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Das Portrait: Otto Hahn 1879-1968 von Hans Gotte Mit dem Tode Otto Hahns im letzten Jahr hat die Wissenschafi einen ihrer gro- flen alten Manner verloren, dessen Name weit iiber den Bereich seines Fachgebietes hinaus Klang und Ansehen hat. Ohne Zweifel ist ein grofler Teil dieser Popula- ritat darauf zuriickzufiihren, dafl Otto Hahn seinen Namen unter das als Gottin- ger Erklarung bekanntgewordene Doku- ment gesetzt hat, in dem sich 18 Atom- wissenschafiler aus der Bundesrepublik ge- gen die Ausriistung der Bundeswehr mit Atomwafien und gegen die Mitarbeit bei der Herstellung dieser Vernichtungsmit- tel ausgesprochen haben. Keiner anderen UnterschriR diirRe dabei soviel Gewicht zugekommen sein wie der seinen, sprach sich doch hier niemand anders als der Ent- decker der Kernspaltung selbst gegen ih- ren militarischen Miflbrauch aus. Indessen vermogen weder dieser politi- sche Akt noch die epochemachende Bedeu- tung seiner Entdeckung allein die Sympa- thien zu erklaren, die ihm allerseits entge- gengebracht worden sind. Die tieferen Ur- sachen hierfiir liegen vor allem in seiner Personlichkeit, in der sich aufrechte Hal- tung, Liebe zur Wahrheit, Gute, Beschei- denheit, Mut und Charme so harmonisch zusammenfanden. Auch die Fiille der ihm nach dem Kriegsende angetragenen Aus- zeichnungen sowie das freundschafiliche Verhaltnis zu Theodor Hews haben dam beigetragen, dafl er schliefllich zu einer na- tionalen Personlichkeit wurde: Die Zahl der Ehrenmitgliedschafien wissenschafili- cher Gesellschafien, Ehrendoktorate und Medaillen belauft sich auf iiber funfzig; es gibt mehrere Otto-Hahn-Schulen; das erste mit Kernenergie angetriebene deut- sche Handelsschiff tragt seinen Namen. In- stitute in Berlin und Mainz sind nach ihm benannt worden. Otto Hahn hat diese und andere Ehrungen, darunter mit besonderer Freude den Nobelpreis und den erst vor wenigen Jahren in den USA geschaffenen Fermi-Preis, als Bestatigung seiner wissen- schaRlichen Leistungen, aber stets mit den1 Hinweis entgegengenommen, dafl er fast alle seine Forschungsergebnisse glucklichen Umstanden und dem Zufall verdanke. Der Ruhm und seine Begleiterscheinungen wa- ren ihm eher lastig als angenehm. Er hat sich jedoch mit Wiirde in seine Rolle ge- funden - und sie stand ihm gut an. Otto Hahn im Alter von 87 Jahren. (Pho- to: Lilo Giitte) Wenn es aber galt, sein Prestige einzuset- Zen, hat Otto Hahn nicht gezogert, dies zu tun. Als die Kaiser-Wilhelm-Gesellschafi von den Alliierten aufgelost werden sollte, begab er sich als Prasident der Gesellschafi zu General Clay nach Frankfurt, der ihn - so erzahlte es Otto Hahn selbst - mit den Worten: ,,Die Kaiser-Wilhelm-Gesell- schafi ist ein sterbender Schwan, bemiihen Sie sich nicht mehr darum!" abweisen woll- te. Hahn antwortete: , Jawohl Herr Gene- ral, aber bevor der Schwan stirbt, singt er noch einmal." Die Unterhaltung kam in Gang, Hahns Oberzeugungskrafi und die Lauterkeit seiner Absicht taten bei Clay ihre Wirkung, und die heute als Max- Planck-Gesellschafi fortbestehende Orga- nisation wurde gerettet. In seinem Laboratorium hing die Oberset- zung des Gebetes eines Forschers aus dem Roman ,,Dr. med. Arrowsmith" von Sin- clair Lewis: ,,Gott schenke mir klaren Blick und Frei- heit ohne Hast. Gott schenke mir stillen, unerbittlichen Hafl gegen allen falschen Schein, gegen Anmaflung und gegen nachlassige und halbfertige Arbeit. Gott schenke mir Ruhelosigkeit, dafl ich weder Schlaf noch Lob empfangen mag, bis die Resultate meiner Beobachtungen sich mit den Resultaten meiner Berech- nungen decken oder bis ich mit heiligem Feuer dem Fehler zu Leibe gegangen bin und ihn bezwungen habe. Gott schenke mir die Krafi, selbst Gott nicht blind zu vertrauen!" Klarer Blick und Freiheit ohne Hast, Ab- lehnung falschen Scheins und jeglicher An- maflung haben Otto Hahn immer ausge- zeichnet. Fur Pose und nach auflen gekehr- te Autoritat hatte er nichts iibrig. Mit be- merkenswertem Mut ist er den Scheingro- flen des Dritten Reiches entgegengetreten, unter anderem als es galt, 1934 eine von den Nazis verbotene Feier zu Ehren des verstorbenen Fritz Haber abzuhalten, oder im Jahre 1938, als er Frau Professor Meitner iiber die hollandische Grenze selbst in Sicherheit brachte. Untergetauchte jiidische Mitbiirger ver- sorgte er mit Brotkarten und anderem. Und als 1943 in Straflburg eine wissen- schafiliche Tagung abgehalten werden soll- te, wollten zwei SS-Leute einem Mitarbei- ter schwedischer Nationalitat die Einreise in das Elsafl nicht gestatten. Der sonst so 9

