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SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Tandem aktualisierte Fassung vom: 4.11.14 Autor: Friedrich Ani RedakteurIn: Katrin Zipse Regie: Ulrich Lampen Das Verschwinden der Natalia Aschenbrenner Hörspielserie in sechs Folgen Folge 2: Der Fremde Studiobelegung: 24.11.- 19.12.2014; BAD Studio 2; 9.00 16.45 Uhr Sendung am: 31.3.2015 um 19.20 Uhr in SWR2 Tandem Sprecher/Rollen: s. nächste Seite PODCAST Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers. © by the author

Das Verschwinden der Natalia Aschenbrenner · Natalia Aschenbrenner, 34, Maskenbildnerin Walter Steinhaus , 57, zwielichtiger und selbstgefälliger Sohn des ehemaligen Besitzers einer

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SÜDWESTRUNDFUNK

SWR2 Tandem

aktualisierte Fassung vom:

4.11.14

Autor: Friedrich Ani

RedakteurIn: Katrin Zipse

Regie: Ulrich Lampen

Das Verschwinden der Natalia Aschenbrenner

Hörspielserie in sechs Folgen

Folge 2: Der Fremde

Studiobelegung:

24.11.- 19.12.2014; BAD Studio 2; 9.00 – 16.45 Uhr

Sendung am: 31.3.2015 um 19.20 Uhr in SWR2 Tandem

Sprecher/Rollen: s. nächste Seite

PODCAST Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers. © by the author

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Personen:

Tabor Süden, Mitte 50, Detektiv

Natalia Aschenbrenner, 34, Maskenbildnerin

Walter Steinhaus, 57, zwielichtiger und selbstgefälliger Sohn des ehemaligen

Besitzers einer Papierfabrik im Schwarzwald

Maxie Feininger, 32, zahnmedizinische Fachangestellte, beste Freundin von Natalia

Carlo Riess, 43, Busunternehmer

Eloise Valéry, 59, Köchin aus dem Elsass

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1. Erste Szene – Hotelzimmer Steinhaus – Montagnacht

Schwarzwald-Melodie.

1SÜDEN (Erzähler)

Der Mann, den ich für den Vater der verschwundenen

Maskenbildnerin Natalia Aschenbrenner gehalten hatte, kannte die

junge Frau nicht einmal. Er bewohnte ein Doppelzimmer im Hotel

Leopold in Baden-Baden. Eine Stunde nach meiner Ankunft hatte

mich die Rezeptionistin bei ihm angemeldet, und als er mir die Tür

öffnete, wirkte er mürrisch und verschlossen. Sein Name war Walter

Steinhaus. Ich schätzte ihn auf Ende 50, obwohl er älter aussah, ein

unberechenbar und abweisend wirkender Mann mit einem grauen

Schnurrbart im teigigen Gesicht. Bei unserer ersten Begegnung trug

er ein bunt gemustertes Hemd über der ausgewaschenen Bluejeans,

seine nackten Füße steckten in den weißen Stofflatschen mit dem

Hotellogo. Er wollte mich an der Tür abfertigen, und ich blieb einfach

stehen.

2STEINHAUS Ist noch was?

3SÜDEN Jemand muss wissen, dass Sie in diesem Hotel wohnen.

4STEINHAUS Ok. Jemand hat Sie angerufen, und Sie wissen nicht mal, wer.

5SÜDEN Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.

6STEINHAUS Jesus Christus, machen Sie sich doch nicht in die Hose, nur, weil

irgendein Kerl Sie verarscht hat.

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7SÜDEN Ich glaube nicht, dass mich jemand verarscht hat, Herr Steinhaus.

8STEINHAUS Nein?

Er hustet.

Glauben Sie, was Sie wollen, ich will jetzt schlafen.

9SÜDEN (Erzähler)

Aus Natalias Wohnung hatte ich drei Fotos mitgenommen: auf einem

saß sie vor einer Maß Bier in einem Biergarten und lächelte in die

Kamera, auf den beiden anderen Bildern war sie einmal mit einem

Mann vor einer Schießbude zu sehen und das andere Mal mit

demselben Mann und einer Frau im Dirndl. Die Frau hatte den Kopf

zurückgeworfen, einen grauen Filzhut tief ins Gesicht gezogen und

trug eine Sonnenbrille. Im Hintergrund ragte das beleuchtete

Riesenrad des Oktoberfests in den Abendhimmel.

