, aberschlechterPoet,sagtderCardinalDuperrorn-Daurat;einSchöngeist, abscheulicher Poet und Pindar Frankreichs,sagenseineZeitgenossen.

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Dann Remi Belleau, weniger bekannt durch seineschlechteUebersetzungAnakreonsundseinGedichtüberdie Verschiedenheit der Edelsteine, aber berühmt durchsein frisches Lied auf den Monat April; Pontus vonThiarth,Mathematiker, Philosoph,TheologundDichter,derselbe der, wie Ronsard sagt, die Sonnette inFrankreicheinführte;Jodelle,VerfasserderCleopatra,derersten französischen Tragödie — Gen vergebe ihm imHimmelwiewir ihm auf Erden vergeben!—VerfasserderDido,derzweitenTragödie,derComödieEugen,sowie einer Masse von Sonnetten, die damals sehr imSchwung waren, unserer Epoche aber unbekannt sind,kurz die ganze Plejade, mit Ausnahme von ClemensMarot,der1544starb,undJoachimvonBellay,welchenMargarethvonNavarradenfranzösischenOvidnannte.Was am heutigen Abend all diese Poeten, die

gewöhnlichihreeigeneGesellschaftuntersichnichtsehrsuchten, bei der Königin Mutter zusammenführte, daswarderUnfall,welcherTagszurvorderjungenKöniginMariaStuartzugestoßenwar.Es war wenigstens der Vorwand, den Jeder ergriffen

hatte, denn, die Wahrheit zu sagen, die Schönheit, dieJugend, die Anmuth, der Geist der jungen MonarchintrateninihrenAugenvorderMajestätundAllmachtderKönigin-Mutter gänzlich in den Hintergrund. Nacheinigen alltäglichen Beileidsbezeugungen über einEreigniß, das jedoch so furchtbare Folgen, nämlich den

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Verlust einesThronerbennach sich führenkonnte, hatteman dieUrsache desBesuches vergessen, um nur nochder Gnaden, Gunstbezeugungen und Wohlthaten zugedenken,welcheman für dieSeinigen oder sich selbsterbittenwollte.Man hatte sogar von den beiden Drohbriefen

gesprochen,diedemKönigSchlagaufSchlagdurchdieFenster des Marschalls von St. André herein geworfenworden;aberdieUnterhaltunghatte,wieesscheint,keingenügendes Interesse dargeboten und von selbstaufgehört.BeiderAnkunftderAdmiralinrunzeltensichalldiese

lächelnden Gesichter wieder, und das bisher heitereGeplaudere wurde auf einen Augenblick kalt undernsthaft. Es war, als wäre ein Feind in ein Lager vonVerbündeten gekommen. In der That stand die FrauAdmiralinvonColignydurch ihre religiöseStrengedensiebenSternen,dieCatharinaumgaben,imWege.Gleichden sieben Töchtern des, Atlas, fühlten sich dieseglänzenden Sternbilder unbehaglich gegenüber dieserunerschütterlichen Tugend, die man so oft anzugreifengesucht hatte und die man verläumden mußte, weil esunmöglich war, ihr in Wahrheit etwas Bösesnachzusagen.Inmitten dieses so bedeutungsvollen Schweigens, das

sie indessen nicht zu beachten schien, küßte dieAdmiralin der Königin Catharina die Hand und setzte

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sich dann auf ein Tabouret, wo sie den Prinzen vonJoinvillezu ihrerRechten,denPrinzende laRoche-sur-YonzuihrerLinkenhatte.»Nun wohl, meine Herrn vom Parnassus, « sagte

Catharina, nachdem die Admiralin sich gesetzt hatte,»sollteUnsdennkeinervonEuch irgendeinneuesLied,einneuesTrioletodereingutesEpigrammzumBestenzugeben wissen? He da, Maestro Ronsard, monsouJoinville, monsou Remi Belleau, an Euch ist es dieKostenderUnterhaltungzutragen;einschönesVerdienstVögelbeisichzuhaben,wenndieseVögelnichtsingen!Herr Peter von Bourdeilles hat uns so eben mit einerschönen Erzählung erfreut; belustiget Ihr uns mit einerschönenPoesie.«Die Königin sagte diese Worte mit jener halb

französischen halb italienischen Aussprache, die ihrerUnterhaltungeinensopikantenZauberverlieh,wennsieheiterwar, die aber dennoch gleich der SpracheDanteseinensofurchtbarenTonanzunehmenwußte,wenndieseUnterhaltungsichverdüstere.UnddaCatharinasBlickaufRonsardhaftengeblieben

war,sotraterjetztvor,umdemAufrufFolgezuleisten.»Huldreiche Königin, « sprach er, »Alles was ich

gemacht habe ist zur Kenntniß Eurer Majestätgekommen,unddaswasIhrnichtkenntmöchteichEuchnichtmitzutheilenwagen.«

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»UndwarumDas,Maestro?«fragteCatharina.»Nun, weil es Liebesverse für die Damen sind und

weil EureMajestät zu großeEhrfurcht gebietet, als daßman es wagen könnte in Ihrer Gegenwart dieLiebesliedchen der Schäfer vonKnidus undCythere zusingen.«»Bah!«sagteCatharina,»binichnichtausdemLande

Petrarcas und Boccaccios? Sprecht, sprecht, MeisterPeter,wennnämlichdieFrauAdmiralineserlaubt.«»DieKöniginisthierwieüberallKönigin;siegibtihre

Befehle, und ihre Befehle werden befolgt, « antwortetedieAdmiralin,sichverneigend.»Ihr seht, Maretro, « sagte Catharina, »Ihr habt alle

Freiheit.Wohlandenn!WirhörenEuch.RonsardtrateinenSchrittvorwärts,fuhrmitderHand

inseinenschönenblondenBart schlugseinesanftenstenAugenzumHimmelauf,umsichdasGedächtnisvondazuerbittenvonwoerdieBegeisterungsuchte,undsagtemit bezaubernder Stimme ein Liebeslied, um das ihnmehralseinerunsererzeitgenössischenDichterbeneidenwürde.NachihmtrugRemi-BelleauaufverlangenderKönigin

Catharina eine Villanelle über die Klagen einesTurteltaubersumseinTäubchenvor.EswareineBosheitgegendieAdmiralinvonColigny,welchevondenbösenZungen am Hof einer zärtlichen Neigung gegen den

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Marschall von Strozzi beschuldigt wurde, der imvorhergehenden Jahr beider Belagerung von ThionvilledurcheinenMusketenschußgetödtetwordenwar.Die Versammlung klatschte in die Hände zur großen

Verlegenheit der Admiralin, die trotz all ihrerSelbstbeherrschungnichtverhindernkonnte,daß ihrdasBlutinsGesichtstieg.Als die Ruhe ein wenig hergestellt war, wurde Peter

vonBourdeilles,HerrvonBrantome,aufgeforderteinigeseiner galanten Anekdoten zu er zählen, die mit einemallgemeinen tollen Gelächter endigte; man drehte undkrümmte sich,man klammerte sich an denNachbar an,um nicht zu fallen. Alle schrien laut auf vor Lachen,Thränen kamen in Alter Augen, Alle zogen ihreSchnupftücherherausundriefen:»Ohgenug,HerrvonBrantome,bitte,genug!«Die Frau Admiralin war wie die Andern von dem

unwiderstehlichen Nervenkrampf ergriffen worden, denman Lachen nennt, und wie die Andern hatte sie untereinerMengekrampfhafterBewegungen ihrSchnupftuchausderTaschegezogen.Nun geschah es, daß sie beim Herausziehen ihres

Schnupftuchs zu gleicher Zeit dasBillet herauszog, dassieDandelotbringensollte.Nur fiel,während siedasSchnupftuch an ihreAugen

führte,dasBilletzurErde.

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Der Prinz von Joinville saß, wie wir gesagt haben,nebenderAdmiralin.Währenderlachte,sichzurückwarfundsichdieSeitenhielt, sahder jungePrinzdasBillet,ein parfümirtes, zusammengelegtes, seidenweiches, einwahresBillet-douxausderTaschederAdmiralinfallen.Herr von Joinville hatte wie die Andern sein

Schnupftuch herausgezogen. Er ließ es auf das BilletfallenundhobdannBilletundSchnupftuchzugleichaufNachdem er sich versichert hatte« daß erstere im

letzteren enthalten war, steckte er das Ganze in seineTasche,mitdemVorbehaltdasBilletzurgeeignetenZeitzulesen.Diese geeignete Zeit war der Weggang der Frau

Admiralin.Wie bei allen Paroxismen der Freude, des Schmerzes

oder des Lachens, folgten auch auf diese lärmendenAusbrüche der königlichen Gesellschaft einigeMinutenStille,währenddereneszwölfUhrschlug.Dieser Schlag der Uhr und diese Stunde der Nacht

erinnertendieAdmiralindaran,daßesZeitwardasBilletan Dandelot zurückzugeben und ins Hotel Colignyzurückzukehren. Sie stöberte in ihrer Tasche um dasBillet zu suchen. Es war nicht mehr vorhanden. Siedurchsuchte alle ihre Taschen nach einander, ihrenBeutel, ihre Brust: Alles vergebens. Das Billet warverschwunden, entwendet oder verloren, höchst

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wahrscheinlichdasLetztere.DieAdmiralinhieltnochihrSchnupftuchinderHand.

Aufeinmalkamihrdie Idee,daßsieheimherausziehendesselbendasBilletherausgeworfenhabe.SiesahaufdenBoden:eswarnichtmehrdaSierückte

ihrenStuhl:keinBillet.DieAdmiralinfühlte,daßsieihreFarbewechselte.HerrvonJoinville,derdasganzeTreibenbeobachtete,

konntenichtmehransichhalten.«»WashabtIhrdenn«FrauAdmiralin?«fragteer.Man

solltemeinen,IhrsuchetEtwas.«»Ich?Nein...ja...Nichts...Nichts...«»IchhabeNichtsverloren,«stammeltedieAdmiralin,

indemsiesicherhob.»Oh mein Gott, liebe Freundin, « fragte Catharina,

»wasistEuchdenn?Ihrwerdetjafeuerrot.«»Ich fühle mich unwohl, « antwortete die Admiralin

beunruhigt, »undmit EurerMajestät Erlaubniß will ichmichentfernen.«CatharinabegegnetedemBlickdesHerrnvonJoinville

und begriff, daß sie der Admiralin volle Freiheit gebenmußte.»Oh« liebe Freundin, sagte sie zu ihr, »Gott behüte

mich davor, daß ich Euch zurückhalten sollte, währendIhr leidend seid. Geht nach Hause zurück und pflegetEurerGesundheit,dieunsAllensotheuerist.«

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DieAdmiralinverneigtesichhalberstickend,ohnezuantworten,undtratab.Mit ihr gingenRonsard,Baïf,Daurat, Jodelle,Thiard

und Belleau, welche sie, bis zu ihrer Sänftezurückbegleiteten,währenddieDamebeständig in ihrenTaschen suchte. Als dann die sechs Poeten sahen, daßdies Träger dem Hotel Coligny zugingen, begaben siesich auf die Quais und von da unter Gesprächen überRhetorik und Philosophie in die Rue des Fosses-Saint-Victor, wo das Haus Baïfs lag, eine Art vorzeitigerAcademie, wo die Poeten sich an gewissen Tagen odervielmehr in gewissen Nächten versammelten, um überPoesie oder irgend einen andern literarischen oderPhilosophischenStoffzuverhandeln.Lassenwir sie gehen— denn sie entfernen sich von

dem Faden der uns in das Labyrinth politischer undverliebter Intriguen führt, auf das wir uns eingelassenhaben,undkehrenwirinCatharinasSalonzurück.

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IV.

MarsundVenus.

Kaum war die Admiralin gegangen, so riefen Allezusammen, da man nicht zweifelte, daß etwasAußerordentlichesvorgegangensei:»Ei,washattedenndieFrauAdmiralin?«»Fragt Herrn Joinville, « antwortete die Königin

Mutter.»Wie!Euch?«fragtederCardinalvonLothringen.»Sprecht,PrinzriefensämmtlicheDamen.«»Wahrhaftig,meineDamen«antwortetederPrinz,»ich

weißnochnichtwasichEuchsagensoll.Aber,«fügteer,das Billet aus seiner Tasche ziehend, hinzu: »Dies; dawirdfürmichsprechen.«»EinBillet!«riefmanvonallenSeiten.»Ein Billet! ganz lau, parfümirt, satinirt, und aus

welcherTaschegefallen?«»Oh,Prinz...«»Rathet.«»Nein«sagtessogleich.«»AusderTascheunserergestrengenFeindin,derFrau

Admiralin.«»Ah!« sagteCatharina,«deßhalbwinktet Ihrmir, daß

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ichsiegehenlassensolle?«»Ja« ich gestehemeine Indiscretion; es drängtemich

denInhaltzuerfahren.«»Undwasstehtdarin?«fragteCatharina.»Ich hätte es für eine Respectwidrigkeit gegen Eure

Majestät gehalten, wenn ich dieses kostbare Billet vorEuchgelesenhätte.«»Nun,sogebther,Prinz.«Undmit einer ehrerbietigen Verbeugung über reichte

HerrvonJoinvilledasSchreibenderKöniginMutter.Mandrängte sich umCatharina, dieNeugierde siegte

überdieEhrfurcht.»MeineDamen,«sagteCatharina,»esistmöglich,daß

dieser Brief ein Familiengeheimniß enthält. Laßt michihnzuerstalleinlesen,undichversprecheEuch,daßich,wenn er laut gelesen werden kann, Euch dieser Freudenichtberaubenwerde.«Manentfernte sichvonCatharina: dadurchwurde ein

Leuchter frei, und dieKöniginMutter konnte dasBilletlesen.Herr von Joinville folgte ängstlich den Bewegungen

der Physiognomie Catharina's, und als diese vollendethatte,sagteer:»MeineDamen«dieKöniginwilljetztvorlesen.«»Wahrhaftig,Prinz,ichfinde,daßIhrEuchsehrbeeilt.

Ichweißnicht,obichEuchaufsolcheArtdieverliebten

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Geheimnisse meiner werthen Freundin, der FrauAdmiralin,preisgebendarf.«»Es ist also wirklich ein Liebesbrief?« fragte der

HerzogvonGuise.«»Sowahr ich lebe«antwortetedieKönigin;»urtheilet

selbst, denn ich fürmeine Person glaube falsch gelesenzuhaben.«»Und deßhalb werdet Ihr noch einmal lesen, nicht

wahr Madame?« sagte der Prinz von Joinvilleungeduldig.»Hört!«sprachCatharina.Es entstand eine wunderbare Stille, in welcher man

nicht einen einzigen Athemzug hörte, obschon etwafünfzehnPersonendawaren.DieKöniginlas:»Komm gewiß Nachts ein Uhr ins Zimmer der

Verwandlungen.DasZimmer,wowir uns in der letztenNacht sahen, liegt zu nahebei derWohnungder beidenKöniginnen. Unser Vertrauter, dessen Treue Ihr kennt,wirddafürsorgen,daßdieThüreoffenbleibt.«EswarnureinSchreidesErstaunens.Es war ein Rendezvous, ein ganz förmliches

Rendezvous;—einRendezvous, das dieAdmiralin gab,denndasBilletwarausihrerTaschegefallen.Also war der Besuch der Admiralin bei der Königin

Catharina blos ein Vorwand, um in den Louvre zu

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gelangen,unddaDandelotdieWachehatte,sohofftedieAdmiralin, die ohneZweifel auf ihrenSchwager zählendurftenachBeliebenwiederhinauskommenzukönnen.AberwermochtederMannsein?ManließsämmtlicheFreundederAdmiralin,einenum

denandern,Revuepassiren,aberFrauvonColignyführteein so strenges Leben, daß man nicht wußte, bei wemmanstehenbleibensollte.ManverdächtigtezuletztDandelotselbst,soleichtwar

derVerdachtandiesemverdorbenenHofe.»Ei, « sagte der Herzog von Guise, »es gibt ja ein

höchsteinfachesMitteldenGalankennenzulernen.«»Welches?«fragtemanvonallenSeiten.»DasRendezvousistfürheuteNacht?«»Ja,«sagteCatharina.»ImZimmerderVerwandlungen?«»Ja.«»Nunwohl, dannmußman es denLiebenden gerade

so machen, wie die Götter des Olymps es Mars undVenusmachten.«»Manmuß siewährend ihres Schlafs besuchen!« rief

HerrvonJoinville.DieDamenschautensichan.SiehättendenVorschlag

von Herzen gern mit einstimmigem Beifallsgeschreiaufgenommen,abersiewagtenesnichtihrVerlangenzugestehen.

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Es war halb ein Uhr Man mußte noch eine halbeStunde warten, und mit übeln Nachreden über seinenNebenmenschengehteinehalbeStundeschnellhin.ManzogüberdieAdmiralin los,manmaltesichzum

VorausihreBeschämungaus,unddiehalbeStundegingvorüber.Aber Niemand war entzückter als Catharina, welche

dieIdeeganzvortrefflichfand,ihretheureFreundin,dieAdmiralin,«aufderThatzuertappen.EsschlugeinUhr.Jedermann klatschte in die Hände, mit solcher

UngeduldwurdedieStundeerwartet.»Wohlan, sagte der Prinz von Joinville, »laßt uns

aufbrechen.«AberderMarschallvonSt.Andréhieltihnan.»Oh«unvorsichtigeJugend!«sagteer.»HabtIhreineEinwendungzumachen?«fragteHerr

delaRoche-sur-Yon.»Ja,«sagtederMarschall.»In diesem Fall höret sie an, « versetzte Catharina,

»undzwarmitAndacht,meineHerrn.UnserFreund,derMarschall, besitzt eine großeErfahrung in allenDingenundganzbesondersinsolchenAngelegenheiten.«»Nunwohl« sagte derMarschall, »ichwollte um die

Ungeduld meines Schwiegersohns des Herrn vonJoinville, zu zügeln, blos so viel sagen, daß man sich

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zuweilen auch nicht ganz pünktlich beim Rendezvouseinstellt, und daß unser Plan leicht scheitern könnte,wennwirallzubaldkämen.«Man fügte sich in diesen klugen Rath des war

Marschalls,undAllestimmtenmitderKöniginCatharinadahin überein, daß er ein vollendeterMeisterin solchenDingensei.EswurdealsoausgemachtnocheinehalbeStundezu

warten.Sieverfloß.Aber setzt war die Ungeduld so hoch gestiegen, daß

selbstdieweisestenBemerkungen,diederwarMarschallvonStAndréhättemachenkönnen,nichtgehörtwordenwären.Ermachtedeßhalbauchkeinemehr,seiesnundaßer

ihre gänzliche Nutzlosigkeit begriff, oder daß er dieStunde zur Unternehmung der Expedition wirklichgekommenglaubte.Nichtsdestowenigerversprach er der lustigenBande

bis an die Thüre mitzugehen und dort das Ergebnißabzuwarten.Eswurdebeschlossen,daßdieKöniginMuttersichin

ihrSchlafzimmerbegebenundderPrinzvonJoinvilleihrdortübersämmtlicheVorgängeBerichterstattensolle.NachdemalleFörmlichkeitenfestgesetztwaren,nahm

Jeder eine Kerze in die Hand. Der junge Herzog von

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MontpensierundderPrinzdelaRoche-sur-Yonnahmenihrerzwei,undderZugsetztesichmitHerrnvonGuisean der Spitze feierlich inBewegung nach demSaal derVerwandlungen.Vor der Thüre hielt man an, und Jedermann drückte

seinOhrandasSchloß.NichtdasmindesteGeräuschwarhörbar.Man erinnerte sich, daß man auf dieser Seite noch

durch ein Vorzimmer vom Saal der Verwandlungengetrenntwar.DerMarschall von St André wollte sachte die Thüre

diesesVorzimmersausstoßen,alleinsiewiderstand.»Teufel!«jagteer,»andashabenwirnichtgedacht:die

Thüreistvoninnengeschlossen.«»Stoßenwirsieein,sagtendiejungenPrinzen.»Nur:sachte,meineHerrn,«mahnteHerrvonGuise,

»wirsindimLouvre.«»Immerhin,antwortetederPrinzdelaRoche-sur-Yon,

»aberwirgehörenauchzumLouvre.«»Meine Herrn, meine Herrn, « drängte der Herzog,

»wir wollen einen Scandal ans Licht bringen,rechtfertigenwirihnnichtdurcheinenandern.«»Esistwahr,«sagteBrantome,»derRathistgut.Ich

habeeineschöneundrechtschaffeneDamegekannt...«»Herr von Brantome« sagte der Prinz von Joinville

lachend,»wirmachen indiesemAugenblickGeschichte

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und erzählen nicht. Findet uns ein Mittelhineinzukommen,sogibtdaseinneuesCapitelzuEuerngalantenDamen.«»Nunwohl,«sagteHerrvonBrantome,»machteswie

manesbeimKönigmachtkratzet leiseanderThüre,sowirdmanEuchvielleichtöffnen.«»HerrvonBrantomehatRecht,«sagtederPrinzvon

Joinville.»Kratzet,Schwiegervater,kratzet.«DerMarschallvonStAndrékratzte.Ein Bedienter, der im Vorzimmer machte oder

vielmehr schlief und von dem ganzen so eben mitgetheiltenGesprächNichtsgehörthatte,dadasselbeleisegeführtworden,wachte auf, und inderMeinung, es seiLanoue, die nach ihrer Gewohnheit Fräulein von StAndré wieder abholen wolle, öffnete er die Thüre halbundfragtesichdieAugenreibend:»Wasgibt’s?«Der Marschall von St. André stellte sich hinter die

Thüre,undderBedientesahsichdemHerzogvonGuisegegenüber.AlseralledieseKerzen,allediesevornehmenHerren

undDamen,diesevorVergnügenstrahlendenAugenundspöttisch verzogenen Lippen sah, begann er an eineÜberrumpelung zu glauben, und versuchte es die Thürewiederzuschließen.Allein der Herzog von Guise hatte als wahrer

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Städteeroberer bereits einen Fuß in das Vorzimmergesetzt, und dieThüre, die sichwieder schließen sollte,prallteanseinemLederstiefelab.DerBedientedrücktefortwährendausLeibeskräften.»He, Schlingel, « sagte der Herzog, »mach einmal

auf.«»Ach«gnädigsterHerr,«antwortetederarmeTeufel,

an allen Gliedern zitternd, als er den Herzog erkannte,»ichhabeförmlicheBefehle...«»Ich kenne Deine Befehle, aber ich kenne auch das

Geheimniß, das da innen vorgeht, und es geschieht imDienste und mit Beistimmung des Königs, wenn dieseHerrenundichhineinwollen.«Er hatte hinzufügen können: dieseDamen, denn fünf

oder sechs neugierigeFrauenzimmer folgten derBande,insFäustchenlachend.Der Bediente, der, wie Jedermann, die Herrschaft

kannte,welcheHerr vonGuise amHof ausübte,meinteinderThat,eshandlesichumeinezwischendemHerzogunddeinKönigausgemachteSache.EröffnetezuerstdasVorzimmer,danndenSaalderVerwandlungen,indemersich auf seine Zehen stellte, um von der drinnenaufgespieltenSceneEtwaszuerhaschen.EswerkeinEintritt,sonderneinwahrerEinbruch.Die

Mengestürztesichin’sZimmerwieeinesteigendeFluth*

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V.

WoHerrvonJoinvillegenöthigtistseinschlimmesAbenteuerzuerzählen.

»IchglaubegnädigsterHerr,«sagteRobertStuart,indemerzuerstseinVersteckverließ,»daßIhrkeinesonderlicheUrsachehabtmitSeinerMajestätsehrzufriedenzusein,und daß Ihr, wenn Seine Majestät Euch jetzt dieBegnadigung Anne Dubourgs nicht bewilligt, keine sostarken Einwendungen gegen weinen Plan mehr habensolltet.«»Ihr täuscht Euch, wein Herr, « sagte der Prinz von

Condé, indem er auf der entgegengesetzten, SeitehervorkamundsichwiederaufseineBeinestellte:»HättederKönigmichauchnochschwererbeschimpft,soisterdochimmerhinderKönig,undichdarfeinepersönlicheBeleidigungnichtamHauptederNationrächen.«»Die Vorgänge so eben ändern also Nichts an der

Verpflichtung die Ihr gegen mich übernommen habt,gnädigsterHerr?«»Ich habe Euch versprochen, mein Herr, beim Lever

des Königs um die Begnadigung Anne Dubourgs zubitten.HeutefrühumachtUhrwerdeichimLouvreseinundumdieseBegnadigungbittern.«

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»Offengestanden,gnädigsterHerr,glaubtIhrdaßmansieEuchbewilligenwird?«»Mein Herr, « antwortete der Prinz gen Condé mit

ungemeiner Würde, »seid überzeugt, daß ich mir nichtdieMühenehmenwürdeumdieseBegnadigungzubittenwennichnichtsoziemlichsicherwäresiezuerhalten.«»Es seit!«murmelteRobertStuartmit einerGeberde,

welche anzeigte, daß er nicht dasselbeVertrauen hegte;»in einigen Stunden ist es Tag und dann werden wirsehen.«»Jetzt,meinHerr,«sagtederPrinz,indemerumsich

schaute,»handeltessichdarum,daßwirunsschnellundaufgescheidteArtdavonmachen.EuernbeidenEpistelnund der etwas ungewöhnlichen Art ihrer Beförderunghaben wirs zu verdanken, daß die Thore des Louvrebewachtwerden,wiewennderFeinddavorläge,undichglaube,daßesEuch,besondersindieserUniform,schwerwerden, dürfte vor morgen früh hinauszukommen. Ichersuche Euch alsowohl zumerken, daß ich, indem ichEuchmitmirnehme,sowohlEuchalsEuernFreund,derEuch die Uniform geliehen hat, aus einem ziemlichschlimmenHandelziehe.»Gnädigster, Herr, ich vergesse niemals weder das

GutenochdasBöse.«»Glaubt, daß ich dies durchaus nicht sage, um Euch

Dankbarkeit zu empfehlen, sondern nur um Euch die

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EhrlichkeitmeinenAbsichtenzubeweisen,undhierineinBeispiel zu geben; denn Ihr werdet bemerken, daß ichEuch blos ganz einfach hier zu verlassen brauchte, ummeines,Eidesentbundenzu sein,ohnemichgleichwohldagegenverfehltzuhaben.«»Ich kenne die Biederteit des Herrn :Prinzen von

Condé,«antworteteder jungeMannmiteinergewissenRührung,»und ichglaube,daßer sichüberdiemeinigenichtzubeklagenhabenwird.Vonheuteanbinich,Euchmit Leib und Seele ergeben. Wirkt die Begnadigungmeines Vaters aus, so werdet Ihr keinen Diener haben,dersogernewieichfürEuchstürbe.«»IchglaubeEuch,meinHerr,antwortetederPrinzvon

Condé,»undobschondieUrsachesowiedieArtunseres,Zusammentreffens höchst eigenethümicher Art sind, sokann ich Euch doch nicht verhelen, daß ich sogar fürEure That, so tadelnswerth sie jedem rechtschaffenenMenschen erscheinenmuß in Folge des Beweggrundes,derEuchdazu, trieb,einegewisseNachsicht, jabeinaheSympathiehege.NurmüßtIhrmirEtwassagen,nämlichwieeskommt,daßIhreinenschottischenNamenführet,währendderRathAnneDubourgEuerVaterist.«»Dieß ist ganz einfach, gnädigster Herr, wie alle

Liebesgeschichten. Vor zweiundzwanzig Jahrenwar derRathAnneDubourgachtundzwanzigalt;«ermachte,eineReise nach Schottland, um seinen Freund JohannKnoxzu besuchen. Er lernte dort ein junges Mädchen aus

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Lothiankennen;dießwarmeineMutter.ErstnachseinerRückkehr nach Paris erfuhr er, daß das jungeMädchenschwangerwar.DaerniemalsanihrerTugendgezweifelthatte, so erkannte er das Kind das sie gebar, an undempfahlesJohnKnox.«»Es ist« gut,meinHerr« sagte der Prinz vonCondé,

»ichweiß,was ichwissenwollte.Beschäftigenwir unsjetztmitunsermHinauskommen.«DerPrinzgingvoranundöffnetedieThüredesSaales

der Verwandlungen halb. Der Gang war wieder dunkelund einsam geworden, sie gelangten also mit einergewissen Seicherheit hinein. Als sie an das Thor desLouvre kamen, warf der Prinz seinen Mantel über dieSchulterndesSchottenundfragtenachDandelot.Dandelotkam.Der Prinz erzählte ihm mit wenigen Worten, was

vorgefallen war, aber blos was sich zwischen demKönige,FräuleinvonSt.AndréunddenunglückseligenBesuchen, welche das Paar im Schlafen gestört,zugetragenhatte.VonRobertStuartsagteerblosdiefünfWorte.»DieserHerristbeimir.«Dandelotbegriff,daßesfürCondéhöchstnothwendig

warsoschnellalsmöglichausdemLouvrezukommen.Er ließ eine besondereThüre öffnen, und der Prinz undseinBegleiterbefandensichdraußen.