Das Portrait: Otto Hahn 1879–1968

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Das Portrait: Otto Hahn 1879-1968 von Hans Gotte

Mit dem Tode Otto Hahns im letzten Jahr hat die Wissenschafi einen ihrer gro- flen alten Manner verloren, dessen Name weit iiber den Bereich seines Fachgebietes hinaus Klang und Ansehen hat. Ohne Zweifel ist ein grofler Teil dieser Popula- ritat darauf zuriickzufiihren, dafl Ot to Hahn seinen Namen unter das als Gottin- ger Erklarung bekanntgewordene Doku- ment gesetzt hat, in dem sich 18 Atom- wissenschafiler aus der Bundesrepublik ge- gen die Ausriistung der Bundeswehr mit Atomwafien und gegen die Mitarbeit bei der Herstellung dieser Vernichtungsmit- tel ausgesprochen haben. Keiner anderen UnterschriR diirRe dabei soviel Gewicht zugekommen sein wie der seinen, sprach sich doch hier niemand anders als der Ent- decker der Kernspaltung selbst gegen ih- ren militarischen Miflbrauch aus.

Indessen vermogen weder dieser politi- sche Akt noch die epochemachende Bedeu- tung seiner Entdeckung allein die Sympa- thien zu erklaren, die ihm allerseits entge- gengebracht worden sind. Die tieferen Ur- sachen hierfiir liegen vor allem in seiner Personlichkeit, in der sich aufrechte Hal- tung, Liebe zur Wahrheit, Gute, Beschei- denheit, Mut und Charme so harmonisch zusammenfanden. Auch die Fiille der ihm nach dem Kriegsende angetragenen Aus- zeichnungen sowie das freundschafiliche Verhaltnis zu Theodor Hews haben d a m beigetragen, dafl er schliefllich zu einer na- tionalen Personlichkeit wurde: Die Zahl der Ehrenmitgliedschafien wissenschafili- cher Gesellschafien, Ehrendoktorate und Medaillen belauft sich auf iiber funfzig; es gibt mehrere Otto-Hahn-Schulen; das erste mit Kernenergie angetriebene deut- sche Handelsschiff tragt seinen Namen. In- stitute in Berlin und Mainz sind nach ihm benannt worden. Otto Hahn hat diese und andere Ehrungen, darunter mit besonderer Freude den Nobelpreis und den erst vor wenigen Jahren in den USA geschaffenen Fermi-Preis, als Bestatigung seiner wissen- schaRlichen Leistungen, aber stets mit den1 Hinweis entgegengenommen, dafl er fast alle seine Forschungsergebnisse glucklichen Umstanden und dem Zufall verdanke. Der Ruhm und seine Begleiterscheinungen wa- ren ihm eher lastig als angenehm. Er hat sich jedoch mit Wiirde in seine Rolle ge- funden - und sie stand ihm gut an.

Otto Hahn i m Alter von 87 Jahren. (Pho- to: Lilo Giitte)

Wenn es aber galt, sein Prestige einzuset- Zen, hat Otto Hahn nicht gezogert, dies zu

tun. Als die Kaiser-Wilhelm-Gesellschafi von den Alliierten aufgelost werden sollte, begab er sich als Prasident der Gesellschafi zu General Clay nach Frankfurt, der ihn - so erzahlte es Otto Hahn selbst - mit den Worten: ,,Die Kaiser-Wilhelm-Gesell- schafi ist ein sterbender Schwan, bemiihen Sie sich nicht mehr darum!" abweisen woll- te. Hahn antwortete: ,, Jawohl Herr Gene- ral, aber bevor der Schwan stirbt, singt er noch einmal." Die Unterhaltung kam in Gang, Hahns Oberzeugungskrafi und die Lauterkeit seiner Absicht taten bei Clay ihre Wirkung, und die heute als Max- Planck-Gesellschafi fortbestehende Orga- nisation wurde gerettet.

