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DAS PROBLEM DER MYOPIGENESE,) VON PROF. DR. G. LEVINSOHN, TcbAviv, Peltotine. Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Problem der Myopies genese in den letzten Jahrzehnten eine machtige Forderung err halten hat. Wenn es trotzdem nicht gelungen ist, die erhebs lichen Fortschritte in der Erkenntnis dieser Frage auszunutzen und im Kampfe gegen die Myopie fruchtbar zu machen, ein Ziel, das jedem Zweige der medizin. Wissenschaft als Endziel vorschwebt, so liegt der Hauptgrund darin, dass die meisten Autoren, die sich mit der Myopiegenese beschaftigt haben, dieser Frage im wesentlichen nicht objektiv genug gegenuberr getreten sind. Teils waren es alte, eingewurzelte Anschauungen, von denen sie sich nicht loslosen konnten, teils lag der Grund in der Ueberzeugung, dass die Myopie eine rein erblich bes dingte Anomalie darstellt, die in Bezug auf ihre Genese ganz allein unter dem Gesichtspunkte der Erbforschung zu losen ist. Dieser Mange1 an Objektivitat fuhrte dam, das heute in der Frage der Myopiegenese schon feststehende Tatsachenmaterial entweder in wesentlichen Punkten zu ubersehen oder unges niigend zu werten und Schlussfolgerungen zu ziehen, welche sich von dem Tatsachenmaterial weit entfernen, ja diesem dir rekt widersprechen. Was zunachst die Frage der Vererbung bei der Myopies genese anbetrifft, so liegt es auf der Hand, dass selbst eine weitgehende Losung der hereditaren Verhaltnisse die z. Zt. noch im weiten Felde liegt, kaum imstande sein wird, den Kampf gegen die Kurzsichtigkeit merkbar zu beeinflussen. Eine eins zige sichere Tatsache, welche als ursachlich fur die Entstehung *) Eingegangen am 1. Juli 1934.

DAS PROBLEM DER MYOPIGENESE

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DAS PROBLEM DER MYOPIGENESE,)

VON PROF. DR. G. LEVINSOHN,

TcbAviv, Peltotine.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Problem der Myopies genese in den letzten Jahrzehnten eine machtige Forderung err halten hat. Wenn es trotzdem nicht gelungen ist, die erhebs lichen Fortschritte in der Erkenntnis dieser Frage auszunutzen und im Kampfe gegen die Myopie fruchtbar zu machen, ein Ziel, das jedem Zweige der medizin. Wissenschaft als Endziel vorschwebt, so liegt der Hauptgrund darin, dass die meisten Autoren, die sich mit der Myopiegenese beschaftigt haben, dieser Frage im wesentlichen nicht objektiv genug gegenuberr getreten sind. Teils waren es alte, eingewurzelte Anschauungen, von denen sie sich nicht loslosen konnten, teils lag der Grund in der Ueberzeugung, dass die Myopie eine rein erblich bes dingte Anomalie darstellt, die in Bezug auf ihre Genese ganz allein unter dem Gesichtspunkte der Erbforschung zu losen ist. Dieser Mange1 an Objektivitat fuhrte dam, das heute in der Frage der Myopiegenese schon feststehende Tatsachenmaterial entweder in wesentlichen Punkten zu ubersehen oder unges niigend zu werten und Schlussfolgerungen zu ziehen, welche sich von dem Tatsachenmaterial weit entfernen, ja diesem dir rekt widersprechen.

Was zunachst die Frage der Vererbung bei der Myopies genese anbetrifft, so liegt es auf der Hand, dass selbst eine weitgehende Losung der hereditaren Verhaltnisse die z. Zt. noch im weiten Felde liegt, kaum imstande sein wird, den Kampf gegen die Kurzsichtigkeit merkbar zu beeinflussen. Eine eins zige sichere Tatsache, welche als ursachlich fur die Entstehung

*) Eingegangen am 1. Juli 1934.