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Sie begaben sich eiligst nach dem Fluß, ohne eineinzigesWortzusprechen;einBeweis,daßsieBeidedieGefahr wohl zu würdigen wußten, der sie so ebenentronnenwaren.AlssieansUferkamen,fragtederPrinzdenSchotten,

wohinergehe.«»Rechts,gnädigsterHerr,«antwortetedieser.»Und ich links, « sagte der Prinz. »Jetzt stellt Euch

heute Abend um zehnUhr vor St. Germain l'Auxerroisein; ich hoffe, daß ich Euch gute Nachrichtenmitzutheilenhabe.«»Dank, gnädigster Herr, « sagte der junge Mann,

indem er sich respektvoll verbeugte, »und erlaubt mir,Euch zu wiederholen, daß ich Euch von Stund an mitLeibundSeeleergebenbin.«DamitgingJederseinesWeges.EsschlugdreiUhr.Just in demselben Augenblick wurde der Prinz von

Joinville ins Schlafzimmer Catharinas von Medicieingeführt.Wie kam der junge Prinz, obschon gegen seinen

Willen,zueinersolchenStundeinsZimmerderKöniginMutter,undmitwelchemRechtmaßtesiesichderNeffediePrivilegiendesOnkelsan?Wirwollenessagen.DerarmePrinzkamnichtausfreiemWillenundnicht

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mitfreudigemHerzen.Manhörewassichzugetragenhatte.Bekanntlich war die Königin Mutter zu Hause

gebliebenundhatteerklärtdaßsieinsBettgehenwolle,dort aber denPrinzen von Joinville, erwarte, der ihr alserster Beförderer all dieses Skandals ausführlichenBerichterstattenmüsse.Nun aber war der Prinz von Joinville ein seiner

VerblüfftheitüberdasGeschehenewenigeralsirgendeinanderer geneigt, sich zum Geschichtschreiber einerKatastrophezumachen,worinseineehelicheEhreschonvorseinerVerheirathungeinetraurigeRollespielte.Ohne des gegebeneVersprechen vergessen zu haben,

hattealsoderPrinzvonJoinvilleganzundgarkeineEileeszuerfüllen.Aber Catharina erfreute sich nicht derselben

Gleichgülltigkeit in Betreff des ihr noch unbekanntenGeheimnisses.SiehattesichvonihrenFrauenentkleidenlassen,war zuBettegegangen,hatte alle ihreLeutemitAusnahme ihrer vertrauten Kammerfrau verabschiedetundhattegewartet.Es hatte zwei Uhr geschlagen. Noch war keine Zeit

verloren.Dann schlug es sein Viertel auf drei, dann halb drei,

danndreiViertel.Als die Königin jetzt weder Onkel noch Neffen

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erscheinen sah, hatte sie die Geduld verloren, IhrerKammerfrau gepfiffen (die Erfindung des GlöckchensgehtbloszurFrauvonMaintenonhinauf),undbefohlen,den Prinzen von Joinville zu suchen und todt oderlebendigherbeizubringen.ManhattedenPrinzeninwichtigerBerathungmitdem

Herzog Franz von Guise und dem Cardinal vonLothringengefunden.Es versteht steh von selbst daß der Familienrath

beschloß, eine Ehe zwischen demPrinzen von Joinvilleund Fräulein von St. André sei durchaus unmöglichgeworden.Gegenüber dem von der Königin Mutter ertheilten

Befehl zu ihr zukommen, hatte es keine Ausfluchtgegeben.Der Prinz von Joinville war gesenkten Hauptes

weggegangenundmitnochgesenkteremHauptekameran.Der Herzog von Montpensier und der Prinz de la

Roche-sur-Yonhattensichunterwegsdavongemacht.Wirwerdenspätersehen,inwelcherAbsicht.CatharinasUngeduldstiegmitjederMinute.Wenndie

vorgerückte Stunde ihr den Schlaf gebot, so hielt derGedanke, daß sie irgend ein lustiges Abenteuer zurBeschämung ihrer lieben Freundin, der FrauAdmiralin,vernehmenwerde,siewach.

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»Ister'sendlich?«sagtesiezusichselbst.Sobalddannder jungeMann sich zeigte, rief sie ihm

ziemlichrauhentgegen:»Ei so kommt doch, Herr von Joinville, ich erwarte

EuchseiteinerStunde.«DerPrinznähertesichdemBett,einesEntschuldigung

stammelnd, von welcher Catharina nur die Worteverstand:»EuerMajestätmögenmirverzeihen.«»Ich:werde Euch nicht verzeihen, monsou von

Joinville, « sagte die Königin Mutter mit ihremflorentinischen Accent, »außer wenn Eure Erzählungmich eben so sehr ergötzt, wie Euer langes Ausbleibenmichgeärgert hat.NehmteinenStuhlund setztEuch inmeinenBettgang.IchseheEuchan,daßaußerordentlicheDingesichzugetragenhaben.»Ja, « murmelte der Prinz, »in der That sehr

außerordentliche Dinge, auf die wir ganz und gar nichtgefaßtwaren.«»Zum so besser! um so besser!« rief die Königin

Mutter, sichdieHände reibend:»erzähltmirAllesganzausführlich. Ich habe schon lange keinen solchen StoffzurHeiterkeitmehr gehabt.Ach,monsou von Joinville,manlachtnichtmehrbeiHof.«»Das ist wahr, Madame, « antwortete Herr von

JoinvillemitderMieneeinesLeichenbitters.

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»Nun wohl, wenn eine Gelegenheit kommt sich einweniglustigzumachen,«;fuhrCatharinafort,»somußman ihr entgegengehen, statt sie entwischen zu lassen.BeginnetalsoEuereGeschichte,monsouvonJoinvilles;»ichhöre,undversprecheEuchkeinWortzuverlieren.«UndinderThatmachtesichsCatharinainihremBette

rechtbequem,umdurchNichtsindemVergnügengestörtzuwerden,dassiesichversprach.Dannwartetesie.Aber für monsou von Joinville, wie Catharina sagte,

war es schwer die Erzählung zu beginnen, undmonsouvonJoinvillebliebstumm.DieKöniginMutter glaubteAnfangsder jungeMann

sammleseineIdeen;aberalssiesah,daßdasSchweigenfortwährte, reckte sie ihren Kopf empor, ohne denübrigen Körper zu bewegen, und warf ihm einenunbeschreiblichenBlickdringenderFragezu.»Nunwohl?«sagtesie.»Nun wohl, Madame, « antwortete der Prinz, »ich

gesteheEuch,daßmeineVerlegenheitgroßist.«»EureVerlegenheit,warum?«»Um Euer Majestät zu erzählen, was ich gesehen

habe.«»WashabtIhrdenngesehenmonsouvonJoinville?Ich

gesteheEuchdaßichvorlauterNeugierdenoch,verrücktwerde, ich habe lange genuggewartet, « fuhrCatharina

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fort,indemsieihreschönenHänderieb;»aberesscheint,daß ich durchs Warten Nichts verloren haben werde.Wohlandenn . . . eswar alsowirklich aufheuteNacht,dennIhrerinnertEuch,liebermonsouvonJoinville,daßdasBillet,das Ihrmirzugestellthabt,dieWorte :»heuteNacht«enthielt,aberkeinDatumtrug.«»Ja,Madame,eswarfürheuteNacht.«»SiewarenalsoimSaalderVerwandlungen?«»Siewarenda.«»Allebeide?«»Allebeide.«»Immer Mars und Venus? Ei so sagt mir doch, ich

weißwerVenuswar;aberMars?«»Mars,Madame?«»Ja,Mars...ichweißnicht,werMarswar.«»InWahrheit,Madame,ichfragemich,obichesEuch

sagensoll.«»Wie!obIhrmirssagensollt?Ichglaubewohl,daßIhr

mirssagenmüßt,undwennIhrScrupelhabt,sohebeichsie.AlsoMars!Jungoderalt?«»Jung!«»HübschvonPerson?«»Allerdingshübsch.«»VonQualitätohneZweifel?«»VonersterQualität.«

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«Oh,oh!WassagtIhrmirda,monsouvonJoinville?«fragtedieKöniginMutter,indemsiesichaufsetzte.»DieWahrheitMadame.«»Nie! es ist nicht irgend ein blinder und unwissender

Page?«»EsistkeinPage.«»Unddieserkühne jungeMensch,« fragteCatharina,

die ihrer Spottsucht nicht widerstehen konnte, »dieserkühnejungeMenschnimmteinenRangbeiHofeein?«»Ja,EureMajestät,sogareinensehrhohen!«»Einensehrhohen?«»Aber um Gotteswillen, sprecht doch, monsou von

Joinville, man muß Euch ja die Worte entreißen, wiewennessichumeinStaatsgeheimnißhandelte.«»EshandeltsichauchumeinStaatsgeheimniß,«sagte

derPrinz.»Ohdann,monsouvonJoinville,bitte ichEuchnicht

mehr; sondern ich befehle Euch, Sagt mir den NamendieserPerson.«»Ihrverlangtes?«»IchVerlangees.«»Nunwohl,Madame,«sagteder:Prinz,indemersein

Haupt empor richtete, »diese Person, wie Ihr Euchauszudrücken beliebt, ist niemand anders als SeineMajestätderKönigFranzII.«»MeinSohn?«riefCatharina,indemsieinihremBett

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aufsprang.»EuerSohn!sja,Madame.«Wenn ganz plötzlich eine Donnerbüchse mitten im

Zimmer losgegangenwäre,sohättesieaufdemGesichtder Königin Mutter keine heftigere Bewegung, keineraschereEntstellunghervorbringenkönnen.Catharina fuhr mit der Hand über ihre Augen, wie

wenndieDunkelheitdesblosvoneinereinzigenLampebeleuchteten Zimmers sie am Sehen hinderte; dannheftete sie ihren durchdringenden Blick auf Herrn vonJoinville, näherte sich ihm so, daß sie ihnberührte, undsagtezuihmhalblaut,aberineinemTon,,derjetztnichtmehrspöttisch,sondernfurchtbargewordenwar:»Ich wache doch, nicht wahr, monsou von Joinville?

Ichhabe rechtgehört? Ihrhabtmirwirklichgesagt,daßderHelddiesesAbenteuersmeinSohnsei?«»Ja,Madame.«»Ihrwiederholtes?«»Ichwiederholees.«»Ihrversichertes?«»Ichschwörees.«UndderjungePrinzstrecktedieHandaus.«»Gut, monsou von Joinville, « sprach Catharina mit

düsterer Miene; »ich begreife jetzt Euer Zögern, ichwürde sogar Euer Schweigen begriffen haben. Oh, desBlutsteigtmirinsGesicht!Istsmöglich?meinSohnder

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eineallerliebstejungeFrauhat,nimmteineMaitresse,diedoppelt so alt ist wie er! Mein Sohn geht zu meinenFeinden über! mein Sohn, nein bei Gott, es istunmöglich! mein Sohn sollte der Liebhaber der FrauAdmiralinsein!«»Madame, « sagte der Prinz von Joinville, »wie das

BilletindieTaschederFrauAdmiralinkam,dasweißichnicht, aber unglücklicherweise weiß ich, daß die FrauAdmiralinesnichtwar,diesichimZimmerbefand.«»Wie!«riefCatharina,»wassagtIhrda?Eswarnicht

dieFrauAdmiralin?«»Nein,Madamesiewaresnicht.«»Nun,werwaresdenn?«»Madame...«»Monsou von Joinville, den Namen dieser Person,

ihrenNamenimAugenblick!«»GeruheEureMajestätmichzuentschuldigen!«»Euchentschuldigen!undwarum?«»Weil ich inWahrheit der Einzige bin von demman

nichtdasRechthateinesolcheEnthüllungzuverlangen.«»Nichteinmalich,monsouvonJoinville?«»Nicht einmal Ihr, Madame. Uebrigens ist Eure

Neugierde leicht zu befriedigen, und die erste PersonvomHof,dieIhrstattmeinerfragenwerdet...«»Aber um diese erste Person zu fragen, muß ich bis

morgen warten, monsou von Joinville. Ich will den

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Namen dieser Person sogleich, augenblicklich wissen.Wer sagtEuch, ob ichnicht eineMaßregel zu ergreifenhabe,dieeinenAufschubduldet?«Und Catharinas Augen flammten, indem sie sich auf

denjungenMannhefteten.»Madame, sagte er, »suchet die einzige Person am

ganzenHof,dieichEuchnichtnennenkann.Nennetsie...aberich,ohich!Dasistunmöglich.«Und der junge Prinz hielt beide Hände vor sein

Gesicht, um theil seine Schamröthe, theils seine vomZornerpreßtenThränenzuverdecken.Eine Idee fuhr Catharina gleich dem Leuchten eines

BlitzesdurchdenKopf.Sie stießeinenSchrei«aus,und indemsiedieHände

desjungenMannesergriffundwegrißsagtesie:»Ah!FräuleinvonSt.André?«»DerPrinzantwortetenicht,aberinseinemSchweigen

lagdasvollsteBekenntniß.UeberdießsankeraufdemStuhledernebendemBette

standzusammen.CatharinabetrachteteihneinenAugenblickmiteinem

Mitleid,woreinVerachtunggemischtwar.DannsagtesiemiteinerStimme,welchesiesokosend

alsmöglichzumachensuchte:»Armer Junge! Ich beklage Euch von ganzem

Herzen;denn es scheint, Ihr liebtet dieses treulose

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Geschöpf.Kommther,gebtmirEureHandundergießetEurenKummer ins Herz Eurer gutenMutter Catharina.Ichbegreife jetzt,warumIhr schweiget,und ichbereue,daßichEuchsobedrängthabe.Verzeihetmiralso,meinSohn,undjetztdaichdasUebelkenne,laßtunsaufdasHeilmittel bedacht sein. Es gibt an unseremHofe nochandere jungeMädchen, als Fräulein vonSt.André, undwennanunseremHofinPariskeinevornehmundschöngenug fürEuch ist, sowollenwirbeimspanischenoderitalienischen Hof anfragen. Faßt Euch also, mein lieberPrinz und laßt uns ernsthaft sprechen,wenn esmöglichist.«Aber statt auf diese Rede zu antworten, die offenbar

einen sichtbaren und einen geheimen Zweck hatte,nämlichihnzutröstenundseinenMuthzusondiren,fielHerrvonJoinvillevordemBettderKöniginMutteraufseine Knie und verbarg schluchzend sein GesichtzwischendenTüchern.»Gnade, Eure Majestät, « rief er unter Thränen,

»Gnade undDank für Eure zärtliche Sorgfalt. Aber ichhabe in diesem Augenblick blos noch die Kraft meineSchandezuermessenundmeinenSchmerzzufühlen.Icherflehe also von Eurer Majestät die Erlaubniß michzurückzuziehen.«Die Königin Mutter heftete einen Blick tiefer

Verachtung auf diesen Menschen, der sich in seinemSchmerzkrümmte.

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Ohne daß ihre Stimme im Mindestens das Gefühlverrieth,dasinihremBlickzulesenstand,sagtesiedann,indem sie dem jungenPrinzen ihreHand reichte, die erlebhaftküßte:»Gehet,meinSohn,undkommtmorgenfrühwiederzu

mir, damit mir plaudern können. Bis dahin gute NachtundbehüteEuchGott!«Herr von Joinville benützte lebhaft den erhaltenen

UrlaubundstürzteausdemZimmer.Catharina sah ihm schweigendnach, bis er hinter der

Tapete verschwunden war; dann heftete sie ihren Blickauf diese Tapete, bis die zitternde Bewegung aufhörte,welche der Weggang des Prinzen an dem Gewebeverursachthatte.Hierauf stemmte sie sich mit dem Ellbogen auf ihr

KissenundsagtemitdumpferStimme:»Vonheute an habe ich eineNebenbuhlerin, und von

morgen an habe ich alle Gewalt über meinen Sohnverloren,wennichnichtOrdnungschaffe.«Dann schwebte nach einem Augenblick tiefen

Nachdenkens ein triumphirendes Lächeln auf ihrenLippen.IchwerdeOrdnungschaffen!«sagtesie.

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VI.

EineheiserKehle.

JetztwährendderHerrCardinalvonLothringensichvonseinem Kammerdiener zu Bette bringen läßt; währendRobert Stuart zu seinem Freund Patrick zurückkehrt;währendHerrvonCondéwüthendundlachendzugleichsein Hotel wieder aufsucht;« während dies FrauAdmiralin unermüdlich ihre Taschen umkehrt und dasunglückselige Billet sucht, das all diesen Ärgernißhervorgerufen hat; während der König die Lanoueverhört, um herauszubringen, wies das Gerücht vonseinemRendezvoussichverbreitenkonnte;währendderMarschall vonSt.André sich selbst fragt, ob er für dasGeschehene Gott danken oder den Zufall anklagenmüsse; während Fräulein von St. André davon träumt,daß sie um ihren Hals und ihre Arme die Juwelen derFrauvonEtampesundderHerzoginvonValentinois;aufdemKopf dieKrone derMaria Stuart habe,wollenwirsehen,wasdiejungenPrinzenvonMontpensierunddelaRoche-sur-Yon machen, auf dies wir zurückzukommenunsvorgenommenhaben.Die beiden schönen und lustigen jungenLeute hatten

sich als Zeugen eines Schauspiels, das sie allerliebstfanden,vordendreiohnehin,undindiesemAugenblicke

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ganz, besonders gravitätischen Personen, Herrn vonGuise, Herrn von St. André und dem Cardinal vonLothringen, gewaltig zusammennehmen müssen. Nochmehr, sie hatten ein für die Gelegenheiten passendesGesicht angenommen und dem Herrn Cardinal vonLothringen, dem Herrn Marschall von St. André undHerrn von Guise in der allergebührlischsten Weise ihrBeileidbezeugt.DannaberhattensiedenerstenWinkeldes Ganges, der ihnen ein Wegschleichen gestattete,benützt,undsichstillimSchattengehaltenbisdieandernAllesich,Jederinder ihmbeliebigenRichtung,entfernthatten.«Endlichalssiesichalleinundganzalleinsahen,brach

dasmühsam in ihrer Brust zurückgehaltene LachenmitsolcherGemalt los, daßdieFensterscheibendesLouvredavon erzitterten,wiewen ein schwererWegenvorüberführe.An beiden Seiten der Wand einander gegenüber

angelehnt,dieHände indieSeitengestemmt,dieKöpferückwärts geworfen, krümmten sie sich in solchenZuckungen, daß man sie für epileptisch oder, wie mandamalssagte,fürbesessenhättehaltenkönnen.»Ach,lieberHerzog!«sagtederPrinzdelaRoche-sur-

YonderzuerstwiederzuAthemkam.«»Ach,lieberPrinz!«antwortetediesermühsam.»Undwennmanbedenkt...daßesLeutegibt...die

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behaupten, man lache nicht mehr . . . .man lache nichtmehrindiesemarmenParis!«»Das sind sehr übelwollendeLeute . . . die soEtwas

behauptenkönnen.«»Ach,meinGott...wiewohlundwiewehzugleich

esthut,rechttüchtigzulachen!«»Habt Ihr das Gesicht des Herrn von Joinville

gesehen?«»UnddasdesMarschallsvonSt....vonStAndré?«»IchbedaurenurEines,Herzog,«sagtederPrinzdela

Roche-sur-Yon,indemersicheinwenigberuhigte.«»UndichbedaureZweierlei,«antwortetedieser.«»DaßichnichtanderStelledesKönigswar,undwenn

ganzParismichgesehenhätte.«»Undich,daßmichnichtganzParisanderStelledes

Königsgesehenhat.«»Oh, bedauret Nichts, Herzog morgen Vormittag soll

ganzPariseswissen.«»WennIhrsodenketwieich,Prinz,sosollganzParis

esnochheuteNachterfahren.«»Undwiedenn?«»AufeinehöchsteinfacheArt.«»ZumBeispiel?«»NunbeiGott,wirschreiensaufdenDächernaus.«»AberParisschläftindiesemAugenblick.«

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»ParissollnichtschlafenwennseinKönigwacht«»Ihr habt Recht. Ich stehe dafür, daß SeineMajestiit

nochkeinAugezugethanhat.«»WeckenwiralsoParis.«»WelcheineNarrheit!«»IhrweigertEuch?«»Gewißnicht.DaichEuchsage,daßeseineNarrheit

sei,sobinichnatürlichdamiteinverstanden.«»AlsoaufdenWeg.«»Vorwärts! Ich fürchte nur, die ganze Stadt möchte

bereitseinenTheilderGeschichtewissen.«UnddiebeidenjungenLeutesprangendieTreppendes

Louvre herab wie Hippomenes und Atalanta bei ihremWettlauf.Im Hof angekommen, gaben sie sich Dandelot zu

erkennen, hüteten sich aber wohl ihm Etwas zu sagen,theils weil seine Schwägerin bei all dem eine Rollegespielthatte, theilsweilsiefürchteten,ermöchteihnendasAusgehenverwehren.Dandelot constatirte ihre Identität, wie er bei dem

PrinzenvonCondégethanhatteundließihnendasThoröffnen.Die beiden jungen Leute eilten Arm in Arm, in ihre

Mantelgehüllt,lachendzumLouvrehinaus,gingenüberdie Zugbrücke und befanden sich in der Nähe desFlusses,woeineisigerWindihnenindieGesichterpfiff.

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Dann hoben sie unter dem Vorwand sich zu erwärmenSteine auf undwarfen in den benachbartenHäusern dieScheibenein.Sie hatten schon zwei oder drei Fenster zertrümmert

undgedachtensichdiesenangenehmenZeitvertreibnochlänger zu verschaffen, als zwei in Mäntel gehüllteMänner, welche die beiden jungen Leute laufen sahen,ihnendenWegvertratenundHaltzuwiesen.SiebliebenstehenSiewarenallerdingsgelaufen,aber

nichtgeflohen.»UndmitwelchemRechtkönntIhrunsHaltgebieten

?«riefderHerzogvonMontpensier, indemeraufeinender beiden Männer zutrat. »Geht Eures Wegs und laßtzweivornehmeEdelleutesichinihrerWeisevergnügen.«»Ah,entschuldigtgnädigsterHerr,ichhatteEuchnicht

erkannt,«sagtederjenigederbeidenMänner,anwelchender Herzog vonMontpensier sich gewendet hatte. »Ichbin Herr von Chavigny, Commandant der hundertBogenschützen der Garde, und wallte eben inGesellschaft des Herrn von Carvoysin, erstenStallmeisters Seiner Majestät, nach dem Louvrezurückkehren.«»GutenAbend,Herr vonChavigny, « sagte derPrinz

de la Roche-sur-Yon, indem er auf den Commandantender hundert Bogenschützen zuging und ihm die Handreichte, während der Herzog von Montpensier sehr

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höflich die Complimente des ersten Stallmeisterserwiderte.»Ihrsagt,daßIhrindenLouvrezurückwollt,HerrvonChavigny?«»Ja,Prinz.«»Nunwohl,wirkommenebenheraus.«»ZudieserStunde?«»Bemerkt,Herr vonChavigny, daß,wenn die Stunde

zumHineingehen gut ist, sie zumHinausgehen eben sogutseinmuß.«»Glaubt mir, Prinz, daß ich durchaus nicht die

IndiscretionhabeEuchausfragenzuwollen.«»Und Ihr habt Unrecht, mein lieber Herr, denn wir

hättenEuchsehrinteressanteDingeszuerzählen.«»In Bezug auf den Dienst des Königs?« fragte Herr

Carvoysin.»Ganzrichtig,inBezugausdenDienstdesKönigsIhr

habt'serrathen,HerrOberststallmeister,«sagtederPrinzdelaRoche-sur-YonmitlautemGelächter.»Wirklich?«fragteHerrvonChavigny.»AufEhre!«»Umwashandeltessich,meineHerren?«»EshandeltsichumdiegroßeEhre,dieSeineMajestät

erst vor einem Augenblick einem ihrer berühmtestenFeldherren erwiesenhat, « sagtederPrinzde laRoche-sur-Yon.»UndmeinemBruderJoinville,«fügtederHerzogvon

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MontpensierwieeinächterSchuljungehinzu.»VonwelcherEhresprechtIhr,Prinz?«»WeristdieserberühmteFeldherrHerzsog?«»MeineHerren,esistderMarschallvonSt.André.«»Und welche Ehren könnte Seine Majestät noch

denjenigen beifügen, womit sie Herrn von St. Andrébereits überladen hat? Ist er nicht Marschall vonFrankreich, erster Kammerherr, Großcardon des St.Michaelordens, Ritter des Hosenband? In Wahrheit, esgibtsehrglücklicheLeute.«»Jenachdem.«»Wieso,jenachdem?«»Allerdings,esisteinGlück,dasvielleichtEuch,Herr

vonChavigny,der Ihreinehübsche jungeFraubesitzet,nichtzusagenwürde,undebensowenigEuch,HerrvonCarvoysin,derIhreinehübschejungeTochterhabt.«»Wirklich?«riefHerrvonChavigny,derzubegreifen

anfing.»IhrseidaufdemrechtenSprung,meinLieber,«sagte

derPrinzdelaRoche-sur-Yon.»Aber seid IhrEurerSacheauchgewiß?« fragteHerr

vonChavigny.»Daswillichmeinen.«»Was Ihr da sagt, mein Prinz, ist eine sehr ernste

Sache,«versetzteHerrvonCarvoysin.»Ihr findet? Ich finde es im Gegentheil verdammt

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comisch.«»AberwerhatesEuchgesagt?«»Wer es uns gesagt hat? Niemand Wir habens

gesehen.«»Wo?«»Ich habe es gesehen, undmitmir haben es gesehen

Herr de la Roche-sur-Yon, Herr von St. André, meinBruderJoinville,deressogarbeiläufiggesagt,besseralsalle Andern gesehen haben muß, denn er hielt einenLeuchter...mitwievielArmen,Prinz?«»Mit fünf Armen!« sagte der Prinz de la Roche-sur-

Yon,indemervonNeuemlautauflachte.»Die Verbindung SeinerMajestät mit demMarschall

ist also nicht mehr zweifelhaft, « versetzte der Herzogvon Montpensier in ernstem Ton, »und von jetzt anmögen sich die Ketzer wohl zusammennehmen. Daswollen wir jetzt den wahren Katholiken von Pariserzählen.«»Ist’smöglich?« riefenHerrvonChavignyundHerr

vonCarvoysinzugleicherZeit.»Es ist,wie ichEuch zu sagen dieEhre hatte,meine

Herren, « antwortete der Prinz. »DieNachricht ist ganzfrisch, noch keine Stunde alt; wir glauben Euch alsoeinenwahrenBeweisvonFreundschaftzugeben,indemwirsieEuchmittheilen.NatürlichknüpfenwirdarandieBedingung,daß Ihr sie inUmlauf setzetundJedermann

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erzählt,derEuchindieHändefällt.«»Und da zu dieser Stunde der Nacht Einem wenig

FreundeindieHändegerathen,wennmannichteinganzbesonderes Glück hat, wie dasjenige, das uns gestatteteEuchzubegegnen,sofordernwirEuchaufesebensozumachen wie wir, das heißt Euch die verschlossenenThürenöffnenzulassen,EureFreundeausdenBettenzujagenund ihnenunterAnempfehlungdesGeheimnisses,wie der Barbier des Königs Midas mit dem Schilfrohrthat,zusagen:DerKönigFranzII.istderLiebhaberdesFräuleinsvonStAndré.«»Ah bei Gott, meine Herren, sagte der

Oberststallmeister, »es soll geschehen,wie Ihr sagt. Ichkann denMarschall von St.André nicht ausstehen, undich habe hier in der Nähe einen Freund, dem dieNachricht so viel Vergnügen machen wird, daß ich ihnjetzt sogleich aufwecken will, und wenn er im erstenSchlafläge.«»UndIhr«meinlieberHerrvonChavigny,«sagteder

Prinz de la Roche-sur-Yon, »Ihr traget meinesWissensHerrn von Joinville nicht gerade in EuremHerzen, undich bin daher überzeugt, das Ihr dasBeispiel desHerrnvonCarvoysinbefolgenwerdet.«»Oh, ganz gewiß, « riefHerr vonChavigny, »statt in

den Louvre zurückzukehren« geh’ ich jetzt nach HauseunderzähledieSachemeinerFrau.Morgenfrühvorneun

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Uhr werden vier von ihren Freundinnen Alles wissen,und ich versichere Euch, das ist gerade als ob Ihr vierTrompeternachdenvierWeltgegendenausschicktet.«Damit verabschiedeten sich die vierHerren: die zwei

PrinzengingenamUferhinnachderRuedelaMonnaie,dieHerrenvonChavignyundvonCarvoysinaberkehrtennicht in den Louvre zurück, sondern verbreitetengewissenhaft, Jeder von seiner Seite, die Nachricht desTagesodervielmehrderNacht.In der Rue de la Mannaie bemerkte der Prinz de la

Roche-sur-Yonüber einem imWindeknarrendenSchildeinbeleuchtetesFenster.»Ei sieh da, « sagte derHerzog, »welch einWunder,

Morgens um halb vier Uhr nach Licht! Das ist einBürgersmann, der sich verheirathet, oder ein Poet, derVersemacht.«»EsistetwasWahresdaran,meinLieber,undichhatte

vergessen,daßichzurHochzeitgeladenwar.Wahrhaftig,ichmöchteEuchdieBrautdesMeistersBalthasarzeigenkönnen. Ihr würdet sehen, daß sie, wenn auch keineTochter einesMarschallsvonFrankreich«dochein sehrschönesMädchen ist; aber in Ermangelung desWeibeswillichEuchdenMannzeigen.«»Ach, lieber Prinz« es wäre gegen alle christliche

LiebedenarmenMannineinemsolchenAugenblickansFensterkommenzulassen.«

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»Oh, sagte der Prinz, »er ist der einzigeMensch, derdavonNichtszufürchtenhat.«»Undwarum?«»Weil er immer heiser ist. Ich kenne ihn seit zehn

Jahren, und ich habe noch nicht ein einziges Mal einhelles und klares guten Morgen mein Prinz, aus ihmherausbringenkönnen.«»Nun«solaßtunsdenMannsehen.«»Dasmüssenwir um somehr thun, als er nicht blos

Wirth, sondern zugleich Bademeister ist; er hatBadestuben an der Seine, und wenn er morgen seineKundenreibt,sowirderihnendieGeschichtemittheilen,diewirihmjetzterzählenwollen.«»Bravo!«Unsere beiden jungen Leute hatten wie zwei

Schulknaben,dieaufdemWegandenFlußihreTaschenmit Kieselsteinen füllen, um sie über das Wasserhinhüpfen zu lassen, beim Weggehen vom Ufer eineMenge kleiner Steine eingesackt, um sich ihrer alsWurfgeschossegegendieHäuserzubedienen,welchesiezubelagerngedachten.DerPrinz zog einenderSteine aus seinerTasche trat

zwei Schritte zurück um seinenAnlauf zu nehmen,wiewirRobertStuart,aber ineinerunheimlicherenAbsicht,thun sahenund schleudertedenStein indasbeleuchteteFenster.