Ich zeigte Steinhaus das Foto von Natalia im Biergarten.

10SÜDEN Kennen Sie die Frau?

11STEINHAUS Gute Braut. Wer?

12SÜDEN Natalia Aschenbrenner.

13STEINHAUS Ah! Pretty little woman.

14SÜDEN Sie sprechen gern Englisch.

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15STEINHAUS Nein.

Schweigen.

Kein Text mehr?

16SÜDEN Ich lade Sie auf ein Bier ein.

Schweigen.

17STEINHAUS Wenn schon, dann Bourbon.

Musik in der Hotelbar.

2. Zweite Szene – Hotelbar – Montagnacht

Musik aus den Lautsprechern. Leise Stimmen im Hintergrund.

18STEINHAUS War `ne Superidee hier runterzugehen. Und der Bourbon? Ok. Nicht

Weltklasse … ok.

Er trinkt schlürfend, unterdrückt ein Husten.

19SÜDEN Sie haben im Ausland gelebt.

20STEINHAUS Yes. Eugene, Oregon. Schöne Zeit verbracht, waren Sie mal in der

Gegend?

Sein Ton wird leutseliger, mit einem überheblichen Unterton.

21SÜDEN Am Fuß der Blauen Berge.

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22STEINHAUS Ok, Tipp unter Hotelnachbarn: Versuchen Sie nie, mich zu

verarschen, das geht nicht gut aus. Ok?

Süden schweigt.

23STEINHAUS Was ist?

Er trinkt, das Eis klirrt im Glas.

Hello? Someone in there?

24SÜDEN Wir waren bei einem Sioux-Schamanen, meine Eltern und ich. Er

sollte meine Mutter heilen.

Steinhaus schnauft, räuspert sich.

25STEINHAUS Waren die nicht weiter westlich, die Sioux, Dakota und so?

26SÜDEN Angeblich siedelten sie auch in Montana, an der Grenze zu Oregon.

27STEINHAUS Ich weiß, wo Montana liegt, ich war da. Also, Sie waren bei einem

Schamanen.

Er hustet.

Und? Hat’s was genützt? Ihre Mutter: alles ok mit ihr?

28SÜDEN Sie ist gestorben.

29STEINHAUS Tut mir leid. Wann war das, als Sie drüben waren?

30SÜDEN Sehr lange her, ich war ein Kind. Haben Sie Kinder?

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31STEINHAUS Strictly no! Nein, das war nicht der Plan, Familie … Ich bin rüber, um

zu arbeiten und nicht, um einen Hausstand zu gründen. Hätt ich hier

auch können, ich mein‘ … Hier war alles bereitet für mich.

32SÜDEN Sie waren verlobt.

33STEINHAUS Kann sein, dass die Frau sich das so vorstellte.

34SÜDEN Warum sind Sie weg?

35STEINHAUS Warum suchen Sie diese Frau, diese -?

36SÜDEN Das habe ich Ihnen erklärt: Natalia Aschenbrenner ist

möglicherweise entführt worden.

37STEINHAUS Nichts für ungut, Kollege. Aber: Sie sind Detektiv, kein Cop. Oder

waren Sie mal einer? Sie waren mal einer, das seh ich. Hätt ich mir

denken können. Haben Sie noch Geld für einen Drink übrig?

Er lässt die Eiswürfel im Glas klirren.

38SÜDEN Sie kriegen noch einen.

39STEINHAUS Sie sollten auch was Vernünftiges trinken, das Bier macht Sie blöde,

verklebt ihr Hirn. Sie brauchen härtere Sachen, so wie Sie aussehen.

Was ich sagen will, ist: Sie sehen gut aus, ok, nicht direkt fit, aber gut

genug, um das Leben zu genießen. Und was tun Sie? Sitzen traurig

beim Bier und jagen einem Phantom nach. Also, wir nehmen noch

was. (ruft) Herr Ober!

