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Das Nibelungenlied

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neu übersetzt und mit Erläuterungen versehen von Albrecht Behmel

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Das Nibelungenlied

Ein Heldenepos in 39 Abenteuern

Er umbevie mit armen - daz tugenrîche wîp,mit minneclîchem küssen - er trûte ir schœnen lîp.

mit urloube er dannen - schiet in kurzer stunt.sine gesach in leider - dar nâch nimmer mêr gesunt.

Neu übersetzt und mit Erläuterungen versehen von Albrecht Behmel

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DAS NIBELUNGENLIED

Ein Heldenepos in 39 Abenteuern

neu übersetzt und mit Erläuterungen versehen von

ALBRECHT BEHMEL

ibidem-Verlag Stuttgart

Page 5: Das Nibelungenlied

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de.

Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreien Papier Printed on acid-free paper

ISBN-13: 978-3-89821-145-1

Zweite, überarbeitete Auflage

© ibidem-Verlag

Stuttgart 2011

Alle Rechte vorbehalten

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages

unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und elektronische Speicherformen sowie die

Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, stored in or introduced into a retrieval system, or transmitted, in any form, or by any means (electronical, mechanical, photocopying, recording or otherwise) without the prior written permission of the publisher. Any person who does any unauthorized act

in relation to this publication may be liable to criminal prosecution and civil claims for damages.

Printed in Germany

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Das Nibelungenlied

Ein Heldenepos in 39 Abenteuern

Vorwort zur Übersetzung

Die vorliegende Übersetzung des Nibelungenliedes folgt dem Original aus

der Stauferzeit (vorrangig der sog. Handschrift B) Strophe für Strophe

und erzählt in 39 Kapiteln die Abenteuer der Burgunder - von der An-

kunft Siegfrieds in Worms über den Streit der beiden Königinnen, bis hin

zum Untergang der Burgunder im Land des Hunnenkönigs. Die Stro-

phenform des Originals (Die Nibelungenstrophe besteht aus vier sich

paarweise reimenden Langzeilen) wurde durch eine zeitgemäße Prosa-

form ersetzt, wobei Wiederholungen geglättet und getrennte oder sich

wiederholende Strophen behutsam zusammengefasst wurden.

Gestrafft und sprachlich erfrischt tritt uns das Nibelungenlied also in

neuer Gestalt entgegen. Wo es allerdings nötig erschien, wurde zeitgenös-

sisches Vokabular erhalten, auch wenn es nicht in unseren modernen

Sprachgebrauch eingegangen ist, etwa in Brunhilds Rede über die soziale

Stellung Siegfrieds in Worms, wo sie ihn als "Eigenhold" bezeichnet, um

dadurch dessen, ihrer Ansicht nach, niedere Stellung in der Lehenshie-

rarchie auszudrücken. Solche Fälle werden jedoch im 40. Abenteuer, den

Erläuterungen zum Text allesamt kommentiert. Die unterlegten Textstel-

len verweisen auf entsprechende Positionen im Anhang, wo die fraglichen

Formulierungen oder Hintergründe erläutert werden. Auf diese Weise

konnten Fußnoten vermieden werden.

Das mittelalterliche Nibelungenlied hat man, was die Reimform ja auch

nahe legt, eher laut vorgetragen als leise gelesen, und so ist der Stil der

Vorlage, drastisch und ziemlich direkt, ganz auf den mündlichen Vortrag

ausgerichtet; gleichzeitig verzichtete der Erzähler jedoch darauf, spekta-

kuläre Szenen in allzu vollen Farben zu schildern. Freilich existierten

mehrere Fassungen, wie bei einem Werk, das der mündlichen Tradition

entstammt auch nicht weiter verwunderlich. Die vorliegende Übersetzung

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des Stoffes orientiert sich an der Handschrift B. Doch wurden für die

Hintergründe im 40. Abenteuer auch die anderen Fassungen berücksich-

tigt.

Das Nibelungenlied steht, was die Quellenlage betrifft in einer ehrwürdi-

gen Reihe mit der Odyssee, dem Gilgameschepos und anderen Großwer-

ken der Literatur, die, immer wieder neu bearbeitet und übersetzt, sich

einer einzigen kanonischen Fassung entziehen. Dennoch handelt es sich

um ein klar definiertes Werk. Heinrich Heine schrieb über den "Ton" des

Nibelungenlieds:

Es ist eine Sprache von Stein, und die Verse sind gleichsam gereimte Quadern. Hie und da, aus den Spalten, quellen rote Blumen hervor wie Blutstropfen oder zieht sich der lange Epheu herunter wie grüne Tränen.

Doch das ist der Blick der Romantik auf ein Werk der mittelalterlichen

Unterhaltungsliteratur. Denn im Gegensatz zu geistlichen Dichtungen

stellte das Nibelungenlied sozusagen den Actionfilm seiner Zeit dar. Es ist

sicher nicht übertrieben, Siegfried und Hagen mit Terminator und Rocky

zu vergleichen, um den Wert dieser Figuren für ein breites Massenpubli-

kum zu beschreiben. Dennoch richtete sich das Werk vor allem an die ge-

bildeten Stände, Geistlichkeit und Adel.

Viele berühmte Szenen des Epos, wie der Drachenkampf Jung-Siegfrieds

etwa, tauchen im Lied selber nur in Form von Erwähnungen auf; die gan-

ze Vorgeschichte wird als bekannt vorausgesetzt. Das Lied ist stilistisch

von den Ansprüchen des mündlichen Vortrags geprägt, denn Alltagsspra-

che und Hochsprache mischen sich ebenso, wie bereits damals schon hi-

storisches Vokabular und zeitgenössische Begriffe des frühen dreizehnten

Jahrhunderts.

Kunstvollen literarischen Ton und komplizierte Konstruktionen sucht

man vergebens. Viel eher finden wir lange Aufzählungen, wiederkehrende

Formulierungen und einfache, fast distanzierte Schilderungen durch den

Erzähler, der sich selbst nur an wenigen Stellen des Werks erwähnt.

Page 8: Das Nibelungenlied

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Diesen Aspekten will die vorliegende Übersetzung des Nibelungenliedes

gerecht werden, ohne die Atmosphäre von Unheil und Unrecht aufzuge-

ben, die sich durch das gesamte Werk zieht und freilich mit perfekt insze-

nierter Genauigkeit von frechen, respektlosen und humorvollen Beobach-

tungen durchbrochen wird.

