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(Aus der Universitiits-Kinderklinik in Wien [Vorstand: t)rof. C1. Pirquet].) Das Pirquetsehe System der Erniihrung und seine Gegner. Von Prof. Dr. B. Schiek, Assistenten der Klinik. (Eingeganfien am 30. November 1920.) Jeder neuen Sache erwachsen sine Reihe yon Gegnern. Dal~ sich der Geist gegen eine Sache wehrt, zeigt eben, dab sie neu ist. Mit dieser Gruppe yon Gegnern brauche ich reich wenigsr zu befassen, well diess Grupps zugibt, dab das Pirquetsche System der Ern~ihrung etwas IN'sues ist. Diese Zeilen sollen sich hauptsiichlich mit der Gruppe yon Gegnern beschAftigen, die perseverierend immer betonen, das Pirquet- sche System der Ern~hrung sei iiberhaupt nichts ~Teues, sondern eigent- lieh nichts anderes als eine Umwandlung der CMorien in Nero und daher 5berfliissig. Diese Auffassung ist, soweit sie das Wesen des Systems anlangt, unrichtig und kann nur darauf zurfickzufiihren sein, dab diese Gegner sozusagen vet lauter Nem das Pir q u e t s c h e System nicht sehen. Das neue Fundament des Pirqustschen Systems ist die neus Er- ni~hrungsflgche, auf die dsr Wert der zuzufiihrenden ~ahrung be- vechnet wird. Es is* bekannt, dab auch t~ubner den Nahrungs- bedarf mit einer Fli~che in Beziehung bringt; die Rubner mit der ~uBeren Oberflgehe des K6rpers'identifiziert. Die Grund]age hierfiir bet ibm die Messung der an der ~uBeren Oberfl~che sines ruhenden hungerilden Tieres abgegebene W~rmemenge in Calorien. R u bner hat das schSne Gesetz aufgestellt, dab tier Nahrungsbedarf des ruhenden hungernden Tisres direkt proportional dieser Fl~tche zu und abnimmt. :Diese Fl~che wurde mel~rmals direkt bestimmt (s. Pfaundler). Sic unterlag ~4elfachen Allgriffen. Kaninchen (wegen ihrer Oln'en) und andere Tiere (z. :B. wegen ihrer Schwiinze) ergaben andere l~esultate als el~vartet. Ich meine, dab alle diese AngI4ffe nicht imstunds sind, das Wesent- ]iehe der Rubnerschen Entdeckung zu beeintri~ehtigen. Die groBs Bedeut~ung der Rubnerschen Entdeckung li~gt darin, dab l~ubner die Nahrung zu einer F1Ache, einem quudratischerL MaB und nieht z u sine m k ubische n Mu6, de m Ge wicht inBeziehung bringt. Pro Quadratzentimeter dieser Flhche bereehnet bleibt die fiir den Innenbedarf des Organismus nStige Niihrwertmenge unverhndert, mit steigendem KSrpergewieht wird diese Fl~che nicht im gleichen

Das Pirquetsche System der Ernährung und seine Gegner

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Page 1: Das Pirquetsche System der Ernährung und seine Gegner

(Aus der Universitiits-Kinderklinik in Wien [Vorstand: t)rof. C1. Pirquet].)

Das Pirquetsehe System der Erniihrung und seine Gegner.

Von Prof. Dr. B. Schiek,

Assistenten der Klinik.

(Eingeganfien am 30. November 1920.)

Jeder neuen Sache erwachsen sine Reihe yon Gegnern. Dal~ sich der Geist gegen eine Sache wehrt, zeigt eben, dab sie neu ist. Mit dieser Gruppe yon Gegnern brauche ich reich wenigsr zu befassen, well diess Grupps zugibt, dab das Pirquetsche System der Ern~ihrung etwas IN'sues ist. Diese Zeilen sollen sich hauptsiichlich mi t der Gruppe yon Gegnern beschAftigen, die perseverierend immer betonen, das Pirquet- sche System der Ern~hrung sei iiberhaupt nichts ~Teues, sondern eigent- lieh nichts anderes als eine Umwandlung der CMorien in Nero und daher 5berfliissig. Diese Auffassung ist, soweit sie das Wesen des Systems anlangt, unrichtig und kann nur darauf zurfickzufiihren sein, dab diese Gegner sozusagen ve t lauter Nem das P i r q u e t s c h e System nicht sehen.

