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15. SEPTEMBER 2019 ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL DAS SORABJI- PROJEKT

DAS SORABJI- PROJEKT - Elbphilharmonie · 2019-09-06 · Als Sorabji den Satz fertig hatte, legte er die Sinfonie erst mal zur Seite. Er befasste sich neun Monate lang mit einer Komposition

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15. SEPTEMBER 2019ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL

DAS SORABJI- PROJEKT

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Sonntag, 15. September 2019 | Elbphilharmonie Großer Saal

Kurze Einführung mit Thomas Cornelius zu Beginn des Konzerts

DAS SORABJI-PROJEKTKEVIN BOWYER ORGEL

Kaikhosru Shapurji Sorabji (1892–1988)Orgelsinfonie Nr. 2 (1929–1932)

11 UHR – TEIL I

1. Satz: IntroductionDauer: 1,5 Std.

Pause (30 Min.)

2. Satz: Thema cum 50 variationibusDauer: 4 Std. Pause (30 Min.) nach Variation 28

20 UHR – TEIL II

3. Satz: Finale. Preludio – Adagio – Toccata – Fuga triplexDauer: 3 Std.keine Pause

Gefördert durch die

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Achteinhalb Stunden Spieldauer. 300 A3-Seiten Notenpapier. Schwierigkeitsgrad: unspielbar. Wer sich die Zweite Orgelsinfonie des parsisch-britischen Komponisten Kaikhosru Shapurji Sorabji freiwillig vornimmt, ist entweder wahn-sinnig – oder wahnsinnig gut. Definitiv Letzteres trifft auf den britischen Organisten Kevin Bowyer zu: Er bezwingt Werke, an die sich kein anderer je gewagt hat. In der Elbphilharmonie präsentiert er nun Sorabjis Mammutmusikstück. Ein XXL-Sound-Erlebnis in zwei Teilen, das die enorme technische und klangliche Power der Elbphilhar-monie-Orgel voll zur Geltung bringt.

WILLKOMMEN

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KEVIN BOWYER ORGEL

DER ORGANIST

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Kevin Bowyer hat einen analytischen Verstand, der das Potenzial einer Partitur einschätzen kann. Und er hat ein warmes Herz, das jede Ge- legenheit nutzt, Menschen Musik näherzubringen – besonders solche, die als übermäßig intellektuell gilt.– Classic CD

KEVIN BOWYER ORGEL

Der Organist Kevin Bowyer nimmt unter den besten Organis-ten unserer Zeit eine besondere Stellung ein: Er sei »einer der kühnsten und beeindruckendsten Virtuosen der Welt«, schreibt Jonathan Wearn in MusicWeb International; für »unverwechsel-bar« hält ihn die Zeitschrift Gramophone. In spektakulären Kon-zerten bezwingt er Werke, die als technisch enorm anspruchs-voll oder gar als unspielbar gelten – allen voran die Stücke Kaikhosru Shapurji Sorabjis. So meisterte er 1987 mit 26 Jahren die Uraufführung von dessen zweistündiger Erster Orgelsinfo-nie, die seit ihrer Veröffentlichung 1925 als unaufführbar gegol-ten hatte. 2010 legte er mit der Zweiten Orgelsinfonie in Glasgow und Amsterdam nach. Über sechs Jahre hinweg, von 2008 bis 2014, arbeitete Kevin Bowyer außerdem an einer wissenschaft-lichen Ausgabe sämtlicher Orgelwerke des Komponisten, die insgesamt rund tausend Partiturseiten füllen.

Darüber hinaus ist Kevin Bowyer international sowohl als Solist als auch im Zusammenspiel mit anderen Musikern gefragt. Er gastierte an bedeutenden Spielstätten und Festivals weltweit; Tourneen führten ihn durch ganz Europa, nach Nord-amerika, Australien und Japan. Seine umfangreiche Diskografie enthält zahlreiche Solo-Aufnahmen, von denen viele mit Preisen ausgezeichnet wurden. Darunter finden sich sowohl Einspie-lungen zeitgenössischer Musik als auch sämtliche Orgelwerke Johann Sebastian Bachs, die allein 29 CDs füllen. Außerdem nahm Bowyer Werke von Komponisten wie Johannes Brahms, Robert Schumann, Paul Hindemith, Arnold Schönberg, Olivier Messiaen und Jehan Alain auf. Auch Unterhaltungsmusik und Jazz spielt er leidenschaftlich gern.