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der Kurzsichtigkeit einwandsfrei nachgewiesen ist, und durch deren Ausschaltung die Entstehung und Verbreitung der My05 pie wirksam bekampft werden kann, wiegt naturgemass erhebr lich schwerer, als noch soviele Erbstatistiken, aus denen die Art und Weise der Vererbung mehr oder weniger plausibel ges macht wird. Dabei mag darauf hingewiesen sein, dass gegens uber der ungeheuren Verbreitung der Kurzsichtigkeit die biss herigen Statistiken einen ganz winzigen Raum einnehmen, und dass hierin wohl die Ursache liegt, wenn wir in Bezug auf die Vererbung so zahlreichen, verschiedenen, sich mehr oder we. niger widersprechenden Auff assungen begegnen. Aber in einem Punkte kann man erfreulicherweise auch hierin jetzt eine mehr oder weniger grosse Uebereinstimmung feststellen, das ist die Tatsache, dass selbst die grossten Erbfanatiker neben der ers blichen Bedingtheit wenigstens fur einen grosseren Teil der Myopie das Vorhandensein eines ausseren Moments der Ums welt nicht mehr vollkommen ausschliessen. Auffassungen wie denjenigen von Steiger, der ganz kategorisch alle Momente bei der Myopie ausschliesst, von Greeff >>Die Myopie ist ein Vers hangnis, an dem wir mit unseren unzulanglichen Mitteln nichts werden andern konnen, in dem Keimplasma ist es schon bes stimmt, welche Refraktion oder welchen Grad ein Mensch be5 kommtcc oder von Siegrist: &chon bei der Geburt bringt jedes Kind die Bedingungen zu seiner spateren Refraktion durch Vererbung mit sich. Ausserliche Einflusse im einzelnen spielen garkeine Rolle mehrcc begegnen wir heutigem Tages nicht mehr. Der Grund hierfur ist durch die Tatsache bedingt, dass bei allen Myopiestatistiken trotz aller Manipulationen und Kors rekturen, die mit diesen vorgenommen sind (Herausnahme der Konusaugen, Herausnahme aller Myopien uber - 6 D., M a w nahmen, die als rein willkurlich angesehen werden mussen) die ,entstehenden Myopiekurven weder rein binominal symmer trisch sind, was bei einer rein erblichen Bedingtheit zu err warten ware, noch einen rein symmetrischen Charakter ubers haupt aufweisen. Es mag nur auf die Arbeit Brinitzed) him gewiesen sein, der an einem grosseren Material meiner Ams bulanz gezeigt hat, dass die Variabilitatstheorie Steigers das

*) Brinitker: Arch. f. Augenheilk. 102 (1930).

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Zustandekommen der Refraktion erklart, nur solange das Auge wachst.

Herrscht demnach daruber Klarheit, dass bei einem Teil der Myopie das Auftreten der Kurzsichtigkeit von ausseren Faks toren abhangt, so begegnen wir andererseits dieser Einmutigkeit auch mit Rucksicht auf den Brechungsfaktor, welcher im wes sentlichen die Myopie verursacht. Die Priifung ihrer Myopws statistiken auf den fur die erhohte Brechung in Frage koms menden Faktor hat die verschiedenen Autoren zu der Uebers zeugung gefuhrt, dass das Zustandekommen der Myopie im wesentlichen von einer Verlangerung der sagittalen Achse abs hangt. Dabei sind die betreffenden Autoren in der Regel die Beantwortung einer Anzahl Fragen schuldig geblieben, die sich dem unbefangenen Beobachter der eben angefuhrten Tatsache aufdrangen: Wie kommt es, dass wahrend die Hornhautachsen im wesentlichen schon nach wenigen Jahren unverandert bleis ben, die sagittale Achse viele Jahre nachher noch ganz erhebs liche Veranderungen durchmacht? Wie kommt es, dass diese Achse mehr oder weniger zunimmt zu einer Zeit, in welcher das Wachstum des Auges schon zum allergrossten Teile abges schlossen erscheint? Wie kommt, es dass von den Achsen des Auges immer nur die sagittale diese Verlangerung durchmacht, wahrend die anderen Achsen mehr oder weniger unverandert bleiben? Und wenn man selbst annimmt, dass das Wachstum des Auges demjenigen des Korpers entspricht, was bestimmt nicht der Fall ist, und wenn man analog einem erhohten Langens wachstum des Korpers ein solches beim Auge in vielen .Fallen voraussetzt, wie kommt es, dass nicht die entsprechende Vertir kals sondern die Sagittalachse dieses unregelmassige Wachstum durchmacht? Alle diese Fragen konnen vom erbbiologischen Ges sichtspunkte aus uberhaupt nicht beantwortet werden, sondern lassen nur die eine Schlussfolgerung zu, dass namlich die Vers langerung der sagittalen Achse von einem ausseren Moment abhang t.

