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Das Odradek-Projekt Helmut Brandt Hyacinta Hovestadt Marn Langer

Das Odradek-Projekt - Martin Langer...4 Abb. 1 Odradek im Kunsthof Merten, vgl. S.14 Foto PE Das ODRADEK - Projekt von Marta Cencillo Ramirez Es sind hochästhetische Materialien mit

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  • Das Odradek-ProjektHelmut BrandtHyacinta HovestadtMartin Langer

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    „Es sieht zunächst aus wie eine flache sternartige Zwirnspule, und tatsächlich scheint es auch mit Zwirn bezogen; allerdings dürften es nur abgerissene, alte, aneinander geknotete, aber auch ineinander ver-filzte Zwirnstücke von verschiedenster Art und Farbe sein. Es ist aber nicht nur eine Spule, sondern aus der Mitte des Sternes kommt ein kleines Querstäbchen hervor und an dieses Stäbchen fügt sich dann im rechten Winkel noch eines. Mit Hilfe dieses letzteren Stäbchens auf der einen Seite, und einer der (...) Ausstrahlungen des Sternes auf der anderen Seite, kann das Ganze wie auf zwei Beinen aufrecht stehen.Man wäre versucht zu glauben, dieses Gebilde hätte früher irgendeine zweckmäßige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein; (...) das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen. Näheres läßt sich übrigens nicht darüber sagen, da Odradek außerordentlich beweglich und nicht zu fangen ist.Er hält sich abwechselnd auf dem Dachboden, im Treppenhaus, auf den Gängen, im Flur auf. Manch-mal ist er monatelang nicht zu sehen; da ist er wohl in andere Häuser übersiedelt; doch kehrt er dann unweigerlich wieder in unser Haus zurück. Manchmal, wenn man aus der Tür tritt und er lehnt gerade unten am Treppengeländer, hat man Lust, ihn anzusprechen.(...) „Wie heißt du denn?“ fragt man ihn. „Odradek“, sagt er. „Und wo wohnst du?“ „Unbestimmter Wohnsitz“, sagt er und lacht; es ist aber nur ein Lachen, wie man es ohne Lungen hervorbringen kann.(...)Vergeblich frage ich mich, was mit ihm geschehen wird. Kann er denn sterben? Alles, was stirbt, hat vorher eine Art Ziel, eine Art Tätigkeit gehabt und daran hat es sich zerrieben; das trifft bei Odradek nicht zu. Sollte er also einstmals etwa noch vor den Füßen (...) meiner Kinder und Kindeskinder mit nachschleifendem Zwirnsfaden die Treppe hinunterkollern? Er schadet ja offenbar niemandem; aber die Vorstellung, daß er mich auch noch überleben sollte, ist mir eine fast schmerzliche.“

    aus: Franz Kafka, „Die Sorge des Hausvaters“ 1)

    Was demnach auf den ersten Blick wie ein Spielzeug wirkt, stellt sich im weiteren Verlauf heraus als ein Artefakt mit einem gewissen Eigenleben. Mehr noch, es scheint über ein Menschendasein hin-aus zu existieren. In diese Richtung jedenfalls lässt Kafka seinen Protagonisten, den Hausmeister, grübeln.Und in der Tat, ca. 70 Jahre später erscheint der Odradek erneut in einem berühmt gewordenen Ci-bachrome des US-amerikanischen Fotokünstlers Jeff Wall. Die Fotoarbeiten Jeff Walls sind gene-rell voller kunsthistorischer Zitate und Anspielungen, und in dem hier gemeinten Bild mit dem Titel: „Odradek, Taboritska 8, 18. Juli 1994“ versteckt sich der scheinbar Unsterbliche - fast unsichtbar - am Fuße einer Haustreppe.

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    INHALT

    Zitat Franz Kafka 02

    Das Odradek-Projekt 04Marta Cencillo Ramirez 06 Ausstellung Odradek-Projekt 14Helmut Brandt 22Hyacinta Hovestadt 26Martin Langer 30

    Kurzvitae, 35Quellen- und Fotonachweis, Impressum 36

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    Abb. 1 Odradek im Kunsthof Merten, vgl. S.14 Foto PE

    Das ODRADEK - Projektvon Marta Cencillo Ramirez

    Es sind hochästhetische Materialien mit reizvollen Oberflächen-texturen, aus denen Helmut Brandt (Köln), Hyacinta Hovestadt (Erkrath) und Martin Langer (Merten) in zeitaufwendigen Ent-stehungsprozessen vielfach aufgeladene, poetische Kreationen entstehen lassen. In reduzierter, aus dem Repertoire der Natur geschöpfter Farbig-keit und aus wenigen Grundbaustoffen mit Präzision erschaffen, stimulieren die stillen, fast schon meditativen Werke mit ihrer Formensprache und haptischen Qualität unsere individuellen Er-innerungen und Assoziationen.Aus Wellpappe oder Ziegel (Hyacinta Hovestadt), Holz (Martin Langer), Farbe, Aufbau- und Erosionssubstanzen (Helmut Brandt) erzeugen die Künstler Gedankenräume, die „die Geschichten der Dinge zur Entfaltung bringen, ohne sie preiszugeben“1. Es sind keine Arbeiten, die sich auf den ersten Blick erschließen, ganz im Gegenteil. Der Betrachter wird herausgefordert und je länger er sich Zeit nimmt, desto reicher füllen sich die Gedankenräume an. Die haptisch-sinnlichen Kunstwerke scheinen immer vertrauter, als müsste man sie kennen und doch bleiben sie fremd, sind so noch nie zuvor zu sehen gewesen.