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Das Fenster öffnete sich so rasch daß man hätteglaubenkönnen,derKieselsteinhabeesgeöffnet.Ein Mann, mit einer Nachtmütze auf dem Kopf und

einem Licht in der Hand, kam zum Vorschein undversuchtezurufen:»Spitzbuben!«»Wassagter?«fragtederHerzog.»Ihrsehetwohl,manmußanihngewöhntseinumihn

zuverstehen.ErnenntunsSpitzbuben.«DannwandtesichderPrinzwiedergegendasFenster

undriefhinauf:»ErhitzetEuchnicht,Balthasar,ichbins.«»Ihr . . . Euer Hoheit? . . .Wolle Euer Hoheit mich

entschuldigen! . . . Ihr habt allesRechtmeineScheibeneinzuwerfen,wennesEuchgefälligist.«»AchlieberGott!«riefderHerzogmitlautemLachen,

»welcheSprachesprichtdennderguteMann,Prinz?«»DieSachkennerversichern,esseieinKauderwelsch,

das zwischen dem Irokesischen und Hottenttischen dieMittehalte.ErhatunsnichtsdestowenigermitdieserArtvonGegrunzeetwassehrHöflichesgesagt.«»Wasdenn?«»Daß wir das Recht besitzen seine Scheiben zu

zertrümmern.«»AhbeiGott«dasverdienteinenDank.«DannwandteersichgegenBalthasarundrief:

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»MeinFreund,beiHofhatsichdasGerüchtverbreitet,daßIhrheuteAbendeineFraugenommenhabtunddaßEureFrauhübschsei.WirsindnunganzexpreßausdemLouvre gekommen, um Euch unser Compliment zumachen.«»Und, umEuch zu sagen,mein lieber Balthasar, daß

derHimmelkaltunddießfürdieGüterderErdeeingutesWetterist.«»Während im Gegentheil das Herz Seiner Majestät

warm ist, was dem Marschall von St André wohlbekommenwird.«»Ichbegreifenicht.«»Gleichviel!Wiederholet die Sachewiewir sie Euch

sagen, mein lieber Balthasar. Andere werden siebegreifen und wissen, was es bedeuten soll. UnsereComplimenteanMadame.«Und die jungen Leute gingen unter lautemGelächter

dieRuedelaMannaiehinauf,währendsiedenWirthzurschwarzen Kuh brummen und husten hörten, denn erkonnte zwar seinFensterverschließen, aberdieScheibenichtzustopfen.

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VII.

Tire-laineundtire-soie.

Die beiden jungen Leute gingen unter fortwährendemGelächterdieRuedelaMannaiehinaufundgelangtenindieRuedeBethisy.Als sie um die Ecke bogen,meinten sie in derNähe

des Hotels Coligny ein heftiges Waffengeklirr und einfurchtbaresGeschreizuvernehmen.Die Scene, welche dieses Waffengeklirr und dieses

Geschrei hervorrief, trug sich zwanzig oder dreißigSchrittevonihneninderDunkelheitzu.Sie versteckten sich unter der Vorhalle eines Hauses,

welchesdieEckederRuedelaMennaieundderRuedeBethisybildete.»Ah,ah!«sagteeinefesteunddrohendeStimme,»Ihr

seidDiebewieesscheint.«»Natürlich, « antwortete eine unverschämte Stimme,

»um diese Stunde der Nacht wird man wohl keinenehrlichenLeutenaufderStraßebegegnen.«»Räuber,«sagteeineStimme,diewenigersicherwar

alsdieerste.»WoistderDiebdernichteinwenigRäuber,undder

Räuber der nicht einwenigDiebwäre?« antwortete die

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zweite Stimme, die einem Philosophen zu gehörenschien.»Ihrwolltunsalsoermorden?«»Ganzundgarnicht,EuerHerrlichkeit.«»WasweiltIhrdann?«»EuchEurerBörseentledigen,sonstNichts.«»IcherkläreEuch,«sagtedieStimme,»daßinmeiner

Börse nicht viel ist, aber so wie sie ist, sollt Ihr nichthineinsehen.«»IhrhabtUnrechtsohartnäckigzusein,meinHerr.«»Platzda!sageichoderichziehevomLeder.«»MeinHerr,wir bemerkenEuch, daß Ihr zwei gegen

elf seid, und überdieß scheint Euer Begleiter blos EuerLakai zu sein. Jeder Widerstand wäre also einWahnsinn.«»Platz!«riefdieStimme,dieimmerdrohenderwurde.»Ihrscheint indiesergutenStadtParisfremdzusein,

mein Herr« sagte die Stimme, die dem Anführer derBande zu gehören schien, »und vielleicht seid Ihr blosdeßwegen so zäh, weil Ihr fürchtet ohne Geld keinNachtlagerzubekommen;aberwirsindgebildeteDiebemeinHerr,tire-soieundkeinetire-laine,undwirwissen,welche Rücksichten man einem Mann wie Ihr seidschuldet. Gebt uns artig Eure Börse, mein Herr, dannwollenwirEucheinenThalerzurückgeben,damitIhreinNachtlager bekommtwenn Ihr nicht anders dieAdresse

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eines anständigen Hotels vorzieht, wo man Euch aufEmpfehlungsehrgutaufnehmenwird.EinMannwieIhrmuß seine Freunde in Paris haben, und morgen odervielmehrheute—dennichmöchteEuchnichtzueinemIrrthumverleiten,esistbaldvierUhr—heutewerdetIhrEuchanEureFreundewenden,dieEuchgewißnicht inVerlegenheitlassenwerden.«»Platz!«wiederholtedieselbeStimme,»Ihrkönntmein

Lebenhabendawirbloszweigegenelfsind,abermeineBörsesolltIhrnichtbekommen.«»Das ist unlogisch, mein Herr, « versetzte derjenige

der alsWortführer der Bande aufgestellt schien, »denn,wennwireinmalEuerLebenhaben, sostehtesuns freiEureBörsezunehmen.«»Zurück, Canaillen! und nehmt Euch in Ach! Wir

habenzweiguteDegenundzweiguteDolchefüruns.«»UndüberdießdasguteRecht,meineHerrn.Aberwas

nützt das gute Recht, wenn der Schlechte der Stärkereist.«»Inzwischen,«sagtederEdelmanmderamwenigsten

Geduldzuhabenschien,»pariertmireinmaldießda!«Und er führte einen furchtbaren Stoß gegen den

Anführer der Bande, der zu seinem Glück, da er ohneZweifel an solcheKämpfegewohntwar, sich auf seinerHuthieltundmitsolcherGewandtheitundsorechtzeitigrückwärts sprang, daß blos sein Wamms durchbohrt

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wurde.Jetzt beganndasWaffengeklirr unddasGeschrei, das

der Prinz de la Roche-sur-Yon und der Herzog vonMontpensier gehört hatten. Einer der beidenAngegriffenen rief, während er focht um Hilfe. DerAndere aber führte als hätte er die Ruhlosigkeit einesHilferufsbegriffenodereinensolchenverschmäht,seineStöße in alter Stille, und aus verschiedenenFlüchendieseine Gegner ausstießen konnte man abnehmen, daß ernichtinderLuftfocht.Wennwir sagten,der schweigsameEdelmannseivon

derNutzlosigkeit einesHilferufs überzeugt gewesen, sohofftenwir,derLeserwürdeunsernGedankenbegreifen.Es war unnütz die Leute um Hilfe anzurufen, die in

solchenFällen zurHilfeleistungverpflichtetwarend. h.dieAgenten desHerrn vonMouchy,Oberverhörrichtersvon Frankreich. Diese Agenten, die manMouchis odersogarMouchardsnannte,liefenTagundNachtdurchdieStadt und hatten allerdings den Auftrag alle Diejenigenzuverhaftendieihnenverdächtigschienen.Aber denHerrenMouchis oderMouchards,wieman

sie nennen will, schienen die Diebsbanden die Parisunsichermachtennichtverdächtig,undmehr als einmalhatten besagte Agenten des Herrn von Mouchy sogar,wennsiedieGelegenheitgünstigfandenundeinereicheBeute lockte, den Verdächtigen Hilfe geleistet, ob nun

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dieselben derGesellschaft der tire-soie oder vornehmenDiebe angehörten, die blos Leute von Stand angriffen,oder ob sie zu derKlasse der tire-laine gehörten, armerTeufelundDiebederunterstenKategorie,diesichdamitbegnügtenSpießbürgerndieTaschenzuleeren.Außer den beiden großen Kategorien die wir soeben

bezeichnethaben,gabesnochdieGesellschaftderbösenBuben, Bravi, die in Regimenter und Sectioneneingetheiltwaren und sich alsMörder allenDenjenigenverdingten, von denen sie mit ihrem Vertrauen beehrtwurden. Und bemerken wirs im Vorübergehen, da dieZahlDerjenigendiesich indiesenZeitenderLiebeunddes Hasses irgend Jemandens zu entledigen wünschtengroßwar,somangelteesnichtanArbeit.»Auch diese schienen den Agenten des Herrn von

Mouchy nicht verdächtig. Man wußte, daß sie imAllgemeinen für vornehme und reiche Herren, ja sogarfür Prinzen arbeiteten, undman hütete sichwohl sie inderAusübungihrerVerrichtungenzustören.Blieben noch die guilleries, die plumets und die

grisons,dieunsernBeutelschneidern,unsernvoleursàlatireundunsernbarboteursentsprachen.DieseaberwarensoverächtlicheBursche,daßdieAgentendesHerrnvonMouchy, selbst wenn sie ihnen verdächtig geschienenhätten,esunterihrerWürdegefundenhabenwürdensichmitihneneinzulassen.

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Eswardahersehrselten,daßeinEdelmannbeiNachtanders als wohl bewaffnet, und besonders mit einemtüchtigenGefolgevonDienern sichaufdieStraßenvonPariswagte.Es war also eine große Unvorsichtigkeit von unsern

jungen Leuten zu einer solchen Stunde ohne allesGefolge auszugehen, und wir können ihnen diesenLeichtsinn nur mit Berücksichtigung des wichtigenGeschäftsverzeihen,dassiehinaustrieb.Deßhalb hatte der Anführer der tire-soie, als er den

Mann mit der drohenden Stimme angriff, sogleicheingesehen, daß derselbe ein Edelmann aus der Provinzseinmußte.NachunsernvorausgeschicktenBemerkungenüberdas

VerfahrenderAgentendesHerrnvonMouchywirdmansich nicht wundern, daß auf das Hilfegeschrei desBedienten Niemand herbeikam. Aber, dieses Geschreiwar, wie es scheint, von, einem jungen Mann gehörtworden,dervomHotelColignywegging.Daerbegriff,um was es sich handele, so hatte er seinenMantel umseinen linken Arm geschlungen, mit der rechten Handseinen Degen gezogen, und war herbeigeeilt mit demRuft:»Haltetfest,Herr!IhrrufetumHilfe,daistHilfe.«»Ich rufenichtumHilfe,« antwortetederEdelmann,

indemerweiterfocht;»nurdieserHeulervonLaBriche

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da glaubt sich berechtigt um fünf oder sechs elenderMörder willen einen Edelmann zu bemühen und einganzesQuartieraufzuwecken.«»Wir sind keine Mörder, mein Herr, antwortete der

Anführer der Bande, »und Ihr könnt dieß aus derHöflichkeitersehen,womitwirEuchangreifen.Wirsindtire-soie, wie wir Euch bereits gesagt haben, Diebe ausguterFamilie,wirhabenJedereineigenesHausundwirplündern nur Edelleute. Statt einen Dritten zu Hilfe zurufen,derdieSachevergiftenwirdwürdetIhrweitbesserthun,wenn IhrEuch gutwillig ergäbet und uns nicht zuGewaltsmaßregeln zwänget, die uns unaussprechlichzuwidersind.«»Ihr sollt keine Pistole bekommen!« antwortete der

angegriffeneEdelmann.»Ha, Banditen! Ha, Canaillen! Ha, elende Schufte!«

riefderEdelmann,dervomAdmiralherauskam,indemersichmitteninsGewühlstürzte.«Undeinerdertire-soiestießeinenSchreiaus,welcher

bewies, daß der neue Ankömmling die That mit derDrohungverbundenhatte.»Wohlandenn!«sagtederAnführerderBande»daIhr

sostarrköpfigseid,soseheichwohl,daßmanderSacheeinEndemachenmuß.«UndimSchattenwurdedieformloseGruppebelebter,

dasGeschreiderVerwundetenwiederholtesichgellender,

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zahlreichere Funken sprühten aus Schwertern undDolchen.LaBrichefochtzwarnachbestenKräften,schrieaber

fortwährend umHilfe.Daswar bei ihmSystem, und erkonnte behaupten, daß es gut sei, da es schon einmalgeglücktwar.SeinGeschreihattedengewünschtenErfolg,nachdem

dieInscenirungderPersoneneinmalgegebenwar.Wir können doch diese drei Männer nicht kaltblütig

ermorden lassen,«sagtederPrinzde laRoche-sur-Yon,indemernachdemDegengriff.»Es ist wahr, Prinz, « antwortete der Herzog von

Montpensier,»undwahrhaftig,ichschämemich,daßwirsolangegewartethaben.«UndnunstürztensichauchdiebeidenjungenLeutein

Folge des Hilfegeschreis von La Briche auf denKampfplatz,indemsieihrerseitsriefen:»Haltet fest, ihr Herren! wir sind da! auf Tod und

Leben!«Die tire-soie, die schon vorher drei Männer zu

bekämpfengehabt,bereitszweivondenihrigenverlorenhattenund jetztdieseneueVerstärkung in ihrenRückenfallen sahen, beschlossen eine letzte Anstrengung zuversuchen,obschonsienurnochneungegenfünfwaren.Der Anführer blieb mit fünf Mann den drei ersten

Angegriffenengegenüber stehen,währendvierBanditen

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Rechsumkehrtmachten,InndieHerrenvonMontpensierunddelaRoche-sur-Yonzuempfangen.»Also auf Tod und Leben, meine Herren, da Ihr es

durchauswollt,«riefderAnführer.»AufTodundLeben!«wiederholtedieganzeBande.»Ei,ei,wieIhrinsZeuggehtKameraden!aufTodund

Leben?«sagtederEdelmann,derausdemHotelColignygekommenwar.»Nunwohldenn,ja,aufTodundLeben!Da...«Undindemersoweitausschritt,alsseinekurzeTaille

ihm gestatten, rannte er einem der Eingreifer seinenDegendurchdenLeib.Der Verwundete stieß einen Schrei aus, that drei

SchrittesrückwärtsundfieltodtaufdasPflaster.»Ein hübscher Stoß!« sagte der Edelmann, der zuerst

angehaltenworden.»AberichglaubeichkannEuchmiteinemähnlichenaufwarten.Seht...«Damit schritt er ebenfalls ausund stieß seinenDegen

bisansHefteinemBanditenindenBauch.Beinahe zu gleicher Zeit verschwand der Dolch des

Herzogs von Montpensier die zum Griff in der KehleeinesseinerGegner.DieBanditenwarennurnochsechsgegen fünf, d. h. sie begannen die Schwächeren zuwerden,alsaufeinmaldieThürdesHotelsColignyweitaufgingundderAdmiral,gefolgtvonzweiFackelträgernund vier bewaffnetenLakaien, in einemSchlafrock und

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mit seinem bloßen Degen in der Hand unter demleuchtetenGewölbeerschien.»Heda,ihrLumpenhunde!«riefer,»wasistdas?Man

säuberedieStraßeundzwarschnell,sonstlasseichEuchallezusammenwieRabenamHauptthoremeinesHotelsannageln.«DannwandteersichgegenseineLakaienundsagte:»DraufKinder!gehtdiesenSchlingelnzuLeibe.«ErgingselbstmitdemBeispielvoranundstürztesich

aufdasSchlachtfeld.JetztwarkeinWiderstandmehrmöglich.»Fliehewer kann!« rief derAnführer, indem er, aber

etwas zu spät, einen Degenstoß parierte, der noch dieKrafthatte ihmdurchdenArmzudringen.»Fliehewerkann,esistderPrinzvonCondé!«Damit machte er eine schnelle Wendung nach links

undliefeiligstdavon.Unglücklicherweise konnten fünf seinen Kameraden

diesewohlgemeinteMahnungnichtbenützen.Vierlagenzu Boden, und der fünfte mußte sich an die Mauerlehnen,umnichtzufallen.Er war in diesen Zustand durch den Prinzen de la

Roche-sur-Yon versetzt worden, so daß Jeder seineSchuldigkeitgethanhatte.Auf Seiten der Edelleute gab es nur Ritzen oder

unbedeutendeWunden.

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Als der zuerst angegriffene Edelmann zu seinemgroßenStaunenerfuhr, daßderjenige, der ihmzuerst zuHilfegekommen,keinAndereralsderPrinzvonCondéwar, wandte der sich gegen ihn, verbeugte sichehrfurchtsvollundsprach:»GnädigsterHerr, ich habe derVorsehung doppelt zu

danken:«erstensdaßsiemichgerettet,zweitens,daßsieden tapfersten Edelmann Frankreichs, möge es diesenedeln Herren nicht mißfallen, zum Werkzeug meinerRettunggewählthat.«»Wahrhaftig, meine Herren, « antwortete der Prinz,

»ichschätzemichglücklich,daßmichderZufallindieserNacht zumeinemVetter demAdmiral, geführt hat,wasmirGelegenheit verschaffteEuchnützlich zu sein. Jetztdanket Ihrmir fürdasWenige,was ich fürEuchgethanhabe,insoschönenAusdrücken,daßichEuchverbundenwäre,wennIhrmirEurenNamenssagenwolltet.«»GnädigsterHerr,ichheißeGottfriedvonBarri.«»Ah!«fielCondéein,»BaronvonPerigord,Herrvon

laRenaudie?»»Einer meiner guten Freunde, « sagte»der Admiral,

indem er la Renaudie die :eine und dem Prinzen vonCondédieandereHand reichte.»Aber ich täuschemichnicht, « fuhr er fort, »es ist schon lange her, daß dasPflaster den Königs eine so schöne und so guteGesellschaft zusammengeführt hat — der Herr Herzog

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vonMontpensierundderPrinzdelaRoche-sur-Yon?«»In Person, Herr Admiral, « fragte der Prinz de la

Roche-sur-Yon,währendlaRenaudiesichgegenihnundseinen Cameraden wandte nun Beide begrüßte; »undwenn es diesen armen Teufeln angenehm sein kann zuerfahren, daß diejenigen, welche ihnen ihre Pässe nachder Hölle ausgestellt haben nicht gerade Bauernlümmelsind,somögensieruhigundzufriedensterben.«»Meine Herren, « sagte der Admiral »das Hotel

Colignystehtoffen.Damitwill ichEuchsagen,daßIhr,wenn Ihrmir die Ehre erweisenwollt hinaufzukommenundeinigeErfrischungenanzunehmen,willkommenseinwerdet.«»Dank, meint Vetter!« antwortete Herr von Condé.

»Ihrwißt,daßichEuchvorzehnMinuteninderAbsichtverließnachHausezugehen.Ichahntenicht,daßichdasVergnügenhabenwürdevorEurerThüreeinenEdelmannzu treffen, dessen Bekanntschaft Ihr mir versprochenhattet.«UnderverbeugtesichhöflichgegenlaRenaudie.»Einem wackern Edelmann, den ich bei der Arbeit

gesehen habe, mein Vetter, und der sich meiner Treuvortrefflich dabei zu benehmen weiß, « fuhr der Prinzfort.»SeidIhrschonlangeinParis,HerrvonBarri?«»Ich komme eben erst an, gnädigster Herr, «

antwortete laRenaudie imTone tieferWehmuth, indem

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ereinenletztenBlickaufdenUnglücklichenwarf,denermit seinem letzten Degenstoß sterbend auf das Pflastergestreift hatte, »und ich hatte nicht erwartet, daß ich,nachdemichkaumeinehalbeStundeüberdenBarierrenwäre, den Tod eines Menschen verursachen und einemgroßenPrinzenmeinLebenverdankensollte.«»HerrBaron,«sagtesterPrinzvonCondé, indemer

mit seiner gewohnten Eleganz und Höflichkeit demjungenMann dieHand reichte, »seid versichert, daß esmirdasgrößteVergnügenbereitenwirdEuchwiederzusehen.DieFreundedesHerrnAdmiralssinddieFreundedesPrinzenvonCondé.«»Schön, mein lieber Prinz, « sagte Coligny in einem

Ton,welcher bedeutete : Es ist kein leeresVersprechenwas Ihr uns da gebt, und wir werden daraufzurückkommen.Dann wandte er sich gegen die jungen Leute und

fragte:»Und Ihr, gnädigste Herren, werdet Ihr mir die Ehre

erweiseninmeinHauszutreten?EheichderFeindEuresVaterswurde,Herr vonMontpensier, oder vielmehr eheer der meinige wurde, waren wir gute und lustigeCameraden. Ich hoffe, « fügte er mit einem Seufzerhinzu, »daß, nur die Zeiten sich verändert haben undnichtdieHerzen.«»Dank, Herr Admiral;« sagte der Herzog von

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Montpensier, indem er für sich und den Prinzen de laRoche-sur-Yon antwortete, denn Colignys Worte hattenhauptsächlich ihm gegolten: »wir würden EureGastfreundschaftmitgrößtemVergnügen,wennauchnurfüreinenAugenblickannehmen;aberesistweitvonhierins Hotel Condé: man muß über Brücken und durchschlimmeQuartiere gehen, undwir wollen den PrinzenumdieGunstersuchenunsereBegleitunganzunehmen.«»Gebt, meine Herren, und Gott behüte Euch! Im

UebrigenmöchteichallenParisertire-soieundtire-lainenichtrathen,dreiTapfere,wieIhrseidanzugreifen.«Diese ganze Besprechung fand auf demKampfplatze

selbst statt, unddieSieger hielten sie imBlute stehend,ohne daß Einer von ihnen, mit Ausnahme von laRenaudie,dereinerandernZeitanzugehörenschien,denfünf Unglücklichen, von denen drei bereits Leichenwaren, zwei aber noch röchelten, auch nur einen Blickschenkte.Der Prinz vonCondé, der Prinz de laRoche-sur-Yon

und der Herzog von Montpensier verabschiedeten sichvondemAdmiralundlaRenaudieundgingennachdemPont aux Mouline hinauf, da ein Edict den FährleutenverbotnachneunAbendsnochJemandüberzusetzen.Allein mit Renaudie geblieben, reichte der Admiral

ihmdieHand:»Ihrmeinerzumir,nichtwahr,meinFreund?«sagteer

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zuihm.»Ja, ich komme von Genf und habe Euch die

wichtigstenNachrichtenzubringen.«»Treteein!zujederStundedesTagsundderNachtist

meinHauedasEurige.«UnderzeigteihmdieoffeneThüredesHotels,dasauf

den Gast wartete, der unter dem Schutz des Herrnhereinkommensollte,daderHerrselbstihnsowunderbargerettethatte.WährenddieserZeiterzähltendiebeidenjungenLeute,

die,wieman sichwohl denkenkann, denPrinzennichtbegleitet hatten um ihm als Escorte zu dienen, sondernumihmdasAbenteuerzwischendemKönigundFräuleinvon St. André mitzutheilen, auf’s Umständlichste dieseganze Geschichte, welche er selbst mit noch vielgenaueren Details so eben dem Admiral hinterbrachthatte.DieNachrichtwar fürHerrnvonColignyganz frisch

gewesen.DieFrauAdmiralinwarnachHausegekommenund hatte sich in ihr Zimmer verschlossen, ohne nichtblos von diesem Ereigniß das sie nicht vorher sehenkonnte, sondern auch von dem Verlust des Billets, derersten Ursache des ganzen Haders, ein Wörtchen zusagen,sodaßHerrvonCondé,soguterauchüberallesAndere unterrichtet war, gleichwohl noch nicht wußte,auf welche Art und auf welche Indizien hin der ganze

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Hof,mitHerrnvonSt.AndréundHerrnvonJoinvilleander Spitze, im Saal der Verwandlungen eingedrungenwar.Dieß war ein Geheimnis, das die beiden jungen

Prinzenihmerklärenkonnten.Sie erzählten ihm also, indem sie wie die Schäfer

Virgils abwechselten,wie dieAdmiralin bis zuThränengelacht und dann ihr Schnupftuch aus der Taschegezogen, um ihreAugen zuwischen;wie siemit ihremSchnupftuchzugleicheinBilletherausgezogenhabe,dasaufdieErdegefallensei;wieHerrvonJoinvillesdiesesBilletaufgehobenundnachdemWeggangderAdmiralinderKöniginMutter übergeben;wie dieKöniginMutter,in der Meinung, besagtes Billet betreffe ihre guteFreundin die Admiralin persönlich, die Überrumpelungbeantragt habe, wie dieselbe in Folge einstimmigenBeschlusses ausgeführt worden, aber zuletzt auf dieHäupterderUrheberzurückgefallensei.Am Ende der Erzählung war man vor dem Hotel

Condé angelangt.DerPrinzmachte jetzt seinerseits denbeiden jungen Leuten den selben Antrag, welchen derAdmiral vorher der ganzen Gesellschaft gemacht hatte,alleinsie lehnten ihnab,gestanden jedoch ihrenwahrenGrundein.Siehaben,sagtensie,mitdieserBalgereidesHerrn la Renaudie eine kostbare Zeit verloren, und siebesitzen noch viele Freunde, denen sie dieselbeGeschichteerzählenmüssen.

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»Wasmich an demAbenteuer ammeisten ergötzt, «sagtederPrinzdelaRoche-sur-Yon,indemerHerrnvonCondé zum letztenMal dieHand drückte, »Das ist dasGesicht,dasderstilleAnbeterdesFräuleinsvonStAndréschneidenwird,wennerdieSacheerfährt.«»Wie!derstilleAnbeter?«sagtederPrinzvonCondé,

indem er die Hand des Herrn de la Roche-sur-Yonfesthielt,dieersoebenloslassenwollte.»EiderTausend,Ihrwißtdasnicht?«fragtederjunge

Mann.»IchweißgarNichtsmeineHerrenerwidertederPrinz

lachend.»Sprecht!Sprecht!«»Ahbravo!« riefderHerzogvonMontpensier, »denn

dasistnochdasSchönsteanderGeschichte.«»Ihr wußtet wirklich nicht, « fragte der Prinz de la

Roche-sur-Yon,»daßFräuleinvonSt.AndréaußereinemBräutigam und seinem Liebhaber noch einen stillenAnbeterhatte!«»UnddieserstilleAnbeter;«fragte,derPrinz,»werist

er?«»Ah,meiner Treu, diesmal fragt Ihrmich zuviel: ich

weißseinenNamennicht.«»Isterjung?isteralt?«fragtederPrinz.»MansiehtseinGesichtnicht.«»Wirtlich?«»Nein!eristimmerineinengroßenMantelgehülltder

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denganzenunternTheilseinesGesichtesverdeckt.«»Es ist irgend ein Spanier vom Hofe König Philipps

II.,«meintederHerzogvonMontpensier.»Und wo zeigt er sich, dieser stille Anbeter oder

vielmehrdieserSchatten?«»WennIhrnichtsoseltenimLouvrewäretmeinlieber

PrinzsowürdetIhrdasnichtfragen,«sagtederHerzogvonMontpensier.»Warum?«»Weil es seht bald sechsMonate sind, daß er, sobald

die Nacht anbricht, unter den Fenstern seiner Schönenspazierengeht.«»Bah!«»Esist,wieichEuchsage.«»UndIhrwißtdenNamendiesesMannesnicht?«»Nein.«»IhrhabtseinGesichtnichtgesehen?«»IhrhabtihnanseinerHaltungnichterkannt?«»EristimmerineinengroßenManteleingehüllt.«»UndIhrkönntEuchnichtdenken,weresistPrinz?«»Nein.«»NichtdenmindestenVerdacht,Herzog?«»Nichtdenmindesten.«»Man hat doch wohl irgend eine Vermuthung

aufgestellt?«

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»Eineunterandern,«sagtederPrinzdelaRoche-sur-Yon.»Welche?«»ManhatgesagtedaßIhresseit,fuhrderHerzogvon

Montpensierfort.»IchhabesovieleFeindeimLouvre.«»AbereswarNichtsdaran,nichtwahr?«»Ich bitte um Entschuldigung, meine Herrn, ich

war's!«Damit grüßte der Prinz die beiden jungen Leute

obenhin, kehrte in sein Hotel zurück und schloß dieThüre hinter sich zu, während, die Herren vonMontpensier und de la Roche-sur-Yon verblüfft auf derStraßestehenblieben.

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VIII.

WiedieMutter,soderSohn.