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Schritte auf Asphalt. Ein Auto verlässt den Parkplatz. Ein Hund bellt in der Ferne.

Eine Autotür wird geöffnet, jemand steigt ein und schlägt die Tür zu.

3. Dritte Szene – Auto Carlo – Montagnacht

Carlo hat sich hinters Lenkrad gesetzt.

40CARLO Du kannst zufrieden sein.

41MAXIE Er ist da? Er ist wirklich da?

Sie klatscht in die Hände und küsst Carlo übermütig auf die Wange.

Er stößt sie weg.

42CARLO Ich hab dir gesagt, ich mag das nicht! Sorg dafür, dass Lia Vernunft

annimmt. Und wenn du das nicht hinkriegst, mach ich euch beide

fertig. Dann wirst du noch bereuen, dass du mich kennst.

Er lässt den Motor an und fährt los.

43MAXIE Ich tu dir doch nichts, ich mach doch alles, was du willst. Wieso bist

du so böse jetzt?

Sie fängt an zu weinen.

Mit quietschenden Reifen hält Carlo an, beugt sich über Maxie hinweg, öffnet die

Beifahrertür und stößt Maxie nach draußen. Sie schreit auf.

44CARLO Geh zu F-Fuß! Heul dich an der f-frischen L-Luft aus!

Er knallt die Tür zu und fährt weiter.

Maxie schluchzt.

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45MAXIE Wart doch auf mich. Ich hab vergessen, wie die Straße heißt … ach

Sie weint in sich hinein.

4. Vierte Szene – Hotelbar – Montagnacht

Die Stimmen im Hintergrund sind verstummt. Die Musik spielt leise.

46STEINHAUS Checken Sie das doch, Meister: Da macht sich jemand einen Scherz

mit Ihnen. Und mit mir. Ärgerlich, aber so sind die Leute eben. Lust

auf ein Spiel?

47SÜDEN Nein.

48STEINHAUS Das ist die optimale Zeit dafür. Kommen Sie, wir gehen rüber ins

Casino, ich kenn da ein paar Leute, die stellen uns Chips zur

Verfügung. Ganz legal, keine Sorge, Ex-Cop. Texas Holdem. Schon

mal gespielt?

49SÜDEN Nein.

50STEINHAUS Kein Problem. Ich finde, wir sollten uns duzen, ganz leger, also:

Walter.

51SÜDEN Wir bleiben beim Sie.

Kurzes Schweigen.

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52STEINHAUS Sie haben Recht! Wer mag schon diese Leute, die bei der ersten

Begegnung gleich so tun, als wären sie alte Kumpel. Bravo! Bin völlig

Ihrer Meinung, Herr Süden. Gehen wir rüber ins Casino?

53SÜDEN Das Hotel Ihres Cousins, in Eugene, hätten Sie es nach seinem Tod

nicht übernehmen können?

54STEINHAUS Ah, zu viel Bürokratie! Außerdem: er hat einen Sohn, hab ich den

nicht erwähnt? Raymond, Ray, der riecht die Dollars, der schmeißt

den Laden. Alles hat seine Zeit, und meine Zeit war gut, und jetzt

beginnt eine neue Zeit. Wie ist das mit Ihnen? Sie waren Polizist,

jetzt Privatdetektiv, was kommt noch im Leben? Ich verrat’s Ihnen:

Poker! Zeigen Sie mal Wagemut. Oder haben Sie Angst um Ihre

paar Kröten? Am Ende der Nacht werden Sie mehr haben, vertrauen

Sie mir!

55SÜDEN Wir spielen ein andermal, Herr Steinhaus. Ich möchte Ihnen noch ein

Foto zeigen.

Er holt ein Foto aus der Innentasche seiner Lederjacke.

56STEINHAUS Mit dieser Lederjacke haben Sie aber schon einige Schlachten

geschlagen, das sieht man.

57SÜDEN Haben Sie die Frau mit dem Filzhut und den Mann schon einmal

gesehen?

