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Das Ultimatum der Sturmreiter

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ATLAN 107 – Im Auftrag der Kosmokraten

Nr. 781

Das Ultimatum der Sturmreiter von Arndt Ellmer

Der Anfang des Jahres 3820 bringt eine einschneidende Veränderung der Machtkonstella-tion in der Galaxis Manam-Turu. Atlans Hauptgegner, der Erleuchtete, ist nicht mehr. Trotzdem hat sich die Lage in Manam-Turu nicht entspannt. EVOLO, der vom Erleuchte-ten Erschaffene, ist im Juni 3820 bereits stärker, als der Erleuchtete es jemals war. Wel-che Gefahr das Psi-Geschöpf darstellt, ist längst bewiesen. Allerdings gibt es laufend Verschiebungen in den Machtstrukturen von Manam-Turu. Da ist zum einen EVOLOS wachsende Instabilität – und die Tatsache, daß das Psionische Tor, das das Psi-Geschöpf stabilisieren half, zerstört wurde. Da sind zum anderen hoff-nungsvolle Anzeichen für eine künftige Koalition zwischen Daila, Bathrern und Krelquotten erkennbar. Und da kommt es zum endgültigen Bruch zwischen den Partnern des Zweiten Konzils, als die Ligriden aus dem an ihnen verübten Betrug die Konsequenzen ziehen, ihre Streitkräfte sammeln und Manam-Turu verlassen. Die Hyptons sind somit auf sich allein gestellt und ohne militärische Unterstützung – doch nicht für lange! Denn eine riesige Flotte erscheint – und Atlan empfängt DAS ULTIMATUM DER STURMREITER ...

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Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Arkonide startet eine lebens-gefährliche Mission. Anima und Don Quotte – Atlans Beglei-ter. Chandor – Er gibt sich für einen Ligriden aus. Raspor – Ein angeblicher Unterhändler. Aksuum – Rat der Daila von Aklard.

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1.

Wieder einmal hatten sie seine Spur aufge-

nommen. Von seinem Beobachtungsposten hoch über dem Wasser hatte er den Schweber ausgemacht, der sich von südlicher Richtung näherte, aus der Ebene mit den Schießdorn-bäumen.

Der Schweber landete an der dünnen Trennlinie zwischen dem Ufersand des Nordmeers und dem moosigen Boden, unter dessen Oberfläche kleine, gefährliche Sta-chelwürmer lebten, die sich immer an jenen Stellen orientierten, an denen von oben Druck auf den Boden ausgeübt wurde. Sie suchten diese Stellen auf und richteten ihre Stacheln nach oben. Wie Pfeile schnellten sie sie em-por, und wo sie auf Widerstand trafen, ver-spritzten sie ihr tödliches Gift. Sie blieben unter der Oberfläche. Sie warteten, bis das Opfer verendete und Regen und Tau die Nährstoffe des verwesenden Kadavers in den Boden spülten, wo sie sie aufnahmen.

Chandor ekelte sich vor den Stachelwür-mern, und er sehnte sich nach der friedlichen Umgebung seiner Heimat.

Aber was war Heimat? Der Schweber öffnete sich. Sie traten her-

aus, eine Kette metallisch blinkender Leiber, die sich über das Moos bewegte, ohne es nö-tig zu haben, auf Gefahren von unten zu ach-ten. An verschiedenen Stellen bewegte sich der Moosboden, weil sich unter ihm die Sta-chelwürmer dem Ziel näherten. Sie schleuder-ten ihre Stacheln nach oben, und Chandor glaubte das Quietschen zu hören, mit dem sie abbrachen. Jetzt kamen die Würmer zum Vor-schein und wälzten sich waidwund auf dem Moos, um nach kurzer Zeit zu verenden.

Chandor achtete kaum darauf. Er zählte die Stahlmänner. Fünfzehn der Roboter waren es, die sich in alle Richtungen verteilten. Es gab keinen Zweifel, daß sie etwas suchten.

Sie wollten ihn. Chandor verfluchte sich und den Tag, an dem er diesen unseligen Auf-trag angenommen hatte. Er war als einziger in Frage gekommen, und ausschlaggebend wa-ren seine vorstehenden Wangenknochen und seine Größe gewesen, die für sein Volk mehr als ungewöhnlich waren.

Und dann hatte er die Anweisung erhalten,

sich nicht von Usphar-Gulp zurückzuziehen, sondern in der Art eines Einzelgängers auszu-harren.

Ein seltsamer Befehl, wie Chandor sofort gewußt hatte. Es gab nur einen einzigen Grund, so etwas von ihm zu verlangen.

Seit jenem Zeitpunkt wußte er, daß er auf einem Vulkan saß. Es war ein Auftrag, bei dem sich die Schale des Todes an der Waage der Gerechtigkeit bedenklich nach unten neig-te.

Er beobachtete die Stahlmänner, die sich nicht um die Würmer kümmerten. Sie besa-ßen Infrarottaster und konnten jeden größeren Körper ausmachen, der Wärme ausstrahlte. Chandor machte sich nichts vor. Sie würden ihn finden, wie sie ihn schon früher gefunden hatten. Sie würden ihn dorthin bringen, wo die metallene Kugel in der Senke lag.

Zu den Geflügelten. Zu den Hyptons. Er blieb ruhig liegen und wartete auf die

Roboter. Noch schützten ihn die feuchten und kalten Felsen gegen eine Entdeckung von unten, und gegen oben war er teilweise durch den überhängenden Gesteinsvorsprung gesi-chert, den er für sich Himmel der Wohlbehal-tenheit getauft hatte.

Nach seinem Zeitgefühl dauerte es etwa ei-ne halbe Stunde, bis sie eine Spur von ihm entdeckt hatten. Im Gesteinsmehl an der Rückseite der Erhebung waren seine Spuren erhalten geblieben. Die Flut war am Zurück-gehen, sie hatte es nicht mehr geschafft, mit ihren lechzenden Wasserzungen die Spur zu verwischen.

Stille kehrte ein, die Stahlmänner waren stehengeblieben.

Chandor blickte zu der weißblauen Sonne empor, die in ihrer Winzigkeit soviel Hitze abstrahlte, daß sie alle Planeten verbrannte bis auf den fünften und äußersten. In diesem Sonnensystem im westlichen, ausladenden Arm Manam-Turus hatte außer Würmern und schießwütigen Bäumen und ein paar Fischen in den Ozeanen nichts entstehen können. Der Planet eignete sich hervorragend für einen unauffälligen Stützpunkt, wie ihn die Hyptons benötigten.

Von der galaktischen Position her lag Usphar-Gulp unter seiner namenlosen Sonne etwa achttausend Lichtjahre über der zentra-

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len Ebene und siebzigtausend Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt.

Weitab und weit vom Schuß und dennoch von hoher Wichtigkeit, wie die Anweisung an Chandor gezeigt hatte. Aber was war nicht wichtig in dieser gefährlichen Zeit, in der die gesamte Galaxis vor der Gefahr zitterte, die EVOLO darstellte.

Der Gedanke an EVOLO ließ Chandor ein wenig ruhiger und ausgeglichener werden. Im Vergleich mit EVOLO waren die Hyptons harmlos. Sie waren ein Gegner, den man grei-fen konnte. Und sie hielten seit einiger Zeit still und entwickelten keinerlei Aktivitäten.

Zumindest hatte es den Anschein. Chandor hörte das Mahlen von Steinen. Die

Stahlmänner kamen herauf zu ihm, und er bewegte sich lautlos zur Seite, so daß die Sonne auf ihn schien und er noch immer durch die aufragenden Felsen vor einer direk-ten Ortung geschützt war.

Jetzt hatten sie ihn endgültig ausgemacht. Ein Felsbrocken polterte in die Tiefe, das Stampfen der Roboter wurde lauter.

»Kommt herauf!« rief er ihnen zu. Aus sei-nem Mund klangen die Worte harmlos. Viel zu harmlos.

Der erste Schatten eines Stahlmanns tauch-te zwischen den Felsen auf. Kalte Linsen rich-teten sich auf Chandor. Der einsame Mann ließ sich nach hinten fallen. Mit einem einzi-gen Schwung warf er sich über die Kante des Steilhangs und stürzte in die Tiefe. Oben war es im Augenblick ruhig. Neben sich sah Chandor den dunkelbraunen Streifen des Gummiseils, das er sich um den Leib gebun-den hatte.

Jetzt! Er zog die Beine an. Das Seil straffte sich

und federte. Er wurde mindestens vier Meter nach oben gerissen, bevor er wieder fiel. Fünf-, sechsmal dauerte die Pendelbewegung, dann hing das Gummiseil still. Er hatte sein Körpergewicht richtig verlagert und war nicht gegen die Felswand geprallt.

Chandor streckte die Beine aus. Der Boden befand sich einen Meter unter ihm. Er löste die Schlaufe und glitt aus dem Seil in den Sand. Hastig sprang er davon, direkt auf den Schweber zu. Er achtete darauf, daß er nicht in das Moos geriet. Allein der Sand war harm-

los an diesem Gestade. Oben auf der Felskante tauchten die Robo-

ter auf. Wenn sie schießen wollten, dann mußten sie es jetzt tun. Aber sie mußten be-rücksichtigen, daß er sich genau zwischen ihnen und dem Schweber befand.

Die Stahlmänner schossen nicht. Sie hatten keinen Auftrag dazu. Wie jedesmal sollten sie ihn nur abholen. Und sie waren es gewohnt, daß sie ihn suchen mußten, weil er jedesmal in ein anderes Gebiet des Kontinents wander-te, um ungestört seiner Tätigkeit nachgehen zu können.

In ihren Augen war es die übliche Tätigkeit eines jeden Suchenden und Findenden, der sich auf der Suche nach der Weisheit befand.

»Diener des Gward!« vernahm er die mo-notone Stimme eines der Roboter. Die Stahl-männer erkannten, daß er sie zum Narren gehalten hatte. In der Art seelenloser Maschi-nen verarbeiteten sie es nüchtern und ohne Zorn. Sie machten kehrt und kamen auf dem-selben Weg zum Schweber zurück, den sie zuvor gegangen waren. Aus den übrigen Richtungen tauchten die anderen Roboter auf.

Chandor empfing sie unter dem offenen Einstieg des Schwebers. Er hatte sich auf den Rand gesetzt und erhob sich jetzt.

»Hört meine Worte«, verkündete er. »Es gibt nichts Unwürdigeres unter dem Licht aller Sonnen, als einen Weisen bei seiner Me-ditation zu stören. Warum habt ihr nicht geru-fen, um eure Ankunft zu melden?«

»Es hätte nichts genützt wie schon so oft«, erhielt er die Antwort. »Wir haben einen Auf-trag, und den werden wir ausführen!«

»Ich kenne den Auftrag. Ich werde euch begleiten!«

»Dann steig ein! Die Traube erwartet dich!«

Chandor erhob sich und kletterte in das In-nere des Schwebers. Da er nichts bei sich hat-te als das, was er unter seiner Kutte trug, machte es ihm keine Schwierigkeiten, sich in einen der Sitze zu zwängen, die viel zu eng für ihn waren. Er hatte es früher einmal be-mängelt, daß die Hyptons ihm keine Ligri-dengleiter zur Verfügung stellten, aber sie hatten es abgelehnt.

Die Ligriden waren weit von Usphar-Gulp und auch weit von den Hyptons. Das zweite

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Volk des Neuen Konzils hatte nichts mehr mit dem ersten gemein außer der Tatsache, daß beide nicht aus Manam-Turu stammten.

Chandor war mit Sicherheit der einzige, der sich noch loyal verhielt. Es war kein Zufall.

Die Stahlmänner polterten herein und blie-ben unbeweglich stehen. Der Gleiter hob au-tomatisch ab und flog über das Nordmeer bis zum östlichen Rand des Kontinents, zu der Senke, in deren Metallkugel sie ihn erwarte-ten.

Die Traube der Schalenwächter, wie sie sich nannten.

Es war Chandor nicht klar, welche Schale sie meinten. Vermutlich würde er es auch nie erfahren. Er wußte nur, daß die Traube aus vierundzwanzig Hyptons bestand. Die genaue Anzahl der Stahlmänner auf dem Planeten war ihm nicht bekannt.

Eine Stunde flog der Gleiter beharrlich ge-radeaus. Dann beschrieb er einen sanften Bo-gen nach links. Am Horizont tauchte der klei-ne Kraterwall mitten in der roten Ebene auf, hinter dem die Senke mit der Station lag.

Chandor hielt die Augen geschlossen. Er dachte nach, und nach außen hin hatte es den Eindruck, als meditierte er. Er tat es immer, wenn er sich mit den Stahlmännern unterwegs befand. Er prüfte alle seine Verhaltensweisen auf ihre Logik. Und er unterdrückte den ins-tinktiven Zwang in sich, die Roboter mit Hilfe seiner Begabung davonzuschleudern und end-lich das Schiff zu rufen, das irgendwo in einer Entfernung von zwanzig Lichtjahren unbe-mannt in einer engen Bahn um einen Roten Riesen lief, allein für ihn und seinen letzten Weg bestimmt.

Er sehnte den Zeitpunkt herbei, da es ihn endlich in Sicherheit bringen würde.

Der Schweber neigte sich in die Senke hin-ab und setzte neben der Station auf. Die me-tallene Kugel ragte fast zur Gänze aus dem Boden heraus. Sie war nur das Oberteil der Station, die eigentlichen Anlagen befanden sich darunter. Sie waren durch Schirme ge-schützt, während die Kugel nur so etwas wie eine Tarnung und der Aufenthalt der Stahl-männer war. Die Hyptons hatten sich sogar auf diesem verlassenen Planeten gegen alle Eventualitäten abgesichert.

Die Stahlmänner brachten Chandor in die

Station hinein. In einem Antigrav ging es ab-wärts bis in die unterste Etage. Dort brannte dunkelblaues, düsteres Licht. Chandors Au-gen benötigten länger als üblich, sich daran zu gewöhnen. Er kniff ein wenig die Augen zu-sammen, um mit den harten Lidern von oben und von unten die Kontaktlinsen fest an die Augäpfel zu drücken. Danach sah er besser.

Vor dem dunkelgrünen Panzerschott hielten die Stahlmänner an und machten ihm Platz. Das Schott öffnete sich, und er trat in die Düsternis hinein. Geraschel empfing ihn, und er blieb an dem Schott stehen, das sich ge-räuschlos schloß.

»Diener des Gward«, schrillte eine Stimme. Sie war schwer zu verstehen, aber für einen Ligriden konnte das keine Schwierigkeit dar-stellen.

»Ihr habt mich gerufen«, stellte Chandor mit leiser Stimme fest. Das Geraschel ver-stärkte sich. Der Mann erkannte die Traube der Schalenwächter, die in der Mitte des ova-len Raumes an einem Netz hing, das unter der Decke angebracht war. Hyptons waren ko-boldartige Wesen, durchschnittlich sechzig bis siebzig Zentimeter hoch. Von den Händen über die Arme und an den Beinen entlang spannten sich Flughäute. Die beiden Arme und Beine endeten in vierzehigen Greifhän-den und einem daumenartigen großen Zeh. Die Köpfe ähnelten am deutlichsten terrani-schen Fledermäusen mit ziemlich plumpen Schnauzen. Ohren waren nicht vorhanden, dafür erstreckte sich an beiden Seiten des Schädels ein filigranes Gewirr von zartrosa Farbe, das aussah wie ein Trichter mit nach außen gedrehter Öffnung. Damit hörten die Hyptons und nahmen Ultraschallwellen auf, werteten andere Impulse aus, die sie anmaßen. Ihre Haut war unbehaart und milchig weiß. Das hervorstechendste Körpermerkmal dieser Wesen waren die Augen. Trotz der kleinen Köpfe waren sie so groß wie Billardkugeln oder Kinderfäuste, nachtschwarz und sanft-mütig wirkend, dabei weit hervorquellend und starr. Bei längerer Betrachtung wirkten diese Augen unangenehm und zwingend.

Hyptons waren Paralogik-Psychonarkotiseure. Sie beeinflußten andere Wesen nicht direkt, ihre Gabe wirkte wie eine schwache Narkose, die erst nach längerer Zeit

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zur Wirkung kam. Diese Aufpfropfung des fremden Willens wurde von dem Betroffenen überhaupt nicht bemerkt, wenn er nicht selbst über parapsychische Fähigkeiten verfügte.

»Wir benötigen deine Hilfe«, fuhr der Sprecher der Hyptons fort. »Ich bin Tete und teile dir die Wünsche unserer Traube mit.«

Die hohe Stimme des Hyptons klang sanft und einschmeichelnd, und Chandor wurde seiner vergeistigten Rolle voll gerecht, indem er darauf einging.

»Ich höre«, erwiderte er ebenso sanft. Das Geraschel der Traube verstummte. Au-

ßer der Sprechöffnung Tetes bewegte sich nichts mehr.

»Einst wurde unser Volk groß, weil es sich auf einem eisbedeckten Planeten entwickelt hatte und immer um sein Überleben kämpfen mußte. Es errang die Vormachtstellung in seiner Heimatgalaxis. Es würde dir nichts nützen, wenn du erführst, warum wir uns nach Manam-Turu orientieren. Glaube auch nicht, was deine Artgenossen auf manchen Welten erzählen. Es gibt kein drittes Konzilsvolk, und die Geschichte mit Bennerton ist ein Mär-chen. Es wird der Tag kommen, da wird dein Volk dies erkennen und reumütig zu uns zu-rückkehren. Solange können wir aber nicht warten. EVOLO ist ein zu gefährlicher Geg-ner für uns!«

»Ich bin ein Einsiedler auf dieser Welt. Ich habe viel nachgedacht, und ihr wißt, daß ich euch treu ergeben bin«, sagte Chandor. »Nie käme ich auf den Gedanken, euch meine Dienste zu verweigern. Ja, ich glaube, daß ich durch meine Treue zu großen Dingen vorher-bestimmt bin. Ich werde den Vertrag nicht brechen, den die Führer meines Volkes einst mit eurem Volk ausgehandelt haben!«

»Du bist erstaunlich weise, Diener des Gward namens Chandor. Du bist so weise, wie dein Name sanft klingt. Chandor! Chan-dor!«

Der Diener des Gward versteifte sich ein wenig. Selbst in der Wiederholung seines eigenen Namens verbarg sich eine starke, hypnotische Kraft. Er spürte sie, und ein we-nig begann er unsicher und ängstlich zu wer-den. Aber er unterdrückte das Gefühl und konzentrierte sich auf die wichtigen Dinge.

»Wie kann ich euch helfen?« fragte er leise.

Die Hyptons empfanden seine Stimme als wohltuend. Erneut begann die Traube zu ra-scheln, und Chandor wußte, daß sie sich jetzt mittels Ultraschall unterhielten.

»Du sollst unser Botschafter sein«, verkün-dete Tete, nachdem es wieder ruhig geworden war. »Du sollst zu deinen Brüdern gehen und ihnen mitteilen, daß wir sie als gleichberech-tigte Partner des Neuen Konzils akzeptieren, wenn sie sich uns erneut zuwenden. Es wird keine Strafe geben, wir werden verzeihen. Aber es muß schnell gehen. Es ist unser letz-tes Angebot an dein Volk!«

»Ich werde die Botschaft überbringen. Gebt mir eine Gelegenheit, mich mit einem Schiff meines Volkes in Verbindung zu setzen!«

»Wir werden dies für dich tun. Sobald es soweit ist, werden wir dich benachrichtigen. Tage spielen jetzt keine Rolle mehr, obwohl die Zeit drängt. Aber dein Volk wird sehr bald einsehen, daß es Selbstmord wäre, wenn es unser Angebot ablehnte.«

»Ich werde es bedenken und darüber medi-tieren!«

»Du wunderst dich nicht?« »Nein. Ihr werdet mir zu gegebener Zeit

mitteilen, welche Trümpfe ihr in der Hinter-hand habt!«

»Du bist wirklich erstaunlich weise, ein Sonderfall in deinem Volk«, sagte Tete. »Du sollst es sofort erfahren. Unser Stillhalten wird von den Bewohnern Manam-Turus falsch eingeschätzt. Es ist nicht so, daß wir plötzlich Angst vor EVOLO bekommen hät-ten. Wir warten. Wir warten auf etwas, was bald eintreffen wird. Und dann müssen sich die Ligriden entscheiden. Entweder stehen sie zu uns, oder sie müssen mit allem rechnen.«

»Was wird das sein?« »Der Tod oder die Freiheit. Darüber hat die

Traube der Schalenwächter nicht zu entschei-den. Wir werden Verstärkung durch starke Verbände aus unserem Volk erhalten. Wir werden wie ein Insektenschwarm über Ma-nam-Turu herfallen und uns zunächst gegen Aklard und den Einflußbereich der Daila wenden. Wir werden dieses Volk überrennen. Und jene, die unserer Macht widerstehen, werden von den Stahlmännern niedergewalzt werden!«

»Bei Illard!« entfuhr es Chandor. »Jeder

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Ligride wäre lebensmüde, wenn er diesen Hinweis nicht verstünde! Ich werde aufbre-chen, sobald ihr es erlaubt!«

»Ja, tu dies!« sagte Tete und verstummte dann.

Der Diener des Gward blieb abwartend ste-hen. Er wartete auf ein Wort oder eine Geste der Hyptons, aber der Sprecher der Traube meldete sich nicht. Im Licht, das violett und rot von den Wänden strahlte, sah er, daß ein paar der Hyptonkörper sich veränderten. Er empfand plötzlich einen starken Druck auf seinem Geist, ließ sich jedoch nichts anmer-ken. Die Körper der betroffenen Hyptons wurden farblos und schließlich durchsichtig. Er konnte die Eingeweide und die blutführen-den Gefäße erkennen. Diese Veränderung, wußte Chandor, trat nur unter großer geistiger Anstrengung auf. Sie geschah ohne bewußte Willensanstrengung und ging einher mit der Abgabe fünfdimensionaler Schutzimpulse. Es war eine natürliche Verteidigungswaffe, die sich die Hyptons im Lauf ihrer Evolution an-geeignet hatten.

Was war geschehen? »Geh jetzt!« sagte Tete plötzlich. Es klang

so schrill und hoch, daß er es erst nach einer halben Sekunde verstand. Er wandte sich um. Das Schott fuhr auf, und die Stahlmänner empfingen ihn an der Stelle, an der sie zu-rückgeblieben waren. Hinter ihm klang lautes Geraschel auf, und Chandor vernahm mehrere erregte Hyptonstimmen. Dann schloß sich das Schott, und er hörte nichts mehr.

Die Stahlmänner brachten ihn hinaus vor die Station und in den Schweber. Sie flogen ihn aus der Senke hinauf in die Ebene, wo er aussteigen mußte.

Chandor machte sich auf den Weg. Er wandte sich nach Norden, wo ein dunkler Saum das Vorhandensein eines Waldes an-zeigte. Er suchte nach einer Erklärung für das seltsame Verhalten der Hyptons und fand sie nicht.

Chandor hatte nur plötzlich das Gefühl, daß er einen Fehler begangen hatte.

*

Die Ebene war weitläufig, der Wald fern.

Chandor hatte es eilig, und so rannte er immer

schneller. Sein kuttenähnliches Gewand von dunkelgrauer Farbe umschlotterte seine Beine und brachte ihn mehrmals an den Rand eines Sturzes. Nie im Leben wäre ein Diener des Gward so gerannt, aber Chandor war in jeder Beziehung eine Ausnahme. Er erfüllte einen Auftrag, und er wußte, daß er verloren war, wenn er den Wald nicht rechtzeitig erreichte. Irgendwann würden die Hyptons eine Ent-scheidung treffen und ihn zurückholen.

Der Luftzug fegte die Kapuze vom Kopf des Ligriden. Darunter trug er eine lederne Haube, die seinen kahlen Schädel zusätzlich verhüllte. Es gab nichts Schmachvolleres für einen Ligriden, als sein bloßes Haupt zu zei-gen.

Ligriden waren von humanoider, hoher Gestalt. Ihre Haut besaß eine olivbraune Far-be. An den Außenseiten der Gelenke, sowie an Händen und Füßen war sie leicht ge-schuppt. Hände und Füße waren sechsglied-rig, die Füße breitflächig, die Hände mit lan-gen und dünnen Fingern. Der Kopf besaß eng anliegende Ohren, eine hohe Stirn und schwach ausgeprägte Brauenwülste. Die Au-gen wurden durch doppelte Lider geschützt. Einmal war es eine dünne, durchscheinende, von unten nach oben schließende Haut, zum anderen ein von oben nach unten sich senken-des Lid, das mit haarartigen Schuppen besetzt war. Die Augäpfel waren weiß mit sehr gro-ßer Iris und runder Pupille. Die Augenfarbe schwankte individuell zwischen Gelb und Braun. Die Nase war flach und breit, die Kie-ferpartie ragte stark hervor. Der Mund war breit und von schmalen Lippen eingerahmt.

Chandor gehörte nach eigenen Aussagen zu den niedrig geborenen Ligriden. Diese hatten kaum eine Chance, in höhere Stellungen auf-zusteigen. Sie konnten eine wissenschaftliche oder technische Laufbahn einschlagen und sich dadurch gewisse Sonderrechte erwerben. Aber sie blieben stets Untergebene ihres Ge-folgsherrn, der sie auch in den Tod schicken konnte, wenn es notwendig war. Demgegen-über gab es die Hochgeborenen mit ihren Pri-vilegien. Bindeglied zwischen den beiden Gruppen war die Religion mit ihren beiden Anschauungen. Gward stellte den Geist über den Körper und die passiven über die aktiven Fähigkeiten. Die Diener des Gward waren

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Weise, Philosophen und Künstler oder streb-ten danach, es zu werden. Gwyn dagegen ak-tivierte die körperlichen Fähigkeiten der Ligriden und zielte darauf ab, diese bis zur Vollkommenheit zu steigern. Diener des Gwyn waren Athleten, Akrobaten und vor allem Kämpfer.