Daher wurde für die Übersetzung ein Ton gewählt, der die Lebendigkeit

der literarischen Vorlage wieder zum Ausdruck bringen soll. Dabei kann

es vorgekommen sein, dass sich diese Übersetzung hin und wieder von

dem ehrwürdigen Ideal eines Karl Simrock ein wenig entfernt hat.

Dessen reizvolle, aber heute nur schwer durchzustehende Übersetzung

aus dem Mittelhochdeutschen aus dem Jahr 1827 hat unser modernes

Bild des Nibelungenlieds maßgeblich geprägt, allerdings in dem gleichzei-

tig überhöhten, distanzierten und auch verniedlichenden Pathos, mit dem

im 19. Jahrhundert nicht nur das Nibelungenlied, sondern überhaupt alle

alte Dichtung seit der Odyssee versehen wurde und die das Lebendige

und die erfrischend-ironische Direktheit des Originals aus jener Ver-

klemmtheit heraus oft nicht genügend wiedergeben, die das 19. Jahrhun-

dert auch prägte.

Ein wesentlicher Reiz des Nibelungenliedes besteht schließlich in seinen

zahlreichen Anspielungen, um nicht zu sagen, Gags, und bildhaften Be-

schreibungen. Die für den modernen Leser oft nur schwer verständlichen

Hinweise und Symbole sind ebenfalls im letzten Kapitel des Buches, dem

"Vierzigsten Abenteuer", erläutert worden. Daher konnte darauf verzich-

tet werden, textfremde Erklärungen oder Fußnoten in den Textkörper

aufzunehmen.

A. B. Berlin, 2010

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Inhalt

1. Wie Griemhild träumte 9 

2. Von Siegfried und wie er erzogen wurde 13 

3. Wie Siegfried nach Worms kam 17 

4. Wie Siegfried mit den Sachsen stritt 29 

5. Wie Siegfried Griemhild zuerst sah 43 

6. Wie Gunther nach Isenland fuhr, um Brunhild zu gewinnen 51 

7. Wie Gunther Brunhild gewann 57 

8. Wie Siegfried zu den Nibelungen fuhr 67 

9. Wie Siegfried nach Worms gesandt wurde 73 

10. Wie Brunhild zu Worms empfangen wurde 79 

11. Wie Siegfried mit seinem Weib heimkehrte 91 

12. Wie Gunther Siegfried zu einem Hofgelage einlud 95 

14. Wie die Königinnen aneinander gerieten 105 

15. Wie Siegfried verraten wurde 113 

16. Wie Siegfried erschlagen wurde 117 

17. Wie Siegfried beklagt und begraben wurde 127 

18. Wie Siegmund wieder heimkehrte 133 

19. Wie der Nibelungenschatz nach Worms kam 137 

20. Wie König Etzel bei den Burgundern um Griemhild anhielt 143 

21. Wie Griemhild zu den Hunnen reiste 157 

22. Wie Griemhild bei den Hunnen empfangen wurde 161 

23. Wie Griemhild sich vornahm, ihr Leid zu rächen 167 

24. Wie Werbel und Schwemmel die Botschaft überbrachten 171 

25. Wie die Könige zu den Hunnen fuhren 179 

26. Wie Dankwart Gelfrat erschlug 187 

27. Wie der Markgraf die Könige empfing 193 

28. Wie Griemhild Hagen empfing 201 

29. Wie er nicht vor ihr aufstand 207 

30. Wie Volker und Hagen Schildwacht standen 215 

31. Wie die Herren zur Kirche gingen 219 

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32. Wie Blödel erschlagen wurde 229 

33. Wie Dankwart seinen Königen die Nachricht brachte 233 

34. Wie sie die Toten hinabwarfen 241 

35. Wie Iring erschlagen wurde 245 

36. Wie die Königin den Saal anzünden ließ 251 

37. Wie Rüdiger erschlagen wurde 259 

38. Wie Dietrichs Recken alle erschlagen wurden 271 

39. Wie Gunther, Hagen und Griemhild erschlagen wurden 281 

Das vierzigste Abenteuer: Anmerkungen zu den Kapiteln 289 

Glossar 383 

Literaturangaben 387 

Personen-, Sach- und Ortsregister 391 

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Europa zur Zeit des historischen Attila; Historical Atlas von William R. Shepherd, 1911.

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1. Wie Griemhild träumte

Uns ist in alten Mären Wunders viel geseit Von vorbildlichen Helden und großer Arebeit

Von Freuden, Hochzeitsfesten, von Weinen und von Klagen, Von Kämpfen kühner Helden, mögt ihr nun Wunder hören sagen:

VOR ALTEN ZEITEN, da lebte im Königreich von Burgund ein junges Mäd-

chen, von dem man sagte, dass in keinem Land weit und breit eine at-

traktivere zu finden sei. Dieses Mädchen hieß Griemhild, und sie sah ein-

fach umwerfend gut aus, und als sie zur Frau herangewachsen war, ver-

lor so mancher tapfere Recke wegen ihr das Leben. Seit jeher hatte es tap-

feren Helden ja gut angestanden, um schöne Damen zu freien, und gerade

Griemhild war bei den heiratswilligen jungen Männern aus königlichem

Hause über die Maßen beliebt. Sie hatte nämlich eine ausgesprochen sexy

Figur.

Sie war ein Vorbild aller Weiblichkeit, sozusagen eine Zierde der Frauen -

und gerne nahm sie die Ehrungen entgegen, die ihr die höfische Welt be-

reitwillig darbrachte. Denn sie war ja nicht dumm.

Griemhild hatte drei Brüder: Gunther, Gernot und Geiselher, der jüngste,

weswegen man ihn "Geiselher das Kind" nannte, aber auch er war schon

ein mutiger Krieger, da sollte man sich nichts vormachen. Alle drei Brü-

der standen im Rang eines Königs und waren reich und edel. Da

Griemhild ihre Schwester war, zeichneten die drei Brüder als Vormund

für sie verantwortlich.

Gunther, Gernot und Geiselher waren milde, gerechte Könige, mit tadel-

loser Herkunft, und sie galten als ungemein tapfer und stark. Ihr Land,

Burgund, war nach seinen Bewohnern, den Burgundern, benannt, ein

Name, der durch gewisse Taten an Etzels Hof später leider unsterblich

werden sollte.

