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School of Education, Culture
and Communication
Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ in Wilhelm
Landigs Roman Götzen gegen Thule Herkunft, Gestaltung und Weiterentwicklung eines Mythos in der
rechtsesoterischen Nachkriegsliteratur
Specialarbete i tyska, 15hp Daniel Hertel
Betreuer/handledare: Thorsten Päplow
Herbstsemester 2012/ht12
2
1. Einleitung …………………………………………………………………………..3
1.1. Biographie Wilhelm Landigs …………………………………………………...5
1.2. Der Roman Götzen gegen Thule ………………………………………………..7
2. Analyse des Motivs der „Schwarzen Sonne“ …………………………………….8
2.1. Hintergrund, Mythologie und literarische Popularisierung ……………………8
2.2. Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule ………13
2.3. Zur Funktion der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule …...15
2.4. Zur Weiterentwicklung der „Schwarzen Sonne“ nach Götzen gegen Thule …..27
3. Zusammenfassung und Diskussion ………………………………………………35
Literaturverzeichnis und Quellen …………………………………………………..42
Anhang ………………………………………………………………………………..45
3
1. Einleitung
Am 11. Februar 2012 hatte die Science-Fiction-Komödie Iron Sky1 auf der 62. Berlinale
Weltpremiere: Ende 1945 ist eine Gruppe von Wissenschaftlern und SS-Soldaten von dem
geheimen deutschen Antarktisstützpunkt „Neuschwabenland“ mit Raumschiffen zu der
dunklen Seite des Mondes geflüchtet und hat dort eine Nazibasis „Schwarze Sonne“
angelegt.2
Das Ziel der ‚Mondnazis‘ ist es, die Erde wiederzuerobern und damit die
Weltherrschaft zu ergreifen. Als Mittel dazu stehen ihnen unter anderem sogenannte
‚Reichsflugscheiben‘3, also ‚fliegende Untertassen‘, zur Verfügung, die neben dem
Hakenkreuz auch das Balkenkreuz der Wehrmacht als Hoheitszeichen tragen. In dem Film
taucht darüber hinaus mehrmals ein zwölfspeichiges Sonnenrad auf, welches sich auch in
Form eines Bodenmosaiks in der bei Paderborn gelegenen Wewelsburg findet. Die Idee für
den Film hatte angeblich ein Freund des Regisseurs, dem in einem Traum Nazis begegneten,
die auf dem Mond wohnen und die Erde erobern wollen.4
Googelt man allerdings nach Begriffen wie „Schwarze Sonne“, ‚Reichsflugscheiben‘,
‚Neuschwabenland‘ oder ‚Nazi-Ufos‘ dann stellt sich schnell heraus, dass es eine Unzahl von
Büchern und Internetartikeln gibt, in denen diese Wörter vorkommen. Gemeinsam ist den
meisten, dass sie in ein verschwörungstheoretisches, rechtsesoterisches Ideenkonglomerat
eingehen, welches man sowohl als Teil einer Nachkriegserinnerungskultur an den
Nationalsozialismus als auch einen Zweig populärkultureller Verschwörungstheorien bzw.
-mythen betrachten kann. Bei der Frage, wie „Schwarze Sonne“, Reichsflugscheiben,
geheime unterirdische deutsche Stützpunkte und die SS miteinander zusammenhängen, stößt
man immer wieder auf den Österreicher Wilhelm Landig und die von ihm verfassten Romane
1 Homepage: www.ironsky.net. Der Film ist eine finnisch-deutsch-australische Ko-Produktion und wurde
teilweise durch „Crowdfunding“ finanziert. Für den Film konnte man immerhin einen renommierten
Schauspieler wie Udo Kier gewinnen. Die Filmmusik wurde von der kontroversiellen slowenischen
Avantgardegruppe Laibach beigesteuert. Ein Computerspiel zum Film ist bereits erschienen und ein Comic in
Vorbereitung. 2 Vgl. Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=wx_mk_kxi-s (Zuletzt abgerufen am 23.2.2013) und Anhang 1
3 Der Terminus ‚Reichsflugscheibe‘ bzw. ‚Flugscheibe‘ (vereinzelt wird auch der Begriff ‚Flugkreisel‘
angewendet) ist ein etablierter Begriff in der rechtsesoterischen Literatur, welcher sich auf scheiben- oder
diskusförmige Luft- und Raumfahrzeuge bezieht, die im nationalsozialistischen Deutschland unter Verwendung
von ‚Geheimtechnologie‘ gebaut worden sein sollen. In der englischsprachigen Literatur werden dagegen die
Begriffe ‚Nazi-UFO‘ oder ‚German flying saucer‘ verwendet. Um die verschiedenen für diese Arbeit relevanten
Motive und Mythen der rechtsesoterischen Literatur untersuchen zu können, werden diese Begriffe deshalb so in
dieser Arbeit übernommen. 4 Vgl. Anhang 2
4
der sogenannten Thule-Trilogie.5 Ein wichtige Rolle scheint hier der erste Band der Trilogie,
der 1971 erschienene Roman Götzen gegen Thule einzunehmen, da in ihm das erste Mal die
literarische Gestaltung eines Geheimbundes „Schwarze Sonne“ auftritt, und der Autor
völkische Mythen mit populärkulturellen Nachkriegsmythen verschmelzen lässt.
Ein herausstehendes Charakteristikum dieses Romans ist, dass er sich aus einer Vielzahl
teilweise schwer zu überschauender ideologischer und religiöser Symbole und Motive
zusammensetzt, welche in die Mythenkonstruktion der „Schwarzen Sonne“ eingehen.
Die auf den ersten Anblick eklektisch wirkende Vermischung von Verschwörungstheorien
mit völkischen, religiösen und populärkulturellen Mythen ist jedoch Ausdruck eines in sich
kohärenten Weltbildes des Autors. In dieser Untersuchung ist jedoch kein Platz, die Vielzahl
heterogener Quellen, die Wilhelm Landig in dem Roman Götzen gegen Thule verarbeitet, im
Detail zu beschreiben. Zum besseren Verständnis werden notwendig erscheinende
Erklärungen und Informationen zu den Mythen und Symbolen, die von dem Autor benutzt
werden, hauptsächlich in den jeweiligen Fußnoten kurz erklärt und mit relevanter
Sekundärliteratur komplettiert.
Man muss sich als Leser immer bewusst sein, dass es ein Charakteristikum der zu
untersuchenden Primärliteratur ist, dass sie sich aus vielen unterschiedlichen Quellen
zusammensetzt, die miteinander verwoben werden. Die mitunter schwer nachvollziehbare
Vernetzung dieser Quellen ist aber ein Teil der rechtsesoterischen literarischen Tradition. Um
zu verdeutlichen, wie dies bei einem Autor wie Wilhelm Landig geschieht, wurde bewusst
gewählt, längere Passagen des Romans Götzen gegen Thule im Abschnitt 2.2. zu zitieren.
Dadurch kann illustriert werden, dass sich das Motiv der „Schwarzen Sonne“ aus einer
Vielzahl unterschiedlicher Symbole und Traditionen zusammensetzt, die vom Autor zu einem
sinnstiftenden Mythos miteinander verwoben werden.6
Das Ziel dieser Arbeit ist es, den Roman Götzen gegen Thule anhand von Textstellen und
Sekundärliteratur in Hinsicht auf die folgenden Fragestellungen zu untersuchen: In welchem
Kontext taucht das Symbol der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman auf? Welche Funktionen
lassen sich ihm zuordnen? Was möchte der Autor mit dem Mythos der „Schwarzen
Sonne“ bezwecken? Wie wird das Motiv der „Schwarzen Sonne“ von anderen Autoren
aufgegriffen und literarisch gestaltet? Welche Funktionen werden übernommen und
5 Wilhelm Landig: Götzen gegen Thule, Hannover, Hans Pfeiffer, 1971; ders.: Wolfszeit um Thule, Wien,
Volkstum-Verlag, 1980; ders.: Rebellen für Thule, Wien, Volkstum-Verlag, 1991. 6 Dasselbe gilt für die Weiterentwicklung des Symbols der „Schwarzen Sonne“ (Abschnitt 2.4.). Auch hier
verarbeiten die jeweiligen Autoren eine Vielzahl heterogener Quellen, übernehmen einzelne Aspekte dieses
Symbols von Wilhelm Landig und fügen ihm neue hinzu.
5
inwieweit werden neue Inhalte hinzugefügt? Wie kommt es zur heutigen Verbindung der
„Schwarzen Sonne“ mit dem zwölfspeichigen Sonnenrad der Wewelsburg?
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf dem Symbol bzw. Mythos der „Schwarzen Sonne“, was
im 2. Teil dieses Aufsatzes untersucht wird. Dort wird erst Hintergrund, Mythologie und
relevante Literatur zur „Schwarzen Sonne“ präsentiert. Danach werden die wichtigsten
Textstellen des Romans, in denen das Motiv der „Schwarze Sonne“ auftaucht ausführlicher
zitiert, um dann eine Analyse dieses Symbols anhand von Primär- und Sekundärliteratur
durchzuführen. Zum besseren Verständnis der Thematik ist es jedoch von Interesse, in
Kapitel 1.1. den Autor Wilhelm Landig kurz zu präsentieren, sowie in Kapitel 1.2. den Inhalt
des zu untersuchenden Buches Götzen gegen Thule wiederzugeben. Abschließend sollen in
Kapitel 3. die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und diskutiert werden. Am Ende des
Aufsatzes befinden sich zudem die in dieser Arbeit verwendeten Internetquellen als Anhang.
1.1. Biographie Wilhelm Landigs
Wilhelm Landig7 wurde am 20. Dezember 1909 in Wien geboren und gilt als ein früher
Anhänger Adolf Hitlers. Er erhielt eine militärische Ausbildung als Mitglied eines
„Mittelschul-Freikorps“ und trat anscheinend schon früh der NSDAP bei. Da diese 1933 in
Österreich verboten wurde, wurde er zum ‚Illegalen‘. Nach Teilnahme an dem 1934 in
Wien gescheiterten nationalsozialistischen Putschversuch floh er ins Deutsche Reich, wo er
einen hohen Status als Mitglied der in Österreich verbotenen NSDAP erhielt. Im selben Jahr
trat er auch der SS bei, wobei er gleichzeitig Mitglied des Sicherheitsdienstes SD und der
Waffen-SS war, weil ihm die Freikorpszeit als militärische Dienstzeit anerkannt wurde.
Anstellung fand er von 1937-38 beim Arbeitswissenschaftlichen Institut in Berlin, welches
der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unterstand.
Unmittelbar nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs kehrte er aufgrund einer Sondergenehmigung
Heinrich Himmlers nach Wien zurück, wo er von 1938-41 als Sachberater des SD für
geheime Reichssachen tätig war. Obwohl er offiziell direkt dem NSDAP-Mitglied und
7 Die biographischen Daten Landigs sind eher spärlich. Lediglich die Autoren Heller/Maegerle scheinen direkt
mit dem Autor im Gespräch gewesen zu sein, und es ist möglich, dass Landig seine eigene Biographie und sein
Wirken im Dritten Reich beschönigt hat. Allgemein zu Landig vgl. Friedrich Paul Heller und Anton Maegerle:
Thule, Vom völkischen Okkultismus bis zur Neuen Rechten, Stuttgart, Schmetterling-Verlag, 1998, S. 96-102.
Nicholas Goodrick-Clarke: Black Sun, Aryan cults, esoteric Nazism and politics of identity, New York, New
York University Press, 2002, S. 128-150. Göran Dahl: Radikalare än Hitler? De esoteriska och gröna
nazisterna, Inspirationskällor, Pionjärer, Förvaltare, Ättlingar, Stockholm, Bokförlaget Atlantis, 2006, S. 157ff.
Die einzige bekannte Videoaufnahme Landigs ist das Interview Wilhelm Landig ‒ Ein Zeitzeuge berichtet:
http://www.youtube.com/watch?v=eA23BVO79WY. Zuletzt abgerufen am 23.2.2013.