Dieses Moment fetstzustellen, war seit jeher das eifrige Be. streben vieler Augenarzte, insbesondere in friiheren Zeiten. Dabei drangte sich vor allem den Myopieforschern die Tats sache auf, dass sich die Myopie vbrzugsweise im Verlaufe ans gestrengter Naharbeit im jugendlichen Alter entwickelt. In der

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Tat gibt es in der gesamten Myopielitteratur kaum eine Ers fahrung, die durch zahlreiche klinische Beobachtungen und ums fangreiche Statistiken so gut erhartet ist, wie die Feststellung, dass sich die Myopie sehr haufig in der Schule entwickelt, zum mindesten aber durch diese gefordert wird. Die Versuche, diese Tatsache auf Elimination und Selektion zuriickzufuhren, haben sich als Kunsteleien erwiesen und der Kritik nicht standger halten.

Auf der Tatsache der nahen Beziehung zwischen Myopies genese und Naharbeit sind die meisten Myopietheorien aufs gebaut worden. Man stellte sich vor, dass bei der Naharbeit entweder die ausseren Muskeln wahrend der Konvergenz oder der Ciliarmuskel wahrend der Accomodation den intraocularen Druck erhohten und so das Auge allmahlich verlangerten. Die absolute Unrichtigkeit dieser Theorien ist aber durch zwei sichere Tatsachen einwandfrei erwiesen: einmal dadurch, dass bei der Accomodation der Druck unverandert bleibt (Hess und Heine), und dass bei der Convergenz der Druck sich gleichfalls nicht oder nur sehr minimal erhoht (Levinsohn, Wessely), und zweii tens durch die Tatsache, dass die durch Druck bedingten Verr anderungen von denjenigen, die wir bei der Myopie beobachs ten, grundverschieden sind.

Von weiteren Theorien mag an dieser Stelle abgesehen wers den. Es handelt sich fast durchweg um reine Hypothesen und vage Vermutungen, die sich auf die Deutung des einen oder anderen Symptomes stutzen, die aber jeder exacten Beweisr fiihrung ermangeln. Gegenuber dem volligen Versagen der biss herigen hat die vom Verfasser aufgestellte Theorie, nach wels cher die Verlangerung der Achse von der Beugung des Rumpfes und Kopfes abhangt, das uber der Myopie schwebende Dunkel alfgehellt, sie ist auf sicheren Tatsachen aufgebaut. Die Be. weisfuhrung ist eine zwingende, sie stutzt sich:

1. auf die Tatsache, dass das Auge bei der Rumpfr und Kopfr beugung nach vorne fallt (Levinkohn, BirchiHirschfeld, Dins ger). Dieses Vorfallen, ist, wie ich experimentell nachweisen konnte, durch starkere Blutansammlung in der Orbita, SO^

wie durch das Gewicht des Bulbus bedingt. Die bei der Rumpfr und Kopfbeugung in Funktion tretenden Hemmungss