DieKöniginMutterhatteinderganzemNachtkeinAugezugethan.Bisher hatte ihr Sohn, ein schwaches kränkliches,

kaum mannbares, mit einer koketten jungen FrauverheiratheteKind, sich nurmit Liebe Jagd und Poesiebeschäftigt,dieFührungderGeschäfteaber,daswasdieKönige die Last des Staates nennen, und dessenErhaltunggleichwohl ihr einzigesDichtenundTrachtenist, vollständig ihr selbst und der Familie Guiseüberlassen.Catharinawar inmittender Intriguender italienischen

Politik, einer kleinlichen und stänkerischen Politik, diefüreinkleinesHerzogthumwieToskanagutseinmochte,abereinesgroßenKönigreichswieFrankreichzuwerdenbegann,unwürdigwar—aufgewachsen,undfürsiewardieMachtdasLeben.Was sah sie aber jetzt an dem Horizont

hervorschimmern,derdemihrigenentgegengesetztwar?EineNebenbuhlerinnichtumdieLiebe ihresSohnes—überdiesenVerlustwürdesiesichgetröstethaben—werselbst nicht liebt, kann keine Liebe verlangen, und sie

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liebtewederFranzII.NochCarlIX.DieumsichtigeFlorentinerinerschrackalso,alssiebei

ihremSohneeinGefühlgewährtedasihrunbekannt,dasihmnichtvonihrselbsteingegebenwordenwar,dassichohne sie entwickelt hatte und nun auf einmalmitten imHof mit einem Eclat zum Vorschein kam, der sieüberraschteundzwarsieselbstnachmehrüberraschtealsdieAndern.Ganz besonders erschrack sie, als sie denNamen der

Dame erfuhr, der ihr Sohn sich zugewendet hatte; dennzwischen den sechzehn Jahren des jungen MädchenshindurchhattesieinblitzendenStrahlendenEhrgeizdesWeibesglänzengesehen.SobaldesTagwurde, ließsiealso ihremSohnsagen,

sieseileidendundlasseihnersuchenzuihrzukommen.In ihrer eigenenWohnung konnte Catharina, wie ein

gewandter Schauspieler auf seinem Theater, ihren PlatzwählenunddieScenebeherrschen.SiestelltesichindenSchatten,wosiehalbunsichtbarblieb;ihren,GaststelltesieinsLicht,wosieAllessehenkonnte.Deßhalbgingsienicht selbst zu ihremSohn, sondern

schützte eineUnpäßlichkeit vor und ließ ihn um seinenBesuchbitten.Der Bote kam zurück, mit der Nachricht der König

schiefenoch.Catharina wartete ungeduldig noch eine Stunde und

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schicktevonNeuemhin.DieselbeAntwort.SiewartetemitsteigenderUngeduldnocheineweitere

Stunde.DerKönigschlieffortwährend.»Oh, oh!« murmelte Catharina, »die französischen

Prinzensindnichtgewöhnt so langezuschlafen.DieserSchlafistzuhartnäckigumnatürlichzusein.«Und sie verließ ihrBett,wo sie, in derHoffnung die

fein ausgedachte Scene halb durch die Vorhängeverborgen spielen zu können, gewartet hatte, und gabBefehlsieanzukleiden.DasTheaterverändertesich.AlledieVortheilewelche

CatharinainihrereigenerWohnungfürsichgehabthätte,mangelten ihr in der Wohnung ihres Sohnes. Aber siehieltsichfüreinesogewandteSchauspielerin,daßdieserScenenwechsel durchaus einen Einfluß auf dieEntwicklunghabenkönnte.IhreToilette ging schnell vonStatten und so bald sie

vollendetwar,begabsichCatharinainallerEilenachdenGemächernFranzII..Sie trat zu jeder Stunde bei demKönig ein,wie eine

MutterbeiihremSohneintritt.KeinerderBedientenoderOffiziere,dieimVorzimmerstanden,hättesichseinfallenlassensieanzuhalten.Sie ging also durch den ersten Saal, der nach der

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Wohnung des Königs führte, hob den Thürvorhang desSchlafzimmers in dieHöhe und er blickte ihn, nicht imBette liegend und schlafend sondern vor einerFensteröffnunganeinemTischsitzend.Den Ellbogen aus diesen Tisch gestemmt und den

Rücken der Thüre zugekehrt, betrachtete er einenGegenstand mit solcher Aufmerksamkeit, daß er nichthörte wie der Thürvorhang vor seiner Mutter sich hobundhinterihrwiederzufiel.Catharina blieb an der Thüre stehen. Ihr Auge, das

Anfangs über das Bett hinweggeschweift war, heftetesichaufFranzII.IhrBlickschleuderteeinenBlitz,worinwahrlichmehr

Haßals,Liebelag.Dannschrittsielangsamvor,undohnemehrGeräusch

zumachenalswennsieeinSchattengewesenwäreundkeinKörper,stütztesiesichaufdieLehnedesFauteuilsundschauteihremSohnesüberdieSchulter.Der König hatte sie nicht kommen gehört; er

betrachtetevollBegeisterungeinBilddesFräuleinsvonSt.André.Der Ausdruck in Catharina's Gesicht wurde wieder

fester und ging in Folge einer raschenMusekelzusammenziehung in den entschiedensten Haßüber.Dann lieh sie eine mächtige Rückwirkung auf sich

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selbsteintreten,sodaßalleMuskelnihresGesichtessichabspannten und das Lächeln auf ihre Lippenzurückkehrte.SieneigtejetztdenKopfbeinahesotief ,daßsieden

KopfdesKönigsberührte.Franz fuhr erschrocken zusammen, als er den lauen

HaucheinesAthemsinseinenHaarenverspürte.ErdrehtesichraschumunderkannteseineMutter.BlitzschnellkehrteerdasPortraitum,legteesmitder

Seite desGewölbes auf denTisch und hielt seineHanddarauf.Dann aber rollte er, stattwie gewöhnlich aufzustehen

undseineMutterzuküssendenLehnstuhlvonCatharinaweg.Hieraufgrüßteersiekalt.»Nunwohl,meinSohn,fragtedieFlorentinerin,alsob

sievondemgeringenGradderZärtlichkeit,derindiesemGrußelag,keineNotiznähme,»wasgehtdennvor?«»Ihrfragtmich,«wasvorgehe?«»Ja.«»Nichtssovielichweiß,meineMutter.«»Ich bitte um Verzeihung, mein Sohn, es muß etwas

Außerordentlichesvorgehen?«»Warumdenn?«»WeilesnichtEureGewohnheitistinlangeliegenzu

bleiben. Es istwahr,man hatmich vielleicht getäuscht,oderkannauchmeinBotefalschgehörthaben.«

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Franz gab keine Antwort, sondern betrachtete seineseineMutterbeinaheebensostarrwiesieihn.»Ich habe, fuhr Catharina fort, »seit diesem Morgen

viermalzuEuchgeschickt.Manhatmirgeantwortet,Ihrschlafetnoch.«Sie machte eines Pause; aber der König, schwieg

beharrlichundschautesie fortwährend,an,wiewennersagenwollte:»Nunweiter?«»Dieser beharrlicheSchlaf ? fuhrCatharina fort, »hat

michbeunruhigtundda ichfürchtete, Ihrmöchtetkrankgewordensein,sohinichselbstgekommen.«»IchdankeEuchMadame,«sagtederjungeFürstsich

verbeugend.»Ihr müßt mich nie so beunruhigen, Franz,« bat die

Florentinerin. »Ihr wißt, wie sehr ich Euch liebe, wietheuermir EureGesundheit ist. Spielet also nichtmehrmitdenBesorgnissenEurerMutter.Kümmernissegenugstürmenaufmichein,ohnedaßmeineKinder siedurchihreGleichgültigkeitgegenmichnochvermehren.Der junge« Mann schien einen Entschluß zu fassen.

EinblassesLächelnirrteüberseinenMund,undindemerseiner Mutter seine Rechte bot, während die LinkefortwährendaufdemBilderuhte,sagteer:»DankMutter;esistandemwasmanEuchgesagthat

etwasWahresnebenvielUebertreibung. Ichbin leidendgewesen, ich habe eine . . . unruhigeNacht gehabt und

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binzweiStunden,späteraufgestandenalsgewöhnlich.«»Oh!«machte,Catharinaganzbetrübt.»Aber, « fuhr Franz II. fort, »ich befinde mich jetzt

wieder vollkommen wohl und bin bereit mit Euch zuarbeiten;wennesEuchbeliebt.»Und warum, mein liebes Kind, sagte Catharina,

indem sie in einer ihrer Hände die Hand des KönigszurückhieltundanihrHerzdrückte,mitderanderndurchseineHaarestrich,»warumhabtIhreineunruhigeNachtzugebracht? Habe ich mir nicht die Last sämmtlicherStaatsgeschäfte vorbehalten und Euch blos die FreudendesKönigthumsüberlassen?Wieskommtes,daßJemandes sich erlaubt hatEuch eineMühe zubereiten, die nurmich allein angeht? denn ich denke mir, daß dieInteressen des Staates es waren die Euch beunruhigthaben.«»JaMadame,»antworteteFranzmitsolcherHast,daß

CatharinadieLügeerrathenhabenwürde,wennsienichtzumVorausdiewahreUrsachederUnruhedieser inderThatsehraufgeregtenNachtgewußthätte.Aber sie hütete sich wohl den mindesten Zweifel zu

äußern und stellte sich im Gegentheil, als oh sie denWortenihresSohnesvollkommenGlaubenschenkte.»IrgendeinengroßenEntschlußzufassen,nichtwahr?

Fuhr Catharina fort, die es offenbar darauf abgesehenhatte ihren Sohn tüchtig in die Enge zutreiben; »einen

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Feindzubekämpfen,eineUngerechtigkeitwiedergutzumachen, ei e Steuer zu erleichtern, ein Todesurtheil zubestätigen?»BeidiesenWortendachteFranzII.Wirklichdaran,daß

man ihn Tags zuvor ersucht hatte die Hinrichtung desRathsDubourgaufdenheutigenAbendfestzusetzen.Er ergriff lebhaft die Antwort, die ihm in denMund

gelegtwurde.»Ganz richtig! das ist’s,meineMutter,» sagte er. »Es

handeltsichumeinTodesurtheil,daseinMensch,wenndieser Mensch auch König ist, an einem andernMenschen vollstrecken lassen soll. Ein Todesurtheil istimmer eine so ernste Sache, daß Ihr hierin denwahrenGrund der Unruhe sehen könnt, worin ich mich seitgesternbefinde.«»Ihr fürchtet Euch den Tod eines Unschuldigen zu

unterzeichnen,nichtwahr?«»DesHerrnDubourg,ja,meineMutter.«»Das zeugt von einem guten französischen Herzen,

und Ihr seid der würdige Sohn Eurer Mutter. Aber indieser Beziehung ist glücklicher Weise kein Irrthummöglich. Der Rath Dubourg ist von drei verschiedenenGerichtsbarkeitenderKetzereischuldigerkannt,unddieUnterschrift, die man von Euch verlangt, damit dieHinrichtung heute Abend statt finden kann, ist eineeinfacheFormalität.«

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»GeradedasistdasFurchtbare,meineMutter,«sagteFranz, »daß eine einfache Formalität genügt, « einemMenschendasLebenzunehmen.«»Euer Herz ist gediegen Gold, mein Sohn,« sagte

Catharina, »und oh wie stolz hin ich auf Euch!Gleichwohl müßt Ihr Euch beruhigen. Das StaatswohlgehtdemLebeneinesMenschenvor,undimgegebenenFall braucht Euch der Tod des Rathes um so wenigerBedenkenzuerregenalsdieserTodterstensgerechtundzweitensnothwendigist.«»EsistEuchnichtunbekanntmeineMutter,«sagteder

jungeMannerblassendundnacheinemaugenblicklichenZögerndaßichzweiDrohbriefeempfangenhabe.«»LügnerischeMemme!«murmelteCatharinazwischen

ihrenZähnen.DannantwortetesiemiteinemLächeln:»Mein Sohn, just weil Ihr diese zwei Drohbriefe in

BetreffdesHerrnDubourgempfangenhabt,müßtIhrihnverurtheilen; sonst würde man glaube, Ihr habetDrohungennachgegebenundEureNachsichtseiAngst.««Ah,«sagteFranz,»undIhrglaubetDas?«»Ja, ichglaubees,meinSohn,«antworteteCatharina,

»während imGegentheil,wenn Ihr bei TrompetenschallzuerstdiezweiDrohbriefeundgleichdaraufdasUrtheilöffentlichverlesenlasset,großeEhreaufEuchundgroßeSchandeaufHerrnDubourgfallenwird.Allediejenigen

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die im Augenblick weder für noch gegen ihn sind,werdengegenihnsein.«Franzschienzuüberlegen.»Nach derArt dieser beidenBriefe, « fuhrCatharina

fort,»sollteesmichgarnichtwundern,wenneinFreundsiegeschriebenhätteundnichteinFeind.«»EinFreund,,Madame?«»Ja, « versicherte Catharina, »ein Freund, dem das

GlückdesKönigsundderRuhmdesReichesgleichsehramHerzenliegt.«Der junge Mann senkte sein trübes Auge unter dem

scharfenBlickseinerMutter.Dann richtete er nach kurzem Schweigen sein Haupt

wiederemporundfragte:»IhrselbsthabtwirdiesezweiBriefeschreibenlassen,

nichtwahr,Madame?«»Oh,« sagte Catharina in einem Ton, der ihre Worte

LügenStrafte,»ichsageDasnicht,meinSohn.«Catharina hatte einen doppelten Grund ihren Sohn

glauben zu lassen, daß die beiden Briefe von ihrkommen. Erstens beschämte sie ihn wegen seinerFeigheit,unddannbenahmsieihmdieFurcht,welchediebesagtenBriefeihmeinjagenkonnten.DerjungeMann,dendieseBriefewirklichinhöchsten

Grad beunruhigt hatten, und der noch immer einenZweifel behielt,warf seinerMutter einen raschenBlick

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vollZornundHaßzu.Catharinalächelte.»Wenn ermich erwürgenkönnte, « sagte sie bei sich

selbst,»sowürdeeresgewißindiesemAugenblickthun.AberglücklicherWeisekanneresnicht.«Also hatten weder die erheuchelteMutterzärtlichkeit,

noch die Ergebenheitsversicherungen, noch diekatzenartigen Schmeicheleien und LiebkosungenCatharina'saufFranzeinzuwirkenvermocht.DieKöniginMutter sah auch, daß ihre Befürchtungen in Erfüllunggehen würden, und daß sie im Begriff stand ihreHerrschaft über ihn zu verlieren, wenn sie nicht soschnellalsmöglichdiesemUnglückvorzukehrenwußte.Sie veränderte ihren Angriffsplan«, vollständig und

augenblicklich.Sie stieß einen Seufzer aus, schüttelte den Kopf und

gab ihrem Gesicht den Ausdruck der tiefstenNiedergeschlagenheit.»Ach, mein Sohn, « rief sie; »ich muß mich also

wirklich von Etwas überzeugen was ich nicht glaubenwollte,woranichaberjetztnichtmehrzweifelndarf.«»Vonwas,Madame?«fragteFranz.»MeinSohnsmeinSohn,«sagteCatharina indemsie

eineThräne zuHilfe zu rufen versuchte, »Ihr habt keinVertrauenmehrzuEurerMutter.«»Was wollt Ihr damit sagen?i« antwortete der junge

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MannimTonedüstererUngeduld.»Ich will damit sagen, Franz, daß Ihr auf einmal

fünfzehn Jahre tödtlicher Unruhe, fünfzehn JahrebeständigenWachensanEuremKissenvergesset;ichwilldamit sagen, daß Ihr die Beängstigungen vergesset, inwelche Eure kränkliche Kindheit mich versetzt, diebeständigenSorgen,womitmeineMutterliebeEuchvonderWiegeanumgebenhat.«»Ichbegreifeimmernochnicht,Madame;aberichbin

anGeduldgewöhntworden:ichwarteundhöre.«Und die geballte Faust des jungen Mannes verrieth

ganz und gar Nichts von der Sanftmuth, deren er sichrühmte, denn er drückte mit beinahe krampfhafterBewegungaufdasPorträtdesFräuleinsvonStAndré.»Nun wohl, « versetzte Catharina, »Ihr werdet mich

sogleich begreifen. Ich sage, dass in Folge der Sorgen,die ich um Euch gehabt habe, Franz, Euch ebenso gutkenne,alsIhrEuchselbstkennt.NunistdieseNachtsehrunruhevoll für Euch gewesen, das weiß ich, aber nichtweil Ihr an das Staatswohl gedacht, weil Ihr zwischenStrengeundNachsichtgeschwankthabt,sondernweildasGeheimniß Eurer Liebeshändel mit Fräulein von St.AndréansLichtgekommenist.«»MutterriefderjungeMann,demaltdieSchmachund

Wuth, die er in der letzten Nacht hatte verschluckenmüssen,zuKopfestieg.

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Franz, der gewöhnlich eine matte und ungesundeBlässehatte,wurderoth,wiewenneineBuntwolkeüberseinGesichthinzöge.Ererhobsich,hieltabermitderHandseineStuhllehne

krampfhaftfest.»Ah,Ihrwißtdas,Mutter?'«»Wiekindischihrseid,Franz!«sagteCatharinamitder

Gutmüthigkeit, welche sie so geschickt zu erheuchelnmußte;»alsobdieMütternichtAlleswüßten!«Franz stand stumm mit übereinander gebissenen

Zähnen,mitbebendenLippenda.CatharinafuhrmitihrersanftestenStimmefort:»Sehet, mein Sohn, warum habt Ihr mir denn diese

Leidenschaftnichtanvertraut?IchwürdeEuchallerdingseinigeVorwürfe gemacht, ichwürdeEuch allerdings anEureGattenpflichtenerinnert, ichwürdeEuchallerdingsdieAnmuth,Schönheit,denGeistderjungenKöniginvorAugenzuführenversuchthaben...«FranzschütteltemitdüsterenLächelndenKopf.»DaswürdeNichtsgefruchtethaben?«fuhrCatharina

fort. »Nunwohl,wenn ichgesehenhättedaßdasUebelunheilbar war, so würde ich es nicht mehr zu heilenversucht, sondern Euch meinen Rath erteilt haben. IsteineMutternichtdiesichtbareVorsehungIhresKindes?undwenn ich Euch so entzückt von Fräulein St.Andrégesehenhätte—dennIhrliebetsiesehr,wieesscheint..

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.«»Ja,Madame,sehr.«»Nunwohl,dannhätteichmeineAugenverschlossen.

IchhättedießalsMutterleichterthunkönnen,alsichesin meiner Eigenschaft als Gattin konnte. Mußte ich esnicht fünfzehn Jahre lang mit ansehen, daß Frau vonValentinois das Herz Euren Vaters mit mir theilte, jasogar, daß sie esmanchmal gänzlichmir entriß?GlaubtIhrnun,daßeineMutternichtfürihrenSohnthunkönne,waseineFraufürihrenGattengethanhat?SeidIhrnichtmeinStolz,meineFreude,meinGlück?Woherkommtesalso, daß Ihr heimlich geliebt habt, ohne es mir zusagen?«»Mutter,« antwortete Franz II. mit, einer

Kaltblütigkeit, die einer Verstellungskraft sogar inCatharina's eigenen Augen Ehre gemach haben würde,wenn sie hätte ahnen könne, was folgen sollte,»Mutter,Ihr seid in Wahrheit so gütig gegen mich, daßmichschämenwürdeEuchlängerzutäuschen.Nundenn,jaichgestehees,ichliebedasFräuleinvonSt.André.«»Ah!«sagteCatharina,»Ihrsehetwohl....«»Bemerkt,Mutter,«fuhrder jungeMannfort,daßIhr

heutezumerstenMalvondieserLiebemitmirsprechet,unddaßich,wennIhrfrüherdavongesprochenhättet,daichkeinenGrundhabesievorEuchzuverbergen,indemdieseLiebenichtblos in,meinemHerzen,sondernauch

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in meinWillen liegt, sie Euch schon früher gestanden;habenwürde.«»InEuremWillen,Franz?«fragteCatharinaerstaunt.»Ja, nicht wahr, das wundert Euch, daß ich einen

Willen habe? Aber ich muß mich über Etwas wundernfuhr der junge Mann fort, indem er sie fest anschaute,»nämlich, daß Ihr so eben diese Comödie vonMutterzärtlichkeit bei mir aufführet, während Ihr dochselbst heute Nacht mein Geheimniß dem Spotte desHofespreisgabet,währendIhrdieeinzigeUrsachedessenseid,wasvorgefallenist.«»Franz!«riefdieKöniginMutterimmererstaunter.»Nein« fuhr der jungeMann fort, »neinMadame ich

schlief heute früh nicht, als nach mir schicktet. Ichsammelte alle Notizen über die erste Ursache diesesAergernisses,undausAllemwasicherfahrenkonnte,istfürmichdieGewißheithervorgegangen,daßIhrmirdieSchlingegelegthabt,indieichgefallenbin.«»Mein Sohn! mein Sohn! Bedenket wohl was Ihr

saget!«antworteteCatharinamitübereinandergebissenenZähnen,indemsieihremSohneinenBlick,funkelndundspitzigwieeineDolchklinge,zuwarf.»Für'sErsteMadame,laßtunsüberEinesklarwerden,

nämlichüberdas,daßzwischenunsvonSohnundMutterkeineRedemehrseinkann.«Catharina machte eine Bewegung, die zwischen

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DrohungundFurchtdieMittehielt.»Es ist ein König da, der, Gott sei Dank majorenn

gewordenist;esisteineKöniginRegentinda,die,sobaldder König es will, Nichts mehr mit denStaatsangelegenheiten zu schaffen hat. Man regiert inFrankreichmit vierzehn Jahren,Madame, und ich habesechzehn. IchbindieserKinderrollemüde,die Ihrmichnochimmerspielenlast,währendsiesichfürmeinAlternichtmehrschickt. IchbinesmüdeeinGängelbandummeinen Leib zu verspüren, als ob ich noch einWickelkindwäre.Kurzundgut,Madame,undumAlleszusagen,vonheuteanwird,wennesEuchbeliebt,Jedesvon uns seinen wahren Platz einnehmen. Ich bin EuerKönig,Madame,undIhrseidblosmeineUnterthanin.«Hätte der Blitz in das Zimmer geschlagen, er hätte

keine furchtbarere Wirkung hervorbringen können alsdiese zermalmende Erklärung, die mitten in Catharina'sPläne hineinplatzte. Es war also wahr, was sie blos inihremheuchlerischenSpott zu sagengeglaubt hatte. Siehatte sechzehn Jahre lang dieses mit der englischenKrankheit behaftete Kind erzogen, gepflegt, geleitet,unterwiesen;siehattegleichdenThierbändigernunsererTage diesen jungen Löwen geschwächt, erschöpft,entnervt, und siehe da, auf einmal erwachte der jungeLöweundzeigteknurrendseineTatzen,schoßglühendeBlicke auf sie, fuhr in der ganzen Länge seiner Kettegegen sie los.Werkonnte dafür haften, daß er sie nicht

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verschlingenwürde,wennerdieseKettezerriß?SiewichvollEntsetzenzurück.Für eine Frau wie Catharina vonMedici lag in dem

was sie gesehenundgehört hattewirklichGrundgenugumzuzittern.Undwassievielleichtammeistenerschreckte,daswar

nichtderAusbruchamEnde,sonderndieVerstellungamAnfang.Verstellungskunstwar für sieAlles ; dieKraft dieser

verschmitztenPolitik,welchesieausFlorenzmitgebrachthatte;wardieVerstellung.UndeineFrau,einjungesMädchen,beinahenochein

Kind hatte diese Veränderung hervorgebracht, hattedieses krankhafte Geschöpf regenerirt, diesemschwächlichen Wesen die Kühnheit gegeben dieseltsamenWortezusprechen:»VonheuteanbinichEuerKönig,undIhrseidblosmeineUnterthanin.«»MitdemWeib,dassdiesemerkwürdigeUmwandlung

bewerkstelligt hat,« dachte Catharina, »mit dem Weib,dasdiesesKindzumManne,diesenSclavenzumKönig,diesenZwergzumRiesengemachthat,mitdiesemWeibekannichdenKampfwohlwagen.«Dann murmelte sie, gleich als wolle sie sich wieder

Kräftegeben:»Beim wahrhaftigen Gott, ich war es müde blos mit

einemPhantomzuthunzuhabend.«

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»Also, « sagte sie hierauf, vollkommen bereit diesenKampf, so unerwartet er auch kam aufzunehmen, »alsomich beschuldigt Ihr den Scandal der heutigen Nachtveranlaßtzuhaben?«»Ja,«antwortetederKönigtrocken.»IhrbeschuldigtEureMutter,ohneihrerSchuldgewiß

zusein.DaszeugtvoneinemgutenSohn.«»WerdetIhrsagen,Madame,daßderSchlagnichtvon

Euchausgegangensei?«»Ja,daskannichsagen.«»Aber wer hat denn das Geheimniß meines

RendezvousmitFräuleinvonSt.Andréverrathen?«»EinBillet.«»EinBillet?«»Ein Billet, das aus der Tasche der Frau Admiralin

gefallenist.«»WieunzeitigerScherz!«»Gottbewahremichdavor,daßichmitEtwasscherzen

sollte,wasEucheinSchmerzist,meinSohn!s»AbervonwemwardiesesBilletunterzeichnet?«»EstrugkeineUnterschrift.«»Vonwemwaresgeschrieben?«»DieHandschriftwarmirunbekannt.«»Nun,wasistdennausdemBilletgeworden?«»Hier ist es,« sagte dies Königin Mutter, die es

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behaltenhatte.UndsieüberreichteesdemKönig.»DieHandschriftvonLanoue!«riefderKönig.Nach einer Secunde sagte er sodann mit steigender

Verwunderung::»EsistmeinBillet.«»Ja, aber gesteht; daß nur Ihr allein es erkennen

konntet.«»UndIhrsagt,diesesBilletseiausderTaschederFrau

Admiralingefallen?«»Sogewiß,daßJedermannglaubte,eshandlesichum

sie, und daßman sie überrumpeln wollte; sonst,« fügteCatharinamitAchselzucken und verächtlichemLächelnhinzu, »wie könnt Ihr sonst glauben, daß die zweiPersonen,dieIhrbeimAufschlagenderAugenbemerkt,der Marschall von St. André und Herr von Joinvillegewesenwären?«»UnddasGeheimnißdieserganzenIntrigue,diegegen

michundeinevonmirgeliebtePersongerichtetist?«»DieFrauAdmiralinalleinkannesEuchsagen.«Franz führte ein goldenes Pfeifchen an seine Lippen

undthateinengeltenPfiff.EinOffizierhobdenThürvorhang.»Man gehe schnell ins Hotel des Admirals Rue de

BethisyundsagederFrauAdmiralin,daßderKönigsieaugenblicklichsprechenwolle.«

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AlsFranzsichumdrehte,begegneteerdemfestenunddüsternBlick,denseineMutteraufihnheftete.Erfühlte,daßerrothwurde.»IchbittekamVerzeihung,Mutter,sagteerbeschämt,

daß seine Anklage falsch gewesen, »ich bitte Euch umVerzeihung,daßichVerdachtaufEuchgeworfenhabe.«»IhrhabtmehralsVerdachtaufmichgeworfen,Franz,

Ihr habt mich schwer und hart angeschuldigt. Aber ichbinnicht;umsonstEureMutter,undichbingeneigtauchnochandereAnklagezuertragen.«»Mutter!«»Laßtmich fortfahren,«sagteCatharina, ihreBrauen

runzelnd;denndasiefühlte,daßihrGegnersichbog,sobegriffsieauch,daßdießderAugenblickwaraufihnzudrücken.»IchhöreEuchan,Mutter,«sagteFranz.»Ihr habt Euch also zuerst darin getäuscht, und

zweitens habt Ihr Euch noch weit schwerer daringetäuscht,daßIhrmichEureUnterthaninnanntet.Ichbineben so wenig Eure Unterthanin, versteht Ihr mich, alsIhrmeinKönig seid und je seinwerdet. IchwiederholeEuch, daß Ihrmein Sohn seid,Nichtsmehr undNichtsweniger.«DerjungeMannknirschtemitdenZähnenundwurde

todtenblaß.»Ihr selbst, meineMutter sagte er mit einer Energie,

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welche Catharina nicht bei ihm vermuthet hatte, »IhrselbstbefindetEuchineinemseltsamenIrrthum;ichbinEuerSohn,dasistwahrabgesehenweilichEuerältesterSohn bin, bin ich zu gleicher Zeit der König, und ichwerdeesEuchbeweisen,meineMutter.«»Ihr!« sagte Catharina, indem sie ihn anschaute wie

eine Schlange, die im Begriff ist loszufahren, »Ihr . . .König...UndIhrwerdetmirbeweisen,daßIhresseid,sagtIhr?«Sie brach in ein höhnisches abgestoßendes Gelächter

aus.»Ihrwerdet esmir beweisen . . .und aufwelcheArt?