6
Reichsstatthalter Baldur von Schirach unterstellt war, war er bei Beschlüssen oft direkt mit
den zuständigen in Berlin ansässigen SS-Instanzen in Verbindung, weil er aufgrund seiner SS-
typischen elitären Einstellung die NSDAP und deren Mitglieder als minderwertig und von
Opportunisten durchsetzt ansah.8 Laut Landigs eigener Auskunft war er in Wien auch mit der
Koordination und Konstruktion von Flugscheiben beschäftigt9, welche eine zentrale Rolle in
seiner nach dem 2. Weltkrieg entstandenen Thule-Trilogie spielen. Von 1942-44 kämpfte
Wilhelm Landig in den besetzten Balkanländern gegen Partisanen. 1944 kehrte er aufgrund
einer Verwundung nach Wien zurück, und arbeitete in der Abteilung I (Inland) des SD.
Nach dem Kriegende 1945 war er bis 1947 in einem britischen Kriegsgefangenenlager
interniert. Danach gehörte er einigen nationalsozialistischen Organisationen (Verband der
Unabhängigen, Demokratisch-nationale Arbeiterpartei) und Zirkeln (Arbeitsgemeinschaft für
demokratische Politik, Wiener Zirkel) an. Publizistisch tätig war Landig u.a. in der monatlich
erscheinenden Zeitschrift Kommentare zum Zeitgeschehen und der von ihm ab 1955
herausgegebenen Europa-Korrespondenz. Er gründete auch einen eigenen Buchverlag, den
Volkstum-Verlag, in dem er u.a. Teil 2 und 3 der Thule-Trilogie herausgab.10
Landig war auch nach dem Krieg noch politisch aktiv. Er war in regem Kontakt mit
ehemaligen Mitgliedern der SS11
und nahm 1951 an dem sogenannten Malmötreffen teil, bei
dem sich die wichtigsten Nachkriegsnationalsozialisten (u.a. der ehemalige Führer der Hitler-
Jugend Karl-Heinz Priester, der Schwede Per Engdahl und der Brite Oswald Mosley) trafen
und eine ‚faschistische Internationale‘, das European Social Movement (ESB) gründeten, für
welche Landig Vorsitzender des österreichischen Zweigs wurde. 1971 übernahm Landig
ebenfalls den österreichischen Vorsitz für die 1967 in Taiwan gegründete World Anti-
Communist League (WACL).12
Zu den letzten Lebensjahren Landigs lassen sich keine Daten
finden, er starb 1998.
8 Vgl. Heller/Maegerle, S. 97.
9 Ibid.
10 Ibid. S. 98f. Gründungsdatum des Verlags 1958 oder 1961. Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 137 und Dahl, S.
157. 11
Er scheint umfangreiche Kontakte mit der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der Waffen-
SS (HIAG) gehabt zu haben und gab u.a. die Bücher des SS- Untersturmführers Lothar Greil heraus. Zu seinem
Freundeskreis gehörten außerdem Hans-Ulrich Rudel, Savitri Devi, Miguel Serrano und der Rechtsanwalt Jürgen
Rieger, alle Zentralfiguren im rechtsradikalen und rassistisch-neuheidnischen Nachkriegsuntergrund. Vgl. Dahl,
S. 159. 12
Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 137 und Dahl, S. 157.
7
1.2. Der Roman Götzen gegen Thule
In dem Roman Götzen gegen Thule wird die Odyssee von vier Offizieren der Luftwaffe und
der Waffen-SS im Rahmen einer „Aktion Ultima Thule“ in der Zeitspanne vom Ende des 2.
Weltkrieges bis ca. 1950 geschildert.
Im ersten Teil des Romans werden die Luftwaffenoffiziere Recke und Reimer mit einem
geheimen Auftrag von Norwegen zu der geheimen, in der Nähe des Nordpols gelegenen,
arktischen SS-Basis „Punkt 103“ geschickt. Dieser unterirdische Stützpunkt beherbergt
modernste Hochtechnologie des Dritten Reiches, vor allem Flugscheiben, mit denen der
Kampf für eine Neugestaltung der Welt auch nach dem Kriegsende fortgesetzt wird. „Punkt
103“ erklärt sich nach dem Kriegsende zu einem geheimen selbstständigen Reich mit der
„Schwarzen Sonne“ als Symbol. „Punkt 103“ versteht sich als das wahre „Ultima Thule“,
dessen Gegner die freimaurerische Weltverschwörung und der sich hinter dieser verbergende
„Berg Zion“ ist. Für diesen Kampf hat sich „Punkt 103“ mit anderen über die ganze Welt
verstreuten geheimen Logen und Orden, vor allem tibetanischen Lamas in Form des
Geheimbundes „Schwarze Sonne“ alliiert. Als esoterische Mentoren dienen den zwei
Luftwaffenoffizieren die SS-Offiziere Gutmann und Juncker, die als Mitglieder eines
geheimen elitären Kreises innerhalb der SS die zwei Luftwaffenangehörigen im Laufe des
Buches in geheimes Wissen einweihen. Das Ziel der geheimen Bruderschaft der „Schwarzen
Sonne“ ist die spirituelle Wiedergeburt der weißen Rasse in Form eines paneuropäischen
Vierten Reiches beim Anbruch des Wassermannzeitalters.
Im zweiten Teil des Buches fliegen die Protagonisten nach Frankreich um einen in die
Mysterien des Grals und der Tradition der Katharer eingeweihten französischen Kollaborateur
mit Namen Belísse zum „Punkt 103“ zu holen. Dieser stirbt aber durch die Hand alliierter
Soldaten und die Helden des Buches müssen nach Spanien fliehen. Ständig von den
Verbündeten der feindlichen Freimaurer verfolgt, werden sie dazu gezwungen, von Spanien
nach Marokko, Ägypten, Libanon, Syrien, Irak, Kuwait, Iran, Pakistan und schließlich Indien
zu fliehen, immer wieder darum bemüht, einen Weg für die Rückkehr zu dem „Punkt 103“ zu
finden und immer wieder auf Mitglieder geheimer Logen treffend, die sich mit ihnen zum
Kampf für die Wiedergeburt eines ‚arischen’ Zeitalters verbündet haben.
Im dritten und letzten Teil des Buches werden die Hauptfiguren von Mongolen gegen ihren
Willen von Indien nach Tibet entführt und dort in einem Kloster unter Hausarrest gestellt. In
philosophischen und mythologischen Diskussionen gibt der Lama des Klosters zu verstehen,
dass das Zusammenarbeiten von Nationalsozialisten und Vertretern Tibets ein nahes Ende
8
haben wird, da die Tibeter eine eigene Agenda bei der Errichtung eines ‚gelben’ Reiches mit
Bezugnahme auf das unterirdische Reich von „Agarthi“ verfolgen. Deshalb beschließen sich
die Deutschen aus dem Kloster zu fliehen, was ihnen auch gelingt, bis sie in Indien in einem
britischen Kriegsgefangenenlager interniert werden. Nachdem sie freigelassen worden sind,
kehren sie nach Deutschland und Österreich zurück. Der Nachkriegswelt treten sie mit
Abscheu entgegen, und bei einem letzten Zusammentreffen wird resigniert konstatiert, dass
der „Punkt 103“ alle Aktivitäten bis zu dem Tag, an dem die Vision von Thule bei allen
weißen Völkern erwacht sein wird, eingestellt hat.
2. Analyse des Motivs der „Schwarze Sonne“
2.1. Hintergrund, Mythologie und literarische Popularisierung
Die „Schwarze Sonne“ ist heute das wichtigste esoterische Symbol verschiedenster
neurechter, neuvölkischer, neuheidnischer und rechtsokkultistischer Gruppierungen.13
Grafisch dargestellt wird sie am häufigsten durch das Bodenornament (ein aus zwölf S-Runen
zusammengesetzten Sonnenrad) des sogenannten Gruppenführersaals der in Nordrhein-
Westfalen gelegenen Wewelsburg. Diese diente im Nationalsozialismus als 1934 von
Heinrich Himmler initiiertes Forschungszentrum der SS für ‚germanische Zweckforschung‘
dessen Schwerpunkte u.a. auf archäologischen Ausgrabungen und Studien zur germanischen
Vor- und Frühgeschichte lagen.14
Das zwölfspeichige Sonnenrad ist, umgeben von zwölf
Marmorsäulen, als dunkelgrüne Marmorkrustation in den hellgrauen Marmorboden des Saals
eingelassen; weder zum Zweck des Saales noch zur Bedeutung des Symbols lässt sich
Eindeutiges sagen. Es kann lediglich vermutet werden, dass dort Zeremonien für höhere SS-
Generale abgehalten wurden, und dass das Symbol auf bei Ausgrabungen gefundenen, die
Sonne symbolisierenden germanischen Zierscheiben basiert.15
Die Verknüpfung des Begriffs bzw. Symbols „Schwarze Sonne“ mit dem Bodenornament der
Wewelsburg scheint jedoch erst in den 1990er Jahren erfolgt zu sein.16
Am wichtigsten
hierfür ist der 1991 im rechten Arun-Verlag erschienene Roman Die schwarze Sonne von
13
Vgl. Rüdiger Sünner, Schwarze Sonne: Entfesselung und Missbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und
rechter Esoterik, Freiburg i. Br., Herder/Spektrum, 1999, S. 144. Ebenso Goodrick-Clarke 2002, S. 148ff. 14
Vgl. Sünner, S. 103-109 und Goodrick-Clarke 2002, S. 125ff. 15
Vgl. Sünner, S. 148. 16
Vgl. Ibid, S. 45 und die Diskussion unten im Abschnitt 2.4.
9
Tashi Lhunpo eines unbekannten Autors mit dem Pseudonym Russell McCloud.17
In diesem
wird die SS zu einem gegen Freimaurerei und Weltverschwörung kämpfenden mystischen
Orden stilisiert. Das war zwar schon in den Romanen des Österreichers Wilhelm Landig
literarisch gestaltet worden (siehe unten), neu ist aber nun die Verbindung des
Bodenornamentes im Nordturm der Wewelsburg mit dem Begriff „Schwarze Sonne“. So
zeigt das Cover des Romans Die schwarze Sonne von Tashi Lhunpo die Ansicht der
Wewelsburg und auf dessen Deckblatt ist das zwölfspeichige Sonnenrad des
Gruppenführersaals abgebildet.
Ab den 1990er Jahren taucht die Verbindung SS - Schwarze Sonne - zwölfspeichiges
Sonnenrad - Wewelsburg dann immer wieder auf, und hat sich in den letzten 20 Jahren zu
einem fest etablierten Zweig der Verschwörungsliteratur von rechts entwickelt. Das
Bodenornament der Wewelsburg ziert (stilisiert oder als Originalfoto) zahlreiche
Büchercover18
und Cd-Hüllen19
Mittlerweile hat sich darüber hinaus ein regelrechter
‚Schwarze-Sonne-Kitsch‘ entwickelt: Das zwölfspeichige Sonnenrad gibt es heute als Motiv
für Uhren, Anstecker, Krawattennadeln, Flaggen, Ringe, Manschettenknöpfe, Armreifen,
Unterhosen und T-Shirts.20
Zur Popularisierung der „Schwarzen Sonne“ trug sicherlich auch
der 1997 erschienene Dokumentarfilm Schwarze Sonne. Kultorte und Esoterik des 3. Reiches
von Rüdiger Sünner bei, auf dessen Cover ebenfalls das zwölfspeichige Bodenornament der
Wewelsburg abgebildet ist.
Seit den 1990er Jahren ist eine Vielzahl von Publikationen veröffentlicht worden, in denen
die „Schwarze Sonne“ in Zusammenhang mit Verschwörungstheorien um die SS, der
Wewelsburg und dem zwölfspeichigen Sonnenrad gebracht wird. Man kann diese Literatur in
drei Bereiche einteilen: Seriöse Forschungsliteratur, spekulative Wahrheitsanspruch
proklamierende Sensationsliteratur (rechts-)esoterischer Herkunft sowie literarische
Gestaltungen in Romanform, in denen die „Schwarze Sonne“ irgendwie auftaucht.