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vorrichtungen (Lider, Bindegewebe, Gefasse, Nerven, Mus skeln) sind nicht imstande, das Vorfallen des Auges ganz zu unterbinden. Auch die Schlangelung des Sehnerven, die bei der Myopie nicht selten gefunden wird und mit Rucks sicht auf die Zerrwirkung sogar von vorneherein erwartet werden muss, kann diese Zerrwirkung nicht aufheben, weil einmal der Sehnerv in der Mehrzahl der Falle wahrend der Konvergenz gestreckt ist, weil der Sehnerv wahrend des Lebens eine natiirliche Starre besitzt, und weil schliesslich die kurzen Ciliarnerven und Gefasse beim Vorfallen des Auges gespannt werden und diese Spannung auf den hintes ren Pol iibertragen. Wenn die durch das Vorfallen des Auges hervorgerufene Zerrwirkung auch nur gering ist, so muss eine unendlich oft sich wiederholende Wirkung zu einer allmahlichen Dehnung des Auges am Eintritt des Sehs nerven fiihren.

2. Mit der Tatsache, dass die Dehnung des kurzsichtigen Auges immer am Sehnerveneintritt und zwar in der Regel am terns poralen Rande einsetzt, stimmt der Umstand iiberein, dass bei der Rumpfs und Kopfbeugung die in Erscheinung tres tende Schwerkraft den Bulbus nach unten und innen zu vers schieben sucht und demgemass den temporalen Rand des Sehnerveneintritts in erster Linie angreift. Abgesehen von den Versuchen Esseds und Krassmollers, welche die bei der Rumpfs und Kopfbeugung auftretenden Krafte an einer duns nen Gummiblase physikalisch analysiert und prazisiert has ben, habe ich an einer doppelwandigen mit Wasser gefiillten und an einem dicken Schlauch hangenden starkeren Gummis kapsel den Nachweis gefiihrt,') dass die Schwerkraft auf die nach innen und unten gerichtete Kapsel genau im Sinne der myopischen Veranderungen einwirkt: leichte Verschies bung des nasalen Schlauchrandes nach innen, Verbreiterung des ausseren Schlauchrandes, leichte Streckung der vom tems poralen Schlauchrande nach auswarts verlaufenden Ges f asse.

3. Der wichtigste Beweis fur die Richtigkeit der von mir aufs gestellten Theorie ist der Tierversuch, dem seit jeher fur

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*) G. Levinsohn: Internat. Ophth. Congr. Barcelona 1933.

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den Nachweis der Richtigkeit eines medizinischen Problems die grosste Bedeutung zukommt. Dabei muss vorausgesetzt werden, dass der Versuch exakt und eindeutig ausfallt. Von meinen mit positivem Resultat ausgefiihrten Versuchen an jungen Hunden, Katzen und Kaninchen, die von Possek bes statigt worden sind, will ich absehen, da die Versuchsanr ordnung eine zu briiske war, und demgemass die Wirkung der Schwerkraft auf das Auge nicht ganz sichere Schliisse zulasst. Meinen Versuchen an Affen kommt dagegen eine volle Beweiskraft zu: 1. Die Versuchsanordnung war eine absolut physiologische. Sie bestand nur darin, dass die Tiere fur einige Stunden des Tages langere Zeit in der Horizontals stellung gehalten wurden. 2. Die Versuche sind an Augen gemacht, die mit denjenigen des Menschen eine besonders grosse Aehnlichkeit besitzen (Affen). 3. Die Versuche sind in grossem Umfange von anderen Autoren nachgepriift und bei objektiver Betrachtung der Resultate in vollem Umfange bestatigt worden.