GlaubtIhrEuchdennfähigesElisabethvonEnglandundPhilipp II. von Spanien in der Politik gleichzuthun? Ihrwerdet mirs beweisen! Wie? Indem Ihr die guteHarmonie zwischen den Guisen und den Burbonen,zwischen den Hugenotten und Katholikenwiederherstellt?Ihrmeidetesmirbeweisen!EtwaindemIhr Euch an die Spitze der Armeen stellt, wie EuerAhnherr Franz I. oder Euer Vater Heinrich II,? ArmerJunge! Ihr König!Wisset Ihr denn nicht, daß ich EuerSchicksal und Eure Existenz zwischen meinen Händenhalte? Ich brauche bloß ein Worts zu sagen, und dieKrone gleitet von Eurem Haupte; ich brauche blos einZeichen zumachen, und die Seele entfliegt aus EuremKörper. Schaut und höret, wenn Ihr Augen und Ohrenhabt,undIhrwerdetsehen,meinHerrSohn,wiedasVolk

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seinen König behandelt. Ihr! König! Unglücklicher derIhr seid! Der König, das ist der Stärkere . . .und nunschautEuchselbstunddannschautmichan.««Catharina war furchtbar anzusehen als sie diese

letztenWortesprach.Sie trat drohend wie ein Gespenst auf den jungen

Königzu,derdreiSchrittezurückwichundsichaufdieStuhllehne stützt, wie wenn er im Begriff wäre inOhnmachtzufallen.»Ha!«sagtehieFlorentinerin,»Ihrsehtwohl,daßich

noch immer die Königin bin und daß Ihr blos eindummes schwachesRohr seid, das der geringsteHauchzuBodenbeugt; und Ihrwollt regieren . . . aber suchetdochumEuchherDiejenigendieinFrankreichregieren,Diejenigen welches die Könige sein würden wenn ichnicht dawäre, um siemit der Faust zurückzustoßen, sooftsieihrenFußaufdieersteStufeEuresThronessetzenwollen. Seher Herrn von Guise zum Beispiel, diesenSchlachtengewinner, diesen Städteeroberer: aber er isthundertFußhoch,meinHerrSohnundIhrreichtihmmitEuremKopfsammtEurerKronenichtandieFerse.«»Nun,wohlmeineMutter,ichwerdeHerrnvonGuise

indieFersebeißen.AnderFersewurdeAchillesgetötet,wiemanmirgesagthat,undichwerdeihnundEuchzumTrotzregieren.«»Ja, ja, und wenn ihr Herr von Guise in die Ferse

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gebissenhabenwerdet,wennEuerAchillesnichtandemBiß,sondernandemGiftgestorbenseinwird,werwirddann die Hugenotten bekämpfen? Täuschet Euch nichthierin, Ihr seidweder schönwie Paris, noch tapfer wieHector.WißtIhr,daßIhrnachHerrnvonGuisenurnocheineneinzigengroßenFeldherrninFrankreichhabt,dennich hoffe doch, daß Ihr Euren Dummkopf von einemConnetabelvonMontmorency,dersichsichnochinallenGefecht wo er commandirte hat schlagen lassen, undEurenHöfling von einemMarschall von St.André, dernurindenVorzimmerngesiegthat,nichtdarunterzählenwerdet. Nein, Ihr habt nur noch einen einzigen großenFeldherrn, und Dieß ist Herr von Coligny. Nun wohl,dieser große Feldherr mit seinem Bruder Dandelot, derbeinaheebensogroß istwieer,wird,wennnichtschonheute,dochmorgenanderSpitzederfurchtbarstenParteistehen, die jeweils einen Staat bedroht hat. Betrachtetdieses Leute und denn betrachtet Euch; vergleicht Euchmitihnen,sowerdetIhrsehen,daßsiegewaltige, inderErde festgewurzelte Eichen sind, während Ihr blos einerbärmliches Rohr seid des sich unter demHauch allerParteienkrümmtundbiegt.«»Aberwas verlangt Ihr denn eigentlich vonmir?Bin

ichdennblos einWerkzeug inEuren,Händen, und sollichmichdareinergebeneinSpielzeugEuresEhrgeizeszusein?«Catharina unterdrückte das vergnügte Lächeln das im

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Begriff war auf ihre Lippen zu schweben, um sie zuverrathen.SiebegannihreMachtwiederzuergreifen,sieberührte mit den Fingerspitzen den Faden der warMarionette, die einen Augenblick sich vermessen hatteallein handeln zuwollen, und sie trafAnstalten sie vonNeuemnachihremBeliebeinBewegungzusetzen.AbersiewollteihrenTriumphnichtzeigen,undentzücktüberdiesenAnfangderNiederlageihresGegnersbeschloßsieihrenSiegzuvervollständigen.»Was ich will, was ich von Euch verlange, mein

Sohn,«sagtesiemitihrerheuchlerischenStimme,dieinihrer Fuchsschwänzelei vielleicht furchtbarer war als inder Drohung, »das ist höchst einfach: ich will daß Ihrmich Eure:Macht fest begründen, Euer Glück sicherstellenlasset,nichtmehrundnichtweniger.WasliegtmitanallemÜbrigen?Denkeichetwaanmichselbst,wennich so spreche und wenn ich handle wie ich spreche ?Sind nicht alle meine Anstrengungen darauf gerichtetEuch glücklich zu machen? He, mein Gott! Glaubt Ihrdenn,daßdieLasteinerRegierung inangenehmundsoleichtsei,daßesmirVergnügenmachesiezutragen?IhrsprechtvonmeinemEhrgeiz.Ja,ichhabeeinenEhrgeiz,nämlich so lange zu kämpfen, bis ich Eure Feindeniedergeworfen, oder bis sie sich wenigstens einer umdenanderenabgenützthaben.Nein,Franz, sagtesiemitscheinbarer Gemüthlichkeit, »sobald ich in Euch denManns seheden ichwünsche,denKönigden ichhoffe,

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werdeichEuchmitFreuden,daskönntIhrmirglauben,die Krone, aufs Haupt setzend und den Scepter in dieHände legen. Aber, wenn ich es heute schon thäte, sowürde ichEuch statt: desScepters, ein schwachesRohrgeben, statt der goldenenKrone eineDornenkrone aufsHaupt setzen. Wachset heran mein Sohn! kommt zuKräften reifet unter den Augen Eurer Mutter wie einBaum unter dem Blick der Sonne, und dann, wenn Ihrgroß,starkundreifseid,dannseidKönig.«»Was muß ich also zu diesem Behuf thun, meine

Mutter?«riefFranzinbeinaheverzweifeltemTone.»Das will ich Euch sagen, meins Sohn Ihr müßt vor

allenDingendem,Weib entsagen das die ersteUrsachevonAllemist.«»DeinFräuleinvonSt.Andréentsagen!«riefFranzder

sichaufAlles,nuraufdieseBedingungnichtgefaßthielt;»demFräuleinsvonStAndréentsagen!i«wiederholteermit concentrirter Wuth. »Ha! Darauf also wolltet Ihrhinauskommen?«»Ja,meinSohn,«sagteCatharinakalt,»Ihrmüsstdem

FräuleinvonSt.Andréentsagen.«Niemals,Mutter?«antworteteFranzinentschlossenem

Ton und mit der Energie; die er im Verlauf dieserBesprechungschonzweioderdreimalbewiesenhatte.»Ich bitte Euch um Verzeihung, Franz,« sagte die

Florentinerin irr demselben sanften, aber absolutenTon,

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»Ihr müßt ihr entsagen, das ist der Preis den ich aufunsereVersöhnungsetze;wonichtnicht!«»Ihr wißt also nicht, daß ich sie hie zum Wahnsinn

liebe,meine,Mutter?«CatharinalächelteüberdieseNaivitätihresSohnes.»WowäredenndasVerdienstEurerEntsagung,wenn

IhrsieNichtliebtet?«sagtesie.»Aberwarumdennihrentsagen,meinGott!«»ImInteressedesStaates.«»Was hat denn das Fräulein von St. André mit den

InteressendesStaateszuschaffen?«riefFranzII.«»SollichsEuchsagen?«fragteCatharina.Aber der König unterbrach sie, wie wenn er zum

VorausnichtanihrerLogikzweifelte,undsagte:»Hört mich an, Mutter ich kenne den überlegenen

Geist, den Gott in Euch gelegt; ich erkenne dieSchlaffheitundTrägheit,womitermichbedachthat;kurzicherkenneEuregegenwärtigeundzukünftigeAutoritätan,ichverlassemichinpolitischenDingen,undsobaldessich um die Interessen des Reiches handelt, das Ihr soweise verwaltet, blindlings auf Euch. Aber um diesenPreis, meine Mutter, um den Preis der Abtretung« all,dieserRechte,dieeinemAndern,sokostbarwären,bitteich Euch mir in meinen eigenen Angelegenheiten freieHandzulassen.«»In jedemandernFall, ja!Und ichglaubtesogar,daß

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Ihr indieserSachemirNichtsvorzuwerfenhättet.Aberheute,nein!«»Und warum nicht heute? warum diese Strenge in

BezugaufdieeinzigeFrau,dieichnochwahrhaftgeliebthabe?«»WeildieseFraumehralsjedeandere,meinSohn,den

BürgerkrieginEurenStaatenherbeiführenkann,weilsiedie Tochter des Marschalls von St André, eines EurerergebenstenDienerist.«»IchwerdeHerrn von St. André als Commandant in

irgend eine große Provinz schicken, dann wird er dieAugen zudrücken. Ueberdieß ist Herr von St André indiesemAugenblick gänzlich von seiner Liebe zu seinerjungen Frau in Anspruch genommen, und seines jungeFrauwird sehr froh sein,voneinerStieftochtergetrenntzuwerden,dieanGeistundSchönheitihrwetteifert.«»Es ist möglich, daß dieß bei Herrn von St. André

zutrifft, dessen Eifersucht sprichwörtlich geworden ist,und der seine Frau eingeschlossen hält gerade wie einSpanierausdenZeitendesCid.AberHerrvonJoinville,derFräuleinvonSt.Andréleidenschaftlichliebteundsieheirathen sollte, wird er seine Augen auch zudrücken?undwenneresselbstausAchtungvordemKönig thut,wird er wohl auch seinem Oheim, dem Cardinal vonLothringen, und seinemVaters demHerzog von Guise,die Augen verschließen können? In Wahrheit, Franz,

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erlaubt wir Euch zu sagen, Ihr seid ein armseligerDiplomat,undwennEureMutternichtwachte,sowürdein den nächsten acht Tagen der erste beste KronendiebEuchEureKronevomHauptnehmen,wieeinnächtlicherStraßendieb einem Spießbürger seinen Mantel über dieSchultern zieht. Zum letztenMal,mein Sohn, IhrmüßtdiesemWeibentsagenundumdiesenPreis,versteht Ihrmich,versöhnenwirunsoffen,daswiederholeichEuch,und ich werde die Sache mit dem Herrn von Gleisebeilegen. Begreifet Ihr mich und werdet Ihr mirgehorchen?«»Ja meine Mutter, « sagte Franz II., »ich begreife

Euch,aberichwerdeEuchnichtgehorchen.«»Ihrwerdetmirnichtgehorchen!«:riefCatharina,die

zum ersten Mal auf eine Hartnäckigkeit stieß, welchegleich dem Riesen Antäus neue Kräfte gewann, wennmansieüberwundenglaubte.»Nein,«fuhrFranzII.fort,»neinichwerdeEuchnicht

gehorchen,undichkannEuchnichtgehorchen.Ich;liebe,sage ich Euch; ich befindemich in den ersten StundeneinererstenLiebe,undNichtskannmichzwingenihrzuentsagen. Ichweiß,daß ichaufeinendornenvollenWeggerathen bin; vielleicht führt er mich zu einemunglücklichenZiel;aberichsageEuch,ichliebeundichwillüberdiesesWortnichthinaussehen.«»DasistEuerfesterEntschluß,meinSohn?«

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In diesen Worten mein Sohn, die gewöhnlich imMunde einer Mutter so sanft klingen, lag ein TonunbeschreiblicherDrohung.»Es istmein fester Entschluß,Madame, « antwortete

FranzII.»Ihr nehmet die Folgen Eurer tollen Starrköpfigkeit,

wiesieauchseinmögen,aufEuch?«»Wiesieauchseinmögen,ichnehmesieaufmich,ja.«»Dann, adieu, mein Herr ich weiß was mir zuthun

übrigbleibt.«»Adieu,Madame!«Catharina that einige Schritte gegen die Thüre und

hieltinne.»IhrwerdetesblosEuchselbstzuzuschreibenhaben,«

sagte sie, indem sie es mit einer letzten Drohungversuchte.»Ichwerdeesnurmirselbstzuschreiben.«»Bedenket, daß ich keinen Antheil an diesem tollen

Entschluß habe, den Ihr da faßt, gegen Eure wahrenInteressen zu kämpfen; daß, wenn Euch oder mir einUnglück widerfährt, die ganze Verantwortlichkeit aufEuchalleinlastenwird.«»Es sei, meine Mutter, ich nehme diese

Verantwortlichkeitaufmich.«»Adieualso,Franz,«sagtedieFlorentinerinmiteinem

furchtbarenLachenundBlick.

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»Adieu, meine Mutter, « antwortete der junge Mannmit einem nicht minder boshaften Lachen, einem nichtminderdrohendenBlick.Und Sohn und Mutter trennten sich voll von tiefem

gegenseitigenHaß.

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IX.

WoHerrvonCondédemKönigAufruhrpredigt.

Man erinnert sich des Versprechens, welches der Prinzvon Condé am vorhergehenden Abend Robert Stuartgegeben,unddaßerdenjungenMannbeieinbrechenderNacht aufdenPlatzSt.Germain l'Auxerrois beschiedenhatte.Der Prinz betrat denLouvre just in demAugenblick,

wo die Königin das Cabinet ihres Sohnes verließ. Erwollte sein Versprechen erfüllen und den König dieBegnadigungdesRathesDubourgbitten.ManmeldeteihnbeidemKönige.«»Er,komme,«antwortetederMonarchmit schwacher

Stimme.Der Prinz trat ein und bemerkte den jungen Mann,

mehr liegend als sitzend in seinem Lehnstuhl seineschweißbedeckte Stirne mit dem Schnupftuchabwischend.Seine Augen waren erloschen, sein sein Mund stand

offen,seinGesichtwarleichenblaß.Man hätte ihn für eine Bildsäule der Furcht halten

können.»Ah, ah!« murmelte der Prinz, »das Kind hat

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Kummer.«Manvergessenicht,daßderPrinzdemEndederScene

zwischen dem König und dem Fräulein von St. Andréangewohnt und die Versprechungen gehört hatte, diederselbeseinerMaitressegegeben.Als der König den Prinzen bemerkte; erheiterte sich,

sein Gesicht auf einmal. Wäre die Sonne in eigenerPerson in das düstere Zimmer gekommen, sie hätte esnicht plötzlicher beleuchten können. Man hätte meinensollen,derKönighabeeinegroßeEntdeckunggemacht.Der Gedanke strahlte gleich einer Hoffnung auf seinerStirne. Er erhob sich und ging dem Prinzen entgegen.Man konnte glauben, er wolle sich ihm an die Brustwerfenundihnumarmen.EswardieKraft,welchedieSchwächeanzog,wieder

MagnetdasEisen.DerPrinz,demsehrweniganderUmarmunggelegen

schien,verbeugtesichbeimerstenSchritt,denderKönigaufihnzumachte.Franz,derjetztselbstseinenerstenDrangniederhielt,

bliebstehenundbotdemPrinzenseineHandhin.Dieser konnte nicht umhin die gebotene Hand zu

küssen;undentschloßsichalsosogleichdazu.Nur fragte er, als er seine Lippen daraufdrückte, sich

selbst:»Was zum Teufel kann ich ihm nützen, daß er mich

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heutesogutempfängt?«»Oh,«wiefreueichmichEuchzusehen,meinVetter!«

sagtederKönigzärtlich.»Und ich, Sire, ich bin zu gleicher Zeit erfreut und

geehrt.«»Ihrhättetnichtgelegenerkommenkönnen,Prinz.«»Wirklich?«»Ja,ichlangweiltemichschrecklich.«»InderThat« sagte der Prinz, »EuerMajestät trug im

Augenblick als ich eintrat, Spuren gründlicherLangeweileaufIhrerStirne.«»Esistwahr.Ja,meinlieberPrinz,ichlangweilemich

abscheulich.«»MiteinemWortköniglich,«sagtederPrinz,indemer

sichlächelndverbeugte.»UndwasdasTraurigstebeiallDemist,lieberVetter«

fuhrFranzII.mit tieferWehmuthfort,»Dasist,daßichkeinen Freund habe, dem ich meinen Kummeranvertrauenkann.«»DerKönighatKummer?«fragteCondé«»Ja, und zwar ernstlichen, wahren Kummer mein

Vetter.«»Und wer ist denn frech genug, um Euer Majestät

Kummerzubereiten?«»EinePerson,dieunglücklicherWeisedasRechtdazu

hat,mein«Vetter.«

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»Ich kenne Niemand, Sire, der das Recht hätte denKönigzuärgern.«»Niemand?«»Niemand,Sire.«»NichteinmaldieKöniginMutter?«»Ah!Ah!«dachtederPrinz;»es scheint,dieKönigin

MutterhatihremPüppchendieRuthegegeben.«Dannerwiderteerlaut:»NichteinmaldieKöniginMutterSire.«»IstdasEureMeinung,meinVetter?«»EsistnichtblosmeineMeinung,Sire,sondernauch,

wie ich überzeugt bin, die Meinung aller getreuenUnterthanenEurerMajestät.«»Wisst Ihrauch,daß Ihrmirdaetwas sehrWichtiges

saget,meinHerrVetter.«»InwelcherBeziehungisteswichtig,Sire?«»InsofernIhreinemSohnAufruhrgegenseineMutter

prediget.«Und bei diesen Worten schaute er um sich wie ein

Mensch der gehört zu werden fürchtet, obschon eroffenbaralleinist.In der That wußte Franz recht wohl, daß dieWände

desLouvrefürJedenderihrGeheimnißkanntedieTönehindurchließen,wieeinSeiherdasWasserdurchläßt.»DaeralsonichtseinenganzenGedankenzugestehen

wagte,sosagteerblos:

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»Ah, es ist Eure Meinung, daß die Königin Mutternicht dasRecht habemich zu ärgern.Waswürdet dennIhr thun, mein Vetter, wenn Ihr König von Frankreichwäret, und die KöniginMutter Euch ärgerte mit einemWort,wennIhranmeinemPlatzwäret?«DerPrinzbegriff,aufwasdieFurchtdesKönigssich

bezog;aberdaergewohntwarinallenVerhältnissendesLebenssozusprechen,wieerdachte,soantworteteer:»WasichanEurerStellethunwürde,Sire?«»Ja.«»AnEurerStellewürdeichmichempören.«»IhrwürdetEuchempören,riefFranzhochvergnügt.»Ja,sagtederPrinzganzeinfach.»Aber wie kann man sich empören mein lieber

Ludwig?«sagteFranz,indemeraufdenPrinzenzuging.»Darüber müßt Ihr Diejenigen fragen, die sich ein

Geschäft darausmachen.DieMittel derEmpörung sindsehr vielfach: zum Beispiel man, gehorcht nicht, odermanthutwenigstensAlleswasmankann,umsicheinerungerechten Gewalt, einer drückenden Tyrannei zuentziehen.«»Aber,Vetter;«sagteFranznachdenklichundoffenbar

über die Worte des Prinzen nachsinnend, »einLeibeigenerkann sichaufdieseArtgegen seinenHerrnempören, aber ein Sohn kann sich, scheint es mir, imeigentlichenSinndesWortesebensoweniggegenseine

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MutterempörenalseinUnterthangegenseinenKönig.«»Wasmachendenn,«sagtederPrinz,»ebenjetztdiese

Tausende von Hugenotten, die aus einmal in EurenentferntestenProvinzensowie indenNiederlandenundinDeutschland ausderErde emporzuwachsen scheinen,was machen sie, frage ich anders als eine ungeheureEmpörung gegen den Papst? Und dieser ist dochsicherlicheinKönigwienurjeeiner.«»Ja,Prinz,«antworteteFranz,dessenNachdenklichkeit

ins Düstere überging; »ja, Ihr habt Recht, und ich binEuchdankbar,daßIhrsoMitmirsprecht.IchseheEuchzu selten, mein Vetter; Ihr seid ein Mitglied meinerFamilie, derjenige Mann dem ich das größte Vertrauenschenke,derjenigeHerramHofdemichmitdermeistenFreundschaftzugethanbin.SchonvonKindheitauf,meinlieber Prinz, hatte ich eine sympathische Zuneigung fürEuch, die in Eurer muthvollen Offenheit dievollkommensteRechtfertigungfindet.KeinAndererhättemitmirgesprochen,wieIhrsoebengesprochenhabt:ichdanke Euch doppelt dafür, und um Euch einen Beweismeiner Erkenntlichkeit zu geben, will ich Euch Etwasanvertrauen was ich noch Niemand gesagt, einGeheimnis,dasdieKöniginMuttermirsoebenentrissenhat.«»SprechtSire.«DerKönigschlangseinenArmumCondé'sHals.

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»Mein lieberPrinz« fuhr er fort»vielleichtwerde ichauchnichtblosEuresRathes,umdenichsoebengebetenhabe,sondernauchEurerUnterstützungbedürfen.«»Ich stehe in jeder Beziehung Eurer Majestät zu

Befehl.«»Nunwohl,Vetter,ichbinsterblichverliebt.«»In die Königin Marie? Ich weiß Das, Sire,« sagte

Condé,»undDießerregtwahrenScandalamHofe.«»Nicht in die Königin Marie, sondern in eines ihrer

Ehrenfräulein.«»Bah!« rief der Prinz, indem er sich äußerst erstaunt

stellte. »Und es versteht sich von selbst, daß EuerMajestätmitGegenliebebelohntwird?«»Manliebtmichunaussprechlich,Vetter.«»UndmanhatEuerMajestätBeweisevondieserLiebe

gegeben?«»Ja.«»Es würde mich überraschen, Sire, wenn es nicht so

wäre.«»Dufragstmichnichtwer,Ludwig?«»Ich werde mir nicht erlauben meinen König

auszufragen; aber ich erwarte, daß er gütigst seineMittheilungvervollständige.«»Ludwig, es ist die Tochter eines der vornehmsten

HerrnamHofeFrankreichs.«»Ahbah!«

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»Es ist die Tochter des Marschalls von St. AndréLudwig.«»Empfangt meine aufrichtigen Glückwünsche, Sire.

Fräulein von St. André ist eine der schönsten PersonendesKönigreichs.«»Nicht wahr, nicht wahr, das ist Deine Ansicht,

Ludwig?«riefderKönigindergrößtenFreude.»Schonlange,Sire,habeichinBezugaufFräuleinvon

St.AndréganzdieselbenGedankenwieEuerMajestät.«»DasisteineweitereSympathiezwischenunsBeiden

meinVetter.»Ichmöchtemichihrernichtzurühmenwagen,Sire!«»Dufindestalso,daßichRechthabe?«»HundertmalRecht.Wennmanein schönesMädchen

trifft sohatman, seimanKönigoderBauer, immerdasRecht sie zu lieben, und besonders sich ihre Liebe zuerwerben.«»DasistalsoDeineAnsicht?«»Ja,undsowirdJedermanndenkenmitAusnahmedes

Herrn von Joinville. . . Glücklicher Weise wird, denkeich, der König ihn nicht um Rath angehen, und da derPrinzwahrscheinlichniemalserfahrenwird,welcheEhrederKönigseinerBrautangethanhat...«»HierintäuschestDuDich,Ludwig,«sagtederKönig:

»er,weißes.«»EureMajestätwillsagen,daßerEtwasvermuthe?«

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»IchsageDir,daßerAllesweiß.«»Oh,dasistunmöglich...«»WennichesDirsage.«»Dannisteswenigstensunglaublich,Sire!«»UnddennochmußtDuesglauben.«»Gleichwohl.«fuhrderKönigdieStirnerunzelnd.fort,

»würde ich der Sache keine große Bedeutung beilegen,wenn sie nicht Umstände von außerordentlicherWichtigkeit zur Folge gehabt hätten, welches zwischenmeinerMutter undmir die heftige Scene herbeiführten,vonderichDireinigeWortegesagthabe.«»Ei,washatdennsonstnachWichtigessichereignen

könnenSire?Icherwarte,daßEuerMajestätmichgütigstvollkommen in diesesGeheimniß einweihe, « sagte derPrinz von Condé der doch die Sache aufs Genaueste,kannte,imTreuherzigstenTon.Jetzt begann der König mit kläglicher Stimme die

jedoch von Zeit zu Zeit wieder eine gewisse grimmigeFestigkeitannahm,denAuftrittzuerzählen,derzwischenihmundseinerMutterstattgefundenhatte.Der Prinz hörte mit tiefer Aufmerksamkeit zu; Als

Franzgeendethatte,sagteer:»Nunwohl,Sire,esscheintmir,daßIhrEuchganzgut

ausderSachegezogenhabt,unddaßIhrendlicheinmalEuereigenerHerrseid.«DerKönigschautedenPrinzenan,steckteseinenArm

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unterdenseinigenundsagte:»Ja,meinVetter, ja ichhabemichgutherausgezogen;

wenigstenshatmir,so langesiedaswar,EtwaswasderFreudeeinesSclavengleichtderseineKettebricht,Kraftverliehen. Ich ließ die Königin mit dem Glaubenweggehen, daß meine Empörung ernstlich gemeint sei.Aber als sie dieThürehinter sichgeschlossenhatte, alsichalleinwar—sehet,ichmußoffengegenEuchsein—da spannten sich alle Muskeln meines Körpers, alleFibernmeinesWillensab,undwennIhrnichtgekommenwäret, Vetter, so glaube ich, ich wäre wie sonst zu ihrgegangen,hattemichihrzuFüßengeworfenundsieumVerzeihunggebeten.«»Oh,I thutdas janicht,Sire!«riefCondé,»Ihrwäret

verloren.«»Ichweißeswohl,«sagtederKönig,indemerCondé's

ArmdrücktewieeinSchiffbrüchigerdasschwankeBrettfesthält,vondemerseinHeilerwartet.«»AberumEucheinesolcheAngsteinzujagen,mußdie

Königin Mutter Euch mit irgendein einem großenUnglück, mit irgend einer schweren Gefahr bedrohthaben.«»SiehatmichmitdemBürgerkriegbedroht.«»Ah! und wo erblickte Ihre Majestät denn den

Bürgerkrieg?«»Nun, da wo Ihr selbst ihn so eben auch erblicktet,

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Vetter. Die Hugenottenpartei ist mächtig aber Herr vonGuise, ihr Feind, ist auch mächtig. Nun wohl, meineMutter,dieNichtsalsdieGuisensieht,dienurdurchdieGuisen das Königreich beherrscht, und mich mit einerVerwandten der Heeren von Guises verheirathet hat,meine Mutter hat mich mit dem Zorn der Herrn vonGuisebedrohtundmirsogarinAussichtgestellt,daßsiemichgänzlichimStichlassenwürden.«»UnddasResultatvonalledemSire?«»DaßdieKetzerHerrenimReichewürden.«»UndIhrhabtdaraufgeantwortet,Sire?«»Nichts,Ludwig.Waskonnteichantworten?«»Oh,sehrViel,Sire.«DerKönigzucktedieAchseln,»EinesunterAnderem,fuhrderPrinzfort.»NunWas?«»DaßeseinMittelgäbedieKetzerzuverhindern,daß

siedieOberhandimReichegewinnen.«»UnddiesesMittel?«»WennIhrEuchselbstandieSpitzederKetzerstellet,

Sire.«DerjungeKönigstandeinenAugenblicknachdenklich

undmitgerunzelterStirneda.»Ja, sagte er, »es liegt da eine vortreffliche Idee zu

Grund,meinVetter,esistdießeinesjenerSchaukelspiele,worinmeineMutterCatharinasichauszeichnet.Aberdie

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protestantischeParteihaßtmich.«»Und warum sollte sie Euch hassen Sire? Sie weiß,

daß Ihr bisher nur ein Werkzeug in den Händen EurerMuttergewesenseid.«»Werkzeug!Werkzeug!«wiederholteFranz.»Habt Ihr es nicht so eben selbst gesagt, Sire? Die

hugenottische Partei führt Nichte; gegen den König imSchild:siehaßtdieKöniginMutter,dasistalles.«»Ichhassesieauch,ich,«murmeltederjungeMensch

leise.DerPrinzfingdieseWorteauf,soleisesiegesprochen

waren.»Nunwohl,Sire?«fragteer.DerKönigsahseinenVetteran.»WennderPlanEuchgutdünkt,« fuhrderPrinz fort,

»warumwolltIhrihnnichtannehmen?«»SiewerdenkeinVertrauenzumirhaben,Ludwig;ich

werde ihneneineBürgschaftgebenmüssen;undwelcheBürgschaftkönnteichihnengeben?«»IhrhabtRecht,Sire;aberdieGelegenheitistgut;Ihr

könnt ihnen indiesemAugenblickeineBürgschaft,einewahrhaft königliche Bürgschaft geben, einMenschenleben.«»Ich,begreifenicht,«sagtederKönig.»IhrkönntdenRathDubourgbegnadigen.«»MeinVetter,«sagtederKönigerblassend,»aufdieser

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Stelle hier hat so eben meineMutter zu mir gesagt, ermüssesterben.«»Ihr sagtet also zu Eurer Mutter daß er am Leben

bleibenmüsse,Sire?«»Oh, Anne Dubourg zu begnadigen !« murmelte der

junge Mann, indem er um sich blickte, als ob schondieserGedankeihnmitFurchterfüllte.»Nun wohl, ja, Sire, begnadigt Anne Dubourg! was

sehetIhrdennsoErstaunlichesdarin?«»AllerdingsNichts,meinVetter.«»IstesnichtEuerRecht?«»EsistdasRechtdesKönigs,»ichweißes.«»SeidIhrnichtderKönig?«»Ichbineswenigstensnochnichtgewesen.«»Nun wohl« Sire, so könnt Ihr durch eine schöne

Pforte in das Königtum eingehen, auf einer herrlichenStufezumThronemporsteigen.«»AberderRathAnnaDubourg...«»Ist einer der tugendhaftesten Männer Eures

Königreichs, Sire. Fragt Herrn de l’ Hospital, der sichdaraufversteht.«»Ich weiß in der That, daß er ein rechtschaffender

Mannist.«»Ah,Sire!esistschonviel,daßIhrdassagt.«»Viel?«»Ja, einKönig läßt einenMann nicht sterben, den er

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alsrechtschaffenanerkannthat.«»Eristgefährlich.«»EinrechtschaffenerMannistniegefährlich.»»AberdieHerrnvonGuiseverabscheuenihn.«»Ah!«»AbermeineMutterverabscheutihn.«»EinweitererGrund,Sire, umEureEmpörunggegen

dieHerrnvonGuiseundgegendieKöniginMutterdurchBegnadigungdesRathesDubourgzubeginnen.«»Vetter!«»Ichhoffewahrhaftig,daßEureMajestätsichnichtdie

Mühe nehmen wird sich gegen die Königin Mutter zuempören,umihrangenehmzusein.«»Das ist wahr,, Ludwig; aber der Tod des Herrn

Dubourgistbewilligt;dieseSacheistzwischendenHerrnvon Guise, meiner Mutter und mir abgemacht; sie läßtsichnichtmehrabändern.«DerPrinzvonCondékonntenichtumhineinenBlick

derVerachtungaufdiesenKönigzuwerfen,welcherdenTod eines der rechtschaffenstenBeamtendesReichs alseine abgemachte und unabänderliche Sache betrachtete,währenddieserBeamtenochlebteunder,derKönignurein Wort zu sagen brauchte, um ihn am Leben zuerhalten.»DadießeineabgemachteSacheist,Sire,«sagteerim

Ton tiefer Verachtung, »so laßt uns nicht mehr davon

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sprechen.«UnderschicktesichanAbschiedzunehmen,aberder

Könighieltihnzurück.»Ja, so ists, « sagte er, »sprechenwirnichtmehrvon

demRath,aberlaßtunsvonetwasAndermsprechen.«»Und von was, Sire?« fragte der Prinz, der nur in

dieserAbsichtgekommenwar.»Ei, nun, mein lieber Prinz gibt es denn blos einen

einzigen Weg, um aus einer mißlichen Lageherauszukommen? Ihr habt einen erfindungsreichenGeist:ersinnetmireinzweitesMittel.«Sire, Gott hatte Euch das erste angezeigt, die

MenschenwerdennichtsAehnlicheserfinden.«»InWahrheit,meinVetter«sagtederjungeKönig,»ich

bin selbst tief bewegtbei demGedanken, daß ich einenUnschuldigensterbenlasse.«»Dann, Sire, « sagte der Prinz mit einer gewissen

Feierlichkeit, »dann höret auf diese Stimme Eures,Gewissens.Auch dieGüte ist fruchtbar, auch siemachtimHerzen desUnterthanen die Liebe zu seinemKönigerblühen.BegnadigetHerrnDubourg,Sire,undvondemAugenblicke an, wo Ihr Gnade geübt, das heißt voneinemgöttlichenRechtGebrauchgemachthabenwerdet,wird Jedermann wissen, daß Ihr souverän und inWahrheitregieret.«»Duwillstes,Ludwig?«

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»Sieh ich erbitte mirs als eine Gnade und zwar, dasschwöreichEuch,imInteresseEurerMajestät.«»AberwaswirddieKöniginsagen?«»WelcheKönigin,Sire?«»DieKöniginMutter,beiGott.«»Sire,esdarfkeineandereKöniginimLouvregeben,

als die tugendhafte Gemahlin Eurer Majestät. FrauCatharinaistKönigin,weilmansiefürchtet.VerschaffetEuchLiebe,Sire,undIhrwerdetKönigsein.«Der König schien sich große Gewalt anzuthun und

einenentscheidendenEntschlußzufassen.»Nun wohl, sagte er, »ich werde den Ausdruck

wiederholen, den Ihr so gut erläutert habt. Es istausgemacht,mein lieber Ludwig ;Dank für Eure gutenRathschläge, Dank daß Ihr mich zu einem Act derGerechtigkeit veranlaßt, Dank daß Ihr mir einenGewissensbiß erspart. Gebt mir eine Feder und einPergament.«DerPrinzvonCondérücktedenLehnstuhldesKönigs

andenTisch.DerKönigsetztesich.DerPrinzvonCondéreichteihmdasPergamentdaser

gefordert hatte; der König ergriff die Feder welche derPrinzihmreichte,undschriebdiesacramentlichePhrase:»FranzII.,vonGottesGnaden,KönigvonFrankreich,

allenGegenwärtigenundZukünftigenUnsernGruß.«

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Soweitwarergekommen,alsderOffizier,denerinsHotel Coligny geschickt hatte, erschien und die FrauAdmiralinanmeldete.Der König unterbrach sich, stand plötzlich auf, und

sein bisher sanftes Gesicht nahm einen unaussprechlichgrimmigenAusdruckan.»WashabtIhr,Sire?«fragtederPrinzvonCondé,der

überdieserascheVeränderungselbsterstauntwar.»Ihr,solltessogleicherfahren,meinVetter.«Dann wandte er sich gegen den Offizier zurück und

befahl:»LaßtdieFrauAdmiralineintreten.«»Die FrauAdmiralin hat EuerMajestät ohneZweifel

in einer persönlichen Angelegenheit zu sprechen, Sire?sagtederPrinz;»ichwillabtreten,wennEuerMajestäteserlaubt.«»Nein!« Ich wünsche imGegentheil, daß Ihr bleibet,

meinVetter,daßIhrunsererBesprechunganwohnet,daßIhr keinWort davon verlieret. Ihr wißt bereits, wie ichverzeihe,«sagteer,aufdasPergamentdeutend,»ichwillEuchjetztzeigen,wieichbestrafe.«DenPrinzenüberkamEtwaswieeinkalterSchauer.Er

begriff, daß diese Anwesenheit der Admiralin bei demKönig,zuwelchemsieimmernurgezwungenkam,sichaufdenGrundbezog,derihnselbsthierhergeführt,under hatte eine Art dunkler Ahnung, daß etwas

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Schrecklichessichzutragenwürde.Der Vorhang hob sich nachdem er einige Secunden

wieder zugefallen war, von Neuem, und die Admiralinerschien.