    „Odradek“2 nennen die drei Künstler3 ihr gemeinsames, zu-kunftsorientiertes Projekt: Die Geschichte hinter dem Titel um-reißt Gedanken und Reaktionen beim Anblick der Kunstwerke so messerscharf, dass man sich fragt, ob Franz Kafka die Arbeiten kannte bevor er beschrieb, wie ein Hausmeister über ein seltsa-mes, fesselndes Wesen namens Odradek grübelt. Ein Grübeln über Funktion, Herkunft und Ziel und der verzweifelte

    1 Aus: „Artist“, Ausgabe 2015, Nr. 102, S. 7. 2 Franz Kafkas Erzählung zu „Odradek“ ist in der Einführung des vorliegenden Kataloges ausführlich nachzulesen.3 Es handelt sich um eine Künstlerin und zwei Künstler. Zugunsten der besseren Lesbarkeit wird von hier an von „Künstlern“ gesprochen, auch wenn alle drei Personen gemeint sind

    Versuch, aus dem Äußeren – Form, Material und Verbrauchspu-ren - Schlüsse über das Wesen zu ziehen. Fasziniert stellten die Künstler in den letzten Jahren fest, dass die unabhängig voneinander entwickelten, aber gemeinsamen künstlerischen Ansätze4 vielfältige Möglichkeiten des Zusam-menspiels bieten. Reiche Variationsvielfalt ergibt sich für die Werke aus deren prozessorientierten Produktionsvorgängen, auf der Basis von Erosions- und Wiedergewinnungsmethoden auf Leinwand (Helmut Brandt), Schichtungen und Sezierungen (Hyacinta Hovestadt) oder der Simulation und Erweiterung eines antiken Formenkanons von „Artefakten“5 (Martin Langer). Das Interesse jedes einzelnen Künstlers gilt dem Gestalterischen, der Montage und Demontage, dem Verbergen und Wiederher-stellen, der Ästhetik von Gebrauchsspuren, dem Verschlissenem und Vernarbten, dem Spiel mit Phänomenen des Vergehens der Zeit. Die Projektgruppe verbindet die Ähnlichkeit der Spielregeln, Mechanismen u. Organisationsprinzipien, also gewissermaßen die Grammatik und Syntax ihrer künstlerischen Prozesse mit-einander6.

    4 Siehe zum Umstand des gegenseitigen Kennenlernens der Künstler auch den Text am Ende des vorliegenden Katalogs.5 Artefakt, aus lat. ars (ursprgl.) „Bearbeitung“ und facere „machen, herstellen“ - so betitelt Martin Langer seinen Werkzyklus - bezeichnet einen von Menschen hergestellten Gegenstand, das Ergebnis des Bearbeitens von einem Material mit dem Ziel einer Nutzung6 Aus: Universität Leipzig, Vorlesungsverzeichnis der klassischen Archäologie, Vorlesung: Master of Arts Archäologie der Alten Welt. 2012.

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    Abb.3 Detail HB „Brief“ (BR17) F.:HB

    Abb.2 HH Kapsel 2008 ᴓ120x130cm Wellpappe F.:PE

    Abb.4 ML archiviertes „Artefakt“ 2015

    Bereits im Juli 2014 präsentierte sich die Gruppe „Odradek“ im Kunsthof Merten (Abb.1) und genoss große Aufmerksamkeit. Im März 2015 folgt sie mit einer weiteren Ausstellung der Einladung der Städtischen Galerie Wesseling. Weitere Ausstellungen sind geplant.

    Fesselnde Ambivalenz ist den Arbeiten eigen: Zwischen Realität und Fiktion, Sein und Schein, geben sie vor, von Alterungs- und Zerstörungsprozessen gezeichnet zu sein oder etwas sein zu können, was sie nicht sind. Sie weisen z. B. Texturen auf, die wie Verschleiß- oder Fraßspu-ren aussehen und von einer intensiven Nutzung durch Menschen anderer Zeiten oder von unbekann-ten Insekten verursacht sein könn-ten. Davon zeugen vor allem deren nicht (mehr?) intakte Oberflächen. Diese „verschließen, versiegeln, schützen“ nur noch bedingt, können ein Inneres von einem Außen7 nicht vollständig trennen. Wie im Zeitraffer entstehen die Wer-ke der drei Künstler bereits mit Charakteristiken des Verfalls. Sie alle irritieren, machen neugierig, regen zum Spekulieren an, blei-ben aber immer letztendlich geheimnisvoll und unbestimmbar.

    Wenn Helmut Brandts Schrift-züge (Abb.3) seiner skriptura-len Werkgruppe suggerieren, das Ziel der Mitteilung von Inhalten, von lesbaren Bot-schaften zu verfolgen, so trügt dieser Eindruck. Es geht ihm um das rein Graphische.

    Und wenn Hyacinta Hovestadt ein Objekt schafft, das von der Form und Konsistenz her den Gedanken nahe legt, es habe als

    7 Siehe hierzu: Manfred Köhler: „Das Echo unter der Oberfläche“ Text auf Helmut Brandts Webseite http://www.helmut-brandt.net.

