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DIE NATURWISSENSCHAFTEN x9. Jahrgang I. Mat x93 x Heft x8 Das sich ausdehnende Universum ~. Von W. DE SITTER, Leiden. I, In der klassischen Mechanik und Physik spielen Raum un'd Zeit keine andefe Rolle Ms die einer Art Hintergrund, auf welchen die physikalische Wirk- lichkeit projiziert wird, oder h6chstells eines neu- tralen, sie tragenden Gestelts. Demzufolge konnten hervorragende Mathematiker und Philosophen be- haupten, dab es unwesentlich set, welche yon den verschiedenen Raumarten, die die mathematische Wissensehaft zu unserer Verffigung stellt, als I3~tme fiir die Darstellung des zu spielenden Theaterstfickes gewahlt wird, und dab diese Wahl nicht dutch physikalische, sondern dutch Kon- venienzgrfinde oder philosophische Vorliebe -- oder Vorurteil -- bedillge wird. Die Relativitits- theorie brachte uns die Einsicht, dab Raum und Zeit llicht blo13 die Bfitme sind, auf welcher das Stfick gespielt wird, sondern selbst eine bedeutellde Rolle als Schauspieler im Sttick mitspielen. Die Be- ziehungen zwischenRaum, Zeit, 2vIaterie und Energie werden durch die Gleiclmngen derTheorle bestimmt, ulld folglich k6nnen wir nut solche Raumarten zulas- sen, die mit diesen Gleichungen tibereinsfimmen. Es ist nicht m6glich, die verschiedenen drei- dimensionellen Raumarten darzustellen oder sich vorzustellen. Wit glauben, dab wit eine Vor- stellung vom euklidischen oder flachen Raum haben; ich bin aber nicht sicher, dab dies keine Selbsttiuschung ist, die dutch die Tatsache her- vorgerufen wird, dab dessen Geometrie seit zweitausend Jahren und mehr in den Schulen ge- leI~t worden ist. Es ist sicher, dab Ifir physikali- sche Erscheinungen yon der Gr6Be, die unsere Sinnesorgane wahrzunehmen verm6gen, d.h. ffir weder zu Meine noch zu groBe Erscheinungen, der euklidische Raum eine sehr gute Ann~herullg des wirMiehen physikalischen Ranmes ist. Ftir das Elektron abet und ftir das Universum als Gauzes versagt die Ann~herung. Um uns zu helien, den dreidimensionellen Raum zu begreifen, k6nnen nns zweidimensionelle Analogien sehr dienlich sein (obgleieh manchmal auch irreleitend). Wir k6nnen uns verschiedene zweidimensionelle Raum- arten vorstellen, da wit in der Lage sind, uns a~fier- halb derselben zu stellen. Es ist daher nicht schwer, sich die Vnterschiede vorzustellen, die zwischen einem Stfick Papier und der Schale eines Eies exi- stieren. Man kann auf beiden Flicben Figuren: gerade Linien, Dreiecke usw. zeichnen, abet die Fignren auf dem Ei werden andere Eigen- schaften besitzen als diejenigen auf dem Papier. Auf dem Papier ist die Summe der Winkel eines 1Vom Verfasser zur ¥erftignng gestellte ~ibersetzung seines im Januarheft der Scientia (1931) ver6ffentlich- ±en Anfsatzes. Dreiecks zwei 1Rechten gleich; auf dem Ei ist sie gr613er. Auf dem Papier k6nnen wir unbeschrinkt in der gleichen Richtung fortschreiten; wenn wir auf deli1 Ei fortfahren, uns in der gleichen Rich- tung fortzubewegen, so sind wir frfiher oder sp~.ter gezwungen, zu unserem Ausgangspunkt zuriickzu- kornmen : das Papier ist unendlich, das t~i ist end- Itch. Ffir ein Wesen, das anf~hig w~re, die Eiober- fl~che oder das Papier zu verlassen, w~re es nicht m6glich, eine unmittelbare Vorstellung der Fliche zu haben, es k6nnte nur dutch das Studium der Eigenschaften der Dreiecke und Geraden ent- scheiden, auf weleher Fliche es lebt. Selbstver- st~ndlich mfiBten seine Dreiecke groB und seine Messungen pr~zis genug sein, urn die Unterschiede zu zeigen. Ein sehr Meines Stfick der Eisehale kann von einem Stfick flachen Papiers nicht unter- schieden werden. Ira dreidimensionellen Raum haben wir ebenfalls keine intuitive Kelllltnis der Raumart, in weleher wir leben, aber wir mfissen herausfinden, welcher Art er ist, durch das Studium der innerhalb desselben gezeichneten Dreiecke und anderer geometrischer Figuren. I)a wir mit dem physikalischen Raum zu tun haben, sind die Dreiecke, die wir zu untersuchen haben, diejenigell, die dureh die Spuren yon materiellen Partikeln und die Lichtstrahlen gebildet werden, und natfir- lich, um die verschiedenen Raumarten unter- seheiden zu k6mlen, mfissen wir sehr groBe I)rei- ecke untersuchen und Strahlen, die yon sehr ent- fernten Quellen kommen. I)aher mul3 die Ent- scheidung notwendigerweise yon den astronomi- schen Beobachtungen abh~ngen. Die versehiedenen IRaumarten Mud mathe- matisch besfimmt durch ihr Linienelement, und die Koeffizienten des Linienelements sind dutch Diiferentialgleichungen bestimmt, die der mathe- matische Ausdruck der gegenseitigen 13eziehungen zwischen Raum ulld Zeit eillerseits und 2¢Iaterie und Energie andererseits stud. Sehr bald nach Vollendung der Theorie wurde Et~STEIN dutch gewisse Grfinde philosophischer oder metaphysi- seher Natur veranlaBt, eine gewisse Gr6Be in diese Gleichungen einzuffihren, die mit dem griechischen Buchstaben .,lambda" bezeichnet und yon ibm ,,kosmologische t{onstante" benannt wurde. Die Theorie bedarf zwar dieser t{onstante, um mathe- matisch ganz atlgemein zu sein, abet sie k6nnte sehr wohl verschwinden : die Gleicbungen sind voll- st~adig olme sie. Wir kennen ihre physikalische ]3edeutung nicht, und wit haben bis jetzt sehr wenig Einsicht in ihrem Zusammenhang mit anderen Grundkonstanten der Natur. Es scheint, dal3 ihre Einfiihrung eine unn6tige tKomplikation ist, und sie wurde damals yon mehreren Physikern ent- N~#. 193x 3 °