Das neue Fundament des Pirqustschen Systems ist die neus E r - n i ~ h r u n g s f l g c h e , auf die dsr Wert der zuzufiihrenden ~ahrung be- vechnet wird. Es is* bekannt, dab auch t ~ u b n e r den N a h r u n g s - b e d a r f mit einer Fli~che in Beziehung bringt; die R u b n e r mit der ~ u B e r e n O b e r f l g e h e de s K 6 r p e r s ' i d e n t i f i z i e r t . Die Grund]age hierfiir bet ibm die Messung der an der ~uBeren Oberfl~che sines ruhenden hungerilden Tieres abgegebene W~rmemenge in Calorien. R u b n e r hat das schSne Gesetz aufgestellt, dab tier Nahrungsbedarf des ruhenden hungernden Tisres direkt proportional dieser Fl~tche z u und abnimmt.

:Diese Fl~che wurde mel~rmals direkt bestimmt (s. Pfaundler) . Sic unterlag ~4elfachen Allgriffen. Kaninchen (wegen ihrer Oln'en) und andere Tiere (z. :B. wegen ihrer Schwiinze) ergaben andere l~esultate als el~vartet.

Ich meine, dab alle diese AngI4ffe nicht imstunds sind, das Wesent- ]iehe der Rubnerschen Entdeckung zu beeintri~ehtigen. D ie g r o B s B e d e u t ~ u n g der Rubnerschen Entdeckung li~gt darin, dab l ~ u b n e r die N a h r u n g zu e i n e r F1Ache, e i n e m q u u d r a t i s c h e r L MaB u n d n i e h t z u s i n e m k u b i s c h e n Mu6 , de m Ge w i c h t inBeziehung bringt. Pro Quadratzentimeter dieser Flhche bereehnet bleibt die fiir den Innenbedarf des Organismus nStige Niihrwertmenge unverhndert, mit steigendem KSrpergewieht wird diese Fl~che nicht im gleichen

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(kubischen) Mage vergrSgert, sondern eben nut quadratisch. Mit steigendem Gewicht sink~ also der Nithrwertbedarf pro kg.

Die Messung der tats~ichlichen Oberfl~iehe des K6rpers, auf die R u b n e r den Ns bezieht, ist zu kompliziert (Belegen der Oberfliiehe mit Stanniol, Heftpflasterstreifen usw.), urn. in praxi dureh- gefiihrb zu werden. Deswegen war es zu begriiBen, dab man die ,,~uBere 0berflSche" des K6rpers dureh die Ann~herungsformel yon Me eh- V i e r o r d t aus dem Gewiehte zu berechnen lernte. Diese Formel lautet O = m" P~. Das Gewieht wird, wie v. P f a u n d l e r treffend bemerkt, dutch das Ziehen der Kubikwurzel zu einem linearen l~IaB verwandelt. Das Quadrieren dieses linearen Mal3es fiihrt z u einem Fl~ichenwert, dessert Niehtiibereinstimmen mit der tatsgehlieh festgestellten iiuBeren Oberfl~iche dutch den Faktor m ausgeglichen wird. l~Iit der ~-Potenz des Gewiehts haben wir also eine Reduktion des dreidimensionalen Gewiehtsmal~es zu einer zweidimensionalen Fl~iche erzielt. Da nun das Gewich~s~achstum in gewissen Grenzen natfrlieherweise der EntMck- lung des Organismus entsprieht, so mug aueh die aus diesem NaB dureh Erreehnen der {--Potenz hervorgehende Fl~tehe der Entwicklung des Organismus in gewissen Grenzen parallel gehen, sowie aueh z. ]3. bei einem waehsenden Koehsatzkryst, all die Grundfliiche des Koehsalz- krystalles in der ~--Potenz des Volumens wgehst.

Betrtigt die Seite des KochsMzwiiffels 1 era, so migt die Grundflache 1 cm 2, alas Volumen wiegt rund i g. W/ichst die Seite des Wiirfels auf 2 era, so wird die Grundfl~iehe desselben 4 cm 2 = 22 cm e, das Volumen 8 cm z = 23 em 3 betragen. Die Seite des Wttffels w/ichst in linearem, die Grundfl~iche in quadratisehem Mal]e, das Volumen (Cxewieht) in der dritten Potenz. Die Grundfliiehe ist dann immer gleiehzeitig die ~ Potenz des (Volums) GewichtsmaBes.

Sehon der Faktor m zeigt, dab die Formel M e e h - V i e r o r d t s nur eine Ann~herungsformel ist und daher nicht in Wirkliehkeit der gul~eren Oberflgehe des K6rpers entsprieht. Da sie aber gegeniiber der kompli- zierten direkten Ausmessung der guBeren Oberfli~che noeh imIner relativ einfaeh ist, hat sie vielfaeh Amvendung gefunden.