In seinem Laboratorium hing die Oberset- zung des Gebetes eines Forschers aus dem Roman ,,Dr. med. Arrowsmith" von Sin- clair Lewis:

,,Gott schenke mir klaren Blick und Frei- heit ohne Hast.

Gott schenke mir stillen, unerbittlichen Hafl gegen allen falschen Schein, gegen Anmaflung und gegen nachlassige und halbfertige Arbeit.

Gott schenke mir Ruhelosigkeit, dafl ich weder Schlaf noch Lob empfangen mag, bis die Resultate meiner Beobachtungen sich mit den Resultaten meiner Berech- nungen decken oder bis ich mit heiligem Feuer dem Fehler zu Leibe gegangen bin und ihn bezwungen habe.

Gott schenke mir die Krafi, selbst Gott nicht blind zu vertrauen!"

Klarer Blick und Freiheit ohne Hast, Ab- lehnung falschen Scheins und jeglicher An- maflung haben Otto Hahn immer ausge- zeichnet. Fur Pose und nach auflen gekehr- te Autoritat hatte er nichts iibrig. Mit be- merkenswertem Mut ist er den Scheingro- flen des Dritten Reiches entgegengetreten, unter anderem als es galt, 1934 eine von den Nazis verbotene Feier zu Ehren des verstorbenen Fritz Haber abzuhalten, oder im Jahre 1938, als er Frau Professor Meitner iiber die hollandische Grenze selbst in Sicherheit brachte.

Untergetauchte jiidische Mitbiirger ver- sorgte er mit Brotkarten und anderem. Und als 1943 in Straflburg eine wissen- schafiliche Tagung abgehalten werden soll- te, wollten zwei SS-Leute einem Mitarbei- ter schwedischer Nationalitat die Einreise in das Elsafl nicht gestatten. Der sonst so

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friedliche Otto Hahn - er konnte, wenn es darauf ankam, sehr in Zorn geraten - fuhr die beiden mit erhobener Stimme so an, da8 sie ihre Vorschriften vergai3en und die Reise nicht behinderten.

Otto Hahn ist ein klassischer Vertreter je- ner Generation von Cheniikern gewesen, deren Forschungsprobleme sich aus unmit- telbaren Beobachtungen und aus Abwei- chungen von erwarteten Ergebnissen ent- wickelten. In seiner Forschung fehlte ein groi3 angelegter Arbeitsplan; sie entwickel- te sich vielmehr wie eine Ptlanze, an der immer neue Triebe entstehen. Er selbst be- statigte, fast immer etwas anderes gefun- den zu haben, als er gesucht hat. Wohl das charakteristischste Beispiel ist eine Unter- suchung uber das Uran-2, die in den zwan-

ziger Jahren zur Entdeckung der Kerniso- merie gefiihrt hat. Ausgangspunkt fur diese Arbeit, die nach eigenem Urteil als seine beste anzusehen ist, war die Beobachtung, dai3 einigeMei3punkte um wenigeTausend- stel von einer Kurve abwichen.

Diese Art des empirischen Forschens, die frei von jedem spekulativen Element ist, allerdings auch auf die groi3e Konzeption und auf ein phantasievolles Programm verzichtet, wird heute nicht selten als et- was zu einfach empfunden. Sie kann je- doch plotzlich zu grundlegend neuen Er- kenntnissen fuhren. Kein Beispiel kann das besser beleuchten als die Entdeckung der Kernspaltung durch 0. Hahn und F. Strai3mann. Gleichzeitig aber lehrt die Ge- schichte dieser wissenschaftlichen GroGtat,

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wie erst die Erfahrung eines ganzen For- scherlebens die entscheidende Aussage er- moglichte.

Die Geschichte der Uranspaltung ist eng verknupft mit der der Radioaktivitat. Von der Beobachtung dieses Phanomens am Uran durch Henri Becquerel im Jahre 1896 fuhrt ein gerader Weg zu der eben- falls am Uran nachgewiesenen Kernspal- tung. Die wesentlichen Erkenntnisse, die zu dieser Entdeckung fuhrten, lassen sich in zwei Etappen einordnen. Die erste um- fai3t dieStudien uber die naturlicheRadio- aktivitat, d. h. die Entdeckung des Polo- niums und Radiums durch das Ehepaar Curie (1898), die Aufklarung des radioak- tiven Zerfalls durch Rutherford und Soddy (1902), die Einfuhrung des Isoto- piebegrifies durch Soddy, Fajans, Thom- son und Aston (1913) sowie vor allem die Aufstellung des Atommodells durch Bohr und Rutherford.

