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LWL-Museum für Kunst und Kultur. Westfälisches Landesmuseum. Das Kunstwerk des Monats Februar 2015 David Hockney (*1937) Artist and Model, 1973-74 Radierung, Edition 49/100 Blattmaß 75,0 x 56,8 cm Plattenmaß 57,4 x 44,3 cm Inv. Nr. C-1178 LM

Das Kunstwerk des Monats - LWL · 2015. 2. 13. · LWL-Museum für Kunst und Kultur. Westfälisches Landesmuseum. Das Kunstwerk des Monats Februar 2015 David Hockney (*1937) Artist

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Page 1: Das Kunstwerk des Monats - LWL · 2015. 2. 13. · LWL-Museum für Kunst und Kultur. Westfälisches Landesmuseum. Das Kunstwerk des Monats Februar 2015 David Hockney (*1937) Artist

LWL-Museum für Kunst und Kultur.Westfälisches Landesmuseum.

Das Kunstwerkdes MonatsFebruar 2015

David Hockney (*1937)Artist and Model, 1973-74Radierung, Edition 49/100Blattmaß 75,0 x 56,8 cm Plattenmaß 57,4 x 44,3 cm Inv. Nr. C-1178 LM

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Pablo Picasso (1881–1973) kann sicher als einer dereinflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts ge-sehen werden. Nicht nur seine Zeitgenossen, auchjüngere Generationen von Künstlern setzten sich in-tensiv mit seinem Schaffen auseinander. So auch der 1937 im englischen Bradford geborene David Hockney. Von Beginn seiner Karriere an ließ sich derbritische Maler von Picassos Werken inspirieren. Vorallem dessen kubistische Arbeiten und Theorien bil-den sowohl für seine Gemälde als auch für seine Fotografien eine bedeutende Grundlage. Hockney be-gegnete ihnen erstmals während seines Studiums ander Bradford School of Art. Die Faszination für denspanischen Künstler intensivierte sich, als 1960 dieLondoner Tate Gallery eine große Picasso-Schauzeigte. Hockney, der zu dieser Zeit am Royal Collegeof Art in London studierte, besuchte die Ausstellunginsgesamt acht Mal.

Einen vorläufigen Höhepunkt der Beschäftigung mitdem spanischen Künstler stellen zwei Radierungendar, die Hockney nach dessen Tod 1973 anfertigte. Siebringen die Bedeutung Picassos als Meister zum Aus-druck. Der Berliner Propyläen Verlag veröffentlichte1974 in Gedenken an den verstorbenen Künstler dasPortfolio „Hommage à Picasso“ und Hockney schuffür diese Grafikmappe die Radierung The Student: Homage to Picasso (Abb. 1). Hier inszeniert sich Hockney als Student, der mit einer Grafikmappe unter dem Arm vor eine Porträtbüste tritt, die den jungen Picasso zeigt. Diese Grafik veranschaulicht bereits die Virtuosität im Umgang mit den unter-schiedlichen Druckverfahren, die sich Hockney mit der Zeit angeeignet hatte. Die zweite Radierung Artist and Model stellte er für eine Edition her, die 1974 bei Petersburg Press erschienen ist. Der Titel rekurriertauf Picassos zahlreiche Grafiken zu dem Thema„Künstler und Modell“ aus den 1930er Jahren. Von derRadierung Artist and Model wurde 1979 der Abzug 49 aus der auf 100 Exemplare limitierten Auflage zusammen mit zwei weiteren Grafiken Hockneys (TheMarriage, 1962 und Still Life with Book, 1973) für diegrafische Sammlung des LWL-Museums für Kunst undKultur angekauft. In der Folge erstellte Hockney eine20-teilige Serie von Radierungen, die auf dem 1937entstandenen Gedicht des amerikanischen DichterWallace Stevens The Man with the Blue Guitar basie-ren, und auf Picassos Werk Alter Mann mit Gitarre ausdem Jahr 1903 zurückgeht.

Der Betrachter der Radierung Artist and Model siehtdie beiden Künstler in einem Raum an einem Tisch,der mit einem Tuch bedeckt ist, einander gegenübersitzend. Im Hintergrund gibt ein großes Fenster mitgeöffneten Vorhängen den Blick auf die Umgebungfrei. Ein Haus ist erkennbar, über das sich von rechtsein Baum in das Blickfeld neigt. Während Picasso in

der für ihn typischen Weise mit einem blau-weiß ge-streiften Oberteil bekleidet ist, hat David Hockney sichselbst als Akt dargestellt. Er ist an den längeren blon-den Haaren und seiner charakteristischen Brille er-kennbar. Auffällig ist, dass er im Gegensatz zu seinembekleideten Gegenüber auf einem Kissen sitzend ge-zeigt wird. Die beiden Figuren blicken sich in die Augen,die Gesichtszüge zeigen jedoch keinerlei Andeutungeiner Unterhaltung. Picasso hält ein zusammengeroll-tes Papier in den Händen, dessen Bedeutung nichtklar ist. In der Forschung gibt es einige voneinanderabweichende Interpretationen: Während die einen vermuten, dass es sich dabei um eine Zeichnung Picassos von Hockney handle, die er soeben fertig gestellt habe, behaupten die anderen, es sei eine Arbeit von Hockney, die Picasso gerade begutachte. Esist typisch für Hockney, den Betrachter im Unklarenzu lassen.