Die zwei wichtigsten wissenschaftlichen Werke, in denen das Motiv der „Schwarzen Sonne“
untersucht wird, sind Rüdiger Sünners Schwarze Sonne: Entfesselung und Missbrauch der
17
Russell McCloud: Die schwarze Sonne von Tashi Lhunpo, Engerda, Arun, 3. Auflage, 1997. Laut dem
Internet-portal welt-buerger.org verbirgt sich hinter dem Pseudonym der deutsche Publizist Stephan Mögle-
Stadel. Vgl. Anhang 3. 1995 erschien auch ein „Drehbuch“ des Romans, ebenfalls wieder mit dem
zwölfspeichigen Sonnenrad der Wewelsburg auf dem Buchumschlag. 18
Beispielsweise M.B. Hasler: Die schwarze Sonne, Göttliches Licht der Erkenntnis, Schleswig, Walknut-
Verlag, 2002. Kai Breidenbach: Die Zeit ist reif, Das Erbe um Thule im 21. Jahrhundert, Wagner-Verlag, Berlin,
2007. James Twinning: Die schwarze Sonne, Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach, 2008. Stephen E. Flowers u.
Michael Moynihan: The secret king, The Myth and Reality of Nazi Occultism, Feral House, Los Angeles, 2007. 19
Z.B. auf dem Cover der CD In eine neue Zeit des rechten Liedermachers Veit und auf dem Cover der CD
Gotos=Calanda der österreichischen Avantgardegruppe Allerseelen. 20
Z.B. unter dem Suchbegriff „Schwarze Sonne“ bei google.de oder ebay.de.
10
Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik und Nicholas Goodrick-Clarkes Black
Sun. Aryan cults, esoteric Nazism and politics of identity.21
Als Beispiel für Verschwörungsliteratur, die behauptet, Fakten zum Hintergrund der
„Schwarzen Sonne“ wiederzugeben, sind vor allem M.B. Haslers Die Schwarze Sonne.
Göttliches Licht der Erkenntnis, Rudolf J. Mund und Gerhard von Werfensteins Mythos
Schwarze Sonne. Karl Maria Wiligut/Weisthor, der heilige Gral und das Geheimnis der
Wewelsburg22
, Jan von Helsings Die Innere Welt. Das Geheimnis der Schwarzen Sonne23
und
Kai Breidenbachs Die Zeit ist reif. Das Erbe um Thule im 21. Jahrhundert zu nennen.
Romane, in denen die „Schwarze Sonne“ in Verbindung mit Verschwörungstheorien um die
SS auftaucht sind u.a. Wilhelm Landigs Thule-Trilogie, Russell McClouds Die schwarze
Sonne von Tashi Lhunpo und James Twinings Die schwarze Sonne.
Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ ist aber älteren Ursprungs als die seit den 1970er Jahren
publizierten Bücher. Die mythologischen Wurzeln der „Schwarzen Sonne“ gehen zum einem
wahrscheinlich auf die in der Alchemie bekannte Sol niger und zum anderen auf den
Terminus „Schwarze Sonne“ bei der Begründerin der Theosophie, Helena Blavatsky, zurück.
Diese nennt in ihrem 1901 erschienenen Hauptwerk Die Geheimlehre mehrmals eine
„Zentralsonne“24
, die als unsichtbarer Mittelpunkt des Universums existiert, und um die alle
anderen Sonnen- und Planetensysteme kreisen. Diese Sonne ist bei Blavatsky der Ursprung
allen Daseins, ähnlich dem indischen Atman-Brahman. In der jüdischen Kabbala taucht diese
Zentralsonne laut Blavatsky auch als „schwarzes Licht“25
auf. Der eigentliche Ursprung
dieser Zentralsonne ist aber gemäß Helena Blavatsky „bei den geheimen Lehren der Arier“ zu
suchen, und da die Arier ursprünglich aus dem hohen Norden stammen, wird der Mythos der
(schwarzen) Zentralsonne bei ihr mit dem Mythos von einem legendären polaren Urvolk der
Arier (der „hyper-boreischen Rasse“) verknüpft.26
Diese Vorstellungen werden dann später
bei völkischen Autoren weiterentwickelt. Zu nennen wären beispielsweise der Begründer der
Ariosophie, Guido von List, der 1910 in seinen Schriften von einem unsichtbaren „Urfeuer“
21
Deutsch: Nicholas Goodrick-Clarke: Im Schatten der Schwarzen Sonne: Arische Kulte, Esoterischer
Nationalsozialismus und die Politik der Abgrenzung, Marixverlag, 2009. 22
Rudolf J. Mund und Gerhard v. Werfenstein: Mythos Schwarze Sonne, Karl Maria Wiligut/Weisthor, der
heilige Gral und das Geheimnis der Wewelsburg, Riga, DHV-Verlag, 2004. 23
Jan Udo Holey: Die innere Welt, Das Geheimnis der Schwarzen Sonne, Ama-Deus-Verlag, 1998. Jan Udo
Holey ist einer der bekanntesten rechten Verschwörungstheoretiker Deutschlands, der unter dem Pseudonym Jan
van Helsing zahlreiche Bücher veröffentlicht hat. Vgl. Heller/Maegerle, S. 167-170. 24
Zitat nach Sünner, S. 146. 25
Zitat nach Sünner, S. 146, vgl. auch Dahl, S. 124. 26
Zitate nach Sünner, S. 146. Vgl auch Goodrick-Clarke 2002, S. 79-81.
11
spricht, und der Esoteriker Peryt Shou, der die Idee von der „dunklen Ursonne“27
mit der
astrologischen Idee von unterschiedlichen Weltzeitaltern verknüpft. Für die Zeit des
Nationalsozialismus lassen sich keine eindeutigen Beweise für die Beschäftigung mit dem
Begriff der „Schwarzen Sonne“ nachweisen. Ob dies beispielsweise innerhalb der SS, wie
dies z.B. von Rudolf J. Mund in der Schrift Das Mysterium der Schwarzen Sonne28
behauptet
wird, geschah, lässt sich anhand der heute zugängigen Quellen nicht zweifelsfrei belegen.29
Oft wird behauptet, der Runenmystiker Karl Maria Wiligut, von 1933-1939 Mitglied der SS
und u.a verantwortlich für die Gestaltung des SS-Totenkopfringes, hätte sich während der Zeit
des Nationalsozialismus mit der „Schwarzen Sonne“ beschäftigt.30
Als Beweis dafür werden
oft die zwischen 1920-1928 entstandenen „Hagalrita“- Sprüche Wiliguts angeführt. Diese
Sprüche sind von Wiligut in Form einer von ihm erfundenen Runenschrift niedergeschriebene
Gedichte, die von Wiliguts Schülern Emil Rüdiger und Werner von Bülow ‚übersetzt‘ und
kommentiert worden sind. Ein Beleg für die „Schwarze Sonne“ soll der Spruch 27 sein, der
laut den Übersetzern ein „20.000 Jahre alter Sonnensegen“31
ist. Der Spruch lautet:
Sunur saga santur toe
Sintyr peri fuir sprue (e)h
Wiligoti haga tharn
Halga fuir santur toe32
Die Transkription des Spruches lautet wie folgt:
1. Zeile: Die Sage meldet, dass der Sonnen zwei Heilsam im Wechsel-Waltung UR und SUN
der Sanduhr glichen, welche umgedreht der einen stets zum Sieg verhilft.
2. Zeile: Der Sinn des göttlichen Irr-Wandels-Wegs, der Schlackensintern in des Feuers Sphäre
ward so in Feuersprache offenbar dem Erd-Ich-Lauf der Paradiesgeschlechter.
3. Zeile: Gottwillige Führer leiten zum Guten durch ihre Hege in der Weltallrunde, was sichtbar
und bald vertarnt erschien, in dem sie lenkten Phantasie der Menschheit.
27
Zitate nach Sünner, S. 146. Allgemein zur Ariosophie in Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des
Nationalsozialismus, Wiesbaden, Marix-verlag, 2004. Zu Guido von List und Peryt Shou vgl. Sünner, S. 147. 28
Rudolf J. Mund: Das Mysterium der Schwarzen Sonne. In: Mund/Werfenstein 29
Vgl. Hans Jürgen Lange: Im Zeichen der Schwarzen Sonne (Internetquelle, vgl. Anhang 4) und Sünner S. 148. 30
Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 135ff. Das Standardwerk zu Wiligut ist Hans Jürgen Lange: Weisthor, Karl
Maria Wiligut, Himmlers Rasputin und seine Erben, Engerda, Arun, 1998. 31
Mund, S. 12. Dort findet sich auch ein Bild des Runenspruchs. 32
Ibid. S. 12. Ebenso in Lange 1998, S. 215.
12
4. Zeile: Polar im Wechselspiel von UR zu SUN im Opferdienst von Werden und Vergehen, im
heiligen Feuer Santur so versprüht zwiespältig, doch zum Segen siegreich wendet.33
Die Übersetzung des Spruchs nennt hier zwei Sonnen, die in einer „polaren“ Beziehung,
gleich einer „Sanduhr“ zueinander stehen und sich gegenseitig zum „Sieg“ verhelfen. Diese
Sonnen haben auch einen Zusammenhang mit Geburt und Tod, „Werden und Vergehen“ und
von ihnen geht ein „heilige[s] Feuer Santur“ aus. Die Übersetzer behaupten nun, dieses
„Feuer Santur“ sei eine erloschene Zentralsonne, die vor 230.000 Jahren über den
Hyperboreern des Nordpols geleuchtet habe und ihnen zur spirituellen Entwicklung gedient
habe.34
Diese Sonne kreise heute als erloschener Stern um die Erde und, obwohl sie
unsichtbar sei, beeinflusse sie immer noch als „Schwarze Sonne“ das Leben der Menschen.35
Was auffällt, ist, dass von Wiligut selber überhaupt keine Deutung des Spruches und damit
auch keine Nennung einer „Schwarzen Sonne“ vorliegt. Zum anderen gibt es keine Datierung
der Übersetzung des Spruchs.36
Erst 1954 wird das Gedicht im Zusammenhang mit der
„Schwarzen Sonne“ erstmalig bei Rudolf J. Mund erwähnt,37
so dass die Behauptung, man
habe während des Nationalsozialismus mit dem Begriff „Schwarze Sonne“ innerhalb der SS
laboriert, äußerst fragwürdig bleibt.38
Die Popularisierung und ideologische Instrumentalisierung der „Schwarzen Sonne“ begann
erst in den 1950er Jahren und hier sind es vor allem die zwei ehemaligen SS-Mitglieder
Wilhelm Landig und Rudolf J. Mund, welche als Stifter eines revisionistischen Bildes der SS
genannt werden müssen: Die SS wird in den Schriften dieser Autoren zu einem mystischen
Geheimorden verklärt, der über umfangreiches bis in die Vorzeit reichendes esoterisches
Wissen verfügt, und für die Wiedergeburt eines arischen Zeitalters kämpft. Das Symbol für
diesen Kampf ist die „Schwarze Sonne“.39
Literarisch gestaltet wird dieser Kampf das erste
Mal in Wilhelm Landigs Thule-Trilogie und in dem im nächsten Abschnitt zu
untersuchendem ersten Roman der Trilogie, Götzen gegen Thule.
33
Zitiert nach Hasler, S. 45. 34
Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S.136 und Mund, S. 12-32. 35
Ibid. 36
Laut Forschungsliteratur wurden die Sprüche das erste Mal 1994 publiziert, vgl. Goodrick-Clarke 2002, S.
327, Fußnote 19. 37
Vgl. Mund, S. 12. Verwirrend ist hier, dass der Text Das Mysterium der Schwarzen Sonne (Mund 2004) das
erste Mal 1954 unter dem Titel Vom Mythos der Schwarzen Sonne erschien, die Texte sind aber identisch. Vgl.