Das sich ausdehnende Universum

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DIE NATURWISSENSCHAFTEN x 9. Jahrgang I. Mat x93 x Heft x8

D a s s i c h a u s d e h n e n d e U n i v e r s u m ~. Von W. DE SITTER, Leiden.

I , In der klassischen Mechanik und Physik spielen

Raum un'd Zeit keine andefe Rolle Ms die einer Art Hintergrund, auf welchen die physikalische Wirk- lichkeit projiziert wird, oder h6chstells eines neu- tralen, sie tragenden Gestelts. Demzufolge konnten hervorragende Mathematiker und Philosophen be- haupten, dab es unwesentlich set, welche yon den verschiedenen Raumarten, die die mathematische Wissensehaft zu unserer Verffigung stellt, als I3~tme fiir die Darstellung des zu spielenden Theaterstfickes gewahlt wird, und dab diese Wahl nicht dutch physikalische, sondern dutch Kon- venienzgrfinde oder philosophische Vorliebe -- oder Vorurteil -- bedillge wird. Die Relat ivi t i ts- theorie brachte uns die Einsicht, dab Raum und Zeit llicht blo13 die Bfitme sind, auf welcher das Stfick gespielt wird, sondern selbst eine bedeutellde Rolle als Schauspieler im Sttick mitspielen. Die Be- ziehungen zwischenRaum, Zeit, 2vIaterie und Energie werden durch die Gleiclmngen derTheorle bestimmt, ulld folglich k6nnen wir nu t solche Raumarten zulas- sen, die mit diesen Gleichungen tibereinsfimmen.

Es ist nicht m6glich, die verschiedenen drei- dimensionellen Raumarten darzustellen oder sich vorzustellen. Wit glauben, dab wit eine Vor- stellung vom euklidischen oder flachen Raum haben; ich bin aber nicht sicher, dab dies keine Selbstt iuschung ist, die dutch die Tatsache her- vorgerufen wird, dab dessen Geometrie seit zweitausend Jah ren und mehr in den Schulen ge- leI~t worden ist. Es ist sicher, dab Ifir physikali- sche Erscheinungen yon der Gr6Be, die unsere Sinnesorgane wahrzunehmen verm6gen, d .h . ffir weder zu Meine noch zu groBe Erscheinungen, der euklidische Raum eine sehr gute Ann~herullg des wirMiehen physikalischen Ranmes ist. Ftir das Elektron abet und ftir das Universum als Gauzes versagt die Ann~herung. Um uns zu helien, den dreidimensionellen Raum zu begreifen, k6nnen nns zweidimensionelle Analogien sehr dienlich sein (obgleieh manchmal auch irreleitend). Wir k6nnen uns verschiedene zweidimensionelle Raum- ar ten vorstellen, da wit in der Lage sind, uns a~fier- halb derselben zu stellen. Es ist daher nicht schwer, sich die Vnterschiede vorzustellen, die zwischen einem Stfick Papier und der Schale eines Eies exi- stieren. Man kann auf beiden Fl icben Figuren: gerade Linien, Dreiecke usw. zeichnen, abet die Fignren auf dem Ei werden andere Eigen- schaften besitzen als diejenigen auf dem Papier. Auf dem Papier ist die Summe der Winkel eines

1 Vom Verfasser zur ¥erftignng gestellte ~ibersetzung seines im Januarheft der Scientia (1931) ver6ffentlich- ±en Anfsatzes.