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Die drei Herrscher hatten in Worms am Rhein ihren glanzvollen Sitz in-

mitten einer stolzen Ritterschaft, doch am Ende starben sie alle mitein-

ander einen jämmerlichen Tod, verursacht durch den Neid zweier edler

Frauen.

Ihre königliche Mutter nannte sich Ute, und Dankrat war der Name ihres

seligen Vaters, der zu Lebzeiten, und da vor allem in seiner Jugend, ein

außergewöhnlich kräftiger Held gewesen war. Er hatte seiner Familie

nach seinem Tod ein reiches Erbe hinterlassen. Die drei Könige standen

also in voller Machtfülle, denn sie waren nicht nur sehr reich, sondern sie

befehligten auch die besten Recken, die je einen Kampf unverzagt bestan-

den hatten. Hier sind die edelsten dieser Recken der Reihe nach:

Da wäre als erster, und den sollte man sich unbedingt merken, Hagen von

Tronje zu nennen, mit seinem Bruder dem schnellen Dankwart, dann

Herr Ortewein von Metz und die beiden Markgrafen Gere und Eckewart;

schließlich Volker von Alzei, ein Mann in der Blüte seiner Jahre. Unter

ihnen kamen in der Rangfolge Rumold, der Küchenmeister, Einold, der

Schenk, und Hunold, der Kämmerer, die für die technischen Abläufe bei

Hof zuständig waren. Die drei Könige befehligten ein dazu passendes,

großes Gefolge, die Elite der Ritterschaft, und man kann sagen: Seit ihrer

Zeit hat die Welt keine vergleichbaren Helden mehr gesehen, daher wäre

es vollkommen unmöglich, sie hier alle aufzulisten. Es wären einfach zu

viele Namen.

Die meisten von diesen Recken waren irgendwie miteinander blutsver-

wandt: Dankwart, der Marschall, zum Beispiel, Hagens Bruder, hatte ei-

nen Neffen, der den angesehenen Posten des Truchsess bekleidete, und

das war der erwähnte Herr Ortewein von Metz. Ich kann den vollen Um-

fang des höfischen Glanzes kaum schildern, der in Worms jeden Tag ge-

pflegt wurde: Freudig und mit Hingabe widmeten sich die Herren und

Damen ihren edlen Pflichten und sorgten dafür, dass der Hof allergrößten

Glamour gewann.

Page 16: Das Nibelungenlied

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Inmitten dieser exklusiven Gesellschaft nun lebte die junge und schöne

Griemhild so anständig wie es ging. Eines Nachts aber hatte sie einen

ganz besonderen Traum:

Sie träumte nämlich, dass sie einen wilden Falken liebevoll zähmte und

pflegte. Doch zwei Adler griffen ihn plötzlich an, töteten und zerrissen

den prächtigen Vogel direkt vor ihren Augen, so dass sie tatenlos zusehen

musste: Etwas Schlimmeres hätte ihr überhaupt nicht zustoßen können.

Sie war außer sich.

Griemhild erzählte ihrer Mutter davon und bat sie, den Traum zu deuten,

denn das war eine ihrer Gaben. Da sprach die gute Mutter zu Griemhild,

denn sie konnte nicht umhin, den Traum genau so auszulegen:

"Mein Kind, die Sache sieht so aus: Also, der Falke, den du herangezogen

hast, das ist ein edler Mann, und Gott steh ihm bei, denn sonst wirst du

ihn früh verlieren."

Griemhild erschrak und sagte:

"Gute Mutter, was erzählt ihr mir da von irgendwelchen Männern, die

umkommen werden? Wenn das Schicksal mir solch einen Schmerz vorbe-

stimmt hat, dann will ich lieber gleich ganz ohne Mann bleiben, bis an

meinen Tod, weil nämlich nichts auf der Welt schlimmer ist, als wenn ein

Mann einem das Herz bricht!"

Aber Königin Ute hatte noch nicht ausgeredet und so sprach sie weiter:

"Ach Kind, du bist ja noch so jung und du weißt nicht wovon du da redest.

Ohne Mann ist das Leben nur halb so schön, das sage ich aus eigener Er-

fahrung. Willst du aber glücklich werden, dann sträube dich nicht, wenn

eines Tages ein ansehnlicher Königssohn um dich freit, was übrigens

recht bald geschehen möge, so Gott will."

"Mutter, davon will ich nichts hören! Ich weiß es aus den ganzen Ge-

schichten, die man mir immer erzählt, dass Liebe am Schluss fast nur mit

Leid entlohnt wird, deshalb will ich das alles für alle Zeit meiden, so dass

ich von Schmerz und Kummer verschont bleibe."

Griemhild in ihrem Eigensinn tat genau das, was sie angekündigt hatte

und verschloss sich gegen jegliche Heiratsangebote wie überhaupt gegen

alles, was entfernt nach Minne und Hochzeit aussah. Lange Zeit verging

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bis sich schließlich und endlich doch einer fand, der ihr in allen Ehren ge-

fiel. Das war nur leider eben derselbe edle und schöne Falke, den sie da-

mals im Traum erblickt hatte und dessen gewaltsamen Tod ihre Mutter

vorhergesagt hatte. Für den Mord an diesem Einen, begangen von

Griemhilds eigenen Verwandten, übte sie später selbst wiederum blutigs-

te Vergeltung an einer Vielzahl von tapferen Männern - soviel verrate ich

schon einmal im voraus.

*

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13

2. Von Siegfried und wie er erzogen wurde

IN DEN FLACHEN NIEDERLANDEN lebte und herrschte König Siegmund mit

seiner Frau Sieglinde in der reichen und luxuriösen Burg von Xanten,

ganz unten am Rhein. Völlig ohne Sorgen wuchs dort das Kind der beiden

Herrscher heran. Zeit seines Lebens sollte er seinem Namen alle Ehre

machen und immer ohne Tadel bleiben: Siegfried hieß nämlich dieser

junge Held. Er war hochgewachsen, sehr gutaussehend und kräftig, seine

Einstellung zu allen maßgeblichen Fragen war edel und korrekt. Insge-

samt war er wie dafür gemacht, später einmal ein berühmter und histori-

scher Herrscher zu werden.

Diese vielen Ehren gewann er tatsächlich in seinem zu kurzen Leben, in-

dem er so manches Königreich mit seinem Gefolge oder auch allein be-

suchte - aber erst bei den Burgundern sollte er bekanntlich und in der Tat

auf ganz besondere Recken treffen.