    Schale gedient, oder daraus sei ein Wesen geschlüpft (Abb.2), so legt die Form des Bergenden diesen nahe, er bleibt jedoch eine Vermutung. Analysierbare Verwitterungsspuren, mikrobiologische Zersetzungen und das antik erscheinende Formenvokabular der „Artefakte“ sind die von Martin Langer gelegten Fährten, die in unserer Vorstellung vertraute prähistorische oder ethnologi-sche Zusammenhänge hervor-rufen. Schmunzeln darf man über die detailreichen, subtilen Spiele mit eben diesen Unsicherheiten und Spannungen, denen der Betrachter ausgeliefert ist. Der unaufhaltsame menschliche Forscherdrang und das Bedürfnis nach Bestimmung wird von scheinbar wissenschaftlichen Beschreibungen genährt, ad ab-surdum geführt und somit der Konstruktionsprozess unserer Be-deutungsbildung offen gelegt. Seine Geschichten um die Objekte herum erweitert Langer zu einem „Artefakte-Kosmos“ (Abb.4) zu dem auch das „Institut für Xylische Artefakte“ gehört.

    Unerschöpflich scheinen die Möglichkeiten des experimentier-freudigen Durchdeklinierens nur weniger Prinzipien: Eine weitere Gemeinsamkeit der „Odradeks“. So sind z. B. Umstände des Verlorengehens der Konstruktion von fragilen, fragmentarischen Texten - etwa bei Worten, die vom Tintenfraß einmal befallen wurden8 - und die der Wiederge-winnung - beruhend auf Kenntnissen über die Technik des Pal-impsest9 - für Helmut Brandts Schaffen konstitutiv. Auf diesem Prinzip baut er in konzeptueller Stringenz auf und variiert dabei seinen vielfältigen Werkstoffkanon immer wieder. Der Künstler verdeckt und füllt mit Spachtelmasse, schabt, und schleift.

    8 Der Prozess des schleichend sich unaufhaltsam ausbreitenden Verschwindens der Worte, vom Tintenfraß einmal befallen, führt zu einem unwiederbringbaren Verlust. 9 Palimpsest ist das Auswaschen, Ausschaben, Herauskratzen offensichtlich „unwichtiger“ Schriften auf antiken oder mittelalterlichen Manuskriptseiten oder -rollen, kostbarem Leder, um neu mit Schrift überdeckt zu werden. Palimpsest führt zum Verlust von Vergangenem.

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    Abb. 7-9 HB „Singuläres“ 2007 Acryl/Lw / ML Hüller 2014 Robinie 103x38x32cm / HH Ovale Um1 2011 21x22x47cm Wellpappe Fotos HB/ML/PE

    Abb. 6 HH Drehmoment 2010 100x90x80cm Wellpappe Foto PE

    Abb.5 HB Werkreihe Grafitti (G-4) 2013 25x35cm Acry/Lw Foto HB

    Mit einer speziellen Latex-Lö-sung werden graphische For-men aufgeschrieben. Partien, die keine Bindung angenom-men haben, lassen sich wieder herauswaschen, herausbre-chen. Es entstehen skulptura-le Formen, die Assoziationen zu existenten Sprachzeichen

    erzeugen. (Abb.3). In einer großen Bandbreite von Werkreihen kommen Kombinationen zahlreicher Rezepturen, Techniken und Materialien des plastischen Gestaltens des Grundes und des Strukturaufbaus, unterschiedliche Erosionsmethoden oder eine alte, fast vergessene Guazzotechnik zum Einsatz (Abb.5). In vie-len Schichtungen kreiert Helmut Brandt in abstrakten Bildern informeller Art zwischen Zufall und gelenktem Einsatz lebendi-ge, reizvolle Strukturen, fixiert Verlaufsspuren auf schrundigem Grund, haptische Texturen mit Eigenleben, die wie verwitterte Mauerflächen oder Graffiti anmuten (siehe dazu Abb. Seite 19).

    Hyacinta Hovestadt konstruiert Skulpturen aus einzeln zuge-schnittenen Wellpappen, die sie miteinander verklebt. Selten entspricht der anfängliche Entwurf dem späteren Ergebnis, denn

    im spannungsreichen Ent-stehungsprozess zeigen sich überraschende Möglichkeiten, die sie annimmt oder auch un-terdrückt. Trotz des stets gleich bleibenden Schichtungsprin-zips ermöglicht die Eigenheit des Ausgangsmaterials, im Charakter ganz unterschied-liche Formen und Oberflä-chen entstehen zu lassen. Die Schichtungen können ihre Ge-bilde würdevoll, sakral,

    kathedralenhaft in die Höhe streben lassen oder ergeben rhyth-misierte, dynamische Rundformen. Faszinierend, was z. B. aus der Idee der Visualisierung eines leicht ineinander gedrehtem Wachsens entstehen kann: Ein lebhafter Drehmoment (Abb. 4), der sich auch im Inneren fortsetzt. (Abb. 6). Je nach Lichteinfall und Position beim Betrachten ist ein Durchblick durch die Kapil-laren bildenden Wellen möglich, entsteht ein anderer haptischer Eindruck und ein neuer Farbton. Ein Blick durch eine kleine Öffnung in das Skulpturinnere lässt uns das Bergende des Raumes intensiv erfühlen, dem Geheimnis des Vergangenen, des Tieferen, dessen, was unter der Haut liegt, näher kommen (Abb.7-9). Das Durchbrechen, Durchstoßen der Oberfläche enthüllt die „Wahrheit“.10