Dreiecks zwei 1Rechten gleich; auf dem Ei ist sie gr613er. Auf dem Papier k6nnen wir unbeschr inkt in der gleichen Richtung fortschreiten; wenn wir auf deli1 Ei fortfahren, uns in der gleichen Rich- tung fortzubewegen, so sind wir frfiher oder sp~.ter gezwungen, zu unserem Ausgangspunkt zuriickzu- kornmen : das Papier ist unendlich, das t~i ist end- Itch. Ffir ein Wesen, das anf~hig w~re, die Eiober- fl~che oder das Papier zu verlassen, w~re es nicht m6glich, eine unmittelbare Vorstellung der Fl iche zu haben, es k6nnte nur dutch das Studium der Eigenschaften der Dreiecke und Geraden ent- scheiden, auf weleher Fl iche es lebt. Selbstver- st~ndlich mfiBten seine Dreiecke groB und seine Messungen pr~zis genug sein, urn die Unterschiede zu zeigen. Ein sehr Meines Stfick der Eisehale kann von einem Stfick flachen Papiers nicht unter- schieden werden. Ira dreidimensionellen Raum haben wir ebenfalls keine intuit ive Kelllltnis der Raumart , in weleher wir leben, aber wir mfissen herausfinden, welcher Art er ist, durch das Studium der innerhalb desselben gezeichneten Dreiecke und anderer geometrischer Figuren. I)a wir mit dem physikalischen Raum zu tun haben, sind die Dreiecke, die wir zu untersuchen haben, diejenigell, die dureh die Spuren yon materiellen Partikeln und die Lichtstrahlen gebildet werden, und natfir- lich, um die verschiedenen Raumarten unter- seheiden zu k6mlen, mfissen wir sehr groBe I)rei- ecke untersuchen und Strahlen, die yon sehr ent- fernten Quellen kommen. I)aher mul3 die Ent- scheidung notwendigerweise yon den astronomi- schen Beobachtungen abh~ngen.

Die versehiedenen IRaumarten Mud mathe- matisch besfimmt durch ihr Linienelement, und die Koeffizienten des Linienelements sind dutch Diiferentialgleichungen bestimmt, die der mathe- matische Ausdruck der gegenseitigen 13eziehungen zwischen Raum ulld Zeit eillerseits und 2¢Iaterie und Energie andererseits stud. Sehr bald nach Vollendung der Theorie wurde Et~STEIN dutch gewisse Grfinde philosophischer oder metaphysi- seher Natur veranlaBt, eine gewisse Gr6Be in diese Gleichungen einzuffihren, die mit dem griechischen Buchstaben .,lambda" bezeichnet und yon ibm ,,kosmologische t{onstante" benannt wurde. Die Theorie bedarf zwar dieser t{onstante, um mathe- matisch ganz atlgemein zu sein, abet sie k6nnte sehr wohl verschwinden : die Gleicbungen sind voll- st~adig olme sie. Wir kennen ihre physikalische ]3edeutung nicht, und wit haben bis jetzt sehr wenig Einsicht in ihrem Zusammenhang mit anderen Grundkonstanten der Natur. Es scheint, dal3 ihre Einfiihrung eine unn6tige tKomplikation ist, und sie wurde damals yon mehreren Physikern ent-

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sChieden als solche empfunden. Von vielen Ge- sichtspunkten aus betrachtet, besitzt sie aber solche einleuchtende Vorteile, dab sie a!lgemein fiber- nommen wurde, sogar bevor irgendwelche Er- scheinungen beobachtet worden waren, die durch

m " die Gleichungen, die ,,la bda enthalten, erkl~rt werden k6nnen, aber nicht ohne sie . .

" Das ,;lambda" hat zur Folge, dab es den Raum endlich, d. h. yon der Art des Eies und nicht des Papiers, macht. Die Gleichungen, die die Wechselwirkung yon Raum und Zeit bestimmen, legen weitere EinschrXnkungen in bezug auf die Art des Raumes auf. Wenn wit yon Einzelheiten absehen nnd als Anngherung des gegen~wgrtigen Universums ein Universum, in dem die Materie und Ene rg i e gleichmgfiig in dem ganzen Raum verteilt und im Gleichgewichtszustand ist, an- nehmen, bleiben nur zwei L6sungen m6gl'ich, die ich gewohnt bin, die L6sungen ,,A" und ,,B" zu nennen, die abet vielleicht besser als ,,statisches" and ,,leeres" Universum hgtten bezeichnet werden k6nnen. Beide sind bereits seit lgngerer Zeit be- kann t und werden gew6hnlich in der Literatur er- wghnt, das statische Universum unter der Be- zeichnung ,,EINsTE~Nsehe Welt", das leere Uni- versum unter einer ]3ezeichnung, die pers6nliehe Grfinde mir verbieten anzugeben. Das statische Universum enthglt ein bestimmtes Quantum Ma- terie, und dieses Quantum hgngt yon seiner Gr613e ab, oder wir kSnnen sagen, dab die Gr6t3e des Uni- versums yon dem Quantum Materie abhgngt, das es enthglt : je mehr Materie, desto mehr Raum i s t ffir sie vorhanden. Der Radius des Universums ist proportional zu der Gesamtmasse, die es enthglt. Diese Materie mug aber im Gleichgewichtszustand sein; es k6nnen keine systematisehen Geschwindig- keiten, sondern nur unregelm~Bige Bewegungen existieren. Andererseits enthglt das leere Univer- sum keine Ivlaterie; wfircte man abet eine Partikei oder einen Probel~6rper nnd einen Beobachter in das leere Universum einffihren, so wfirde der Be- obachter sehen, dab sich die Partikel yon seinem Standort entfernt, und zwar mit einer Geschwindig- keit, die yon der Entfernung zwischen dem Beob- achter und demProbek6rper sowie yon demRadius des Universums abhgngt. Es gibt also im leeren Universum systematische Bewegungen, und ffir Entfernungen zwischen dem Beobachter und dem Probek6rper, die im Verh/iltnis zum Radius des Universums weder zu grofi noch zu klein sind, ist die Geschwindigkeit proportional zu dem Verhglt- his zwischen dieser Entfernung und dem Radius.