In seiner wilden Zeit, also noch bevor er vollends erwachsen war, hatte er

schon so viele Heldentaten vollbracht, wie andere in ihrem ganzen Leben

nicht. Kurz und gut, er war ein richtiger Held.

Die edlen Damen in der Gegend wurden schnell auf ihn aufmerksam, als

er so heranwuchs und seine schöne Gestalt in der Öffentlichkeit zu zeigen

begann; sie dachten alle mit bestimmten Hintergedanken an ihn und je-

des Mal marterte sich so manches zarte Herz in tiefster Sorge, bis er wie-

der glücklich von seinen Streifzügen und Abenteuern heimkehrte, so be-

liebt war er.

Seine Erziehung war standesgemäß aufwändig, und sein edler Sinn stand

ohne Frage vor allem nach Ruhm. "Zierde des Vaterlandes" wurde er ge-

nannt - und das ganz zu Recht, wenn man einmal an Xanten denkt.

Als er nun volljährig geworden war und das heißt, stark genug, Waffen zu

tragen und bei Hofe aufzutreten, da wünschte sich der ganze Hof, Siegf-

ried möge für immer in Xanten bleiben. Siegfried blieben diese Wünsche

freilich nicht verborgen, da sich alle dermaßen um ihn sorgten, ließ man

ihn nur äußerst ungern allein auf Abenteuer ziehen oder verreisen, und

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wenn, dann nur bestens eingekleidet und mit vielfältigen Ratschlägen

seiner Lehrer versehen. Das war die Grundlage seines Erfolgs.

Doch Siegfried stand der Sinn nach weiteren Abenteuern, und er überleg-

te sich, um welche Königstochter er freien wolle. Er hätte ja im Grunde

jede haben können. Da ließ sein Vater Siegmund folgendes verlautbaren:

Es würde demnächst ein großes Hofgelage in Xanten abgehalten. Alles,

was Rang und Namen habe, sei eingeladen. Man verteilte Geschenke an

jedermann und rüstete Botschafter aus, dass sie sich nicht würden schä-

men müssen, ganz gleich, an welchen Hof sie auch kämen. Denn das war

ein Grundprinzip des höfischen Lebens: Tu nie was, für das du dich später

schämen musst.

Die Knappen, die nach Alter und Geburtsrecht bald den Ritterschlag

empfangen sollten, lud man allesamt an den Hof Siegmunds, damit sie,

am gleichen Tag wie Siegfried das Schwert empfingen, vierhundert Jungs

an der Zahl. Von überallher kamen sie und wurden vom Königspaar reich

beschenkt; zahllose junge Burgfräulein waren damit beschäftigt, die Ga-

ben noch besser auszuschmücken als sie es ohnehin schon waren. Da

wurden zum Beispiel die Borten der Gewänder mit schönen Edelsteinen

bestückt, die Sitze der Recken und Helden bei Tisch mit feinen Tüchern

bedeckt, so dass für das große Fest, am Tag der Sonnenwende wirklich

absolut alles bereit war.

Vor dem hohen Münsterturm versammelten sich dann die Edlen und die

übrigen Zuschauer. Alte und junge gleichermaßen waren von dem Schau-

spiel geradezu überwältigt. Dann wurde zu Ehren Gottes die Messe ge-

feiert: Ein so gewaltiger Klang erscholl beim Gesang, wie er wohl in spä-

teren Zeiten nie wieder vernommen wurde. Dann wurden an jenem Tag

die Vierhundert zu Rittern - vorschriftsgemäß. Sie bestiegen ihre prächti-

gen Rosse, die vor dem Münster gewartet hatten, und das ganze Gefolge

begab sich zurück zum Hof Siegmunds, wo man Ritterspiele abzuhalten

gedachte, exakt wie es die Sitte verlangte. Palast und Saal hallten wider

vom Waffengeklirr und dem fröhlichen Geschepper der couragierten Ath-

leten, wie sie gegeneinander anritten. Ob alt oder jung, alle droschen sie

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aufeinander ein: mancher Schaft einer Lanze zerbrach knallend an der

Wucht eines Angriffs, mancher Stoß prallte auf die Rüstungen, so dass die

Splitter bis hin zum Saal flogen. Kurzum, alle amüsierten sich ganz

hervorragend.

Doch schließlich ergriff Siegmund das Wort und beendete die Lustbarkeit:

Die Rosse wurden abgezäumt und die zerbeulten Schilde fortgetragen,

überall auf dem Platz lagen Edelsteine herum, die durch die gewaltigen

Schläge von den kostbaren Gewändern und Schildspangen abgerissen

worden waren. Ein tolles Fest.

Die Gäste setzten sich nun an den ihnen bestimmten Plätzen zu Tisch, wo

sie sich bei einem köstlichen Essen von den Anstrengungen des Turniers

erholten. Alles war vom Feinsten.

Der allerbeste Wein wurde großzügig ausgeschenkt und von Einheimi-

schen wie Fremden gleichermaßen in unglaublichen Mengen herunterge-

schluckt. Obwohl nun dieser Tag wahrhaftig keinen Mangel an Ab-

wechslung gelitten hatte, gab das fahrende Volk der Schausteller immer

noch keine Ruhe: Spielleute und Artisten traten auf und unterhielten die

Anwesenden mit ihren Kunststücken, bis König Siegmund erneut um

Ruhe und Aufmerksamkeit bat.

Siegmund hob die Hände und verlieh seinem Sohn feierlich Land und

Burgen, den Schwertgenossen dazu reichlich Gaben, so dass es keiner be-

reuen musste, zu dem Fest gekommen zu sein. Sieben Tage lang ging das

dann genau so weiter, bis Königin Sieglinde einem alten Brauch gemäß

rotglänzendes Gold unter die Gäste verteilte und sich auf diese Weise be-

trächtliche Sympathien sicherte. Kein einziger Armer war mehr im gan-

zen Land zu finden, als das Fest seinem Ende zu ging; so reichlich hatten

die Fürsten alle beschenkt. Geradezu als sei es der letzte Tag ihres Le-

bens.

Siegfried aber blieb bei diesem Rummel vollkommen gelassen; das viele

Gold stieg ihm nicht zu Kopfe und so begehrte er beispielsweise niemals

die Krone von Niederland, solange seine Eltern noch lebten, auch wenn

die Fürsten des Landes nach diesem Fest bekräftigten, dass Siegfried ein

Page 21: Das Nibelungenlied

16

Herrscher ganz nach ihrem Geschmack sei. Viel eher stand ihm indessen

der Sinn nach Abenteuern, nach Streit und Kampf außerhalb; er wollte

sich mit anderen Recken messen und dadurch großen Ruhm gewinnen. In

der Tat, seit seinem ersten Tag als Ritter ließ er sich nichts zuschulden

kommen, keinen einzigen Verstoß gegen Sitte und Recht und davor war

das natürlich schon ganz genauso gewesen.