    Je nach Größe der Wellen (bei Materialien aus unterschiedlichen Produktionen), durch eine jeweils andere Messerneigung, durch Schnitte parallel zur Welle, unterschiedliche Streifenbreiten oder durch die Kombination ineinander liegender, andersfarbiger Pappen ergeben sich unerwartete Interferenzen, phantastische Moirée-Effekte stellen sich ein, flirrende Marmorierungen entste-hen (Abb.10) die Wellpappen-Hüllen fangen an, sich tänzerisch zu drehen. Die Objekte sehen aus wie Keramik oder Korbma-terial, Amphoren oder Krüge. Aufbrüche lassen an Hülsen und Kerne denken. Verwandt scheinen sie auch mit organischen Wachstumsstrukturen, Zellen, Wespennestern oder Waben, Höh-

    10 Siehe Anmerkung 8.

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    Abb.10 HH Wölbung 2007 80x110x80cm Wellpappe

    Abb.11 HH Organitektonisch 2011 45x35x20 cm Hochlochziegel

    Abb.12 ML Qoppa 2014 21x12x2cm Birne

    len, (Eier-)-Schalen. Hyacinta Hovestadts lautmalerische Na-mensgebungen („Trigemme“, „Bovinok“, „Ovale“, „Kooge“) greifen Rhythmus, Gefühle und Stimmungen wie Wär-me, Schutz und Geborgenheit auf. Selbst objets trouvés wie Türen, andere Verpackungs-materialien, Ziegeln jeglicher

    Verwertungskategorien (Akustikziegel, Dämmziegel etc.) kom-men bei Hyacinta Hovestadt zum Einsatz, um spannende Innen-leben, komplexe, fragil anmutende Gerippe – sie erinnern an

    Ruinen oder Gebeine (Abb.11) -, einfachste Grundstrukturen in komplexen Formgefügen vorzuführen. Sie sind noch nie zuvor für das Auge bestimmt gewesen, sondern dienten rein funktional der inneren Stabili-tät. Die Künstlerin demontiert, beraubt sie der Außenwände, entblößt deren Eingeweide.

    Verdichtungen zu Strukturenvernetzungen sind auch in „Texte-Texturen“ von Helmut Brandt zu beobachten, in denen Sprache und Gewebe eine enge Verbindung eingehen. Es ist kein Zufall, dass ein altes, westafrikanisches Volk (die Dogon), in deren Tra-dition mythologische Überlieferungen eine große Rolle spielen, für Sprache und Gewebe dasselbe Wort benutzt. Die Ordnungs-prinzipien der skripturalen Arbeiten betreffen vor allem den ges-tischen, fließenden Schreibprozess, automatische Schreibbewe-gungen, auf die sich der Künstler konzentriert und mit denen er das Erbe der écriture automatique antritt. Mit den Jahren ändert sich in seinem Schaffen die Art des Schreibens, eine Tatsache, die mit seinem Konzept konform geht: Für Helmut Brandt sind

    Schreibbewegungen im Laufe der Zeit dokumentierte Lebens-äußerungen.

    Martin Langers Interesse gilt den einzelnen Formen. Er dekliniert in den Werkgruppen der „Artefakte“ (z. B. „Schild- und Schalen-artige“, „Phialoide“, „Stabartige“, „Hüller“, „Qoppa“,) jeweils ein Formprinzip in ganz verschiedenen Kontexten durch. Anregungen für die Erstlinge einer Reihe oder für einzelne Details findet er in archäologischen, völkerkundlichen, naturkundlichen oder indus-triegeschichtlichen Museen aber auch in der Natur direkt (z.B. Samen- und Nussschalen für die „Hüller“). Auch greift er kleine Details von alltäglichen Gebrauchsgegenständen auf. Manchmal werden objets trouvés, wie z.B. ein verschlissenes Schneidebrett oder alte Dachbalken verarbeitet. Bei seinen Arbeiten bedient er sich aus einem großen Spektrum an Holz-Varianten: Eichen und Robinien, Zwetschgenholz, Roterle, bereits zerfressenes Eichensplintholz u. a. Die Werkgruppe „Qoppa“,- benannt nach dem altgriechischen Buchsta-ben Qoppa Ϙϙ, - hat die Grundform eines rundlichen Teils mit einem Loch von dem aus ein spitz zulau-fendes weiteres Teil ausgeht, wobei die Größe von fingergroß bis arm-lang variiert (Abb.12). Der Künst-ler beschreibt in seinen Texten, es tauche bereits in einfacher Form im frühen „Paläoxylikum“ auf. Diese Wortschöpfung leitet er aus dem Griechischen palaios „alt“ und xylos „Holz“ ab und bezeichnet somit das „frühe Holzzeit-alter“. Alle „Artefakte“ zeigen Gebrauchsspuren, ihr Verwen-dungszweck bleibt jedoch unklar. Die „Qoppas“ legen nahe, Ge-brauchsgegenstände zu sein, so dass sehr feine „Quoppas“ z.B. eine Nutzung als Schmuck oder Haarnadeln vermuten lassen.