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X.

WorinderKönigseineAnsichtinBetreffdesHerrnvonCondéunddesRathesAnneDubourgändert.

DieFrauAdmiralinhatte,ehesiedenKönigsah,zuerstdenPrinzenvonCondébemerktundwollteihmebendenheitersten,freundlichstenBlickzuwerfen,alsdieserBlickunvermuthetaufdasGesichtdesKönigsfiel.Der Ausdruck von Zorn, der in diesem Gesicht zu

lesenstand,machte,daßdieAdmiralindenKopfsenkteundzitterndnähertrat.VordemKönigangekommen,verbeugtesiesich.»IchhabeEuchrufenlassen,FrauAdmiralin,sagteder

König mit erbleichenden Lippen undzusammengebissenen Zähnen, »um von Euch dieAuflösungeinesRäthselszuerfragen,dasichseitdiesemMorgenvergebenszuerrathensuche.«»Ich bin stets zu den Befehlen meines König,s«

stammeltedieAdmiralin.»Selbst wenn es sich um Entzifferung von Räthseln

handelt?versetzteFranz.»Umsobesser!freutmichsehrDas zu vernehmen, und wir wollen unverweilt an dieArbeitgehen.«DieAdmiralinverbeugtesich.

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»Wollt doch gefälligst, fuhr der König fort, UnseremliebenVetterCondéundUnserklären,wieeskommt,dasein auf Unsern Befehl an eine Person vom Hofegeschriebenes Billet gestern Abend von Euch in denGemächernderKöniginMutterverlorenwordenist?«»DerPrinzvonCondébegriff jetzt,wasderSchauder

besagenwollte,derihnbeiderAnmeldungderAdmiralinangewandelthatte.Die ganze Wahrheit erschien vor seinen Augen, wie

wennsieausderErdehervorstiege,unddie furchtbarenWortedesKönigs:»Ich werde Euch jetzt zeigen, wie ich bestrafe,

summtenihmindenOhren.ErblicktedieAdmiralinan.Diesehatte ihreAugen fest auf ihngeheftet,dennsie

schienihnzufragen;»WassollichdemKönigantworten?«Der König begriff die Pantomime der beiden

Mitschuldigennichtundfuhrfort:»Nunwohl,FrauAdmiralin,dasRäthsel istvorgelegt

wirfragenEuchumdieAuflösung.«DieAdmiralinschwieg.DerKönigfuhrfort:»Aber vielleicht habt Ihr meine Frage nicht gut

begriffen: ichwill siewiederholen.Wie kommt es, daßeinnichtanEuchgerichteteBilletsichinEuernHänden

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befundenhat,unddurchwelcheUngeschicklichkeitoderwelcheverrätherischeBosheitistesausEurerTascheaufdenTeppichimZimmerderKöniginMuttergefallen,undvom Teppich im Zimmer der Königin Mutter in dieHändedesHerrnvonJoinvillegerathen?«DieAdmiralinhatteZeitgehabtsichzuerholen.»Ganz einfach, Sire,« sagte sie, ihre Kaltblütigkeit

wiedergewinnend.»IchhabediesesBillet indemGangdes Louvre gefunden, der nach dem Saal derVerwandlungenführt; ichhobesauf, lases,und,da ichdieHandschrift nicht kannte, nahm sich es zurKöniginMuttermit,umsiezuFragenobsiemehrwisseals ich.Bei Ihrer Majestät befand sich eine große GesellschaftvonDichternundSchriftstellern,undunterAndernHerrvon Brantome der so wunderbare Geschichten erzählte,das wir Alle bis zu Thränen lachten, und ich wie dieAndern Sire; während des Lachens zog ich meinSchnupftuch heraus, und bei dieser Gelegenheit spieltesichdasunglücklicheBillet,dasichvergessenhatte,ausmeinerTascheundfielaufdenBoden.Alsichessuchenwollte, war es nicht mehr da, weder in meiner Taschenoch um mich her, und ich vermuthe, daß Herr vonJoinvilleesbereitsaufgehobenhatte.«»DieSacheistsehrwahrscheinlich,«sagtederKönigs

mit einem spöttischen Lächeln ; »aber ich nehme sienichtfürwahr,sowahrscheinlichsieauchseinmag.«

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»Was will Euer Majestät damit sagen?« fragte dieAdmiralinunruhig.»IhrhabtdasBilletgefunden?«,fragtederKönig.»JaSire.«»NundannwerdetIhrmirsehrleichtsagenkönnenin

waseseingewickeltwar.«»Ei,« stammelte die Admiralin, »es war gar nicht

eingewickeltSire.«»Ingarnichts?«»Nein, «sagte die Admiralin erblassend; es war blos

vierfachgefaltet.«Ein Blitz durchzuckte den Geist des Prinzen von

Condé.OffenbarhatteFräuleinvonSt.AndrédemKönigden

VerlustihresBilletsdurchdenVerlustihresSchnupftuchserklärt. Unglücklicher Waise blieb die Sache, die fürHerrnvonCondéklarwurde,fürdieFrauAdmiralinimdunkel.SiesenktealsoihrHauptunterdenforschendenBlick

desKönigs,wurde immer unruhiger, und gestand durchihrSchweigen,daßsiedenZornsverdienthatte,densieaufsichlastenfühlte.»Frau Admiralin,« sagte Franz »für eine fromme

PersonwieIhrseidmüßtIhrselbstzugeben,dasdieseinehöchstfrecheLügeist.«»Sire!«stammeltedieAdmiralin.

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»SinddasdieFrüchtederneuenReligion,Madame?«fuhr der König fort. »Da ist unser Vetter Condé der,obschon eins katholischer Prinz, Uns so eben noch inwahrhaftErgreifendenWortendieReformationgepredigthat. Antwortet doch selbst der Frau Admiralin, lieberVetter, und sagt Ihr in Unserem Namen, daß man,welcher Religion man auch angehören mag, immerschlechtankommt,wennmanseinenKönigbetrügt.«»Gnade, Sire!« stammelte dieAdmiralinmitThränen

in den Augen, als sie den Zorn des Königs mit derSchnelligkeitderFluthanwachsensah.»Und warum bittet Ihr mich um Gnade, Frau

Admiralin?« sagte Franz. »Ich vor nicht ganz einerStunde,manhättemirvonEuchsagenmögen,wasmanhättewollen,eineHanddaraufinsFeuergehaltendaßIhrdietugendfestestePersonmeinesKönigreichswäret.«»Sire!« rief dieAdmiralin, indem sie stolz ihr Haupt

wiedererhob,»EinemZornkannichertragen,aberEureSpöttereien nicht. Es istwahr, ich habe dasBillet nichtgefunden.«»Ah,Ihrgestehetes?i«sagtederKönigtriumphirend.»Ja,Sire,«antwortetedieAdmiralineinfach.»DannhatEuchJemanddasBilletgegeben?«»Ja,Sire.«Der Prinz folgte dem Gespräch mit der offenbaren

Absicht einzuschreiten, sobald er glauben würde, der

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Augenblickseigekommen.«»Und wer hat es Euch gegeben, Frau Admiralin.«

fragtederKönig.»IchkannEuchdiesePersonnichtnennen,«antwortete

FrauvonColignyinfestemTone.»Und warum denn nicht, meine Base ?« sagte der

Prinz vonCondé, indem er dazwischen trat und ihr dasWortabschnitt.»Ja,warumnicht?«VersetztederKönig,erfreutüber

dieVerstärkung,dieihmzukam.DieAdmiralin sah den Prinzen an, als wollte sie ihn

umdieErklärungseinerWortefragen.»Wahrhaftig, « fuhr der Prinz, die stumme Frage der

Admiralin beantwortend, fort, »ich habe keinen Grund,demKönigdieWahrheitzuverbergen.«»Ah, « sagte der König, sich wieder an den Prinzen

wendend, »Ihr wißt also das Stichwort in dieserGeschichte?«»Allerdings,Sire.«»Undwoher?«»Nun ja,Sire, « antwortete der Prinz, »weil ich selbst

dieHauptrolledaringespielthabe.«»Ihr,meinHerr?«»Ichselbst,Sire.«»Undwie kommt es, daß Ihrmir bis jetzt noch kein

Wortdavongesagthabt?«

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»WeilIhrmir,«antwortetederPrinz,»nichtdieEhreerwiesenhabtmichdarüberzufragen,Sire,undweilichmir nicht erlauben würde meinen gnädigen Souveränirgend eine Anecdote zu erzählen, ohne von ihm dazuermächtigtzusein.«»EureEhrerbietunggefälltmirVetterLudwig,«sagte

Franz; gleichwohl hat der Respect seine Grenzen undman kann den Fragen seines Souveräns zuvorkommen,wenn man ihm nützlich oder wenigstens angenehm zusein glaubt. Erweist mir also den Gefallen, mein Herr,mirAlleszusagenwasIhrüberdiesenGegenstandwißt,und welche Rolle Ihr bei dieser ganzen Geschichtegespielthabt.«»IchhabedieRolledesZufallegespielt. Ichbins,der

dasBilletgefundenhat.«»Ah! Ihrseids!«sagtederKönig, indemerdieStirne

runzelte und den Prinzen streng ansah. »Dannwundereichmichnichtmehr,daß IhraufmeineFragengewartethabtAh!IhrhabtdasBilletgefunden?«»Ja,Sire,ich.«»Undwo?«»NunindemGang,derzumSaalderVerwandlungen

führt,wiedieAdmiralinsoebendieEhrehatteEuchzusagen.«DerBlick desKönigs schweifte vomPrinzen auf die

Admiralin und schien erforschen zu wollen, welches

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Einverständnißzwischenihnenstattfindenmöchte.«»Also,meinVetter,«sagteer,»daIhresgefundenhabt,

somüßtIhrwissen,inwaseseingeschlossenwar.«»Eswarnichteingeschlossen,Sire.«»Wie !« rief der« König erblassend, »Ihr untersteht;

Euchmirgarsagenesseinichteingeschlossengewesen?»Ja,Sire,ichhabedieKühnheitdieWahrheitzusagen,

undichhabedieEhreEurerMajestätzuwiederholendasdasBilletnichtseingeschlossen,sondernzartumwickelt,war.«»Umwickelt oder eingeschlossen, mein Herr, « sagte

derKönig,»istdasnichtganzgleich?«»Ei, Sire, « versetzte der, Prinz, »es ist ein

außerordentlicher Unterschied zwischen den beidenWorten. Man schließt einen Gefangenen ein, aber manumwickelteinenBrief.«»IchwußtenichtdaßIhreinsogroßerSprachgelehrter

seid,mein,Vetter.«»DieMuße,welchemir der Friede läßt; gestattetmir

dieGrammatikzustudiren,Sire.«Kurz,undgut,meinHeer, sagt:mir inwasdasBillet

eingewickeltodereingeschlossenwar.«»Ja ein feines, an den vier Erben gesticktes

Schnupftuch,Sire,und ineinederEckenwardasBilleteingebunden.«»WoistdiesesSchnupftuch?«

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»Hier,Sire!«DerPrinzzogesausseinerBrust.»DerKönigrißesihmheftigausderHand.»Gut! Aber wie kommt es, daß das von Euch

gefundene Billet in die Hände der Frau Admiralingerathenist?«»NichtsEinfacheresalsdas,Sire.AufderTreppedes

Louvre begenete ich; der Frau Admiralin und sagte zuihr:Base,hieristeinBilletdasirgendeinHerrodereineDame vom Louvre verloren hat. Erkundigt Euch doch,wereinBilletverlorenhabenmag,—dieSacheIstEuchleichtdurchDandelot,derdieWachehat—undgebtesgefälligstseinemEigenthümerzurück.«»Das ist in derThat sehr natürlich,Vetter,« sagte der

König,dervonderganzenGeschichtekeinWortglaubte.»Also, Sire,« sagte der Prinz von Condé in dem er

Mienemachte abzutreten, »da ich dieEhre gehabt habeEuer:Majestätvollständigzubefriedigen...«AberderKönighieltihnmiteinerGeberdezurück.»NocheinWort,Vetter,wennichbittendarf,«sagteer.»Gerne,Sire.«»Frau Admiralin,« sagte der Könige indem er sich

gegen Frau von Coligny umwandte, »ich erkenne Euchalseine loyaleUnterthanin;wenn inderStellung,worinIhr Euch dem Herrn Prinzen von Condé gegenüberbefandet, habt Ihr mir Alles gesagt was Ihr mir sagen

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konntet. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Euchbemühthabe.IhrseidfreiundichbleibeEuchinGnadengewogen. Der Rest der Erklärung betrifft Herrn vonCondé.«DieAdmiralinverbeugtesichundging.Herr vonCondé hätte gerneDasselbe gethan, aber er

wurdedurchdenBefehldesKönigezurückgehalten.Als dieAdmiralin sich entfernt hatte, gingderKönig

mit übereinander gebissenenZähnenundblauenLippenaufdenPrinzenzu.»MeinHerr,«sagteer,»IhrhattenichtnöthigEuchan

dieFrauAdmiralin zuwenden,umzuerfahren, anwendasBilletgerichtetwar.«»Wieso,Sire?«»Weil in der einen Ecke des Schnupftuchs die

Anfangsbuchstaben und in der andern das Wappen desFräuleinsvonSt.Andréeingesticktist.«JetztwaresanHerrnvonCondédenKopfzusenken.»IhrwußtetdaßdasBilletdemFräuleinvonSt.André

gehörte,undobschonIhrdaswußtet,habtIhresmöglichgemacht,daßesderKöniginMutterindieHändefiel.«»EuerMajestätwirdmirwenigstensdieGerechtigkeit

widerfahren lassen anzuerkennen, daß ich nicht wußte,daßdasBilletaufihrenBefehlgeschriebenwar,unddaßdieBekanntwerdungdesselbensiebloßstellenkonnte.«»MeinHerr, da Ihr die Bedeutung derWorte unserer

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Sprachesogutkennt;somüßtIhrauchwissen,daßNichtsmeine Majestät bloßstellt; ich thue, was wir beliebt,Niemand hat Etwas daran zu sehen oder dreinzusprechen,undderBeweis...«Er ging an den Tisch und, nahm das Pergament, auf

daserbereitsanderthalbZeilengeschriebenhatte.»UndderBeweis,daseht...«Er machte eine Bewegung, als ab er das Pergament

zerreißenwollte.»Ah, Sire, laßt EuernZorn aufmich fallen und nicht

aufeinenUnschuldigen!«»So bald mein Feind ihn beschützt, ist er für mich

nichtmehrunschuldig,meinHerr.«»EuerFeind,Sire!«riefderPrinz;»betrachtetmichder

KönigalsseinenFeind?«»Warum nicht, da ich von diesemAugenblick an der

Eurigebin?«UnderzerrißdasPergament.»Sire,Sire,umGotteswillen!«riefderPrinz.»MeinHerr, das istmeineAntwort auf dieDrohung,

die Ihr soeben imNamenderHugenottenpartei anmichrichtetet.IchbieteihrTrotz,meinHerr,undEuchmitihr,wennesEuchzufälligbeliebtdasCommandoderselbenzu übernehmen. Heute Abend wird der Rath AnneDubourghingerichtet.«»Sire, es ist das Blut eines Unschuldigen, das Blut

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einesGerechtendasdafließenwird.«»Ganz gut, « sagte der König, es mag fließen und

Tropfen und Tropfen auf das Haupt desjenigenzurückfallenderesvergießt.«»Unddieserist.Sire?«»Ihrselbstseides,HerrvonCondé«DamitwieserdemPrinzendieThüreundsagte:»EntferntEuch,meinHerr.«»AberSire...«batderPrinz.»Geht, sage ich Euch!« rief der Königs

zähneknirschendundmitdemFuß stampfend,»Esgäbekeine Sicherheit für Euch, wenn Ihr zehn Minuten imLouvrebliebet.«DerPrinzverbeugtesichundging.Der König fiel zermalmt in seinen Lehnstuhl die

Ellbogen auf den Tisch gestemmt, den Kopf zwischenseinenHänden.

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XI.

Kriegserklärung.

Man begreift leicht, daß der Prinz von Condé nichtminderwüthendwaralsderKönig,undseineWuthwarum so grimmiger, als er den ganzen Vorfall blos sichselbstzuschreibenkonnte,daerselbstzuFräuleinvonSt.André gegangen war, das Billet in dem Schnupftuchentdeckt und es dem Admiral von Coligny übergebenhatte.WiealleLeute,diesichdurchihreneigenenFehlerin

einen schlimmen Handel verstrickt sehen beschloß erdaher den seinigen bis aufs Aeußerste zu treiben undselbst das letzte Schiff zu verbrennen, auf das er sichhättezurückziehenkönnen.Ueberdieß wäre es nach all den Leiden, die er um

Fräulein von St. André ausgestanden, seine größteVerzweiflung,jainseinenAugeneineSchmachundseinBeweis von Unmacht gewesen, wenn er sichzurückgezogenhätte,ohnenochaufdemRückzugjenenPartherpfeilabzudrücken,dersohäufigzurückpralltunddass Herz des Verliebten durchbohrt, welcher ihnabgeschossen:nämlichdieRache.NunhatteerdieRacheamKönigbereitsbeschlossen,

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aber über die Rache an Fräulein von St.André sann ernochnach.EinenAugenblickfragteersich,obnichtseinegewisse

Feigheit darin liege, wenn er als Mann sich an einemWeib räche; aber erwußte sich dar auf antworten, dassdieses heuchlerische und rachsüchtige junge Mädchen,das ohne Zweifel noch am selben Tag die erklärteMätresse des Königs werden sollte, keineswegs einschwacherFeindsei.Ja gewiß, er setzte sich einer geringeren Gefahr aus,

wennerdemtapferstenundgewandtestenHerrnvomHofeine Herausforderung zuschickte, als wenn er sichrücksichtslosmitFräuleinvonSt.Andréüberwarf.Erwußtewohl, daß daraus ein tödtlicher Krieg ohne

Aussicht auf Frieden oder Waffenruhe entstehen, daßdieserKriegeineMengevonGefahren,anHinterhalten,offenen oder verstecktenAngriffenmit sich führen undsolangedauernmußte,alsdieLiebedesKönigsdauerte.UndbeiderglänzendenSchönheit seinerFeindin,bei

ihrem falschen Charakter, bei ihrem wollüstigenTemperamentbegriffer,daßdieseLiebe,gleichderLiebeHeinrichsII.zuderHerzoginvonValentinois,ihrganzesLebenhindurchdauernkonnte.ErsetztesichalsonichtderGefahrdestapfernMannes

aus,welcherdemLöwenkühnundoffendieStirnebietet,sondern er trotzte der weit ernsteren, wenn auch

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scheinbar weniger bedeutenden Gefahr desunvorsichtigen Reisenden, der mit einem einfachenGertchen in der Hand sich den Spaß macht jenebezaubernde Cobra Capella zu reizen, deren geringsterBißtödtlichist.Diese Gefahr war in Wirklichkeit so groß, daß der

Prinz sich einen Augenblick fragte, ob es durchausnothwendigseidiesenneuenBlitzzudenDonnerwetternhinzuzufügen,diebereiteüberseinemHauptetosten.Aber wie er Bedenken getragen hatte, als er vor

nähererUeberlegunggefürchtethatte ineineFeigheitzuverfallen, ebenso fühlte er sich unwiderstehlichvorangedrängt, als er sah, daß seine scheinbar feigeHandlungbiszumWahnsinnverwegenwar.Hätte er die Treppen hin absteigen, über den Hof

schreiten, wieder in einem andern Flügel hinaufsteigenmüssen,kurz,wäreihmzwischenseinemWeggehenausdem Cabinet des Königs und seinem Eintritt in dieWohnung des Fräuleins von St. André Zeit zu einerernsterenUeberlegunggeblieben, sowäre ihmvielleichtdieVernunftzuHilfegekommenundgleichderMinervaderAltenwelcheUlyssesbeiderHandausdemGewühlzog,würdediekalteGöttinihnausdemLouvregezogenhaben. Aber unglücklicherweise brauchte der Prinz nurauf dem Corridor wo er sich bereits befand, weiter zugegen,umnacheineroderzweiBiegungenaufdieThüredesFräuleinsvonSt.Andrézustoßen.

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Erfühlte,daßjederSchrittihnnäherzuihrführte,undmitjedemSchrittwurdendiePulsschlägeseinesHerzensschnellerundheftiger.EndlichgelangteervordieserThürean.Er konnte den Kopf abwenden, vorbeigehen, seinen

Weg fortsetzen. Allerdings war dieß der Rath, den ihmseinguterEngelganzleiseertheilte,abererhörtenuraufdenbösen.Erbliebstehen,wiewennseineFüßesichimFußbodenfestgewurzelthätten,undDaphneschiennachihrer Verwandlung in einen Lorbeerbaum nichtunweglicherinderErdezuhaften.NacheinemAugenblicke,nichtderZögerung,sondern

derUeberlegung,sagteerwieCäsar,alserseinenSpießüberdenRubiconwarf:»Wohlandenn!derWürfelistgefallen.«Underklopfte.DieThüregingauf.Es war immer noch möglich, daß Fräulein von St.

André ausgegangen war, oder daß sie ihn nichtempfangenwollte.Das Schicksal war in die Sterne geschrieben —

Fräulein von St. André befand sich zu Hause, und dieWorte:ermögeeintreten!gelangtenbiszudenOhrendesPrinzen.InderZwischenzeit,diemanbrauchteumihnausdem

Vorzimmer, wo, er die Antwort erwartete, nach dem

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Baudoir zu führen, wo diese Antwort so laut gegebenworden war, daß man sie außen hören konntet, sahLudwigvonCondé,wieineinemNebeldenervorseinenAugen und seinem Herzen hätte, das ganze ungeheurePanorama der letzten sechs Monate an sichvorüberziehen,vondemTaganwoerdasjungeMädchenbei einem schrecklichen Ungewitter in einer schlechtenHerbergebeiSt.DenisgetroffenbiszurStundewoersiemit einemMyrtenzweig in den Haaren in den Saal derVerwandlungen kommen gesehen, und wo seinunbescheidener Blick keine Sekunde lang von ihrabgelassen,biszudemMomentwosievondemganzenSchmuck,densiebeidemEintrittindenSaalgehabt,nurdiesenMyrtenzweigbehaltenhatte.Und indem dieses Panorama sich vor seinen Augen

entrollte,saher,wennauchganzflüchtigjenenächtlicheScene in St.Cloud zwischen dem jungenMädchen unddemPagensichwiederholen;dann fander sieamRanddes großen Bassin, im Halbdunkel des zitterndenSchattensderPlatanenundFeigenwieder;hieraufsahersich selbst unbeweglich unter den Fenstern stehen undwarten, bis einLaden sichhalböffneteund eineBlumeodereinBilletzuseinenFüßenfiel;endlichfandersichwieder unter diesem Bett wo er in der ersten Nachtvergebensgewartet,weilNiemandkam,undwoerinderzweiten Nacht nicht blos die erwarteten, sondern auchganz unerwartete Personen kommen gesehen; und all

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diese verschiedenen Empfindungen, die BezauberungenderHerberge,dieEifersuchtdesverstecktenZeugen,dieSelbstbespiegelungdesjungenMädchensindemBassin,dieungeduldigeErwartungunterdenFenstern,dieAngstdes Liebhabers im Saales der Verwandlungen, all dieseEmpfindungenstiegenihmjetztzuGehirn,machtenseineSchläfe hoch pochen, quälten sein Herz und stürmtendermaßenaufihnein,daßsiesicheinigeSekundenlangseinesganzenWesensbemächtigten.SchauderndundblaßzugleichvorEifersucht,vorZorn

und Liebe, vor Beschämung und Haß, trat er also vorFräuleinvonSt.André.DasFräuleinwarallein.Sobald sie den Prinzen bemerkte, der all die

entgegengesetzten Gefühle die in ihm kämpften untereinerziemlichimpertinentenHaltungverbarg;sobaldsiedasspöttischeLächelnsah,dasaufseinenLippensaßwieder amerikanische Spottvogel auf einem Zweig, dasrunzelte das junge Mädchen ihre Brauen, aber ganzunmerklich: sie war in Beziehung auf Heuchelei demPrinzenvonCondéunendlichüberlegen.Der Prinz grüßte sie höchst unbefangen Fräulein von

St.AndrétäuschtesichimAusdruckdiesesGrußesnicht;siebegriff,daseseinFeindwar,derzuihrkam.Aber sie ließ sich von ihrer klaren Einsicht Nichts

anmerkenunderwiedertedenunbefangenenGrußsowie

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dasspöttischeLächelndesPrinzenmiteiner langenundanmuthsvollenVerbeugung.Dann lächelte sie ihmmit dem kosendstenBlicke zu

undsagtemitihrerfreundlichstenStimmezuihm:»Welcher Heiligen, mein Prinz habe ich für diesen

eben so frühen als unerwarteten Besuch meineDanksagungenabzustatten?«»DerheiligenAspasia,meinFräulein,«antworteteder

Prinz, indem er sich mit erheuchelter Ehrerbietungverbeugte.»Gnädigster Herr,« erwiederte das junges Mädchen,

»ich zweifle daran, daß ich sie selbst beim genauestenSuchen im Calender des Jahres der Gnade 1559 findenwürde.«»Dann, mein Fräulein, wenn Ihr durchaus einer

Heiligen für diese höchst unbedeutende Gunst meinesBesuchesdankenwollt,sowartetbisFräuleinValentinoistodtundcanonisirt ist,wasnichtausbleibenkann,wennIhrsiedemKönigempfehlet.«»Da ich bezweifeln muß daß mein Ansehen sich so

weiterstreckenwürde,gnädigsterHerr,sowill ichmichdarauf beschränken Euch selbst zu danken und in allerDemuth Euch selbst zu fragen, wasmir das VergnügenverschafftEuchzusehen.«»Wie,Ihrerrathetesnicht?«»Nein.«

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»Ich komme, um Euch meine aufrichtigstenGlückwünschezuderneuenGunstdarzubringen,womitSeineMajestätEuchbeehrt.«Das junge Mädchen wurde purpurrot; dann aber

bedeckten sich in Folge einer plötzlichen RückwirkungihreWangenmitderBlässedesTodes.Und gleichwohl war sie noch weit entfernt die die

Wahrheit zu ahnen; sie glaubte blos das nächtlicheAbenteuer sei bereits ruchbar geworden und das EchodavonzudenOhrendesPrinzengedrungen.Sie begnügte sich daher den Prinzen mit einem

Ausdruck anzusehen, der zwischen Frage und DrohungdieMittehielt.DerPrinzthat,alsoberNichtsbemerkte.»Nun wohl,« fragte er lächelnd, »was gibt es denn,

mein Fräulein? und wie hat der Glückwunsch, den ichEuch darzubringen die Ehre hatte, Euern Wangen soaugenblicklichdieFarbeEurerLippen—esistwahr,siehaben dieselbe nicht lange behalten — und diesSchnupftuchs geben können, das Ihr mir gestern zuschenkendieEhreerwiesenhabt?«Der Prinz betonte diese letzten Worte auf eine so

bedeutsame Art, daß über den Ausdruck welchen dasGesicht des Fräuleins jetzt annahm, kein Zweifelmehr,obwaltenkonnte.«DieunverkennbarsteDrohunglagdarin.