a) Um den Ausfall der Untersuchungen wiirdigen zu kons nen, ist zunachst das normale Vorkommen der Myopie bei Affen zu beriicksichtigen. Auch hieriiber liegen schon seitens der verschiedensten Autoren zahlreiche exakte Untersuchungen vor, die einen Vergleich mit den kiinstlich myopisch gemachten Affenaugen sehr wohl ermoglichen. Wie ich im Bericht des ins ternationalen Ophtalmologen Kongresses in Barcelona 1933 mits teilte, sind, wenn man die kiinstlich kurzsichtiggemachten Tiere ausschliesst, im ganzen 154 Affen der verschiedensten Art auf ihre Refraktion genau untersucht worden (Stargard 7, Levins sohn 3, Essed 8, Essed und Soewarno 5, Marchesani 17, Behr 25, Jablonsky 29, Tamura 60*). Der Prozentsatz von kurzsichtigen Tieren betrug 16.

b) Durch die von mir angegebene Versuchsanordnung was es bei 32 jugendlichen Affen (Levinsohn 4, Essed und Soewarno 7, Marchesani (incl. der Umdrehungsversuche) 9, Tamura 12) gelungen, durch Horizontalstellung der Augen 20 ma1 d. h. in

. *) Tamura, Koichiro: Acta Soc. ophthalm. jap. 36 (1932).

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63 % einwandsfrei Kurzsichtigkeit zu erzeugen, resp. diese zu erhohen.

c) Im krassen Gegensatz hierzu ist bei 20 Kontrolltieren (Levinsohn 2, Essed 8, Essed und Soewarno 3, Marchesani 3, Tamura 4) nicht in einem Falle unter den gleichen Bedingungen das Auftreten von Kurzsichtigkeit beobachtet worden, und nur bei 2 von diesen Tieren (Marchesani), die schon von vorner herein etwas kurzsichtig waren, wurde eine geringe Zunahme der Kurzsichtigkeit festgestellt. Es war daher ein Trugschluss von Marchesani, dass er bei dem geringen Material, uber das e r verfiigte, ganz abgesehen davon, dass die Anstellung seiner Kontrollversuche mit einer gewissen Fehlerquelle verbunden war, das spontane Vorkommen von Myopie bei Affen mit 66*/,% in seine Rechnung eingestellt hat. Dass die Resultate der einzelnen Autoren, welche die Affenversuche angestellt has ben, leichte Schwankungen aufwiesen (Levinsohn unter Ausr schaltung der friihzeitig eingegangenen Tiere 100%, Essed und Soewarno 71 %, Marchesani 71 %, Tamura 50%) kann nicht weiter iiberraschen, da ja bei jedem Tierversuch Bedingungen und Tiermaterial durchaus nicht immer mit einander vollig identisch sind und sein konnen. Wenn z.B. Tamura nur in 50% seiner Versuche Affen myopisch gemacht hat, so ist das umso eher verstandlich, als er bei den 46 Affen des zoologis schen Gartens in Kunamoto, die seinen Versuchstieren an Art und Reaktions weise allem Anschein nach sehr nahe standen, nur bei 3 Tieren also in 6% eine Kurzsichtigkeit beobachtet hat, wahrend z.B. Marchesani bei 9 Versuchstieren 7 ma1 das Auftreten von Kurzsichtigkeit festgesellt, gelegentlich aber auch bei 6 Affen, die nichts mit dem Versuche zu tun hatten 5 ma1 Myopie beobachtet hat. Gerade diese Gegenuberstellung zeigt, dass abgesehen davon, dass bei kleinen Zahlen der Zufall eine Rolle spielt, die verschiedenen Tiere verschieden auf den Vers such reagiert haben. Nur eine grossere Zahlenreihe wie sie jetzt vorliegt, ist imstande, das Vorkommen von Myopie bei Affen im allgemeinen und ihre Reaktionsweise auf den Vers such zp illustrieren.