Kevin Bowyer ist zudem ein engagierter Lehrer. Er gab Meis-terkurse und unterrichtete in zahlreichen Ländern. Als Organist der Universität Glasgow begleitet er zudem viele der jährlich etwa 150 dort stattfindenden Hochzeiten. Dabei ermutigt er die Paare, sich »zu wünschen, was immer sie möchten« – bislang hat er alles gespielt.

Bowyer wurde 1961 in Southend-on-Sea an der englischen Südostküste geboren. Er studierte bei Christopher Bowers-Broadbent, David Sanger, Virginia Black and Paul Steinitz. Bereits zu Beginn seiner Laufbahn gewann er Erste Preise in fünf internationalen Wettbewerben.

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»ICH WAR VERRÜCKT GENUG«Der Organist Kevin Bowyer im Interview

Endgegner gibt es nicht nur in Computerspielen, sondern auch in der Musik. Für Organisten ist der meistgefürchtete – und daher äußerst selten gespielte – Komponist Kaikhosru Shapurji Sorabji. Seine Werke gehören zum Umfangreichsten, Komplexesten und Schwersten, was je für das Instrument geschrieben wurde.

Einen begeisterten Fürsprecher findet der heute kaum bekannte Komponist in Kevin Bowyer. Der britische Organist engagiert sich seit Jahrzehnten für die Aufführung und Veröffentlichung sei-ner Stücke. Als bislang Einziger spielte er die zweistündige Erste Orgelsinfonie des Komponisten – und wagt sich nun an die mehr als viermal so lange Zweite. Im Interview spricht er über seine persönliche Begegnung mit dem Komponisten, Proben zwischen Faszination und Kapitulation und warum es sich lohnt, achteinhalb Stunden auf den letzten Akkord zu warten.

Die Werke von Kaikhosru Shapurji Sorabji begleiten Sie schon eine ganze Weile – wie haben Sie den Komponisten für sich entdeckt?

Ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag. Es war im No- vember 1979, ich war Student an der Royal Academy of Music in London. Orgelmusik war meine große Leidenschaft, und so suchte ich in der Bibliothek nach neuen Stücken. Als ich ganz hinten in der letzten Reihe am Fenster stand, entdeckte ich im obersten Regal ein dickes rotes Notenbuch. Es war eine 1925 veröffentlichte Ausgabe von Sorabjis Erster Orgelsinfonie, dem »Baby« – sie dauert ja nur zwei Stunden. Ich blätterte sie durch und war fasziniert, wie komplex alles aussah. Neben den aller-letzten Akkord hatte jemand von Hand geschrieben: »Hierfür braucht man vier Hände!!!!!!«, mit sechs Ausrufezeichen. Von da an da wusste ich: Das will ich spielen. Seither ist Sorabji Teil meines Lebens.

KAIKHOSRU SHAPURJI SORABJI Der britische Komponist lebte von 1892 bis 1988 und gehört zu den absoluten Solitären der Musik-geschichte. Er entwickelte einen völlig eigenständigen Stil, der sich einerseits auf die Musik seiner parsischen Ahnen bezieht (Anhänger der vom Propheten Zarathustra gestifteten und heute in Indien präsenten Religion des Zoroastrismus), andererseits auf Komponisten wie Liszt, Skrjabin und Busoni, die ihrerseits musi- kalische Einzelgänger waren. Sorabjis Markenzeichen sind hochkomplexe rhythmische Schichtungen und ausgeklügelte architektonische Strukturen. Der Komponist lebte zurückgezogen in Dorset, arbeitete zeitweilig als Musikkritiker und soll sich lange sogar gegen die Aufführung seiner Werke ausgesprochen haben.

DIE MUSIK

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Später wagten Sie sich dann an die Zweite Orgelsinfonie. Die gab es aber noch nicht als rot eingebundenes Buch?

Nein, die gab es damals nur im Original-Manuskript. Nur die frühen Werke von Sorabji wurden verlegt, dieses Stück von 1932 gehörte schon nicht mehr dazu. Das Manuskript besteht aus 300 A3-Seiten, kaum leserlich. Ich habe es zwischen 1988 und 1991 erst einmal händisch übertragen und später richtig gesetzt. Es gibt viele Gründe, wieso man diese Sinfonie nicht vom Manuskript spielen kann. Es ist nicht alles sauber notiert, es gibt viele tausend Probleme, die man lösen muss, bevor man überhaupt

beginnen kann, das Werk zu proben: Mehrdeutigkeiten in der Handschrift, Fehler im Rhythmus, Passagen, die physisch kaum oder gar nicht spielbar sind und für die man sich etwas einfallen lassen muss.