II. \¥ir haben also zwei M6glichkeiten Iiir ein

Universum i m Gleichgewichtszustand: das ,,stati- sche" Universum ohne systematische Bewegungen und mit Materie und das ,,teere" Universnm mit systematischen Bewegungen, aber ohne Materie. Welches yon beiden ist in der Natur verwirklicht ? U m diese Frage zu entscheiden, miissen wit uns auf die .Beobachtungen beruien.

Die Natur- wissenscha/ten

Die Beobachtungen zeigen uns aber ein Uni- versum mit beiden, Materie und systematischen Bewegungen. Die Theorie der ,,Insel-Welten", welche versichert, dab die auBergalaktisehen Nebeh Spiralnebel, eIliptische und unregelm/~Bige Nebel, Systeme sind, die in bezug anf Gr6Be und Masse mit unserem eigenen galaktischen System vergleichbar sind, kann heutzutage als wohl- begrtindet gelten, nachdem die Entfernungen einiger der n~chsten dieser Systeme yon I-IuBBLE, SHAPLEY, LUNDMARK .U.a. in zuverl~ssiger Weise best immt worden sind. Von etwa ffinfzig dieser Systeme ist die Radialgeschwindigkeit gemessen worden . .Die Beobachter auf dem Mount Wilson konnten im Laufe der letzten Jahre die Spektren yon mehreren schwachleuchtenden und kleinen Nebeln messen, und die ermittelten Geschwindig- keiten waren sehr groB. Zu ]3eginn des vorletzten Jahres (1929) betrug die grSBte bekannte Ge- schwindigkeit 18oo km/sec. Geschwindigkeiten yon 4o.oo, 7ooo und 8ooo km/sec sind im Laufe dieses Jahres verSffentlicht worden, u n d e s wurden sogar gr6Bere gemessen, die aber noch nicht ver6ffentlicht worden sind 1. Alle diese Geschwindigkeiten sind positiv, d. h. alle diese Systeme entfernen sich yon uns. Die Entfernungen yon den kleineren und schwachleuchtenden Systemen sind noch sehr un- vollst~ndig bekannt, abet es steht fest, dab die Ge- ~.chwindigkeit mit der Fnt fernung zunimmt, und zwar, soweit wit uns Gewil3heit darfiber verschafft haben, praktisch in einem konstanten Verh/~ltnis zu ihr. So mfiBte es sich genau in dem ,,Ieeren" Universum verhalten, und wir k6nnen den Radius des Universums mit Hilfe dieses Verh~ltnisfaktors berechnen, vorausgesetzt, dab es yon dem Typus des ,,leeren'" Universums ist. Er betr~gt etwa zweitausend Millionen Lichtjahre.

Das Universum ist aber nicht leer, sondern es enthNt Materie. Die Frage ist die: wieviel Materie enth~lt es ? N~hert sich die Dichte irgendwie der- jenigen, die dem stafischen Universum entspricht, oder ist sie so Mein, dab wir das leere Universum als eine gute AnnXherung betrachten kSnnen? Wit k6nnen sch~tzen, dab es in jedem Wtirfel mit einer Seite yon einer Million Lichtjahre etwa ein galaktisches System gibt: In einem Universum mit einem Radius yon zweitausend Mitlionen Licht- jahren wtirden also fund achtzigtausend Millionen galaktischer Systeme vorhanden sein. Angenom- men, dab jedes eine Masse yon zehntausend Mil- lionen Sonnen umfaBt, so ergibt sich die Gesamt- masse dutch eine einfache Multiplikation. K6nn- ten s~mtliche galaktische Systeme und die Sterne, aus welchen sie bestehen, zu Protonen und Elektro- hen oder zu Wasserstoffatomen verdampft und im ganzen Universu m gleichm~Big verteilt werden, so wtirde man in jedem Kubikmeter etwa zehn oder zw6If derselben finden, t n dem votlkommen- sten Vakuum, das wir in unseren Laboratorien

1 Seitdem hat KUMASON eine Gesehwindigkeit vort I 1500 kin/see verOffentlicht.

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hervorzubringen imstande sind, gibt es mehrere t3illionen yon ihnen. Wir k6nnten also sagen, dab das Universum viele Billionen Male leerer als nnser vollkommenstes Vakuum ist, welches wiederum einige Billionen Male leerer ist Ms die gew6hnliche atmosphgrische Luit. Die Leere des Universums dart abet nicht ant diese ~Weise best immt werden. Als Vergleichsnorm diirfen wir nns nicht nnserer irdischen Erfahrnng, sondern mfissen wir nns der theoretischen Dichte des ,,statischen" Universnms bedienen. Es ist leicht, die Gesamtmasse eines statischen Universums yon einem Radius yon zweitausend Millionen Lichtjahren zn berechnen, und sie ist nngefghr nur zehnmal gr6Ber als die- jenige, die wit vorhin ans der beobachteten oder gesch~itzten Dichte abgeleitet haben. Das gegen- wSxtige Universum ist also weir entfernt davon, leer zu seth, es ist im Gegenteil beinahe volI.