Chandor also sagte von sich, daß er ein Diener des Gward sei und nach Weisheit strebte. Wer ihn jetzt so rennen sah, der hätte daran gezweifelt und ihn eher dem Gwyn zu-geordnet. Aber war jemals ein Diener des Gwyn in so unligridischer Weise gerannt?

Dazu kam noch, daß Chandor keinen Ge-folgsherrn besaß. Auch das war außerge-wöhnlich, wenn nicht gar verdächtig. Es be-stand für ihn jedoch kein Grund, auf eine diesbezügliche Frage zu antworten. Den Hyp-tons kam es nicht in den Sinn, nach solchen Dingen zu fragen, auf die Ligriden erfah-rungsgemäß allergisch reagierten.

Chandor war sich allerdings nicht mehr so sicher, ob die Hyptons nicht daran dachten, ihm solche und ähnliche Fragen zu stellen.

Während er mit aller Kraft und unter Ver-nachlässigung seiner Identität auf den Wald zurannte, wurde ihm bewußt, welchen Fehler er begangen hatte. Er hatte den Begriff Illard erwähnt, und dieser gehörte nicht zur Weltan-schauung eines Ligriden. Er erinnerte sich daran, was man ihm vor seinem Einsatz ein-gebleut hatte. Er durfte nur falsche Spuren legen, die überzeugend waren und nachge-prüft werden konnten. Es durfte ihm nichts Verräterisches herausrutschen.

Chandor entschloß sich, das Hasenpanier zu ergreifen. Er änderte geringfügig die Rich-tung, um nicht durch eine Unbedachtsamkeit jene Stelle zu verraten, an der er den Daten-speicher vergraben hatte. Zu seinem Glück war die rote Ebene frei von Stachelwürmern. Sie war zu trocken und zu hart im Unter-grund.

Immer näher kam der Wald, und er zog sich zum ungezählten Mal die Kapuze über den Kopf. Schließlich hielt er sie mit einer Hand fest, und er benutzte fünf Finger seiner sechs-fingrigen Hand dazu.

Er hatte den Waldrand greifbar vor sich, als er hinter sich am Horizont den Schatten sah. Wieder war es eines der Fahrzeuge der

Stahlmänner, das durch die Luft glitt und sei-nen Weg nach Norden verfolgte.

Chandor hatte viel gelernt während seines Aufenthalts auf Usphar-Gulp. Er kannte die meisten Pflanzen und ihre Wirkungsweise. Er verschwand zwischen samtblättrigen Büschen und suchte die Deckung unter den Metall-bäumen auf. Es waren nicht wirklich Metall-bäume, aber die Zweige und Blätter schim-merten wie Eisen, und sie reflektierten alle Arten von Suchstrahlen und absorbierten Wärme. Solange er sich in ihrer Deckung be-fand, konnten die Stahlmänner ihn nicht ein-mal mit hochempfindlichen Geräten wahr-nehmen.

Der Schweber näherte sich dem Wald. Dem leisen Singen nach zu urteilen, flog er am Waldsaum weiter und verschwand schließlich aus dem Hörbereich des einsamen Mannes.

Chandor wartete. Er wußte, daß die Robo-ter nach einem genau festgelegten Muster vorgingen. Sie würden innerhalb kürzester Zeit überraschend zurückkommen.

Und genau das taten sie auch. Der Vorgang wiederholte sich, und erst dann begann der Schweber die Bäume zu überfliegen. Such-strahlen tasteten sich voran. Der Ligride tat, was am besten war. Er sah zu, daß er sich direkt unter dem Gleiter hielt und die Metall-bäume zwischen sich und dem Fahrzeug hat-te. Er rannte und vermied es, Geräusche oder Bewegungen zu verursachen. Ewig konnte er nicht im Wald bleiben, das wußte er. Irgend-wann würden die Roboter aussteigen und ihn durchkämmen.

Womit er nicht rechnete, war, daß die Ro-boter aus großer Höhe einfach aus ihrem Fahrzeug sprangen und wie reife Früchte in den Wald hineinsegelten.

Chandor blieb keuchend stehen und bog nach links ab. Er befand sich etwa hundert Meter vom Speicher entfernt. Geduckt hastete er zwischen den Büschen hindurch.

Es war seltsam. Er hätte eigentlich Angst verspüren müssen. Aber da war nur dieses dumpfe Gefühl einer inneren Bereitschaft vorhanden, das Bewußtsein, daß die Chancen auf Null gesunken waren. Er würde nie mehr in seine Heimat zurückkehren. Das Robot-schiff war wertlos für ihn geworden. Er konn-te es nicht mehr herbeirufen. Es hatte keinen

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Sinn mehr. Es würde den Hyptons nur unnö-tige Aufschlüsse geben.

Alles hing jetzt an ihm. Chandor, unter diesem Namen war er gebo-

ren worden. Er war nicht in irgendeiner Fab-rik erzeugt, nein, er war von einer Mutter ge-boren worden. Er war ein normales Lebewe-sen, und noch immer trug er seinen Namen, der neutral war und zu dem einen Volk paßte wie zu dem anderen.

Chandor seufzte. Vor ihm tauchte die Lich-tung mit der Buschgruppe in der Mitte auf. Längst hatte er die Metallbäume hinter sich gelassen. Die Roboter mußten ihn bereits aus-gemacht haben.

Er rannte über die Lichtung und zwischen die Büsche hinein. Er warf sich flach zu Bo-den und zog an dem Gestrüpp, das hier wu-cherte. Ein Stück des Bodens klappte auf und gab den winzigen Speicher frei, der mit einer Sendeeinheit gekoppelt war. Er rührte den Sender nicht an, aktivierte nur den Speicher und sprach hastig seine neuesten Erkenntnisse hinein. Dann schaltete er das Ganze ab und deckte es zu. Im nächsten Augenblick rannte er bereits weiter. Am Rand der Lichtung schlug er einen Haken und kehrte wieder ein Stück auf sie zurück. Er verschwand dann seitlich im Wald, so daß es aussah, als habe er einen ganz anderen Weg verfolgt. Die Robo-ter würden sich vielleicht ablenken lassen, weil er auf seine alte Spur zurückkehrte und mit deutlichen Stapfen nach Osten weiterging in die Richtung, die er ursprünglich hatte ein-schlagen wollen.

Er hörte nichts. Die Stahlmänner der Hyp-tons durchkämmten den Wald nicht. Sie trie-ben ihn nicht wie ein Wild. Sie hielten sich an bestimmten Positionen versteckt und beo-bachteten. Sie warteten darauf, daß er sich verriet oder ihnen in die stählernen Arme lief.

Chandor hielt an und lehnte sich an einen Baum, dessen Stamm warm und weich war. Er blieb stehen, und nach einer Weile setzte er sich sogar. Er schloß die Augen und aktivierte sein Gehör auf das schärfste. Die Abend-dämmerung setzte ein, und die namenlose Sonne versank hinter dem Horizont. Die Nacht kam, und Chandor sah nichts mehr und war den Robotern ausgeliefert. Er rührte sich nicht von dem wärmenden Stamm weg. Ir-

gendwo im Wald vernahm er knackende Ge-räusche, die zu einem oder mehreren Robo-tern gehörten, die in verschiedenen Richtun-gen durch das Unterholz gingen. Sie suchten ihn und fanden ihn nicht. Chandor war zum Umfallen müde, aber er hielt sich wach und preßte sich gegen den Stamm des wärmenden Baumes. Er hielt durch bis zum Morgengrau-en, und mit dem hereinbrechenden Tag ver-stummten auch die Geräusche im Wald.

Langsam löste sich der Gejagte von dem Stamm und schlich davon. Er näherte sich dem östlichen Waldrand, wo ihn die Roboter sicherlich nicht vermuteten. Vorsichtig spähte er zwischen den Zweigen und Ästen hindurch in die Ebene. Eine schmale Bodenwelle gab es dort, die in Nord-Süd-Richtung lief. Wenn er sie erreichte, dann besaß er wenigstens eine geringfügige Deckung, um sich aus der Nähe des Waldes entfernen zu können.

Er schlug einen Haken, dann huschte er hinaus ins Freie und eilte geduckt zu der Bo-denwelle hinüber. Nichts rührte sich im Wald, und Chandor atmete befreit auf. Er hatte sie zum Narren gehalten. Sie dachten, daß er sich weiterhin im Wald aufhielt.

Ein flüchtiges Grinsen huschte über sein Gesicht. Er glitt über den Wellenkamm in die Senke hinein und blieb abwartend stehen. Die Bodenwelle war kahl und leer. Nach kurzer Pause rannte er davon, immer nach Norden zu.

Chandor war weit herumgekommen auf dieser Welt und diesem Kontinent. Er wußte genau, wohin er sich wenden mußte, um vor-läufig nicht gefunden zu werden. Er kannte exakt die Positionen der anderen Speicher und Sender, die er zu Beginn seiner Tätigkeit hier verteilt hatte. Von einem der Standorte aus würde er das Automatikschiff rufen, damit es ihn aufnahm und in Sicherheit brachte.

Nach etwa einer Stunde erreichte er das Ende der Bodenwelle. Längst war vom Wald nicht mehr als ein dunkler Strich am Horizont zu erkennen. Eine kleine Biegung lag vor ihm, die er hinter sich ließ. Er wollte sich be-freit aufrichten, sank dann erschöpft zu Bo-den.

Sie hatten ihn erwartet. Roboter dachten eben doch logischer als Intelligenzwesen. Vor allem ließen sie keine Möglichkeit außer acht.

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»Du fliehst. Du hast etwas zu verbergen!«

verkündete einer der Stahlmänner. »Was ist es?«

»Nichts!« keuchte Chandor. Sein Atem ging rasselnd, seine Brust hob und senkte sich hektisch. Für ein paar Sekunden wurde ihm schwarz vor den Augen. Unter Anwendung aller Kräfte gelang es ihm, den beginnenden Schwächeanfall zu überwinden.

»Die Hyptons wollen dich etwas fragen, komm mit!«

Chandor rührte sich nicht. Er fixierte die Roboter. Es waren sechs Stück, zu viele, um etwas gegen sie ausrichten zu können. Chan-dor war ein Diener des Gward und trug keine Waffen bei sich.

Er sah das Aufblitzen an der Brust des vor-dersten Stahlmanns. Instinktiv warf er sich zur Seite. Der Energiestrahl fauchte haar-scharf an seinem Körper vorbei und riß eine Furche in den Boden.

Erneut schoß der Roboter. Diesmal warf sich Chandor nach der anderen Seite. Seine Reflexe waren aufs Stärkste aktiviert. Den-noch, wußte er, war eine Maschine schneller als er.

Er verlor die Kontaktlinsen. Der Schuß streifte ihn an der linken Hand und ließ einen Finger verschmoren. Er blutete nicht, es stank nach verbranntem Plast. Es war ein falscher Finger gewesen.

Chandor merkte, wie sich Teile seines Ge-sichts zu lösen begannen. Die Roboter analy-sierten genau, was mit ihm vorging. Über Funk standen sie mit den Hyptons in Verbin-dung.

»Du bist kein Ligride«, stellte der Schütze fest. »Wer oder was bist du?«

»Spielt das noch eine Rolle?« keuchte Chandor. »Ist es nicht viel wichtiger, daß ich deine Herren unterstütze? Ich bin nach wie vor ein Verbündeter!«

»Du bekommst eine Chance«, erklärte der Roboter. »Bist du ein Wesen EVOLOS, dann kannst du deine Gestalt verändern. Tu es, und wir werden dich in Ruhe lassen!«

»Ich bin in Panik«, schrie Chandor. »Ich kann mich nicht konzentrieren!« Er wunderte sich selbst darüber, wie rasch er reagierte und sich auf die neue Situation einstellte. Es lag an seiner psionischen Begabung, die ihm jetzt

jedoch nicht viel nützte. Er war kein Telekinet und konnte die Roboter auch auf andere Wei-se nicht beeinflussen.

»Wieviel Zeit brauchst du?« »Ich weiß es nicht. Stunden, Tage!« Heiße Glut fauchte an seinem Gesicht vor-

bei und löste endgültig seine künstlichen Tei-le auf. Sie flossen über seine natürliche Haut und brannten. Sein Gesicht wurde zu einer häßlichen Fratze. Er riß sich die Lederkappe vom kahlen Kopf und preßte sie gegen die Augen, um diese zu schützen. An seiner Hand hing die künstliche Haut in Fetzen, lugten die Fingernägel glitzernd darunter hervor.

»Ich bin ein Arkonide«, log er. »Ein neues Geschöpf EVOLOS!«

»Nein«, sagte der Roboter. »Deine Kör-perwerte sind organisch. Deine Zeit ist um! Die Hyptons verlangen die Antwort!«

Ja, dachte Chandor mit einem letzten Fun-ken Hoffnung. Meine Zeit ist um. Wichtig ist nur, daß der Speicher schnell gefunden wird. Ein Routinesignal an das Schiff ist bald fällig. Wenn es ausbleibt ...

Er haßte diesen Auftrag, den er aufgrund seiner Körpergröße angenommen hatte. Kei-ner war dafür so geeignet gewesen wie er.

Illard, der Unglücksstern. Der Fluch allen Lebens. Er war ihm zum Verhängnis gewor-den.

»Hier gebe ich die Antwort!« schrie Chan-dor auf. »Deine Hyptons können mir die Oh-ren putzen oder sonst etwas!«

Er sah den Schuß im Ansatz und warf sich wieder zur Seite. Der Roboter hatte die Be-wegung voll einkalkuliert. Chandor warf sich mitten in die Schußbahn, aber er bekam es nicht mehr mit. Er war tot, ehe er die Hitze spürte, die der Energiestrahl in seinem Körper verursachte.

»Er war ein Spion«, sagte der Stahlmann und wandte sich mit schwerfälligen Bewe-gungen ab.

2.

Diesmal war es nur ein Beiboot mit zwan-

zig Mann Besatzung. Sie stürzten sich mit-samt dem Boot in die nahe Sonne, und das Schiff, das hinter ihnen hergejagt war, drehte ab. Die Funkgeräte und Bildschirme glühten

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und drohten unter der Dauerbelastung zu-sammenzubrechen.

»Knufza an Hadram!« kam eine Meldung aus dem Hauptquartier. »Solche Vorkomm-nisse sind in Zukunft zu vermeiden. Wenn es noch einen einzigen Fall von Selbstmord gibt, lasse ich dich vor ein Kriegsgericht stellen!«

Hadram starrte den Befehlshaber der drei-ßig Schiffe starken Teilflotte an. Knufzas Au-gen blitzten ihn an, der Diener des Gwyn konnte sich nur mühsam beherrschen. Auch Hadram war ein Anhänger des Gwyn, das erleichterte die Kommunikation ungemein.

»Es läßt sich nicht verhindern, Komman-deur«, sagte Hadram. »Das weißt du so genau wie ich. Seit es sich unter unseren Mann-schaften herumgesprochen hat, daß wir Kunstwesen sind, die aus den Fjukern herge-stellt wurden, da ...«

»Ich will das Wort Fjuker nicht mehr hö-ren!« schrie Knufza und unterbrach die Ver-bindung.

Hadram wandte sich ab und warf seinem Cheffunker einen giftigen Blick zu. Der Sol-dat wagte es nicht, dem Blick standzuhalten. Er beugte sich wieder über seine Anlage.

Hadram warf sich auf ihn und riß ihn em-por. In seinen Augen irrlichterte es. Er zuckte mit den Händen nach oben und beobachtete beinahe unbeteiligt, wie diese sich um den Hals des Funkers legten und sich wie zwei automatische Klammern schlossen. Der Ligride wurde rot im Gesicht, dann blau.

»Hadram!« erklang eine laute Stimme hin-ter dem Schiffskommandanten. »Halt ein!«

Die Stimme klang ruhig und war von sol-chem Zwang, daß sich die Hände des Ligri-den automatisch von seinem Opfer lösten. Der Funker schnappte nach Luft, stieß Hadram von sich und eilte in weiten Sätzen durch die Zentrale. Er verschwand durch einen der vie-len Ausgänge.

»Parag!« Der Kommandant keuchte. »Du! Ich ... weiß nicht, wie das alles ...«

»Spare dir deine Worte, Kommandant. Wir sind gleichen Standes und können ungehin-dert miteinander darüber sprechen«, sagte der Diener des Gward mit ruhiger Stimme. »Es ist für einen Krieger schwerer zu begreifen als für einen Mann des Geistes und der Weis-heit!«

»Was meinst du? Was willst du sagen?« Hadram griff nach der Lehne eines Sessels. Schwerfällig wie ein alter Mann zog er sich hinein und ließ sich in die Polster fallen. Pa-rag, mehr als doppelt so alt wie er, folgte ihm mit geschmeidigen Schritten.

»Wir denken!« flüsterte der Diener des Gward. »Wir sind denkende und intelligente Wesen. Wir sind ein Volk! Das allein ist wichtig. Wir stellen eine Macht dar. Und wir können über unser Schicksal selbst bestim-men. Wir sind nicht abhängig von den Hyp-tons!«

Jedes seiner Worte klang eindringlich und fest, als sei es Gesetz. Der Alte besaß keine hypnotischen Fähigkeiten, und dennoch wirk-ten seine Worte deutlich sichtbar auf den Die-ner des Gwyn. Hadram entspannte sich, er schloß die Augen.

»Und wie sie aussehen, die Fjuker«, hauch-te er. »Es ist entsetzlich!«

»Sie sind von den Hyptons mißbraucht worden, vergiß das nicht«, schärfte Parag ihm ein.

»Das ist es ja gerade. Wir haben uns die ganze Zeit eingebildet, wir seien gleichbe-rechtigte Partner der Hyptons. Und sie haben uns lange in diesem Glauben gelassen. Und nun müssen wir erfahren, daß das alles nur Lüge war, daß sie uns künstlich erschufen.« Er fuhr empor. »Wir sind keine normalen Le-bewesen. Wir besitzen eine künstliche Erinne-rung. Wir wissen nichts von unserer wirkli-chen Vergangenheit!«

»Aber wir gehen den Pfad der Eigenstän-digkeit. Ist das nichts? Würden wir anders reagieren, wenn wir das Wissen um unsere Herkunft nicht hätten? Wir haben uns seit langem von den Hyptons distanziert, Hadram. Alles war nur eine Frage der Zeit. Wir Ligri-den waren bereits auf dem Weg zur Selbstän-digkeit. Unter anderen Umständen hätten wir das Geheimnis von Bennerton auch entdeckt. Etwas später vielleicht!«

Hadram setzte sich. Diesmal benutzte er seinen Kommandantensessel. Er rief den Cheffunker zu sich, aber dieser war unauf-findbar. Hadram wurde um eine weitere Nu-ance blasser.

»Dennenhor«, knirschte er. »Wir müßten diesen Dennenhor kriegen. Er könnte uns si-

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cherlich viele Fragen beantworten!«

»Wir müßten an die Führungstraube der Hyptons heran und sie fragen«, hielt Parag entgegen. »Aber sie hält sich versteckt. Nie-mand kennt ihren derzeitigen Aufenthalt. Du wolltest zunächst jedoch etwas anderes tun!«

Mißmutig betrachtete der Kommandant den Bildschirm. Er zeigte die Unglückssonne und die drei innersten Planeten. Auf dem zweiten von ihnen befand sich ein Stützpunkt der Ligriden. Das Schiff war gekommen, um die Besatzung dieses Stützpunkts abzuholen und ihn zu zerstören.

Der Auftrag erfolgte auf ausdrücklichen Befehl des obersten Flottenkommandeurs.

Hadram knurrte etwas, was der Diener des Gward nicht verstand. Er rief seine Mann-schaft zum Dienst und wartete, bis alle ihre Plätze eingenommen hatten. In verschiedenen Positionen mußten die Stellvertreter einge-setzt werden, weil Ligriden nicht erschienen. Mehrere Patrouillen waren im Schiff unter-wegs und suchten nach Artgenossen, um sie daran zu hindern, daß sie durchdrehten und zerstörten oder sich etwas antaten.

Endlich war das Schiff klar und änderte seinen Kurs. Es entfernte sich von der Sonne und steuerte den zweiten Planeten an. Grün leuchtete er auf dem Schirm, eine Dschun-gelwelt ohne Kontinente, nur mit wenigen Felsinseln, die aus dem umfassenden Ozean ragten, der ein einziger, grüner Schlamm war. Der Planet war unbewohnt, und die Ligriden hatten hier einen ihrer Stützpunkte angelegt, von denen nicht einmal die Hyptons eine Ah-nung hatten.

Die Ligriden landeten auf der größten der Gesteinsschollen. Die Station war mit hundert Mann ausgestattet. Ein Funkkontakt war bis-her nicht zustande gekommen, und jetzt er-kannten die Ligriden auch die Ursache. Die Sendeanlagen waren zerstört. Auch in dieser Station war es zu Problemen gekommen.

Hadram schickte seine Soldaten in die Kampfanzüge. Er wählte diejenigen aus, die Parag ihm nannte. Es handelte sich dabei um diejenigen, die psychisch noch am stabilsten waren. Der Kommandant selbst leitete das Unternehmen und verließ als erster das Schiff.

Wie tot lag die Station da. Kein Ligride ließ sich sehen. Der Eingang zur Station war ver-

schlossen, und Hadram öffnete ihn mit Hilfe eines Kodegebers. Er sendete den gültigen Kode und wurde als autorisiert erkannt. Die Automatik öffnete und ließ die Soldaten des Neuen Konzils ein.

Stille empfing die Ligriden. Sie eilten einen Korridor entlang und verteilten sich auf Gleitbahnen und Antigravs. Sie suchten, ohne fündig zu werden. Knapp eine halbe Stunde später stand das Ergebnis fest. Die Station war leer. Ihre Besatzung hatte sie verlassen.

Hadram war erschüttert. Er rief nach Parag und anderen Dienern des Gward. Längst war von dem Kommandanten jede Arroganz des Höhergestellten abgefallen. Er unterhielt sich mit den Niederrangigen wie mit Seinesglei-chen.

Für das Verschwinden der Besatzung gab es keine Erklärung. Sie hatten nicht über ein flugtaugliches Fahrzeug verfügt.

Hadram fuhr plötzlich herum. Er ließ die Ligriden stehen und rannte hinüber zu den Klippen, wo der Fels steil abfiel. Er blieb dicht am Klippenrand stehen und sah hinab.

Der Kommandant vergaß die Welt um sich herum. Er sah nur noch das Schreckliche un-ter sich. Sein Schrei lockte die Artgenossen herbei.

Dort unten waren sie. Ein Teil von ihnen lag zerschmettert auf den Felsen dicht über dem schlammigen Meer. Die meisten trieben in dem brackigen, nach Fäulnis stinkenden Wasser, die Körper seltsam aufgebläht.

»Weg hier!« keuchte Hadram. Er rannte zum Schiff zurück und sperrte sich in seiner Kabine ein, bis er zum Start gerufen wurde. Es hatte zum Glück keine weiteren Zwischen-fälle gegeben. Seine Mannschaft war vollzäh-lig in das Schiff zurückgekehrt.

»Was soll ich tun?« Fragend blickte er Pa-rag an, der in diesen schweren Stunden so etwas wie sein Ratgeber wurde. Es war das erstemal in seinem Leben, daß Hadram auf die Aussagen eines Dieners des Gward Wert legte.

»Meldung machen. Knufza muß es erfah-ren. Er wird es weiterleiten. Ich bin mir si-cher, es wird nicht mehr lange dauern, bis die endgültige Entscheidung fällt.«

»Du meinst, wir ...« Hadram wagte nicht, es auszusprechen.

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»Ja«, sagte Parag nur. »Es bleibt keine an-

dere Wahl!« Hadram startete das Schiff und verließ das

System dieser Sonne, als seien tausend Raum-teufel hinter ihm her. Das Schiff hatte kein Ziel. Es irrte stundenlang durch die Schwärze des Alls, und es wechselte mehrere Funksprü-che mit dem Kommandeur der Teilflotte. Knufza war inzwischen ebenso ratlos, und als Hadram endlich am Standort der Flotte ein-traf, da mußte er erkennen, daß die Lage weit-aus schlimmer war, als er bisher angenommen hatte.

Von den dreißig Schiffen waren nur noch zweiundzwanzig vorhanden. Acht wurden als vermißt gemeldet.

»Es gibt keinen Ligriden, der noch voll-ständig Herr über seine Sinne ist«, sagte Knufza abgehackt. »Bilde dir dein eigenes Urteil. Es liegt nicht mehr in meinem Ermes-sensbereich, dir Vorschriften zu machen oder Anweisungen zu geben. Du hast dich nur noch an das zu halten, was vom Oberkom-mando zu dir gelangt!«

»Ich habe verstanden«, sagte Hadram. Er sehnte herbei, daß alles ein böser Traum sei, aus dem er bald erwachte.

Seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Ligriden in Manam-Turu waren am

Ende.

* Sie kamen vereinzelt und zögernd. Immer

wieder tauchte ein Echo auf, in wenigen Fäl-len waren es ein paar. Einmal fanden sich zweiundzwanzig Schiffe auf einmal am Sammelpunkt ein, aber das war die Ausnah-me.

So klein sollte die vereinigte Flotte aller Schiffe sein?

Wäre Ghorbor etwas sicherer und ruhiger gewesen, so hätte er sich dieser Frage mit der entsprechenden Eindringlichkeit angenom-men. Er hätte nach dem Verursacher des Fias-kos suchen lassen.

So aber brauchte er keine Ursachenfinder und keine Philosophen, um sich das Schicksal deuten zu lassen.

