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(Aus den Krankenanstalten der Provinz Triest.) Das Schicksal des aufsteigenden Lipjodols. Von Dr. M. Gortan und Dr. G. Saiz. Mit 2 Textabbildungen. (Eingegangen am 17. Oktober 1927.) Zwei jfingst in deutschen medizinischen Gesellschaften gehaltene Vortr~ge fiber aufsteigendes Lipjodol bzw. Jodipin (Berl. Ges. ffir Psych. u. Neur., Sitzung vom 13. III. 1927; Gesellschaft der J~rzte in Wien, Sitzung vom 24. VI. 1927) veranlassen uns, zu einigen der dort auf- geworfenen Fragen Stellung zu nehmen, indem wir zun~chst auf eine yon uns im Policlinico (Sezione medica 1926, Nr. 6) verSffentlichte Arbeit hinweisen. Wir haben bei 10 Geisteskranken Lipjodol ascendens in wechselnder Menge (von 5--20 ccm) toils auf lumbalem Wege, tells durch Sub- occipitalstich eingeffihrt. Wahrend das lumbal injizierte in allen Fallen in die Hirnkammern gelangte, wenn auch zweimal in recht geringer Menge, blieb in zwei yon den drei suboccipital injizierten Fallen die Ventrikelffillung vollends aus. Dies zuni~chst paradox anmutende Ver- halten kann vielleicht darin die Erkl~rung finden, da6 beim Suboccipital- verfahren Luft sehr leicht spontan in die Hirnkammern gelangt. Wir haben namlich vor der Lipjodolinjektion immer dieselbe Liquormenge durch Aspiration entnommen ;nach Abnahme der liquorgeftillten Spritze hSrte man nun beim Suboccipitalverfahren ein deutliches Zischen, in- dem durch den im Innern der Schadelh6hle gesetzten negativen Druck Luft eingesogen wurde; bei der RSntgenuntersuchung fand sich nun tatsKchlich die Luft im Ventrikelraum vor. Die Druckverh~ltnisse im Schadelinnern wurden dadurch derart verschoben, dal3 das nachtrag- lich injizierte Lipjodol nicht immer in die Hirnkammern gelangte. Man ran6 somit unmittelbar vor Abnahme der liquorgeffillten Spritze den Hahn der Punktionsnadel absperren, wenn man den spontanen Eintritt der Luft verhindern will. In den 6 yon den 10 injizierten F/~llen land man das Lipjodol an der konvexen Hirnfl~che vor; es verfangt sich aber hier gleich in den pio- arachnoidealen Maschen und wird dadurch am weiteren Aufsteigen 1/~ngs der Hirnw6lbung verhindert. Nur bei Verschm/ilerung der Him-

Das Schicksal des aufsteigenden Lipjodols

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(Aus den Krankenanstalten der Provinz Triest.)

Das Schicksal des aufsteigenden Lipjodols. Von

Dr. M. Gortan und Dr. G. Saiz.

Mit 2 Textabbildungen.

(Eingegangen am 17. Oktober 1927.)

Zwei jfingst in deutschen medizinischen Gesellschaften gehaltene Vortr~ge fiber aufsteigendes Lipjodol bzw. Jodipin (Berl. Ges. ffir Psych. u. Neur., Sitzung vom 13. III. 1927; Gesellschaft der J~rzte in Wien, Sitzung vom 24. VI. 1927) veranlassen uns, zu einigen der dort auf- geworfenen Fragen Stellung zu nehmen, indem wir zun~chst auf eine yon uns im Policlinico (Sezione medica 1926, Nr. 6) verSffentlichte Arbeit hinweisen.