Nun sind wit in Verlegenheit. Die systemati- schen Geschwindigkeiten der auBergalaktischen Systeme scheinen nns zu zwingen, die Folgerung zu ziehen, dab das gegenw~rtig in der Natur verwirk- lichte Universum das ,,leere" Universum ist, aber die Gesamtmasse dieser selben Nebel ist eine solche, dab sie dem ,,stafischen" Universnm beinahe entsprieht, in welchem keine systematischen Ge- schwindigkeiten m6glich stud.

I I I . W i e diese Schwierigkeit fiberwunden werden

kann, wurde uns yon Dr. G. LE~AITRE, L6wen, in einer vor drei Jahren ver6ifentlichten Schrift gezeigt, welcher erst vor kurzer Zeit allgemeine Aufmerksamkeit zuteil wurde. Das leere und das statisehe Universum sind die einzigen m6glichen L6sungen ffir ein Universum im Gleichgewiehts- zustand. Nether yon den beiden s t immt mit den beobachteten Ta~sachen fiberein. Die einzige richtige FoIgernng ist, dab das Universnm nieh~ im Gleichgewichtszustand ist. L~MAiTt~E 16ste die allgemeinen Gleichungen der EINSTXlNschen Theo- fie ffir den Fall eines nichtstatischen Universums. Es ist noch immer endlich, nnd es ist eine hin- reichende Anniiherung anzunehmen, dab es homo- gen und isotropisch ist, wie das statische, aber der Radius ~ndert sich mit der Zeit. Das stafische Universum mit einem konstanten Radius ist selbst- verst~indlich, auch eine M6glichkeit, abet die Glei- chungen VOlt LE~IMTEE zeigen, dab der Gleich- gewichtszustand labil ist und nicht dauern kann. Das Universum mul3 sich entweder ausdehnen oder zusammenziehen. Die mathematischen Formeln haben keine Vorliebe weder ftir das eine noch ffir das andere, aber die p0sitiven Geschwindigkeiten der Spiralnebel zeigen, dab es sich ausdehnt. In nnserer zweidimensionellen Analogie miissen wit nun ans ta t t des Eies einen GummibM1 nehmen. %Venn ~dr annehmen, dab die an der Oberil~iche des Gummiballes anhaftenden Staubflecken oder anderen Gegenst~inde die gataktischen Systeme dar- stellen, so ist es klar, daB, wenn der Ball aufgeblasen wird, die gegenseitigen Entfernungen dieser Gegen-

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stiinde zu dem Radius des ]Balles proportional wachsen werden, und dab jeder yon ihnen allen anderen Mne zur Entfernung proportionale Rfick- iaufgeschwindigkeit zuschreiben ~drd. Die Zu- nahmegeschwindigkeit des Radius des Universums ist die gleiche wie die der gegenseitigen Entfernun- gender galaktischen, Systeme.

Es gibt jedoch eine unendliche Anzahl sich ausdehnender Weltalle, die den dutch die Glei- chungen der Theorie auferlegten Bedingungen ge- niigen, un±er denen wir gegenw~rfig keine Wahl treffen k6nnen. Wenn wir abet unsere Wahl ge- troffen haben, wird es uns auf Grund der beobach- teten Tatsachen, d. h. der Expansionsgeschwindig- keit (welche die Zunahmegesehwindigkeit der Ent- fernungen oder das VerhMtnis zwischen der Ge- schwindigkeit und der •nkfernung ist) und der Dichte, erm6glicht, die Gesamtmasse nnd den gegenwgrtigeu Radius zu bestimmen. ]Die verschie- denen m6glichen Weltalle unterscheiden sich in bezng auf diese beiden Tatsachen nur wenig von- einander; die zukfinftige Entwicklung ist also praktisch die gleiche ffir sie alle: sie fahren fort, sich anszndehnen, wobei die Expansionsgeschwin- digkeit mit der Zeit etwas zunimmt. Der Unter- schied zwischen den verschiedenen A~[6glichkeiten liegt haupts~chlich in der Vergangenheit. ~Aras wir in WirMichkeit yon dem Universum kennen, ist sein gegenw~rtiger Znstand und seine gegenw~irtige Veriinderungsgeschwindigkeit, aber nicht die Vet, iinderungsgeschwindigkeit der Ver~tnderungsge- schwindigkeit. Solange wit abet nicht versnchen, zu weir in die Vergangenheit zurfickzublicken, ist es nnwesentlich, welche yon den mehreren M6glich- keiten wit w~ihlen.