Der Fluch war über die Ligriden hereinge-brochen. Mit einer Expedition in eine andere

Galaxis hatte es angefangen. Sie hatten ein Schiff losgeschickt mit dem Auftrag, in Chmacy-Pzan, der Heimatgalaxis der Hyp-tons, nach dem vermuteten dritten Konzils-volk zu forschen. Die Expedition war in die Kleingalaxis Bennerton gelangt und hatte dort Ligriden entdeckt. Und sie hatte auf der Welt Fjukium die grausame Wahrheit erkannt. Aus Fjukern wurden im Rahmen genetischer Zuchtexperimente Ligriden gemacht. Hoon-rust war der einzige, der noch lebend nach Manam-Turu zurückgekehrt war. Er hatte Unzusammenhängendes berichtet. Es hatte ausgereicht, um eine zweite Expedition in jene Galaxis auszusenden. Dabei war es dann endgültig ans Tageslicht gekommen.

Es gab kein Volk der Ligriden. Sie stamm-ten sehr wohl aus einer anderen Galaxis, aber niemals aus Chmacy-Pzan. Sie wurden in Bennerton künstlich hergestellt, und es moch-te nicht nur diese Kleingalaxis sein, in der die Hyptons von der Traube der Denkenden Bio-logen ihre Experimente durchführten.

Taten sie es auch in Chmacy-Pzan? Oder in Enterny, die als Heimatgalaxis der Ligriden galt, was ebenso gelogen war wie alles ande-re?

Die Ligriden glaubten den Hyptons kein Wort mehr, seit sie die Wahrheit wußten. Der Schock war langsam und schleichend in ihre Seelen gekrochen. Immer stärker waren sie sich ihrer Unnatürlichkeit bewußt geworden, und jetzt, in diesen entscheidenden Tagen des Schicksals am Rand von Manam-Turu, da brach es über sie herein wie eine Woge inter-stellarer oder intergalaktischer Gravitation. Die Opfer zählten nach Tausenden, und allein der Gedanke daran, daß die Hyptons rasch für Nachschub an Kunstligriden sorgen könnten, veranlaßte weitere Hundertschaften dieses Volkes, den Weg in den Freitod zu suchen. Wenn irgendwo in einem Schiff sich unan-gemeldet eine Außenschleuse öffnete und die entweichende Luft einen dunklen Körper hin-aus in das Vakuum riß, dann hatte wieder ein Ligride den vermeintlich einzigen Ausweg aus dem inneren Dilemma gewählt.

Ghorbor hatte es längst aufgegeben, die Einzelmeldungen solcher Vorfälle zu beach-ten oder weiterzuleiten. Er war der stellvertre-tende Kommandant der Flotte. Dieselben

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Meldungen erreichten auch den Kommandan-ten, der sich zur Zeit in einer Ruhephase be-fand.

War der Schlaf so gnädig, über ihn zu kommen. Oder hielten ihn Alpträume gefan-gen, wie Ghorbor sie vor Stunden gehabt hat-te?

Der Diener des Gward seufzte. Längst spielten die beiden Anschauungen

ihrer Religion keine Rolle mehr. Gwyn und Gward waren absurd angesichts der Erkennt-nis, daß dies alles nur eine künstliche Erinne-rung und ein künstliches System war. Ein paar Weise unter den Anhängern des Gward schafften es, Ruhe und Besonnenheit unter den Mannschaften der Schiffe zu verbreiten. Es war nicht viel mehr als der Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Fels von Abonsman.

Dieses Sprichwort. Klang Abonsman nicht wie Absommaner, die neben den Perghern der zweite Fjukerstamm auf Fjukium waren? Das Rohmaterial für Ligriden?

Ghorbor begann zu zittern, und er heftete seine Augen eindringlicher auf den Bild-schirm, als wollte er die Echos dort draußen verschlingen.

Wieder ein Schiff mehr. Dort kamen zwei. Eines traf ein, auf das sich andere wie Vögel auf ein Opfer stürzten, weil es im Trieb-werksbereich brannte. Dort mußten Ligriden evakuiert werden. Aber die Hälfte kam zu spät. Sekunden später explodierte das Schiff, ohne einen Funkspruch abgeschickt zu haben.

Wieder traf eine kleine Gruppe von acht Schiffen ein. Ghorbor zählte im Geist mit. Noch immer ging der Hyperfunkspruch in alle Teile Manam-Turus. Längst mußte den ein-heimischen Völkern bekannt sein, wo sich die Ligriden sammelten. Niemand reagierte, nicht einmal die Hyptons meldeten sich. Es war, als würden die Ligriden sich am Rand einer toten Galaxis und in der Nähe einer riesigen Rot-sonne versammeln, die ihr Grab werden könn-te.

Kamen wenigstens über tausend Schiffe zu-sammen? Ein Teil der Flotte, mit der sie nach Manam-Turu gekommen waren?

Ghorbor schloß die Augen. Es hatte keinen Sinn, wenn er sich diese Fragen stellte. Es war zu spät, sich Fragen zu stellen. Wenn er

noch etwas tun konnte, dann war es eines: Er mußte den Rest der Flotte in Sicherheit brin-gen, bevor die Hyptons ihn daran hinderten.

Meldungen aus anderen Teilen der Galaxis trafen ein. Aus dem Nichts waren dort Schiffe aufgetaucht, mehrere Verbände. Sie brachten neue Hyptons und Scharen von Stahlmännern. Noch nahmen diese keine Notiz von den Ligridenschiffen.

»Die Stunde der Wahrheit ist gekommen«, murmelte Ghorbor. Er rief seine direkten Un-tergebenen und befahl sie auf ihre Plätze.

»Die Sammelaktion läuft weiter. Inzwi-schen helft mir, die Brücken hinter uns abzu-brechen. Steht die Verbindung mit den Hyp-tons?«

Der Funker meldete, daß mehrere Trauben Kontakt hergestellt hatten. Es war dem stell-vertretenden Flottenkommandanten egal, wie die Trauben hießen.

»Hier spricht Ghorbor«, begann er. Jeder Hypton kannte seinen Namen und wußte um seine Stellung. »Ich spreche zu euch im Na-men aller Ligriden, die sich in der Galaxis Manam-Turu aufhalten. Und auch im Namen jener, die in anderen Galaxien leben oder da-hinvegetieren. Und vielleicht spreche ich auch für alle jene bedauernswerten Kreaturen, die durch verbrecherische Machenschaften ihre Existenz und ihr Leben verlieren.

Ja, Verbrecher nenne ich euch. Ihr seid ein gewissenloses Volk, und eines Tages werdet ihr für eure Verbrechen bestraft werden. Das Schicksal läßt nicht mit sich spielen. Ihr habt euch zu Göttern aufgeschwungen, indem ihr mit intelligenten Lebewesen manipuliert. Ihr habt euch verrechnet. Ich drohe euch nicht, aber der Zeitpunkt wird kommen, da ihr froh sein würdet, ihr hättet nie einen einzigen Ligriden geschaffen.

Wir trennen uns von euch. Wir haben nichts mehr mit euch zu schaffen. Wer auch immer das dritte Konzilsvolk sein mag, es ist ab nun das zweite. Kein Ligride wird mehr an der Seite eines Hyptons stehen. Es gibt nichts mehr, was uns verbindet, und es wird in Zu-kunft nichts mehr geben. Wir haben alle unse-re Soldaten aus Manam-Turu abgezogen. Die Stützpunkte sind gesprengt oder haben sich selbst vernichtet. Es ist nichts mehr übrig, was für euch von Wert sein wird. Ihr seid auf euch

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und eure Roboter angewiesen.

Niemand hilft euch mehr gegen EVOLO. Er wird euer Verderben sein. Ich wünsche es euch. EVOLO soll euch vergewaltigen, wie ihr die Fjuker vergewaltigt habt.

Ihr könnt uns nicht hindern, jetzt zu gehen. Damit ihr es wißt. Wir haben unsere Ent-scheidung getroffen. Ligriden waren immer konsequent. Neben euch ist für uns kein Platz. Wir werden warten, bis es euch nicht mehr gibt!«

Er machte eine Pause. Die Hyptons gaben keine Antwort. Sie ließen nicht erkennen, ob die Worte sie erschütterten. Sie waren ge-fühlskalte Wesen, die durch so etwas nicht aus der Ruhe zu bringen waren.

»Das Eis soll euch holen!« schloß Ghorbor seine Rede und strafte die Hyptons mit dem schlimmsten Fluch ihres eigenen Volkes, das einst aus dem Eis einer kalten Welt gekrochen war. Er wünschte sich in diesen Augenbli-cken, daß seine Worte ein wenig Prophetie beinhalten mögen.

Mit einer entschlossenen Handbewegung unterbrach er die Verbindung. Er wandte sich um, starr im Blick und mit bebenden Mund-winkeln. Er sah jetzt eher aus wie ein Kämp-fer, nicht wie ein in Ehren ergrauter Diener des Gward, der den grauen Helm zum Zei-chen seines hohen Alters trug.

Noch immer sammelte sich die Flotte. Ghorbor wartete. Er wartete zehn Stunden,

dann zwanzig. Kein Schiff traf mehr ein. Es kam auch keine Antwort mehr auf den Dauer-funkspruch im Hyperbereich. Ghorbor ließ ihn abschalten.

»Formationsflug!« ordnete er an, und die Ligriden neben ihm führten die Anordnung aus und gaben die Daten der Formation an die übrigen Schiffe durch.

Ghorbor sank in den Sessel des Komman-danten. Dieser war noch nicht in die Kom-mandozentrale der BENNETER zurückge-kehrt. Er schickte keinen Adjutanten zu ihm und vermied es, die Bildverbindung zur Kabi-ne Harlyms herzustellen.

Es hatte keinen Sinn. Harlym war tot. Die Flotte formierte sich endgültig und

nahm Fahrt auf. Es waren wenig mehr als die Hälfte der Schiffe, mit der die Ligriden einst nach Manam-Turu gekommen waren, die

Nachschubverbände eingerechnet. Der Kurs der Flotte deutete irgendwo in

den Rand der großen Galaxis hinein. Es war nicht direkt erkennbar, ob er in die rote Rie-sensonne hineinführte oder an ihr vorbei.

Es spielte auch keine Rolle. Innerlich hatten die Ligriden längst Ab-

schied von dieser Galaxis genommen.

3. »Du willst deine Unzufriedenheit ausdrü-

cken«, erklärte der Arkonide. »Deshalb hältst du den Kurs nicht ein, YTTRAH! Falls dir der Name geläufig ist.«

»Das ist teils richtig, teils falsch. Ich habe in einer Entfernung von etwa hundertfünfzig Lichtjahren hyperenergetische Aktivitäten ausgemacht. Dies ist der eigentliche Grund der Kursänderung. Im übrigen ist deine Be-merkung ein ausgemachter Blödsinn, um mit Don Quotte zu sprechen. Natürlich ist mir der Name YTTRAH bekannt, denn er wurde oft genug in meiner Gegenwart genannt. Ihr habt es auch nicht unterlassen, mich rechtzeitig darauf hinzuweisen, daß ich mich gefälligst erinnern sollte. Ich habe euch allen diesen Gefallen getan. Ohne Erfolg. Ich kann nur das sagen, was ich immer gesagt habe. Ich habe im Lauf meiner Existenz viele Namen gehabt, und der derzeitige lautet STERNSCHNUPPE. Ich kann mich nach wie vor nicht daran erin-nern, jemals YTTRAH geheißen zu haben!«

»Laß es gut sein«, wandte sich Anima an Atlan. »Es gibt wichtigere Dinge, als sich um die ehemaligen Besitzansprüche der Chadda zu kümmern. Die Sache ist erledigt!«

Atlan runzelte die Stirn. Sein Blick verdüs-terte sich. Es war richtig, daß Dschadda-Moi angedeutet hatte, daß sie keinerlei Besitzan-sprüche mehr auf das Schiff stellte. Aber sie hatte es in verallgemeinernde Worte gefaßt und so abrupt das Thema gewechselt, daß es aufgefallen war. Der Arkonide glaubte nicht daran, daß in dieser Angelegenheit tatsächlich das letzte Wort gesprochen war.

Sie kehrten nach Aklard zurück. In den über zwanzig Tagen nach dem vermeintlichen Schlag gegen EVOLO waren sie bis auf die eine Ausnahme nicht von der Oberfläche des Planeten weggekommen. Genaugenommen

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waren es einundzwanzig Tage, und damit war die Frist, die EVOLO noch geblieben war, abgelaufen.

Das harte Vorgehen des Arkoniden gegen EVOLO und der entscheidende Schlag gegen das Psionische Tor hatten sich als Scheiner-folg herausgestellt. Atlan hatte erkennen müs-sen, daß EVOLO auf diese Weise nicht bei-zukommen war. EVOLO hatte durchblicken lassen, daß er noch andere Möglichkeiten zur Verfügung hatte.

Und wenn es ein Bluff ist? fragte der Arko-nide sich.

Dann müßten die Auswirkungen jetzt sicht-bar sein, erinnerte ihn der Extrasinn. EVOLO müßte seine Konsistenz verlieren und sich in seine Einzelteile auflösen.

Das würde bedeuten, daß EVOLO den ur-sprünglichen Plan des Erleuchteten nicht ver-hindern konnte. EVOLO war eine Gefahr für das gesamte Universum, und Atlan fragte sich zum wiederholten Mal, ob es tatsächlich sinn-voll war, nach einer friedlichen Lösung des EVOLO-Problems zu suchen.

Das Psionische Tor war vernichtet, die Iku-ser von Yumnard und den hyptonischen An-lagen inzwischen vollständig nach Aklard evakuiert und in Unterkünften untergebracht.

Aber das war noch nicht alles. Fartuloon war da, und er hatte nicht nur Inua bei sich.

Dennenhor! Der Name verband sich in Atlans Erinne-

rung mit einem der großen Kapitel terrani-scher und galaktischer Geschichte. Einwand-frei hatte er in diesem Wesen einen Zgmah-konen erkannt. Dennenhor gehörte zu den Fjukern, mit denen die Hyptons ihre verbre-cherischen Experimente betrieben und betrie-ben hatten. Die Brücke zu einem unheilvollen Rätsel war geschlagen.

Hyptons und Zgmahkonen. Beide Völker hatten einst dem Konzil der Sieben angehört. Jetzt wollten die Hyptons ein neues Konzil ins Leben rufen. Sie wollten die Grundzelle in der Galaxis Manam-Turu legen.

Der Erleuchtete, EVOLO und die Ligriden hatten ihnen bisher einen Strich durch die Rechnung gemacht. Daran hatten auch die Drohungen der Hyptons mit einem dritten Konzilsvolk nichts ändern können. Inzwi-schen wußte Atlan, daß dieses Konzilsvolk

nicht existierte. Es stand zudem nicht fest, ob die Hyptons ursprünglich Partner oder ein Hilfsvolk der Zgmahkonen gewesen waren. Hier fehlte noch der Beweis.

Und solange der Beweis fehlt, brauchst du dir keine Gedanken darüber zu machen, Mas-caren!

Mascaren. Das war der Name, unter dem er geboren worden war. Ein Name, der ihn an seine Jugendzeit erinnerte und natürlich an Fartuloon, der sich auf Aklard aufhielt. Auch Fartuloon hatte einiges herausgefunden. Ja, wenn Atlan ehrlich war, dann mußte er einge-stehen, daß die entscheidenden Erkenntnisse von seinem alten Lehrer gekommen waren. Es war sicher, daß es sich bei Raumherr Dulugs-hur um einen Zgmahkonen handelte, der mit einer zgmahkonischen Flotte nach Manam-Turu oder zumindest nach Bennerton ge-kommen und gescheitert war. Später hatten die Hyptons die überlebenden Zgmahkonen unter ihre Kontrolle gebracht und in ihrem Sinn manipuliert. Wahrscheinlich waren alle Ligriden aus diesen Wesen gemacht worden.

Atlan wandte sich wieder der gegenwärti-gen Situation zu.

»Was sind es für Aktivitäten«, fragte er die STERNSCHNUPPE. »Handelt es sich um EVOLO?«

Sie waren losgeflogen, um eine Spur des gefährlichen Wesens zu suchen. Sie hatten keine gefunden. Es waren auch keinerlei Mel-dungen anderer Raumfahrer bekanntgewor-den, daß EVOLO irgendwo aktiv gewesen war. Das psionische Wesen war nicht auf-findbar.

Welche Möglichkeit ist wahrscheinlicher? dachte der Arkonide. Daß EVOLO sich dislo-ziert und aufgespaltet hat oder daß er noch immer herumvagabundiert? Er stellte die Fra-ge dem Extrasinn, und dieser antwortete:

Es entspricht einer zwingenden Logik, daß beides der Fall sein kann und jedes von bei-den allein. Du kannst in jedem Fall davon ausgehen, daß die Wahrscheinlichkeit bei etwas mehr als dreiunddreißig Prozent pro Möglichkeit liegt.

»Es handelt sich um die Ligriden«, sagte das Schiff, noch während Atlan seine Gedan-ken mit dem Logiksektor wechselte. »Sie ope-rieren in einem Sektor, in dem es mehrere

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mutmaßliche Stützpunkte von ihnen gibt. Sie haben sich zu einer kleinen Flotte zusammen-gefunden. Im Augenblick erlischt jegliche Aktivität. Es wird ruhig in dem betreffenden Raumsektor. Die Schiffe sind verschwun-den.«

Sie tauchten auch nicht wieder auf, und der Arkonide gab dem Schiff die Anweisung, ohne Unterbrechung nach Aklard zurückzu-fliegen. Die STERNSCHNUPPE verschwand im Linearraum.

Anima und Atlan saßen schweigend in ih-ren Sesseln. Die mädchenhafte Frau blickte starr auf den Bildschirm. Manchmal blinzelte sie mit den Augenlidern.

Eine rätselhafte Orbiterin war sie. Manch-mal schien es, als habe sie ihre Verbindung zu Hartmann vom Silberstern noch immer nicht verloren, so als lebte der Ritter der Tiefe noch. Dann wieder zeigte sie deutlich, daß sie sich zu Atlan hingezogen fühlte, den sie fak-tisch längst als ihren Ritter akzeptiert hatte, auch wenn sie es nicht in der Weise aus-sprach.

Das Schiff kehrte in den Normalraum zu-rück, und auf dem Schirm leuchtete der feuri-ge Ball der rötlichgelben Sonne Suuma, die vier Planeten besaß, von denen jedoch nur Aklard bewohnt war. Der Planet war als klei-nes Bällchen rechts von Suuma zu erkennen, das rasch anwuchs und bald einen beträchtli-chen Teil des Bildschirms ausfüllte, während Suuma aus dem Erfassungsbereich der Auf-nahmeoptik wanderte und seitlich ver-schwand.

»Funkkontakt mit Ghyltirainen«, meldete das Schiff. »Aksuum ist da. Er ist von Bajuk-kan hergeflogen. Er spricht mit Vertretern anderer Völker!«

»Das ist wichtig«, stellte der Arkonide fest. »Es geht so ziemlich um alles. Aklard benö-tigt Unterstützung!«

Er erinnerte sich an jene Zeit, als die Tray-kon-Schiffe des Erleuchteten den Daila gegen die Ligriden und Hyptons zu Hilfe gekommen waren. Damals war der engere Einflußbereich der Daila von den Invasoren und Okkupatoren befreit worden. Seither hatten die Hyptons keinen neuen Angriff gegen Aklard geführt.

Diese Hilfe war jetzt nicht mehr möglich. Der Erleuchtete existierte nicht mehr, und

EVOLO und die Hyptons waren immer noch miteinander im Sinn eines Paktes verbunden. So genau war das nicht erkennbar, aber Atlan glaubte, daß beide Parteien dabei einzig und allein ihre Interessen verfolgten. Die Hyptons hätten EVOLO nicht das Psionische Tor zur Verfügung gestellt, wenn sie nicht eine Politik der Stärke verfolgt hätten.

Gegen einen solchen Pakt gab es nur ein einziges Mittel. Ganz Manam-Turu mußte zusammenstehen wie ein Volk. Die Einzelin-teressen hatten in einer solchen Zeit nichts zu gelten. Die Daila waren unermüdlich als Bot-schafter dieses Gedankens unterwegs, und sie hatten nicht überall Zustimmung gefunden. Jene Völker, die bisher nicht direkt von dem Tauziehen betroffen waren, lehnten es ab, das Risiko eines Kampfes gegen eine solche Übermacht einzugehen.

Es war ein Problem, ihnen klarmachen zu wollen, daß es gar keine Übermacht gab.

Oder täuschte der Eindruck? Atlan fragte sich, warum sich die Hyptons nicht rührten und die Ligriden seltsame Truppenmanöver durchführten.

Die STERNSCHNUPPE erreichte Aklard und senkte sich auf den südlichen Kontinent Akbarry hinab, dessen Hauptstadt Ghyltirai-nen war. Der Raumhafen leuchtete als grauer Fleck zwischen vielen Grünanlagen und den gelben und blauen Flächen, die die Stadt mar-kierten und die ausgedehnten Wohnbezirke darstellten.

»Die GHYLTIROON«, rief Anima aus. Sie wandte den Kopf und blickte Atlan freudig an. »Sie steht da unten!«

Das Schiff, mit dem sich einige ihrer Aben-teuer und Erfolge verbanden, hatte bei ihrem Abflug noch auf dem Hafen Bajukkans ge-standen. Da kaum anzunehmen war, daß sie einfach aus Spaß an der Freude den Kontinent gewechselt hatte, mußte sie wie sie einen Raumflug hinter sich haben.

»Ist bekannt, in welcher Mission die GHYLTIROON unterwegs war?« erkundigte sich Atlan beim Schiff. Augenblicke später hatte die STERNSCHNUPPE die Auskunft eingeholt.

»Aksuum läßt grüßen. Die GHYLTIROON war auf Cairon und hat einen Vertreter des Volkes der Bathrer abgeholt. Es stand derzeit

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kein Schiff in der Nähe Cairons, das ihn hätte mitnehmen können, so daß der Flug nötig war. Es gibt noch eine zweite Überraschung!«

»Welche?« Anima erhob sich. Ihr Gesicht spannte sich an. »Sprich!«

»Das darf ich nicht verraten«, erklärte das Schiff knapp. »Ende des Gesprächs!«

»Und Ende des Fluges«, sagte Atlan und erhob sich ebenfalls. Der Diskus sank dem Belag des Raumhafens entgegen und setzte sanft auf. Die beiden Insassen gingen zum zentralen Antigrav und ließen sich hinab zur Bodenschleuse bringen. Sie stiegen aus und nahmen in einem Wagen Platz, der bereits wartete. Ein Daila bediente die Steuerung.

»Wir fliegen zum Ratsgebäude«, erklärte er. Der Wagen hob ab und schwebte drei Me-ter über dem Boden davon.

*

Das Gebäude besaß die Form eines Hufei-

sens mit nach oben schmaler werdendem Querschnitt. Es war um eine natürlich ge-wachsene Felsbarriere errichtet, auf der in allen Farben schillerndes Moos wuchs. An-sonsten gab es auf dem grau bis silbrig schimmernden Gestein keinerlei Vegetation. Aus verborgenen Düsen sprühte gleichmäßig Wasser auf das Moos. Wenn Suuma günstig stand, dann setzte sich das farbige Moos in Form von Regenbögen in den Wassertropfen der Berieselungsanlage fort.

Der Eingang befand sich auf der Innenseite des Hufeisens in der Mitte der Krümmung. Der Wagen setzte auf und hielt an. Der Arko-nide und die Orbiterin stiegen aus und schrit-ten nebeneinander auf das breite Portal zu. Sie wurden bereits erwartet.

Aksuum empfing sie. Der Daila, der alle seine Artgenossen um gut einen Kopf über-ragte, hieß sie mit der gewohnten Herzlichkeit willkommen.

»Es tut sich etwas in Ghyltirainen«, sagte er. »Die Vertreter von achtzehn Völkern ha-ben auf unsere Einladung reagiert und sind gekommen. Sie wollen sich mit uns einigen. Weißt du, was das heißt, Atlan?«

Der Arkonide nickte. »Achtzehn, das ist nicht viel, aber immerhin ein Anfang!«

Es war nicht das erstemal, daß die Daila zu

einer solchen Konferenz eingeladen hatten. Überall in Manam-Turu hatten sie ihre Bot-schafter, teils normale Daila, teils solche mit Mutantenfähigkeiten. Überall klärten sie die Völker und Einzelwesen über das auf, was in anderen Bereichen der Galaxis vor sich ging. Aber noch war viel Arbeit nicht getan, und die sich laufend verändernde Situation er-leichterte es auch nicht gerade, die wichtigs-ten Völker der Galaxis in einer geschlossenen Front zu vereinen.

Sie traten in das Gebäude und folgten Ak-suum in den großen Saal, in dem gewöhnlich der Rat des Planeten tagte, wenn er seine Sit-zungen in Ghyltirainen abhielt. Atlan erkann-te ein paar Rassenvertreter, denen er bisher nicht begegnet war. Eine Gestalt stach ihm besonders stark ins Auge. Plötzlich umklam-merte Anima seinen rechten Unterarm und blieb stehen. Wohl oder übel verhielt er eben-falls seinen Schritt, sonst hätte er sie umgeris-sen.

»Sie ist da, sie ist gekommen«, flüsterte Anima. »Sie erinnert sich daran, daß ich sie geweckt habe, und zeigt Dankbarkeit.«

Es war ohne Zweifel eine Krelquottin. Sie war etwas größer als normale Krelquotten und besaß keinen Pelz. Ihre lederartige Haut war tiefbraun und runzlig und wurde von einem weit fallenden Gewand umhüllt, unter dem an wenigen Stellen ein dunkelblauer Raumanzug hervorleuchtete, der ihren Körper eng umgab. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit zum Ein-gang und erkannte, wer eingetroffen war.

»Atlan! Anima!« Dschadda-Moi rauschte heran und machte mit den Händen und dem Kopf fahrige Bewegungen, die eine Begrü-ßung sein sollten. »Was sagt ihr dazu? Ein solches Wiedersehen habt ihr nicht erwartet!«

»Nein, wirklich nicht«, gestand der Arko-nide. »Wie sieht es auf Cirgro aus? Können wir auf die Unterstützung der Krelquotten hoffen?«

Die Chadda stieß geräuschvoll die Luft aus. Ihre Arme verschwanden unter dem Umhang. Ihre Augen glitzerten.