58STEINHAUS Die Frau kann man ja nicht erkennen. Den Mann? Nein. Sicher nicht.

Wo ist das?

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59SÜDEN Vermutlich auf dem Münchner Oktoberfest.

60STEINHAUS War ich noch nie. Müssen Sie mich mal mitnehmen. Also, wenn Sie

sich zu schwach fürs Casino fühlen, schaffen Sie dann wenigstens

noch einen Drink? Auf den lad ich Sie ein.

61SÜDEN Meine Einladung steht noch. Einen letzten.

62STEINHAUS Sehr edel von Ihnen. Dann: One for the road.

Er schnippt mit dem Finger.

63SÜDEN (Erzähler)

Wir tranken noch drei, und ich war mir sicher, dass er mindestens

eine der beiden Personen auf dem Foto erkannt hatte.

Schwarzwald-Melodie.

5. Fünfte Szene – Hotelzimmer Süden - Dienstagmorgen

64SÜDEN (Erzähler)

Um vier Uhr früh wachte ich auf und konnte nicht mehr einschlafen.

Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Es gelang mir nicht.

Durch das gekippte Fenster drang kaum Luft ins enge Zimmer.

Obwohl ich mir eine Minute lang mit kaltem Wasser das Gesicht

abrieb, ebbte das Getöse in meinem Kopf nicht ab. Zu viele

ungeklärte Fragen, zu viele seltsame Begegnungen, zu viel Bier.

Nachdem ich das Fenster weit geöffnet hatte und eine Weile hin und

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her gelaufen war, setzte ich mich an den Tisch und klappte den

Laptop auf.

Süden tippt auf der Tastatur.

65SÜDEN (Erzähler)

Der Mann, der nachweislich nicht Natalias Vater war und aus

Gründen, die er bisher für sich behielt, die vergangenen Jahre in

Amerika verbracht hatte, stammte aus einer wohlhabenden Familie

in Baden-Württemberg. Seinem Großvater, Gustav Steinhaus,

gehörte eine Papierfabrik mit fast hundert Angestellten und

geschäftlichen Kontakten nach Südeuropa und Übersee. Nach den

Informationen im Internet existierte das Unternehmen bis heute,

spezialisiert auf Verpackungen aller Art. Als Geschäftsführer

fungierte ein Dr. Bertram Eberle, der bereits unter seinem Vorgänger

Karriere gemacht hatte. Aufsichtsratsvorsitzender war ein gewisser

Ferdinand Steinhaus. Wenn ich die Zusammenhänge richtig

verstand, handelte es sich um den Vater von Walter Steinhaus.

Dessen Name tauchte in den Berichten, die ich entdeckte, nur am

Rand auf. Offensichtlich spielte er in dem Familienbetrieb keine

Rolle.

Meine Nachforschungen über die möglichen Lebensumstände von

Steinhaus in Eugene, Oregon, brachten mich nicht voran. Weder auf

den Webseiten verschiedener Hotels am Franklin Boulevard noch

auf den Portalen anderer Städte des Bundesstaats fand ich den

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geringsten Hinweis auf die Existenz des Mannes, egal, in welche

Suchmaschine ich seinen Namen eingab.

In dem Wust scheinbar gewöhnlicher Fakten und Beschreibungen

erregten zwei Informationen meine besondere Aufmerksamkeit.

Ferdinand Steinhaus, der Vater, besaß nicht nur die Fabrik, er war

auch Teilhaber eines Hotels mit einem anscheinend über die

Landesgrenzen hinaus hoch geschätzten Restaurant. Und der Ort, in

dem sich beides befand, lag im Murgtal und hieß Henkersbach.

Henkersbach.

Der Mann, der sich am Telefon für Steinhaus ausgegeben hatte,

hatte diesen Namen erwähnt. Dort, sagte er, habe Natalia sich

aufgehalten, bevor sie verschwunden war. Oder was immer mit ihr

passiert sein mochte. Ich fing an, allem und jedem zu misstrauen.

Ich stand auf, ging zum Fenster und schaute in den dunklen Morgen

hinaus.