~¥ir mfissen jedoch eine bestimmte \¥ahl tref- fen, urn zu wissen, worfiber wir sprechen. \¥ir k6nnen annehmen, ~de es LXMAiTR~ rut, dab das Univer- sum in der entfernten Vorzeit Ms ,,statisches" Universum begann. Da abet der Gleichgewichts- zustand labil war, konnte er nicht dauern; frtiher oder sp~ter mul3te es beginnen, sich auszudehnen, u n d e s wird sich wetter ausdehnen Ms zu Ende der Zeit. Der anfitngliche Radius und d i e Gesamt- masse k6nnen mit einer ziemlich groBen Genauigkeit aus den beobachteten Tatsachen abgeleitet werden : sie betragen einfausend Millionen Lichtjahre bzw. lO ss Gramm. Ant Grund unserer Irtiheren Schgt- zung der Masse eines galaktischen Systems wiirde dies ungefghr ether halbert Billion galaktischer Systeme entsprechen, aber es mug gesagt werden, dab die Gesamtmasse des Universums vim genauer bekannt ist als die Zahl der galaktischen Systeme, die es umiagt . Der gegenw~irtige Radius kann, ob- gleich mit ether vim geringeren Genauigkeit, aus den beobachteten Tatsaehen abgeleitet werden. Er ist wahrscheinlich nngef~hr dreimal so grog wieder anf~ngliche \¥ert , er kann aber viel gr6Ber sein. In diesem Modell wird der anfiingliche Gleichgewichtszustand in eine unendlich entfernte Zeit zurfickversetzt, aber die EntwicMung war auch wghrend ether unendlichen Zeit unendlich

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368 DE SITTt~R: I ) a 8 s ich a u s d e h n e n d e U n i v e r s u m . Die Natur- wissenschaften

langsam: die Expansion aber aus einem Radius, d e r n u r sehr wenig grhBer war als der anfgngliche, his zu seinem gegenwgrtigen Wert, ha t nicht mehr als einige tausend Millionen Jahre erfordert. Astronomisch gesprochen war es gestern. Diese Zeitspanne ist yon der Ordnung des Alters des Planetensystems, wfilarend das Alter der Sonne und der Sterne sowie das Alter der galaktischen Systeme nach Billionen Jahren gemessen wird. "Wenn wit ans ta t t dieses Universums eine andere M6glichkeit aus der unendlichen Reihe der M6g- liehkeiten wghlen, dana gndert sich all dies nur in der Frtihgeschichte. Ansta t t dem Universum eine unendliche Zeit zu gewghren, um zu ether merIdichen Expansionssfufe zu gelangen, k6nnen wit auch annehmen, dab es im Laufe ether unend- lichen Zeit aus einem unendlichen Radius zu einem Minimalwert zusammengeschrnmpft ist, welch letzterer etwas gr6Ber ist Ms der anfgngliche Wert des ersten Falls, und nachher wieder im Zunehmen begriffen ist, wobei das Minimum vor einigen tan- send Millionen Jahren erreicht wurde. Eine andere theoretische Mhglichkeit, die allerdings nicht sehr wahrscheinlich klingt, ist, dab die Entwicklung aus einem unendlich Meinen Radius ausgegangen ist, und dab die gegenwgrtige Ausdehnung wieder nach ether ghnlichen Zeitperiode erreicht wurde. Jedenfalls ist die Zeitskala ziemlich lmrz.

Ungeachtet dieser Beschrgnkung, die man be- dauern kann, abet die zur Zeit nicht zu beseitigen ist, ist die Theorie des sich ausdehnenden Univer- sums ein wichtiger Schritt nach einem besseren t3egreifen der Natur. Die Oberzeugung, dab das Weltall nicht statisch sein kann, sondern sich in einem Zustande stetiger Evolution befindet, mhgen einige yon uns nnbes t immt gehegt haben, aber die Tatsache, dab die Evolution mathematisch beschrieben und ihre Notwendigkeit bewiesen worden ist, und die weitere Tatsache, dab durch diese neue Theorie sich scheinbar widersprechende Beobachtungsdaten in Einklang gebracht und erl~intert worden stud, macht sie zu ether der • ~4chtigsten yon den rezenten Entwicklungen.

IV. Es lohnt sich, bet einigen der Aspekte dieser

neuen Theorie zu verweilen. Das Universum dehnt sich aus. Dehnen sich

abet die Sterne und galaktischen Systeme zusam- men mit ibm aus ? Ich glaube nicht, dab wit schon jetzt in der Lage stud, auf diese Fragen eine voll- kommen entscheidende Antwort zu geben. Was die Sterne und die kleinen K6rper anbetriift, sind ihre MaBe durch den Ausgleich der I(oh~isions-, Gravitations- und Druckkr~ifte bedingt, die inner- halb derselben wirken, nnd es scheint, dab diese Kr~ifte dutch die Expansion des Universmns nicht beeinilnBt werden. In bezug auf die galaktischen Systeme komme ich zu einem anderen Geslchts- punkt. Die GrhBe eines galaktischen Systems ist natiirlich zum Teil durch die gegenseitige Anzie- hung der Sterne, die dieses System bilden, be~

s t immt und es ist wahrscheinlich, dab diese unab- h~ingig von dem angenblicklichen Radius des Universums ist. Sie sind abet auch zum Teil durch die Neigung zur Expansion bestimmt, die yon dem lambda verursacht wird und der Gravitation ent- gegenwirkt. Das Ergebnis wird wahrscheinlich sein, dab sich die galaktischen Systeme zusammen mit dem Universnm ausdehnen.