Lange: Im Zeichen der Schwarzen Sonne, Fußnote 9. 38
Vgl. Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krishna, Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis
heute, Wien, Uebberreiter, 2002. S. 414. 39
Vgl. Sünner, S. 149f.
13
2.2. Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule
Um zu zeigen, wie und in welchem Zusammenhang das Motiv der „Schwarze Sonne“ bei
Wilhelm Landig auftaucht, werden im Folgenden die wichtigsten Passagen des Buches zitiert,
in denen der Autor die „Schwarze Sonne“ nennt. Es wurde bewusst gewählt, zuerst
ausführliche Zitate des Romans Götzen gegen Thule aufzuführen, um ein übergreifendes Bild
zur Verwendung des Motivs der „Schwarzen Sonne“ geben zu können, und zu verdeutlichen,
in welchen unterschiedlichen Kontexten es auftreten kann. Einzelne Aspekte bzw. Funktionen
des Symbols der „Schwarzen Sonne“ werden dann näher im Kapitel 2.3. analysiert. Dort
werden die relevanten Zitate dann zielgerichteter verwendet als in diesem Kapitel. Diese
Vorgehensweise scheint aufgrund des Charakters des zu untersuchenden Materiales
sinnvoller, als bei der Textanalyse nur mehr oder weniger losgerückte Zitate ohne Kontext zu
verwenden. Es ist ja außerdem, wie schon in der Einleitung erwähnt, ein Charakteristikum der
rechtsesoterischen Literatur, dass in ihr oft auf eine mitunter willkürlich erscheinende Art und
Weise eine Vielzahl von Motiven, Symbolen und Mythen miteinander verwoben wird, was
dem Leser die Orientierung im Text erschweren kann. Diese Tatsache gilt auch für den
Roman Götzen gegen Thule und kann durch das Wiedergeben längerer Zitate untermauert
werden.
Die „Schwarze Sonne“ ist nur ein Motiv bzw. Mythos von vielen, die in dem Buch Götzen
gegen Thule auftauchen.40
Es soll anhand der Zitate vor allem gezeigt werden, wie in dem
Buch der Grundstein für eine Mythenbildung um die SS anhand des Motivs der „Schwarzen
Sonne“ gelegt wird, welche Teile dieser Mythenbildung später von anderen Autoren
übernommen worden sind, und sich dadurch sowohl als ein fester Bestandteil aktueller
rechtsesoterischer Verschwörungstheorien als auch ein Teil der Populärkultur etabliert haben.
Das Symbol der „Schwarzen Sonne“ wird in Götzen gegen Thule im ersten Teil des Buches
eingeführt:41
Am nächsten Morgen erlebten die Hauptleute eine neue Überraschung. Sie befanden sich, in
warme Pelzparkahs [sic] gekleidet, eben auf einem Morgenspaziergang im Freien, als eine
Maschine auf der Startbahn ausrollte, die anstelle des erwarteten Hoheitszeichens eine fremde
40
Der Roman könnte auch hinsichtlich einer Anzahl anderer Gesichtspunkte untersucht werden: Man könnte
beispielsweise den Fokus darauf richten, wie des Motiv bzw. der Begriff ‚Thule‘ in dem Roman auftaucht, oder
wie die Motive ‚Atlantis‘, ‚Gral‘ und ‚Arier‘ auftauchen. Man kann den Roman ebenso als Teil der Genres
‚Verschwörungsliteratur‘ oder ‚UFO-Literatur‘ untersuchen. Ein anderer Aspekt wäre ‚Antisemitismus nach
1945‘. Der Fokus dieser Arbeit liegt aber auf dem Mythos bzw. Symbol der „Schwarzen Sonne“. 41
Alle Seitenangaben dieser Untersuchung beziehen sich auf die Faksimileausgabe des Romans.
14
Signatur trug. [...] Sie verhielten beide den Schritt und starrten auf die Tragflächen und den
Rumpf des himmelwärts steigenden Apparates, wo als Kennzeichen schwarze Punkte
prangten.42
Die noch uneingeweihten Hauptfiguren Recke und Reimer suchen den SS-Soldaten Juncker
auf, um mehr über das Symbol zu erfahren, bekommen doch vorerst von diesem nur die
Antwort, dass das „unser Flugzeugkennzeichen“43
sei.
Mehr Klarheit verschafft ein anderes Mitglied der SS, Gutmann, welcher den Hintergrund des
neuen Hoheitszeichens darlegt:
Ich will es ohne viel Einleitung begründen, warum wir hier kein Balkenkreuz auf den Maschinen
haben und gerade eine schwarze Ronde als Zeichen wählten. Vor allem ist es uns doch schon
klar geworden, dass die Heimat über kurz oder lang kapitulieren muss. [...]. Wenn nun wirklich
der Fall eintreten sollte, dass Deutschland kapitulieren muss oder nach einer Besetzung des
Reiches der Krieg für beendet erklärt wird, sind ab einem Zeitpunkt X alle Feindseligkeiten
einzustellen. Das würde bedeuten, dass die deutsche Wehrmacht zu bestehen aufgehört hat und
niemand mehr befugt wäre, unter Fahnen oder Kennzeichen des Reiches weiter zu kämpfen.
[...]. Wenn dennoch weitergekämpft wird, dann darf das Reich nicht kompromittiert werden,
weil sonst die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung durch Repressalien die Not und das
Elend vergrößern würden. Aus diesem Grunde haben wir beschlossen, als selbständige
Organisation, von der später noch ausführlicher die Rede sein wird, ein neues Kennzeichen für
unsere Maschinen zu führen. Dieser schwarze Punkt, wie ihr ihn bezeichnet, ist Sol nigra, oder
die schwarze Sonne, wie es auf deutsch heißt. Sie hat eine tiefe symbolische Bedeutung und
sollte eigentlich anstelle des optisch sichtbaren Schwarz ein Tiefdunkelrot zu sehen sein. Es ist
die sol nigra der Alchemie, in der Farbe eine bestimmte Phase des Lapis andeutend.44
Auf die Frage, was dies mit Alchemie zu tun habe, antwortet Gutman: „[...] Zuerst die
Bedeutung der Sonne: es ist dasselbe Symbol wie das Gammadium, jedoch unter dem Aspekt
der Kreuzigung. Eben genau: Unser Balkenkreuz.“45
Er erklärt weiter:
Es kann die runde Form der Sonne zum Heilszeichen werden und das im Zeichen des Kreuzes
zur Opferung bestimmte deutsche Volk retten! Weltpolitik wird ja nicht nur von Regierungen
allein betrieben, sondern von Kräften, die über den sichtbaren Gewalten stehen.46
42
Wilhelm Landig, Götzen gegen Thule, S. 86. 43
Ibid. 44
Ibid. S. 88. 45
Ibid. 46
Ibid.
15
Nachdem Reimer den Stützpunkt als „das Reich der Schwarzen Sonne“47
bezeichnet hat,
erklärt Gutmann weiter:
Ja, es ist das Reich der Schwarzen Sonne! Es ist der Sammelpunkt der esoterischen Kreise der
Schutzstaffel, deren Wissen auch Herr Himmler ahnt, aber nicht teilhaftig wurde. Es ist jener
Kreis von Männern, die gemäß den Hinweisen eines unserer geistigen Führer, des
Standartenführers Rahn, das Recht und das Rechte suchen, die ungeachtet der mosaischen zwölf
Gebote aus eigenem Recht und Pflicht gefunden haben; Männer, die eigenmächtig und stolz
nicht vom Berg Sinai Hilfe erwarten, sondern zu einem ‚Berg der Versammlung in der fernsten
Mitternacht‛ gegangen sind, um Hilfe zu holen und den Menschen ihres Blutes zu bringen.48
Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ taucht wenig später wieder in dem Roman auf. Zeitlich
spielt das Geschehen kurz nach der Kapitulation Deutschlands am 8. bzw. 9. Mai 1945. Alle
Bewohner des „Punkt 103“ sind zu einer Versammlung zusammengerufen worden. Dem
höchsten Befehlshaber fehlen jegliche Rangabzeichen. Er proklamiert:
Die fallenden Runenstäbe der Geschichte haben entschieden: Deutschland hat derzeit zu
bestehen aufgehört! Es gibt keine staatliche Autorität mehr und vier Militärregierungen haben
im gevierteilten Reich die Macht übernommen. Dazu teile ich Ihnen den Entschluss des
Kommandeurs unseres Stützpunktes mit: Punkt 103 gilt ab sofort als vom Reiche losgelöst und
ist in seiner militärischen Einheit der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht nicht unterworfen.
Sämtliche Hoheitsabzeichen des Deutschen Reiches sind sofort von den Uniformstücken zu
entfernen! Das Zeichen der Schwarzen Sonne ist vorläufig das alleinige Symbol unseres
geheimen selbstständigen Reiches.49
2.3. Zur Funktion der „Schwarze Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule
Die „Schwarze Sonne“ hat in dem Roman Landigs also fünf Funktionen: Erstens dient sie als
Hoheitszeichen und ersetzt das Balkenkreuz der Deutschen Wehrmacht. Zweitens steht sie in
Zusammenhang mit der alchemistischen Sol niger. Drittens ist die „Schwarze Sonne“ der
„Sammelpunkt“ der „esoterischen Kreise der Schutzstaffel“.50
Dadurch verkörpert sie einen
inneren Kreis der SS, der ein umfangreiches Geheimwissen besitzt, d.h. eine Elite innerhalb
47
Landig, S. 90. 48
Ibid. 49
Ibid. S. 160. 50
Ibid. S. 90.
16
der Elite. Viertens ist die „Schwarze Sonne“ ein militärisch organisierter Geheimbund oder
Geheimorden, der in seiner Struktur der SS ähnelt.51
Fünftens verbirgt sich hinter der
„Schwarzen Sonne“ ein in der Arktis liegender militärischer Stützpunkt „Punkt 103“, der nach
dem Untergang des Dritten Reiches ein „geheimes selbstständiges Reich“52
bildet, in dem
Menschen und (Geheim-)Technologie gehortet werden. Nachfolgend sollen nun die einzelnen
Funktionen näher anhand von Zitaten und Sekundärliteratur analysiert werden.
Als grafisches Zeichen für die „Schwarze Sonne“ wird in dem Roman eine „schwarze
Ronde“53
genannt, welches als Ersatz für das Balkenkreuz der Wehrmacht dient: Die
Kapitulation Deutschlands ist nicht mehr abzuwenden. Um weiter kämpfen zu können, wird
eine „selbstständige Organisation“ gegründet, deren Zeichen ein „schwarze[r] Punkt“ bzw.
eine „schwarze Ronde“ ist, welche grafisch an „die runde Form der Sonne“ erinnert.54
Dieses
Symbol soll, ähnlich dem Hakenkreuz des Dritten Reiches, ein neues „Heilszeichen“ werden,
unter dem das „zur Opferung bestimmte deutsche Volk“ gerettet wird.55
Der schwarze Punkt
ist eine andere Form des „Gammadiums“56
(des Balkenkreuzes) und dient als militärisches
Hoheitszeichen des „Punkt 103“, welcher „in seiner militärischen Einheit der Kapitulation der
Deutschen Wehrmacht nicht unterworfen“57
ist. Dadurch erhält der „Punkt 103“
(möglicherweise in den Augen des Autors Wilhelm Landig) auch den juristischen Status einer
militärischen Organisation und unterliegt dem internationalen Kriegsrecht und den damit
verbundenen Rechten und Pflichten, darf also beispielsweise nicht als Partisanenbewegung
behandelt werden. Da Landig selbst Mitglied der SS war, und an der Partisanenbekämpfung
teilgenommen hat, kann man vermuten, dass er es als wichtig erachtet, die Organisation der
„Schwarzen Sonne“ in dem Roman auch gemäß militärischem Etikett zu verankern.