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»NehmtEuchinAcht,gnädigsterHerr,«sagtesiemiteiner Stimme, die um so furchtbarer war, als sie einevollendete Ruhe erheuchelte. »Ich glaube, Ihr seidhierhergekommen,ummichzubeschimpfen.«»Glaubt Ihrmich einer solchenKühnheit fähig,mein

Fräulein?«»Oder einen solchem Feigheit, gnädigster Herr.

Welches von, beidenWorten wäre im gegebensten Falldaspassendste?«»Das habe ich vor Eurer Thüre mich selbst gefragt,

mein Fräulein. Ich habemir geantwortetKühnheit! undbineingetreten.«»Ihrgestehetalso,daßIhrdieseAbsichthattet?«»Vielleicht. Aber bei näherer Ueberlegung habe ich

vorgezogenEuch unter einem ganz andernRechtsgrundzubesuchen.«»Undunterwelchem?«»AlsehemaligerAnbeterEurerReize,dersichineinen

HöflingEuresGlückeumgewandelthat.«»Und ohne Zweifel wollt Ihr mich ein dieser

EigenschaftumseineGunstansprechen?«»UmeineungeheureGunst,meinFräulein.«»Umwelche?«»Daß Ihr mir gütigst verzeihen wollet, daß ich die

:Ursache des unglückseligen Besuches von heuteNachtwar.«

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FräuleinvonSt.AndrésahdenPrinzenzweifelhaftan,denn sie konnte nicht glauben, daß ein Mensch sounvorsichtig und so geraden Weges ein den Abgrundzuschreite.IhreBlässeginginsBleifarbigeüber.»Prinz,« sagte sie,»Ihrhabtwirklichdasgethan,was

Ihrsagt?«»Ja.«»Wenn dieß wahr ist, so erlaubt mir Euch zu sagen,

daß1 Ihr ganz einfach den Verstand verloren habenmüßt.«»Ich glaube imGegentheil ganz einfach, daß ich ihn

biszudiesemAugenblickwiedergefundenhabe.«»AberglaubtIhrauch,daßeinesolcheBeschimpfung

ungestraft bleiben wird, mein Herr, wenn Ihr auchzehnmal Prinz seid, oder hofft Ihr, daß ich dem Könignichtdavonbenachrichtigenwerde?«»Oh,dasistunnöthig.«»Wiesounnöthig?«»Mein Gott, weil ich ihm so eben erst Alles selbst

gesagthabe.«»Und habt Ihr ihm auch gesagt, daß Ihr von ihm

hinwegzumirzugehenbeabsichtigtet?«»Nein,wahrhaftig nicht, denn ich dachte nicht daran;

derEinfallistmirerstunterwegsgekommenEureThürelag mir auf dem Weg, und Ihr kennt das Sprichwort:GelegenheitmachtDiebe.Ichsagtezumir,eswendoch

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sehr interessant, wenn ich glücklicher Weise der Erstewäre, der seinen Glückwunsch darbrächte. Bin ich derErste?«»Ja, mein Herr,« sagte Fräulein von St. André stolz,

»undichnehmediesenGlückwunschan.«»Ah,da Ihr ihnsogutaufnehmt, soerlaubtmirEuch

nocheinanderesComplimentzumachen.«»Ueberwas.«»Über den Geschmack Eurer Toilette bei einer so

feierlichenGelegenheit.«FräuleinvonSt.AndrébißsichindieLippen.»Der Prinz führte sie auf ein Terrain, wo es schwer

hieltsich,mitVortheilzuverteidigen.»Ihr seit ein Mann von Einbildungdkraft, gnädigster

Herr,« sagte sie »und vermöge dieser Einbildungskrafthabt Ihr ganz gewiß die Ehren einer weitausgezeichneterenToilette angethan, als ich inWahrheithatte.«»O nein, das schwöre ich Euch, sie waren im

Gegentheil sehr einfach; die Hauptsache war einMyrtenzweig,derindiesenschönenHaarensteckte.«»EinMyrtenzweig!« riefdas jungeMädchen;»woher

wißt Ihr, daß ich einen Myrtenzweig in den Haarentrug?«»Ichhabeihngesehen.«»Ihrhabtihngesehen?«

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Fräulein von St. André fing an, Nichts mehr zubegreifen, und fühlte, daß ihre Kaltblütigkeit siedemnächstverließ.»Wohlan, Prinz,« sagte sie, »fahret fort, ich liebe die

Mährchen.«»Dann müßt Ihr Euch wohl an das von Narciß

erinnern,vonNarciß,dersichinsichselbstverliebteundineinemBachebeäugelte.«»Nunweiter?«»Nunwohl,vorgesternhabeichetwasAehnlichesoder

vielmehr etwas nochweitMerkwürdigeres gesehen! einin sich selbst verliebtes junges Mädchen, das sich mitnicht geringererWollust in einem Spiegel beäugelte alsNarcißinseinemBache.«FräuleinvonStAndré stieß einenSchrei aus.Eswar

unmöglich,das;derPrinzdieserfundenoderdaßmanes,ihmerzählthatte.Siewaralleinodervielmehrsieglaubtesich allein im Saal der Verwandlungen, als die Scenestattfand, auf welche der Prinz anspielte. Die Röthegewann wieder die Oberhand, ihr Gesicht bepurpurtesich.FräuleinvonStAndréknirschtezwischendenZähnen,

nurversuchtesiediesesKnirschendurcheinschallendesGelächterzuverdecken.»Oh,«versetztesie,»welcheinschönesMährchenIhr

dazumBestengebt!«

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»Ja,IhrhabtRecht,dasMährchenistschön,aberwasist es im Vergleich mit der Wirklichkeit?UnglücklicherWeisewardieWirklichkeit flüchtigwie einTraum.Dieschöne Nymphe erwartete einen Gott, und nun konntedieser Gott nicht kommen, weil die Göttin, seineGemahlin, wie eine einfache Sterbliche vom Pferdegefallenwarundsichverletzthatte.«»Habt Ihr mir noch viele Dinge von dieser Sorte zu

erzählen,weinHerr?«knirschteFräuleinvonSt.André,die trotz ihrer Kraft nahe daran war sich vom Zornhinreißenzulassen.«»Nein, ichhabenurnocheineinzigesWortzusagen:

Dieß habe ich Euch sagen wollen; und nun— erlaubtmir,daßichinderHoffnungaufdieZukunftsoschließe,wie wenn ich bereits König wäre — und nun, da dergegenwärtige Besuch keinen andern Zweck hatte, bitteich Gott daß er Euch in seinem heiligen und würdigenSchutzhalte.«Undnun entfernte sichderPrinzvonCondéwirklich

mit jener Impertinenz, welche zwei Jahrhunderte späterdasGlückeinesLauzunundRichelieubegründete.AufdeinAbsatzderTreppeblieberstehen,warfnoch

einenBlickzurückundsagte:»Wohlan , jetzt bin ich mit der Königin Mutter, mit

demKönig,mitdemFräuleinvonSt.Andréüberworfen,unddasAllesauseinenSchlag.Warhrhaftigeinschöner

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MorgenfüreinenjüngerenSohnausdemHauseNavarra!Bah! « fügte er philosophisch hinzu, »es ist wahr, diejüngeren Söhne kommen durch, wo die älteren nichtdurchkämen.«UndergingflinkdieTreppehinab,schrittwohlgemuth

über den Hof und salutirte die Schildwache, die dasGewehrvorihmpräsentirtet.

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XII.

DerSohndesVerurtheilten.

Wirhabengesagt, daßderPrinz seinenneugewonnenenFreund Robert Stuart zwischen sieben und acht UhrAbends auf den Platz und vor die Kirche St Germainl'Auxerroisbeschiedenhatte.Um sich zu, diesem Rendezvous einzufinden, konnte

er ganz gut über die Notre-Damebrücke und über dieMühlenbrückegehen;abereinMagnetzogihnnachdemLouvre;erließsichdurcheinenFährmannüberdenFlußsetzenundlandetevordemhölzernenThurm.SeinWegwarrechtszugehen,aberer,ginglinks.Er ging auf die Gefahr zu, wie der unvorsichtige

NachtschmetterlingdemLichtezuflattert.ErkanntediesenWeggut:vieroderfünfMonatehatte

er ihn jeden Abend von Hoffnungen beseelt,zurückgelegt.Jetzt, da er nicht mehr hoffte, warum machte er ihn

dennochwieder?Erwandelte alsowieder denselbenWegs dann, als er

unterdenFensterndesFräuleinsvonSt.AndréangelangtwarbliebernachseinerGewohnheitstehen.Erkanntesiewohl,dieseFenster.

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Die drei ersten gehörten zum Schlafzirnmer undBoudoir Charlottens; die vier andern gehörten demMarschall.Dann,nachdenvierFensterndesMarschallskamnoch

einanderesFenster,aufdaserniemalsgeachtethatte.DiesesFensterbliebimmerdunkel,seiesnun,daßdas

Zimmerwozuesgehörteniemalsbeleuchtetwurde,oderdaß dichte sorgfältig zugezogene Vorhänge kein Lichtnachaußendringenließen.Erwürdeesauchdießmalsowenigalssonstbeachtet

haben,wennernichtgeglaubthättees inseinenAngelnknarren zu hören. Dann meinte er durch die halbeOeffnung der beiden Läden eine Hand hervorkommenund aus dieserHand, einemNachtschmetterling ähnlicheinPapierchenentfliegenzu:sehen,dasvomNachtwindfortgetragen, sich alle Mühe zugeben schien, um zuseinerAdressezugelangen.DieHandverschwand,daßFensterschloßsichwieder,

ehenochdasPapierdieErdeberührthatte.Der Prinz erhaschte es im Flug, ohne sich darüber

Rechenschaftzugeben,wasessei,undohnezuwissen,obesfürihnbestimmtsei.Dann, als es auf der Kirche St. Germain l'Auxerrois

halb acht, schlug erinnerte er sich an sein Rendezvousund ging nach der Stelle zu,wohin der Schlag derUhrihnzurufenschien.

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Inzwischen drehte er das Billet zwischen seinenFingern hin und her, aber die Dunkelheit der, Nachtverhinderteihnzuerfahren,waservonseinerflüchtigenEroberungdenkensollte.AnderEckederRueChilpexicbefandsicheinekleine

Herberge,inderenMauereineNischeangebrachtwar;inder Nische hing eine kleineMadonna von vergoldetemHolz, und vor derMadonna brannte ein Harzlicht, eineArt von Fackel, welche den eifrigen Catholiken einechristlicheHerberge und einen frommenWirth anzeigteunddenverspätetenReisendenlautdieWortezurief:Hierkannmanübernachten.DerPrinzvonCondénähertesichdennHaus,stiegauf

diesteinerneBanknebenderThüre,stelltesichunterdiefackelnden Strahlen des Lichts und las folgendeZeilen,dieihnmitStaunenerfüllten:»Der König ist für den Augenblick mit der Königin

Mutter ausgesöhnt ; heute Abend wohnen sie derHinrichtung des, Rathes Anne Dubourg bei. Ich wageEuch nicht zur Flucht zu rathen, aber ich sage Euch:Kehret unter keinem Vorwand in den Louvre zurück, eshandeltsichumEuernKopf.«DieseletztePhrasemachtedenPrinzenganzverblüfft.

Woher kam ihm diese Warnung ? Gewiß von einemFreunde. Aber welchem Geschlecht gehörte dieserFreundsan?WareseinFreundodereineFreundin?Nein

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eswareinFreundin;einFreundwürdenichtaufdieseArtgeschriebenhaben.Dann gab es in diesem Louvrepalasts keine Männer,

sondern nur Höflinge, und ein Höfling würde sichzweimalbesonnenhaben,eheersichdurcheinensolchenAkt der Menschenliebe der Ungnade des Königsaussetzte.EswaralsokeinMann.AberwenneseineFrauwar,waswardieseFrau?Welche Frau konnte sich so lebhaft für ihn, Condé,

interessiren, daß sie sich — vorausgesetzt daß ihremenschenfreundliche Warnung des Prinzen bekanntwurde—aufeineneinzigenSchlagmitdemKönig,mitder Königin Mutter und mit Fräulein von St. Andréüberwarf?AbervielleichtwaresFräuleinvonSt.Andréselbst!Ohwasdasbetraf,sobegriffderPrinznachkurzerUeberlegungwohl,daßdießunmöglichwar:erhattedieLöwinzugrausamverletzt,unddieLöwinmußtenochanderWunde leiden, die er ihr geschlagen hatte. Er hattezwar im Louvre zwei oder drei ehemalige Maitressen,abermitdiesenwarerüberworfen,undwenndieFrauennichtmehrlieben,sohassensie.Eine einzige vielleicht hatte noch einen Rest von

Zärtlichkeit für ihn: das hübsche Fräulein von Limenil,aber er kannte seid langer Zeit das Gekrizel, desreizendenKindes;eswarnichtihreHand,undmanwagt

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esnichteinenSekretärzunehmen,umsolchesBilletzuschreiben.WaresüberhaupteineFrauenhand?Der Prinz stellte sich auf die Zehen, um so nahe als

möglichansLichtzukommen.Ja, eswar ganz sicherlich eineFrauenhand, und trotz

des meisterhaften Zuges in diesen Buchstaben, die wirnur mit einer schönen englischen Handschrift unsererTagevergleichenkönnen,würde,einExpertersichnichtgetäuschthaben;inBezugaufFrauenschriftaberwarderPrinz, der schon so viele Briefe empfangen hatte, einExpertergeworden.Wenn die vollen Ziege fest waren so hatten die

FeinstricheetwasZartes,GraziösesundWeibliches.Dann war das Billetchen als Ganzes so zierlich, das

Papier war so fein, so sammtweich, so seiden, undverrieth ein so süßes Parfüm von einem weiblichenSchlafzimmeroderBoudoir,daßesganzentschiedenvoneinerFraukommenmußte.Nun entstand von Neuem die Frage, aus welche er

keineAntwortgab:»WermagwohldieseFrausein?«Der Prinz von Condé der sein Rendezvous gänzlich

vergessen hatte, und sich nur mit seinem Brief zubeschäftigen,würdesichdieganzeNachtaufdenNamendieser Frau besonnen und sich höchstwahrscheinlich

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vergebens den Kopf darüber zerbrochen haben, wenn,nicht, zu seinem Glück Robert Stuart, der ihn aus, derFerne auf seiner Bank stehen sah und dessenHerz voneinem schweren Kummer aufgeregt war, plötzlich wieaus der Erde hervor erschienen und in den LichtkreisgetretenwärewelchendieFackelauswarf.Ergrüßteden,PrinzenmiteinertiefenVerbeugung.Der Prinz, schämte sich, daß man ihn bei dieser

Lectüre überrascht hatte, und die Art wie er erröthetebestärkte ihn inderGewißheit, daßdasBillet von einerFraugekommensei.»IchbinPrinz,«sagtederjungeMann.»Ihr sehet, mein Herr daß ich mein Wort halte,«

versetztederPrinz,indemervonseiner«steinernenBankherabsprang.»Und ich, « sagte Robert Stuart, »warte, auf nur auf

eineGelegenheitEuchzubeweisen,daßichdasmeinigehaltenwerde.«»IchhabeEucheine traurigeBotschaftzuverkünden,

«sagtederPrinzmitbewegtestStimme.DerjungeMannlächeltebitter.»SprechtPrinz,ichbinaufAllesgefaßt.«»Mein Herr, « sagte der Prinz mit einem Ernst,

worübermansichbeieinemMannverwunderthätte,denman allgemein für einen der frivolsten seinerZeit hielt,»wirlebenineinerEpoche,wodieBegriffevongutund

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böse verworren, schwankend, unentschieden sind; dieWelt scheint sich seit einigen Jahren in einer Art vonGeburtswehenzubefinden,welcheindieSeelenEinigereinen unheimlichen Schein werfen, während sie dieSeelenAndererintiefesDunkelversetzen.WaswirdausdemZusammenprallderLeidenschaftenentstehen,dieindiesemAugenblickaneinanderstoßen?Ichweißesnicht...«»Warum nicht sogleich sagen, Prinz: Junger Mann,

DeinVater istverurtheilt; ichhatteDirdieBegnadigungDeines« Vaters versprochen, und sie ist mir verweigertworden;ichhatteDirgesagt,daßDeinVaternichtsterbenwürde,undDeinVaterwirdheuteAbendsterben.«»Mein Herr,« sagte der Prinz, der sich beinahe der

Lüge schämte, wodurch er den jungen Mann zuhintergehen versuchte, »mein Herr, vielleicht steht esnochnichtganzsoschlimm,wieIhrmeint.«»SagtIhrmir,daßichnochhoffendarf,Prinz?«fragte

RobertStuart.Condé wagte nicht zu antworten; in dem Blick des

jungenManneslageinAusdruck,derdasWortaufseinenLippenfesthielt.»Gestern, « sagte er endlich; »war das Todesurtheil

noch nicht genehmigt, noch nicht vom Königeunterzeichnet; heute ist es trotz meiner Anstrengungenunterzeichnet und bekannt gemacht worden; in einer

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Stundevielleichtwirdesvollstrecktwerden.«»In einer Stunde!« brummte der junge Mann dumpf

zwischen den Zähnen. »In einer Stunde kann man vielthun.«Erstürzte fortundmachteungefährzwanzigSchritte;

dann kam er zu dem Prinzen zurück und ergriff seineHand,dieermitKüssenbedeckteundinThränenbadete.»Vonheutean,vondieserMinutean,Prinz,»sagteer,

»habt Ihr einen getreueren, keinen ergebeneren Diener,alsmich.MeinLaib,meineSeele,meinKopf,meinArm,meinHerzgehörenEuch;EuchgebeichmeinLebenbisaufdenletztenBluttropfen.«Dann entfernte er sich, diesmal langsamen Schritts,

und verschwand, an der Ecke Des Quais, nachdem erdemPrinzennocheinmalmitdemKopfzugenickt.

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XIII.

AusdenKinderschuhen

Der jungeMann befand sich bereits aus der Spitze derCité, als der Prinz noch immer nicht aus seinen tiefenGedankenerwachtwar.Esistwahr,dieseGedankenwareninFolgeeinerjener

häufigenLaunendesGedächtnissesvonRobertStuartzudem Billet zurückgekehrt, das aus einem Fenster desLouvre geworfen worden, und das der Prinz vor einerhalbenStundebeimLampenscheinderMadonnagelesenhatte.WasauchderGegenstandseiner tiefenBetrachtungen

sein mochte, so wurde er durch einen neuen undunerwartetenZwischenfalldarausgeweckt.EinjungerMenschkambarhäuptigohneWammsund

röchelnd, aus dem Louvre und lief über den Platz, wiewennervoneinemtollenHundverfolgtwürde.Der Prinz glaubte ihn als den Pagen des Marschalls

vonSt.Andrézuerkennen,denerzumerstenMalindemWirthshaus bei St. Denis, zum zweiten Mal in, denGartenvonSt.Cloudgesehenhatte.»He t« rief er, als er ihn zehn Schritte vor sich sah,

»wohinlauftIhrdennso,meinjungerHerr?«

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Der jungeMann blieb plötzlich stehen, wie wenn eraufeinunübersteiglichesHindernisgestoßenwäre.»Ihr seids, gnädigsterHerr,« rief er, als er seinerseits

den Prinzen erkannte und zwar trotz des dunkelnMantels, worein er gehüllt war, und trotz desbreitrandigenHuts,derseineAugenbedeckte.»Nunjadenn,ichbins!undIhrseidesauch,wennich

michnichttäusche.IhrseidMezieres,derjungePagedesHerrnvonStAndré?«»Ja,gnädigsterHerr«»Und überdies seid Ihr, wenn ich dem Anschein

glauben darf, in Fräulein Charlotte verliebt, « fügte derPrinzhinzu.»Oh, ichwar es, ja, gnädigsterHerr ; aber ich bin es

nichtmehr.«»WasIhrsagt!«»IchschwöreesEuch.«»Da seid Ihr sehr glücklich jungerMann,« sagte der

Prinzhalbheiter undhalb traurig, »daß IhrEurerLiebenursoohneWeiteresdenAbschiedgebenkönnt;aberichglaubeesnicht.«»Wieso,gnädigsterHerr?«»Wenn Ihr nicht verliebt wie ein Narr, oder närrisch

wieeinVerliebterwäret,sokönnteichmirnichterklären,warum Ihr so spät am Abend so toll in der Weltherumlauft.«

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»Gnädigster Herr,« sagte der Page, »man hat mir soeben den tödlichsten Schimpf angethan, der je einemMannwiderfahrenist.«»EinemMann!« sagte der Prinz lächelnd; »vonwem

handeltessich?dochnichtvonEuchselbst?«»Warumnichtvonmirselbst?«»Ei,weilIhrnocheinKindseid.«»Ich sage Euch, gnädigster Herr, « fuhr der junge

Mensch fort, »ich sage Euch, daß ich auf dieentsetzlichste Art behandelt worden bin; Mann oderKind, ich: habe einmal das Recht seinen Degen an derSeitezutragen,undichwerdemichrächen.«»WennIhrdasRechthabteinenDegenanderSeitezu

tragen,sohättetIhrEuchseinerbedienenmüssen.«»Man hatmich durch Lakeien festnehmen, ergreifen,

knebelnund...«Der junge Mensch hielt mit einer Geberde des

höchsten Zornes inne, und seine blauen Augen warfen,wiebeiThierendie inderNachtherumschweifen,einendoppeltenBlitzinderDunkelheit.AndiesemZeichen erkannte derPrinzdenManndes

HassesundBlutes.«»Und?«fragteer.»Unddurchpeitschenlassen,gnädigsterHerr,sagteder

jungeMannmiteinemWuthschrei.»Dann,«versetztederPrinzspöttisch,»sehtIhrwohl,

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daß man Euch nicht wie einen Mann behandelt hat,sondernwieeinKind.«»GnädigsterHerr,gnädigsterHerr,«riefMezieres,»die

KinderwerdenschnellMänner,wennsiesiebzehnJahrezurückgelegt und einen solchen Schimpf zu rächenhaben.«»Immerhin,«versetztederPrinz,derwiederernsthaft

wurde, »ich höre gern so sprechen, junger Mann; aberwieistEuchdieserSchimpfwiederfahren?«»Ichwar,wieIhrsoebengesagthabt,gnädigsterHerr,

wie ein Narr in das Fräulein von St. André verliebt.Verzeiht, daß ich Euch dieses Geständniß ablege,gnädigsterHerr.s»Und warum sollte ich Euch Etwas zu verzeihen

haben?«»WeilIhrsiebeinaheebensoliebtetwieich.«»Ah, ah!« sagte der Prinz, »Ihr habt das bemerkt,

jungerMensch?«»Prinz, Ihrwerdetmir niemals den hundertstenTheil

des Bösen was Ihr mir zugefügt mit Gutem vergeltenkönnen.«»Werweiß?Fahrtfort.«»IchhätteweinLebenfürsiegegeben,«fuhrderPage

fort»undwelcheSchrankeauchdieGeburtzwischensieundmich gestellt habenmag, ich fühltemich bestimmtfür sie, wenn nicht zu leben, doch wenigstens zu

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sterben.«»Ich kenne das, sagte der Prinz lächelnd und ein

Zeichen mit der Hand machend, wie wenn er einenunangenehmen Gegenstand von sich entfernen wollte,»fahretfort«»Ich liebtesiesosehr,gnädigsterHerr»daß ichmich

darein ergeben hatte sie als die Frau eines Andern zusehen,unterderBedingung,daßdieserAnderesieebensosehr geliebt und geehrt hätte wie ich. Ja, sie geliebt,glücklichundgeehrtzuwissenhättemirgenügt.Ihrsehtalso, gnädigster Herr, wie weit meine ehrgeizigenAbsichten und meine verliebten Wünsche sicherstreckten.«»Nunwohl,«sagtederPrinz,»wasistgeschehen?«»Nunwohl,gnädigsterHerr,alsicherfuhr,daßsiedie

Maitresse desKönigswar, als ich er fuhr, daß sie nichtblos mich, der ich mehr als ihr Liebhaber, der ich ihrSklavewar, täuschte;nichtblosmich, sage ich, sondernauchEuch, der Ihr sie anbetet,Herrn von Joinville, dersie heirathen sollte, und den ganzen Hof, der inmittendiesesHaufensvonscham-undsittenlosenMädchensieallein für ein keusches, engelreines, aufrichtiges Kindhielt; alsmirdasgeoffenbartwurdegnädigsterHerr, alsich erfuhr, daß sie die Maitresse eines andern Manneswar...«»Nicht eines andernMannes, mein Herr ,« sagte der

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PrinzmiteinemunübersetzbarenTon—»sonderneinesKönigs.«»Mag sein ! eines Königs ; aber es ist nicht minder

wahr,daßmirderGedankegekommen ist,diesenMannzutödten,undwennerzehnmalKönigist.«Teufel! mein schöner Page, « sagte Condé, »Ihr seid

gar zu rasch und hitzig. Den König wegen einesverliebten Abenteuer zu tödten! Wenn man Euch fürdieseIdeeblosdurchgepeitschthat,soscheintesmir,daßIhrkeinRechthabtEuchzubeklagen.«»Oh, man hat mich nicht wegen dieser Idee

durchgepeitscht,«sagteMezieres.«»Warumdenn?WißtIhr,daßEureGeschichtemichzu

interessiren anfängt?Nurwäre esEuchvielleicht gleichsiemir imGehen zu erzählen.Erstenshabe ich eiskalteFuße, und zweitens habe ich auf dem Greveplatz zuthun.«»Mirliegtgarnichtsdaran,wohinichgehe,gnädigster

Herr,wennichmichnurvomLouvreentferne.«»Nun, das trifft sich vortrefflich, « sagte der Prinz,

indem er seine Sporen auf dem Pflaster klirren ließ.»Kommtmitmir,ichhöreEuchan.«»Dannschauteerihnlächelndanundfuhrfort»Da könnt Ihr sehen, was ein gemeinschaftliches

Unglück ist.Gesternglaubtet Ihr, ichwürdegeliebtundhattet Lust mich umzubringen; heute, da der König

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geliebtwird, führtdasMißgeschickunszusammen,undichbinjetztEuerVertrauter,indessenEhrlichkeitIhreinso großes Vertrauen setzet, daß Ihr ihm geradezugestehet,IhrhabetLustdenKönigumzubringen.Ihrhabtihnjedoch,nichtumgebracht,nichtwahr?«»Nein aber ich lag eine ganze Stunde lang in einem

hitzigenFieberinmeinemZimmer.«»Gut,«murmeltederPrinz,»geradewieich.«»NachVerfluß von zwei Stunden habe ich, da ich zu

keinem Entschluß gekommen war, an der Thüre desFräulein von St. André angeklopft, um ihr ihr ehrlosesBetragenvorzuhalten.«»Wiederumwie,ich,«murmeltederPrinz.»FräuleinvonSt.AndréwarnichtzuHaus.«»Ah!« sagte der Prinz, »hier hört die Gleichheit auf.

IchwarglücklicheralsIhr.«Der Marschall empfing mich. Er liebte mich sehr,

wenigstens,sagteeres.Alsermichsoblaßsah,erschraker.«»Was habt Ihr, Mezieres? fragte er mich. Seid Ihr

krank?«»Nein,gnädigerHerr,antworteteich.«»WasregtEuchdennsosehrauf?«»Oh,gnädigerHerr,meinHerz istvolIvonBitterkeit

undvonHaß.«Von Haß Mezieres! in Eurem Alter? Der Haß steht

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demAlterderLiebeschlechtan.«»Gnädiger Herr, ich hasse, ich will mich rächen. Ich

kamumFräuleinvonSt.AndréumeinenRathzubitten.«»MeineTochter?«»Ja,unddasienichtdaist...«»Ihrsehtes.«»SowillichmirdiesenRathvonEucherbitten.«»Sprecht,meinSohn.«»GnädigerHerr, fuhr ich fort, ich liebte glühend eine

junge...«»Soistsrecht,Mezieres!sagtederMarschall lachend;

erzähletmirvonEuernLiebesgeschichten,dieWertederLiebe kommen ganz natürlich auf die Lippen EuresAlters, wie im: Frühjahr die Blumen in die Gärtenkommen; und wird Euch Eure Liebe vergelten vonderjenigen,dieIhrheißliebet?«»Gnädiger Herr, ich machte nicht einmal Anspruch

darauf. Sie stand durch ihre Geburt und ihreGlücksumstände so hoch über mir, daß ich sie in derTiefemeinesHerzenswieeineGottheitanbetete,derichkaumdenSaumihresKleiderzuküssenwagte.«»EsistalsoeineDamevomHof?«»Ja,gnädigerHerr,antworteteichstammelnd.«»Ichkennesiealso?«»Ohja«»NunwohlwasistEuchwiderfahren,Mezieres?Eure

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Gottheit wird heirathen, wird die Frau eines Andernwerden,unddasbeunruhigtEuch?«»Nein, gnädiger Herr, antwortete ich, kühn gemacht

durchdenZorn,welchendieseWorteinmirerregten,dasMädchen das sich liebe wird nicht heirathen, nein, dasMädchendasichliebekannnichtmehrheirathen.«»Undwarumdas?fragtederMarschall,indemermich

unruhigausschaute.«»Weil das Mädchen das ich liebe öffentlich die

MaitresseeinesAndernist.«»Jetzt war es am Marschall unruhig zu werden. Er

wurdetodtenblaß,trateinenSchrittvorundfragte,indemermichfestundhartfixiert,mitgebrochenerStimme:»VonwemwolltIhrsprechen?«»Ah! Ihrwißteswohl,gnädigerHerr, antwortete ich,

undwennichEuchvonmeinerRachesage,sogeschiehtes,weil ich vermuthe, daß Ihr zudieserStunde JemandfürdieEurigesuchet.«»IndiesemAugenblicktratderHauptmannderGarden

ein.«»Stille! sagte derMarschall zumir«BeiEurenKopf,

stille!«»Dannaberschieneresdochfürklügerzuhaltenmich

ganzzuentfernen,undsagte:»Gehethinaus!«»Ich begriff, oder vielmehr ich glaubte zu begreifen.