Auch die Tatsache, dass Hockney nackt gezeigt ist,lässt sich auf verschiedene Weise deuten. Sie wird zu-meist als Selbstdarstellung Hockneys als Modell fürden Meister interpretiert. Es gibt jedoch auch die Ansicht, dass Hockney sich hier im Sinne des sokra-tischen Eros als Anhänger oder Jünger Picassos dar-

Abb 1: David Hockney, The Student: Homage to Picasso,1973, Radierung (Edition von 90 Blättern), 76,2 x 55,9 cm

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stelle. Hockney wolle sich hier möglicherweise als unschuldig und frei von bildnerischen Konventionenpräsentieren, um möglichst uneingeschränkt den künstlerischen Geist Picassos aufnehmen zu können.Bedenkt man, dass Hockney sich während seiner ge-samten Karriere mit Werken Picassos auseinanderge-setzt hat, so könnte im übertragenen Sinne hier auchPicasso Modell für den britischen Künstler stehen.

Eine genaue Verortung der Szene ist nicht möglich, je-doch mag sich der Betrachter an die späten Fotos,die Picasso in seinem Anwesen in der französischenProvence zeigen, erinnert fühlen. Die Aussicht aus demFenster zeigt demnach vielleicht eine Villa an der fran-zösischen Riviera. Dass Hockney für die Radierungunter anderem fotografische Vorlagen verwendete, istvon ihm selbst berichtet worden. So geht insbeson-dere die Darstellung Picassos auf eine Fotografie zu-rück, wie Hockney zu dieser Arbeit bemerkte.

Eine große Rolle neben der Auseinandersetzung mitPicasso spielt auch Hockneys Beschäftigung mit ver-schiedenen Drucktechniken für die Darstellung Artistand Model. Bereits während seiner ersten Studien-jahre hatte David Hockney sich neben der Zeichnungund der Malerei mit der Druckgrafik auseinanderge-setzt. Seine ersten Experimente mit der Lithografieempfand er jedoch als wenig zufriedenstellend, ver-misste er doch vor allem die Spontaneität bei diesemVerfahren. Die Radierung hingegen ermöglichte es ihm,impulsiv und unmittelbar in den Ätzgrund zu zeichnen.Üblicherweise wird bei dem Radierverfahren eineDruckplatte, meistens aus Kupfer, mit einer säurebe-ständigen Beschichtung, dem Ätzgrund, versehen. In diesen Ätzgrund kann dann mit einem Griffel gezeichnet werden, kommt die Platte dann in ein Säu-rebad, werden dort, wo der Ätzgrund verletzt wurde,Vertiefungen in das Metall geätzt. In diesen Vertiefun-gen sammelt sich die Druckfarbe und kann auf dasPapier übertragen werden. Seine ersten Radierungenfertigte Hockney in seinem zweiten Jahr am Royal College of Art an. Der Grund, sich dieser Technik zu-zuwenden, war so naheliegend wie pragmatisch: „I started doing graphic work in 1961 because I’d run out of money and I couldn’t buy any paint, and inthe graphic department they gave you the materialsfor free. So I started etching.” (David Hockney)

In der vorliegenden Grafik setzte er verschiedene Ver-fahren ein, wie beispielsweise die sogenannte „Re-servage“. Dabei handelt es sich um ein bestimmtesRadierverfahren, ein sogenanntes Aussprengverfah-ren. Eine konzentrierte schwarzgefärbte Zuckerlösungwird dazu mit einem Pinsel oder einer Feder direkt aufdie Metallplatte aufgetragen. Erst dann wird der Ätz-grund darüber gelegt. In heißem Wasser wird dieserdurch den sich lösenden Zucker an den bezeichneten

Stellen abgesprengt und die entsprechenden Stellenso zum Ätzen freigelegt. Diese Technik ermöglicht einesehr authentische Wiedergabe zeichnerischer Effekte,wie Artist and Model zeigt. Hockney setzte darin das Verfahren bewusst für die Figur von Picasso ein,hatte dieser doch selbst häufig in dieser Technik ge-arbeitet. Obwohl Hockney sich schon länger mit demsogenannten Aussprengverfahren mit Zucker ausei-nandergesetzt hatte, perfektionierte er es erst in der Werkstatt von Aldo Crommelynck. Anlässlich derGedenkpublikation Hommage à Picasso arbeiteteHockney 1973 für einige Zeit in dessen Pariser Dru-ckerei. Crommelynck hatte zwanzig Jahre lang Picassos Radierungen gedruckt und war nun auch fürdie Drucke des Portfolios beauftragt worden. Eine weitere Erfahrung machte Hockney während der Lehrebei Crommelyncks: für die Ätzung statt Salpetersäureeine Eisenchloridlösung zu verwenden. Diese ermög-lichte es, mit einem Pinsel auf den Ätzgrund regelrechtzu malen. Im Gegensatz zu der traditionellen Säureätzt Eisenchlorid wesentlich langsamer und gleich-mäßiger in die Kupferplatte, so dass auch feinere Struk-turen erkennbar bleiben.