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    Abb.13 HB Epitaph (EP-1) 2013 35x25cm Acry/Lw F:HB

    Abb. 13-15 HH Ovale Um1 2011 21x22x47cm Wellp. vgl.S.23 / ML Hüller 2014, 207x60x50cm Eiche vgl. S.28 / HB Brief (BR-37) 2013 35x25cm vgl.S.19

    Andere könnten als Suppenlöffel oder Keule gedient haben. Auch die anderen Werkgruppen weisen Formen auf, mit denen eine Funktion als Werkzeug assoziiert wird, oder wirken organisch-amorph, scheinen Tentakeln ähnlich.

    Wie Architekturen, so besitzen die Ar-beiten der drei Künstler raumschaffen-den Charakter und bestehen in dieser Hinsicht in der Dualität von Raum und Hülle, bedienen sich aus Techniken des Um- und Einschließens. Die Hül-le, von der Architektur geschaffen, ist eine Grenze zwischen Innen und Au-ßen. Es entsteht ein Raum zum Auf-enthalt, zur Aufbewahrung, geschützt vor unerwünschten Einblicken oder Einflüssen der „Außenwelt“11. „Hül-ler“ von Martin Langer gibt es in den

    unterschiedlichsten Größen und Farbnuancen, sie stehen, hän-gen oder liegen. Der Künstler bezeichnet diese Werkgruppe in Anlehnung an „Monolithen“ als „Remonoxylische“ (von lat. re „wieder“, mono „einzeln“ und griech. xylos „Holz“). Für diese Objekte wird jeweils ein Stamm zunächst in zwei oder drei Stücke geteilt, diese ausgehöhlt, bearbeitet und wieder zu-sammengefügt (Abb.S.15 o.l./S.17 u.r.). Dazu werden an den Nahtstellen Stege herausgearbeitet, mit Löchern versehen und schließlich mit Pflanzenfasern zusammengenäht oder geschnürt, so die genaue Beschreibung des Künstlers. Aber was umhüllen sie und zu welchem Zweck bilden sie einen umhüllten Raum?

    Helmut Brandt arbeitet in seiner aktuellsten Reihe „Häutungen“ mit sehr feinen, hauchdünnen Acrylfarbschichten. Auf Glas ge-malt (als Farbfüller im Vorfeld vorbereitet (Abb.15, siehe auch Abb.S.19), lassen sie sich abziehen und anschließend auf Lein-

    11 Siehe hierzu den Vortrag von Sylvia Stöbe: „aussen – innen“ in: Architektursalon Kassel, Heft 2, 2006. Hg. Michael Krauss. Weitere Infos: www.architektursalon-kassel.de

    wand aufziehen. Sie werden ganz oder nur partiell abgezogen, passen sich dem Untergrund an, gehen mit der Textur unter ih-nen eine Verbindung ein. Der Künstler kann sie nun entweder überdecken, zum Verschwinden bringen, stehen lassen oder ein Loch hineinbringen, um Untergründe hervorzubringen.

    In „OvaleUm 1“ (Abb.S.21 o.r.) – der Titel ist eine Anspielung auf das Umspielen, umhüllen eines Lochs (Um = herum) – fügt Hyacinta Hovestadt zwei eigenständige Teile (einer aufgeschnit-tenen Frucht gleich) zu einer Hohlform zusammen, verbindet sie mit nachträglich aufgefülltem Material. Auf der einen Seite zu einer geschlossenen Form gewachsen, lediglich durch ei-nen Spalt geöffnet zeigt sie an der gegenüber liegenden Seite einen fast durchgängigen Riss, der bei entsprechendem Blick-winkel einen Durchblick durch das Innere nach außen zulässt. Doch wozu dient(e) der Riss? Äquivalente Durchblicke, Einblicke in tiefe Schichten sind bei Martin Langer und Helmut Brandt zu beobachten (Abb.13-15). Kleine Öffnungen und Löcher in Martin Langers „Artefakten“, Risse und herausgearbeitete Schriftzüge aus unteren „vergan-

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    Abb.16 ML Schaukasten „Artefakte - Quoppa“ 2012-14 50x60cm Birne, Nussbaum, Hainbuche u.a Foto ML

    genen“ Schichten in Arbeiten von Helmut Brandt oder schlitz-artige Einrisse in den Ovalen oder runden Öffnungen oberhalb der Krugbäuche von Hyacinta Hovestadt: Sie alle sind eine Art Metapher für das zum Verschwinden und zum Vorschein brin-gen von Informationen und Eigenschaften zwischen Entstehung und Zerstörung, Funktionalität und rein ästhetischer Gestaltung (sicherlich auch im kunsthistorischen Kontext der Vanitassymbo-lik, als Zeuge der Vergänglichkeit zu begreifen). Aber vor allem schenken sie uns das, was die Kunst zu geben vermag: Anregun-gen zur Phantasie und den anderen Blick für das Tiefere, so wie es dem kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry gegönnt ist. „Die Wahrheit steckt hinter der Wahrheit, die man oberfläch-lich mit den Augen sieht“.12 Martin Langer spielt mit diesem Aspekt menschlicher Denkpro-zesse und spinnt seinen Faden konsequent weiter. „Qoppas“ in-szeniert er, in Gruppen angeordnet, mit verblassten Schildchen versehen in Schaukästen, wie sie noch in veralterten Völkerkun-demuseen anzutreffen sind (Abb.16). Bei einem fast geschlosse-nen „Artefakt“ mit kleiner Öffnung lässt er die neugierigen Besu-cher einen unbekannten, von Außen nicht sichtbaren Gegenstand durch den Zugang ertasten. Das Erfahrungsfeld wird damit um den Tastsinn erweitert, der neue zu bewertende Informationen im Spekulationsgewebe über die „Artefakte“ bietet.