Freilieh in der Praxis hat. sieh wohl niemand wirklieh der D'ormel bedient, um den Nahrungsbedarf zu erreehnen; denn das Kubikwurzel- ziehen isg nicht jedermanns Saehe und gewiB nieht Sache eines prak- t isehen Arz'tes. In praxi geschah folgendes: Entweder berechnete man - - wenn man iiberhaupt bereehnete -- den N~i.hrwertbedarf in Calorien pro kg K6rpergewieht, trotzdem, wie erwiihnt, der Nghrwertbedarf nieht proportional dem Gewichte ist. Man weiB, dal] der Calorienbedaff v0m jungen Sguglingsalter his zum Erwachsenen allm~ihlieh yon 100 Ca- lorien pro kg bis auf 30--40 Calorien pro kg absinkt. Solange es sieh um die beiden Endziffern handelte, war das Merken der Calorienzahl pro kg noeh einfaeh, und namentlieh die P~idia.ter wendeten die fiir

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den jungen S~ugling festgestellte Zahl gerne an. Fiir das Alter jenseits des ersten Lebensjahres bis zum Ende des Wachstums wurde - - sagen wir es often und ehrlieh -- fast yon keinem praktischen und nichtprak- t ischen Arzte der Calorienbedarf rechneriseh festgestellt, sondern nur vage qualitative Anordnungen getr0ffen. Man verlieli sieh auf den In- stinkt des Kindes oder auf den Inst inkt der Mutter und Pflegerin, hielt eher etwas mit NShrwerten bei normalen Kindern zuriiek, da ja das normale Kind erfahrungsgemtil3 eher zuviel als zu wenig il~t. Die Augen des Kindes sind -- sag* das Spriehwort -- gr611er als der Magen. Fiir die Kinder mit patho]ogiszhem Inst inkt -- Kinder meist nerv6ser Natur mit geringer Essensfreude und grol~em ]3ewegungsdrang bei leb- halter Intelligenz -- stopfte man, ohne viel zu rechnen, konzentrierte Nahrungsmittel (reiehllch FeLt und Zucker), so gut es eben ging, hinein, wobei man racist so grol~en Sehwierigkeiten begegnete, dab eine Ge- fahr der Uberfiitterung nicht bestand. Der anderen Gruppe yon Kin- dern, den leieht zu m~istenden; zu FetLansatz neigenden Kindern, deren Inst inkt im allgemeinen zu grol~es Interesse am Essen zeigte, drosselte man -- wohl aueh fast immer, ohne zu reehnen, die Fett-, Kohlenhydrat- und Eiweil~zufuhr.

Gelegentlich einmal diirfte natfirlich aueh im Kindesalter eine strenge Berechnung der N~ihrwertzufuhr meist rein zu Zweeken der wissenschaftlichen Bearbeitung einer Frage (Mast- oder Entfettungs- kur) vorgenommen worden sein, wie auch yon einigen Autoren, vor allem dutch E r i c h Mfi l le r , genaue Daten fiber den N~hrwertbedaff der Kinder jenseits des S~uglingsalters gesammelt und festgelegt wurden.

Zu. diesen reehnerisehen Schwierigkeiten kommt noch dazu, dal~ die Rubnerschen Standardzahlen, soweit sic die W~rmeabgabe an der ~iul~eren Oberflache betreffen, nur fiir das hungernde ruhende Tier zu Reeht bestehen, nicht aber ffir das arbeitende Tier und den arbeitenden oder sonst, muskelt~tigen Menschen.

Aus allen diesen Grfinden suchte P i r q u e t nach einer anderen Fl~che, auf die er den N~ihrwertbedarf beziehen konnte, wobei neben der festzustellenden Gebrauchsfiihigkeit auch das Moment verbunden sein muBte, dab jeder Arzt, ja jeder einfaehe Menseh imstande sein sollte, die Ern~hrungsfl~ehe zu berechnen. Sieht man in tier genialen Entdeckung des Fl~chenprinzipes durch R u b n e r den Fortschrit t in der Festlegung einer Fl~che, die der k6rperlichen Entwicklung propor- tional geht, iiberhaupt und nieht gerade nur die ~iuBere OberLiiche, macht man sich also davon frei, dal~ es gerade die ~ul~ere Oberf]Kche des Menschen oder Tieres sein mul~, auf die man die Nahrung bezieht~ SO gewinnt der Gedanke, die Nahrung auf eine andere Fl~iche zu beziehen, die leichter zu berechnen ist und auch der Gesamtentwicklung des Or-

ganismus proportional w~ehst, an Existenzbereehtigung.