Sie waren der Erste, der sich an diese Arbeit wagte. Wieso wurde das Werk davor nicht beachtet?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Es kursiert die Erzählung, Sorabji habe ent- schieden, dass niemand seine Stücke spielen dürfe. Ganz so strikt war das nicht, aber es führte dazu, dass zwischen 1936 und 1970 niemand seine Musik aufführte. In den 1970ern lagen die Orgelsinfonien schon weit zurück, ich glaube, er hatte sie fast vergessen. Sorabji war nie sonderlich daran interes-siert, dass seine Werke gespielt werden. Stattdessen waren es die Musiker selbst, die zu ihm kamen und fragten: Kann ich das spielen? Und als junger Musiker war auch ich verrückt genug, das zu tun.

Kaikhosru Shapurji Sorabji

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Sie haben ihn getroffen?

Ja, im Jahr seines Todes, 1988. Er wohnte im Altersheim in Winfrith Newburgh an der englischen Südküste und ich besuchte ihn dort einige Male, zuletzt eine Woche vor seinem Tod. Er war sagenhafte 96 Jahre alt und ein faszinierender Mensch, redete über die Musik von anderen, von Komponisten wie Leopold Godowsky, Franz Liszt und Ferruccio Busoni, seinen Helden. Über seine eigene Musik sprach er fast nie, außer einmal, ich erinnere mich noch genau daran. Er tat manchmal so, als hätte er vergessen, dass ich Organist bin und seine Musik spiele; er sagte also zu mir: »Meine Dritte Orgel sinfonie endet mit einer sechsstimmigen Fuge. Einige Organisten sagen mir, sie würden alle meine drei Sinfonien spielen. HAHAHA!« Aber er hatte recht: Das hat bis heute noch niemand gewagt. An die Dritte habe auch ich mich noch nicht herangetraut.

Verstanden Sie es als Herausforderung?

Ja, aber damals war ich noch jung …

Die Zweite Orgelsinfonie ist technisch extrem anspruchsvoll. Haben Sie schon ähnlich schwere Stücke gespielt?

Ok, hier ein Vergleich – und der ist nicht übertrieben: Wenn das schwerste nicht von Sorabji stammende Werk der gesamten Orgelliteratur einer Distanz von 10 Kilometern entspricht, dann entspricht Sorabjis Erste Orgelsinfonie 100 Kilometern – und seine Zweite Orgelsinfonie 10.000 Kilometern. Das Stück ist einfach … verrückt. In mancher Hinsicht verfluche ich den Tag, an dem ich anfing, es zu spielen.

Was genau sind die Herausforderungen des Stücks?

Es ist kein einfaches Stück, nicht für mich und auch nicht für das Publikum. Der schwierigste Teil zum Zuhören ist die erste halbe Stunde. Hart, in Teilen sehr aggressiv, nahe am Atonalen, vulkanartig explosiv und sehr dicht. Nach dem ersten Satz ändert sich die Klang sprache komplett. Das hat einen Grund: Als Sorabji den Satz fertig hatte, legte er die Sinfonie erst mal zur Seite. Er befasste sich neun Monate lang mit einer Komposition für Klavier, dem Opus clavicembalisticum, seinem heute berühmtesten Werk überhaupt. Als er da- nach zur Zweiten Orgel sinfonie zurückkehrte, war er wie verwandelt. Der zweite Satz ist viel lyrischer, viel tonaler.

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Wie stehen Sie die Aufführung körperlich durch?

Man muss auf einer Seite eintauchen und hoffen, dass man auf der anderen Seite wieder rauskommt. Bei manchen Aufführungen habe ich zwischen den Sätzen Superfood-Salate gegessen; ich weiß nicht ob das hilft. Ich glaube, um es wirklich zu schaffen, muss man das Stück als einen großen Song sehen, man muss vergessen, wie lang es ist. Man beginnt die Reise und hört erst auf, wenn die ganze Geschichte erzählt ist.