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Wenn dem König ein Unglück widerfuhr, und wenndiesesUnglückvonmirherkam,sowarderMarschall,dader Hauptmann der Garden ihn mit mir reden gesehenhatte,blosgestellt.«»Ja,gnädigerHerr,antworteteich,»ja,ichgehe.«»UndichstürztedurcheineNebenthüreimInnern,um

dem Hauptmann der Garde weder im Gang noch imVorzimmerzubegegnen.»Als ich indeß einmal aus demSaale und außer dem

Gesichtskreiswar,bliebichstehen;dannschlichichmichaufderZehenzurückundnunhielt ichmeinOhrandieTapete, das einzige Hindernis, das mir das Sehenverwehrte,nichtaberdasHören.»Denkt Euch mein Staunen meine Entrüstung,

gnädigsterHerr.»EswardasPatentalsGouverneurvonLyon,dasman

HerrnvonSt.Andréüberbrachte.»DerMarschall empfingTitel undGunstbezeugungen

mitderDemutheineserkenntlichenUnterthanenundderOfficierwurdebeauftragtdemLiebhaberderTochterdieDanksagungendesVaterszuüberbringen.»KaumwarerfortsomachteichnureinenSprungvon

meinemVersteckbiszudemMarschall.»Ichweißnicht,wasichzuihmsagte,ichweißnicht,

mit welchen Beschimpfungen ich diesen Vaterbrandmarkte,derseineTochterverkaufte;aberdasweiß

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ich, daß ich nach einem verzweiflungsvollen Kampf,worin ich den Tod suchte und begehrte; gebunden;geknebeltmich in denHänden derLakaien befand, daßichderPeitsche,derSchandepreisgegebenwurde.InmittenmeinerThränenodervielmehrzwischendem

Blutehindurch,dasausmeinenAugenfloß,sah ichdenMarschall, dermich aus einemFenster seinerWohnunganschaute:dathaticheinenfurchtbarenEid:nämlichdaßdieserMann,welcherDenjenigen,der ihmRacheanbot,durchpeitschen ließ, daß dieser Mann nur von meinerHandsterbensolle.»Ich weiß nicht, war es der Schmerz oder der Zorn,

aberichfielinOhnmacht.»Als ichwieder zumir kam,war ich frei und stürzte

ausdemLouvrefort, indemichdenfurchtbarenSchwurwiederholte, den ich gethan hatte. Gnädigster Herr!gnädigsterHerr!«fuhrderPagemitsteigenderErhitzungfort,»ichweißnichtobeswahrist,daßichbloseinKindbin; nach meiner Liebe, nach meinem Haß glaubte ichetwasAndereszusein.AberIhrseideinMann,Ihr!aberIhrseideinPrinz!Nunwohl,ichsageesEuch,wieichesdamalsgesagthabe:derMarschallsollnurvonmeinerHandsterben.«»JungerMensch!«»UndwenigernochwegendesSchimpfes,denermir

angethan, als wegen desjenigen, den er selbst

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angenommenhat.«»JungerMensch,« sagte der Prinz, »wißt Ihr, daß ein

solcherEideineGotteslästerungist?«»GnädigsterHerrantwortetederPage,ganzvonseinen

Gedanken beherrscht und wie wenn er die Worte desPrinzen nicht gehört hätte, »gnädigster Herr, es ist einWunderderVorsehung,dasgestattethat,daßbeimeinemWeggangausdemLouvreIhrdieerstePersonwaret,derich begegnete ; gnädigster Herr, ich biete Euch meineDienstean;unsereLiebewargleich,wennunserHaßesauch nicht ist, gnädigster Herr; im Namen diesergemeinschaftlichen Liebes bitte ich Euch, mich unterEureDieneraufzunehmen;meinKopf,meinHerz,meineArme sollen Euch gehören, und bei der erstenGelegenheit werde ich Euch beweisen daß man mirkeinenUndankvorwerfenkann.NehmtIhran,gnädigsterHerr?«»DerPrinzbesannsicheinenAugenblick.»Nun wohl, gnädigster Herr,« wiederholte der junge

Mann ungeduldig, »nehmt Ihr das Anerbieten meinesLebensan?«»Ja,« sagte der Prinz, indem er beides Hände des

jungenMannes in die seinigen nahm, »aber unter einerBedingung.«»Unterwelches,gnädigsterHerr?«»Daß Ihr Euern Plan den Marschall zu er morden

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aufgebt.«»Oh, Alles was Ihr wollt, gnädigster Herr!« rief der

junge Mann auf dem Gipfel der Exaltation, »nur dasnicht.«»Danngehtesnicht,denndießistdieersteBedingung

dieichfürEuernEintrittinmeinenDienstfestsetze«:«»Oh gnädigster Herr, ich bitte Euch auf den Knien

verlangtdasnichtvonmir.«»WennIhrmirdenEidnichtleistet,denichvonEuch

verlange,soverlaßtmichaugenblicklich,meinHerr; ichkenneEuchnicht,ichwillEuchnichtkennen.«»GnädigsterHerr,gnädigsterHerr!«»IchbefehligeSoldatenundkeineBanditen.«»Oh,gnädigsterHerr,« istesmöglich,daßeinMann

einem andern Mann die Erlaubniß verweigert einetödtlicheBeleidigungzurächen?«»AufdieArtwieIhrsagt,ja.«»AbergibtesirgendeinanderesMittelinderWelt?«»Vielleicht.«»Oh,«sagtederjungeMannkopfschüttelnd,»niewird

der Marschall sich dazu verstehen, mit einem seinerehemaligenDienerdenDegenzukreuzen.«»Natürlich,« antwortete der Prinz, « »in einem

regelmäßigenDuellnicht;abereskanneineGelegenheitkommen, wo der Marschall Euch diese Ehre nichtverweigernkann.«

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»WelcheGelegenheit?«»Setzet,denFall,IhrträfetaufeinemSchlachtfeldmit

ihmzusammen.«»AufeinemSchlachtfeld!«»Nunwohl,andiesemTags,Mezieres,verpflichteich

mich,EuchmeinenPlatzabzutreten,selbstwennichihmgegenüberstehensollteundnichtIhr.«»AberwirddieserTagjemalskommen,gnädigerHerr

?«fragtederjungeMannfieberisch,»istesmöglich,daßerjemalskommt?«»Vielleicht früher als Ihr glaubt, « antwortete der

Prinz.«»Oh, wenn ich dessen gewiß wäre!« rief der Junge

Mensch.«»Wer Teufel kann in dieser Welt einer Sache gewiß

sein ?« sagte der Prinz. »Es gibt Wahrscheinlichkeitenmehrnicht.«Der junge Mensch, sann jetzt ebenfalls einen

Augenblickstillenach.»SehtgnädigsterHerr,«sagteerdann,»ichweißnicht,

woher mir die Ahnung kommt, daß wirklich etwasSeltsamesundDrohendes inderLuft liege;überdieshatmanmirEtwasprophezeit . . . Ichnehmean,gnädigsterHerr.«»UndIhrschwört?«»Den Marschall nicht verrätherisch zu ermorden, ja,

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gnädigster Herr; aber wenn ich auf einem Schlachtfeldmitihmzusammentreffe...«»Oh, dann trete ich ihn Euch ab, ich gebe ihn Euch

preis, er gehört Euch; nur müßt Ihr Euch in Achtnehmen.«»Warum?«»DerMarschallisteinsehrtüchtigerSoldat.«»Oh, was das betrifft, gnädigster Herr, das ist meine

Sache;mögenurmeinguteroderböserEngelmichvorihnführen,dasistAlleswasichverlange.«»Dann bleibt es dabei und unter dieser Bedingung

gehörtIhrzudenMeinigen.«»Oh,gnädigsterHerr!«DerjungeMenschwarfsichaufdieHanddesPrinzen

undküßtesie.«Sie waren auf der Mühlenbrücke angekommen; das

Quai begann sich mit, Leuten zu füllen, die sich nachdemGreveplatzdrängten.DerPrinzhieltesfürgerathensich des Pagen zu entledigen,wie er sichRobert Stuartentledigthatte.»IhrkenntdasHotelCondé?«fragteerihn.»Ja,gnädigsterHerr.«»Nunwohl, so begebt Euch dahin, sagt, daß Ihr von

Stund an zu meinem Hause gehöret, und verlanget einZimmer in dem Flügel, den meine Stallmeisterbewohnen.«

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DannfügtederPrinzmitjenembezauberndenLächeln,das ihm, wenn er wollte, die Herzen seiner Feindegewann und dann seine Freunde zu Fanatikern für ihnmachte,hinzu:»Ihrsehet,daßichEuchwieeinenMannbehandleund

nichtswieeinenKnaben,dernochindenKinderschuhenist.«»Dank, gnädigster Herr,« antwortete Mezieres

ehrerbietig; »von diesem Augenblick an verfüget übermichalsübereineSache,dieEuchgänzlichangehört.«

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XIV.

WasderKopfdesPrinzenvonCondéwog.

Währenddie indenvorhergehendenCapitelnerwähntenEreignisse stattfanden, das heißtwährend der doppeltenBesprechung des Prinzen von Condé mit Robert StuartundMeziereswollenwir einwenig sagen,was sich imLouvrezutrug.Wir haben gesehen,wieHerr vonCondé vomKönig

und wie Fräulein von St André von Herrn von CondéAbschiedgenommenhatte.AlsHerrvonCondésichentfernthatte,wardasjunge

Mädchen wie vernichtet von Schmerz sitzen geblieben;dann aberwar sie einer verwundeten Löwin gleich, diesich, nachdem sie Anfangs unter dem Schlag erlegen,allmählig erholt und den Kopf schüttelt und wiederaufrichtet,ihreKlauenausstrecktundanzieht,undindennächsten Bach läuft, um sich mit Muße darin zubetrachtenundzusehenobsie immernochdieselbe ist,anihrenSpiegelgelaufen,umsichzuüberzeugen,obsiein dem schrecklichen Kampf Nichts von ihrerwunderbaren Schönheit verloren habe, und als sie sichnoch immer gleich verführerisch fand, unter demfurchtbaren Lächeln womit sie ihren Haß bedeckte, da

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zweifelte sie nicht mehr an der Macht ihrer Reize undschlugdenWegnachdenGemächerndesKönigsein.JedermannkanntebereitsdasEreignißvongestern,so

daßalleThürensichvorFräuleinvonSt.Andréöffneten,unddaß,alssieeinZeichengab,daßsienichtangemeldetzuwerdenwünsche,OffiziereundHuissiers sich andieWand stellten und blos mit dem Finger auf dasSchlafzimmerdeuteten.Der König saß nachdenklich und sinnend in seinem

Lehnstuhl.Kaum hatte er sich entschlossen König zu sein, als

bereits die Last des Königthums auf seine Schulternherabfielundihnerdrückte.ErhattedahernachseinerErörterungmitdemPrinzen

von Condé seiner Mutter sagen lassen, sie möge ihmBefehlertheilenzuihrzukommenodersiemögeihmdieGnadeerweisenbeiihmzuerscheinen.ErwartetealsoundwagteesnichtnachderThürezu

sehen,weilerfürchtete,dasstrengeGesichtderKöniginMuttermöchtezumVorscheinkommen.Statt dieser strengen Physiognomie war es das

holdseligeGesicht des jungenMädchens, das sich unterderaufgehobenenTapeteabzeichnete.AberFranz II. sahsienicht.ErhatteseinenKopfder

entgegengesetzten Seite zugekehrt, denn er dachte, eswürdeimmernochZeitseinsichumzuwenden,wennder

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schwereundetwasgewichtigeTrittseinerMuttereinmaldenFußbodenunterdemTeppicherkrachenmache.DerTrittdesFräuleinsvonSt.Andrégehörtenichtzu

denjenigen, unter welchen die Fußböden erdröhnen.GleicheinerNixehättedasschöne jungeMädchenüberBinsen hingehen können, ohne ihre Spitzen zu beugen;gleich den Salamandern hätte sie sich auf dem CapitäleinerRauchsäulezumHimmelerhoben.Sie trat also in das Zimmer, ohne gehört worden zu

sein;ungehörtnähertesiesichdemjungenKönig;alssiebei ihm war, schlang sie verliebt ihre Arme um seinenHals, und im Augenblick wo er den Kopf aufrichtete,drücktesieihrebrennendenLippenaufseineStirne.Es war nicht Catharina von Medici; die Königin

Mutter hatte keine so glühende Liebkosungen für ihreKinder, oder wenn sie solche hatte, so bewahrte siedieselben für den Günstling ihrer Mutterliebe, fürHeinrich III.Aber fürFranz II., diesesKinddas sie aufVerordnung des Arztes in einem Augenblick desUnwohlseins empfangen hatte, das schwächlich undungesund auf die Welt gekommen war, hatte sie kaumdiejenigeZuneigung,dieeineerkaufteAmmemanchmalfürihrenPfleglinghat.EswaralsonichtdieKöniginMutter.EswarauchnichtdiekleineKöniginMarie.Die kleine Königin Marie, etwas vernachlässigt von

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ihremGemahl,zweiTagevorherdurcheinenSturzvomPferde verwundet, auf einer Longuechaise liegend aufBefehl der Aerzte, die in Folge dieses Sturzes eineFehlgeburt fürchteten, die kleine Königin, wie man sienannte,warnichtimStandzuihremGemahlzukommen,und hatte keinen Grund an ihn ihre Liebkosungen zuverschwenden, die übrigens für alle Diejenigen, welchesieempfingsotödtlichwaren.EswaralsoFräuleinvonStAndré.Der König brauchte somit das Gesicht das überdem

seinigenlächeltenichtanzusehen,umzurufen:»Charlotte!«»Ja, mein viel geliebter König!« sagte das junge

Mädchen, »Charlotte — Ihr könnt sogar sagen meineCharlotte — außer wenn Ihr mir nicht mehr erlaubenwolltetzusagen:meinFranz.«»Oh, immer, immer!« sagte der junge Fürst, der sich

erinnerte, umwelchen Preis er so eben dieses Recht inder furchtbaren Erörterung mit seiner Mutter erkaufthatte.«»Nunwohl,EureCharlottekommtumEuchEtwaszu

fragen.«»Wie viel,« sagte das junge Mädchen mit einem

zauberischenLächeln,»wievielderKopfeinesManneswerthist,dersietödtlichbeschimpfthat?«Eine lebhafte Röthe bedeckte die bleiche Stirne des

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Königs,dereinenAugenblickzulebenschien.»Ein Mann hat Euch tödtlich beschimpft, meine

Liebe?«fragteer.»Tödtlich.«»Ah,ah,dießistderTagderBeschimpfungen,»sagte

der König: »denn auch mich hat ein Mann tödtlichbeschimpft; unglücklicher Weise kann ich mich nichträchen. Um so schlimmer also für den Eurigen, meineschöneFreundin,«sagteFranzII.MitdemLächelneinesKindes, das einen Vogel erwürgt, »der Eurige wird fürBeidebezahlen.«»Dank,meinKönig!Ichzweifeltenichtdaran,daß,je

mehr das junge Mädchen, das Alles für Euch geopferthat, entehrtworden ist, Ihrumsogeneigter seinwürdetfürihreEhreParteizuergreifen.«»WelcheStrafeverlangetIhrfürdenVerbrecher?«»HabichEuchnichtgesagt,daßdieBeleidigungeine

tödtlichesei?«»Nunwohl?«»Nunwohl,aufeinetödtlicheBeleidigunggebührtdie

Todesstrafe.«»Oh,oh,«sagtederFürst,»es istheutekeinTagder

Gnade,JedermannverlangtdenTodvonirgendJemand.UndwelcherKopf ist es, den Ihr verlangt? Laßt sehen,meineschöneGrausame.«»Ich habe es Euch bereits gesagt, Sire, derKopf des

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Mannesdermichbeschimpfthat.«»Nocheinmal,«sagteFranzII.lachend,»umEuchden

Kopf dieses Mannes zu geben muß ich seinen Namenwissen.«»Ich glaubte daß die Waage des Königs nur zwei

Schalenhätte:diedesLebensunddiedesTodes;diedesUnschuldigenunddiedesSchuldigen.«»Aber die Schale des Schuldigen kann mehr oder

wenigerschwerdiedesUnschuldigenmehroderwenigerleichtsein.Nunwohl,sprecht,weristderSchuldige?IsteswiederumeinParlamentsrathwiedieserunglücklicheDubourg den man morgen verbrennt? In diesem FallgingedieSacheganzvonselbst—meineMutter ist imAugenblickvollHaß—manwürdezweiverbrennenstatteinesEinzigen,undNiemandwürdeesbemerken,alsderzweiteVerbrannte.«»Nein,esistkeinJustizmann,Sire,esisteinManndes

Degens,«»Vorausgesetzt, daß es sich nicht um die Herrn von

Guise,undHerrnvonMontmorencyoderumEuernVaterhandelt,könnenwirschonnochzuStandekommen.«»Eshandeltsichnichtnurnichtvoneinenvondiesen

drei,sonderneristnochihr'Todfeind.«»Gut« sagte derKönig, »jetztwirdAlles von seinem

Rangabhängen-«»VonseinemRang?«

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»Ja.«»Ichglaubte,esgebefüreinenKönigkeinenRangund

ihmgehöreAlleswasunterihmstehe.«»OhmeineschöneNemesis,wiehitzigIhrdreinfahrt!

Glaubt Ihr zum Beispiel, das meine Mutter unter mirstehe?«»IchsprechenichtvonEurerMutter.«»DaßdieHerrenvonGuiseuntermirstehen?«»IchsprechenichtvondenHerrenvonGuise.«»DaßHerrvonMontmorencyuntermirstehe?«»EshandeltsichnichtumdenConnetabel.«Eine Idee durchzuckte wie ein Blitz den Kopf des

Königs.»Ah!« sagte er, »und Ihr behauptet, ein Mann habe

Euchbeschimpft?«»Ichbehaupteesnicht,ichversicherees«»Wann?«»Soeben.«»Wo?«»AufmeinemeigenenZimmer,inwelcheservonEuch

hinweggekommenist.«»Gut,« sprach der König, »ich begreife. »Es handelt

sichvonmeinemVetter,HerrnvonCondé?«»Ganzrichtig,Sire.«»Und Ihr fordert denKopfdesHerrnvonCondévon

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mir?«»Warumdennnicht?«»Zum Henker, was fällt Euch denn ein, mein

Liebchen!EinköniglicherPrinz!«»SchönerFürst!«»DerBrudereinesKönigs!«»SchönerKönig!«»MeinVetter!«»Eben das erschwert seine Schuld ; denn da er zu

Eurer Familie gehört, Sire, so schuldet er Euch einengrößerenRespect.«»Mein Liebchen,mein Liebchen, Ihr verlanget viel!«

sagtederKönig.»Oh,weilIhrnichtwißt,wasergethanhat.««Doch,ichweißes.«»Ihrwißtes?«»Sosagtmirs.«»Nun wohl, er hat auf der Treppe des Louvre das

Schnupftuchgefunden,dasIhrdortverlorenhattet.«»Weiter?«»IndiesemSchnupftuchwardasBillet,dasLanouean

Euchgeschriebenhat.«»Weiter.«»DiesesBillethaterderFrauAdmiralingegeben.«»Weiter.«

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»Aus Bosheit oder Unvorsichtigkeit hat die FrauAdmiralinesimCirkelderKöniginfallenlassen.«»Weiter.«»Herr von Joinville hat es gefunden, und da er

glaubte,eshandlesichumeineganzanderePersonalsumEuch,sohateresderKöniginMuttergezeigt.«»Weiter.«»Daher der boshafte Spaß, welcher veranlaßte, daß

unterdenAugenEuresVatersundEuresBräutigams...«»Weiter?«»Wiesoweiter?«»Ja.«»IstdasnochnichtAlles?«»WowarHerrvonCondéwährenddieserZeit?«»Ichweißesnicht,inseinemHoteloderaufverliebten

Abenteuern.«»Er war nicht in seinem Hotel und lief keinen

Abenteuernnach.«»Jedenfalls war er nicht unter Denjenigen die uns

umringten.«»Nein;abererwarimZimmer.«»InunseremZimmer?«»InunseremZimmer«»Wo?ichhabeihnnichtgesehen.«

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»Abererhatunsgesehen!abererhatmichgesehen!«»ErhatEuchdasgesagt?«»Und noch viele andere Dinge, wie z. B. Daß er in

michverliebtsei.«»Daß er in Euch verliebt sei !« rief der König mit

einemGebrülle.»Oh,wasDasbetrifft, sowußte ich eswohl, denn er

hatesmirschonzwanzigmalgesagtodergeschrieben.«Franzwurdesoblaßalswennersterbenwollte.»Und seit sechs Monaten, « fuhr Fräulein von St.

Andréfort,»spazierterjedenAbendvonzehnbiszwölfUhruntermeinemFensterherum.«»Ha!«sagtederKönigmitdumpferStimme,indemer

denSchweißabwischtederaufseinerStirneperlte,»DasistetwasAnderes.«»Nunwohl,Sire, ist derKopfdesHerrnPrinzenvon

Condéjetztleichtergeworden?«»So leicht, daß, wenn ich nicht an mich hielte, der

Wind meines Zornes ihn von seinen Schultern wehenwürde.«»UndwarumhaltetIhranEuch,Sire.«»Charlotte, Das ist eine so wichtige Angelegenheit,

daßichsienichtalleinentscheidenkann.«»Ja, Ihr braucht die Erlaubniß Eurer Mutter, armes

Ammenkind,armerKönigineinemWickelzeug.«Franz warf Derjenigen die ihm diese doppelte

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BeleidigunggesagthatteeinendrohendenBlickzu;aberer begegnete dem Blick des jungen Mädchens, derebenfallssodrohendwar,daßerdieAugenabwandte.EsgeschahDasselbewasbeieinemKampfegeschieht:

dieAneinanderreibungdesEisensentferntedasEisen.DerStärkerentwaffnetedenSchwächeren.UndJedermannwarstärkeralsderarmeFranzII.»Nunwohl,«sagteFranz,»wennichdieserErlaubniß

bedarf,sowerdeichsieverlangen,unddamitPunktum.«»UndwenndieKöniginMuttersieEuchverweigert?«»Wennsiemirsieverweigert!«sagteder jungeFürst,

indemerseineMaitressemiteinemgrimmigenAusdruckbetrachtete, dessenman sein Auge nicht fähig geglaubthätte.»Ja,wennsieEuchdieErlaubnißverweigert?«EsentstandseinekurzePause.NachdieserPausehörte

manEtwaswiedasGezischeeinerNatter.EswardieAntwortdesKönigsFranzII.»Ichwerdesiezuentbehrenwissen,«sagteer.»IstdaswahrwasEuerMajestätdasagt?«»Sowahr als ich denPrinzen vonCondé bis auf den

Todhasse.«»Und wie viele Minuten verlangt Ihr von mit, um

diesenschönenRacheplanzurAusführungzubringen?«»Ah solche Pläne reifen nicht in einigen Minuten,

Charlotte.«

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»WievieleStunden?«»Die Stunden gehen schnell dahin, und man bringt

nichtsGuteszuStandewennmansichübereilt.«»WievieleTage?«Franzüberlegt.»IchverlangeeinenMonat,«sagteer.»EinenMonat?«»Ja.«»DasheißtdreißigTage?«»DreißigTage.«»DreißigTageunddreißigNächtealso?«Franz II. wollte eben antworten, aber die Tapete hob

sichundderdienstthuendeOffiziermeldete:»IhreMajestätdieKöniginMutter!«»Der König zeigte seiner Geliebten die kleine

Alkoventhüre, welche in sein Cabinet führte, das eineneigenenAusgangaufdenCorridorhatte.Das junge Mädchens hatte eben so wenig als ihr

GeliebterLust derKöniginMutter persönlich dieStirnezu bieten ; sie eilte in der bezeichneten Richtung fort,aberbevorsieverschwand,hattesienochZeitdemKönigdieletztenWortezuzuwerfen:»HaltetEuerVersprechen,Sire!«DerletzteTondieserWortewarnochnichtverhalltals

dieKöniginMutter,zumzweitenMaleandiesemTag,imSchlafzimmerihresSohneserschien.

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***

Eine Viertelstunde nach der Hinrichtung AnneDubourgsglichderGreveplatz,düsterundverlassen,nurnoch hie und da von einem letzten Aufflackern desScheiterhaufens beleuchtet, einemgroßenKirchhof, unddie Funken, die umher hüpften, erhöhten dieAehnlichkeit; indemsie jene Irrlichtervorstellten,die indenlangenWinternächtenüberdenGräberntanzen.Und diese Illusion wurde noch vervollständigt durch

zweiMänner, welche langsam und still wie GespensterüberdenPlatzschritten.Ohne Zweifel hatten sie mit ihrem nächtlichen

Spazierganggewartet,bisdieMengesichzerstreuthatte.»NunPrinz,« begann einer der beidenMänner indem

er zehn Schritte vorn Scheiterhaufen stehen blieb undtraurigseineArmekreuzte,»wassagtIhrvondemwassoebenvorgefallenist?«»Ich weiß nicht, was ich Euch antworten soll, mein

Vetter, antwortete der Mann, der als Prinz angeredetworden; »aber das weiß ich, daß ich schon vielemenschliche Geschöpfe habe sterben sehen; ich habeTodeskämpfeallerArtangewohnt, ichhabezwanzigmaldas letzte Röcheln eines Sterbenden gehört: nun wohl,Herr Admiral noch niemals hat weder der Tod einestapfern Feindes noch der Tod einer Frau, noch der Tod

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eines Kindes einen solchen Eindruck auf michhervorgebracht,wieichindemAugenblickempfandwodieseSeeledieErdeverließ.«»Wasmichbetrifft,PrinzsagtederAdmiral,dernicht

verdächtigwar,wennervonMuthsprach,»sofühlteichmichvoneinemunerklärlichenSchreckenergriffen,undwäre ich an der Stelle des Verurtheilten gewesen,meinBluthättenicht schrecklicher inmeinenAderngerinnenkönnen. Mit Einem Wort, mein Vetter,« fügte derAdmiralhinzu,indemerdenPrinzenbeimFaustgelenkehielt,»ichhabeFurchtgehabt.«»Furcht, Herr Admiral,« sagte der Prinz, indem, er

Herrn von Coligny erstaunt anschaute, »sagtet, Ihr, IhrhättetFurchtgehabt,oderhabeichfalschgehört?«,»Ichhabeeswirklichgesagt,undIhrhabtrechtgehört.

Ja, ich habe Furcht gehabt; ja, es, ist mir ein gewissereisiger Schauer durch die Adern gefahren, eine düstereAhnung meines nahen Endes hat sich meines Herzensbemächtigt.Vetter,ich,binüberzeugt,daßauchicheinesgewaltsamenTodessterbenwerde«»So gebtmir dieHand,HerrAdmiral, dennman hat

mirprophezeit,daßichermordetwerdensolle.»EinenAugenblickschwiegenBeide.Sie standen unbeweglich da, gefärbt von einer

röthlichen Schattirung, dem Rückstrahl der letztenFlammendesScheiterhaufens.

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Der Prinz von Condé schien in eine schwermüthigeTräumereiversunken.DerAdmiralvonColignysanntiefnach.Auf einmal erhob sich ein Mann von hohemWuchs

und ineinengroßenMantelgehülltvor ihnen,ohnedaßsie in ihrem tiefen Kummer das Getöne seiner Schrittegehörthätten.»Wer ist da?« fragten die beiden Männer, indem sie

zusammenfuhren und mechanisch nach ihren Degengriffen.»EinMann,« antwortete der neueAnkömmling, »den

Ihr, Herr Admiral, gesternAbendmit einemGesprächebeehrt habt, und der beim Weggehen von Euchwahrscheinlich ermordet worden wäre, wenn der HerrPrinzihmnichtHilfegeleistethätte.«So sprechend hatte sich der neue Ankömmling,

nachdem er seinen breitrandigen Filz abgenommen undden Admiral gegrüßt, gegen den Prinzen von Condégekehrt und sich vor ihm noch tiefer vorbeugt als vordemAdmiral.«DerPrinzundderAdmiralerkanntenihn.DerBarondelaRenaudie!«riefenBeidezugleich.LaRenaudiemachte seinenArmvondemMantel los

undstreckteihnlebhaftgegendenAdmiralaus.AbersoraschseineBewegungwar,sokameinedritte

Handderseinigenzuvor.

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EswardieHanddesPrinzenvonCondé.»Ihr täuschen Euch, mein Vater, « sagte er zum

Admiral,»wirsindzudrei.«Ist es wirklich wahr, mein Sohn?i« rief der Admiral

vollFreude.Beim letztenSchimmerdesScheiterhaufensbemerkte

maneinenTrupp,derüberdenPlatzherkam.»Ah!« sagte der Admiral, «»da kommt Herr von

Mouchy mit seinen Leuten. Ziehen wir uns zurückFreunde, und vergessen wir niemals, was wir soebengesehenundbeschworenhaben!«Wie die drei Verschwören beim Schein der Flammen

Herrn von Mouchy gesehen hatten, so hatte Herr vonMouchyauchsiegesehen,aberohnesiezukennen,dasieinihreMänteleingehülltwaren.Er gab seinen Leuten Befehl auf die verdächtige

Gruppezuzugehen.AbergleichalshättedieFlammenuraufdiesenBefehl

gewartet, um zu erlöschen, sie verschwand auf einmalundderPlatzkehrteindietiefsteDunkelheitzurück.Und in dieser Dunkelheit verschwanden die drei

künftigen Häupter der protestantischen Reformation,welche einer um den andern als Opfer des so ebengeleistetenEidesfallensollten.

ENDE.