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H i e r seSzg n u n die E n t d e c k u n g P i r q u e t s e in u n d sie is~ v o l l k o m m e n N e u l a n d . P i r q u e t finder in Beziehung tier Sitzh6he zum K6rpergewicht, die dutch das ganze Leben besteh~, S i ~ = 10laches Ge)vieht, d . h . in einem Wiirfel, d e s s e n Sei te die Sitzh6he ist, haben 10 Mensehen desselben normalen Ernghrungszustandes Platz. Die dritte Wurzel aus dem 10fachen (ideellen) Gewieht ist die Sitzh6he

Multipliziere ieh die Sitzh6he mit sieh selbst, d .h . erhebe ieh die Sitz- h6he -- die Scite des Wiirfels -- zum Quadrat, so erhalte ich die Grund- fliiehe des (10faehen) Gewiehtswiirfels. Diese Grundfliiche ist -- siehe meine Ausfiihrungen beim Koehsalzwiirfel -- die :}-Potenz des (10fachen) Gewichtswiirfels. Ich habe also bier wieder eine Relation zwischen Gewieht und einer quadratiseh ausgedriiekten Fliiehe, ihnlieh wie bei der Meeh-Vierordtschen Formel, nut fehlt bei PAr q u e t der Faktor m . Besonders wichtig ist abet zu betonen, dag ich, start wie bei der Meeh- Vierordtsehen Formel 0-----m. p t yore Gewieht auszugehen und die Kubikwurzel ziehen zu miissen, bei P i r q u e g den umgekehrten Weg gehe. I e h messe die S i t z h 6 h e , ein l i n e a r e s Mag , welches mit einem Z e n t i m e t e r , das 'sich doch fast in jeder Wohnung befindet, l e i c h t f e s t g e s t e l l t w e r d e n kann. Dieses MaB ist gle!chzeitig schon die Kubikwurzel aus dem 10faehen Gewieht. I e h e r s p a r e mi r a l so d a s K u b i k w u r z e l z i e h e n und habe noch den Vorteil, dureh das Abmessen der Sitzh6he -- deren Gr6•e durch dazwischen gelagertes reichlicheres oder Spiirliehes Fe t t und Muskulatur nut im linearen MaBe versehoben wird -- unabhgngiger z u sein yon den doch viel stiirkeren Schwan- kungen des Gewiehtes. E r h e b e ieh da s Mal~ d e r S i t z h S h e z u m Q u a d r a t -- multipliziere ich also eiiffaeh die Sitzh0he mit sieh selbst -- so h a b e i ch n i e h t n u r da s Q u a d r a t de r S i t z h S h e b e k o m m e n , s o n d e r n a u c h die K u b i k w u r z e l des (10 fachen ) G e w i e h t s - w t i r f e l w e r t e s z u m Q u a d r a t e r h o b e n , a l so d ie ~ - -Po tenz des 1 0 f a e h e n G e w i c h t e s d u r e h e i n f a e h e s Q u a d r i e r e n e i n e s l e i e h t f e s t s t e l l b a r e n M a g e s e r r e i c h t . Diese einfache Rechnung bringt doeh wohl jeder Mensch zusammen. Die Meeh-Vierordtsehe und Pirquet, sche Formel nebeneinander gesehrieben

Erni~hrungsfliiche nach R u b n e r 0 ----- m- p t Ern~hrungsfl~iche naeh P i r q u e t S i ~ ----- (10 P)~

macnen die _~hnlichkeit beider Formeln deutlich. B e i d e s s i n d ~ -Po- t e n z e n des G e w i c h t e s , die Rubnersche Ernahrungsf]~iche die des e i n f a e h e n Gewieh~es , die Pirquetsche Ern~hrungsfl~che die des 1 0 f a c h e n G e w i c h t e s .

Gerade so wie R u b n e r seine Ern~hrnngsfiiiche (nach der Formet m P~) mi~ der i u B e r e n Oberfl~che vergleicht, war P i r q u e t be-

Ze~tschrift fiir Kinderheilkunde. XXVIII. 5

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strebt, seine ErnKhrungsfl~ehe mit der Oberfl~che des resorbierenden Darmes zu vergleichen, indem er zeigte, dab die Lgnge des Darmes ungefi~hr der 10faehen Sitzh6he entspricht. Nimmt man an, dab die

Si Breite des Darmes g]eieh 10 ist, so ist die Oberfl~che der als Recht-

Si eek aufzufasse,lden Darmfl~che mit 10 S i . ~ = S i 2 zu bereehnen.