Sie sagten einmal, dass man ein ganzes Leben mit diesem Werk verbringen kann ...

Auf jeden Fall, ja – und es wäre meine Idealvorstellung, genau das zu tun. Es gibt so viel, was man noch herausarbeiten könnte. Es gibt so viel zu proben. Wenn ich an einem Tag die ersten 15 Variationen des zweiten Satzes spiele, frage ich mich am nächsten Tag: Soll ich das jetzt wiederholen oder gehe ich weiter? Ich muss dann weitergehen, weil noch so viel vor mir liegt, also probe ich die Variationen 16 bis 30. Aber am nächsten Tag sind die ersten Variationen schon nicht mehr so in den Fingern. Da die Balance zu finden ist fast unmög-lich. Und wenn man sich vornimmt, an einem Tag die ganze Sinfonie durchzu-spielen, muss man sich danach erst mal ein, zwei Tage erholen.

Kaikhosru Shapurji Sorabji bei Corfe Castle in Dorset an der englischen Südküste, seiner Wahlheimat

DIE MUSIK

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Die erste Seite von Sorabjis Orgelsinfonie Nr. 2 in seiner Handschrift

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DIE MUSIK

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Gab es Momente, in denen Sie das Gefühl hatten: Das schaffe ich nicht?

Absolut! Und ich fürchte, es wird auch diesmal wieder so sein. Ich erinnere mich, dass ich 2010 in Glasgow an der Orgel saß und plötzlich meine Finger nicht mehr bewegen konnte. Die Verbindung zwischen Kopf und Fingern war weg, es ging gar nichts mehr, ich dachte: »Oh mein Gott, ich kann nicht mehr.« Ich stieg ins Auto und fuhr in den Supermarkt, ich ging shoppen. Und ich war so glücklich, so glücklich, nicht mehr dieses Stück zu spielen! Es war ein Tag im März, die Sonne schien, und … oh! Mein Herz hat gesungen.

Haben Sie Sorabji manchmal verflucht?

Ja. Aber das zeigt nur, wie klein ich bin. Es sagt nichts über ihn. Ich bin froh, dass er das Stück geschrieben hat, und ich würde keine Note daran ändern. Mein Job ist es, zu zeigen, dass man dieses Stück als Ganzes spielen kann. Irgendwann wird es vielleicht einen Superman geben, der das Stück wirklich zum Klingen bringt, es mit all seinen Nuancen aufführt – und nicht in den Supermarkt flüchten muss.

Was bedeutet es Ihnen, dieses Stück nun hier in der Elbphilharmonie zu spielen?

Es ist fantastisch, wirklich einmalig! Jede Gelegenheit, dieses Stück zu spielen, ist für mich ein Privileg und ein Schrecken zugleich. Vor der Auffüh-rung werde ich wahrscheinlich wieder verzweifelt sein. Aber einer muss es tun, und ich bin der Verrückte. Ich bin der Komiker dieses Stücks. Ich tue mein Bestes. Aber ich bin auch nur ein Mensch.

Die Vorbereitungen für das Stück sind enorm. Sie waren im Vorfeld zwölf Tage in der Elbphilharmonie, um die Registrierung vorzunehmen. Was passierte da genau?

Es ging darum, für die verschiedenen Passagen die jeweils passenden Klang - farben zu wählen; das Stück sozusagen in die Sprache der Elbphilharmonie-Orgel zu übersetzen. Anders als beim Klavier sind die klanglichen Möglichkeiten bei einer Orgel natürlich enorm. Sorabji hat sie nicht vorgeschrieben. Ich kann also aus Hunderten Klängen wählen und muss darauf achten, dass die Textur einer Passage bestmöglich wiedergegeben wird, dass alle Stimmen gut durch- kommen. Also ging ich das Stück 65 Stunden lang Note für Note durch und

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speicherte insgesamt 1475 Register-Kombinationen in den Computer der Elbphilharmonie-Orgel ein, die ich im Konzert nacheinander abrufe.

Was ist Ihr Eindruck von der Elbphilharmonie-Orgel?