Was machte ich hier, allein, ohne Zuständigkeiten und konkrete

Beweise? Opfer eines Überfalls, den ich nicht angezeigt hatte.

Mitwisser einer möglichen Straftat, von der ich mir einbildete, ich

könnte sie auf eigene Faust in fremder Umgebung aufklären.

Auf meiner Mailbox waren zwei Anrufe von Edith Liebergesell, die ich

noch nicht abgehört hatte. Vermutlich forderte sie mich auf, meine

Aktion sofort zu beenden und die Polizei einzuschalten. Andernfalls

würde sie dafür sorgen, dass ich wegen Behinderung von

Ermittlungsarbeit belangt würde.

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Nein.

Ich war hier. Natalia hatte sich an mich gewandt, nicht an die

Detektei Liebergesell. Ich hatte ihr versprochen, sie zu finden.

Das hatte ich nicht. Ich hatte es mir versprochen.

Und jetzt war ich hier.

Klopfen an der Tür.

Stille.

Erneutes Klopfen.

Süden geht zur Tür, wartet.

Es klopft zum dritten Mal, zaghaft.

66SÜDEN Ja?

67MAXIE Herr Süden?

Schweigen.

Erneutes Klopfen.

Süden sperrt die Tür auf und öffnet sie.

68SÜDEN Interessant.

69MAXIE Sie erkennen mich?

70SÜDEN Wer hat mich niedergeschlagen?

71MAXIE Ich kann Ihnen alles erklären.

72SÜDEN Wie heißen Sie?

73MAXIE Maxie. Sagen‘S einfach Maxie zu mir.

Schweigen.

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74MAXIE Sie brauchen nicht nachschauen, da ist sonst niemand im Flur.

Schweigen.

75MAXIE Wieso sagen Sie nix?

76SÜDEN (nach einem Schweigen)

Kommen Sie rein.

Musik.

6. Sechste Szene – Hotelzimmer Süden – Dienstagmorgen

77SÜDEN Ich glaube Ihnen kein Wort.

78MAXIE Das müssen‘S aber, bitte, schon.

79SÜDEN Wie heißt Ihr Freund, der mich niedergeschlagen hat?

80MAXIE Das darf ich Ihnen nicht sagen, das ist das einzige, was ich nicht

sagen darf, ehrlich. Alles andere schon.

81SÜDEN Ich rufe die Polizei.

82MAXIE Wieso haben Sie das nicht schon längst getan?

83SÜDEN Warum waren Sie noch nicht bei der Polizei, wenn Sie sich so um

Ihre Freundin sorgen?

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84MAXIE Ja, genau deswegen. Weil ich mich sorg und weil ich nicht will, dass

ihr was passiert. Und weil ich weiß, dass nur Sie sie finden können,

Sie finden immer alle Leute. Das weiß ich.

85SÜDEN Das wissen Sie.

86MAXIE Ja, das weiß ich. Mich haben Sie auch gefunden.

Schweigen.

Vergessen, stimmt’s? Aber ich hab Sie nicht vergessen, ich hab Sie

gleich wiedererkannt an der Tür. Sie haben sich fast gar nicht

verändert. Sie erkennt man immer wieder.

87SÜDEN Sie waren mal vermisst.

88MAXIE Super vermisst. Und Sie haben rausgefunden, wo ich bin. Bei

meinem Freund damals, in Brixen.

Schweigen.

Jetzt müssen Sie nachdenken.

89SÜDEN Sie waren noch ein Kind.

90MAXIE Ich war kein Kind, ich war siebzehn.

91SÜDEN Sie hatten den Mann auf dem Oktoberfest kennengelernt.

92MAXIE Ihr Hirn ist fit so früh am Morgen.

93SÜDEN Er war viele Jahre älter als Sie.

94MAXIE Zweiundvierzig.

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95SÜDEN Ich glaube Ihnen trotzdem nicht, dass Sie alle Hotels in Baden-

Baden einfach auf gut Glück nach mir abgesucht haben.

96MAXIE (zögert)

So war’s nicht, stimmt. Tschuldigung.

Schweigen.