l~reilieh ist die Identifizierung dieses Si ~ mit der Darmoberf]~ehe stark angreifbar, da mi~ Recht gefordert werden mul~, dab als Breite der resorbierenden Flis nich~ einfaek die Zentimeterbreite angenommen werden daft ; mindestens miissen die Zo t t en und eigentlieh die mikro- skopischen Unebenheiten der ZottenoberfiKche in l%eehnung gezogen werden. E s h a n d e l t s i e h a u e h g a r n i c h t d a r u m , d i e l d e n t i t ~ t des S i t z h S h e q u a d r a t e s - - d . i . d e r ~ - P o t e n z d e s 1 0 f a e h e n Ge- w i c h t e s -- m i t d e r D . a r m f l g e h e f e s t z u h a l t e n . Es ist nur ein pla- stisehes Bild ffir die s0nst abstrakte Ern~ihrungsfliiche. I e h sage es kl i p p u n d k l a r h e r a u s , d ie E r n ~ h r u n g s f l ~ e h e y o n P i r q u e t , d a s S i t z h 6 h e q u a d r a t , i s t n i e h t d i e O b e r f l g c h e des r e s o r b i e r e n d e n D a r m e s , s o n d e r n n u r d ie { - P o t e n z des 1 0 f a e h e n Gewiehbes . I n a n a l o g e r We i se k a n n m a n v o n d e r O ----- m . P~: n ~ e h M e e h - V i e r o r d t s a g e n , da.s is$ g a r n ich~ die g u B e r e O b e r f l g c h e des K 6 r p e r s , s o n d e r n n u r e i n e ~ - P o t e n z des e i n f a c h e n Ge- w ich te s . Und wenn heute R u b n e r dasselbe erkl~ren wiirde, so wiire endlich all den Streitigkeiten die Spitze abgebrochen, deren Vertreter for~w~hrend daran herumn6rgeln, dab tats~chliche Messungen der an der ~uSeren Oberfliiche abgegebenen Wiirmemengen Unstimmigkeiten gegenliber den Rubnerschen l%rderungen ergeben. Auch wenn zu- gegeben wird, dab die ErnShrungsE~che ebenfalls.in e rs te r Linie der Tatsache ihre ]3rauchbarkei~ verdank$, dab sie die -~-Pobenz des ein- fachen Gewichtes ist, wird der Rubnerschen Entdeckung nichts yon ihrer fundamentalen GrSge weggenommen. Nach wie v e t b~eibt der ungeheure l?orLschrit% der durch die Rubnerschen Gesetze fiir die ~Er- n~hrungslehre inauguriert wurde, sonnenklar bestehen.

Da ieh glaube, Mar den Werdegang dargelegt zu haben, der P i r q u e ~ bci der Aufstellung. seiner neuen leieht zu en'eehnenden Ern~hrungs- fli~eh6, dem Sitzh6hequadrat, geffihrt hat, gehe ieh einen Schritt weiter.

P i r q u e t h~itte -- da$ er es nicht getan, wird ihm aueh vorgeworfen - - dami~ genug sein lassen solien. Man gibt also schon Z u, die ErnSh- rungsfl/iche ist neu, leiehter zu bereehnen und gil~ durch das ganze Leben. P i r q u e t hhtte ruhig die CMorien Calorien sein lassen sollen und nur den Calorienbedarf auf die neue Ern~hrungsfl~che beziehen sollen, und alle hat ten erfreut die neue Ern~hrungsflSche angenommen. Obwohl ich aueh yon dieser Auffassung absolut nicht iiberzeugt bin, sondern im Gegent.eil meine, daf~ man sicherlich auch dann an der neuen

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Sache etwas auszusetzen gehabt hgtte, will ieh doeh die theoretische MSg- lichkeit zugeben, dall das Pirquetsche System weniger heftige Angriffe er- fahren hgtte. P i r q u e t hgtte - - meinen diese Gegner - - also seine Berech- nungen in C~lorien auf die noue Ern~i~hrungsfl~ehe vollziehen kSnnen. Es w~re - - wit haben selbstverstandlich diese sehr naheliegenden Rechnun- gen durchgeffihrt - - herausgekommen, dal~ das Maximum der dem Or- ganismus zuzuffihrenden N~ihrwertmengen ~]- Calorie pro qcm Emghrungs- fl~iche betragen hgtte, also z. B. fiir. ein 6 Jahre altes Kind yon 60 em SitzhShe - - Ernghrungsfl~che ~- 60" 60 ---- 3600 qcm - - Maximum ---- 3600 �9 2400 Cal0rien. Das Minimum.--die zur Deckung des Inlmnbedarfs bei vol lkommener Bet t ruhe n6tige Nghrwertmenge - - betr~igt ,1-. Calorie pro qcm, also 3600 �9 ~ ---- 720 Calorien. Als Opt imum kommt fiir dieses wachsende lebh~fte Kind - - es benOtigt Zuschl~ige fiir Wachstum und Muskeltgtigkeit - - -~- Calorie pro qcm in Betracht 3600" -~ ---- 1800 Calorien. In ~ihnlieher Weise hSt te man den Bedarf fiir a]le Alters- und Berufs- klassen in Calorien erreehnen k6nnen und alles wgre in Ordnung gewesen. Denn das mull man auch als Gegner gestehen, dall die Errechnung des Nghrwerfbedarfes auf diesem Wege ungemein einfach ist. Auch bei dieser Verwendung des Ph'quetschen Systems - - und man sieht, dall wir sehon in der neuen Ern~ihrungsfl~che die Grundlage des neuen Systems vor uns haben - - wgre ein groller Fortschrit t erzielt worden.