Der schwarze Punkt hat in dem Roman Götzen gegen Thule aber neben der Funktion als
alternatives Hoheitszeichen auch einen Bezug zur Alchemie, deren „Sol nigra“58
er entspricht.
Die „Schwarze Sonne“ steht in Verbindung mit der alchemistischen „Sol nigra“ und deutet
eine „bestimmte Phase des Lapis“ an.59
Worauf sich dieser „Lapis“ bezieht, wird jedoch nicht
näher von der Figur des Romans, dem SS-Mitglied Gutmann, erklärt. Wohlmöglich wird hier
auf den alchemistischen Stein der Weisen (Lapis philosophorum) verwiesen. In der Alchemie
51
Ein Hinweis dafür wäre auch die Abkürzung für Schwarze Sonne, SS. 52
Landig, S. 160. 53
Ibid. S. 88. 54
Ibid. 55
Ibid. 56
Ibid. 57
Ibid. S. 160. 58
Ibid. S. 88. Eigentlich korrekt lat. Sol niger. 59
Landig, S. 88.
17
ist der Stein der Weisen die Substanz60
, mit deren Hilfe man unedle Metalle in Gold
umwandeln kann, ein Vorgang, der Opus magnum („Das Große Werk“) genannt wird. Die Sol
niger ist die erste Stufe des Opus magnum, die der ‚Schwärzung-Fäulnis‘ (lat. nigredo-
putrefactio) des zu transformierenden Stoffes dient. Die zweite Stufe ist die ‚Weißung‘ (lat.
albedo) und die dritte Stufe ist die ‚Rötung‘ (lat. rubedo).61
In der neuzeitlichen Esoterik kann der Stein der Weisen auch für die mystische Erleuchtung
des Menschen stehen.62
Hier entsprechen die drei Stufen erstens ‚Individuation/Ausbrennen
von Unreinheit‘ (nigredo-putrefactio), zweitens ‚Vergeistigung/Erleuchtung‘ (albedo) und
drittens ‚Vereinigung des Menschen mit Gott‘ bzw. ‚Vereinigung des Begrenzten mit dem
Unbegrenztem‘ (rubedo).
Eine Interpretation der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule ist demnach,
dass sie die mystische Erleuchtung63
und das ‚Gottwerden‘ der Romanfiguren
veranschaulicht: Der schwarze Punkt deutet „eine bestimmte Phase des Lapis“64
an. Der
Hinweis, dass der schwarze Punkt eigentlich die Farbe „Tiefdunkelrot“65
habe, veranlasst die
Annahme, dass hier die 3. Stufe, die ‚Rötung‘ (rubedo), des alchimistischen Opus magnum
gemeint ist. In diesem Zusammenhang symbolisiert das Motiv der „Schwarzen Sonne“ die
Entwicklung und Transformation der Hauptpersonen des Romans. Zu Beginn des Buches sind
die zwei Luftwaffenoffiziere Recke und Reimer noch unwissend bezüglich der „Kräfte […],
die über den sichtbaren Gewalten stehen.“66
Nach und nach werden sie aber in die
Zusammenhänge und Hintergründe der Weltgeschichte von den zwei Waffen-SS-Offizieren
Juncker und Gutmann eingeweiht, so dass sie am Ende die alchemistische, mystische
Reinigung vollzogen haben, und in den Kreis der Erleuchteten, als Mitglieder des „geheimen
selbstständigen Reiches“67
der „Schwarzen Sonne“ aufgenommen worden sind.68
60
In Form eines pulvrigen Stoffes, der den verschiedenen Metallen zugesetzt wird, und diese in Gold
umwandelt. Vgl. Karl Hoheisel: Christus und der philosophische Stein, Alchemie als über- und nichtchristlicher
Heilsweg. In: Christoph Meinel: Die Alchemie in der europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte,
Wiesbaden, Harrassowitz, 1986, S. 65. 61
Vgl. Ibid. S.66f. Allgemein zu den alchemistischen Grundbegriffen vgl. Carl Gustav Jung: Psykologi och
alkemi, Stockholm, Natur och Kultur, 1999. S. 271-287. 62
Vgl. Jung, S. 309. 63
Ähnlich bei Jung, welcher von der „seelischen Verwandlung“ des Menschen als ein Ziel der Alchemie spricht.
Jung, S. 349. 64
Landig, S. 88. 65
Ibid. 66
Ibid. 67
Landig, S. 160 68
Diese Art von (alchemistischer) Initiation hat eine lange Tradition in der abendländischen Esoterik: Der
Unwissende wird in geheimes Wissen eingeweiht und transformiert sich dadurch selbst mit dem letztendlichen
Ziel der ‚Vergöttlichung‘ im Diesseits. Vgl. Kocku von Stuckrad: Was ist Esoterik, Kleine Geschichte des
geheimen Wissens, Verlag C.H.Beck, München, 2004. S. 39f.
18
Eine weitere Funktion der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule ist, dass
sie ein „Sammelpunkt der esoterischen Kreise der Schutzstaffel [ist], deren Wissen auch Herr
Himmler ahnt, aber nicht teilhaftig wurde.“69
Dass Heinrich Himmler und die Mitglieder des
SS sich als militärische und weltanschauliche Elite des nationalsozialistischen Deutschlands
sahen, ist nicht abzustreiten.70
Ebenso ist das Interesse Himmlers für Esoterik, Okkultismus,
Astrologie, germanische Mythologie und das Mittelalter gut belegt.71
Um den
wissenschaftlichen Beweis für die ‚Überlegenheit der Arier‘ zu bringen, gründete Heinrich
Himmler 1935 zusammen mit dem niederländischen Privatforscher Hermann Wirth das
„Deutsche Ahnenerbe, Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte“.72
Man kann vermuten,
dass der in Götzen gegen Thule genannte „Sammelpunkt der esoterischen Kreise der
Schutzstaffel“73
im näheren Umfeld des Ahnenerbes der SS liegt, vielleicht sogar mit ihm
identisch ist, denn auf einen Teil der Themen, die im SS-Ahnenerbe untersucht wurden, wird
in dem Roman Landigs angespielt.74
Ebenfalls werden Personen, die innerhalb des SS-
Ahnenerbes tätig waren, auch direkt beim Namen genannt. So bezieht sich beispielsweise die
Aussage, die Mitglieder der „Schwarzen Sonne“ seien „[...] jener Kreis von Männern, die
gemäß den Hinweisen eines unserer geistigen Führer, des Standartenführers Rahn, das Recht
und das Rechte suchen [...]“75
auf den Gralsforscher Otto Rahn, der 1933 das Buch Kreuzzug
gegen den Gral veröffentlichte. Die Hauptidee des Buches ist, dass die Gralsburg
Montsalvatge (Montsalvatsch), die in Wolfram von Eschenbachs Parzival genannt wird,
identisch mit der in den französischen Pyrenäen liegenden Burg Montségur sei. Diese Burg
war der letzte Zufluchtsort der ‚Katharer‘, die aufgrund ihrer von der antiken Gnosis
inspirierten, vom Dogma der christlichen Religion abweichenden Lehren von der
mittelalterlichen Inquisition verfolgt und hingerichtet wurden.76
Rahn behauptet in dem Buch,
der Glaube der Katharer ginge auf eine uralte gnostische Untergrundreligion arisch-
westgotischen Ursprungs zurück. Diese Art, historische Ereignisse mythologisch zu
69
Landig, S. 90. 70
Vgl. Heinz Höhne: Der Orden unter dem Hakenkreuz, Die Geschichte der SS, Verlag Der Spiegel, Hamburg,
1966. S.125. 71
Goodrick-Clarke 2002, S. 123-127. 72
Das Standardwerk zum SS-Ahnenerbe ist: Michael Kater: Das Ahnenerbe der SS 1935-1945, Ein Beitrag zur
Kulturpolitik des Dritten Reiches, München, R. Oldenbourg-Verlag, 3. Auflage, 2001. Zur Entstehung des SS-
Ahnenerbes Ibid. S. 11-24. 73
Landig, S. 90. 74
Zu nennen wären beispielsweise die Suche nach dem Heiligen Gral, den sagenhaften Inseln Atlantis und
Thule, die Frage nach dem Ursprung der ‚Arier‘ bzw. der ‚nordischen Rasse‘, die Beschäftigung mit
Runenmystik und nordischer bzw. indogermanischer Mythologie, sowie die Suche nach verborgenen
esoterischen Zentren in Asien. Diese Themen wurden sowohl innerhalb des SS-Ahnenerbes untersucht, als auch
von Wilhelm Landig in dem Roman Götzen gegen Thule verarbeitet. Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 122-150. 75
Landig, S.90. 76
Vgl. Hans-Jürgen Lange: Otto Rahn und die Suche nach dem Gral, Arun, Engerda, 1999. S. 15-19.
19
verklären, passt zweifellos in das Geschichtsbild Heinrich Himmlers. Dieser hatte das Buch
Rahns gelesen und via Vermittlung des oben erwähnten Karl Maria Wiligut, für den Otto
Rahn von 1935-1936 arbeitete, persönlich Kontakt zu dem Autor aufgenommen. Rahn war ab
1936 Mitglied im „Stab des Reichsführers SS“ 77
und veröffentlichte 1937 sein zweites Buch
Luzifers Hofgesind, welches innerhalb großer Teile der SS gelesen wurde und sogar in Form
einer Luxusausgabe in Pergament als Geburtstagsgeschenk Heinrich Himmlers an Adolf
Hitler überreicht wurde.78
Die Thesen Rahns um den Gralsmythos und die Katharer sind wichtige Motive in Wilhelm
Landigs Roman Götzen gegen Thule. Der Autor war sicherlich gut mit dem Werk Rahns
vertraut. Zum einen spielt das Geschehen des Romans in den französischen Pyrenäen und in
der Nähe der Burg Montségur, zum anderen ist folgende Textstelle unzweifelhaft von Rahn
inspiriert:
[...] Männer, die eigenmächtig und stolz nicht vom Berg Sinai Hilfe erwarten, sondern zu einem,
Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht‛ gegangen sind, um Hilfe zu holen und den
Menschen ihres Blutes zu bringen [...].79
In Otto Rahns Buch Luzifers Hofgesind findet sich folgende Textstelle:
Unter Luzifers Hofgesind verstehe ich diejenigen, die nordischen Geblütes inne und ihm getreu,
einen ‚Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht’ als Ziel ihrer Gottsucht sich erkoren
hatten und nicht die Berge Sinai oder Zion in Vorderasien.80
Identisch ist in den beiden oben angeführten Zitaten das Nennen des „Berg Sinai“ und des
„Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht“, welche im Kontrast zueinander stehen.
Der Berg Sinai ist der Ort, wo im Alten Testament Moses die zehn Gebote von Gott
empfangen hat. Damit hat ist er sowohl für die christliche als auch die jüdische Tradition von
Bedeutung.81
Der bei Rahn in Luzifers Hofgesind genannte Berg Zion ist ein Hügel in
Jerusalem und hat ebenfalls biblische Bezüge. Dort befindet sich laut jüdischer Tradition der
77
Ibid. S. 60 und S. 177ff. 78
Ibid. S. 65. 79
Landig, S. 90. 80
Otto Rahn: Luzifers Hofgesind, Eine Reise zu den guten Geistern Europas, Verlag Zeitenwende, 2. Auflage,
Dresden, 2006. S. 81. Ursprünglich 1937 erschienen. 81
Der Berg Sinai ist auch heute noch eine Wallfahrtsstätte für Gläubige aus aller Welt. Auf dem Gipfel des
Berges befindet sich sowohl eine christliche Kapelle als auch eine Moschee.