Zu Beginn dieser ersten Epoche hat auch Otto Hahn seine Arbeiten auf dem Ge- biet der Chemie radioaktiver Substanzen begonnen. Ursprunglich hatte er die Ab- sicht, nach Abschlui3 seiner Doktorarbeit bei Zinke in Marburg (1901) und einer anschliei3enden Assistentenzeit eine Stel- lung bei Kalle in Wiesbaden anzutreten. Da er fur eine Auslandstatigkeit vorgese- hen war, entschloi3 er sich, zunachst ein halbes Jahr auf eigene Kosten nach Eng- land zu gehen, um Englisch zu lernen. Auf Empfehlung seines Doktorvaters kam er an das Institut von Sir William Ramsay nach London.

Bereits die ersten Untersuchungen, die Otto Hahn dort mit radioaktiven Stoffen vornahm, fuhrten zur Entdeckung einer neuen radioaktiven Substanz. Er hatte von Ramsay, dem Entdecker der Edelgase, den Auftrag erhalten, aus 100 g Barium- chlorid, das 9 mg Radium enthielt, dieses durch fraktionierte Kristallisation der Bromide anzureichern. Dabei fand er in den Mutterlaugen einen von Barium und Radium abtrennbaren Stoff mit den che- mischen Eigenschaften des Thoriums, den er das ,,Radio-Thorium" (Thorium-228) nannte. Aufgrund dieser Entdeckung riet ihm Ramsay, sich der Wissenschaft zuzu- wenden und empfahl ihn zu Rutherford nach Montreal. Stark beeindruckt von die- ser Forscherpersonlichkeit entschloi3 sich Hahn endgultig, bei der Wissenschaft zu bleiben. Unter den vielen Arbeiten aus der Zeit im Rutherfordschen Labor sei nur die Entdeckung des Radioactiniums erwahnt. Wenige Jahre spater konnte er die Mut- tersubstanz des Radiothoriums, das Meso- thor, auffinden. Das war bereits in Berlin, im Institut von Emil Fischer, und hier be- gann auch 1907 die Zuammenarbeit mit Lise Meitner.

Von beiden ,,neuen Elementen" wurden nicht mehr als Bruchteile eines Mikro- grammes gewonnen. Das Mesothorium liei3 sich aus Thoriummineralien zusam- men mit Barium, das dem Aufschlui3 zu- gefiigt wurde, abscheiden und anschlieflend durch fraktionierte Kristallisation anrei- chern. Es erwies sich, dai3 selbst eine so kleine Menge mit chemischen Methoden konzentriert werden konnte.

Hahn war sich der auflerordentlichen che- mischen Khnlichkeit mancher radioaktiver Stoffe - z. B. der des Radiothoriums (Thorium-228) mit Thorium, der des Me- sothoriums (Radium-228) mit dem Radi- um und der des Radium D (Blei-210) mit dem Blei - durchaus bewuat, denn er hatte viele Versuche unternommen, sie voneinander zu trennen. ,,Aber", schreibt er in einem spateren Ruckblick, ,,den Mut, auf eine vollige Gleichheit in den chemi- schen Eigenschaften zu schlieaen, hatte ich nicht". Ihm schwebte die grofle Khnlich- keit der Seltenen Erden vor, die sich nach den damaligen Methoden auch nur unter groi3en Schwierigkeiten und unvollkom- men voneinander trennen liei3en. Erst einige Jahre spater war die Zeit dafur reif, dai3 Soddy und Fajans den Begriff der Iso- topie einfuhren konnten, der die chemi- sche Identitat solcher Stoffe wie Radium und Mesothorium erklarte.

Die zweite Epoche wurde mit den Versu- chen des englischen Physikers Rutherford zur kunstlichen Kernumwandlung einge- leitet. Es gelang ihm 1919, rnit einer ein- fachen Versuchsanordnung zu zeigen, da8 sich unter Einwirkung energiereicher a- Strahlen Atomkerne des Stickstoffes in Atomkerne des Sauerstoffes umwandeln. Beobachtungen beim Studium derartiger Kernreaktionen durch den Heidelberger Physiker Bothe sowie durch das franzosi- sche Ehepaar Joliot-Curie fuhrten dam, dai3 der Englander Chadwick 1932 das Neutron entdeckte, ein elektrisch neutra- les Teilchen, das als Baustein der Atom- kerne bereits 1923 von Rutherford vor- ausgesagt worden war.

Einen entscheidenden Schritt zur weiteren Entwicklung machte zwei Jahre spater wieder das Ehepaar Joliot-Curie. Im Rah- men einer auf eine andere Fragestellung ausgerichteten Untersuchung stellten die beiden Wissenschaftler vollig unerwartet fest, dai3 bei Bestrahlung von Aluminium mit a-Strahlen ein radioaktives Phosphor- Isotop entsteht.