Wenn 1 ) i r q u e t seine wissensehaftliche LV~erzeugung der Diplomatic hiitte opfern wollen, hiitte sich 1 ) i r q u e t mi t den Lorbeeren der neu entdeckten Ern~ihrungsflgche vorerst begniigen k6nnen und zunSchst die Calorienbereehnung beibehalten k6nnen. Sicherlich wSren wenig- stens die Gegner s tumm geblieben, die sieh jetzt so laut als unerschiitter- liche Anhgnger d e s Calorienbegriffes erweisen. Es ist psyehologisch interessant zu bemerken, wie riesig groll auf einmal die Zahl dcrjenigen ist, die auf den Gebrauch des Begriffes Calorie nicht verzichten kSnnen, die also sozusagen sich nicht vorstellen k6nnen, daIl man star t Calorie aueh eine andero ~'ahrungseinheit, deren Grundlage eigentlich auch die Calorie ist, wLhlen dart. I s t denn K e l l n e r nicht im Recht gewcsen, als er aus praktischem Bediirfnis heraus fiir die Ern~hrung des Tieres den Calorienwert durch den Stgrkewert ersetzt ha t ~. Die Tierzi'mhter sind jedeiffalls der Ansicht, dal~ die Aufstellung des Stiirkewertes - - dessen Grundlage auch schlielllich der Calorienwert ist - - einen groBen Fm%schritt bedeutet. I s t denn das Wort Calorie ffir a l le Ewigkeit in der Ernghrungslehre als solches unbedingt festzuhalten, auch wenn es sieh praktisch nicht fiir die grolle Masse derjenigen bewghrt, die in der Ernghrungsfrage mitarbeiten wollen und auch sollen ? Es ist wahr- lieh fast wie im Mittelalter, in welchem P i r q u e t wahrscheinlich als Ketzer angeklagt worden wgre, weil er es gewagt hat, das geheiligte Wort Calorie d u t c h eine andere Nahrungseinheit zu ersetzen.

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68 B. Schick :

P i r q u e t arbeitete sich bei seinen Studien fiber den N~hrwertbedarf mit unendlicher Miihe durch das urwalddichte Gestriipp der reiehlich vorhandenen Literatur durch. An den verschiedenen Often stie~ er auf wechselnde Angaben; bald rechnete der eine Autor nach Rohcalorien, der andere nach ausnfitzbaren, der dritte nach ausgenfitzten Calorien, der eine meinte kleine, der andere grol~e Calorien. Und wenn schlieft- lich diese babylonische Verwirrung beseitigt werden wiirde und alle Autoren sich auf einen gemeinsamen Calorienbegriff -- der groBen aus- geniitzten Calorie - - einigen wiirden, so ist noch immer damit zu reehnen, dab die Vorstellung des Calorienbegriffes ffir die grebe Mehrzahl der Be- vblkerung zu abstrakt und zu sehwer verst~ndlich ist. Deswegen sah sich P i r q u e t naeh einer N~h~verteinheit urn, die auch dem wissenschaftlich nicht vorgebfldeten Menschen eine anschauliehe und damit brauehbare Vorstellung vom N~hrwerte geben konnte. Hat ten doch alle diejenigen Leute, die viel m i t d e r Ern~hrung zu tun batten, schon selbst instinktiv einen Calorienersatz, einen Vergleiehswert gesueht, um wirklieh e i n e Vorstellung vom N~hrwert eines Nahrungsmittels zu bekommen. Viele w~hlten hierzu das Ei. Sie merkten sich den Calorienwer~ des Eies (70 CaloHen) als Grundlage und berechneten den N~Lhrwert der Nahrungs- mittel nach Eiern.