»Aksuum«, sagte sie. »Warum mußte ich auch ohne meine Zofen reisen. Sie fehlen mir. Es ging alles so schnell. Ich habe sie auf Cirgro zurückgelassen. Jetzt weiß ich, daß dies ein Fehler war. Auch ich hätte ruhig da-

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heim bleiben können. Mein Volk braucht mich!«

»Du hast Schwierigkeiten?« »Aber nein, Atlan, wo denkst du hin? Es

geht darum, ob ich den Titel Chadda tragen darf! Nicht alle Krelquotten glauben das, was ich berichtet habe. Es gibt Kräfte, die nach wie vor auf die Psionik bauen. Wißt ihr, unser Volk ist durch die Psionik groß geworden. Von Anfang an war es von ihr durchdrungen. Alles folgte diesem natürlichen Impuls. Der Untergang war die Folge. Mein Volk scheut sich vor allem, was außerhalb seiner Welt liegt. Es hat kein Interesse und keinen Mut, sich an etwas zu beteiligen, wozu es seine Isolation aufgeben muß. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen!«

»Aber die Beweise, Dschadda-Moi!« Ani-ma trat dicht vor die ehemalige Herrscherin der Krelquotten hin. »Akzeptieren sie die Beweise nicht? Sieh dir Atlan an! Er hat dich auf Cirgro abgesetzt. Er baut auf dich. Und er ist nicht der einzige, der auf die Hilfe deines Volkes zählt!«

»Die Beweise sind nicht vorhanden«, sagte die Chadda leise. »Ich weiß, daß es sie gibt. Dschamo oder einer seiner Nachfolger muß damals das Modell mit dem Berg Cirgro ver-steckt haben. Ich habe das Versteck bisher nicht gefunden. Und von den Stelen gibt es keine Spur auf unserer Welt, die einst Tor-quan hieß. Kann es sein, daß sie sich im In-nern des Berges befinden? Nein, es ist un-wahrscheinlich. Aber die Tafeln mit den Na-men sind da, und sie sind der Beweis. Könnt ihr es verstehen? Ich habe Probleme, von meinem Volk als ehemalige Herrscherin an-erkannt zu werden mit dem Recht, auch jetzt die Herrschaft anzutreten. Was habe ich mehr als Worte, die genausogut ein Märchen sein können.«

»Das ist keine gute Nachricht«, sagte der Arkonide jetzt. »Wenn wir dir helfen können, dann sage es. Sollen wir mit dir fliegen und deine Worte bezeugen?«

»Ich weiß nicht, ob es einen Sinn hat. Eure Hilfe war wertvoll, aber sie bringt nichts. Weder für euch noch für mein Volk noch für Manam-Turu!«

Sie wandte sich um und kehrte in den Kreis der Fremdrassigen zurück, die respektvollen

Abstand zu ihr hielten. Aksuum winkte dem Arkoniden und der Orbiterin und führte sie zu dem Bathrer.

»Jurnaun hat sich lange mit der Chadda un-terhalten«, sagte er. »Dabei hat er einiges über die Vergangenheit des bathrischen Volkes erfahren. Jurnaun ist unglücklich darüber.«

»Und ich bezweifle, daß wir etwas gegen den Gegner ausrichten können. Es war nicht unser Verdienst, daß wir EVOLOS Angriff auf Cairon abwehren konnten. Wir sind zu schwach. Aber auch gemeinsam dürften wir nicht Kraft genug besitzen!« Jurnaun schluck-te und schwieg.

Atlan blickte in die Runde. Keiner der An-wesenden wagte einen Widerspruch, und der Arkonide legte sich die Worte zurecht, die er sagen wollte. Längst wußte er, daß er bei die-sen Völkern nur mit Behutsamkeit vorgehen konnte. Irgendwie schienen sie alle unter ei-nem Trauma aus ferner Vergangenheit zu leiden.

In diesem Augenblick begann eine Alarm-sirene zu schrillen, und sie verhinderte den Fortgang oder den eigentlichen Beginn der Konferenz von Ghyltirainen.

*

Sie brachten Chandor heim. Nachdem das

Automatikschiff Alarm gegeben hatte, war ein aklardischer Aufklärer aufgebrochen. Er hatte die Station entdeckt und sie mitsamt den Hyptons und den Stahlmännern in die Luft gesprengt. Nur dadurch hatte das Leben der sieben Daila gerettet werden können.

Sie hatten Chandor gefunden. Er hatte sei-nen Mut und sein aufopferungsvolles Verhal-ten mit dem Leben bezahlt. Sie brachten die Leiche in das Schiff und suchten dann die Verstecke mit den Speichern auf. Sie holten alle an Bord und begannen mit der Auswer-tung, während der Aufklärer zurück in das Heimatsystem flog. Sie wuschen den Leich-nam und legten ihn in einen Kühlbehälter. Noch im Tod spiegelte sich in Chandors Ge-sicht das Erstaunen, so, als sei etwas eingetre-ten, womit er nicht gerechnet hatte. Es fiel kaum auf, aber die Daila empfanden es so, wenn sie seine Physiognomie betrachteten. War er überrascht worden? Hatten die Stahl-

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männer der Hyptons ihn getötet?

Chandor war einer der Daila-Mutanten ge-wesen. Aufgrund seiner enormen Körpergrö-ße, die die Aksuums noch überstieg, hatte er sich dafür geeignet, die Rolle eines Ligriden zu spielen.

Der Speicher mit Chandors Nachricht wur-de abgehört, und die Daila gaben bereits un-terwegs Alarm. Sie wechselten auf ein größe-res, leistungsfähigeres Schiff über, um schnel-ler auf Aklard sein zu können. Während die Daila der Heimatwelt über die neuesten Nach-richten in helle Aufregung gerieten, näherte sich das Schiff Aklard und landete in der Nä-he der STERNSCHNUPPE.

»Die Hyptons!« rief Anima aus. »Atlan, wir müssen etwas tun!« Sie sah den Arkoni-den fast flehentlich an.

»Natürlich«, bestätigte Fartuloon. Sie hat-ten sich im Steuerraum der STERN-SCHNUPPE versammelt. Fartuloon war von dem nördlichen Kontinent Akjunth herüber-gekommen. Chipol hatte sich auf Uschriin aufgehalten, was ihm ein paar spöttische Be-merkungen eingebracht hatte.

»Bereitest du deine Wallfahrt nach Rhyi-keinym vor?« hatte Atlan gefrotzelt. »Soweit sind wir doch noch gar nicht. Vorher gibt es einiges zu tun!«

Jetzt warf sich der junge Daila in die Brust. »Sie kommen wieder aus ihren Löchern. Ich wußte es die ganze Zeit, daß diese häßlichen Kreaturen nicht aufgegeben haben!«

In mehreren Randbezirken Manam-Turus waren starke Verbände aufgetaucht, die ein-wandfrei identifiziert werden konnten. Es handelte sich um Schiffe aus Chmacy-Pzan, der Heimatgalaxis der Hyptons. Die Verbände bezogen am Rand Manam-Turus Stellung.

»Der Rauchstreifen vom verlöschenden Feuer soll sie verschlingen«, entfuhr es Ak-suum. Er war mit den Gefährten an Bord des Schiffes gegangen. Die STERNSCHNUPPE verfügte über leistungsfähigere Anlagen als die aklardischen Schiffe, so daß sie auch Nachrichten empfangen konnte, die nicht di-rekt für das Suuma-System bestimmt waren.

Dennenhor und Inua befanden sich zusam-men mit dailanischen Wissenschaftlern in einer Medostation in Bajukkan. Sie hatten sich für ein paar Zellproben zur Verfügung

gestellt. Der Rauchstreifen vom verlöschenden Feu-

er war ein Bestandteil der dailanischen My-thologie, die eng mit den Ereignissen ver-knüpft war, die sich in der Vergangenheit dieser Galaxis abgespielt hatten und an denen die damaligen Torquanturs nicht ganz un-schuldig waren.

Aksuums Worte waren ein frommer Wunsch. Niemand glaubte, daß er in Erfül-lung gehen würde.

»Im Augenblick können wir gar nichts tun. Weitere Ligridenverbände fliegen quer durch Manam-Turu. Es steht fest, daß sie alle ein bestimmtes Ziel haben«, meinte Atlan. »Ani-ma, wir müssen jetzt noch diplomatischer vorgehen als bisher. Es hat keinen Sinn, den Vertretern der anderen Völker Nachrichten vorzuenthalten. Sie würden sich zu einem späteren Zeitpunkt hintergangen fühlen. Wel-che Möglichkeiten haben wir, doch noch zu einer Verständigung mit den Krelquotten und den Bathrern zu kommen?«

»Keine!« erklärte Aksuum an Animas Stel-le. »Das Auftauchen neuer Hyptonverbände macht alle unsere Versuche zunichte!«

»Es ist ein Teufelskreis«, bestätigte der Ar-konide. »Solange wir es mit zwei Gegnern zu tun haben, ist es fast aussichtslos. Dennoch, wir müssen es schaffen. Wir müssen den ent-scheidenden Schachzug gegen EVOLO ma-chen. Aber dazu müssen wir ihn erst einmal finden. EVOLO darf in seiner bisherigen und jetzigen Form nicht mehr existieren!«

»Das klingt schief. Willst du schon wieder mit dem Knüppel dreinschlagen?«

Die mädchenhaften Augen der Orbiterin blitzten den Arkoniden an. Es waren mensch-liche Augen. Anima behielt ihre jungmäd-chenhafte, menschliche Gestalt bei, war aber aufgrund ihrer Fähigkeiten immer noch im-stande, alle möglichen Formen und Strukturen anzunehmen.

»Nein«, erklärte Atlan. »Aber sage mir, wie du das Problem EVOLO lösen willst!«

»Man muß EVOLO verändern, das ist die einzige Möglichkeit!«

Verändern. Es war ein nichtssagendes Wort, und es war nicht das erstemal, daß sie sich über dieses Thema unterhielten. Irgend-wie wich Anima ihm jedesmal aus, sie um-

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ging eine Konkretisierung ihres Vorschlags. EVOLO verändern. Das konnte auf unter-schiedliche Art geschehen. Mit Hilfe des psi-onischen Potentials der Krelquotten und der Bathrer vielleicht. Oder mit Hilfe der Hyp-tons?

Der Arkonide spürte, daß da ein Loch war, das er nicht mit Wissen füllen konnte.

»Wie verändern?« fragte er. »Positivieren!« sagte Anima und blieb wei-

terhin allgemein. Sie weiß entweder nicht, wie so etwas vor

sich gehen könnte, oder sie verschweigt dir etwas, meldete sich der Logiksektor. Aber sie wird es dir jetzt nicht sagen. Nicht vor so vie-len Leuten.

Die STERNSCHNUPPE meldete starke Hyperschockwellen wie von einer gewaltigen Flotte.

»Aksuum«, stieß Atlan hervor. »Wir müs-sen möglicherweise einen Alarmstart durch-führen. Nimm Verbindung mit dem Ratsge-bäude auf. Wenn die Hyptons mit einer riesi-gen Flotte kommen, ist Manam-Turu verlo-ren.«

»Dann kann uns nur noch EVOLO helfen!« beharrte Anima.

Sie ist zu sehr davon überzeugt, daß EVO-LO positiviert werden kann, dachte der Arko-nide. Er wollte auf dieses Thema zurück-kommen, aber da erreichten die ersten Auf-zeichnungen eines Gesprächs Aklard, das von einem Ligriden geführt wurde, der zu den Hyptons sprach. Das Gespräch hatte etwa eine halbe Stunde Standardzeit vor dem Hyperwel-lenschock stattgefunden.

Kurz darauf kam die Erklärung. Die Ligri-den hatten ihre Flotte gesammelt und hatten Manam-Turu mit unbekanntem Ziel verlas-sen. Sie hatten sich von dem Bündnis mit den Hyptons losgesagt.

Damit hatten die Hyptons ihre wichtigsten Bündnispartner verloren. Wie es aussah, wa-ren sie bestrebt, die Lücke durch eigene Kräf-te zu füllen.

»Die Ligriden, wo werden sie hinfliegen?« sagte Anima. »Sie sind zu bedauern. Was wird aus ihnen?«

Es stand nicht in der Macht der Gefährten, hier lenkend einzugreifen. Die Ligriden waren als Angreifer und Invasoren gekommen. Jetzt

standen sie vor dem Nichts, ein verstörtes und entwurzeltes Volk mit einer kranken Seele. Man mußte kein Psychologe sein, um das zu erkennen.

»Sie sind weg, und die Hyptons kommen«, knurrte Fartuloon. »Und wir wären keine al-ten und erfahrenen Kämpen, wenn wir nicht auch damit fertig würden.«

»Ich glaube, Fartuloon nimmt den Mund ein wenig voll«, kommentierte Chipol.

Aksuum stimmte ihm zu. »Als die Ligriden kamen, da bin ich nur noch gebückt gegan-gen, um unter meinem Volk wegen der Größe nicht aufzufallen und die Aufmerksamkeit der Okkupatoren zu erregen.« Er lächelte schief. »Ich bin es also schon gewohnt, mich zu du-cken. Falls die Hyptons nach Aklard kom-men, werdet ihr mich nicht mehr erkennen.«

In Atlans Augenwinkeln bildeten sich feine Lachfältchen. Nur zu gut war ihm und seinen Gefährten bekannt, wie Aksuum damals aus dem Untergrund gegen die Invasoren gearbei-tet hatte.

*

Das Erlebnis in der Vergangenheit des Pla-

neten Torquan hatte deutliche Aufschlüsse darüber gegeben, warum die Völker der Jetzt-zeit so reagierten, insbesondere die Krelquot-ten. Es änderte nichts an der gegenwärtigen Lage und trug auch nichts dazu bei, sie zu bereinigen. Im Gegenteil. Die Aussichten, jetzt noch mit der Hilfe anderer Völker rech-nen zu können, waren so gering, daß sie nicht ins Gewicht fielen. Lediglich die Daila bilde-ten so etwas wie eine verschworene Gemein-schaft, seit sie sich mit den Mutanten in ihrem Volk ausgesöhnt und die Notwendigkeit einer Kooperation eingesehen hatten.

Die Gefährten waren von der STERN-SCHNUPPE in das Ratsgebäude zurückge-kehrt. Das Schiff hielt eine Sprechverbindung aufrecht, so daß es die Versammelten mit neuen Informationen beliefern konnte. Weite-re Verbände der Hyptons hatten am Rand der Galaxis Stellung bezogen. Sie verharrten dort, als würden sie auf weitere Unterstützung war-ten.

Überall auf Aklard kehrte Nachdenklichkeit ein, und in dem Saal mit den versammelten

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Gesandten, Botschaftern und Vertretern ande-rer Dailaplaneten und fremder Völker hätte man eine Stecknadel fallen hören können.

Atlan blickte die Wesen der Reihe nach an. Er prägte sich ihre Gesichter und ihre Mienen ein. In manchen las er wie in einem offenen Buch, andere waren undeutbar für ihn. Er ging seine Erinnerung durch. Einige der Völ-ker, denen er begegnet war, hielten sich nicht hier auf. Andere hatte er bisher weder dem Namen nach noch von Angesicht kennenge-lernt.

Er sah keinen Tessaler. Von den Tessalern wußte er, daß sie in einem Zusammenhang mit der Geschichte Manam-Turus standen. Einst hatten sie ein eigenes Reich besessen und zeitweise freundliche Kontakte zu den Torquanturs unterhalten. Damals waren sie Fratoskopen genannt worden, ihre Hauptwelt hieß Frato. In der Jetztzeit hielten sie die Posi-tion ihrer Interessensphäre so geheim wie möglich. Und wären sie damals bei ihrem zweiten Besuch im System Cirgro nicht mit Tessalern zusammengetroffen, dann hätten Atlan und seine Gefährten vorläufig nichts über die Existenz dieses Volkes erfahren.

Die Tessaler waren gekommen, und sie hat-ten versucht, an Cirgro heranzukommen. Sie mußten gewußt haben, daß dies die Welt der Torquanturs war.

Goman-Largo und Neithadl-Off hatten sich auf den Weg gemacht, die Spur der Tessaler zu verfolgen. Rund einen Monat war es schon her, und in dieser Zeit hatten der Modulmann und die Vigpanderin nichts von sich hören lassen. Auch dies war ein Punkt, der nicht gerade dazu beitrug, Atlans Sicherheit zu be-stärken.

Die in dem Saal Versammelten wurden hellhörig. Die STERNSCHNUPPE meldete, daß sich einzelne Hyptonschiffe in Bewegung gesetzt hatten. Sie steuerten die Hundert-Lichtjahre-Raumkugel an, den Einflußbereich der Daila. Sie drangen in ihn ein. Die Daila ließen sie gewähren, aber sämtliche Schiffe in diesem Sektor Manam-Turus waren in Alarmbereitschaft versetzt. Planetare Abwehr-forts öffneten ihre Sichtblenden und machten ihre Waffen feuerbereit. Um wichtige Anla-gen herum wurden Projektoren für Energie-schirme aufgefahren.

Es war nicht viel, was die Daila tun konn-ten. Raumforts und Stationen mit Angriffs-bewaffnung besaßen sie so gut wie keine. Und um der geballten Macht einer vereinigten Hyptonflotte widerstehen zu können, hätte es Millionen und Abermillionen von Schutz-schirmen bedurft.

Das einzige, was die Bewohner der Raum-kugel einigermaßen beruhigte, war die Tatsa-che, daß die Hyptons es nicht auf eine Ausrot-tung der dailanischen Völker abgesehen hat-ten. Das hätten sie in der Vergangenheit leich-ter tun können als jetzt.

»Da habt ihr es!« Dschadda-Moi baute ih-ren wuchtigen Körper vor Aksuum als dem höchsten Vertreter des Rats von Aklard auf. Der Planetare Rat streckte sich ein wenig, aber der Körper der Chadda wirkte auch so noch erdrückend genug.

»Es war damit zu rechnen, daß die Hyptons nicht ewig stillhalten würden«, sagte Fartu-loon. »Es hätte jeder Kriegstaktik widerspro-chen. Die Hyptons gehen in die Offensive!«

»Und genau das ist der Anhaltspunkt, wo wir nicht länger herumstehen und debattieren dürfen«, warf Atlan ein. »Wir unterhalten uns schon zu lange. Entweder erhalten die Daila die Unterstützung, oder sie erhalten sie nicht. Dann wissen sie wenigstens, daß sie auf sich selbst angewiesen sind!«

Für kurze Zeit herrschte betretenes Schwei-gen, dann war es wieder die Herrscherin der Krelquotten, die das Wort ergriff.

»Es fehlt ein Bindeglied. Das müßt ihr alle einsehen. Und solange es nicht gefunden ist, können wir tun, was wir wollen. Wir werden keinen Erfolg haben und immer wieder ins Leere stoßen. Es wären vergeudete Kräfte, und ihr werdet einer Chadda glauben, daß sie weiß, was sie sagt!«

»Was ist denn dieses fehlende Bindeglied?« Chipol trat neben Aksuum und sah die Krel-quottin erwartungsvoll an. »Kannst du es be-schreiben?«

»Ich kann es nicht. Ich bin nicht in der La-ge, darüber eine Auskunft zu geben!«

Atlan wurde hellhörig, aber er sagte nichts. Du hast recht, sagte der Extrasinn. Es hört

sich an, als wüßte sie etwas. Aber mehr nicht. Es hört sich eben nur so an.

»Atlan!« Anima zog den Arkoniden beisei-

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te und sprach leise auf ihn ein. Sie sprach mit energischen Gebärden, und der Arkonide konnte nicht umhin, ihr mehrmals zuzustim-men.

»EVOLO ist derzeit wichtiger«, zog er das Resümee. »Das ist auch meine Meinung. Aber die Bedrohung durch die Hyptons ist gegenwärtiger. Wenn EVOLO sich bereits disloziert hat, dann werden wir ihn nicht mehr lokalisieren können. Er hat keine Gewalt über seine Teile, die er verliert. Sie sind selbstän-dig handelnde Einheiten, die einem fest um-rissenen Programm folgen. Es geht auf den Erleuchteten zurück und hat wenig mit EVO-LOS eigenem Machtstreben zu tun. Es ist eine Katastrophe. Wenn sie gerade eintritt, können wir sie nicht verhindern. EVOLOS Frist ist abgelaufen. Die Hyptons aber kommen näher. Sie wissen, daß Aklard das Zentrum des Wi-derstands gegen sie und die Ligriden gewor-den ist. Sie verzichten darauf, die faulen und eigensüchtigen Naldrynnen zu aktivieren. Sie kommen selbst. Ihr Ziel kann es nur sein, Aklard auszuschalten. Noch zögern sie, es in einem raschen Angriff zu tun.«

»Dennoch, es hat keinen Sinn«, schrillte Dschadda-Moi. Sie besaß jetzt beinahe einen Tonfall wie ihre Zofen, die sie auf Cirgro zu-rückgelassen hatte.

Die Zofen fehlten ihr. Wenn sie die Kei-fenden und Scheltenden um sich hatte, dann war sie ruhig und ausgeglichen. Jetzt aber verhielt sie sich selbst wie Yopta oder Lixter.

»Gut«, sagte Aksuum. »Beenden wir das Gerede. Welches Volk ist bereit, die Daila zu unterstützen?«

Es kam keine Antwort, bis der Bathrer sag-te: »Wir wollen abwarten, wie sich die Situa-tion entwickelt!«

Das war eine Absage. Wenn jetzt nichts ge-tan wurde und keine Einigung zustande kam, dann war alles zu spät.

*

»Sie müssen ihre halbe Heimatgalaxis mo-

bilisiert haben«, stellte Chipol fest. Ange-sichts der großen Anzahl von Verbänden war es müßig, in irgendeiner Weise an den Ab-sichten der Hyptons zu zweifeln. Die Ratsver-sammlung hatte bereits ein notstandsähnliches

Programm zum Schutz des Heimatsystems ausgerufen. Von überall her eilten Schiffe mit Daila-Mutanten, um erneut zu helfen.

Die Vertreter der anderen Völker machten, daß sie wegkamen. Als erstes startete das Schiff, mit dem die Chadda gekommen war. Sie verabschiedete sich nicht einmal. Sie suchte ihr Heil in der Flucht, und Atlan konn-te es ihr nicht einmal übelnehmen. Sie hatte genug Probleme mit ihrem eigenen Volk.

Die ersten konkreten Nachrichten über die Flottenstärken trafen auf Aklard ein. Selbst Atlan blieb nicht ruhig bei den Zahlen, die genannt wurden. Die ersten Kundschafter-schiffe der Hyptons näherten sich dem Suu-ma-System und flogen ein, ohne gehindert zu werden. Sie erhielten ungefähr einen Eindruck davon, wie die Daila reagierten. Sie zogen wieder ab, ohne daß es zu Kampfhandlungen gekommen wäre. Zusammen mit den Hyp-tons, die bereits in Manam-Turu Fuß gefaßt hatten, bildeten sie eine Streitmacht, der auch die vereinigten Kräfte vieler Völker kaum standgehalten hätten. Das erkannten auch die Daila, und deshalb waren sie niemand böse, der angesichts dieser Bedrohung den kürzeren zog.

Dschadda-Moi hat sich sehr geschickt ver-halten. Sie hat von einem fehlenden Binde-glied gesprochen und es auf die Auseinander-setzung mit den Hyptons bezogen, machte sich der Extrasinn bemerkbar. Aber in Wirklichkeit hat sie vom Problem EVOLO gesprochen.

Atlan fiel es wie Schuppen von den Augen. Er wollte sich mit der STERNSCHNUPPE in Verbindung setzen und die Verfolgung der Chadda aufnehmen. Er wollte sie zur Rede stellen und sie daran erinnern, daß sie ihm versprochen hatte, ihn zu unterstützen, so gut es ging.

»Die Hyptons kreisen die Hundert-Lichtjahre-Raumkugel ein«, meldete das Schiff in diesem Augenblick. »Sie formieren ihre Schiffe!«

Damit war klar, daß die Zeit des Zauderns vorbei war. Der entscheidende Konflikt stand bevor. Die Hyptons wollten es jetzt wissen. Sie warfen alle ihre Kräfte in Richtung Aklard. Die Zeichen standen auf Sturm. Es hatte den Anschein, als sei eine gewaltige Raumschlacht mit hohen Opfern unvermeid-

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lich.

Und gerade das wollte Atlan nicht einse-hen. Und auch Anima wehrte sich mit ihrem ganzen Sein dagegen. Der Arkonide bemerkte ihren hilfesuchenden Blick.

»Damit sind die Würfel gefallen«, erklärte er. »Die Hyptons sind das drängendere Prob-lem!«

»Was willst du tun?« wollte Aksuum wis-sen.

Es rauschte unter dem Eingang. Einer, der sich in den vergangenen Tagen überhaupt nicht hatte blicken lassen und unter normalen Umständen als verschollen gegolten hätte, trat ein.

»Da steht ihr herum und haltet Maulaffen feil«, verkündete er in seiner unnachahmli-chen, künstlichen Krelquottensprache. »Das Schiff ist startbereit. Also steht nicht unnütz herum!«

»Don Quotte!« rief Fartuloon aus. »Du Blechkasten. Was soll das?«

Der Krelquottenroboter in seinem weißen Pelz baute sich vor ihm auf.