Den nachsten Beitrag leistete der Italiener Fermi, ebenfalls im Jahre 1934. Er benutz- te anstelle geladener Partikel die ungela- denen Neutronen und konnte so P-strah- lende Radio-Isotope fast aller Elemente herstellen. Auch nach der Bestrahlung von Uran, dem letzten Element im Perioden- system mit der Ordnungszahl 92, liei3en

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sich vier verschiedene p-Strahler nachwei- sen. Dieser Befund war wissenschaftlich von grogem Interesse, da bei der radioak- tiven B-Umwandlung unter Aussendung von Elektronen stets Atome von Elemen- ten mit einer um 1 hoheren Ordnungszahl entstehen. Fermi hatte demnach Grund anzunehmen, dai3 durch den /j-Zerfall der bei der Neutronenbestrahlung gebildeten Uran-Isotope Radio-Isotope des damals noch unbekannten chemischen Elements mit der Ordnungszahl 93 entstanden sein munten. Ein Schuler Hahns, v. Grosse, zweifelte die Deutung von Versuchen Fer- mis an, die dies auf chemischem Wege be- weisen sollten. Er vermutete, dai3 es sich um radioaktive Isotope des vor dem Uran stehenden Elements Protactinium handeln konnte:

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Hierher gehort ein Hinweis auf eine in- teressante Veroff entlichung jener Tage: Die deutsche Chemikerin Ida Noddack forderte, dai3 man erst einmal durch Expe- rimente sicherstellen musse, dai3 keine Radio-Isotope von Elementen mittlerer Ordnungszahlen entstunden, bevor man auf Elemente jenseits des Urans schliei3en konne. Zwar ist die Arbeit rein spekula- tiv, und der darin geaui3erte Gedanke schien nach der damals gangigen Lehrmei- nung der Kernphysik - wie sich spater herausstellte allerdings zu Unrecht - vol- lig absurd. Lise Meitner z. B. weigerte sich, die Noddacksche Veroffentlichung zu zi- tieren. Tatsache ist, dai3 diese in dein nach- traglich beinahe prophetisch anmuten-

Neutronen diese Kerne in mehrere groae- re Bruchstucke zerfallen, die zwar Isotope bekannter Elemente, aber nicht Nachbarn der bestrahlten Elemente sind." Es ist moglich, dai3 Ida Noddack die Entdeckung der Kernspaltung zugefallen ware, hatte sie iiber Neutronenquellen, Geiger-Zahler und -- last not least - die notige Erfah- rung auf dem Gebiet radiochemischer Trennungen verfugt.

In diesem Stadium der Entwicklung be- gann im Jahre 1934 OttD Hahn im Kai- ser-Wilhelm-Institut fur Chemie in Ber- lin - zunachst in Zusammenarbeit mit Lise Meitner, wenig spater auch mit Fritz Strai3mann -seine experimentellen Arbei-

den Satz gipfelt: ,,Es wfre denkbar, bei der Beschiefiung schwerer Kerne

dai3 mit

ten auf diesem Gebiet. Auch er ging von der Hypothese aus, dai3 es sich bei den von

Fermi gefundenen Aktivitaten um Ele- mente jenseits des Urans handeln miisse. Zuriickgreifend auf seine Erfahrungen rnit dem metastabilen Protactinium - 234 m, dem Uran Z, konnte er die Hypothese seines Schiilers v. Grosse entkraften und die Entstehung von Radio-Isotopen dieses Elements ausschlieflen. Mit diesem Ergeb- nis war indessen das Problem, wie sich im Laufe der Untersuchungen herausstellte, nicht gelost. Die Dinge wurden immer komplizierter. Neben den vier von Fermi beobachteten Aktivitaten fanden sich wei- tere. Zu guter Letzt wuchs ihre Zahl auf zehn an, und es wurde immer schwieriger, sie aufgrund chemischer Trennungsreakti- onen und physikalischer Hypothesen als hornologe Elemente der Platingruppe in das Periodensystem einzuordnen.

Vier Jahre lang ging der Weg in die Irre. In dieser Zeit muflte Lise Meitner Deutsch- land verlassen und konnte an der weite- ren Entwicklung nicht mehr teilnehmen. Im Friihjahr 1938 berichteten Savic und Curie iiber eine weitere radioaktive Atom- art, die aber ihren chemischen Eigenschaf- ten nach in keiner Weise in das aufgestellte System hineinpaflte. Die franzosischen Autoren konnten das dem Uran benach- barte Actinium ausschlieflen, gleichzeitig aber feststellen, dafl die gefundene radio- aktive Atomart dem Lanthan zwar ahnle, sich offenbar aber doch davon unter- scheide.