Es ist eine sehr gute Orgel, natürlich. Und mit den zwei Registern im Reflektor kann man wirklich außergewöhnliche Effekte erzielen. Es gibt etwa eine Stelle im zweiten Satz, Variation 22, wo Sorabji etwas komponiert hat, das eigentlich unspielbar ist: ein Akkord auf dem einen Manual, ein zweiter Akkord auf einem weiteren Manual, dazu soll man die Schwellpedale bedienen und noch eine weitere Melodie spielen. Sorabji wusste, dass das unmöglich ist. Ich habe bisher immer eine Billig-Version dieser Variation gespielt, habe die Schwellpedale weggelassen und die Melodie mit den Füßen in einer dumpfen Stimme gespielt. Doch hier kann ich mit den Füßen die Register im Reflektor ansteuern, und plötzlich singt eine Engelsstimme von oben diese Melodie. Sorabji hätte dieser Effekt sicher gefallen.

Haben Sie zum Schluss noch einen Ratschlag fürs Publikum?

Es ist eine Ausdauerprobe. Wenn das Publikum am Schluss applaudiert, gilt dieser Applaus ebenso sehr sich selbst wie mir oder dem Stück. Das Ende des Stücks ist überragend. Es ist, als ob man den höchsten Berg der Welt erstiegen hätte und von dort hinabblickt, auf all die anderen gezackten Gipfel, auf die Wolken. Der letzte Akkord ist ein C-Dur, aber mit unzähligen weiteren Noten drin, als hätten die Götter den Akkord farbig angemalt, er ist unglaublich. Auf diesen letzten Akkord lohnt es sich, achteinhalb Stunden zu warten, glauben Sie mir.

INTERVIEW: FRANÇOIS KREMER

KEVIN BOWYER ÜBER DIE VARIATIONEN IM 2. SATZ (Auszüge)Variation 17 Diese Musik ist wie Klettern: Dicke Akkorde geben ihr Halt wie Hand- gelenke, verbunden durch flinke Läufe, wie Füße. Und der klein- teilige Rest steht für den Körper, der sich immer neu an den Felsen anpassen muss. Aber am Ende erreicht man den Gipfel!

Variation 23 Sehr unangenehm zu spielen. Warum? Ich habe den Eindruck, Sorabji hat sie für zwei rechte Hände geschrieben.

Variation 24 Ich hege den Verdacht, dass sich der Komponist teilweise mehr für die Optik seiner Noten interes-sierte als für den Klang.

Variation 45 klingt in der Mitte wie höhnisches Gelächter – der Komponist beim Anblick des armen Spielers?

Variation 47 erinnert an ein Schlachtfeld: Hornsignale, Panzer, Krieg der Maschinen.

DIE MUSIK

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Die Grafik zeigt einen Blick in die Orgel, der im Saal so nicht möglich ist. Denn weite Teile sind durch den sogenannten Prospekt verdeckt, die Schauseite, die sich aus den größten Metall-pfeifen zusammensetzt. Eine Besonderheit der Elbphilharmonie-Orgel ist, dass man diese Pfeifen anfassen kann. Dazu sind sie mit einem speziellen Lack versehen, der keine Finger-abdrücke annimmt. Zudem sind die »Münder« der Pfeifen nach hinten gedreht, damit nichts hineinfallen kann.

1 WINDVERSORGUNGDie Lunge der Orgel: Da kein Organist der Welt ausreichend Puste für die vielen Pfeifen hat, übernehmen das vier große Gebläse mit Elektro -motoren. Die Luft wird auf den exakt benötigten Druck reguliert und durch hölzerne Kanäle zu den Pfeifen geführt.

2 SPIELTISCHVon hier aus (oder vom mobilen, elektronisch verbundenen Duplikat auf der Bühne) kann der Organist jede Pfeife einzeln oder in Kombina-tion mit anderen Pfeifen ansteuern. Jeder Kla-viatur – vier Manuale für die Hände und Pedale für die Füße – sind bestimmte Pfeifenreihen zugeordnet. Jede Reihe bildet ein Register mit einer individuellen Klangfarbe; Gruppen von Pfeifenreihen werden »Werke« genannt.

3 CHORWERKDie Pfeifen des Chorwerks werden vom unters-ten Manual gespielt. Sie stehen in einem gro-ßen Kasten mit Türen, die über ein Fußpedal geöffnet und geschlossen werden können, um die Lautstärke zu variieren. Chorwerk heißt es, weil es sich besonders für die Begleitung eines Chores eignet.

4 HAUPTWERKDas klangliche Rückgrat der Orgel. Wie der Name schon vermuten lässt, entstehen hier die Haupt-Klangfarben der Orgel. Gespielt wird es auf dem zweiten Manual von unten.