»Geht dich nichts an, Fartuloon«, erwiderte er. »Du bleibst sowieso auf Aklard!«

»Oho!« machte Fartuloon. »Von wegen. Aber vielleicht hast du recht, und es ist wirk-lich besser, daß ich hierbleibe und den Daila beistehe.«

Atlan wandte sich an Aksuum. »Wir kön-nen nicht viel tun. Bereitet ihr alles für diesen sinnlosen Kampf vor. Anima, Chipol und ich werden versuchen, ein wenig Zeit zu gewin-nen.«

»Ich begleite euch«, stellte Don Quotte fest. »Wenn du erlaubst, dann gehe ich diesmal voran. Es schickt sich zwar nicht für einen Großwesir, vor seinem Herold zu gehen, aber die Umstände ...«

»Wenn wir EVOLO und die Hyptons ge-geneinander ausspielen wollen, dann wird es höchste Zeit. Aber das ist nicht Atlans Plan«, fuhr Anima dazwischen. Sie ging auf den Ar-koniden zu und umarmte ihn kurz. Sie löste sich ruckartig von ihm und wandte sich ab. Nur der Roboter bemerkte, daß sie errötete.

»Was ich vorhabe, ist der einzige Weg, der uns noch bleibt«, bestätigte der Arkonide. »Wollen wir hoffen, daß es ein Ausweg wird!«

4.

Die STERNSCHNUPPE verließ das

Aklard-System. Die drei anderen Planeten Illard, Ris und Rim tauchten kurz auf dem Bildschirm auf, dann verschwanden sie eben-so wie Suuma, die rötlich-gelbe Sonne. Die STERNSCHNUPPE war in den Linearraum übergewechselt und vollführte ihre erste Etappe, die sie über eine Distanz von etwa achtzig Lichtjahren führte. Sie näherte sich dabei dem äußeren Rand der Hundert-Lichtjahre-Kugel, die als Einflußbereich der Daila galt. Innerhalb dieses Gebiets gab es noch viele unerforschte Systeme, aber die Daila waren bemüht, sie nach und nach zu erschließen und mit möglichen Bewohnern Handelsbeziehungen anzuknüpfen.

Ein Teil der bisher unbekannten Welten wurde von Daila-Mutanten bewohnt. Die üb-rigen hatten sich außerhalb der Kugel ange-siedelt, jedoch nicht weiter weg als unbedingt nötig. So waren sie auch galaktographisch immer ein Volk mit einem gemeinsamen Zentrum gewesen, wenn den Mutanten die Rückkehr nach Aklard auch lange Zeit unter-sagt gewesen war. Erst in letzter Zeit war es auf der Heimatwelt aller Daila zu einem Sin-neswandel gekommen. Die Mutanten hatten sich für ihr Volk eingesetzt und gegen die Hyptons und die Ligriden gekämpft. Und das hatte den normalen Daila ein wenig die Ur-angst vor den Psi-Begabten genommen.

Atlan hatte lange nach dem Grund für die-ses Trauma gerätselt, das es nicht nur beim Volk der Daila zu beobachten gab. Inzwi-schen wußte er den Grund. In grauer Vorzeit war eine Psi-Sonne gezündet worden, die mit ihren Eruptionen viele Völker vernichtet und andere an den Rand ihrer Existenz gebracht hatte. Aus jener dunklen Zeit stammte die Angst der Daila vor allem Übernatürlichen. Aus jener Zeit stammte auch das Bewußtsein der Krelquotten, großes Unheil angerichtet zu haben. Deshalb isolierten sie sich auf Cirgro nach wie vor und kümmerten sich nicht um das, was in anderen Sektoren Manam-Turus vorging.

Die STERNSCHNUPPE meldete einen kurzen Funkkontakt mit einem Schiff, das

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Daila-Mutanten nach Aklard brachte. Das Schiff war überladen, es mußte in einen Orbit um die Heimatwelt gehen und Zubringerschif-fe rufen. Aus eigener Kraft konnte es nicht landen.

»Gib uns eine Ortungsübersicht«, verlangte Atlan. »Wie sieht es am Rand der Hundert-Lichtjahre-Raumkugel aus?«

Die STERNSCHNUPPE projizierte ein Lichtgitter auf den Schirm, der das Bild des schwarzen Leerraums mit den glitzernden Sternen ein wenig transparenter und dreidi-mensionaler machte. Atlan und seine Gefähr-ten sahen, daß sich allein in Flugrichtung mehrere Verbände von Hypton-Schiffen auf-hielten. Keiner hatte weniger als hundert Ein-heiten, und sie bewegten sich entlang dem mathematischen Horizont der Raumkugel. Der größte Verband hielt sich in der Nähe des Latos-Tener-Systems auf, das bereits außer-halb der Raumkugel lag. Atlan kannte dieses System von früher her. Unter anderen Um-ständen hätte er es angeflogen und den Tenern einen Besuch abgestattet und sich nach dem Befinden jener kleinen Daila-Kolonie erkun-digt, die damals auf Tener gelebt hatte. Auf diesem Planeten hatte er den ersten Kontakt mit dem Pre-Lo gehabt. Jetzt aber war er froh, daß das Schiff wieder in den Linearraum ging und mit der nächsten Etappe die unsichtbare Grenze hinter sich ließ. Siebzig Lichtjahre legte es auf diesem Weg zurück. Es materiali-sierte in der Nähe eines kleinen Hypton-Verbandes und nahm Funkkontakt auf.

»Wir kommen von Aklard«, begann Atlan, als auf dem Bildschirm der Oberkörper eines Stahlmanns erschien. »Wir sind auf der Suche nach einer Hyptontraube, die autorisiert ist, mit uns zu sprechen!«

»Es gibt keine solche Traube in der Nähe«, erklärte der Stahlmann monoton. »Und zudem gibt es nichts zu besprechen! Setzt eure Reise fort, oder wir vernichten euch umgehend!«

Sie haben keinen Befehl dazu, sonst würden sie bereits schießen, stellte der Extrasinn fest.

Atlan dachte, daß dies wenigstens ein klei-ner Hoffnungsschimmer war. Er nickte und befahl dem Schiff, die nächste Etappe einzu-leiten. Der Vorgang wiederholte sich mehr-mals, und er wurde begleitet von dem erwa-chenden Funkverkehr zwischen den Hypton-

schiffen. Schließlich steuerte der Arkonide einen jener Verbände an, die beinahe mit Nullfahrt im Raum hingen. Die STERN-SCHNUPPE zählte über siebzig Schiffe, und Atlan funkte sie erneut an.

»Was willst du?« ertönte es aus den Laut-sprechern. Diesmal erhielten sie keine Bild-verbindung.

»Verhandeln«, sagte Atlan. »Mit wem muß ich sprechen? An wen kann ich mich wen-den?«

»Warte!« Noch immer blieb der Bildschirm dunkel.

Hyperfunksprüche verließen den Hypton-Verband, und ehe die STERNSCHNUPPE die Gelegenheit erhielt, sie zu entschlüsseln, tra-fen Antworten ein. Die Stimme meldete sich wieder.

»Es gibt eine Traube, die bereit ist, dich an-zuhören, Arkonide. Du bekommst die Koor-dinaten jenes Verbands, der eine Entschei-dung herbeiführen kann!«

»Koordinaten eingetroffen«, meldete das Schiff. »Es handelt sich um einen Punkt, der sich tausend Lichtjahre vom Zentrumsektor Manam-Turus entfernt befindet!«

Atlan nickte finster. Der nicht sichtbare Stahlmann hatte ihn als Arkonide bezeichnet. Man war sich also bei den Hyptons inzwi-schen darüber im klaren, wer mit der STERNSCHNUPPE unterwegs war.

»Etappe!« sagte er. Der Verband ver-schwand, und das Schiff tauchte kurz darauf an seinem Zielpunkt in den Normalraum ein.

»Wo ist die Flotte?« fragte Chipol. Es war nichts zu erkennen, nichts bis auf ein winzi-ges Schiff, das einsam und allein in der Leere zwischen den Sternen hing.

Atlan sandte einen Funkspruch zur Identifi-zierung. Augenblicke später erhielt er eine Verbindung.

»Was willst du?« klang die helle Stimme eines Hyptonsprechers auf.

»Ich will mit euch reden. Es muß eine Möglichkeit geben, eine Einigung zwischen euren Interessen und den der Daila herbeizu-führen«, erwiderte der Arkonide. »Deshalb bin ich unterwegs.«

Die STERNSCHNUPPE gab leise zu ver-stehen, daß es sich bei dem kleinen Schiff lediglich um eine unbemannte Relaisstation

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handelte. Der eigentliche Sprecher befand sich an einem anderen Ort.

Das war eine Vorsichtsmaßnahme, die bei der Massierung der Flottenverbände, die die Hyptons am Einflußbereich der Daila zusam-menzogen, geradezu lächerlich wirkte.

»Einer solchen Einigung bedarf es gar nicht«, kam die Antwort. »Unsere Interessen sind klar abgesteckt. Und die der Daila inte-ressieren uns nur zum Teil.«

»Und dieser Teil?« fragte Atlan. »Ist der nichts wert? Denkt an die Verluste, die die Hyptons erleiden würden, bis der letzte Daila umgekommen ist. Ist das euer Ziel? Wollt ihr das Volk der Daila ausrotten? Benötigt ihr leere Planeten?«

»Mische dich nicht in unsere Angelegen-heiten ein, Atlan von Arkon, den man früher den Kristallprinzen genannt hat!«

Sie erinnern sich. Durch den Nachschub aus Chmacy-Pzan haben sie auch Detailin-formationen über dich erhalten! sagte der Extrasinn.

»Es liegt mir fern. Aber wenn ihr die Vor-gänge im System der Sonne Suuma genau verfolgt, werdet ihr feststellen, daß die Daila sich zum alles entscheidenden Kampf rüsten. Sie werden euch die Stirn bieten bis zum letz-ten Mann!«

»Unsere Beobachtungen bestätigen deine Worte. Du hast richtig erkannt, daß wir an diesem hochbegabten Volk interessiert sind. Unter diesem Gesichtspunkt ist es sinnvoll, ein Gespräch zu führen.«

»Aber nicht über ein Relais«, konterte At-lan. »So etwas kann man nicht als Gespräch bezeichnen.«

Kurze Zeit herrschte Schweigen. Der Ar-konide nickte Anima und Chipol aufatmend zu. Daß die Hyptons sich herabließen, aus ihrer überlegenen Position heraus ein Ge-spräch zu erwägen, kam für ihn überraschend. Er hatte mit stärkeren Schwierigkeiten ge-rechnet. Er wäre sogar bereit gewesen, im Fall eines Mißerfolgs die nächstbeste Station der Hyptons anzufliegen und mit ihnen zu spre-chen, ohne sie vorher zu fragen.

»Wir sind einverstanden«, erklärte der Hyptonsprecher. »Eine der wichtigsten Trau-ben unseres Volkes erklärt sich bereit, mit dir und deinen Begleitern zu verhandeln. Wir

bieten euch einen Treffpunkt an.« »Wir sind einverstanden«, sagte Atlan

rasch. »Nennt uns die Koordinaten des Treff-punkts!«

»Nicht so rasch«, zischte Anima neben sei-nem Ohr. »Es kann eine Falle sein. Wenn sie uns erst als Geiseln haben ...«

»Es ist die Welt namens Tobly-Skan«, klang die schrille Stimme auf. »Es ist der ein-zige Planet einer kleinen, roten Sonne ohne Namen. Sie ist auch ohne Koordinaten zu finden. Sie befindet sich exakt 121 Lichtjahre vom Rand der südlichen Ausläufer Manam-Turus entfernt. Es gibt nur einen einzigen Stern dieser Klassifikation, auf den das zu-trifft.«

»Das ist euer Vorschlag. Wir hätten einen anderen Vorschlag für einen Treffpunkt. Er ist etwas neutraler als Tobly-Skan.«

»Abgelehnt. Wir sind nicht bereit, wegen euch auch noch Umstände zu machen. Ent-weder ihr kommt nach Tobly-Skan, oder es gibt keine Verhandlungen. Dann greifen wir Aklard sofort an!«

Atlans Augen suchten Anima. Die Orbite-rin senkte den Blick. Sie hatte nun nichts mehr entgegenzusetzen. Auch der Arkonide konnte nichts tun. Die Hyptons saßen am län-geren Hebel und diktierten die Bedingungen.

»Einverstanden«, erklärte er. »Wir kom-men. Ende!«

Er ließ das Schiff die Verbindung abschal-ten und wandte sich an die Gefährten.

»Es bleibt uns nichts anderes übrig«, mein-te er. »Oder hast du einen Vorschlag, Groß-wesir?«

Don Quotte warf sich in Positur. Er beweg-te sich ein wenig nach vorn und dann wieder zurück.

»Mein Rat ist erwünscht?« sagte er mit deutlichem Unglauben in der Stimme. »Wenn ich nicht wüßte, daß die Situation so ernst ist, würde ich es nicht glauben. Aber ich habe da bereits eine Idee. Sie in die Tat umzusetzen, ist eure Sache!«

»Sprich!« verlangte Chipol. Don Quotte zog sich zurück und spielte den Beleidigten.

»Ich bin keine Schwatzbase. Alles zu seiner Zeit!« verkündete er.

Die STERNSCHNUPPE verließ den Be-reich des Zentrumsektors endgültig und

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machte sich auf den Weg durch die im größ-ten Durchmesser 120.000 Lichtjahre messen-de irreguläre Galaxis. Sie steuerte die südli-chen Ausläufer an.

Ihre Insassen hofften, daß sie am Ziel des Fluges wenigstens einen geringen Erfolg er-zielen würden.

*

Diese Welt also war Tobly-Skan. Vom

Klima her war sie erdähnlich, und sie besaß mehrere kleine Ozeane. Es gab Steppen und Berge, riesige Wälder und tiefe Täler. Aber es gab keine Anzeichen einer Zivilisation. Ei-gentlich hätte man diese Welt ein Paradies nennen können.

Trotzdem empfand Atlan sie als öde. Die Farben, die Tobly-Skan ihm bot, machten ihn nervös. Aus dem Raum betrachtet, bildeten sie ein Gemisch aus Grün, Graublau und Rot-orange, durchzogen von grauen und schwar-zen Tönen.

Dieser Planet wirkte bedrohlich. Er stieß ab, und es konnte nicht von ungefähr kom-men, daß die Hyptons ausgerechnet ihn als Stützpunkt gewählt hatten. Tobly-Skan lag weitab von den Schauplätzen der galaktischen Entwicklung, ein Brückenpfeiler zwischen Chmacy-Pzan und Manam-Turu war der Pla-net.

Das verabredete Signal von Chipol kam. Der junge Daila blieb in der STERN-SCHNUPPE zurück, während der Arkonide, Anima und Don Quotte an der Bodenschleuse auf den Ausstieg warteten. Sie hatten sich darauf geeinigt, daß Chipol für den Notfall an Bord blieb. Die STERNSCHNUPPE würde auf sein Wort hören, falls sie nicht in der La-ge war, mit Atlan zu kommunizieren und sich nach seinen Anweisungen zu richten.

Die Schleuse öffnete sich. Augenblicklich entstand ein Sog. Es war der Sog der Hoch-atmosphäre. Das Schiff drang in sie ein und streifte sie lediglich. Das Manöver diente da-zu, den Gegner zu verwirren. Atlan wollte nicht das Risiko eingehen, daß die Hyptons bei einer Landung der STERNSCHNUPPE sich des wertvollen Schiffes bemächtigten und ihm damit jede Gelegenheit zur Flucht nahmen. Das Schiff stellte ein Instrument dar,

einen Trumpf, den er nicht aus der Hand ge-ben wollte.

Don Quotte hatte den Vorschlag mit dem heimlichen Ausstieg gemacht, und jetzt riß der Sog die beiden Gestalten in ihren Einsatz-anzügen und den Roboter in seinem weißen Krelquottenpelz aus dem Schiff hinaus und wirbelte sie davon. Der Diskus raste über ih-nen davon, während sie langsam nach unten trudelten und immer schneller wurden. Die Oberfläche des Planeten befand sich noch weit entfernt.

»Anima!« rief Atlan in sein Funkgerät. »Schalte den Schutzschirm ein. Sonst wird die Reibungshitze auf deinem Anzug zu groß!«

Die junge Vardi kam der Aufforderung ei-lig nach. Der Sturz durch die Hochatmosphäre machte die drei Gestalten zu drei glühenden Meteoriten, die rasch nach unten sanken und schließlich ganz erloschen, als sie die unters-ten Luftschichten erreichten und die Antigra-vitationsaggregate ihre Fallgeschwindigkeit so weit abgebremst hatten, daß keine Rei-bungshitze mehr entstand. Die Schutzschirme wurden desaktiviert, und nach einer Weile tauchte unter ihnen das Geröll einer Felswüste auf. Atlan deutete hinunter. Er hatte sich dicht neben Anima gebracht und hielt das Funkge-rät auf geringste Sendeweite.

»Wir suchen uns erst einmal ein Versteck dort unten. Wenn wir Pech haben, hat man unsere Gravoaggregate bereits geortet. Mit ein wenig Glück jedoch können wir uns trennen und uns bis an den Stützpunkt herantasten. Wir werden zwar eine Weile suchen müssen, bis ...«

»Müssen wir nicht«, meldete sich Don Quotte. Schräg über Atlan tauchte der weiße Pelzkörper auf. »Von der SCHNUPPE trifft gerade ein geraffter und verschlüsselter Funk-spruch ein. Er ist mit normalen Ortungsgerä-ten nicht erkennbar. Ich habe ihn empfangen, weil er direkt auf meinen Körper gerichtet war. Es gibt auf der Oberfläche insgesamt drei Stützpunkte. Einer davon liegt etwa tausend Kilometer südlich der Felswüste, in der wir landen.«

Atlan hatte sich die Oberfläche des Plane-ten ein wenig eingeprägt. Zwischen dem Lan-deplatz und dem Stützpunkt lag eines der kleinen Meere. Er hatte es Nabelmeer getauft,

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weil es mit zwei anderen Ozeanen durch schmale, nabelschnurähnliche Flußläufe ver-bunden war. Sie mäandrierten stark, ein deut-liches Zeichen, daß sie auf natürliche Weise entstanden waren. Ähnliche Erscheinungen gab es in anderen Gebieten des Planeten eben-falls. Überhaupt hatte er bereits beim Anflug auf Tobly-Skan festgestellt, daß der geologi-sche Entwicklungsprozeß auf dem Planeten sehr vielfältig gewesen war und viele unter-schiedliche Erscheinungsformen hervorge-bracht hatte.

Am Horizont tauchte in der Luft ein Schwarm dunkler Schatten auf. Sie glitten stolz und majestätisch durch die Luft. Sie warfen winzige, bizarre Schatten auf die Fel-sen dort unten.

Anima stieß einen unterdrückten Schrei aus. Sie hielt die Schatten für Gleiter der Stahlmänner. Atlan beruhigte sie. Der Schwarm war zu groß. Einen solchen Auf-wand wegen drei heimlich gelandeter Perso-nen war zu groß.

Neben der Vardi und vor Don Quotte setzte er auf. Er schaltete den Antigrav ab und eilte zu einer kleinen Felsformation hinüber. Sie bildete einen kleinen Steinkreis mit staubigem Innern wie ein Miniaturkrater. Er stieg hinein und rief Anima und den Roboter zu sich. Im Schatten der Felsen beobachteten sie, was sich da durch die Luft auf sie zuschob. Es war ein riesiger Schwarm Vögel, der mit dem Wind nach Westen trieb. Sie kamen immer näher und flogen sehr tief. Es waren kondor-ähnliche Tiere mit Spannweiten bis zu fünf Metern. Zwischen ihnen flogen kleinere Vö-gel mit pfeilspitzen Schnäbeln und gezackten Flügeln. Mehrere andere Vogelarten gehörten zu dem riesigen Schwarm, der mindestens eine Fläche von hundert mal hundert Metern bedeckte.

»Da!« Anima deutete nach oben. Der Schwarm hatte die Felsen erreicht und zog in etwa dreißig Metern Höhe über sie hinweg. Das Rauschen der Schwingen hörte sich wie das Sirren von Maschinen an. Dazwischen klang das heisere Krächzen der Kondore auf, unterbrochen von einem abgehackten, schril-len Rufen der gezackten Vögel.

»Was meinst du?« wollte Atlan wissen. Er blickte empor. Er hatte den Helm seines

Einsatzanzuges zurückgeklappt und beschat-tete mit der Hand die Stirn.

»Einer der Vögel frißt den anderen!« Nicht einer, zwei der Vögel mit den ge-

zackten Flügeln waren über einen anderen hergefallen, der einer Krähe ähnlich sah. Der Vogel pfiff und zeterte, aber es half ihm nichts. Er wurde in der Luft zerrissen, und die beiden Räuber schlangen ihn mitsamt den Federn hinunter, ohne daß eine von ihnen auf den Boden hinabgefallen wäre.

»Das ist der Lauf der Natur«, sagte Atlan. »Du wirst noch oft solche Dinge beobach-ten!«

Anima wandte sich schaudernd ab, und Don Quotte dozierte: »Der Schwarm bildet ein soziologisches Gefüge. Einer frißt den anderen. Die ganz Kleinen ernähren sich ver-mutlich von den Parasiten der ganz Großen. Zwar gibt es kein anschauliches Beispiel für diese Vermutung, aber es spricht sehr viel dafür.«

Der Schwarm zog über sie hinweg, ohne von ihnen Notiz zu nehmen. Nach vier Minu-ten waren die letzten Vögel vorübergezogen und verschwanden jenseits der Felsformation.

»Wie lange werden sie wohl benötigen, bis sie den Trick durchschaut haben?« überlegte der Arkonide. Er meinte die Hyptons und die Stahlmänner. Die Stahlmänner waren Roboter und zogen immer alle denkbaren Möglichkei-ten in Betracht. Sie führten jedoch die Anwei-sungen der Hyptons aus, und da würde es vermutlich etwas länger dauern, bis die We-sen aus Chmacy-Pzan eine Entscheidung aus-diskutiert hatten. Oberflächlich mußte es für sie zunächst so aussehen, daß es sich die In-sassen der STERNSCHNUPPE in letzter Se-kunde doch noch überlegt hatten. Das Schiff war abgedreht und hatte das System der klei-nen roten Sonne längst wieder verlassen.

»Eine Viertelstunde, länger nicht«, sagte Don Quotte ohne Angabe von Gründen. »Ihr werdet es sehen!«

Atlan musterte den Roboter in der Gestalt eines Krelquotten. Dschadda-Moi hatte den Wesir zum Leben erweckt, indem sie ihm eine gefundene Positronik eingebaut hatte, die des ehemaligen Roboters Schwiegermutter in der Gestalt von Traykon-6.

Jedesmal, wenn Atlan den selbsternannten

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Großwesir ansah, dann beschlich ihn ein Ge-fühl der Ungläubigkeit. Das kann nicht sein, redete er sich ein. Aber er kam an den Tatsa-chen nicht vorbei, und Don Quotte stellte mit seinen Fähigkeiten zudem einen brauchbaren Helfer in allen Lebenslagen dar.

Sie verließen den kleinen Krater. Die Pas-sivortung des Roboters zeigte, daß sich nie-mand in der Nähe befand. Unterstützt durch ihre Aggregate schwebten sie langsam nach Süden, jede Deckung ausnutzend. Ab und zu machten sie eine kleine Rast. Die Sonne ohne Namen wanderte in den Zenit und von dort dem abendlichen Horizont entgegen. Sie wür-de dazu etwa sieben Stunden benötigen. In dieser Zeit wollten die drei Mitglieder der Einsatzgruppe ihrem Ziel nähergekommen sein.

Nach einer halben Stunde waren sie über-zeugt davon, daß niemand sie suchte. Sie be-schleunigten und erreichten Geschwindigkei-ten, wie sie von Überschalljägern geflogen wurden. Sie hatten die Schutzschirme akti-viert. Nach einer weiteren Stunde tauchte un-ter ihnen der kleine Ozean auf. Sie überflogen ihn in niedriger Höhe, und dies stellte sich als Fehler heraus. Sie erreichten seinen südlichen Rand. Eine weite Steppe mit einzelnen Wald-gruppen schloß sich an, geeignet für ein Ver-steck.

»Keine Ortung«, meldete Don Quotte, aber irgendwie mußte jemand ihm einen Streich spielen. Atlan erhielt einen Schlag gegen den Schutzschirm, der ihn von Kopf bis Fuß zu-sammenstauchte. Sein Schirm leuchtete grell auf, und gleichzeitig baute sich vor ihm eine bläuliche Wand auf. Grelle Entladungen krachten und verfingen sich in seinem Schirm. Er erhielt von den Überschlagsener-gien einen Stromstoß, der ihm fast das Be-wußtsein raubte. Er kniff die Augen zusam-men. Neben ihm schrie Anima. Don Quotte schwieg.

Ein Ruck ging durch Atlan. Sein Individu-alschirm stabilisierte sich, und die Entladun-gen hörten auf. Hinter ihm hing ein bläulicher Vorhang in der Luft, den er bei der Annähe-rung nicht wahrgenommen hatte. Die Anzei-gen seines Anzuges hatten versagt, und Don Quotte hatte sich handfest geirrt.

Atlan verlor die Balance in der Luft. Es zog

ihn zum Boden hinab, und die Energie seines Flugaggregats zeigte plötzlich Null an. Er schlitterte schräg gegen den Boden und über diesen hinweg. Er sah Anima, die mit hän-gendem Kopf soeben den Boden berührte. Weiter hinten tat es einen Schlag, als sich der Großwesir ungespitzt in den Boden rammte. Sein Körper blieb unterhalb der Schultern in dem weichen Moosgras stecken.

Atlan wälzte sich herum. Sein Schirm stand noch und verursachte Schwelbrände im Gras. Er erhob sich hastig und schaltete den Schirm ab, nachdem er sich vergewissert hatte, daß ihm keine direkte Gefahr drohte. Er trat zu Anima, rief die Kleinpositronik ihres Anzugs per Kodewort an und desaktivierte ihren Schirm. Er beugte sich über sie und unter-suchte sie. Sie hatte sich nicht verletzt, war lediglich ohnmächtig geworden. Atlan schob den rechten Arm unter ihre Schultern und richtete ihren Oberkörper auf. Mit der freien Hand tätschelte er ihre Wangen.