Die zahlreichen Refraktionsbestimmungen an Affen und die nicht geringe Anzahl positiv ausgefallener Tierversuche unter

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Berucksichtigung der mit diesen einhergehenden Kontrollvers suche, uber die wir nunmehr verfugen, sprechen eine vollig klare Sprache. Sie lehren, dass an dem Zustandekommen von Myopie bei Affen durch vorubergehende Horizontalstellung der Augen ein Zweifel nicht mehr moglich ist. Wenn es aber dennoch Myopieforscher gibt, welche die Beweisfuhrung resp. die Richs tigkeit der angefuhrten Tatsachen in Zweifel ziehen, so genugt nicht mehr ein bliebiger, mehr oder weniger berechtigter Eins wand, (die im ubrigen alle von mir widerlegt sind) oder eine noch so schone spekulative Betrachtung, um meine Theorie uber Bord zu werfen, sondern der Autor ist bei der Fulle des ihm gegenuberstehenden Beweismaterials verpflichtet, an der Hand neuer und zahlreicher Versuche den Gegenbeweis zu err bringen. Ein solches Unternehmen ware sehr zu begrussen und wiirde bestimmt dazu beitragen, diese so wichtige Materie noch weiter zu klaren und zu verankern.

Eine grosse Bedeutung in der Myopiefrage kommt naturs gemass dem anatomischen Befunde zu, der am kurzsichtigen Auge in besonders charakteristischer Form klinisch durch den Conus reprasentiert wird. Da aber das Auftreten des Conus und conusahnlicher Veranderungen am Papillenrande bekannts lich auch bei nichtkurzsichtigen Augen beobachtet wird, solche oder ahnliche Veranderungen nicht selten angeboren sind, so bildet die Beantwortung der Frage, ob der Conus im allgel meinen eine spezifische Veranderung fur Myopie darstellt, ges wisse Schwierigkeiten. Mit Rucksicht darauf, dass die meisten Augen von Neugeborenen hypermetropische Refraktion bes sitzen, welche in der Mehrzahl der Falle in Emmetropie oder in Myopie ubergeht, kann es nicht uberraschen, dass manches von vorneherein starker hypermetropische Auge sich im Laufe der Zeit allmahlich in ein emmetropisches oder weniger hypers metropisches Auge verwandelt und dabei die Zeichen einer Myopisierung auf weist.

Um festzustellen, ob wir es bei den Veranderungen des myopischen Auges mit angeborenen, durch das Wachstum veri grosserten Anomalien zu tun haben, oder ob diese im wesents lichen durch den Myopisierungsprozess hervorgerufen sind, ist zunachst das Verhalten des Sehnerveneintritts am Neugebores nen, am fast ausgewachsenen und am Auge nach beendigtem

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Korperwachstum in Vergleich zu stellen. Dabei gehen wir auf Grund der bisherigen Untersuchungen von der Voraussetzung aus, dass das Wachstum des menschlichen Auges nach beens digtem 4. Lebensjahr nur noch sehr geringe Fortschritte macht. Die Untersuchungen sind ausgefuhrt an 100 Neugeborenen und 160 Augen von Kindern im Alter von 4-6 Jahren. Es konnte festgestellt werden, dass die Refraktion von Neugeborenen und Kindern im 5-7. Lebensjahre im wesentlichen die gleiche bleibt: Ueberwiegen der Hypermetropie, (die bei den 4-6 jaht rigen etwas geringer ist), grosse Seltenheit der Myopie. Auch das Auftreten von Veranderungen am Papillenrande %aterg scheidet sich bei den 4-6 jahrigen Kindern nur wenig von dem der Neugeborenen. Ausgesprochene Veranderungen, wie sie bei Erwachsenen und namentlich bei erwachsenen Myopen vors kommt, also Coni, werden bei Neugeborenen ebenso wie bei Kindern von A Jahren fast garnicht beobachtet. Da das Wachstum des Auges bei letzteren im wesentlichen abgeschlosc sen ist, konnen die groberen Veranderungen des Papillenrandes bei Erwachsenen nicht als angeborene, durch das Wachstum vergrosserte Anomalien angesehen, sondern mussen auf eine Schadigung der Umwelt im spateren Leben zuruckgefuhrt wers den.