Page 22: Das Nibelungenlied

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3. Wie Siegfried nach Worms kam

ER LEBTE VON SORGEN FREI bis er eines Tages von einem ganz bestimmten

schönen Mädchen erzählen hörte, das in Worms sich aller Minne regel-

recht zu widersetzen schien. Das war gerade jene Griemhild von vorhin,

durch die Siegfried später, wie es eben so zu geschehen pflegt, viele Freu-

den, wohl aber auch großes Leid erfahren sollte. Ganz gleich, wo er hin-

kam, alle sprachen von ihrer Schönheit und rühmten ihren Charakter.

Gewissermaßen angelockt von diesen Gerüchten zog es viele Recken in

das Land König Gunthers. Geradezu unübersehbar groß war die Menge

der Bewerber, die sich um die blonde Königstochter mühten, aber Tatsa-

che war: Sie wollte keinen haben.

Siegfried hörte nun also auch davon, denn die Schönheit Griemhilds war

in der Tat in aller Munde, und so beschloss Siegmunds Sohn, das teure

Mädchen für sich zu gewinnen und tatsächlich, später wurde die edle

Griemhild seine Frau. Die Edlen im Umkreis des Königs Siegmund,

Freunde und Vasallen, hatten nämlich öfter schon zu Siegfried gespro-

chen und ihn ermutigt, auf Brautschau zu ziehen. Das lief dann so: "Wähl'

dir eine aus, derer du dich nicht zu schämen brauchst", rieten sie ihm.

Da sprach der mutige Siegfried, Siegmunds Sohn: "Soll ich mich einer

niemals schämen, so werd ich wohl die Griemhild nehmen, diese edle

Jungfrau aus Worms, im Land der Burgunder. Mir ist bereits öfters er-

zählt worden, wie schön sie ist, darum will ich um sie werben gehen. Sie

wäre sogar eines Kaisers würdig, sagt man! Was meint ihr dazu?"

Man hinterbrachte das alles sofort seinem Vater, dem König, der zugleich

ziemlich stolz wurde, aber auch eine böse Vorahnung bei der ganzen Sa-

che hatte. Kurz darauf wiederum hatte man bereits die Königin infor-

miert, die edle Sieglinde, die sich sofort allerschlimmste Sorgen machte,

denn sie fürchtete, ihr Kind an das Gefolge König Gunthers zu verlieren,

und sie versuchte, ihren Sohn mit allen Mitteln von seinem Vorhaben

wieder abzubringen. So waren Mütter damals auch schon.

Da sprach Siegfried zu seinem Vater:

Page 23: Das Nibelungenlied

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"Hochverehrter Vater, ohne die Liebe kann man doch nicht glücklich wer-

den; wenn ich also nicht nach Herzenslust minnen dürfte, dann wäre das

doch sicher ziemlich hart für mich, oder?"

Alle konnten ihn sehr gut verstehen, sie fühlten ganz ähnlich, und auch

der Vater war schließlich einmal jung gewesen, und so sprach er zu sei-

nem Sohn:

"Na gut, wenn du wirklich nicht davon lassen kannst, so bin ich auch dei-

nes Willens und gebe dir von ganzem Herzen meinen Segen. Ich helf' dir

natürlich auch, wenn du mich brauchst, denn der edle König Gunther hat

so manchen übermütigen Mann an seinem Hof, sei mal nur vorsichtig:

Vor allem muss Hagen genannt werden, dieser tapfere Degen, der kann

schon einmal im Übermut über die Stränge schlagen, so dass ich schon

befürchten muss, dass uns allen hier deine Entscheidung noch leid tun

wird."

"Der wird uns nicht gefährlich", hob da Siegfried an, "was ich mir nämlich

nicht friedlich erwerben kann, das will ich mir auf andere Weise besor-

gen, mit dieser starken Hand hier. Ja, ich werde sie schon bezwingen!"

König Siegmund erwiderte seinem Sohn:

"Au, sag’ sowas nicht. Ich kenne Gunther und Gernot von Burgund. Wenn

die das jetzt gehört hätten, niemals dürftest du in ihr Land reiten und sei

es mit noch so vielen Recken oder auch allein. Und merk dir eins: Mit

Gewalt erwirbt man sich keine Dame; aber wenn du es friedlich und an-

ständig versuchen willst, so gebe ich dir gern meine besten Leute mit."

"Danach steht mir auch gar nicht der Sinn, die edle Griemhild mit einem

Kriegszug zu erobern; ich will es lieber so versuchen: Mit zwölf Gefährten

ziehe ich nach Burgund, ganz friedlich, doch dafür brauche ich eure Hilfe,

mein Vater."

Da gab man den Gefährten Kleider für die Fahrt mit, graue und auch

bunte. Als dann die Mutter durch die Vorbereitungen von dem Plan er-

fuhr, begann sie, um ihr liebes Kind zu trauern und hatte schon bange

Ahnungen, dass sie ihren Sohn durch die Männer in Gunthers Bann ver-

lieren würde; sie sagte zwar nichts, doch begann sie zu weinen.

Siegfried sah den Schmerz der Mutter und wollte sie trösten:

Page 24: Das Nibelungenlied

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"Mutter weint nicht um meinetwillen, ich bin doch der Stärkste hier und

überall, kein Feind kann mir etwas anhaben. Helft mir lieber die Reise

vorzubereiten, dass meine Recken und ich mit schönen Gewändern ge-

ziert an König Gunthers Hof glänzen können. Ich will euch auch immer

dafür dankbar sein."

Sieglinde hob da ihren Kopf und sagte:

"Du bist doch mein einziges Kind, Liebling. Wie könnte ich dir etwas ab-

schlagen? Das schönste Gewand, mit dem je ein Ritter Staat gemacht hat,

damit werde ich dich ausrüsten; deine Männer sollen aber auch nicht viel

schlechter dastehen. Warte, ich habe da schon was ganz bestimmtes im

Auge."