In den anderen Partien des Bildes wendete Hockneyzwei weitere Tiefdruckverfahren an: Das SelbstbildnisHockneys, das Mobiliar, das Papier und der Teppichsind in den traditionellen Techniken, der Radierungund der Aquatinta, ausgeführt. Bei der Darstellung desHintergrundes, dem Fenster mit Ausblick, benutzteDavid Hockney die sogenannte Weichgrundätzung.Dabei wird anstelle des harten Ätzgrunds eine weiche,klebrige Lackmasse oder eine Mischung aus Ätzgrundund Talg auf die Druckplatte aufgetragen. Darauf wirddann ein meist körniges Zeichenpapier aufgelegt, aufdas mit einem Zeichenmittel wie Kreide, Zeichenstiftoder Bleistift gezeichnet wird. An den Stellen, wo dasPapier aufgrund des Drucks den Ätzgrund berührt, löstsich beim Abheben des Papiers der weiche Grund mitab und legt so die entsprechenden Stellen zum Ätzenfrei. Hockney erzielte mit diesem Verfahren eine wei-chere Wirkung der Linien, so dass der Hintergrundzeichnerisch anmutet.

Hockney berichtet aus der Zeit in Paris, Aldo Crom-melynck habe es sehr bedauert, dass Hockney undPicasso sich nicht mehr kennenlernen konnten, da die beiden sich sicher gut verstanden hätten. Vielleichtdrückt sich in der vorliegenden Grafik dieses mögli-che gegenseitige Verständnis in der leichten Berüh-rung der Hände der beiden Künstler auf dem Tisch alsGeste der Vertrautheit aus. Obwohl Hockney häufigMotive oder Bildausschnitte anderer Künstler zitiert,ist die Auseinandersetzung mit der Kunst Picassos außergewöhnlich. Hockney experimentierte mit denstilistischen Mitteln Picassos und zitierte ihn erstmalsdirekt in dem Gemälde Three Chairs with a Section of

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Literatur: David Hockney. Printmaker, Ausst.-Kat., London: Dulwich PictureGallery, 2014David Hockney. Dialogue avec Picasso, Ausst.-Kat., Paris: Musée Picasso, 1999David Hockney. Prints, Ausst.-Kat., Rotterdam: MuseumBoijmans van Beuningen, 1992David Hockney. A retrospective, Ausst.-Kat., Los Angeles: Los Angeles County Museum of Art, 1988David Hockney by David Hockney, hg. von Nikos Stangos, London: 1976

Fotos: LWL-Museum für Kunst und Kultur: Hanna Neander (Titelbild); David Hockney, Inc. (Abb. 1,2)© David HockneyDruck: Druckerei Kettler GmbH, Bönen© 2015 Landschaftsverband Westfalen-Lippe, LWL-Museumfür Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster2015

wie das großformatige Landschaftsgemälde Mullhol-land Drive: The Road to the Studio (1980) zeigen dieseEntwicklungen. Vor allem aber liegt die Bedeutung der Arbeiten Picassos für Hockney in der Vermischungder unterschiedlichsten Stile. Sie gaben Hockney denImpuls, nicht nur einem einzigen Stil zu folgen. DieseExperimentierfreude spiegelt sich bis heute in DavidHockneys Arbeiten wieder, wenn er beispielsweise riesige Gemälde mit einem Malprogramm des I-Padsentwirft.

Marijke Lukowicz

a Picasso Mural aus dem Jahr 1970 (Abb. 2). Das Bildzeigt einen Ausschnitt des Hofes im Haus des Kunst-kritikers und Sammlers Douglas Cooper, an dessenWand ein Gemälde Picassos erkennbar ist. Hockneyhatte das Wandbild selbst dort bei einem seiner Be-suche gesehen.

Die Grafik Artist and Model stellt neben der Arbeit TheStudent: Homage to Picasso einen Wendepunkt imSchaffen Hockney dar. Sie boten ihm anscheinend dieMöglichkeit, sich vom Realismus abzuwenden undeine neue Richtung einzuschlagen. Spätere Arbeiten

Abb. 2: David Hockney, Three Chairs with a Section of a Picasso Mural, 1970, Acryl/Leinwand, 122,0 x 152,4 cm, Privatbesitz

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