Nach einer Weile öffnete die Orbiterin die Augen. Sie sah ihn an. Erst wußte sie nicht, wo sie war. Dann kehrte die Erinnerung zu-rück. Sie sprang auf.

»Bist du unverletzt?« rief sie aus. Atlan be-ruhigte sie. Er deutete auf den Roboter, der mit den Beinen strampelte. Sie gingen hinüber und befreiten Don Quotte aus seiner Zwangs-lage. Schultern und Kopf des Großwesirs wa-ren total verdreckt, und der Krelquottenrobo-ter begann sich zu reinigen.

»Hast du Dreck auf den Linsen?« fragte der Arkonide die Maschine. »Warum hast du den Energieschirm nicht erkannt, der sich mitten durch die Landschaft spannt?«

Er wies nach hinten, wo sich das bläuliche Flimmern quer durch die Steppe zog. Er hatte den Gleiter bereits gesehen, der sich zwischen den Baumgruppen näherte. Er tat, als bemerk-te er ihn nicht. Der Gleiter flog geräuschlos. Er kam heran. Inzwischen hatte auch Anima ihn bemerkt. Nur Don Quotte tat nicht, als könnte er ihn erkennen.

»Es ist wohl der Dreck«, sagte er kleinlaut. »Es wir Zeit, daß ich ein gründliches Bad nehme. Es hat doch niemand etwas dagegen, wenn ich mich für eine kurze Weile entfer-ne?«

Er setzte sich langsam in Bewegung, aber

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da griff ein Fesselfeld von dem Gleiter nach ihm und verdammte ihn zur Bewegungslosig-keit.

Der Gleiter berührte den Boden und kam zum Stillstand. Er öffnete sich, und mehrere Stahlmänner stiegen aus. Die Roboter kreisten die drei Gestalten ein. Sie wandten sich an Atlan, und der vorderste von ihnen verkünde-te: »Wir haben euch erwartet. Der Dom der Ruhe kann es kaum erwarten, eure Bekannt-schaft zu machen. Folgt uns in den Gleiter!«

Der Arkonide setzte sich übergangslos in Bewegung. Er stieg ein, und Anima folgte ihm. Draußen erhob sich ein Lamentieren und Zetern. Das war Don Quotte, der sich gegen die Verladung zur Wehr setzte und den Stahlmännern Strafen androhte, als handle es sich um lebende Wesen. Die Stahlmänner reagierten nicht. Sie hatten ihn als Ihresglei-chen erkannt und steckten ihn im hinteren Teil des Gleiters in eine ausbruchsichere La-debox. Anschließend kehrten sie in das Innere des Gleiters zurück.

»Der Dom der Ruhe«, sagte Atlan, »dabei kann es sich nur um den Stützpunkt handeln, der sich irgendwo südlich von uns befindet. Wieviele Hyptons halten sich darin auf?«

»Alles zu seiner Zeit«, erhielt er zur Ant-wort. »Die Hyptons haben euch ein Gespräch angeboten. Bis dahin habt ihr zu schweigen!«

Achte auf die Feinheiten, Arkonide, meldete sich der Extrasinn. Nicht du bist es gewesen, der Verhandlungen führen wollte. Die Hyp-tons haben sich herabgelassen, dir ein Ge-spräch anzubieten!

Der Gleiter hob ab und flog nach Süden. Er hob sich über die Waldgruppen, und nach kurzer Zeit tauchte ein zweiter Schutzschirm in der Landschaft auf. Diesmal war er optisch bereits von weitem auszumachen. Er leuchtete in zartem Grün.

Atlans Gesicht wurde starr. Der Arkonide begriff, daß diese umfangreichen Sicherheits-vorkehrungen nicht extra seinetwegen getrof-fen worden waren. Sie waren ständig hier vorhanden. Sie übertrafen alles, was er von anderen Hyptonstützpunkten gewohnt war. Die Schirme ließen sich aus dem All nicht orten und nicht einmal bei einer Annäherung. Zumindest galt dies für den äußeren Schirm, den sie mit Gewalt durchstoßen hatten. Da-

durch hatten sie die Roboter auf den Plan ge-rufen.

Der Gleiter durchdrang den Schirm mittels einer Strukturlücke, die sich augenblicklich hinter ihm schloß. Wieder ging es über Step-penland.

Dann tauchte ein Tal auf. Es war von mar-kanten Felsen umgeben, die mitten in der Landschaft aufragten. Die Seitenwände des Felsmassivs mochten bis zu dreihundert Me-ter hoch sein. Das Tal selbst war annähernd kreisförmig. Atlan schätzte den Durchmesser auf acht Kilometer. In seiner Mitte erhob sich eine Kuppel von hundert Metern Höhe.

»Der Dom der Ruhe!« sagte einer der Stahlmänner.

Der Arkonide musterte die Umgebung. Au-ßer dem Dom gab es eine große Anzahl fla-cher Gebäude, die sich in mehreren Zonen um den Dom gruppierten. Zwischen dem Dom und der ersten Zone befand sich eine freie Fläche, auf der Stahlmänner patrouillierten.

Das Tal glich einer kleinen Festung. Die Gedanken, die Atlan damit verband, entbehr-ten jedoch bisher der Untermauerung durch handfeste Beweise. Der Extrasinn, dem seine Gedanken gegenwärtig waren, warf ein: Es handelt sich hier um einen wichtigen Stütz-punkt. Es ist jedoch verfehlt, anzunehmen, er sei die Zentrale der Hyptons in Manam-Turu. Dazu liegt er zu weit abseits!

»Don Quotte ist nicht irgendein Roboter«, sagte der Arkonide unvermittelt. »Er gehört zu unserer Delegation. Wir bestehen darauf, daß er uns begleitet, wenn wir mit den Hyp-tons sprechen!«

*

Die Stahlmänner brachten sie unter die

Kuppel in den Saal, in dem die Hyptons resi-dierten. Umgeben von technischem Gerät in unüberschaubaren Aufbauten hing mitten un-ter der Kuppel das Netz, an dem die Hyptons sich festklammerten. Das Geraschel dieser fledermausähnlichen Wesen war weit zu hö-ren. Die Roboter wiesen Atlan und seine Be-gleiter an, Aufstellung an einem Geländer zu nehmen, von dem aus sie wie von einer Em-pore über diese Etage der Kuppel schauen konnten. Das Netz über ihren Köpfen

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schwankte hin und her. Es hing weit nach unten durch, obwohl es straff gespannt war. Trotz seiner Haltbarkeit machte es einen zer-brechlichen Eindruck.

Schuld daran war die riesige Traube der Hyptons. Atlan hatte noch nie eine so große Traube dieser Wesen gesehen. Er schätzte die Zahl ihrer Mitglieder auf mindestens zwei-hundert. In der Traube herrschte ständige Be-wegung. Körper veränderten ihre Position. Die aneinander reibenden Körper verursach-ten eine ständige elektrostatische Aufladung der Luft. Das Rascheln wurde von einem Knistern begleitet, und die Atemluft roch leicht nach Ozon.

Und dann trat plötzlich Ruhe ein. Gleich-zeitig erklang eine ruhige, hohe und melo-disch klingende Stimme. Sie kam von dem Hypton, der zu unterst an der Traube hing. Er nahm die Position des Sprechers ein, und er begann zu sprechen.

»NEO-PZAN hat euch empfangen«, ver-kündete sie. »Ihr seid gekommen. Ihr wollt verhandeln. Zu Verhandlungen gehören im-mer zwei, deshalb haben wir beschlossen, euch einen Schritt entgegenzukommen. Wir sind bereit, mit euch ein Gespräch auf der Grundlage von Verhandlungen zu führen. Dazu vernehmt zunächst, was die Traube der Sturmreiter euch zu eröffnen hat.«

Er machte eine Kunstpause, und Atlan und seine beiden Gefährten nutzten die Gelegen-heit, die neuen Informationen zu verdauen. Don Quotte, der ebenfalls hereingelassen worden war, benötigte so gut wie keine Zeit dazu.

Atlan sah Anima an. In ihren Augen spie-gelten sich Verwunderung und Fassungslo-sigkeit angesichts des Anblicks, der sich ihr bot. Die Hyptons waren zur Bewegungslosig-keit erstarrt und wirkten wie ein plumper, nach unten ragender Berg, dessen Spitze die Gabe des Sprechens erhalten hatte.

NEO-PZAN wurde der Kuppelstützpunkt also genannt. Und die Traube nannte sich »Die Sturmreiter«. Das klang aggressiv und gefährlich. Anima schlug die Augen nieder, und Atlan legte ihr für eine Sekunde beruhi-gend die Hand auf den Unterarm.

»Die Hyptons sind nach Manam-Turu ge-kommen, um hier das Neue Konzil zu mani-

festieren«, fuhr der Hyptonsprecher fort. »Sie haben die Ligriden mitgebracht, die ihre rech-te Hand waren. Die Ligriden haben jedoch die Sache verraten und den bestehenden Vertrag gebrochen. Sie sind abgezogen, und niemand hat sie daran gehindert. Keinem Hypton liegt etwas daran, die Ligriden mit Gewalt zu ih-rem Glück zu zwingen.«

»Uns ist das Geheimnis der Entstehung der Ligriden bekannt«, unterbrach Atlan. »Ihr wißt das. Halte dich nicht mit pathetischen Reden auf. Wir wollen über das Schicksal der Daila verhandeln, und wir sind gekommen, um etwas zu verhindern, was sich verhindern läßt!«

»Du hast zu warten«, wurde er von dem Sprecher zurechtgewiesen. »Wir haben dir eine Anhörung gewährt. Beanspruche unsere Geduld nicht unnötig!«

Das Gesicht Atlans verfinsterte sich. Diese Sprache kannte er aus vielen Situationen sei-nes Lebens. Sie war schon deutlicher als die allgemeinen Floskeln des Anfangs. Die Hyp-tons waren nicht bereit, eine ehrliche Diskus-sion zuzulassen und ihm Gelegenheit zu ge-ben, seine Meinung zu sagen.

»Wir lassen uns nicht von unserem Weg abbringen«, fuhr der Sprecher fort. Er hatte seinen Namen nicht genannt, was soviel hieß, wie daß er eine gehörige Distanz zu dem Ver-handlungspartner beibehalten wollte. »Wir haben uns zunächst mit EVOLO verbündet. Gemeinsame Stärke führt immer zum Ziel, und im Fall EVOLOS ist es eine Stärke, der niemand widerstehen kann. Wer EVOLO kontrolliert, der kontrolliert Manam-Turu und bald das ganze bekannte Universum. Auch die Milchstraßengalaxis. Inzwischen hat sich die Situation jedoch geändert. Die Sturmreiter werden sich auf Manam-Turu konzentrieren.«

»Was wollt ihr tun?« rief Anima aus. »EVOLOS Aufenthalt, ist er euch bekannt? Wenn ja, ihr müßt ihn mir sagen. EVOLO ist zu wichtig, als daß es verlorengehen dürfte.«

»EVOLO interessiert uns nur noch in ei-nem Punkt«, sagte der Hypton mit schriller Stimme. »Du wirst es erkennen. Nachdem wir euch die Absichten unseres Volkes klarge-macht haben, kommen wir nun zu den Ver-handlungen. Ihr seid gekommen, um über das Schicksal der Daila zu verhandeln. Von unse-

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rer Seite gibt es da nicht viel zu verhandeln. Wir haben jedoch bereits eine Übereinstim-mung erzielt. Ihr und wir sind der Ansicht, daß das Volk der Daila viel zu wertvoll ist, um in einem aufreibendem Kampf vernichtet zu werden. Wir machen deshalb folgende Vorschläge. Sie sind verbindlich, und ihr könnt sie als absolute Forderungen betrach-ten. Nur wenn sie erfüllt werden, kann die drohende Schlacht vermieden werden, die durchaus zur Vernichtung des gesamten Suu-ma-Systems und aller seiner Bewohner führen könnte.

Die Daila liefern sofort alle Ikuser aus. Die Daila übergeben ihr Heimatsystem

kampflos und mit der Erlaubnis, daß auf allen wichtigen Welten Hypton-Trauben zugelassen werden und sich die führenden Persönlichkei-ten zur regelmäßigen Kontaktpflege zu den Trauben begeben.«

»Ist das alles?« donnerte Don Quotte los. Seine Stimme dröhnte durch den Saal. Er machte Atlan dabei ein Zeichen, das dem Ar-koniden nicht ganz klar war. Es sollte wohl bedeuten, daß der Roboter versuchte, Zeit zu gewinnen.

Stahlmänner näherten sich und machten Anstalten, den Wesir zu entfernen. Don Quot-te entschlüpfte ihnen und floh entlang des Geländers die Halle entlang, bis er den Be-reich mit der Traube umrundet hatte und wie-der an seinen alten Standort zurückgekehrt war.

Inzwischen hatte Atlan flüsternd Gedanken mit Anima ausgetauscht. Sie kamen zu einem übereinstimmenden Ergebnis. Das zaudernde Verhalten der Hyptons gehörte endgültig der Vergangenheit an. Sie agierten zielstrebig und würden sich nicht hinhalten lassen. Bei der Kontaktpflege handelte es sich um die übliche paranarkotische Beeinflussung, mit deren Hilfe sich die Hyptons die führenden Persön-lichkeiten gefügig machten, so daß diese un-bewußt ganz im Sinn des Konzilsvolks agier-ten.

»Es ist nicht alles«, verkündete der Spre-cher. Die Stahlmänner hatten Don Quotte inzwischen mit einem Fesselfeld umgeben, das keine Signale und Geräusche durchließ. Der Roboter war isoliert.

»Was sonst noch?« sagte Atlan laut. »Ich

kann mir keine weitere Forderung vorstellen.« »Du, Arkonide, und deine Gefährten, ferner

die Daila und alle anderen Völker oder Ein-zelwesen, die noch von Bedeutung sind, müs-sen sich verpflichten, den Kampf der Hyptons gegen EVOLO zu unterstützen und zu einem Abschluß zu bringen. Dieser Kampf ist ein absoluter Vernichtungskampf, bei dem es nur einen Sieger geben darf.«

Also doch. Es war zuvor bereits angeklun-gen, daß die Hyptons nicht mehr völlig von EVOLO überzeugt waren. Jetzt ließen sie die Katze aus dem Sack.

»Das mit EVOLO hätte euch früher klar sein müssen«, warf der Arkonide ein. »Er war von Anfang an eine Gefahr. Ihr hättet das nicht übersehen dürfen!«

»Wir haben es nicht übersehen. Ein starker Verbündeter ist immer besser als ein starker Gegner. Dennoch wissen wir inzwischen, daß es ein Fehler war, EVOLO für unsere eigenen Ziele einsetzen zu wollen. Er hat sich unserem Einfluß entzogen und mit dazu beigetragen, daß das Psionische Tor letztlich zerstört wur-de. Solange EVOLO existiert, wird es keine Ruhe in Manam-Turu geben. EVOLO ist der Feind allen Lebens!«

Es war pathetisch gesagt, und Atlan hatte nicht viel mehr als ein schiefes Grinsen dafür übrig. Er ließ sich die drei Forderungen nochmals wiederholen. Sie hatten nichts von Verhandlungen an sich, und er hatte ihnen nichts entgegenzusetzen. Sie hatten ihn und seine Begleiter nur kommen lassen, damit er dafür sorgte, daß die Forderungen so schnell wie möglich erfüllt wurden. Die Hyptons wollten die Entscheidung, bevor EVOLO ih-nen wieder in die Quere kam.

»Helft uns also, EVOLO zu vernichten«, schloß der Sprecher der Sturmreiter-Traube.

»EVOLO darf nicht eliminiert werden«, meldete Anima sich zu Wort. »Er hat Macht, aber er besitzt etwas, was sich ändern läßt. EVOLO darf nicht zerstört werden. EVOLO ist etwas, worin ich mich gedanklich hinein-versetzen kann. In ihn und in etwas anderes. So sehr er derzeit eine Gefahr darstellt, er darf nicht vernichtet werden!«

»Damit sind die Verhandlungen geschei-tert«, erklärte der Hyptonsprecher. »Wir wer-den den Angriff auf ...«

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»Halt, warte!« Der Arkonide warf Anima

einen warnenden Blick zu. »Ehe wir zu einem Ergebnis kommen können, müssen wir uns beraten. Ich muß die Meinung jener Wesen einholen, die auf Aklard über das Wohlerge-hen ihres Volkes wachen. Ich muß mit den Daila sprechen, um eine Entscheidung herbei-führen zu können. Ich bin sicher, wir werden uns einig und finden einen Weg, eure Forde-rungen zu eurem Vorteil zu erfüllen.«

Der Sprecher schwieg. Das Geraschel der Traube setzte wieder ein. Das Netz schwank-te. Anima trat näher zu Atlan und flüsterte mit ihm. Der Arkonide schüttelte mehrmals den Kopf.

»Nein«, sagte er hart. »Ich respektiere dei-ne Einstellung und stimme mit dir überein. Aber im Augenblick geht es um das Schicksal eines ganzen Volkes. Und das ist wichtiger als dein EVOLO!«

Er sagte absichtlich dein EVOLO und sah, wie sie zusammenzuckte wie ein Kind, das man bei einem Mißgeschick ertappt hatte.

Fünf Minuten vergingen, dann zehn, und schließlich war es eine Viertelstunde. Endlich verstummte die Traube, und ihr Sprecher meldete sich erneut.

»Ihr erhaltet eine Frist. Innerhalb dieser Zeit müßt ihr eine Entscheidung herbeiführen. Und vergeßt mit keinem Gedanken, daß die Flotten aus Chmacy-Pzan nur auf einen Be-fehl warten, um sich auf die Welten der Daila zu stürzen!«

5.

Die Stahlmänner führten sie hinab in jene

Bereiche des Kuppelgebäudes, die unter der Oberfläche des Planeten lagen. Hier erstreck-ten sich die Anlagen weitläufiger als oben in der Kuppel. Sie machten einen beträchtlichen Teil des Tales aus.

Eine Flucht von Korridoren tat sich vor ih-nen auf. Sie wurden noch weiter nach unten gebracht und dann in einen Raum geführt, der etwa fünfzig Quadratmeter Grundfläche hatte. Mehrere Sitzgelegenheiten standen herum, aus Verpackungsmaterial zusammengesetzt.

Die Roboter nahmen Atlan und Anima ihre Einsatzanzüge und die gesamte Ausrüstung ab. Sie filzten Don Quottes Pelz, ohne etwas

zu entdecken. Sie verzichteten darauf, den Roboter auseinanderzunehmen. Einer von ihnen gab Atlan ein kleines Hyperfunkgerät zurück, das dieser zwecks Kontaktaufnahme mit der STERNSCHNUPPE mit sich führte.

Dann zogen die Stahlmänner ab. Die Tür schloß sich. Die schwache Deckenbeleuch-tung erhellte den Raum nur notdürftig.

Anima eilte zur Tür und betätigte den Öff-ner, der in Hüfthöhe in die Wand eingelassen war. Wie erwartet funktionierte er nicht. Die junge Vardi ließ die Schultern sinken.

»Ich habe es die ganze Zeit über gefühlt und gewußt«, sagte sie leise. »Es lag ihnen gar nichts daran, mit uns zu verhandeln. Sie wollten uns von Anfang an als Geiseln haben. Sie werden versuchen, die Daila unter Druck zu setzen. Sie und unsere Gefährten, die auf Aklard zurückgeblieben sind!«

Atlan setzte sich vorsichtig in einen der Sit-ze, der aussah, als seien mehrere Metallflä-chen ineinander gesteckt worden. Das Sitz-möbel knarrte leicht, aber es hielt. Der Arko-nide nahm das Hyperfunkgerät auf und betä-tigte es. Es funktionierte, und er versuchte, eine Verbindung mit der STERNSCHNUPPE herzustellen.

»Hier Atlan«, sagte er. »Chipol, bitte melde dich!«

Aus dem kleinen Lautsprecher drang ein verhaltenes Rauschen. Die Frequenz war tot, und der Arkonide betätigte den Frequenzsu-cher und hielt nach jener Stelle Ausschau, an der es klappen mußte. Das Ergebnis war nie-derschmetternd.

Die gesamte Bandbreite des Hyperfunkge-räts war gestört. Es gab keine Möglichkeit, mit dem Schiff in Verbindung zu treten.

»Quotte!« sagte Atlan und drückte dem Roboter das Gerät in die Hände. »Kannst du etwas herausfinden?«

Wieselflink huschten die künstlichen Krel-quottenfinger über die Tastatur. Das Rau-schen wurde ab und zu von einem kurzen, abgehackten Pfeifton unterbrochen.

Es war nichts. Die STERNSCHNUPPE und Chipol meldeten sich nicht.

»Es liegt nicht an dem Gerät«, sagte Don Quotte. »Die Störung liegt außerhalb unserer Zelle!«

»Die Hyptons!« rief Anima aus. »Sie blo-

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ckieren uns!«

Irgendwie war es unlogisch, sagte Atlan sich. Auf der einen Seite wollten sie, daß er so schnell wie möglich eine Entscheidung her-beiführte, auf der anderen verhinderten sie es.

»Es kann nicht sein. Die Hyptons handeln nicht unlogisch.«

Das ist richtig. Sie haben dich ganz einfach in eine Falle gelockt, meldete sich der Logik-sektor zu Wort. Sie führen dich an der Nase herum.

Die nächsten zwei Stunden verbrachten die Gefährten damit, doch noch einen Fehler an dem Gerät zu finden. Don Quottes Worte bes-tätigten sich. Es gab keinen Fehler. Der Fehler lag irgendwo draußen.

Etwas über drei Stunden hatten die Hyptons ihnen als Frist gesetzt. In dieser Zeit mußte es ihnen möglich sein, mit Hilfe der STERN-SCHNUPPE als Relais eine Entscheidung von Aklard einzuholen. Wenn es ihnen nicht ge-lang, würde der Angriff beginnen.

»Es ist alles eine leere Drohung«, sagte Anima. »Sie können es nicht ernst meinen. Und sie schicken keine Stahlmänner zu uns, um das Ergebnis zu erfahren.«

Atlan suchte nach verborgenen Abhörgerä-ten. Er fand keine, und das war auch kein Wunder. Es war den Hyptons durchaus mög-lich, mit Hilfe von Richtmikrofonen ihre Un-terhaltung auf eine Entfernung von etlichen hundert Metern mitzuhören.

Kurz darauf erschien ein Stahlmann. Er betrat die Zelle und wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Dann erst gab er den Ausgang frei und trat ein paar Schritte nach vorn.

»Die Entscheidung, wie lautet sie?« ver-nahmen die Gefährten die Stimme des Hyp-tonsprechers aus dem Lautsprechergitter des Roboters.

»Es kommt keine Verbindung zustande«, berichtete der Arkonide wahrheitsgemäß, und Don Quotte sagte: »Ein schöner Dolch, wirk-lich!«

»Das kann nicht sein«, erwiderte der Hyp-ton über den Stahlmann. »Du hast es bisher noch nicht versucht. Du verweigerst uns die Auskunft. Aber so leicht ist es nicht, einen Hypton zu täuschen!«

»Das ist keine Täuschung!« fuhr Anima

dazwischen. »Wir haben es die ganze Zeit über versucht, und ihr wißt das genau. Etwas stört das Funkgerät. Es hat mit eurem Stütz-punkt zu tun!«

»Versucht nicht, euch herauszureden«, schrillte der Hypton. »Ihr wollt uns die end-gültige Auskunft verweigern. Ihr wißt längst, wie die Entscheidung der Daila lautet. Es ist eine Ausrede und Lüge, wenn ihr von Störun-gen redet. Von unserer Station gehen keine Störfaktoren aus, und euer Hyperfunkgerät ist in Ordnung. Eure Taktik ist klar. Aber wir lassen uns nicht hinhalten. Atlan von Arkon, in der Galaxis, der du entstammst, gibt es ein Volk, das einen sehr einprägsamen Spruch besitzt. Er trifft auf die jetzige Situation zu: Die Würfel sind gefallen!«

Der Stahlmann wandte sich abrupt um und trat zur Tür. Er verließ die Zelle. Zurück blie-ben zwei niedergeschlagene Lebewesen und ein Roboter, der sich seltsam benahm.

»Ein zauberhafter Dolch«, sagte Don Quot-te, aber noch immer wurden seine Worte nicht beachtet. Anima hatte sich an Atlan geklam-mert.

»Wir müssen hier verschwinden«, hauchte sie. »Es muß einen Weg geben, die STERN-SCHNUPPE zu informieren. Sie muß Aklard warnen!«

Sie waren beide überzeugt, daß die Hyptons aus irgendwelchen Gründen ein Psychospiel trieben. Wollten sie ihre Gefangenen zermür-ben oder wirklich angreifen?

Bleib ruhig! mahnte der Extrasinn. Handle überlegt. Don Quotte versucht, dir etwas be-greiflich zu machen!

Atlan war verzweifelt. Er hatte sich aufge-macht, das Volk der Daila vor dem Untergang zu bewahren. Er hatte seine persönliche Si-cherheit und die Animas geopfert, um dieses Ziel zu erreichen. Er hatte den Hyptons damit die beiden wichtigsten Gegner mit Ausnahme EVOLOS in die Hand geliefert.

War der Plan Wahnsinn gewesen? Konnte er wirklich ergründen, was die Hyptons tat-sächlich beabsichtigten?

Eisiger Schreck durchfuhr ihn. Deutete nicht alles darauf hin, daß es anders war? Daß EVOLO sich längst disloziert hatte und in den Hyptons war? Daß er sein grausames Spiel trieb, um leichter an die Völker heranzukom-

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men?

Dafür gibt es keine Beweise. Verliere nicht den Kopf.

»Atlan!« Der Ausruf Don Quottes ließ den Arkoni-

den aus seinen Gedanken aufschrecken. Er warf den Kopf zurück und starrte den Roboter an.