Vielmals dankte Siegfried ihr dafür, dieser mutige Held, und er sprach:

"Nicht mehr als zwölf Mann werden mich begleiten, aber auch nicht we-

niger. Die soll man mir bestens ausrüsten! Außerdem möchte ich bitte

noch mehr über die schöne Griemhild erfahren!"

Tag und Nacht nun saßen die Mägde beisammen, gönnten sich kaum Ru-

he und nähten die Kleider für die Gefährten, bis sie alles fertig hatten,

außerdem wurde Siegfried schon langsam ungeduldig. Da wurden schließ-

lich die Panzer und Helme poliert, bis sie hell glänzten; die breiten Schil-

de lagen auch bereit, und mit Gold bestickt war das Zaumzeug der schö-

nen Rosse. Der Abschied rückte nun näher und diejenigen, die zurück-

bleiben sollten, fragten sich, ob man die Gefährten je gesund wieder sehen

würde. Weit war schließlich die Reise in das Land der Burgunder und vol-

ler Gefahren noch obendrein. Da gab Siegfried das Zeichen zum Aufbruch,

die Pferde wurden aufgezäumt und die Helden schwangen sich in den

Sattel. Siegfried bat offiziell bei seinen Eltern um Urlaub zu den Burgun-

dern, und trauernd gewährten ihm König und Königin die Bitte. Siegfried

sprach zu ihnen:

"Ihr sollt um mich nicht weinen, sondern immer ohne Sorgen um mein

Leben sein! Vertraut mir, ich schaff das schon."

Trotzdem wurde so manche Träne vergossen bei diesem Abschied, man-

cher Krieger fühlte sich ganz beklommen, denn viele hatten das Gefühl,

Page 25: Das Nibelungenlied

20

dass sie für immer Abschied nähmen und ehrlich gesagt, so ganz falsch

lagen sie damit ja nicht.

Sieben Tage dauerte die Reise von Xanten bis nach Worms immer flus-

saufwärts den Rhein entlang. Dort wurden sie mit großem Staunen emp-

fangen: Die Schilde waren stark und breit, ihre Helme leuchteten weither,

das goldbestickte Zaumzeug der Pferde glänzte, dass es eine echte Pracht

war. Niemals zuvor, da waren sich alle einig, hatte man einen vergleich-

bar edlen Zug auserlesener Helden gesehen. Die Enden ihrer Schwerter

hingen bis an die Sporen hinab, die scharfen Speere trugen die Recken

mit Anmut, Siegfrieds Speer beispielsweise hatte eine Breite von sage

und schreibe zwei Spannen und übertraf damit natürlich alle anderen an

Schmuck und Kostbarkeit. Fest hielten sie auch die feinen Zügel in den

Fäusten, die Brustriemen der Pferde waren von reiner Seide und darum

war es auch kein Wunder, wenn die einfachen Leute sie angafften, als die

Truppe vorbeiritt.

Die Männer in Gunthers Bann hörten natürlich von dem Zug und ritten

ihnen sofort entgegen. Man begrüßte sie ganz wie die Sitte es verlangte

und nahm ihnen die Schilde ab. Sie wollten ihnen auch die Rosse führen

und zur Rast bringen, aber da sprach der junge Held Siegfried:

"Lasst die Rosse nur kurze Zeit stehen, wir reiten ja bald wieder von

hinnen. Tragt auch die Schilde nicht zu weit fort, wir wollen weiter zu

König Gunther. Kann mir vielleicht jemand sagen, wie man da am besten

hinkommt?"

Darauf sprach einer, der es wusste:

"Es ist gar nicht schwer, den König zu finden. In jenem großen Saale da

hinten im zweiten Stock des Palasts hab ich ihn zuletzt gesehen, umgeben

von seinen Helden."

Doch zu diesem Zeitpunkt war dem König Gunther die Neuigkeit schon

längst hinterbracht worden, dass nämlich eine ganze Reihe von gut ge-

kleideten Rittern angekommen sei. Zwar kannte sie keiner, aber ihre

Ausrüstung ließ auf beste Herkunft schließen.

Der gute König Gunther fragte sich nun also ebenfalls, wer da wohl ge-

kommen sei und als niemand es ihm sagen konnte, wurde er beinahe et-

Page 26: Das Nibelungenlied

21

was ungehalten. Da trat Herr Ortewein von Metz zu ihm heran und

machte folgenden Vorschlag:

"Da es von uns keiner sagen kann, sollten wir nach meinem Onkel schik-

ken, nach Hagen von Tronje, der wird uns Aufschluss geben können. Er

kennt ja alle Reiche und jedes fremde Land; und kennt er auch diese Leu-

te, so wird er damit sicher nicht hinterm Berg halten."

Das war ein guter Rat und so ließ König Gunther Hagen von Tronje

herbeirufen, diesen edlen Kämpfer, außerdem sollte das ganze Gefolge

des Tronjers kommen, und bald schon sah man sie alle im Eiltempo

heranmarschieren. Auf seine mürrische Frage, warum er eigentlich habe

kommen müssen, antwortete ihm der König:

"Es wurde mir von der Ankunft fremder Reiter hier bei Hof berichtet, kei-

ner von uns hier kennt sie, also haben wir nach euch geschickt. Habt ihr

auf euren Reisen in fremden Ländern jemals solche Waffen gesehen? Sagt

es mir, Herr Hagen!"

"Das will ich tun!" sprach da der Tronjer, ging zum Fenster und blickte

über den Hof, wo die Ankömmlinge sich versammelt hatten und darauf

warteten, empfangen zu werden.

"Woher auch immer sie kommen, das werden wohl Fürsten sein, nach ih-

rer Kleidung zu schließen, mindestens jedoch Fürstenboten. Ihre Waffen

sind sehr teuer; sie reiten hervorragende Pferde und obwohl sie eine weite

Reise hinter sich haben und im Moment müde aussehen, kann ich eins

sagen: Das sind garantiert irgendwelche Helden."

Hagen drehte sich zu seinem König und sprach noch weiter:

"Und wenn ich auch noch nie in meinem langen Leben den Held Siegfried

gesehen habe, so würde ich doch meine Hand dafür ins Feuer legen, dass

der da in der Mitte Siegfried ist. Er bringt sicher Neuigkeiten von Bedeu-

tung in unser Land; er ist es übrigens, der die beiden Söhne Niblungs,

Schildung und Nibelung, erschlug, die sich zerstritten hatten. Damals ist

er zwar ganz alleine unterwegs gewesen, was übrigens seinen Eltern

nicht sehr gefiel, denn sie machen sich immer furchtbare Sorgen um ihn,

kurz, er kam an einen Berg, wo eine Streitmacht lagerte. Die beiden Kö-

Page 27: Das Nibelungenlied

22

nigssöhne Schildung und Nibelung waren gerade dabei ihr Erbe aufzutei-

len, aber sie konnten sich, wie gesagt, überhaupt nicht einigen.