20
Sitz Jahwes.82
Dieser Berg Zion taucht auch mehrmals an anderer Stelle in dem Roman
Götzen gegen Thule auf.83
Er steht bei Landig in Zusammenhang mit einer
„Weltbrüderschaft“ von Freimauerlogen, deren Ziel das „One World Government“ ist.84
Die Kräfte hinter dem Berg Zion werden von dem SS-Offizier Gutmann wie folgt definiert:
„Es ist eine Macht, die über allen anderen Kräften ihr Netz hat und mit allen zusammen gegen
den Mitternachtsberg anstürmt.“85
In beiden Textstellen findet sich damit eine
weltanschaulich fundierte Ablehnung der jüdisch-christlichen Tradition, wie sie innerhalb der
SS praktiziert wurde.86
In dem Nachkriegsroman Landigs wird der Berg Zion außerdem in
Zusammenhang mit einer mittlerweile in weiten Kreisen der Populärkultur etablierten
Verschwörungstheorie um Freimaurerlogen, den sogenannten ‚Illuminaten‘87
, gebracht. Dem
entgegen stellen beide Autoren einen „Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht“88
,
zum welchem sich bei Rahn die Menschen „nordischen Geblütes“89
wenden. Diese
Formulierung findet sich bei Landig nicht, aber auch er benutzt mit der Formulierung
„Menschen ihres Blutes“90
eine Sprache, die mit der nationalsozialistischen Blutsymbolik
assoziiert werden kann. Zwei übereinstimmende Aspekte der Romane Luzifers Hofgesind und
Götzen gegen Thule sind demzufolge, dass sie sich zum einen von der jüdisch-christlichen
Religion und Tradition abzuwenden, und dieser zum anderen eine Verherrlichung des
‚nordischen Menschen‘ entgegenzustellen. In diesem Zusammenhang steht bei Otto Rahn
auch das Ziel der „Gottsucht“ 91
des Menschen, was sich in ähnlicher Form auch bei Wilhelm
Landig findet, vgl. den obigen Abschnitt über Alchemie und deren Bezug zum Symbol der
„Schwarzen Sonne“. Auch worauf sich der „Berg der Versammlung in der fernsten
Mitternacht“ bezieht, wird bei Rahn in Luzifers Hofgesind erläutert: „Im höchsten Norden
82
Allgemein zur Mythologie um die Berge Sinai und Zion bei: Friedrich Heiler: Die Religionen der Menschheit,
Reclam-Verlag, Stuttgart, 1959. S. 562-576. 83
Landig, S. 109, 296, 398. 84
Ibid. S. 109. 85
Ibid. 86
Vgl. Josef Ackermann: Heinrich Himmler als Ideologe, Göttingen, Musterschmidt, 1970, S. 53-96 zu
Himmlers Kampf gegen das Christentum und dem Bestreben nach der Schaffung eines „neuen Glaubens“
innerhalb der SS mit eigenen Symbolen, Brauchtum, Liturgie und Riten. Die Ablehnung des Christentums ist
genauso wie die Ablehnung des Judentums ein immer wiederkehrendes Motiv in Götzen gegen Thule, vgl.
Landig, S. 89, 109, 164ff, 169, 232f, 235, 296, 299, 337. So behauptet eine der Romanfiguren beispielsweise,
dass die „[…] Hebräsierung der griechisch-römischen und dann der nordischen Welt […] zum Großteil dem
Christentum zu verdanken ist […]“. Landig, S. 165. 87
Beispielsweise in der der zwischen 1969 und 1971 entstandenen Roman-Trilogie Illuminatus der
amerikanischen Autoren Robert Anton Wilson und Robert Shea. Der ‚Illuminatenorden‘ ist auch Gegenstand des
2003 erschienenen Romans Angels and demons (dt. Illuminati) des Erfolgsautors Dan Brown. 88
Rahn 2006, S. 81. Landig, S. 90. 89
Rahn 2006, S. 81. 90
Landig, S. 90 91
Im gleichen Abschnitt schreibt Rahn auch: „Unter Luzifers Hofgesind verstehe ich diejenigen, die ihr
Menschenmöglichstes getan [haben], um einer Vergottung würdig zu sein.“ Rahn 2006, S. 81.
21
muss dieser Berg gelegen haben, denn der Norden ist das Mitternachtsland.“92
Wenn man das
Auftauchen von Blutmystik und Verherrlichung des ‚Nordischen‘ bei Rahn und Landig
vergleicht93
, kann man konstatieren, dass Wilhelm Landig beim Konstruieren des Mythos der
„Schwarzen Sonne“ klar auf Mythenkonstruktionen innerhalb der SS zurückgreift, und diese
in seinem nach dem 2. Weltkrieg erschienenen Roman verarbeitet.
Die „esoterischen Kreise der Schutzstaffel“94
lokalisiert Landig im Umfeld Otto Rahns und
damit vermutlich innerhalb (oder jedenfalls in der ideologischen Nähe) des Ahnenerbes der
SS. In dem Roman Götzen gegen Thule werden außerdem weitere Thesen und Forscher, die
direkt oder indirekt mit dem SS-Ahnenerbe in Verbindung standen, genannt. Landig nennt
beispielsweise den Begründer der sogenannten Welteislehre Hanns Hörbinger95
und dessen
Schüler Edmund Kiß.96
Ebenso wird die teils vom SS-Ahnenerbe finanzierte deutsche Tibet-
Expedition (1936) Ernst Schäfers von Landig erwähnt.97
Auch der niederländische Philologe
Herman Wirth, Gründungsmitglied des Ahnenerbes, wird mehrmals in dem Roman beim
Namen genannt. Wirth prägte mit seiner Theorie von einer uralten atlantisch-nordischen
Rasse das Weltbild der SS.98
Dieser atlantisch-nordische Rassenmythos ist ein von Landig
übernommenes und immer wieder rekurrierendes Motiv in Götzen gegen Thule99
, welches der
mythologisch-rassischen Verherrlichung des Nordens dient. An gleicher Stelle wird der
ebenfalls dem SS-Ahnenerbe nahestehende italienische Philosoph und Rassentheoretiker
Julius Evola genannt, der u.a. für die angebliche rassische Überlegenheit der Arier und für
eine „urnordische Tradition“100
propagierte.
Kann man so weit gehen, zu behaupten, dass das „Reich der Schwarzen Sonne“ als
„Sammelpunkt der esoterischen Kreise der Schutzstaffel“101
identisch mit dem SS-Ahnenerbe
ist, oder im Umfeld der ihm ideologisch nahestehenden Kreise zu suchen ist? Wilhelm
Landigs Nennungen von unterschiedlichen Theorien, die innerhalb des SS-Ahnenerbes
rezipiert und propagiert wurden, könnte ein Indiz dafür sein. Damit würde Landig dann auch
die Behauptung aufstellen, es habe schon während des Nationalsozialismus einen
92
Ibid. S. 80f. 93
In Götzen gegen Thule wird die Verherrlichung des Nordens auch an anderer Stelle von dem SS-Soldaten
Gutman proklamiert: „Unsere Parole lautet: Nicht ex oriente lux, sondern aus dem Norden kommt das Heil und
das Licht.“ Landig, S. 84. 94
Ibid. S. 90. 95
Ibid. S. 37. 96
Ibid. Am Ende des Romans Götzen gegen Thule zitiert Landig auch aus Edmund Kiß Buch Singschwäne von
Thule, vgl. Landig, S. 469. 97
Ibid. S. 89. 98
Zur Rolle der Thesen Wirths für das Weltbild der SS vgl. Goodrick-Clarke 2002, S.129f und Kater, S. 11-16. 99
Landig, S. 159, 163ff, 296f, 337, 396. 100
Ibid. S. 162. Zu Evola und dessen Einfluss auf die Ideologie der SS vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 129. 101
Landig, S. 162.
22
‚Geheimbund Schwarze Sonne’ innerhalb der SS gegeben, dessen Existenz Heinrich Himmler
„ahnt[e] aber nicht teilhaftig wurde“102
, womit der Autor einen Beitrag zur Mystifizierung
bzw. Verklärung der SS nach dem 2. Weltkrieg leisten würde. Dagegen spricht vor allem,
dass Himmler in alle Forschungsbereiche des Ahnenerbes eingeweiht war und diese gutheißen
musste, womit das Existieren eines ‚geheimen esoterischen Kreises’ innerhalb der SS
fragwürdig erscheint.
Die Organisation der sich mit Esoterik beschäftigenden Kreise der SS erfolgt in Form eines
Geheimbundes mit militärischen Strukturen, was eine vierte Funktion der „Schwarzen Sonne“
ist. Zu diesem „Kreis von Männern“103
gehören aber nicht nur Mitglieder der SS, sondern
auch Menschen anderer Nationen und Kulturen. So erhält der „Punkt 103“ Hilfe von
Verbündeten aus den USA und Kanada104
und hat Kontakte zu tibetischen Lamas.105
Auf ihm
befinden sich ebenso japanische Offiziere des Geheimbundes „Schwarzer Drache“106
. Es gibt
außerdem einen „Kommandeur“107
des „Punkt 103“, der den Soldaten nach dem
Zusammenbruch des Dritten Reiches befiehlt, „sämtliche Hoheitszeichen [...] von den
Uniformstücken zu entfernen.“108
Das „Stammpersonal des geheimen Stützpunktes“109
besteht
eigentlich überhaupt nur aus anderen (geheimen) „Ordensgemeinschaften“110
, deren
Mitglieder aufgrund ihres geheimen Wissens wichtig für den Kampf um die Wiedergeburt
eines atlantisch-arischen „Groß-Thules“111
sind. Dieses Beschreiben der „Schwarzen Sonne“
als ein militärisch organisierter Geheimbund mit Ordensstruktur ist sicherlich von Landigs
Mitgliedschaft in der SS inspiriert worden.
Die SS wurde von Himmler ab 1929 nach Vorbild des mittelalterlichen „Deutschritter-
Ordens“ und der „Gesellschaft Jesu“ (Den Jesuiten) aufgebaut.112
Die Organisation als
klösterliche Gemeinschaft, das Selbstbild einer vorbestimmten, religiös verklärten
Auserwähltheitsmission, das Diktum vom unbedingtem Gehorsam und ein klare Aufteilung in
Ränge findet sich sowohl beim ursprünglichen Deutschritter-Orden, der SS113
und in
ähnlicher Form auch bei dem Geheimbund „Schwarze Sonne“. Dieser Geheimbund ist ein
102
Landig, S. 90. 103
Ibid. 104
Ibid. S. 85. 105
Ibid. S. 89. 106
Ibid. S. 95. 107
Ibid. S. 160. 108
Ibid. 109
Ibid. S. 93. 110
Ibid. 111
Wie dies am Ende des Romans formuliert wird. Vgl. Landig, S. 468. 112
Vgl. Höhne, S. 53 und Ackermann, S. 101-106. 113
Zur Rolle des Jesuitenordens für den Aufbau der SS vgl. Lange 1998, S. 280ff.
23
reiner Männerbund, denn Frauen befinden sich nicht auf dem „Punkt 103“. Das Leben auf
dem Stützpunkt ist militärisch als „Dienst“ „in vollster Disziplin“ organisiert.114
Von den
Mitgliedern wird „höchste Einsatzbereitschaft“115
und „unbedingter Gehorsam“116
gefordert,
womit „Punkt 103“ einer Militärkaserne der SS oder Wehrmacht nicht unähnlich ist.