»Was gibt es?« Der Großwesir näherte seinen Kopf dem

des Arkoniden und flüsterte so leise, daß At-lan es kaum hörte.

»Ein Dolch war da. Vielleicht ist er an al-lem schuld!«

»Ein Dolch? Wo?« »Eine Waffe aus dem Nichts. Ich konnte sie

nur nicht festhalten, weil der Stahlmann sonst aufmerksam geworden wäre.«

Der Arkonide sah sich um. Der Raum, der ihre Zelle bildete, war mit Ausnahme der Sitzgelegenheiten leer. Da lag nicht der kleinste Gegenstand herum. Atlan blickte hin-ter die Sitze, aber auch da gab es nichts.

»Wo hast du ihn gesehen?« Der Roboter deutete auf eine Stelle mitten

in der Luft. Atlan ging hin und tastete. Er spürte nichts und schüttelte den Kopf.

»Du hast dich bestimmt getäu...«, begann er und lachte dann auf. Ein Roboter konnte sich nicht täuschen. Seine Beobachtungsgabe war unfehlbar. Es sei denn, jemand brachte seine Positronik durcheinander.

»Wann und wo sind die Kosmokraten?« fragte er den vor längerer Zeit mit dem Robo-ter einstudierten Testsatz.

»The evil is everywhere«, antwortete Don Quotte und gab damit zu erkennen, daß er einwandfrei funktionierte. Und er fügte hinzu: »Da! Dort!«

Atlan folgte mit den Augen dem Arm, der sich ausstreckte. Und er sah den Dolch. Er hing mitten in der Luft, kunstvoll verziert und fein ziseliert, ein Dolch aus einer Werkstatt, die ihr Handwerk verstand und selbst eine so kleine Waffe mit einem Detailreichtum an Verzierungen ausstattete, daß bereits der erste Anblick faszinierte. Atlan trat zwei Schritte nach vorn und betrachtete den Gegenstand.

»Er ist es«, flüsterte er beinahe andächtig. »Er ist es tatsächlich. Aber wie kommt er hierher?«

Anima trat zu dem Arkoniden und griff nach seiner Hand.

»Ich sehe ihn auch«, sagte sie. »Aber woher kennst du ihn? Was ist mit diesem Dolch?« Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Er ist herrlich. Er ist warm. Ich vertraue ihm. Laß mich an ihn heran!«

»Einen Augenblick!« Don Quotte stellte sich zwischen die beiden und den Dolch. »Ich verstehe gar nichts. Bevor ihr euch über mei-ne Entdeckung hermacht, seid ihr mir eine Erklärung schuldig!«

Atlan schluckte. Dann berichtete er von dem Geisterdolch, den er zum erstenmal auf dem Planeten Cairon gesehen hatte. Das war ganz zu Beginn seines Aufenthalts in Manam-Turu gewesen. Er hatte Chossoph gehört, und wie die Ereignisse auf dem Planeten Phurthul, der Welt der erloschenen Sonne, gezeigt hat-ten, war Chossoph ein Diener Gurays gewe-sen oder war es noch immer.

»Der Dolch ist ein Zeichen für uns«, schloß er, noch immer in dem kaum hörbaren Flüs-terton sprechend in der Hoffnung, daß die Hyptons nichts verstanden.

Zu langes Schweigen ist verdächtig, sagte der Extrasinn. Redet!

Sie begannen sich laut über die Chancen zu unterhalten, doch noch eine Verbindung mit der STERNSCHNUPPE herstellen zu können. Zwischendurch betrachteten sie den Dolch, der jetzt endgültig materialisiert schien, denn er verschwand nicht mehr.

Wer hatte ihn in ihre Nähe gebracht? Der Arkonide beobachtete Anima, die um

den Dolch herumschlich und ihn nicht aus den Augen ließ. Sie blieb stehen und holte tief Luft.

»Ich habe diese Waffe noch nie gesehen«, hauchte sie. »Es geht Wärme von ihr aus, psychische Wärme. Ich spüre sie!«

Sie spürt immer wieder Wärme bei den un-terschiedlichsten Dingen, rief Atlan sich in Erinnerung. Jetzt auch bei diesem Dolch.

In diesem Augenblick verschwand der Dolch. Atlans Arm schnellte nach vorn auf die Stelle zu, an der er gewesen war. Aber Don Quotte griff nach ihm und hielt ihn fest.

»Störe sie nicht«, sagte der Roboter. Anima hatte die Augen geschlossen. Jetzt

öffnete sie sie wieder, und fast gleichzeitig

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tauchte der Dolch wieder auf. Der Vorgang wiederholte sich.

Anima! Sie ließ ihn unsichtbar und wieder sichtbar werden!

»Es ist ganz einfach«, flüsterte die Vardi. »Du mußt dich nur konzentrieren. Mit Ge-dankenkraft kannst du es bewerkstelligen.«

Atlan starrte den Dolch an und konzentrier-te sich auf ihn. Das Bild der kunstvoll gear-beiteten Ziselierungen prägte sich seinem fotographischen Gedächtnis ein.

Werde unsichtbar! dachte er, und der Dolch verschwand.

Werde sichtbar! Auch diesmal gehorchte der Dolch, der so

unvermutet erschienen war und ihnen zeigte, daß irgendwo Kräfte zu ihrer Unterstützung zu wirken begannen.

War Chossoph in der Nähe? Wollte er ihm zeigen, daß er sich auf Tobly-Skan befand, um ihm zu helfen?

Dir, Arkonide? Atlan starrte Anima an. Die Vardi hatte auf

Barquass Kontakt zu Guray gehabt. Sie kann-te die Zusammenhänge zwischen ihm und dem Erleuchteten, der in EVOLO aufgegan-gen war. Er kannte sie auch, aber Anima hatte sie erlebt.

Und jetzt streckte Guray seine Fühler nach Tobly-Skan aus.

»Der Geisterdolch ist voller Geheimnisse«, hauchte Anima. »Wir werden ihn sofort be-nutzen, ehe die Hyptons etwas merken. Kommt!«

Sie bewegte sich auf die Tür zu, schüttelte dann den Kopf und entfernte sich drei Meter vom Ausgang. Sie blieb vor der Wand stehen, und der Dolch schwebte neben ihr. Er glitt vorwärts, und Atlan sah aus geweiteten Au-gen, wie die Klinge des Dolches in die Wand fuhr und der Knauf sich abwärts bewegte. Dort, wo er gewesen war, bildete sich ein Riß in der Metallwand.

Der Dolch beschrieb ein Viereck, und Anima ließ ihn rückwärts schweben, wobei er die ausgeschnittene Wand mitzog. Don Quot-te stemmte sich gegen das schwere Metall, umfaßte es und ließ es geräuschlos zu Boden gleiten.

Vor ihnen befand sich der Gang und Atlan spähte hinaus. Die Luft war rein, und er trat

hinaus. Anima folgte ihm. Sie ließ den Dolch unsichtbar werden, aber Atlan wußte, daß er immer noch bei ihnen war und vor der Vardi herschwebte.

Sie eilten den Korridor entlang bis an eine Biegung. Sie waren von oben gekommen, diesmal hielten sie sich auf derselben Ebene. Sie schlugen die Richtung ein, die nach ihrem Orientierungssinn und Don Quottes Wegspei-cherungen zum Rand des Tales führte.

Ein heller Piepston am Ende der Biegung lieferte den endgültigen Beweis, daß die Hyp-tons sie betrogen hatten. Sie wollten sie wei-ter unter Druck setzen. Das Hyperfunkgerät meldete Bereitschaft. Atlan schaltete es sofort aus, um die Streustrahlung zu unterbinden, die ihnen zum Verräter werden konnte.

»Diese Verbrecher«, zischte er. »Was ha-ben sie mit den Daila gemacht? Wie steht es um Aklard?«

Der Gedanke an die Bedrohung ließ ihn alle Vorsicht vergessen. Er schaltete das Gerät wieder ein. Augenblicklich meldete sich Chi-pol, und der Arkonide gab in knappen Worten einen Bericht durch.

»Warne die Daila«, schloß er. »Wir kom-men vorerst allein zurecht. Wir melden uns wieder, sobald wir Hilfe brauchen!«

Sie eilten hastig weiter, einen Korridor ent-lang und in eine Halle. Sie kamen an eine Absperrung. Wieder war es der Dolch, der ihnen den Weg öffnete und ein Loch schnitt. Don Quotte beseitigte mit robotischen Kräften das herausgeschnittene Hindernis und stellte es so hin, daß es nicht sofort auffiel.

Sie orientierten sich kurz. Vor ihnen lag ein Labyrinth aus Gängen, jeder führte in eine andere Richtung und eine andere Tiefe oder Höhe. Don Quotte ortete vorsichtig und mel-dete, daß sich absorbierende Schaumwände auf reflektierendem Fels befanden, so daß eine Möglichkeit der Ortung nicht gegeben war. Sie konnten sich jetzt schneller bewegen und gelangten nach einer knappen Viertel-stunde in einen Trakt, der jenem zum Ver-wechseln ähnlich sah, in dem sie gefangen-gehalten worden waren. Nur das Loch in der Wand zu der einen Zelle fehlte.

Dafür nahmen sie etwas anderes wahr. Ir-gendwo polterte es, und ab und zu drangen gedämpfte Rufe an ihre Ohren. Sie hörten

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sich nicht nach Hyptons und nicht nach Stahlmännern an, und einmal sagte Don Quot-te spontan:

»Da ruft jemand nach den Dienern des Gwyn!«

Atlan lachte unterdrückt. »Ligriden? Die haben Manam-Turu doch

verlassen. Wenn, dann könnte es sich höchs-tens um einen handeln, der den Anschluß ver-paßt hat!«

Sie machten sich daran, die Herkunft der Laute zu ermitteln.

*

Es handelte sich um eine winzige Zelle am

hinteren Ende des Traktes. Wieder hörten sie die Klopfzeichen. Don Quotte untersuchte den Öffnungsmechanismus. Er war mit einem Alarmsender gekoppelt, und Anima ließ er-neut den Dolch in Aktion treten. Hinter der Zellentür wurde es plötzlich still. Die blitzen-de Klinge des Dolches, die durch die Wand fuhr und sie zerschnitt wie Butter, mußte ei-nen nachhaltigen Eindruck auf den Zellenin-sassen hinterlassen.

Der Roboter stemmte das Metall zur Seite und warf einen Blick durch die Öffnung. Der Dolch kehrte zu Anima zurück und blieb dicht vor ihr in der Luft hängen.

Werde unsichtbar! dachte Atlan, und der Dolch verschwand. Anima wandte den Kopf und lächelte den Arkoniden in einer Weise an, bei der ihm abwechselnd heiß und kalt wurde.

»Guten Morgen!« sagte Don Quotte. »Wie ist das werte Befinden?«

Aus der Zelle kam ein unterdrückter Auf-schrei. Atlan schob sich neben dem Roboter in das Loch.

Es war tatsächlich ein Ligride, der sich in der Zelle befand. Er trug einen grauen Anzug und schwarze Stiefel. Auf seinem Kopf saß ein grüngelber Helm, der farblich überhaupt nicht zu der übrigen Erscheinung und dem fahlen Gesicht paßte. Aber über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten.

»Komm heraus!« sagte der Arkonide. »Wir sind ebenfalls Gefangene, die sich befreit ha-ben!«

Langsam setzte sich der Ligride in Bewe-gung. Er kam auf das Loch zu, und Atlan und

der Roboter machten ihm Platz. »Ihr seid das«, stellte der Ligride fest. »Ich

bin Raspor. Ich habe von den Stahlmännern erfahren, daß Atlan und zwei Begleiter sich als Gefangene in diesem Stützpunkt befinden. Ihr seid weit gereist.«

»Das sind etwas seltsame Worte, nicht wahr?« sagte Anima scharf. »Uns steht der Sinn überhaupt nicht nach dummen Späßen!«

Atlan musterte seine Gefährtin unauffällig. Animas Gesicht war verschlossen. Deutlich war ihr anzusehen, daß sie sich mit der Anwe-senheit des Ligriden nicht anfreunden konnte.

Sei vorsichtig, warnte der Extrasinn. Achte auf ihren Tonfall. Es steckt mehr dahinter, als es den Anschein hat.

Atlan deutete den Korridor entlang. »Wir sollten verschwinden, bevor unsere

Flucht entdeckt ist«, sagte er. »Wie kommst du hierher?«

Der Ligride schlug die Fäuste zusammen. »Ich wurde von den Hyptons gefangen«,

sagte er. »Sieht man das nicht?« »Nein!« sagte Anima scharf. »Wer bist

du?« Der Ligride zuckte zusammen, sein Gesicht

war ausdruckslos. »Sagte ich es nicht? Ich bin Raspor, ein

Diener des Gwyn!« »Das wollte ich nicht wissen. Woher

kommst du?« fuhr die Vardi fort. Atlan wand-te sich ihr zu.

»Ist das so wichtig?« sagte er besänftigend. »Wir können uns über Details unterhalten, wenn wir hier heraus sind. Die STERN-SCHNUPPE wird uns in Sicherheit bringen.«

»Die STERNSCHNUPPE?« rief Rasport übermäßig laut. »Ihr habt sie bei euch? Oh, ich weiß genau Bescheid. Euer Schiff ist be-kannt unter den Ligriden. Viele meiner Art-genossen haben es schon gesehen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich bin ganz begierig, es zu betreten.«

Anima stieß ihm beide Fäuste vor die Brust. »Dazu wird es wohl nie kommen«, schrie sie. »Wir wollen nichts von dir. Also hast auch du nichts von uns zu wollen!«

»Anima!« Atlans scharfer Ausruf brachte die junge Frau wieder zur Besinnung. Sie be-gann am ganzen Körper zu beben, und gleich-zeitig wurde der Dolch wieder sichtbar.

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Die Aufmerksamkeit des Ligriden wandte

sich augenblicklich der Waffe zu. Er betrach-tete sie und streckte eine Hand nach ihr aus. Die Waffe zuckte zurück und entzog sich sei-nem Zugriff. Raspor wollte nachfassen, aber da legte sich eine Eisenklammer in Form ei-ner Krelquottenhand um sein Handgelenk.

»Kümmere dich um deine eigenen Angele-genheiten«, stellte Don Quotte fest. »Sonst könnte es sein, daß du plötzlich ohne Helm dastehst!«

»Na und?« fuhr der Ligride auf, aber im nächsten Augenblick fügte er hinzu: »Eine solche Schande würde ich nicht überleben. Laßt mich lieber gleich hier!«

Atlan setzte sich in Bewegung. Er machte ihnen begreiflich, daß sie kostbare Zeit ver-geudeten. Er hatte das Ende des Korridors und damit das Ende dieses Traktes fast er-reicht, als Raspor ihn einholte.

»Ihr sollt mich nicht umsonst befreit ha-ben«, sagte er. »Ihr werdet mir Gelegenheit verschaffen, zu meinem Volk zurückzukeh-ren. Dafür werde ich euch zu eurer Ausrüs-tung führen. Die Stahlmänner haben sie in diesem Sektor deponiert, um sicherzugehen, daß ihr sie nicht findet!«

Er deutete auf einen Seitengang und führte sie bis zu einem Schott, das nicht gesichert war. Dahinter befand sich ein Ausrüstungsla-ger, und hier fanden die Gefährten ihre Einsatzanzüge und alle Details der Ausrüs-tung, die die Stahlmänner ihnen im Auftrag der Hyptons abgenommen hatten.

»Achtung«, meldete Don Quotte. »Ver-stärkte Funkaktivität innerhalb des Stütz-punkts. Die Stahlmänner haben sich in Bewe-gung gesetzt!«

Die Hyptons hatten ihr Verschwinden also entdeckt. Hastig stiegen Atlan und Anima in ihre Anzüge und nahmen die Ausrüstung an sich.

»Weg hier«, zischte der Arkonide. »Raspor nehmen wir mit. Er kann uns noch nützlich sein!«

Anima schwieg dazu. Sie folgte Atlan, der sich wiederum auf die Orterfähigkeiten des Krelquottenroboters verließ. Raspor hatte inzwischen gemerkt, daß es sich bei dem Weißpelz nicht um einen echten Krelquotten handelte. Er schenkte dem Roboter keinerlei

Aufmerksamkeit mehr. Hin und wieder aber wanderte ein rascher Blick zu Anima.

Atlan überlegte. Das Verhalten des Ligri-den war nicht völlig überzeugend. Er erging sich in oberflächlichen Äußerungen und sagte Dinge, die zu auffällig waren, um nicht be-merkt zu werden.

Der Ligride deutete auf eine Wand, die den Gang zur rechten Seite abschloß.

»Dahinter liegen Hangars für kleinere Fahrzeuge«, sagte er. »Wir können keine be-nutzen, denn die Gleiter und Wagen sind ge-sichert. Und sie besitzen keinen Kodegeber für die Schutzschirme wie die großen Gleiter. Aber wir können einen der Ausgänge benut-zen, ohne entdeckt zu werden. Hier werden uns die Hyptons nicht vermuten!«

Sie nicht, aber die Logik der Stahlmänner, sagte der Extrasinn.

Es spielte keine Rolle, wo sie sich den Weg in die Freiheit suchten. Es würde ein langer Weg werden, davon war Atlan überzeugt. Zudem hatte Don Quotte bereits begonnen, zwei Dellen in die Wand zu schlagen, wäh-rend Anima mit dem Geisterdolch arbeitete. Die Wand besaß drei Schichten, dreimal schnitt der Dolch ein ovales Stück aus ihr heraus. Der Roboter entfernte die Platten und setzte sie hinterher wieder ein, wobei er eine seiner technischen Anlagen dazu benutzte, die Stücke mit mehreren Schweißpunkten so zu befestigen, daß sie nicht umstürzten. Von weitem fiel es nicht auf, daß hier eine Öff-nung geschaffen worden war. Der Dolch ar-beitete so fein und glatt, daß die Platten wie eingegossen paßten.

Im Eilschritt durchquerten sie die Hangars. Atlan überließ Raspor die Führung. Da der Ligride in diesem Teil des Stützpunkts gefan-gengehalten worden war, war es nicht ver-wunderlich, daß er sich wenigstens teilweise auskannte.

Am gegenüberliegenden Ende des Hangars befand sich eine Schachtöffnung. Es handelte sich um einen Antigrav. Er war desaktiviert. Atlan schaltete seinen eigenen Antigrav ein und schwebte nach oben. Anima folgte ihm, und Don Quotte griff sich den Ligriden, der über keine nennenswerte Ausrüstung verfüg-te. Er trug ihn empor.

Eigentlich war auch das verwunderlich. Der

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Diener des Gwyn war entsprechend seiner Lebenseinstellung sicher nicht ohne Waffen nach Tobly-Skan gekommen. Wenn die Hyp-tons und Stahlmänner sie ihm abgenommen hatten, dann hätte er zumindest den Versuch gemacht, sie wiederzubekommen. Statt des-sen hatte er nur gewußt, wo sich die Ausrüs-tung Atlans und Animas befand. Mit keinem Wort erwähnte er seine eigenen Sachen.

Die Streustrahlung der Antigravaggregate wurde angemessen. Irgendwo erwachte ein Lautsprecher zum Leben und teilte mit, daß ihr Standort ausgemacht worden war. Sie wurden aufgefordert, die Flucht zu beenden und das Eintreffen von Stahlmännern abzu-warten.

Sie reagierten nicht darauf. Sie erreichten das obere Ende des Schachtes. Durch ein Pa-noramafenster konnten sie das Tal überbli-cken. Sie eilten zum nächstbesten Ausgang. Er war bereits blockiert, aber Don Quotte rammte mit der Gewalt seines Körpers ein Loch in das Material und verbog die Tür so stark, daß sie hindurchschlüpfen konnten.

Hinter ihnen ragten die steilen Felswände auf, die das Tal mit dem Stützpunkt einrahm-ten. Sie waren in einem kleinen Gebäude he-rausgekommen, das außen mit Gestein um-kleidet war, so daß man es vom Talgrund aus nicht erkennen konnte.

»Weg hier!« schrie Raspor. Er deutete hin-über zur Kuppel, wo die ersten Gleiter vom Boden abhoben.

Atlan schaltete sein Flugaggregat auf höchste Leistung. Er raste nach oben, die Feldwand zum Greifen nahe. Hinter ihm kam Don Quotte mit dem Ligriden, Anima bildete den Abschluß. Als sie die obere Felskante erreicht hatten, befanden sich die Gleiter der Stahlmänner auf der Höhe des verkleideten Gebäudes.

Etwas flog durch die Luft, es glitzerte im rötlichen Schein der namenlosen Sonne, die noch tief über dem morgendlichen Horizont hing. Don Quotte hatte einen Arm frei ge-macht. Aus einer Box seines robotischen Körpers hatte er einen eiförmigen Gegenstand entnommen und ihn in die Tiefe geworfen. Es war eine Hochenergiegranate. Sie wurde vom Metall der Gleiter angezogen und explodierte dort. Die Fahrzeuge mit den Robotern wurden

zerrissen und stürzten ab. Sie verwandelten sich in rauchende Trümmer, während drüben zwischen den einzelnen Zonen weitere Gleiter aufstiegen.

Die Flüchtlinge hatten die Felsenkämme inzwischen überwunden und flogen hinaus in die Steppe. Sie suchten die unmittelbare Nähe des Bodens auf, wo sie zumindest teilweise hinter Büschen und unter Baumgruppen Schutz fanden. Rasch näherten sie sich dem ersten Schutzschirm. Er flammte hoch in den Himmel, und diesmal hatte Don Quotte kei-nerlei Schwierigkeiten, ihn zu orten. Er bremste ab und blieb an der Grenze hängen, keine zwei Meter über dem Boden. Raspor verhielt sich still. Er wartete gespannt, was jetzt geschehen würde.

»Wir kommen nicht durch«, sagte Anima. »Wenn wir ein Loch graben, nützt das nichts. Der Schirm geht bis tief in den Boden hin-ein!«

»Nehmt den Dolch. Es wäre einen Versuch wert!« meinte der Ligride.

Der Dolch wurde sichtbar. Er befand sich zwischen Atlan und der Vardi und trieb jetzt zu ihr hinüber. Atlan überließ ihr die Arbeit mit dem Dolch. Sie konnte ihn gezielter be-einflussen, gezielter und schneller.

Der Dolch näherte sich dem Schirm. Dicht davor blieb er hängen. Die Berührung erfolg-te.

Der Geisterdolch Chossophs glühte auf. Dort, wo er sich befand, verwandelte sich der Schutzschirm in ein Funkengestöber in allen Regenbogenfarben. Es trieb abwärts, dem Boden entgegen und bildete eine bogenförmi-ge Lücke im Schirm.

Don Quotte machte den Test. Mit Raspor im Arm schob er sich an die Lücke heran und berührte die Funken. Sie blieben erhalten, und er marschierte hindurch, ohne daß sein po-sitronischer Körper reagierte.

»Alles in Ordnung!« meldete er. Nun traten auch Atlan und Anima hindurch,

und die junge Frau holte den Dolch wieder zu sich. Die Lücke verschwand, der Schirm war wieder durchgehend vorhanden.

»Das erste Problem wäre erledigt«, sagte der Arkonide erleichtert. »Weiter. Dort hinten kommen die Gleiter. Fliegt, was das Zeug hält!«

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* Es war ihnen gelungen, ihre Spur wenigs-

tens teilweise zu verwischen. Es war das Ver-dienst Don Quottes, der die Logik der Stahl-männer besser berechnen konnte als jedes Lebewesen. Die Roboter der Hyptons hatten von ihnen erwartet, daß sie auch den zweiten Schutzschirm durchqueren würden. Sie hatten es nicht getan. Sie waren zur Seite abgebogen, als sie eine ausgedehnte Waldfläche im Osten erspäht hatten. Sie hatten ihre Flugaggregate ausgeschaltet und den Rest des Weges zu Fuß zurückgelegt. Sie waren im Wald verschwun-den und hatten beobachtet, wie die Stahlmän-ner landeten und die Suche zu Fuß aufnah-men, nachdem feststand, daß sie sich noch innerhalb des äußeren Schirms aufhielten.

»Das beste Versteck wäre der Grund des Ozeans«, sagte Anima. Don Quotte brach in gespieltes Gezeter aus. Er besaß keine Klei-dung, die seinen Körper schützte. Über seine Schutzschirmaggregate schwieg er sich wohlweislich aus. Überhaupt war auch er zu-rückhaltender, als Atlan es von ihm gewohnt war. Es konnte nur daran liegen, daß sich ein undurchsichtiger Ligride bei ihnen befand.

Raspor hatte einen kleinen Baum erstiegen, um Ausschau zu halten. Jetzt kehrte er an den gemeinsamen Treffpunkt zurück.

»Sie haben das Wäldchen im Visier«, mein-te er. »Aber wir werden sie an der Nase he-rumführen. Wir legen eine falsche Spur, und ehe sie wissen, wie ihnen wird, sind wir in ihrem Rücken und haben den Gleiter für uns. Mit ihm dürfte es keine Schwierigkeit sein, ihnen zu entkommen oder solange auszuhar-ren, bis die STERNSCHNUPPE eintrifft. Wo habt ihr sie überhaupt versteckt?«

»Das binden wir dir sicher nicht auf die Nase«, sagte Anima. »Überhaupt solltest du froh sein, daß wir dich aus deiner mißlichen Lage befreit haben.«

Der Diener des Gwyn verzog das Gesicht. Bedächtig strich er sich über die blanke Ober-fläche seines Helmes.

»Wer hat hier wem was zu verdanken?« konterte er. »Ohne mich hättet ihr eure Aus-rüstung nicht. Ihr hättet eure Flucht niemals bis hierher geschafft. Die Möglichkeit, das

Schiff zu rufen, bestünde gar nicht.« Anima setzte zu einer Entgegnung an, aber

der Arkonide ging dazwischen. Die ersten Gruppen der Stahlmänner näherten sich dem Wäldchen, und aus der Luft sanken ebenfalls die Roboter der Hyptons und drangen in den Wald ein.