Daher baten sie Siegfried als Unparteiischen, die Sache in die Hand zu

nehmen und für eine gerechte Aufteilung des Schatzes zu sorgen:

Dann ließen sie den Schatz aus dem hohlen Berg herausbringen. Neben-

bei gesagt, "Schatz" ist noch milde ausgedrückt, so einen Berg von Reich-

tümern hatte die Welt bislang noch nicht gesehen. Einhundert Doppelwa-

gen voll mit rotem Gold und sogar noch mehr, dazu jede Menge Edelstei-

ne, Waffen, Schmuck und Geschmeide sollen es gewesen sein. Als Lohn

für die Schiedsarbeit bekam Siegfried das Schwert von König Niblung.

Aber der Schatz war einfach zu groß und konnte gar nicht geteilt werden,

jedenfalls nicht gerecht und also gab Siegfried auf.

Das machte die beiden Erben wütend und sie gingen gemeinsam auf

Siegfried los. Das hätten sie besser nicht getan, denn dummerweise hat-

ten sie ihm schon seine Belohnung, das Schwert, ausgehändigt; es war

das berühmte Schwert Balmung, und damit machte er sie jetzt alle beide

fertig."

Hagen fuhr fort: "Als dann noch zwölf Riesen auftauchten, um die beiden

erschlagenen Erben zu rächen; diese Riesen waren mit Schildung und

Nibelung verwandt, da haute Siegfried auch noch die Riesen in Stücke, so

dass er am Ende selbst Herr des Schatzes wurde.

Insgesamt gaben an diesem Tag rund siebenhundert Recken den Geist

auf oder wurden wenigstens besiegt. Die Geschichte endete damit, dass

die Überlebenden dem Siegfried die Herrschaft über den Schatz und das

ganze Nibelungenland anboten. Aber die Sache hatte noch einen Haken:

Da war nämlich der Zwergenfürst Alberich, ein fürchterlicher Kerl, der

eidlich verpflichtet war, den Tod seiner beiden Könige Schildung und

Nibelung zu rächen. Er machte sich mittels seiner Tarnkappe unsichtbar

und ging wie ein Löwe zum Angriff über. Aber auch er wurde von Siegf-

ried besiegt; der Witz dabei ist jedoch folgender: Siegfried besiegte ihn in

einem Ringkampf, wobei er dem Zwerg die Tarnkappe abnahm, ohne ihn

zu töten.

Page 28: Das Nibelungenlied

23

Jeder Zwerg hat ja bekanntlich so eine Tarnkappe, und wenn ein Mensch

diese Tarnkappe in seine Gewalt bekommt, so wird der Zwerg automa-

tisch zum Diener dieses Menschen. Genau das passierte dem Alberich.

Damit war Siegfried unumstrittener Herrscher der Nibelungen geworden,

und in dieser Eigenschaft ließ er allen, die noch lebten befehlen, den

Schatz wieder zurück in den Berg zu tragen. Alberich wurde als Kämme-

rer eingesetzt und somit wenigstens teilweise entschädigt. Kurz gesagt:

Einen Held wie diesen Siegfried hat die Welt noch nicht gesehen."

So sprach Hagen von Tronje, aber bevor ein anderer das Wort ergreifen

konnte, hatte er noch eine andere Geschichte parat:

"Euer Hagen weiß aber noch von einem anderen Abenteuer zu berichten.

Auch nicht schlecht: Siegfried hat in seiner Jugendzeit einen Lindwurm

erschlagen, einen bösen Drachen, und als das Vieh schon verreckt war,

kam Siegfried auf eine ekelhafte Idee: Er schlitzte dem Drachen den

Bauch weit auf und badete in dessen Blut. Seitdem ist er so gut wie un-

verwundbar. Er hat mit seinen Zauberkräften aber auch noch andere

Wundertaten vollbracht."

Gunther sah nun ebenfalls aus dem Fenster und sagte zu Hagen:

"Gewiss sprecht ihr die Wahrheit. Schaut nur, wie ritterlich er dasteht

vor seinen Gefährten. Kommt, lasst uns hinunter gehen und sie alle

miteinander empfangen!"

"Das könnt ihr in allen Ehren tun", sagte Hagen, "Siegfried ist von edlem

Stamme und der Sohn eines sehr respektablen Herrschers; ich vermute

fast, bei Gott, er ist nicht wegen einer Kleinigkeit hier."

"Wie auch immer, er sei uns willkommen," sprach da der Landesvater, "er

ist kühn und edel, das ist mir jetzt klar, daher soll er sich bei uns wohl

fühlen."

Sie gingen hinab und empfingen Siegfried nach allen Regeln des Anstan-

des, und die zwölf Recken erwiderten den Gruß sehr höflich und ganz

nach der Weise von Helden.

Page 29: Das Nibelungenlied

24

"Was mich nur wundert", sprach da König Gunther zu seinem Gast, "ist,

woher ihr jetzt geritten kommt, edler Siegfried, und auch, was euch zu

uns geführt hat."

Da sprach der Gast zum König:

"Das kann ich gerne sagen: Ich habe am Hofe meines Vaters oft gehört,

dass hier bei euch die besten Recken versammelt wären, auch euch selbst

hat man gelobt und da bin ich einfach neugierig geworden und wollte das

alles mal mit eigenen Augen sehen. Darum sind wir jetzt hier."

So sprach Siegfried zu König Gunther, und noch weiter:

"Ich werde ja auch eines Tages die Krone tragen und daher will ich, dass

die Leute sagen, zu Recht besäße ich die Krone wie das Land. Es geht ja

dabei auch um meine Ehre. Wenn ihr also tatsächlich so seid, wie man

euch immer schildert, nämlich verwegen und streitsüchtig, so frage ich

nicht lange und werde das, was jetzt noch euch gehört, mit meiner star-

ken Hand erzwingen und erobern, die Burgen und auch das ganze Land

drumherum, das ist ja klar!"