Das Verh~ltnis des I)urchmessers eines Elek- trons zu dem eines Nadelkopfes ist ungefghr das gleiche wie das Verh~iltnis des Nadelkopfes zur Sonne, und wiederum wie das Verh~iltnis der Sonne zum galaktischen System. Abet das Verh~ltnis des Radius des galaktischen Systems zu dem Radius des Universums ist von viel geringerer Ordnung. Die Dichte der Elektronen u n d Protonen innerhMb gew6hnlicher K6rper wie der NadelkopI oder die Sonne, und der Sonnen oder Sternen innerhalb der galaktischen Systeme sind ungeheuer loser als die der galaktischen Systeme im Universum. Das Verh~iltnis des Durchmessers eines Elektrons oder eines Protons zu ihren mittleren gegenseitigen Ent - fernungen ist yon der Ordnung yon zehntausend oder hundert tausend, das zwischen den Durch- messern der Sterne und ihrer gegenseifigen Ent- fernungen yon der o rdnung yon einigen zehn Millionen, abet die gegenseitigen Entfernungen der galaktischen Systeme sind nicht grhGer als vierzig- oder fiinfzigmal ihre Durchmesser. An- genommen, dab die MaGe der gMaktischen Systeme w~ihrend der ganzen Geschichte des Universums gleich bleiben, wiirden weitere zwanzig- oder drei- Bigtausend Millionen Expansionsjahre notwendig seth, um das Verh~iltnis zwischen den Entfer- nungen und den MaGen der galaktischen Systeme yon der gleichen Ordnung wit im Fatte der Sterne dieser Systeme, oder der Protonen und Elektronen in den Sternen gteichzumachen. Wenn sich aber die Systeme zusammen mit dem Universum ans- dehnen, wie dies wahrscheinlich erscheint, dann wird sich das Verh~iltnis ihrer Durchmesser zu ihren gegenseitigen Entfernungen nicht ~iudern, und das Universum wird immer, wie jetzt, nach einem anderen Plan gebaut bleiben wie die galak- tischen Systeme und die Sterne.

Eine Frage, die die Astronomen und Physiker lange gequMt hat ist, was aus der yon dell Sternen in den Raum unaufhhrlich ausgestrahlten Energie wird. Diese Frage wird yon der neuen Theorie rest- los beantwortet. Sie wird dutch die Expansion des Universums verbraucht bzw. abgebaut. Genau wie ein Mensch, der einem Autobus oder der Tram nachrennt, um sie einzuholen, auBer Atem ger~it und seine Energie verausgabt, oder ein ab- geschossenes Projektil einen in derselben Richtung fahrenden Zug mit weniger Kraft trifft Ms einen stillstehenden, so verliert das zu nns gelangende Licht ether entfernten Quelle, von welcher wir ans mit einer groBen Geschwindigkeit entfernen, seine Energie, indem es uns einzuholen versucht. Es ist dieser Abbau der Energie des Lichtes, unter der technischen Bezeichnung ,,Rotverschiebung

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RECK: Der Merapi-Vulkan auf Java und sein A-asbruch im Dezember i93o.

der Spektrallinien" bekannt, der uns die M6glich- keit gibt, die Geschwindigkei~der aul?ergalaktischen Nebel wahrzunehmen. Es kann gezeigt werden, dab die aus diesem Abbau resultierende Eiiergie- abiiahme die Znnahme der Sternstrahlnng ein wenig iibersteigt. Es w~re jedoch ebenso unrichtig, daraus zu schlieBen, dab die Ursache der Expan- siorI die auf diese Weise durch die Strahlung ge- spendete Energie ist, wie zu sagen, dab die Tram yon der Energie in Bewegung gesetzt wird, die yon dem ihr nachreniienden Menschen verausgabt wird.

Was ist es denn, was die Expansion verursacht ? Wet bl~st den Gummibalt anf ? Die einzig m6gliche Antwor~ ist die: es ist das , , lambda". Es ist das Vorhandeiisein yon ,,lambda", der ,,kosmologi- schen Konstante" .yon EINSTEIN, in den Glei- chungen, welches das Uiiiversum nicht nur ab- schliel3t und es endlich -- ans ta t t unendlich -- macht, sondern ihm die l~I6glichkeit verschafft, seine MaBe zu verandern. Warum es sich ausdehnt und nicht zusammeiizieht, das wissen zdr nicht.

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Wie schon erwXhnt, ist die Expansion nicht auf den Strahlungsdruck zlirfickzuffihren. Das Uni- versum w ~ d e sich geiiau in der gleichen Weise ausdehnen, wenn es keine Strahlung und auch, bemerkenswerterweise, welm es nur Strahlung und keine Materie enthalten wiirde. Die Expansion h~ngt allein yon dem lambda ab. Es wird vielleicht manchem unbefriedigend erscheinen, dab wir IIicht in der Lage sind, den Mechanismus zu zeigen, wel- chef das , ,lambda" ermbglicht, dies zu tun. Dem ist abet so: fiber die mathematischen Gleichungen k6nnen wit IIicht hinausgehen, u n d e s ist uns bis jetzt noch nicht gelungeii, irgendwelche Beziehung zwischen diesem unheimlichen lc~mbdcb und andereii Grundkonstanten der Natur zu entdeckeii. ~ber - dies ist seit eiiiem Vierteljahrhnndert das Aus- deiiken yon Mechanismen auBer Mode geraten, und das Verhalten yon lc, mbdc~ ist nicht sonder- barer oder geheimiiisvoller als das der Gravita- tionskopstaiite !¢aploa, yon der PLANKschen Konstante h oder voii der Lichtgeschwindigkeit e ganz zu schweigen.