Die histologische Untersuchung der von mir, Essed und Soewarno kunstlich kurzsichtig gemachten Tiere einerseits, der Tamura’schen Affen andererseits, hat in Bezug auf die Ents stehung des Conus durch den Tierversuch volle Uebereinstimc mung ergeben. Dass neben den kunstlich erzeugten Veranc derungen noch solche von untergeordneter Bedeutung einhers gehen, die als angeborene anzusehen sind, wie das auch bei menschlichen Augen nicht selten beobachtet wird, lasst die Tatsache unberuhrt, dass bei der kunstlich erzeugten Myopie am temporalen Rande der Papille fruhzeitig eine Rarefikation des Pigmentepithels und leichte Atrophie der Aderhaut aufr zutreten pflegt und selbst dort schon angetroffen ,wird, wo der Conus noch garnicht ophtalmoskopisch sichtbar ist. Aber auch die schwereren Veranderungen des‘ Papillenrandes (Abs schleifung der temporalen Sklerakante, Sehnervenfaserschleife und Refraktion der Elastica), die wir von der Anatomie des

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hochgradig kurzsichtigen Menschenauges kennen, werden, wie meine Untersuchungen in uber aus anschaulicher Weise gezeigt haben, am kunstlich kurzsichtig gemachten Aff enauge anges troffen. Dass diese fur Myopie sehr charakteristischen Vers anderungen mit den von Scheerer') am normalen Auge erhobes nen Befunden nur eine sehr oberflachliche Aehnlichkeit be. sitzen, ist bei einem Vergleich des anatomischen Substrats seiner und meiner Untersuchungen ohne weiteres ersichtlich.

Kann demnach an einem Zustandekommen der histologis schen Veranderungen bei der kunstlich erzeugten Kurzsichtigs keit der Affen im Sinne der Myopie auf Grund des vorliegens den Materials nicht mehr gezweifelt werden, so bietet auch der Modus, nach welchem man sich die kntwicklung dieser Vers anderungen vorstellen muss, keine Schwierigkeiten. Dass es nicht die intraoculare Drucksteigerung sein kann, wie immer noch vermutet wird (Tamura), habe ich schon oben hervors gehoben (Fehlen des intraocularen Drucks, absolute Verschies denheit der Papillenveranderung bei Myopie und Glaukom). Aus den von mir mitgeteilten histologischen Befunden geht mit allergrosster Wahrscheinlichkeit hervor, dass die Veranderuns gen am Papillenrande Dehnungserscheinungen darstellen, und es durfte kaum moglich sein, fur diese Dehnung eine andere Ursache anzuschuldigen als die auf das horizontal gestellte Auge wirkende Schwerkraft.

Sollte aber in der Tat eine solche andere Kraft gefunden werden, was wenig wahrscheinlich ist, so ist trotzdem durch den Tierversuch der einwandfreie Beweis geliefert worden, dass die Horizontalstellung des jugendlichen Auges im hohen Grade myopisierend wirkt. Und, da wir bisher kein anderes Moment kennen, so muss mit aller Energie der Kampf gegen die Kurzs sichtigkeit auf der Basis unserer sicheren und positiven Kennts nisse gefuhrt werden. Dieser Kampf wird abgesehen von einer Starkung der Widerstandsfahigkeit des jugendlichen Auges durch allgemeine Kraftigung und Gymnastik des Gesamts organismus vor allem darauf gerichtet sein mussen, die Rumpf und Kopfbeugung beim wachsenden Individuum mit allen Mits teln zu unterbinden. .

*) Scheerer: Arch. f. Ophthalm. 124, 53 u. Levinsohn: Arch. f. Augenheilk. 104, 82.