    Äußerst sinnliche Kreationen im Grenzbereich zwischen Fläche und Raum nehmen uns auf eine Entdeckungsreise in berühren-de Tiefen, in Gedankenwelten mit. Ernsthaftigkeit und Bewusst-sein über Historie und das Vergehen der Zeit, Spaß und Lust am ausgelassenen Durchdeklinieren ist Programm. „Odradek“: Ein fruchtbares Ausstellungsprojekt, das ein facettenreiches Schaf-

    12 „Als ich sechs Jahre alt war…vollendete [ich] mit einem Farbstift meine erste Zeich-nung… Ich habe den großen Leuten mein Meisterwerk gezeigt und sie gefragt, ob ihnen meine Zeichnung nicht Angst mache… Sie haben geantwortet: »Warum sollen wir vor einem Hut Angst haben? « Meine Zeichnung stellte aber keinen Hut dar. Sie stellte eine Riesen-schlange dar, die einen Elefanten verdaut. Ich habe dann das Innere der Boa gezeichnet, um es den großen Leuten deutlich zu machen. Sie brauchen ja immer Erklärungen. Die Wahrheit steckt hinter der Wahrheit, die man oberflächlich mit den Augen sieht.“ Zitat aus: „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry, Dt. Übersetzung. Düsseldorf 2012

    fen drei gestandener Künst-ler im Spannungsfeld der Ambivalenz von Werden und Verfall, Vertrautem und Un-bestimmbaren bereichernd zusammenbringt. Die Faszi-nation für Alterungsprozesse, für das Innenliegende und die Grenze zwischen Innen und Außen verbindet alle drei Künstler miteinander. Das Umgebende, Verber-gende, Schützende dient als Blickfang und als Türöffner. Damit wird die Ästhetik des Verschlissenen, Vernarbten, das Haptische, Sinnliche angespro-chen13. Die „Odradek“-Kunst bietet mit ihrer Fokussierung auf Frag-mentarisches stimmungsgeladene Räume für Gedanken über Geschichten um grenzüberschreitende Kunstgebilde mit Eigen-leben herum, ohne deren Geheimnis preis zu geben. Humorvoll, kritisch, poetisch-ästhetisch, unendlich vielfältig zeigen sich die Arbeiten in einem traditionsbewussten und gleichzeitig innova-tiven Formen- und Materialienkanon. Sie strahlen Würde, Erha-benheit und Ruhe aus, besitzen überzeitliche Werte. Kunst, die das Leben betrifft, unsere Phantasie beflügelt, zum grübeln und schmunzeln bringt und uns aufzeigt, dass die Wahrheit hinter der Wahrheit liegt: Das meint „Odradek“! Man kann auf die nächsten Ausstellungen gespannt sein!

    13 Siehe hierzu Michael Fisch, „Call for Papers“ für den Vortrag über „Haut und Hülle“, Juni 2013, Helwan University Cairo

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    Ausstellung im Kunsthof Merten 2014 Dachboden. S. 10 v.l.n.r.: HH Bovinik 2014 140/80/55cm Wellpappe / ML Phialoid (auf Stahlsockel) 2012 67x53x10-cm Linde / HB Stadtschreiber (ST-1) 2011 140x120 cm, Acryl/Lw / ML Phialoid 2013 93x32x8cm Eiche Foto ML S.11: weitere (Detail-)Ansichten der oben genannten Werke alle Fotos PE, außer oben Mitte: Foto ML

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    S.12 Wand: ML Phialoid 2013 85x42x13cm Linde / HB Briefe (I – IV) 2011 je 40x30 cm Acryl/Lw. / ML Schwimmer 2013 26x20x4,5cm EicheSideboard: (ML Schaukästen „Artefakte“ 2014) / ML Hohler 2013 44x21x19cm Birne / Boden: HH Trigemme 1 2014 47/55/21 cm Wellpappe Vorder-grund: HH Ovale Um2 2014 ᴓ 22x47cm und Pizznuss 2014 21x23x41cm Wellpappe Seite 13: HB Briefe s.oben / ML Quint 2012 17x16x3,5cm Zwetschge alle Fotos ML / HH Ovale Um2 s.oben Foto PE

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    S.14 links vorn: HH Höhlung2 2011 90x42x17cm Hochlochziegel / Wand ML Querkus 2013 46x8x5cm Eiche und HB Farb-gereusche 2012 40x30 cmAcryl/Lw. / S.14 rechts vorn: ML Hüller 2014 103x38x32cm Robinie Foto MLS.15 oben: ML Hüller s.oben Foto ML / HH Ruinen 2009 Grundfläche variiert nach Inszenierung, Höhe 25cm Ziegel / S.15 unten, r.+l.: HB Häutungen (HT-1+2) 2013 je 40x30cm Acryl/Lw. Fotos PE / Mitte: ML Qoppa 2012 70x15x7cm Linde (im HG. HH Höhlung2, s.o.) Foto ML

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    Wand, Bilder: HB Farb-“gereusche“ (1) / Häutungen (HT- 3-6) 2012 je 40x30 cm Acryl/Lw. Wand, Skulptur. ML Trippelsdorfer 2013 198x39x5cm BirneBoden: HH Nester, Hüllen, Höhlen (Skulpturengruppe) 2006 H40-70 B50-80, T50-120cm Wellpappe Foto ML