Wir haben bei 10 Geisteskranken Lipjodol ascendens in wechselnder Menge (von 5--20 ccm) toils auf lumbalem Wege, tells durch Sub- occipitalstich eingeffihrt. Wahrend das lumbal injizierte in allen Fallen in die Hirnkammern gelangte, wenn auch zweimal in recht geringer Menge, blieb in zwei yon den drei suboccipital injizierten Fallen die Ventrikelffillung vollends aus. Dies zuni~chst paradox anmutende Ver- halten kann vielleicht darin die Erkl~rung finden, da6 beim Suboccipital- verfahren Luft sehr leicht spontan in die Hirnkammern gelangt. Wir haben namlich vor der Lipjodolinjektion immer dieselbe Liquormenge durch Aspiration entnommen ;nach Abnahme der liquorgeftillten Spritze hSrte man nun beim Suboccipitalverfahren ein deutliches Zischen, in- dem durch den im Innern der Schadelh6hle gesetzten negativen Druck Luft eingesogen wurde; bei der RSntgenuntersuchung fand sich nun tatsKchlich die Luft im Ventrikelraum vor. Die Druckverh~ltnisse im Schadelinnern wurden dadurch derart verschoben, dal3 das nachtrag- lich injizierte Lipjodol nicht immer in die Hirnkammern gelangte. Man ran6 somit unmittelbar vor Abnahme der liquorgeffillten Spritze den Hahn der Punktionsnadel absperren, wenn man den spontanen Eintr i t t der Luft verhindern will.

In den 6 yon den 10 injizierten F/~llen land man das Lipjodol an der konvexen Hirnfl~che vor; es verfangt sich aber hier gleich in den pio- arachnoidealen Maschen und wird dadurch am weiteren Aufsteigen 1/~ngs der Hirnw6lbung verhindert. Nur bei Verschm/ilerung der Him-

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windungen mit Erweiterung der Hirnfurchen, wie sie den atrophischen Hirnprozessen eigen ist, steigt das Lipjodol seitlieh li~ngs der Hirnober. fl~ehe weiter aufwi~rts, gelangt aber fast nie fiber die untere Hi~lfte der HirnwSlbung hinaus.

In einem Falle (Hirnerweichung bei einer Trinkerin) kam es 3 Mo- nate naeh suboccipitaler Einffihrung yon 10 cem aufsteigenden Lipjo- dols zum Exitus infolge Enterocolitis. Bei der LeichenSffnung land man an der Hirnbasis entsprechend der Cisterna chiasmatis, interpeduncu- laris und an der Sylvischen Spalte reichlich Lipjodol in Form einer grau- gelblichen Masse, die zunachst den Eindruck eines eitrigen Exsudates maehte; an den Ventrikelwandungen, namentlich im Bereich der Vor- derhSrner, bildete das Lipjodol einen dfinnen, schmutziggelben Belag. Bei tier durch Dokt. Licen vorgenommenen histologischen Untersuchung fand man stellenweise das Ependym des Infundibulum gewuehert und in der Tiefe des Infundibulum ein kleines aus Fettgewebe bestehendes KnStchen, das vielleicht mit dem injizierten Lipjodol im Zusammenhang stehen kSnnte; sonst waren die Ventrikelwandungen kaum veri~ndert. Dagegen bestand an der Basis eine offenbar durch das Lipjodol bedingte plastisehe Arachnoiditis mit Bildung yon zellreiehem Granulations- gewebe und zahtreichen Makrophagen, die lipoide Substanzen und gel- bes Pigment einschliel~en.

Ober einen weiteren Fall, der 20 Monate nach der Lipjodoleinfiihrung zum Exitus kam, soll hier berichtet werden. Es ist dies Fall 9 unserer oben angefiihrten VerSffentlichung mit den Abb. 25--28.

49ji~hrige Frau mit progressiver Paralyse. Malaxiabehandlung brachte bloB vorfibergehende Besserung. Am 30. VII. 1925 wurde durch Lendenstich 10 ccm Lipjodol ascendens eingefiihrt, das die erweiterten Seitenkammern und den 3. Ven- trikel deutlich zur Anschauung brachte; das Lipjodol gelangte li~ngs zahlreicher Hirnfurchen auch an die Hirnoberfli~che, drang abet nicht fiber die untere Hfilfte der konvexen Hirnfli~che hinaus; an der Basis war kein Lipjodol nachweisbar. Am 1. IX. 1925 wurde zur Kontrolle eine Encephalographie auf lumbalem Wege mit 70 ccm Luft durchgefiihrt; mit dem entnommenen Liquor wurde eine gewisse Menge des frfiher eingeffihrten Lipjodols fortgeschwemmt. Immerhin blieb noch, wie das RSntgenbild bewies, vieles an den Ventrikelwandungen und in den Hirn- furehen haften. Am 31. III. 1927 ging die Frau an paralytischem Marasmus zugrunde.