Eine fünfte Funktion der „Schwarzen Sonne“ ist, dass sich hinter ihr auch ein geheimer, in der
Nähe des Nordpols gelegener „Punkt 103“ verbirgt, welcher nach der deutsche Kapitulation
1945 „als vom Reiche losgelöst“ proklamiert wird, und in Form eines „geheimen
selbstständigen Reiches“ existiert.117
Die Aufgabe dieses militärisch organisierten Reiches ist
es, zum einen Verbündete zu sammeln und (Geheim-)Technologie zu horten, und zum
anderen, aktiv in das Weltgeschehen einzugreifen. Am Ende des Romans gibt einer der
Protagonisten dann Hinweise darauf, dass man den „[…] Punkt 103 aufgelöst [hat] und alles
getan hat, um gehortetes Material unauffindbar zu machen!“118
Es gäbe zwar noch ein
„Restkommando“ und „eine Widerstands- und Beobachtungsgruppe“, wo diese aber
lokalisiert sein könnte, ist den Romanfiguren nicht bekannt.119
Mythen über geheime deutsche Stützpunkte außerhalb des Dritten Reiches haben sich seit
1945 in unterschiedlichster Form etabliert. Basis bilden oft tatsächliche nationalsozialistische
(wissenschaftliche) Expeditionen, welche in schillerndster Weise verklärt werden.120
Die zwei spektakulärsten Expeditionen sind zweifellos die deutsche Antarktis-Expedition
1938/39121
und die vom SS-Ahnenerbe teilfinanzierte Tibetexpedition Ernst Schäfers
1938/39.122
Eine deutsche Expedition an den Nordpol hat jedoch während der Zeit des
Nationalsozialismus nicht stattgefunden, dagegen eine 1936 ebenfalls vom SS-Ahnenerbe
finanzierte Expedition nach Schweden und Norwegen unter der Leitung von Hermann
Wirth.123
1937 fand auch eine ‚Nordlandfahrt‘ von 20 SS-Männern nach Island statt, um dort
nach mythischen Spuren der Insel Thule zu forschen. An dieser Expedition nahm auch der
oben erwähnte Otto Rahn teil.124
Die SS-Expeditionen nach Schweden, Norwegen und Island
114
Landig, S. 168. 115
Ibid. S. 166. 116
Ibid. S. 176. 117
Ibid. S. 160. 118
Ibid. S. 397. 119
Ibid. S. 398. 120
So soll es beispielsweise unterirdische deutsche Stützpunkte in der Antarktis, den Anden und Tibet gegeben
haben bzw. auch heute noch geben. Für einen Überblick vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 107-126. 121
Vgl. Heinz Schön: Mythos Neu-Schwabenland, Für Hitler am Südpol, Bonus-Verlag, Selent, 2004. 122
Offizielle Bezeichnung: „Tibet-Expedition Ernst Schäfer. Unter Schirmherrschaft des Reichsführer SS
Himmler und in Verbindung mit dem Ahnenerbe Berlin e.V.“ Vgl. Trimondi, S. 119-128. 123
Vgl. Heather Pringle: Härskarplanen, Himmlers jakt på det ariska ursprunget, Historiska Media, Falun, 2008.
S. 76-87. 124
Vgl. Trimondi, S. 268.
24
werden in Götzen gegen Thule nicht erwähnt, vermutlich weil sie in den Augen des Autors zu
unspektakulär waren. Dagegen wird die deutsche Tibetexpedition in dem Roman erwähnt und
mythologisch verklärt.125
Die deutsche Antarktis-Expedition spielt in dem Roman Götzen
gegen Thule keine Rolle.126
Landig greift sie aber im 2. Teil der Thule-Trilogie auf und
integriert sie in den von ihm geschaffenen Mythos um die „Schwarze Sonne“.127
Eine Erklärung dafür, warum der Autor einen geheimen deutschen Stützpunkt in die Nähe des
Nordpols legt wäre, dass dort die Heimat des ‚legendären polaren Urvolks der Arier‘ und der
Sitz der Insel Atlantis gewesen sein soll,128
und damit wären die Protagonisten des Romans in
der Nähe des eigenen mythologischen Ursprungs. Eine andere mögliche Erklärung wäre, dass
der Autor die Mythologie um das Symbol der „Schwarzen Sonne“ noch nicht voll entwickelt
hat, denn in den folgenden Romanen der Thule-Trilogie werden die geheimen Stützpunkte
dann nach Lateinamerika und in die Antarktis verlegt.
Die Hortung von ‚Geheimtechnologie‘ ist neben dem Sammeln eines elitären kampfbereiten
Männerbundes die wichtigste Aufgabe des „geheimen selbstständigen Reiches“129
der
„Schwarzen Sonne“.130
Im Zusammenhang mit der „Schwarzen Sonne“ verbindet der Autor
in dem Roman Götzen gegen Thule zwei Nachkriegsmythen miteinander und gestaltet als
einer der ersten den ‚Flugscheibenmythos‘131
literarisch. Das Motiv der Flugscheiben, also
von deutschen Forschern bzw. von Abteilungen der SS entwickelter ‚fliegender Untertassen‘
ist ein immer wiederkommendes Leitmotiv des Romans.132
Der Autor Wilhelm Landig hat
nach Ende des 2. Weltkrieges behauptet, selber an der Entwicklung und Koordination dieser
125
So heißt es, die Expedition habe „gewisse esoterische Aufgaben“ gehabt. Landig, S. 89. Dort wird auch
Schäfer namentlich genannt. Die Expedition wird an anderer Stelle in Verbindung mit der Forschung nach
„Geheimwissen“ gebracht. Ibid. S. 326. 126
Die Antarktis wird jedoch einmal als möglicher Zielort von Absetzbewegungen deutscher U-Boote nach der
deutschen Kapitulation erwähnt. Vgl. Landig, S. 169. 127
Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 144. 128
Allgemein zum Polmythos in Verbindung mit dem Mythos der Arier vgl. Joscelyn Godwin: Arktos, The polar
myth in science, symbolism and nazi survival, Kempton, Adventure unlimited press, 1996. Ebenso Léon
Poliakov: Der arische Mythos, Zu den Quellen von Rassismus und Nationalismus, Hamburg, Junius, 1993. 129
Landig, S. 160. 130
Vgl. Ibid. S. 78, 96, 115, 168, 173, 397f. 131
Die Begriffe ‚(Reichs-)Flugscheibe‘ und ‚Nazi-UFO‘ sind mittlerweile (neben der Verbreitung in
rechtsesoterischer Verschwörungsliteratur) auch fest etablierter Bestandteil der Populärkultur. Filmatisiert sind
diese Nazi-Ufos inzwischen, wie schon in der Einleitung erwähnt, in dem 2012 erschienenen Film Iron Sky. Zum
Film ist inzwischen auch Computerspiel erschienen, in dem man Nazi-Ufos abschießen kann. Auf dem
Auktionsportal ebay.de kann man inzwischen auch Modellbausätze, Tassen und T-Shirts von Flugscheiben
bestellen. 132
Landig S. 67, 71ff, 79, 122, 234, 336, 438, 455.
25
Flugscheiben beteiligt gewesen zu sein,133
was von ihm auch explizit im Vorwort des Romans
Götzen gegen Thule zur Sprache gebracht wird.134
Als Hintergrund für diesen Mythos sind zum einen die Entwicklung von (geheimen)
‚Wunderwaffen‘ am Ende des Dritten Reiches, und zum anderen die Sichtung von
‚unbekannten Flugobjekten‘ (engl. unidentified flying objects, UFOs) im hauptsächlich
englisch- und europäischsprachigen Raum ab Ende der 1940er Jahre zu nennen. Dass es eine
Reihe unter Geheimhaltung entwickelter deutscher Technikinnovationen am Ende des 2.
Weltkrieges gab, ist nicht abzustreiten. Beispiele sind u.a. die sogenannte ‚Vergeltungswaffe‘
V1, die erste ballistische Rakete V2, das erste Flugzeug mit Jetmotor (Messerschmitt Me
262), sowie neuartige, elektrisch betriebene U-Boote. Ebenfalls gab es innerhalb der
Flugzeugproduktion Prototypen, die in ihrer Form an fliegende Untertassen erinnern, aber
nicht über das Teststadium herausgekommen sind.135
Die Verbindung nationalsozialistischer
(Geheim-)Technologie mit den fliegenden Untertassen begann in Deutschland 1950 in einem
vom Spiegel136
publizierten Interview mit dem Flugkapitän Rudolf Schriever, welcher
behauptete, er habe zusammen mit dem Ingenieur Otto Habermohl in den BMW-Werken bei
Prag einen senkrecht startenden diskusförmigen ‚Flugkreisel‘ mit einem Gewicht von drei
Tonnen, einer Fluggeschwindigkeit von 4200 km/h und einer Reichweite von 6000 km
entwickelt. Dieser Flugkreisel soll im April 1945 noch testgeflogen und kurz vor Einmarsch
der Sowjetarmee gesprengt worden sein.137
Dieser Vorgang wird auch von Wilhelm Landig in
das Romangeschehen von Götzen gegen Thule eingebaut: Die Protagonisten des Romans
reisen im Auftrag des Geheimbundes „Schwarze Sonne“ am Kriegsende 1945 nach Prag. Dort
haben sie den Auftrag, den von Schriever, welcher in dem Roman explizit genannt wird,
entwickelten Flugkreisel vor dem Zugriff der sowjetischen Armee sicherzustellen.138
Die Vermutung liegt nahe, dass Landig die nach dem 2. Weltkrieg erschienenen Interviews
und Berichte über UFOs und ‚nationalsozialistische Geheimtechnologie‘ zumindest teilweise
als Inspiration bei der Konstruktion seines Flugscheibenmythos verwendet hat. Dazu kommt,
dass Teile der SS ab 1942 nachweisbar an der Entwicklung von sogenannten Wunderwaffen
133
Vgl. Heller/Maegerle, S. 97. 134
Dort meldet sich Landig als „Verfasser“ und proklamiert, dass „Im vorliegenden Buche […] authentische
Begebenheiten […] der geheimen Rüstungstechnik […] aufgetaut [werden].“ Landig, S. 5. 135
Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 151-172. Siehe auch Rudolf Lusar: Die deutschen Waffen und Geheimwaffen
des 2. Weltkrieges und ihre Weiterentwicklung, J.F. Lehmanns Verlag, 2. Auflage, München, 1958. Der Major
Lusar hatte während des Dritten Reiches im Deutschen Patentamt gearbeitet, und überraschenderweise findet
sich in dem Buch neben einem seriösen Durchgang der unterschiedlichsten Waffengattungen auch ein Abschnitt
über „Fliegende Untertassen“ und ein Bild einer „Fliegenden Scheibe“, vgl. Lusar, S. 146f. 136
Vgl. Anhang 5. 137
Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 154f. 138
Vgl. Landig, S. 122.
26
und Geheimtechnologie, vor allem in der Flugzeug- und Raketenproduktion, beteiligt
waren.139
Auch innerhalb des SS-Ahnenerbes gab es Versuche, Wunderwaffen herzustellen.
Nennenswert ist hier beispielsweise der misslungene Versuch einer Konstruktion eines
‚Strahlengerätes‘, welches Lebewesen töten oder lähmen sollte.140
Andere Projekte waren der
Versuch der Konstruktion eines Erdölortungsgerätes und die Goldsuche mit
Wünschelruten.141
Inwieweit der Autor Wilhelm Landig in eines oder mehrere dieser innerhalb der SS
organisierten und von Himmler sanktionierten Projekte involviert gewesen ist, lässt sich heute
nicht mit Sicherheit nachweisen. Sicherlich hat die aussichtslose Kriegslage mehr und mehr
zu immer desperateren Versuchen geführt, den Untergang des Dritten Reiches zu verhindern.