P i r q u e t wird es Mso zum Vorwurf gemacht, daf~ er sich nicht mi~ der Entdeekung der neuen ErnKhz~ngsfl~che begnfigte, sondern aueh den ibm notwendig dfinkenden Schritt unternahm, den Calor~enwert dutch eine neue Nahrungseinheit zu ersetzen. I c h a b e r s ag e , g e r a d e d ie T a t s a c h e , d a b P i r q u e t d i e s e n z w e i t e n S e h r i t t n i e h t e r s t n a c h e i n i g e n J a h r e n , s o n d e r n s o f o r t g e m a e h ~ h a t , z e i g t e r s t r e e h t d e n g e n i a l e n g r o B e n Zug s e i n e s E r n ~ h r u n g s - s ys t e ms. ])all P i r q u e t gerade die Milch, und zwar die Frauenmileh als neue NahrungseinheR w~iMte, is~ trotz aller Bemfihung der Gegner, diese Nah1~angseinheR' in ihrer k l a s s i s c h e n S e l b s t v e r s t ~ n d l i c h - k e i t zu bek~tmpfen, erst recht ausgezeichnet. Die neue Nahrungsein- heir -- die Frauenmilch -- ist ja wirkliche ideale ausschliel~liche Nahrung des Menschen in jener kritischen Periode, die der S~ugling nach Auf- hbren der in~rauterinen Ern~hrung zu fiberleben hat. Dem P ~ d i a ~ e r ]ieg~ diese N a h r u n g s e i n h e i t so n a h e , dab er, wenn er einmaI den Gedanken faltt, eine n e u e N a h r u n g s e i n h e i t zu s u o h e n , u n - bedinglb d ie F r a u e n m i l c h w~h]en m u ft. ])as nenne ieh k l a s s i s ehe S e l b s t v e r s t ~ n d l i c h k e i t .

Was ru t fiberdies der Arzt eigentlich, wenn er einen jungen S~ug'- ling s ta t t mit Frauenmilch mit Kuhmflch ern~hren rauB ? Were1 er ihn nicht mit reiner Kuhmileh ernKhrt, sondern mit verdiinnter Kuh- milch, z. B. IIalbmflch, dann mull er den durch Verdiinnung verloren- gegangenen N~hrwert durch Zueker- oder Fettzusatz wicder ersetzen,

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Das Pirquetsche System der Erni~hrung und seine Gegner. 69

er mul~ also den N~ihrwer~ yon Frauenmilch durch Kuhmilch bzw. Zucker und Fet t ersetzen. Man vergleicht also bei diesem Vorgehen den Nhhrwert von Kuhmilch, Zucker und Fe t t tatsiichlich mit dem N~hrwert yon Frauenmileh, wobei als offizielles ]VIaI~ im Hintergrunde die Calorie eingeschaltet ist. Wenn das Kind ~lter wird, ersetzt man allmShlich eine ~rauenmilchmahlzcit nach der anderen durch anderc Nahrungsmittel, und wieder vergleicht der Arzt eigentlich die neue Mahlzeit mit dem Werte der ausfallenden Frauenmilehmahlzeit. P i r - q u e t macht die tats~chliche Denkungsart des Arztes zur Grundlage des Begriffes der neuen l~/ihrwerteinheit und vergleicht alle Nahrungs- mittel direkt mit der Frauenmilch.

Warum sell denn das, was man in Wirldichkeit in praxi rut, gar so etwas Schlechtes sein? I~ur deswegen, weft man den ]3egriff Calorie durch den viel leichter verst~ndliehen Begriff einer neuen 1N!ahrungs- einheit, den physiologischen I~utzeffekt yon 1 g Frauenmilch bestimmter Zusammensetzung (1 !qem) ersctzt ? Wenn man natiirlich das Ms Nach- teil empfindet, dal~ jetzt jeder verniinftige Mensch sich e~was unter dem I~iihrwert von 1 g oder 100 g Frauenmilch vorstellen kann, dann haben die Gegner reeht. Ja - - sagen aber diese Gegner -- Fr~uenmilch und Frauenmilch ist nicht gleich, das ist kein so exaktes 1Vial3 wie die Calorie, die eine ~h'auenmilch hut mehr Fett , die andere weniger. Diese Gcgncr vergessen, dab es iiberall erlaubt ist, Standardwerte 'aufzustellen, auf die man Vergleiehe aufbaut. D e n k t d e n n j e m a n d d a r a n , d a b de r A u s d r u c k P f e r d e k r a f t 1) d u r c h . s i e h s e l b s t s c h o n b e d e u t e t , d~13 j e d e s P f e r d g l e i eh kr is is~ ? Da denkt niemand daran, einen Haken zu linden, und ich will gleich sagen warum. I)ie Pferdekraft ist ein schon alter gel~ufiger Begriff und der B e g r i f f de r N ~ h r u n g s - e i n h e i t P i r q u e t ist ein n e u e r , an d e n m u B m a n s ich e r s t ge- w S h n e n . Und dann kommt noeh etwas dazu. "Stir V o l t , P e t t e n - k o f e r , l%ubner usw. arbeiten eine geihe yon hervorragenden Autoren in den Ernahnmgsiragen durch ihr ganzes Leben, die Vertrautheit mit den Ernahrungsfragen wird schwer erworben. Man kann leieht auf den Gedanken kommen, es sei nicht m6glich, in 2--3 Jahren ein neues System der Ern~hrung zu sehaffen, wenn man nieht schon seit gahren die Punze eines ErnEhrungsforschers zar e~ozTlv besitzt. P i r q u e t hut die Tuberkulinreaktion entdeckt, grundlegende Arbeiten in der Immunit~tslehre geschaffen und die Kreise der ErnEhrungswissenschaft nieht gestSr~. Mit einem Ruek hag er die Ern~ihrungs'.ehre als auger der Zunft Stehender miichtig gefSrdert. Stat t sich zu freuen, da$ das Pirquetsche Ern~hrungssystem einen Fortschrit t gebracht hat, wird es, wie das schon bei der menschlichen Psyche immer ist, nur von wenigen in seiner Bedeutung crkannt, yon wenigen mit erfreulieher Objektivit/it