Die drei Lebewesen folgten dem Weißpelz in eine Senke, in der sie vorläufig vor direkter Ortung sicher waren. Reglos warteten sie, bis sich die Stahlmänner hinter ihrem Rücken befanden. Keiner von ihnen war dem Ver-steck so nahe gekommen, daß seine Infrarot-taster angesprochen hätten.

Auf ein Zeichen Don Quottes erhoben sich die Flüchtlinge. In langen Sätzen rannten sie hinaus auf den Gleiter zu, der am nächsten stand. Jetzt mußten die Stahlmänner sie auf der Ortung haben. Jetzt wußten sie, was ge-spielt wurde.

Hoch in der Luft erklang ein Singen. Einer der Gleiter schoß heran, dahinter kam im Ab-stand von zweihundert Metern der nächste.

Der erste Gleiter schoß. Der Schuß ging haarscharf an Anima und Don Quotte vorbei.

Atlan wollte etwas rufen, aber da reagierte der Roboter bereits und entfaltete einen Teil seiner Kräfte, die er besaß. Ein gezielter Schuß aus dem Laufen heraus traf den Gleiter am Heck und ließ seine Triebwerke explodie-ren. Plötzlich war die Luft von scharfkanti-gen, nach allen Seiten davonschießenden Me-talltrümmern erfüllt. Die Gefährten warfen sich zu Boden und versuchten, nicht getroffen zu werden. Atlan und Anima hatten ihre Schutzschirme eingeschaltet, der Ligride lag ungeschützt hinter Don Quotte. Atlan starrte zu ihm hinüber. Raspor schaute gleichgültig zu, als würde ihm die Bedrohung so gut wie nichts ausmachen. Er wartete, bis Don Quotte sich wieder ihm zuwandte. Er erhob sich und rannte neben dem Roboter her, der den zwei-ten Gleiter aufs Korn nahm.

Die Trümmer des ersten waren inzwischen vollzählig zu Boden gefallen. Keiner der Stahlmänner war noch fähig, sich an die Ver-folgung zu machen.

Beim zweiten Gleiter hatte Don Quotte je-doch Pech. Dieser hüllte sich in seinen Schirm und schoß ununterbrochen. Der Robo-ter mußte den Ligriden an sich pressen und

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ihn in seinen Schutzschirmbereich miteinbe-ziehen und konnte dadurch keine Waffe mehr auslösen.

Der Gleiter war erreicht, sie warfen sich hinein. Atlan ließ sich vor die Kontrollen sin-ken. Ein Schlag traf den Gleiter, aber dann stand der Schirm, und das Fahrzeug schoß schräg in den Himmel hinein. Der Einstieg schloß sich, die Distanz zum Verfolger ver-größerte sich rasch.

»Das Fahrzeug hat nur noch wenig Treib-stoff«, meldete Don Quotte. Er kommunizier-te mit der Positronik des Gleiters. »Wir müs-sen zusehen, daß wir möglichst weit kom-men.«

Raspor schwieg. Er hatte alles über sich er-gehen lassen, ohne eine Miene zu verziehen. Es war nicht erkennbar, was in ihm vorging. Er erhob sich nach einer Weile und trat hinter Atlan. Der Gleiter erreichte den Schutzschirm und flog durch eine Strukturlücke hindurch, die sich automatisch bildete. Er erreichte den Ozean und dann die Steppe, und er ver-schwand für kurze Zeit aus der Ortung der Verfolger, weil er mehrere riesige Vogel-schwärme passierte und dazwischen brachte.

Und dann war der Treibstoff zu Ende. Gleichzeitig warf sich Raspor auf Atlan. Er stieß ihn zur Seite, und aktivierte den Funk.

»Hier Atlan«, rief er aufgeregt. »STERN-SCHNUPPE bitte melden!«

Der Gleiter besaß nur Normalfunk, und so war es sinnlos, was der Ligride tat. Atlan rea-gierte gar nicht darauf. Er wartete, bis Raspor von allein aufhörte und sich nach hinten zu-rückzog, wo Don Quotte ihn unsanft in einen Sessel stieß und ihn bewachte.

Der Arkonide fragte sich, warum Raspor unbedingt Wert darauf legte, diese Welt an Bord der STERNSCHNUPPE zu verlassen. Was versprach er sich davon? Die Frage nach den eigentlichen Absichten des Ligriden wur-de immer dringender und bohrender.

Atlan entschloß sich, vorläufig keinen Kon-takt mit dem Schiff zu suchen und erst abzu-warten, bis Licht in das Dunkel um Raspor gekommen war, auf den Anima so allergisch reagierte wie seinerzeit Chipol auf Chossoph.

Der Gleiter berührte den Boden und zog ei-ne Furche in das Gras. Atlan öffnete den Aus-stieg und erhob sich aus dem Pilotensitz. Er

trat hinaus und flog augenblicklich davon. Anima folgte ihm. Ihre Augen waren finster auf den Ligriden gerichtet, aber Raspor be-achtete es nicht. Er ließ sich von dem Krel-quottenroboter unter den Arm nehmen.

»Weiter östlich gibt es felsiges Gelände mit ein paar Höhlen«, rief er. »Dort könnten wir uns verstecken!«

»Woher willst du das wissen?« Anima ver-zögerte ihren Flug, bis Don Quotte aufgeholt hatte und neben ihr flog.

»Ich habe es durch Zufall entdeckt, als ich nach Tobly-Skan kam.«

»Es klingt wenig glaubhaft. Und es stellt sich die Frage, warum du überhaupt kamst. Doch nicht, um uns zu befreien!«

Der Ligride gab keine Antwort, aber sie folgten seinem Vorschlag und wandten sich nach Osten. Die verfolgenden Gleiter waren als kleine Schatten im Hintergrund zu erken-nen. Sie näherten sich erst einmal der Ab-sturzstelle, wo der Gleiter in dem Augenblick explodierte, in dem sich die Maschinen über ihm befanden. Als sich der Rauch der Explo-sion verzog, war kein Gleiter mehr in der Luft.

»Eine kleine Bombe nur«, ließ Don Quotte sich hören. »Aber sie verschafft uns Gelegen-heit, ein wenig zu verschnaufen und Klarheit darüber zu schaffen, wie es weitergehen soll.«

Das, erkannte Atlan, bezog sich eindeutig auf den Ligriden. Also hatte auch der Roboter allen Grund, Raspors Worten zu mißtrauen.

Und er fragte sich, wer Raspor war. Du wirst es herausfinden, stellte der Extra-

sinn fest. Im Dunst des Morgens, der über dem Bo-

den lag, tauchten die ersten Felsen auf. Sie ragten als steile Zacken in die Höhe. Ihre Formen waren einander so ähnlich, als hätte hier ein Steinmetz eine Schule unterhalten. Um die Felsen herum lag Geröll wie der Ab-raum eines Steinbruchs. Und doch war das alles natürlich entstanden.

Sie setzten auf und schalteten alle Aggrega-te ihrer Anzüge ab. Raspor ging ihnen voran. Eine Viertelstunde marschierten sie nach Os-ten. Der Felsboden stieg langsam an, dann fiel er schräg nach unten ab und endete in einem schmalen Taleinschnitt. An der gegenüberlie-genden Seite waren dunkle Flecken zu erken-

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nen, Höhleneingänge.

Der Ligride führte sie hinab und hinüber. Sie kletterten in eine der Höhlungen hinein und untersuchten sie. Sie führte weit in den Fels, und sie besaß mehrere Abzweigungen, die zu anderen Öffnungen an der Talseite führten. Die Höhlen waren untereinander ver-bunden, sie eigneten sich gut, sich vor einem Gegner zu verstecken, besaßen jedoch den Nachteil, daß sie zur Falle werden konnten, wenn die Gegner zahlreich genug waren.

Vorläufig waren sie hier sicher. Don Quotte stellte mit Hilfe der Passivortung fest, daß sich noch kein Gleiter und kein Stahlmann näherte und sie folglich davon ausgehen konnten, daß sie ihre Spur verwischt hatten.

Sie suchten sich die bequemste Höhle aus und trugen ein paar Steine zusammen, auf die sie sich setzten. Nur Raspor blieb stehen, und nach kurzer Zeit begann er, unruhig auf und ab zu gehen. Er tat, als beschäftige ihn etwas, und Atlan fragte sich, ob sich ein Ligride wirklich so verhielt, wenn er sich in einer solchen Lage befand.

»Warum ruft ihr die STERNSCHNUPPE nicht endlich?« stieß Raspor dann hervor. »Was soll das? Habe ich euch umsonst den Weg in die Freiheit gezeigt? Seid ihr im Be-sitz eines Wunderdolchs, nur um dessen Fä-higkeiten durch eigene Unzulänglichkeit zu verscherzen? Ich verstehe euch nicht.«

»Wir dich auch nicht«, sagte Atlan. »Wir rufen das Schiff aus einem einzigen Grund nicht herbei. Der Grund bist du. Wir trauen dir nicht. Und es ist Zeit, dir Fragen zu stel-len!«

*

Der Ligride hatte sich auf einen flachen

Stein gesetzt. Dennoch überragte er Atlan und blickte von oben auf ihn hinab.

»Ich bin der Unterhändler der Ligriden, der zu den Hyptons geschickt wurde, um mit ih-nen über den Abzug unseres Volkes aus Ma-nam-Turu zu verhandeln. Ihr werdet euch denken können, in welcher Situation sich meine Artgenossen und ich befinden, seit wir die furchtbare Wahrheit wissen. Wir sind verwirrt. Manchmal tun wir völlig widersin-nige Dinge. Ich wurde ausgesucht, weil ich

von allen in Frage kommenden Kandidaten den stabilsten Eindruck machte. Meine Auf-gabe war es, die Trennung und damit die Auf-lösung des Neuen Konzils unter Dach und Fach zu bringen. Die Drohung der Hyptons mit einem dritten Konzilsvolk kann uns nicht mehr schrecken. Wir Ligriden haben nur noch einen Wunsch: nämlich Manam-Turu für im-mer zu verlassen. Wir können keine Hyptons mehr sehen!«

»Das ist recht und gut«, erwiderte Atlan. »Du willst uns damit zu verstehen geben, daß dein merkwürdiges Verhalten darauf zurück-zuführen ist. Steckt wirklich nicht mehr da-hinter?«

»Doch!« rief Anima aus. »Ich bin davon überzeugt. Raspor lügt!«

Der Diener des Gwyn sprang auf und beug-te sich über die junge Vardi. Er streckte die Hände nach ihrem Hals, zog sie dann jedoch rasch wieder zurück.

»Du kannst vieles behaupten«, entgegnete er. »Auch, daß ich lüge. Aber du wirst den Beweis antreten müssen. Laß mich zuerst ausreden. Ich kam nach Tobly-Skan, um mei-ne Mission zu erfüllen. Die Hyptons gingen nicht auf mich ein. Sie betrachteten mich als Gefangenen und sperrten mich sofort ein. Ich versuchte, mich zu befreien. Als dies nicht gelang, beschränkte ich mich darauf, in re-gelmäßigen Abständen Zeichen zu geben und zu rufen in der Hoffnung, daß irgendwann jemand kommen würde, um mich zu befreien. Ich bin euch zu Dankbarkeit verpflichtet, wie eure Anzüge unter Beweis stellen. Was also wollt ihr von mir? Reicht euch mein Wort nicht?«

»Laß es gut sein«, meinte Atlan. Er sah an Raspor vorbei. Verschiedene Gedanken gin-gen ihm im Kopf herum. Da war einmal die Tatsache, daß Raspor nichts davon zu wissen schien, daß seine Artgenossen inzwischen Manam-Turu verlassen hatten. Daß die Hyp-tons nicht auf ihn eingegangen waren, wider-sprach dem offen erkennbaren Vorgang, daß die Hyptons die Ligriden hatten ziehen lassen.

Was war los? Wo lag der Irrtum oder der Fehler? War Raspor ein Relikt? Gehörte er zu einem ursprünglichen Plan der Ligriden, der sich nicht mehr hatte verwirklichen lassen? Und wenn ja, wann war dieser Plan ins Leben

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gerufen worden?

»Ich habe lange mit mir gehadert«, fuhr der Ligride fort. »Ich mußte erkennen, daß die Hyptons unnachgiebig vorgehen. Sie wollen ihre Macht in Manam-Turu endgültig festi-gen. Sie bedürfen der Ligriden nicht mehr. Aber mich haben sie nicht ziehen lassen!«

»Sie sind nur wenige«, sagte Atlan. »Sie werden der geballten Macht der Völker dieser Galaxis nichts entgegenzusetzen haben!«

»Sie besitzen ihre eigenen Methoden, auch wenn sie wenige sind, Atlan!«

Die Worte berührten irgend etwas in dem Arkoniden. Er konnte nicht sagen, was es war. Vielleicht lag es auch nur an der Aus-sprache seines Namens durch Raspor. Er lauschte dem Tonfall nach. Nein, er mußte sich getäuscht haben. Diesem Ligriden war er noch nie begegnet. Und Raspor wußte nicht darüber Bescheid, daß die Hyptons gewaltige Flottenverbände aus Chmacy-Pzan als Ver-stärkung erhalten hatten.

»Du mußt bereits lange ein Gefangener der Hyptons sein«, sagte er beiläufig. »Ich habe Mitleid mit dir. Wie konntest du es nur aus-halten in all den Wochen!«

»Es sind nur zwanzig Stunden«, gab Raspor zurück. »Es war nicht allzu schlimm. Seit meinem Aufbruch von der Stählernen Festung sind knapp zwei Tage und eine Nacht vergan-gen!«

Atlan mußte nicht nachrechnen, um festzu-stellen, daß das nicht stimmen konnte. Der Abzug der Ligriden aus Manam-Turu war bereits vier Tage her. Er hob warnend eine Hand, um Anima nicht zu einer übereilten Äußerung zu verleiten.

»Nun gut«, meinte er. »Wir werden jetzt die SCHNUPPE rufen, bevor die Stahlmänner der Hyptons uns gefunden haben. Hast du den Dolch, Anima?«

Der Geisterdolch wurde sichtbar. Er leuch-tete matt im Halbdunkel der Höhle. Raspor betrachtete ihn fasziniert. Er ließ die Augen nicht mehr von ihm. Schließlich sagte er:

»Diese Waffe ist eine wichtige Hilfe. Für die Ligriden könnte sie schicksalsentschei-dend sein. Ich will gar nicht wissen, woher du sie hast, Anima. Aber ich biete euch etwas an: Ich werde dafür sorgen, daß ihr endgültig die Freiheit erlangt. Langsam glaube ich nicht

mehr daran, daß ihr die STERNSCHNUPPE in der Nähe habt, die euch helfen könnte. Ich bringe euch von Tobly-Skan weg, wenn ihr mir diesen Dolch gebt!«

Anima stieß einen Ruf des Entsetzens und des Abscheus aus. Atlan sprang auf und faßte Raspor an der Kleidung.

»Schluß jetzt mit dem Unfug«, sagte er, sich mühsam beherrschend. »Du bist ein sel-ten dummes Geschöpf. Willst uns an der Nase herumführen. Die Ligriden haben Manam-Turu verlassen, lange bevor du der Stählernen Festung den Rücken kehrtest. Kein einziger Ligride ist mehr in Manam-Turu, und du gibst dich als Unterhändler aus. Und du interes-sierst dich für den Dolch. Für wie dumm hältst du eine Vardi und einen Arkoniden ei-gentlich? Ein Ligride willst du sein? Laß uns zu den Stahlmännern gehen. Wir werden die Hyptons fragen, ob du wirklich ihr Gefange-ner warst. Es würde mich nicht wundern, wenn sie von deiner Anwesenheit im Stütz-punkt nichts wüßten. Bist du etwa allein aus dem Grund gekommen, um dich über den Dolch herzumachen?«

Er griff nach der schwebenden Waffe. Er packte sie am Knauf und stieß die Klinge in Richtung des Ligriden. Raspor fuhr mit einem Aufschrei zurück und brachte sich hastig bis zum Ausgang der Höhle in Sicherheit. Er blieb dort stehen und kehrte dann hastig zu-rück.

»Es ist zu spät für Erklärungen«, sagte er. »Die Stahlmänner haben die Spur gefunden. Sie sind hier. Sie besetzen gerade die übrigen Höhleneingänge!«

Anima lachte. Atlan wandte sich an Don Quotte, aber dieser konnte innerhalb des Fels-gesteins nichts orten.

»Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte der Ligride. »Alle deine Vorwürfe sind unbe-gründet und entsprechen nicht den Tatsa-chen!«

»Alarm!« schrillte Don Quotte jetzt. »Sie kreisen uns ein. Weg hier!«

Er sauste zum Höhleneingang. Atlan konn-te nicht genau erkennen, was dort draußen geschah. Er hörte nur, wie Don Quotte plötz-lich Alarmsignale gab, die ihn und Anima warnen sollten.

Raspor vertrat dem Arkoniden den Weg.

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»Also gut«, sagte er. »Wie ihr wollt. Ihr

verzichtet auf meine Hilfe. Aber ich gehe nicht mehr in Gefangenschaft. Ich halte mein Angebot aufrecht. Den Dolch gegen eure Freiheit. Und ich kann euch weitere Angebote machen, die euch und den Daila helfen könn-ten, gegen die Hyptons zu bestehen!«

Mit diesen Worten wurde seine Gestalt durchscheinend und löste sich auf. Der Dolch glühte, und Anima stieß einen unterdrückten Schrei aus. Raspor war verschwunden. Durch Teleportation? Eine Projektion war er nicht gewesen. Was aber dann?

Von zwei Seiten drangen die Stahlmänner auf sie ein. Sie konnten ihre Waffen nicht einsetzen und auch die Schutzschirme nicht aktivieren, ohne daß sie sich nicht gegenseitig gefährdet hätten. Anima machte rasch den Dolch unsichtbar, dann waren die Stahlmän-ner heran und nahmen sie gefangen.

Die Flucht aus NEO-PZAN war zu Ende, und Atlan schalt sich einen Narren, daß er Raspor auf den Leim gegangen war. Der an-gebliche Ligride wollte in den Besitz des Dol-ches kommen, das war sein einziges Ziel. Und dafür ging er auch das Risiko ein, daß seine Begleiter nochmals in die Gefangenschaft der Hyptons gerieten.

Raspor war ein schändlicher Verräter, ein schmieriger Geschäftemacher irgendeiner Herkunft, aber auf keinen Fall ein Unterhänd-ler, der von seinem Volk zu den Hyptons ge-schickt worden war.

6.

Die Traube der Hyptons tobte. Die Verfol-

gung hatte zwei Dutzend Stahlmänner gekos-tet. Sie konnten durch die Produktionsanlagen rasch ersetzt werden, aber sie waren unnötig zerstört worden. Und daß die Flüchtlinge wieder hatten eingefangen werden können, lag mehr an deren Dummheit als an dem Mißgeschick der sie verfolgenden Roboter. Einer von ihnen hatte mitten zwischen den Felsen etwas fallen gelassen, was kaum wahr-nehmbare Signale aussandte.

Als Atlan es aus dem Mund des Hyp-tonsprechers hörte, wußte er endgültig, daß Raspor sie verraten hatte in der Absicht, auf irgendeine Weise an den Dolch heranzukom-

men. »Er soll mir nicht mehr begegnen«, zischte

Anima erbost. »Ich werde ihn zur Rechen-schaft ziehen!«

Atlan beobachtete die junge Vardi nach-denklich. Von Anfang an hatte sie allergisch auf Raspor reagiert, während sie dem Dolch gegenüber positive Gefühle empfand. Er zweifelte nicht daran, daß der Dolch Chos-sophs tatsächlich etwas ausstrahlte, was posi-tiv wirkte. Dennoch hätte er liebend gern ge-wußt, wo sich der Besitzer der Waffe aufhielt.

»Eure Flucht war also nicht mehr als eine dumme Idee von zwei Verblendeten und ei-nem Roboter«, sagte der Hypton. Die Traube raschelte vernehmlich, sie konzentrierte sich nicht völlig auf die Unterredung. »Ein zweites Mal wird euch der Ausbruch nicht gelingen. Was glaubt ihr, was in der Zwischenzeit ge-schehen ist? Ihr werdet kaum denken, daß Aklard und das Volk der Daila noch existie-ren!«

Damit war die kurze Unterredung einseiti-ger Art beendet. Die Stahlmänner brachten sie zurück in ihr früheres Quartier. Die Wand war erneuert worden. Die Roboter schlossen die Tür, und Don Quotte stellte umfangreiche Messungen an.

»Es sind keine Mikrospione eingebaut wor-den«, verkündete er. »Aber die Zelle ist von einem System paratronähnlicher Sperrschirme umgeben. Sie werden verhindern, daß uns nochmals die Flucht gelingt!«

Atlan nickte ernst, dann aber fiel sein Blick auf den materialisierten Dolch. Anima hatte seine Unsichtbarkeit aufgehoben.

»Vielleicht hilft er uns wieder«, meinte der Arkonide. »Wenn er die Schirme draußen durchdringen kann, wird er es auch hier tun!«

»Sollen wir es gleich ausprobieren?« fragte Anima. Sie lenkte den Dolch in Richtung Tür, aber da verschwammen seine Konturen. Er wurde halb durchscheinend und verfestigte sich wieder. Don Quotte bemerkte den Vor-gang und eilte herbei. Er brachte seinen Kopf dicht an die Waffe heran.

»Haltet ihn!« schrillte er. Es war zu spät. Der Dolch löste sich wieder

auf, und alle geistigen Anstrengungen Animas und Atlans halfen nichts. Der Dolch ver-schwand und wurde nicht mehr sichtbar. Er

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war nicht mehr vorhanden. Damit waren sie eingesperrt ohne eine Chance, jemals aus die-sem Gefängnis entkommen zu können. Sie hatten nur ihre Ausrüstung und ihre Anzüge. Die Roboter hatten sie ihnen diesmal nicht abgenommen. Sie konnten aber auch nichts damit anfangen.

Mutlos sanken sie in die wackeligen Sitzge-legenheiten und warteten darauf, daß etwas geschah.

Sie erwarteten, daß die Hyptons sich mel-deten. Aber diese wollten nichts von ihren Gefangenen wissen. Nur die Stahlmänner kamen. Sie brachten Lebensmittel, Getränke und Hygieneeinrichtungen und einen Öl- und Schmiernapf für Don Quotte, den dieser em-pört ablehnte. Dann schloß sich die Tür, und die starken Schutzschirme bauten sich wieder auf.

Am dritten Tag dann lag plötzlich ein Fet-zen Papier auf dem Fußboden. Atlan entdeck-te ihn als erster. Er hob ihn auf und drehte und wendete ihn. Er war in verschnörkelter Hand-schrift mit einer Botschaft bedeckt.

»Ich wiederhole mein Angebot«, verkünde-te Raspor darauf. »Eure Freiheit gegen den Dolch. Und ich verlange, daß ihr EVOLO uneingeschränkt bei seinem Kampf gegen die Hyptons unterstützt. Ihr wißt, daß ihr keine andere Wahl habt. Die Hyptons schicken sich an, Aklard zu Staub zu zerblasen, wenn ihr weiter gegen sie arbeitet. Ihr seid aber auch nicht in der Lage, für sie zu arbeiten. Sie brauchen euch nicht. Deshalb arbeitet gegen sie und macht euch keine Gedanken über die Dinge, die ihr sowieso nicht beeinflussen könnt. Atlan muß EVOLO helfen, seine Sta-bilisierung zu erneuern!«

Hier endete die Botschaft. Atlan reichte sie an Anima weiter, und diese händigte sie Don Quotte aus, der sie speicherte. Kurz darauf zerfiel der Zettel, der auf geheimnisvolle Weise durch die Schutzschirme in die Zelle gelangt war, zu Staub.

Atlan begann langsam die Zusammenhänge

zu durchschauen. Raspor, der angebliche Ligride, entpuppte sich als ein Teil EVOLOS, als ein Agent der Gegenseite im Machtbereich der Hyptons. Vermutlich war er noch immer in der Nähe oder unterwegs, um EVOLO Be-richt zu erstatten.

Und eigentlich konnte es sich bei Raspor um niemand anders handeln als um Dharys. Deshalb hatte der Arkonide einmal geglaubt, daß ihm etwas an Raspor bekannt vorgekom-men war, und wenn es nur ein bestimmter Tonfall war, in dem der Ligride seinen Na-men ausgesprochen hatte.

Ein Versuch, mit Chipol und der STERN-SCHNUPPE Kontakt aufzunehmen und die neuen Erkenntnisse weiterzugeben, scheiterte kläglich. Das Funkgerät rauschte nicht ein-mal, es blieb einfach tot.

Für Atlan und seine Gefährten blieb nichts als das Erdulden ihrer Gefangenschaft und die Hoffnung, daß sie bald zu Ende sein würde.

Offensichtlich hatte Guray ein Interesse am augenblicklichen Geschehen um die Hyptons. Und zum anderen benötigte EVOLO dringend Helfer, die sein Problem lösten.

»EVOLO könnte zu unserem Befreier wer-den«, meinte der Arkonide. »Aber er will, daß wir für ihn gegen die Hyptons arbeiten. Es ist unmöglich.«

»Ich bin dafür«, sagte Anima. »Ihr kennt EVOLO nicht. Er muß positiviert werden, das ist alles!«

»Alles!« bekräftigte der Großwesir. Und Atlan fragte sich, ob er nicht zufällig

unter lauter Narren geraten war. EVOLO war die größte Bedrohung des

Universums, die er kannte. Es war eine Ge-fahr, die immer größer wurde.

Und da redete Anima von einem Pakt und einer Veränderung, die leicht herbeizuführen sei.

Es war unglaublich und zu schön, um wahr zu sein.

ENDE

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Weiter geht es in Band 108 im Auftrag der Kosmokraten mit:

Chaos in Manam-Turu von Hans Kneifel

Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2010, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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