Obwohl hier die richtige Deutung bereits zum Greifen nahe war, brach die erlosen- de Erkenntnis noch immer nicht durch. Das Ergebnis aus dem franzosischen Labo- ratorium kam den deutschen Porschern zunachst so unglaublich vor, dafl sie das zu identifizierende neue Element im La- bor- Jargon als ,,Curiosum" bezeichneten. Die Versuchsergebnisse der Franzosen lie- flen sich jedoch reproduzieren. Und nicht nur das: Als die beiden deutschen Forscher den in Frankreich eingeschlagenen experi- mentellen Weg weiter verfolgten, konn- ten sie in einem von Straflmann angereg- ten Versuch rnit Bariumchlorid mehrere neue Aktivitaten abscheiden, die sie, da andere Elemente nach dem damaligen Stand der Kenntnisse nicht in Frage ka- men, als Isotope des Radiums ansahen.

Hier mufl auf einen scheinbar nebensach- lich erscheinenden Umstand hingewie- sen werden: Fur ihre Versuche stand

Hahn und Straflmann nur eine au- flerst schwache Neutronenquelle - et- wa ein halbes Gramm Radium-Beryl- lium - zur Verfiigung. Dementspre- chend lagen die gemessenen Aktivitaten haufig an der Grenze der Nachweis- barkeit. Dies galt auch fur eines der ver- meintlichen Radium-Isotope, und Hahn und Straflmann wollten den Versuch un- ternehmen, diese Aktivitat in einem Ba- riumchlorid-Niederschlag gemafl den Er- fahrungen Hahns mit dem Radium-Isotop Mesothor durch Fallung in den ersten Fraktionen anzureichern, um die Aktivi- tat besser messen zu konnen. Zu ihrem groflen Erstaunen schlug dieser Versuch fehl: Das ,,Radium-Isotop" liefl sich durch fraktionierte Kristallisation nicht anrei- chern, die erzeugte Aktivitat verhielt sich wie ein Barium-Isotop.

Hahn und Straflmann formulierten ihr Ergebnis fast noch unglaubig wie folgt [Naturwissenschaften 27, 14 (1939)l: ,,Wir kommen zu dem Schlufl: Unsere 'Radioisotope' haben die Eigenschaften des Bariums: als Chemiker miiflten wir eigent- lich sagen, bei den neuen Korpern handelt es sich nicht um Radium, sondern um Ba- rium; denn andere Elemente als Radium und Barium kommen nicht in Frage. Als Chemiker miifiten wir aus den kurz dar- gelegten Versuchen das obengebrachte Schema eigentlich umbenennen und statt Ra, Ac, Th die Symbole Ba, La, Ce ein- setzen. Als der Physik in gewisser Weise nahestehende ,,Kernchemiker" konnen wir uns zu diesem, allen bisherigen Erfahrungen der Kernphysik widersprechenden Sprung noch nicht entschlieflen. Es konnten doch noch vielleicht eine Reihe seltsamer Zufal- le unsere Ergebnisse vorgetauscht haben."

Sorgfaltige Untersuchungen, bei denen die aus dem bestrahlten Uran stammenden Aktivitaten und das Radium-Isotop Me- sothor - in anderen Versuchen das Thorium X - zusammen mit Bariumchlorid bzw. -chromat fraktioniert kristallisiert wurden, bewiesen indessen iiber jeden Zweifel, dai3 tatsachlich Barium entstanden war. Der Urankern zerplatzte also unter der Ein- wirkung von Neutronen in kleinere Bruchstucke: Die Uranspaltung war auf rein chemischem Weg entdeckt.

Mit einem Zeitvorsprung yon wenigen Monaten, wenn nicht Wochen, war den beiden deutschen Forschern in einem der

spannendsten Kopf-an-Kopf-Rennen in der Geschichte der Wissenschaften der Er- folg zugefallen. Hier war Otto Hahn einer der oft zitierten Gliickszufalle zu Hilfe gekommen: Die fur die Untersu- chungen eigentlich zu schwachen Radium- Beryllium-Neutronenquellen hatten ihm geholfen, vollig unerwartet auf die richti- ge Spur zu kommen. Dennoch lag die Ur- sache dieses ,,Gluckszufalles" in Hahns eigenem Wesen. In seiner Bescheidenheit liebte er es, mit einfachen Mitteln zu for- schen, wie er es bei Rutherford gesehen hatte. So begnugte er sich fur seine Arbei- ten mit den schwachenRadium-Beryllium- Quellen, obwohl er mit geniigendem Ein- satz sicher einen starkeren Hochspan- nungsbeschleuniger hatte erhalten konnen. Erst nachtraglich wurde den Physikern klar, dafl die Kernspaltung hatte voraus- gesehen werden konnen, weil zwischen dem Energieinhalt desurankerns unddem der beiden Bruchstiicke eine Diff erenz be- steht, die bei der Spaltung frei werden mufl. Dies wiederum war den Chemikern Hahn und Straflmann zur Zeit ihrer Ent- deckung nicht in den Sinn gekommen. Die ersten physikalischen Experimente, welche die Energieproduktion bewiesen, sind dann auch von Physikern - von Lise Meitner, mit der Hahn standig brieflich seine Versuchsergebnisse diskutierte, von 0. R. Frisch und, unabhangig von diesen, von Joliot - gemacht worden. S. Fliigge, ebenfalls Physiker und Mitarbeiter Hahns, hat zum ersten Ma1 abgeschatzt, welche Energiebetrage zur Verfiigung stehen, wenn es gelingen sollte, die Kernenergie zu nutzen.