z} Auf diesen Vcrglcich hat ndch Doz. M a y e r h o f e r aufmcrksam gemacht.

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70 B. Schick: Das Pirquetsche System der Ernahrung und seine Gegner.

einer Krit ik unterzogen, die P i r q u e t sich gerne gefallen l~l]t. Viele Autoren sahweigen die Angelegenheit so lange als mSglich tot; Einige Autoren befleiBigen sieh eines verh6hnenden, herabsetzenden Tones in der Beurteilung des Systems. Wir lassen sie ruhig dabei.

Das was sonst dem System l:achgesagt wird, dai~ nacti demselben das F e t t vollkommen abgesehafft und durch Koh]enhydrat e r se t z t werden soll, dab es die V i t a m i n f r a g e nieht berficksichtigt, das sind gegenstandslose Vorwfirfe. Sie kSnnen nur yon solchen Lenten ge- macht werden, die durch ungenfigende Kenntnis des Systems verfiihrt oder mit halbem Ohr zuh6rend einen Brocken auffangen, der geeignet erscheint, fiber das System zu seh impfen . Jeder Menseh, der sich die Miihe nimmt, das zu lesen, was fiber das System von P i r q u e t publiziert ist, und gar Wiener ~rzte, die in der Lage sind, sich pers6nlieh in der Kinderklinik yon der praktisehen Durchfiihrung des Systems zu fiber- zeugen, kSnnen ohne Sehwierigkeit sehen, dab die strittige Frage, , ,Fett oder nicht l~ett", mit dem S y s t e m &ls s o l c h e n gar nichts zu tun h~t. 1 )i r q u e t hat vorwiegend aus 5 k o n o mi s c h e n Griinden -- Ver- lust yon 4/5 des N~hrwertes dureh Verfiitterung yon fiir den ~enschen tauglichen Nahrungsmitteln an d as Tier - - n e b e n b ei die Fettfrage auf- geworfen, seinen theoretischen Standpunkt pr~zisiert und mit Rfiek- sicht auf die Tatsache, dal] Schwein und Mensch, wie auch M a y be- tont, Konkurrenten bei Deckung ihres Nahrungsbedarfes sind, Spar- samkeit in Fleiseh- und Fettgenul~ empfohlen, damit nieht die Schweine am Leben bleiben und fet t werden, die Mensehen dagegen verhungern. In allen Kfiehen der amerikanisehen Kinderhilfsaktion sowie in der

e igenen Kiiche der Klinik Wird Fet t verwendet. Auf jeder Nemtabelle steht als erster Wert 1 g Fet t oder 01 hat 13,3 Nero, d .h . den Wert -con 13,3g :Frauenmileh. Warum ha t I ) i r q u e t angegeben, welchen Nemsvert das Fet t hat, wenn Fe t t nach seinem System nieht verwendet werden darf ? Wo steht denn ein Wort im System der Erniihrung dar- fiber, dal] man sieh nieht mehr u m die , , V i t a m i n e " kfimmern soll, wo, dab die Qualit~t der Speisen nieht berficksichtigt werden soll und da~ es ganz alles eins sei, ob man nur Sauerkraut oder auch andere Speisen i~t ?

Gegen offene, wissenschaftliche objektive Krit ik darf sieh niemand wehren. Das i s t a b e t k e i n e K r i t i k , sondern das sind Versuche, durch S c h l a g w o r t e S t i m m u n g z u m ~ e h e n . Das mug ffir W g h l e r - v e r s ~ m m l u n g e n d~s l~ichtige sein, aber nieht ffir die Beurteilung der jahre]angen ~uf Hundert tausende yon Versuehstagen sieh stfitzenden Arbeit P i r q u e t s .

Wien %X/2, Lazarettgasse 14.