Auch innerhalb der SS muss es fieberhafte Versuche gegeben haben, technische Innovationen
und Prototypen zu entwickeln, um doch noch den Krieg gewinnen zu können. Diese
‚Wunderwaffen‘ und ‚Geheimtechnologien‘, auch wenn sie nur auf dem Papier oder als
Gerüchte vorkamen, sind möglicherweise von Wilhelm Landig dann später literarisch
verarbeitet und mit dem Mythos der „Schwarzen Sonne“ zu folgender Einheit verknüpft
worden: Ein esoterischer Kreis innerhalb der SS rettet am Ende des 2. Weltkrieges
Geheimtechnologie vor dem Zugriff der Alliierten, schafft diese in Sicherheit zu einem
geheimen Stützpunkt in der Nähe des Nordpols und kämpft nach Kriegsende für ein neues
Reich. Neben den Flugscheiben erwähnt der Autor in dem Roman auch noch ein neuartiges
Navigationsgerät und verschiedene Flugzeugmodelle, welche als Prototypen tatsächlich
existiert haben, so dass es nicht ohne weiteres möglich ist, alle Aussagen des Autors als
Phantasie abzuwerten.142
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass man dem Symbol der „Schwarzen Sonne“ in
dem Roman Götzen gegen Thule fünf Funktionen zuweisen kann: Erstens die Verwendung als
Hoheitszeichen anstelle des Balkenkreuzes der Wehrmacht. Zweitens steht sie im
Zusammenhang mit der Alchemie und symbolisiert einen Schritt bei der ‚Veredlung‘ des
Menschen. Drittens verkörpert sie die umfangreiches Geheimwissen besitzenden esoterischen
Kreise der SS. Viertens ist sie ein militärisch organisierter Geheimbund oder Geheimorden
mit Verbündeten aus aller Welt. Fünftens verbirgt sich hinter ihr ein geheimer Stützpunkt
„Punkt 103“, welcher als selbständiges Reich geographisch in der Nähe des Nordpols
139
Vgl. Kater, S. 218-226. 140
Kater,Ibid. S. 220. 141
Ibid. S. 220ff. 142
Landig, S. 14, 119.
27
lokalisiert ist, und auf dem Geheimtechnologien deutscher Herkunft, vor allem sogenannte
Flugscheiben, gehortet werden.
2.4. Zur Weiterentwicklung der „Schwarzen Sonne“ nach Götzen gegen Thule
Wie oben gezeigt werden konnte, tauchen bei Wilhelm Landig im Zusammenhang mit dem
Mythos der „Schwarzen Sonne“ eine Reihe unterschiedlicher Traditionen und Mythen auf143
,
die letztendlich alle für eine Verklärung der SS nach 1945 verwendet werden. Der Roman
Götzen gegen Thule ist nach seinem Erscheinen selber ein Teil dieser Mythenbildung um die
SS geworden, dessen Symbol die „Schwarze Sonne“ ist. Dies beruht teilweise auf dem
Wahrheitsanspruch, der im Vorwort des Romans von dem Verfasser proklamiert wird, als
auch der Autorität Wilhelm Landigs als ehemaliges Mitglied der SS.144
Der Roman Götzen
gegen Thule lässt sich übergreifend dem Genre der rechtsesoterischen Verschwörungsliteratur
zuordnen, genauer einem Zweig dieser Literatur, den man als ‚SS-Mystizismus‘ bezeichnen
kann.145
Landigs Mythos bzw. Motiv der „Schwarzen Sonne“ wird ab den 1990er Jahren von
einer Reihe nachkriegsgeborener Autoren übernommen und in die rechtsesoterische
Mythenbildung146
integriert. In diesem Abschnitt soll deshalb die Weiterentwicklung des
Symbols der „Schwarzen Sonne“ nach dem Erscheinen des Romans Götzen gegen Thule
untersucht werden. Welche Aspekte der fünf im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen
Funktionen wurden von anderen Autoren übernommen, welche Funktionen sind in späteren
Darstellungen der „Schwarzen Sonne“ weggefallen oder dazugekommen? Auffällig ist vor
allem, dass die bereits in der Einleitung dieser Arbeit erwähnte heute gängige Kopplung
Schwarze Sonne - zwölfspeichiges Sonnenrad - Wewelsburg (Symbol - grafisches Symbol -
Lokalität) in dem Roman von Wilhelm Landig nicht vorkommt. Die Wewelsburg, die nach
143
Völkische Mythen, Verbindungen zur abendländischen Esoterik, vor allem der Alchemie und
Nachkriegsmythen (UFO-Mythologie, Mythen über geheime deutsche Stützpunkte). 144
Als ‚Einem, der dabei gewesen ist‘. 145
So beispielsweise bei Trimondi, in der englischsprachigen Literatur verwendet man dagegen den Begriff
esoteric SS, so bei Goodrick-Clarke 2002. 146
Man muss sich bewusst sein, dass es seine Vielzahl esoterischer Mythen um das Dritte Reich gibt und der
Mythos der „Schwarzen Sonne“ nur einer davon ist. Einige dieser Mythen werden in dieser Untersuchung kurz
angerissen, aber aus Platzgründen nicht näher diskutiert. Der Fokus dieser Arbeit liegt darauf, wie das Symbol
der „Schwarzen Sonne“ bei Wilhelm Landig auftaucht, und wie es von anderen Autoren später verarbeitet
worden ist.
28
dem 2. Weltkrieg als Zentrum esoterischer Praktiken der SS verklärt worden ist,147
wird in
Götzen gegen Thule überhaupt nicht erwähnt, obwohl der Autor ausdrücklich von sich selber
behauptet, in das geheime Wissen und die geheimen Praktiken der SS eingeweiht gewesen zu
sein.148
Die Wewelsburg wurde ab 1934 von Himmler gepachtet, wobei es seine Absicht war, diese
als Ordensburg und weltanschauliches Zentrum der SS aufzubauen. Dabei war es der schon
oben erwähnte Karl Maria Wiligut, der Himmler zuerst auf die Wewelsburg aufmerksam
machte.149
Die weltanschauliche Schulung bzw. der Lehrbetrieb führender SS-Spitzen fand
jedoch nicht statt.150
Vielmehr beschränkte sich die Funktion der Wewelsburg während des
Nationalsozialismus auf einen „zentralen Versammlungsort für die Führungsspitze der SS“151
mit jährlichen Gruppenführertagungen und Vereidigungen von neubeförderten SS-
Gruppenführern. Der Gruppenführersaal mit dem zwölfspeichigen Sonnenrad diente
vermutlich für Zusammenkünfte zeremonieller Art und der ideologische Gedanke dahinter ist
wahrscheinlich eher in der Zahlensymbolik der Ziffer 12 zu suchen, als in einem
metaphysischen Konstrukt der „Schwarzen Sonne“ als einen geheimen Kreis innerhalb der
SS. Die zwölf Speichen des Sonnerades korrespondieren mit den zwölf Säulen des
Gruppenführersaales und den zwölf in Stein gemeißelten Sitzen in der Krypta „Walhalla“
unterhalb des Gruppenführersaales. Das Selbstverständnis der SS-Gruppenführer als
politischer und rassischer Neuadel basierte ja auf einer von Himmler sanktionierten
Verklärung des mittelalterlichen Rittertums, und so ist die Wahl der Zahl 12 vielleicht eher
durch Inspiration von der Sage um die zwölf Ritter der Tafelrunde zu erklären.152
Die Verklärung der Wewelsburg als ‚SS-Kloster‘, ‚Ordens- und Gralsburg‘, ‚Kultstätte‘,
‚Himmlers Walhall‘ bis zum ‚Mittelpunkt der Welt‘ begann schon in den 1950er Jahren.153
Deshalb ist es verwundernd, dass weder die Wewelsburg noch das zwölfspeichige Sonnenrad
bei der Verklärung der SS und dem Konstruieren des „Schwarze Sonne“-Mythos bei Wilhelm
147
Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 125ff. Siehe auch die fantastische Verklärung der Wewelsburg bei E.R.
Carmin: Das schwarze Reich, Geheimgesellschaften, Templerorden, Thule-Gesellschaft, Das Dritte Reich, CIA,
Hamburg, Nikol Verlagsgesellschaft, 2002. S.137ff. 148
So z.B. im Vorwort zu Götzen gegen Thule und in dem Videointerview Wilhelm Landig ‒ ein Zeitzeuge
berichtet. 149
Vgl. Stuart Russell u. Jost W. Schneider: Heinrich Himmlers Burg, Das weltanschauliche Zentrum der SS,
Bildchronik der SS-Schule Haus Wewelsburg 1934-1945, Esse, Heitz & Höffkes, 1989, S. 7f. 150
Vgl. Jan Erik Schulte: Himmlers Wewelsburg und der Rassenkrieg, Eine historische Ortsbestimmung. S. 7. 151
Ibid. S. 9. 152
Vgl. Ibid. 153
Vgl. Daniela Siepe: Die Rolle der Wewelsburg nach 1945. S. 488. Zur Verklärung tragen sicher auch
sensationsheischende Buchtitel wie Heinrich Himmler´s Camelot. The Wewelsburg, ideological center of the SS
1934-1945 bei.
29
Landig eine Rolle spielen, obwohl in dem Roman ein Großteil von nationalsozialistischen und
rechtsesoterischen Mythen aufgegriffen und literarisch verarbeitet werden.154
Dadurch lässt sich die Behauptung aufstellen, dass die Wewelsburg mit dem sich dort
befindlichen zwölfspeichigen Sonnenrad bei Wilhelm Landigs ursprünglicher literarischer
Konstruktion des „Schwarze Sonne“-Mythos keine Rolle gespielt hat, was einen der
wichtigsten Unterschiede zu späterer rechtsesoterischer Literatur, die das Symbol der
„Schwarzen Sonne“ aufgreift, ausmacht.
Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass in dem Roman Götzen gegen Thule die
„Schwarze Sonne“ auch unter dem Aspekt der (alchemistischen) Transformation zu
betrachten ist, und deshalb möglicherweise nur eine ‚Übergangsphase‘ darstellt. So erklärt der
Stabschef des „Punkt 103“: „Das Zeichen unseres Stützpunktes wird zur rechten Zeit abgelöst
werden durch das Farbsymbol der Wende, der Sonne in silberweiß.“155
Der Kriegsschluss und
die deutsche Kapitulation von 1945 werden als „kosmische Winterwende“ empfunden, die
sich jedoch als „[…] Sonnenwende der Thuatha-Deutschen, die mit ihrer Wiedergeburt das
alte Heilszeichen und das Licht des Nordens in die Welt tragen werden […]“ 156
entpuppen
wird.157
Damit ist die „Schwarze Sonne“ auch ein Symbol für die metaphysische Katharsis
der Romanfiguren, welche den Weg der alchemistischen Selbstveredlung158
mit dem Ziel
einer ‚diesseitlichen Vergöttlichung‘ durchgehen. Dass Transformation ein wichtiger Aspekt
der „Schwarzen Sonne“ ist, bestätigt sich auch an anderer Stelle des Romans. Als die
Romanfiguren auf einen arabischen Gelehrten treffen, sagt dieser zu ihnen:
„Ihr gehört zu den geheimnisvollen Männern der Sonne, die bisher schwarz und seit kurzem
weiß leuchtet. Die Sol nigra hat die Farbe des strahlenden Lichts angenommen.“159
Damit
könnte man die Funktion der Transformation sowohl esoterisch als auch exoterisch deuten:
Die esoterische Transformation geschieht in Anlehnung an die alchemistische Tradition auf
individueller Ebene. Die zwei Romanfiguren Recke und Reimer werden im Laufe des
Romangeschehens in esoterisches Wissen eingeweiht, bis sie schließlich um die wahren
Geschehnisse ‚hinter den Kulissen der Weltgeschichte‘ Bescheid wissen. Die exoterische
154
Das wären der neben den schon diskutierten Grals- und Flugscheibenmythos, der Thule-Mythos,
Atlantismythos, Polmythos, Runen- und Eddamystik, antisemitische metaphysisch motivierte
Verschwörungstheorien, Rassenmythos der Arier, Tibetmythos, Grals- und Katarermystik, Vrilmythos,
Welteislehre, rassisch fundiertes Antichristentum, SS-Mystizismus, Agarthi- und Shambala-Mythos sowie
Verklärung des Nordens und des ‚Nordischen‘. 155
Landig S. 166. 156
Ibid. 157
Ibid. 158
Sprich Vergeistigung bzw. Veredlung in Korrelation mit der alchemistischen zweiten Stufe der ‚Weißung‘,
siehe Kapitel 2.2. 159
Landig S. 305.
30
Transformation symbolisiert die Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung der
Romanfiguren nach der deutschen Kapitulation, welche sich nach und nach aber in
Gewissheit der eigenen vorbestimmten Mission und Hoffnung auf die Wiedergeburt eines
arischen „Groß-Thules“ als „geistiges Reich über alle Staatsgebilde hinweg“160
verwandelt.