5 SCHWELLWERKWie das Chorwerk ist auch dieses Werk »schwellbar«. Gespielt wird es auf dem zweiten Manual von oben. Hier stehen viele Register, die einen sinfonischen Klang erzeugen. Anzahl und Klangfarben der Pfeifen in diesem Werk sind so gewählt, dass man das Schwellwerk sehr laut und auch ganz leise spielen kann.

6 SOLOWERKGespielt vom obersten Manual, enthält das Solowerk außergewöhnliche Klangfarben und einige sehr laute Register, die sich gut für her-vorgehobene melodische Linien eignen.

7 GROSSPEDALPfeifen dieses Werkes erklingen, wenn man die Orgel über die Pedale mit den Füßen spielt. Da hier die tiefsten Töne produziert werden, ste-hen hier auch die längsten und dicksten Pfei-fen – darunter die größte Pfeife der Orgel, die über zehn Meter lang ist. Register mit kürzeren Pfeifen stehen in der Abteilung des Kleinpedals hinter dem Solowerk.

8 FERNWERKDas Fernwerk zählt zu den »Special Effects« der Orgel. Seine Pfeifen stehen im runden Klang reflektor, der mittig über der Orchester-bühne hängt, und erzeugen daher einen ande-ren räumlichen Klang als die anderen Werke. Das Fernwerk kann von jedem Manual im Spieltisch bedient werden.

DIE ORGEL

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4.765 PFEIFEN

Die Orgel der Elbphilharmonie ist ca. 15 × 15 Meter groß und wiegt etwa 25 Tonnen. Sie besteht aus 4.765 Pfeifen, deren Länge von gerade einem Zentimeter bis zu zehn Metern reicht. Sowohl in der Tiefe als auch in der Höhe kann die Orgel damit Töne an der Grenze des Hörbaren erzeugen; besonders in der Tiefe kann man sie mehr fühlen als hören. 380 Pfeifen sind aus Holz gefertigt, die übrigen aus unterschiedlichen Zinnlegierungen. Pro Minute rauschen bis zu 180 Kubikmeter Wind hindurch – das Volumen einer 60-Quadratmeter-Wohnung mit drei Meter hohen Decken. Insgesamt haben an dem Instrument 45 Orgelbauer über 25.000 Stunden gearbeitet. Hier eine Liste aller Pfeifen-register. Jedem Register entspricht ein Schalter am Spieltisch.

Bei den rechts genannten Zahlen handelt es sich um die im Orgelbau üblichen Maße in »Fuß«, die jeweils die Länge der längsten Pfeife (also des tiefsten Tones) im Register angeben. Ein Fuß entspricht ca. 32 cm.

Blick ins Innere der Elbphilharmonie-Orgel

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CHORWERK C-c4

schwellbar, 8’/4’ ausgebaut bis c5

Konzertflöte 8’Quintaton 8’Bordun 8’Viola 8’Vox angelica 8’Zauberflöte 4’Violine 4’Quintflöte 2 2/3’Piccolo 2’Terzflöte 1 3/5’Larigot 1 1/3’Septime 1 1/7’Harmonia aetheria IV 2 2/3’Orchesterclarinette 8’Corno di Bassetto 8’Tremulant

HAUPTWERK C-c4

Principal 16’Principal major 8’Principal minor 8’Geigenprincipal 8’Flaut major 8’Bordun 8’Octave 4’Blockflöte 4Quinte 2 2/3’Octave 2’Cornett V 8’Mixtur IV 2’Trompete 16’Trompete I 8’Trompete II 8’Tremulant

SCHWELLWERK C-c4

Bordun 16’Diapason 8’Harmonieflöte 8’Rohrflöte 8’Viola di Gamba 8’

Vox coelestis 8’Principal 4’Traversflöte 4’Doublette 2’Nonencornett VI 2 2/3’Mixtur IV 1 1/3’Bombarde 16’Trompete 8’Hautbois 8’Vox humana 8’Tremulant

SOLOWERK C-c4

Claribel 8’Stentorgambe 8’Horn 8’Bombard Tuba 16’Tuba mirabilis 8’

FERNWERK C-c4

im Reflektor

Seraphonflöte 8’Seraphonflöte 4’Stentorklarinette 16’Stentorklarinette 8’