Otto Hahn gehorte zu jenen Institutslei- tern - man trifft sie heute kaum noch an -, die ihre Versuche nicht nur planen, sondern selbst am Labortisch ausfiihren. So hat er auch bei den Untersuchungen zur Uranspaltung und spater bei der Ent- wirrung der vielen aufiretenden Spaltpro- dukte rnit eigener Hand unzahlige Nie- derschlage gefallt, abfiltriert, getrocknet und ihre Aktivitat gemessen. Er hat die Versuchsbedingungen eigenhandig proto- kolliert oder Meflkurven gezeichnet (Ab- bildung 1). Nur noch sein Mitarbeiter Straflmann und - bis zu ihrem Weggang aus Berlin - Lise Meitner sowie eine tech- nische Assistentin haben an den Versu- chen zur Uranspaltung mitgearbeitet.

Nicht wenige seiner experimentellen Er-

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folge verdankte er einem Fingerspitzen- gefuhl beim Ansatz seiner Versuche. Als die Spaltung entdeckt war, zog er weitere Mitarbeiter seines Instituts zur Identifizie- rung der zahlreichen Spaltprodukte her- an. Dabei wurde es beispielsweise notig, die bei der Spaltung entstehenden Edel- gase Radiokrypton und Radioxenon zu trennen, und seine an diesem Problem mitarbeitenden Assistenten Seelmann und Gotte iiberlegten, welche zeitraubenden Versuche rnit inaktivem Xenon und Kryp- ton anzustellen seien, um den Weg zur quantitativen Trennung dieses Gemisches zu finden. Noch wahrend dieser Uberle- gungen - wenige Tage, nachdem das Problem zum ersten Ma1 diskutiert wor- den war - erschien Otto Hahn im Labor und verkundete, dai3 ihm die Trennung gelungen sei, indem er das Gemisch im Wasserstoffstrom durch ein Rohr mit Kohle bei der Temperatur des festen Koh- lendioxids und ein weiteres bei der Tem- peratur des flussigen Stickstoffs geleitet habe: Im ersten Rohr war das Radioxe- non, im zweiten das Radiokrypton adsor- biert.

Die Zahl der Schuler Otto Hahns ist rela- tiv klein. Es war nie sein Bestreben, einen groi3en Stab von Mitarbeitern um sich zu sammeln. Getreu seiner Auff assung, der Chemiker musse beobachten konnen, er- hielten seine Doktoranden keine Arbeits- themen, obwohl er z. B. fur auslandische Gaste seines Instituts sehr wohl welche be- reit hatte. Jeder Doktorand mui3te zu Be- ginn seiner Tatigkeit am Berliner Institut bei alteren Kollegen solange mitarbeiten, bis er einen ,,Effekt" beobachtete, aus dem sich eine Dissertation entwickeln konnte.

Mitarbeiter und Schiiler verdanken Otto Hahn neben der wissenschafilichen Aus- bildung und dem Vorbild, das er ihnen bot, nicht zuletzt, daB fur einige von ihnen in einer Zeit, in der sich in Deutsch- land der geistige Terror ausbreitete, das Kaiser-Wilhelm-Institut fur Chemie in Berlin eine Enklave blieb, in der man nicht nur frei seine Meinung aui3ern konnte, sondern auch - und das bedeutete eigent- lich viel mehr - keinem Druck ausge- setzt war, in die Partei einzutreten.

Unuberschaubar ist die Zahl der Anekdo- ten um Otto Hahn. Ein Mitarbeiter des benachbarten Kaiser-Wilhelm-Instituts fur Physik trug den etwas ungewohnlichen

Namen Bewilogua. ,,Den kann ich mir nur merken, wenn ich sage: A wie Abra- ham, B wie logua."

Oder: Aus gegebenem Anlafi schreibt er seinem Freund Walther Gerlach, macht an seinem Namenszug ein Kreuzchen und fugt handschrifllich als PS hinzu: ,,Diese Unterschrifl ist inzwischen DM 5,- wert!" Seine langjahrige Mitarbeiterin, Frau Ma- rie-Luke Rehder, bemerkt zusatzlich: ,,Dam kommt ein Aufschlag von 10% fur die Sekretarin." Walther Gerlach uberweist umgehend DM 5,50 auf das Konto der Max-Planck-Gesellschafi zugunsten von Otto Hahn und Frau Rehder. Er erhielt wenige Tage spater die in Abbildung 4 wiedergegebene Antwort.