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    oben, Bilder: HB Stadtschreiber (ST-2) 2011 140x110cm Acryl/Lw / HB Farb-“gereusche“ (7,8) 2012 je 40x30cm Acry/Lw oben, Skulpturen: ML Drei Stabartige 2013 H265/239/255cm Fichte /ML Hüller 2013 75x35x30cm Eiche Fotos PEunten: HH Nester, Hüllen, Höhlen (Skulpturengruppe) 2006 s. S.16 / ML Hüller s.oben Fotos ML

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    Seite 18: HB Farb-“gereusche“ 2012 40x30cm Acryl/Lw. Seite 19: HB Epitaph (EP-3)2013 35x26cm Acryl/Lw. Fotos HB

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    Seite 20:HB Brief (BR-17) 2003 30x21cm Acryl/Lw. Seite 21: HB Brief (BR-37) 2013 35x25 cm Acryl/Lw. Fotos HB

    Helmut Brandt, asemantisch-skripturale Malerei

    Helmut Brandt überzieht seine Leinwände mit handgeschriebenen Texten. Die Schriftzüge, mal gestisch-plakativ, mal fein und dicht wie Gewe-be, entstehen jedoch nicht mit Pinsel oder Feder, sondern mit einer Trennemulsion, die es im Nach-hinein erlaubt, die Zeichen oder Zeichenketten aus den sie überlagernden Farbschichten heraus-zulösen.Im Wesentlichen geht es dabei nicht um die Funk-tion des Schreibens als einer Mitteilung von In-halten, von lesbaren Botschaften. Das Skripturale bleibt unbestimmt und undeutbar wie Schreib-spuren auf Palimpsesten, wiederbeschriebenen Pergamenten, oder Graffiti auf den Mauern unse-rer Städte.Es handelt sich also um a-semantische Texte, vergleichbar der écriture automatique der Surre-alisten, automatische Schreibhandlungen, die auf nichts anderes verweisen als sich selbst.Dennoch folgt die unbewusst gesteuerte Schreib-motorik formalen Grundzügen. Die skripturalen Elemente wiederholen sich gewissermaßen wie Buchstaben oder Kürzeln in der Stenografie. Doch im Laufe der Zeit verändern sich die Schrift und ihre Elemente allmählich. Schrift wird so zum Dokument des Wandels und der Vergänglichkeit.

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    S.22 HH Anavela 2013 110x90x11cm Wellpappe rechts vorn: S.23 oben: HH Anavela s.o. / HH Ovale Um1 2010 53x31x20cm WelpappeS.23 unten: HH Kooge 2008 45x200x55cm Wellpappe Fotos PE

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    Seite 24: HH Ziegelskulpturen 2009 Seite 25: HH subjektiv gefärbte Enthüllung 2015 210/160/10cm Hohlkam-merplatten, innere Wabenpappe freigelegt, bearbeitet Fotos PE

    Hyacinta HovestadtSkulpturen

    Hyacinta Hovestadt arbeitet und experimen-tiert mit Gebrauchsmaterial, mit Wellpappe, Ziegeln, Kokosmatten, ausrangierten Zimmer-türen etc., aus denen sie ihre Plastiken schafft. Es geht um die Faszination der inneren Struk-turen der Materialien, die normalerweise ver-deckt, nicht sichtbar sind.

    Bei den Wellpapparbeiten wird jede Schicht einzeln geschnitten und verklebt. Häufig ent-stehen organisch wirkende höhlenartige For-men, oft haben sie etwas Archaisches. Diese Werkreihe strahlt Wärme und Geborgenheit aus. Diese Großformen sind fragmetarisch, das setzt sich im scheinbar Massiven fort. Schnell erweist es sich als luft-, licht- und, je nach Blickwinkel, auch sichtdurchlässig, von den Kapillaren der Wellpappe durchzogen. Das mutet fragil an, doch sind diese Skulptu-ren erstaunlich stabil.

    Auch Türblätter oder Ziegel, ihrer Außenhaut teilweise beraubt, machen die Hohl-Strukturen im Inneren sichtbar. Dabei gibt Hyacinta Hove-stadt ihren Objekten immer auch etwas Provi-sorisches, als seien die Formen unfertig oder schon im Zerfall begriffen.

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    S. 26 ML „Artefakte“ im Schaukasten 2012-2014 L: 4-21cm Birne, Nussbaum, Hainbuche u.a. Foto PES. 27 ML Hüller 2014 52x20x22cm Nussbaum ML, Drei Stabartige 2014 H265/239/255cm Fichte (s. auch S.17) Fotos ML

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    S.28 Skulptur links: Hüller 2014 207x60x50cm Eiche / Wand: ML Hüller 2014 49x17x13-cm Eiche / Tisch: ML Hohler 2015 57x14x12cm Eiche / Boden: ML Hüller 2015 71x45x41cm EicheS.29 Drei „Artefakte“ 2013 L: 38/38/37cm Eiche Fotos: ML

    Martin Langer

    Die aus Holz gefertigten „Xylischen Artefakte“ von Martin Langer legen vertraute prähisto-rische oder ethnologische Zusammenhänge nahe. Menschen anderer Zeiten, anderer Kul-turen scheinen sie zum Gebrauch hergestellt und rege genutzt zu haben. Das lassen auch die teils stark vernarbten Oberflächen vermu-ten. Auch Verwitterung, Fraßspuren und mi-krobiologische Zersetzungen deuten auf ein hohes Alter hin.