PEDAL C-g1

Flöte 32’Untersatz 32’Principal 16’Flöte 16’Subbass 16’Violon 16’Octavbass 8’Cello 8’Gedecktbass 8’Octave 4’Mixtur IV 2 2/3’Contra Posaune 32’Trombone 16’Posaune 16’Trompete 8’

KOPPELNChorwerk SubkoppelChorwerk SuperkoppelChorwerk Äquallage abSchwellwerk an ChorwerkSolowerk an ChorwerkChorwerk an HauptwerkSchwellwerk an HauptwerkSolowerk an HauptwerkSchwellwerk SubkoppelSchwellwerk SuperkoppelSchwellwerk Äquallage abSolowerk an SchwellwerkSolowerk SubkoppelSolowerk SuperkoppelSolowerk Äquallage abFernwerk SubkoppelFernwerk SuperkoppelFernwerk Äquallage abFernwerk an ChorwerkFernwerk an HauptwerkFernwerk an SchwellwerkFernwerk an SolowerkChorwerk an PedalHauptwerk an PedalSchwellwerk an PedalSolowerk an PedalSuper Solowerk an PedalFernwerk an PedalPedal Superkoppel

DIE ORGEL

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FÜHRUNGEN MIT ORGELPRÄSENTATION15 Meter hoch, 15 Meter breit, 25 Tonnen schwer, 4.765 Pfeifen purer Klang: Die Orgel der Elbphilharmonie ist ein gigantisches Instrument. Wie sie funktioniert, welche Spezial-Effekte sie bereithält und was sie von ihren Schwestern in anderen Kirchen und Konzertsälen unterscheidet, lässt sich in speziell konzipier-ten Elbphilharmonie-Führungen mit Orgelpräsentation erleben. Dabei zeigt und erklärt der Hamburger Organist Thomas Corne-lius das Instrument ausführlich und demonstriert anhand zahl-reicher Musikbeispiele dessen enorme technische und klang-liche Möglichkeiten – zum Beispiel, wie sich auf der Orgel ein ganzes Orchester imitieren lässt.

Nächste Termine: 24.10. | 7.11. | 29.11. | 5.12. | jeweils 13 und 15 Uhr Buchung unter www.elbphilharmonie.de/fuehrungen/orgel

Es ist nicht gestattet, während des Konzerts zu filmen oder zu fotografieren.

IMPRESSUMHerausgeber: HamburgMusik gGmbHGeschäftsführung: Christoph Lieben-Seutter (Generalintendant), Jochen MargedantRedaktion: Clemens Matuschek, Simon Chlosta, Laura Etspüler, Janna Berit HeiderLektorat: Reinhard HellingGestaltung: breeder typo – alatur, musialczyk, reitemeyerDruck: Flyer-Druck.de

Anzeigen: Antje Sievert, +49 40 450 698 03, [email protected]

BILDNACHWEISKevin Bowyer (Linda Fullarton); Kaikhosru Shapurji Sorabji sowie Manuskriptseite (The Sorabji Archive); Infografik zur Orgel (Elbphilharmonie / Grafik: bloomimages); Orgelbilder (1 Maxim Schulz, 2+3 Peter Hundert)

TIPP

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FÖRDERSTIFTUNGENKühne-StiftungKörber-StiftungHans-Otto und Engelke Schümann StiftungHaspa Musik StiftungHubertus Wald StiftungG. u. L. Powalla Bunny’s StiftungCyril & Jutta A. Palmer StiftungMara & Holger Cassens StiftungProgramm Kreatives Europa der Europäischen Union

Stiftung Elbphilharmonie

Freundeskreis Elbphilharmonie + Laeiszhalle e.V.

PRODUCT SPONSORSCoca-ColaHaweskoLavazzaMeßmerRicolaRuinartStörtebeker

CLASSIC SPONSORSAurubisBankhaus BerenbergCommerzbank AGDZ HYPEdekabankGALENpharmaHamburg Commercial BankHamburger FeuerkasseHamburger SparkasseHamburger VolksbankHanseMerkur VersicherungsgruppeJyske Bank A/SKRAVAG-VersicherungenWall GmbHM.M.Warburg & CO

ELBPHILHARMONIE CIRCLE

PRINCIPAL SPONSORSBMWMontblancSAPJulius BärDeutsche Telekom

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