Bei der Sektion land man 1/~ngs vieler Furchen an der Hirnbasis und an der unteren Hi~lfte tier HirnwSlbung sowie an der Ineisura cerebelli das Lipjodol in Form einer schmutziggelblichen, eiteri~hnlichen Masse; in den Hirnkammern fiberzog das Lipjodol stellenweise die Wandungen in dfinner Sehicht, anderwiirts, und zwar besonders an den Htirnern und am Plexus chorioideus, bildete es diehtere, kriimlige, graugelbliche Massen, die ziemlich lest an den Wandungen hafteten, so da6 sie noch nach 6monatiger Formalinhi~rtung des Gehirns dort naehweisbar sind. Die histologische Untersuchung steht noch aus.

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Gleich nach der Leichen6ffnung wurde das Gehirn, in Gaze gehiillt, radiographiert. Bei der Seitenaufnahme (Abb. 1) bitdet das Lipjodol an der konvexen F1/tche bis zum Stirnpol ein feines Maschenwerk l~ngs zahlreieher Hirnfurchen und in der Schl~fenlappenprojektion eine

dickere, fortlaufende Linie, die sich nach hinten gabelt. An manchen Stellen gewinnt man den Eindruck, als ob das Lipjodol ein Gef/~l~ be- gleiten wiirde, so z. B. im Bereich des Scheiteilappens an der h6ehsten vom Lipjodol erreiehten Stelle. Die Umrisse der Seitenkammern wer- den dureh 4 schwammige, 1--3 cm voneinander abstehende, bogen-

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fSrmig angeordnete Massen dargestellt. Die IV. Hirnkammer hebt sich sehr sch6n ab als helles Dreieck, enth~lt aber kein Lipjodol. Etwas Lipjodol ist an den Gyri cerebelli nachweisbar.

An der Basisaufnahme (Abb. 2) sieht man das Lipjodol der Hirn- fllrchen blo[3 an den lateralen H~lften der beiden Grol3hirnha]bkugela

Abb. 2.

und am Stirnpol; deutlich ist es an der Incisura cerebelli nachweisbar. - - Das Lipjodol in der Mittellinie des Grol3hirns liegt zum geringen Tell in den basalen Zisternen, zum Teil in hSheren Ebenen, und zwar k6nnte jenes zwischen Briicke und Chiasmaprojektion dem III . Ventrikel, jenes hinter der Briickenprojektion der Cisterna venae cerebri magn~e anter dem Balkenwulst entsprechen.

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Die Seitenventrikel sind in ihren hinteren unteren Anteilen durch die schwammigen, paramedianen Massen, die zum Hinterhauptslappen bzw. gegen die Spitze des Schl~fenlappens ziehen, deutlich gekenn- zeichnet. Die VorderhSrner sind an den zarteren Massen im Stirn- lappen neben der Mittellinie erkennbar.

Es ist somit das aufsteigende Lipjodol noch 20 Monate nach der Einfiihrung reichlich in den Ventrikeln und an den Hirnfurchen nach- weisbar, obwohl nach einem Monat ein Teil desselben bei Ausfiihrung der Encephalographie weggesptilt w0rden war. Das feine Lipjodolnetz an der Hirnoberflgche erwies sich bei der RSntgendurchleuchtung des aus dem Sch~del entnommenen Gehirnes viel reichlicher und weit- verzweigter, als man bei der Radiographie in vivo h~tte annehmen kSnnen, weft der Knochenschatten das zarte, in dtinner Schicht zer- streute Lipj. ascendens iiberdeckte.