    Näher betrachtet irritieren jedoch diese „Arte-fakte“, entziehen sich einer Zuordnung oder Bestimmung. Zwar gibt es reichlich Anklän-ge an häuslichen Gebrauch, bäuerliche oder handwerkliche Geräte, auch an kultische Nut-zung. Doch wer sollte diese Gegenstände und zu welchem Zweck erschaffen haben? Die Art der Präsentation steigert diese Ambi-valenz durch sekundäres „Beiwerk“:

    Kleinere Objekte in Schaukästen, versehen mit verblichenen Archivnummern, scheinen einem (etwas aus der Mode gekommenen) Völker-kundemuseum zu entstammen. Beigefügte Erläuterungen, Analysen („die Oberflächen enthalten Rückstände von pflanzlichen Ölen, Asche…“), zeitliche Zuordnungen („frühes Pa-läoxylikum“), entpuppen sich früher oder spä-ter als pseudowissenschaftliche Erfindungen.

    Die Erkenntnis, dass jede Deutung reine Spe-kulation ist, bleibt unvermeidlich...

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    S.30 Die Künstler des Odradek-Projekts: Martin Langer (ML) neben „Trippelsdorfer“ (s.S.16) / Helmut Brandt (HB) neben einem Exemplar der „Briefe (I-IV)“ (s.S.13) / Hyacinta Hovestadt (HH) neben Ovale Um2 (s.S. 6 und 12) Foto: MLS-31 Hintergrund: ML Grafik „Odradek“

    ODRADEK

    Die Projektgruppe

    Bei gegenseitigen Ausstellungs- und Werkstattbesuchen erkannten Helmut Brandt, Martin Langer und Hyacinta Hovestadt die Ähnlichkeiten ihrer künstlerischen Ansätze und Ikono-grafien:Spuren und Dinge, welche die Zeit überdauerten, werden für Helmut Brandt, Hyacinta Hovestadt und Martin Langer zu Quellen ihres künstlerischen Schaffens. Wie Archäologen oder Paläontologen fühlen auch sie sich von den stummen Zeugen einer rätselhaften Ver-gangenheit angezogen. Doch während jene forschen und das Rätsel lüften wollen, lieben sie die Fülle der Möglich-keiten, welche ein Geheimnis in sich trägt. So spüren sie dieser persönlichen Faszination nach, entwickeln und verwandeln sie in eigene Werke.Die Formensprache vergangener Architektur, die Anmutung überdauerter Gebrauchsge-genstände, die Schönheit einer unbekannten Schrift - Fragmente regen sie an, mit den un-terschiedlichsten Materialien wie Wellpappe, Ziegel, Holz, Farbe und Leinwand neue Werke zu bilden, mit eigenen atmosphärischen Stimmungen, assoziativen Räumen, Erinnerungen. Dabei ist die dem Verschlissenen, Vernarbten innewohnende Ästhetik von hoher Bedeu-tung.Kafkas Hausvater rätselt über seinen Odradek, was seine Herkunft, was seine Zukunft sei, ob er „eine Art Ziel, eine Art Tätigkeit“ gehabt habe. Ganz ähnlich oszillieren die Werke der Drei. Halb Wiedererkanntes und Vertrautes, halb fremder Zweck, unvollständige Botschaft. Eigenständig sind die künstlerischen Ansätze, denen dieselbe Faszination zugrunde liegt. Das verbindet. So beschlossen Brandt, Langer und Hovestadt ein gemeinsam abgestimm-tes Ausstellungsvorhaben zu starten: Das Odradek-Projekt.

  • ODRADEK

    Kurzvitae

    Helmut Brandt www.helmut-brandt.net1943 geboren in Porta Westfalica1964-77 Studium in Göttingen, Magister Artium1979-82 Studien- und Arbeitsaufenthalt in MittelamerikaSeit 1981 Ausstellungen im In-und Ausland

    Hyacinta Hovestadt www.cintart.de1954 geboren in Albachten, heute Münster/Westf.1972-1979 Studium Malerei Kunstakademie Düsseldorf/Münster Kunstwissenschaften WWU Münster1979-1985 Referendariat, Staatsexamen, Studienrätin1985-1991 Museumspädagogin Kunstsammlung NRW, Düsseldorf1991-2007 freiberufliche Journalistin (Film/TV/Printmedien)seit 2006 Skulpturen, Ausstellungen, Preise

    Martin Langer www.martin-langer.net1967 geboren in Bagdad, Irak1988-92 Ausbildung zum Orgelbaugesellen bei Fa. Klais in Bonn1993-97 Studium der Bildhauerei (Diplom) an der Alanus–Hochschule Alfter bei Jochen Breme2000 Gründung des Kunsthof Merten (bei Bonn)

    Quellen:Seite 2: 1) Franz Kafka, Das Werk, Frankfurt/M., 2004, S.1162

    AbbildungenMartin Langer: Grafik ‚Odradek‘: S.31 / Fotos mit dem Kürzel „ML“ Hyacinta Hovestadt: Zwirnspulen: Scans S.2/3/32 Peter Engelen: Fotos mit dem Kürzel „PE“ Helmut Brandt: Fotos mit dem Kürzel „HB“