Zur Macht hatte Otto Hahn kein VerhElt- nis. Weder lag ihm das geringste daran zu organisieren oder zu herrschen, noch er- weckten die Machtigen seine Bewunde- rung. Die Machtigen haben ihn umgekehrt s e t s respektiert. Er ist ihnen, wo es ihm notig erschien, auch entgegengetreten; so gab es Auseinandersetzungen rnit Minister Straws und Bundeskanzler Adenauer, als Hahn seine Meinung zur Atombomben- bewaffnung der Bundeswehr formulierte.

Auch im Dritten Reich klopfie er Leuten, wie dem Minister Speer, auf die Schulter und erreichte aufgrund seiner Ausstrah- lung und seines Charmes, was erreicht werden sollte. Anlai3lich der bereits er- wahnten Tagung in Stragburg - damals war gerade der ,,Kommissarbefehl" von Hitler herausgegeben worden, der anord- nete, dai3 an der russischen Front gefange- ne politische Schulungsoffiziere, als Kom- missare bezeichnet, erschossen werden soll- ten - wurden die Tagungsteilnehmer von irgendeiner Parteigroi3e zu einem festli- chen Abend eingeladen. Es gab guten Wein, aber bereits wenig zu essen. Hahn bedankte sich gut gelaunt bei dem Gast- geber und begann mit den Worten: Jh- nen, Herr Oberkommissar, danken wir fur einen festlichen Abend . . ." Zunachst er- starrte alles, dann brach Gelachter 10s. Der Parteigewaltige lachelte etwas suasauer, liei3 es aber dabei bewenden.

Bei allem Glanz dieses erfiillten Forscher- lebens darf nicht vergessen werden, dai3 Otto Hahn in spateren Jahren viel Leid getragen hat. Sein einziger Sohn, schwer verwundet aus dem Krieg zuruckgekehrt,

wurde zusammen rnit seiner jungen Frau Opfer eines Verkehrsunfalles. Hahns eige- ne Frau, die ihn nur wenige Tage uber- lebte, litt seit vielen Jahren an einer schweren Krankheit. Zu den schmerzlich- sten Erlebnissen zahlte ferner die nach der Annexion Osterreichs erzwungene Tren- nung von seiner langjahrigen Kollegin Lise Meitner, die er seinen Mitarbeitern nach Abschld der Sommerferien 1937 mit tra- nenerstickter Stimme bekanntgab. Mit be- wundernswerter Haltung hat er diese Schicksalsschlage getragen. Die Folgen ei- nes Attentats durch einen Geistesgestor- ten haben ihn Wochen ans Haus gefesselt. Typisch fur ihn war, dai3 er dem Attenta- ter Zigaretten und Lebensmittel in die Un- tersuchungshafl schicken lassen wollte; die Gerichtsbehorde genehrnigte es nicht.

Otto Hahn ist gebiirtiger Frankfurter und Ehrenburger dieser Stadt. Er hat die Liebe zu ihr und zu ihren Burgern nie verloren. Ein ofl mit leisem Schalk zitierter Aus- spruch lautete: ,,Der Frankfurter gehort zu den besten Deutschen! In ihm 'vereini- gen sich die Liebenswiirdigkeit des Sud- deutschen mit der Intelligenz des Nord- deutschen. "

Neben seinem natiirlichen Charme und seiner menschlichen Gute fie1 jedem seine Bescheidenheit auf. Vielleicht steht sie fur manchen unbefangenen Beobachter in zu scharfem Kontrast zu der reichen wissen- schafilichen Leistung dieses Forscherle- bens. Wer aber Hahn und sein Werk gut kennt, das sich rnit geradezu logischer Fol- gerichtigkeit aus den Anfangen seiner wissenschafilichen Tatigkeit bis zur Nobel- preisarbeit entwickelt hat, weii3, dai3 die so OR wiederholte Aussage, seine Erfolge seien nur auf Gluck zuriickzufiihren, einen mahren Kern enthalt, den er - und das ist wesentlich zum Verstandnis seiner Person- lichkeit - nicht unerwahnt lassen wollte. Tatsachlich ist seinem wissenschafilichen Fleifl und der Exaktheit seiner Arbeit mancher gluckliche Umstand zu Hilfe ge- kommen.

Max Planck hat ihm, als er sich einmal in dieser Richtung ade r t e , geantwortet, dai3 es sehr wohl Verdienst ohne Gliick, aber niemals Gluck ohne Verdienst geben konne.

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