Da staunten die Burgunder nicht schlecht, als sie das hörten und schon

wollten die ersten zornig werden, denn das war ja geradezu ungeheuer-

lich, da sprach der König von Burgund:

"Was mein Vater erwarb und lange pflegte, das soll ich jetzt einfach so

herschenken, weil irgendein hergelaufener Held mit bisschen Zauberkraft

versehen ist? Das wäre noch schöner! So, als ob wir hier gar keine Ritter

hätten!"

"Ich kann es nicht ertragen," sprach da Siegfried wieder, "dass dein Land

so schlecht organisiert ist, und deshalb will ich es ab heute verwalten.

Andererseits: Mein Erbe kann dir gehören, wenn du es mir abringen

kannst, denn mein Erbe und deines sind ja ungefähr gleich viel wert, und

wer den anderen besiegen kann, der soll sie alle beide bekommen."

Der edle Gernot ergriff da das Wort und widersprach heftig:

"So steht uns aber gar nicht der Sinn, mein Freund, neues Land brauchen

wir hier nicht, wir sind reich genug, auch ohne ein Blutbad."

Page 30: Das Nibelungenlied

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Des Königs Freunde standen in grimmigem Mut um die Fremden herum,

da sprach Herr Ortewein:

"Es ist mir vollkommen unerklärlich, warum der Herr Siegfried in der-

maßen feindlicher Absicht zu uns kommt, dazu noch ohne jeden Grund.

Wenn ich also nun auch ganz allein stünde und zwar gegen die gesamte

Kriegsmacht des Herrn Siegfried, so wollte ich doch nicht eher ruhen noch

rasten, bis ich ihm gehörig Anstand eingebläut hätte."

Jetzt wurde Siegfried noch hitziger und er sprach zu Herrn Ortewein:

"Wider mich darfst du deine Hand nicht erheben, du Gernegroß, denn ich

bin ein reicher König und du nur ein Befehlsempfänger; es ziemt dir

nicht, meinesgleichen zum Kampf herauszufordern."

Da begann Herr Ortewein, lautstark zu rufen, man solle ihm sein Schwert

bringen, König hin oder her.

Gernot, der König, sprach da zu Ortewein:

"Immer mit der Ruhe, noch hat Siegfried gar nichts Böses getan, das

Ganze lässt sich sicher in Güte regeln."

Hagen mischte sich nun auch ein und sprach folgende Worte:

"Das wäre doch ewig schade, wenn wir uns jetzt gegenseitig zu Klumpp

hauen würden, aber wenn es denn sein muss, dann muss es eben sein. He,

Knappe, wo ist mein Schwert?"

"Wenn schon meine Worte euch so missfallen haben, Herr Hagen, so war-

tet nur, welchen Eindruck diese Hand hier bei den Burgundern hinterlas-

sen wird!"

Gernot drängte sich in die Mitte, und er rief mit gewaltiger Stimme:

"Schluss jetzt! Keiner redet mehr, jede Menge tapferer Helden würde bei

einem solchen Gefecht draufgehen, das kommt gar nicht in Frage! Wenig

Ehre brächte uns jetzt ein so ungleicher Kampf außerdem."

Siegfried setzte noch eins drauf:

"Herr Hagen, Herr Ortewein, na, was zögert ihr? Was kommt ihr nicht

her?"

Doch die beiden sagten gar nichts, weil es ihnen ihr König verboten hatte.

Siegfried musste da plötzlich wieder an die herrliche Maid denken, de-

Page 31: Das Nibelungenlied

26

rentwegen er ja eigentlich gekommen war, und auch er benahm sich ab da

deutlich verhaltener.

Eine neue Stimme meldete sich da:

"Ihr seid uns hier willkommen", sprach Geiselher das Kind, "Ihr und eure

Leute, die mit euch geritten sind. Wir wollen euch gastfreundlich emp-

fangen, auch wenn es gerade zu einem kleinen Missverständnis gekom-

men sein sollte."

Die allgemeine Stimmung beruhigte sich daraufhin tatsächlich, denn im-

merhin war Geiselher ja auch König von Burgund, und so hieß man die

Gäste letztlich doch willkommen. Man brachte sie gut unter und verpfleg-

te sie aufs Beste, so dass alle zufrieden sein konnten. Man erwies Siegf-

ried alle Ehren und bald war er bei jedermann wieder hoch angesehen.

Bei den Ritterspielen übertraf er sie nämlich alle; er warf den Speer am

weitesten, den Stein am höchsten und der Schnellste war er ohnehin. Das

alles wurde wie üblich von den Damen beobachtet, die sich dabei so ihre

eigenen Gedanken machten. Bald sprach es sich auch bei ihnen herum,

wer der stolze Recke sei, der so schön gewachsen und stets so geschmack-

voll gekleidet war.

Was auch immer angefangen wurde, Siegfried war mit dabei, nie verzog

er den Mund; er hatte immer gute Laune, denn er trug ja das herrliche

Mädchen im Herzen, das er gewinnen wollte, obwohl er sie überhaupt

noch nie gesehen hatte. Griemhild andererseits hatte sich schon genaue-

stens über Siegfried informieren lassen und war ihrerseits überaus ge-

spannt auf die erste Begegnung.

Jedes Mal also, wenn unten auf dem Hof die Waffen bei Ritterspielen zu

scheppern begannen, stand Griemhild am Vorhang und sah nach unten,

keine andere Zerstreuung konnte sie mehr reizen als genau dieser An-

blick.

Hätte Siegfried unten etwas davon gewusst, dass sie ihn von oben aus be-

obachtete, es hätte ihm gewaltig gut getan, denn er wünschte sich ja

nichts sehnlicher, als sie endlich einmal zu sehen. Wenn er bei den ande-

ren Recken auf dem Hof stand, dann war er immer irgendwie der Mittel-

Page 32: Das Nibelungenlied

27

punkt und den Damen fiel das natürlich sofort auf. Er aber dachte im

Stillen:

"Wie schaffe ich das bloß, dass ich die mal zu sehen kriege. Diese Span-

nung bringt mich schier um."

Wann immer der König einen seiner häufigen und vor allem langen Aus-

ritte machte, mussten alle Mann mit, auch Siegfried, was den Damen bei

Hofe außerordentlich leid tat. So verging ein ganzes Jahr, in dem er

Griemhild nicht zu Gesicht bekam und trotzdem tapfer alles mitmachte,

was die Etikette bei Hof von ihm verlangte. Ritterspiele, Ausritte, Gelage

und Ratssitzungen mit allem Drum und Dran.

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