Der Merapi-Vulkan auf Java und sein Ausbruch im Dezember I93o. Von tIANS RECK, Berlin.

Die tetegraphischen Zeitungsberichte fiber diese Vnlkankatastrophe sind wohl IIoch in Aller Er- iiinerung. Aber erst jetzt l~Bt sich auf Grund yon t3ildern uiid ansffihrlicheren brieflichen Berichten ein sachlicher ~berbl ick fiber die eigentliche Natur nnd Bedeutung des Ansbruches gewinnen. Diese abet sind so ungew6hnlicher Art, dab es, wirt- schaftlich wie wissenschaftlich betrachtet, wohl verlohnt, die Ereignisse in einem organischen Zu- sammenhang zu betrachteii.

Die Grundlage ffir das Zustandekommen vul- kanischer Katastrophen dieses AusmaBes ist ihre Verbuiidenheit n i t tektonisch IIoch stfirmisch be- wegten Erdkrustenteilen. Deshalb ist ganz Nord- europa n i t seinem alten, festverkeilten Schollen- und Falteiiban t/~tiger Vnlkaiiismus fremd. Im Raume Deutschlaiids faiid der letzte m~Bige Vul- kaiiausbruch eL~va 4ooo Jahre vor Christus statt .

Auch Sfideuropa Ms allein noch lebhaft tekto- nisch bewegter Teil nnseres Kont inents hat an vulkanischer Reaktionsintensit~t bereits stark eiiigebiil3t. Wohl stehen dort in engster r~umlicher uiid zeiflicher Verknfipfuiig n i t dem Orogen der Alpen, als Zeichen vergaiigener st~rkerer T~tigkeit, die meisten, frischesteii und gr6Bten Vulkanessen Europas, aber die meisten sind erloscheii, Aus- mal3e der ~rMteiitfaltimng, ~4e sie in Nieder- l~ndisch-Indien durchans nicht selten sind, kommen in Europa kaum je noch vor.

Hier siiid allein in Italien, in Griecheiiland die letzten, alternden Essen iibriggeblieben, die noch in schmelzheiBe Erdtiefen hinabffihren. Nut noch iii aiisehnlichen Zeitabst~nden, meist schwach, ganz selten nu t eiiimal kraftvoll ausbrechend, sind dort noch etwa ein halbes Dutzeiid Feuerberge tgtig.

Anders der Boden ganz Niederti~ndisch-IIIdiens,

auf d e n der Merapi gewachsen ist -- der Berg des Feuers it1 der dortigen Eiiigeborenensprache. Auch dort liegt -- geographisch wie geologisch betrachtet -- ein Mittelmeergfirtel zwischen die Kont inent- blbcke Asien nnd Anstralien eiiigeschaltet; auch dort heben sich -- x~de bei uiis vor Jahrmillionen die Alpen - - hohe Gebirgsketten ans d e n tiefen Meer, siiid aber IIoch nicht zu landfestem Verband emporgewachsen, sondern wilde Gebirgsinseln ge- blieben, in langer Reihe aneinandergef~delt yon Sumatra im ~Testen his nach Nenguinea im Osten, wie das bei nns im Meineren MaBstab etwa im Bogeii der ~g~ischen IIIseln der Fall ist.

Was in den Alpen l~ngst geworden ist, ist dort erst im Werden. Dort liegeii die jetzt noch beweg- lichsteii und bewegtesten Stficke der Erdrinde, dort wachsen heute noch, in zahlreichen Erdbeben ffihlbar, yon Io 7 derzeit bekannten t~tigen Vul- kanen begleitet, die Gebirge. Die ungeb~ndigte I~raft dieser Essen lehrt uiis am Beispiel zahlreicher zerst6render Ausbrfiche die unersch6pfte Y~raft, die g~rende Unrnhe im tiefen Untergrunde jeiier fernen IIIsehvelt.

In solchem Rahmen betrachtet, erscheint die letzte T~Ltigkeit des Merapi IIicht mehr als ein zu- f~lliges Unheil, sondern als IIatfirliches Glied ge- setzm~gigen Geschehens im Gauge seiiier Ent- wicMuiigsgeschichte. In diesem Zusammenhang bleibt diese IZatastrophe auch in Nrem Ablauf keine r~tselhafte Einzelerscheinung mehr, sondern wird Repr~sentant eines Geschehnistyps, eines Charakterbildes des Vulkans, das ibm die Gesetze seiner Eigenkr~fte anfgepr~gt haben.

Die Kenntnis zweier Dhlge wird somit not- wendige Gruiidlage zur Er!d~rung der letzteii Kata- strophe: Geschich~e nnd Typus des Berges.