Ich hab Ihre Chefin angerufen.

Schweigen.

Ehrlich!

97SÜDEN Und Sie denken, das hätte Sie mir nicht mitgeteilt.

Schweigen.

98MAXIE Weiß ich nicht.

Schweigen.

99SÜDEN (Erzähler)

Ich nahm mein Handy und hörte die zwei Nachrichten ab, die Edith

Liebergesell mir in der Nacht geschickt hatte. Sie berichtete, eine

junge Frau habe sie angerufen und gefragt, ob sie sich an mich

wenden dürfe. Sie sei eine enge Freundin von Natalia, mache sich

große Sorgen und kenne mich von früher als erfolgreichen Sucher

und so weiter und so weiter …

100MAXIE Also hab ich recht.

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101SÜDEN (Erzähler)

Irgendetwas stimmte trotzdem nicht. Das Verhalten der Frau war zu

aufgesetzt.

Schweigen.

102MAXIE Sie hat gemeint, ich soll mal in dem Hotel nachfragen.

103SÜDEN Und der Portier hat Ihnen gleich meine Zimmernummer verraten.

104MAXIE Hat er nicht. Ich musst ihm erst fünfzig Euro geben.

105SÜDEN Das ist lächerlich.

106MAXIE Fragen Sie ihn doch.

Süden tippt eine Nummer ins Haustelefon.

107SÜDEN (Erzähler)

Der Nachtportier entschuldigte sich sofort und bot an, der Frau

Hausverbot zu erteilen. Die fünfzig Euro habe er genommen … und

so weiter …

Schweigen.

108MAXIE Alles klar? Glauben Sie mir endlich?

109SÜDEN Nein.

110MAXIE Wieso’n nicht?

Schweigen.

Ich mag das nicht, wenn Sie nie was sagen.

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111SÜDEN Wer hat mich niedergeschlagen?

112MAXIE Jetzt sag ich auch mal nichts.

Schweigen.

Das kann ich nicht! Ich bin hier, weil ich mit Ihnen reden muss.

113SÜDEN Um sechs Uhr in der Früh.

114MAXIE Helfen Sie mir, meine Freundin zu finden oder nicht?

115SÜDEN Warum hier?

116MAXIE Weil ihr bescheuerter Freund hier irgendwo wohnt, und der hat sie

entführt.

117SÜDEN Wie heißt der Freund?

118MAXIE Lukas.

119SÜDEN Lukas.

120MAXIE Genau, Lukas. Den Familiennamen weiß ich nicht, ich weiß nur, dass

er total durchgeknallt ist und Lia mies behandelt, und sie kann sich

nicht wehren. Und der wohnt hier in der Stadt oder irgendwo im

Schwarzwald.

121SÜDEN Vielleicht in Henkersbach.

122MAXIE Was?

123SÜDEN Sie kennen den Ort nicht.

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124MAXIE Nö.

Schweigen.

125MAXIE Woher soll’n ich den kennen, den Ort?

Schweigen.

126SÜDEN (Erzähler)

Was wollte sie von mir? Warum ließ ich mir ihr Verhalten gefallen?

Was wollte ich von ihr? Sie hockte auf dem einzigen Stuhl des

Zimmers, während ich weiter an der Tür stand, und sah mich die

ganze Zeit wie ein erwartungsvolles Kind aus großen Augen an.

Unter ihrer schwarzen Pudelmütze spitzten die Locken ihrer rötlich-

blonden Haare hervor, und in ihrem weit geschnittenen dunkelblauen

Mantel sah sie ein wenig verloren aus. Seit sie im Zimmer war, hatte

sie die Hände nicht aus den Taschen genommen. Sie wirkte grimmig

entschlossen, was ihren undurchsichtigen Plan betraf, aber auch

verunsichert und scheu. Offensichtlich spielte sie eine Rolle, und sie

spielte sie nicht nur für sich und für mich, sondern vor allem für ihren

Regisseur. Für den Mann, der ihr gewalttätiger Komplize war.

127MAXIE Ich weiß den Namen echt nicht.

128SÜDEN Welchen Namen?

129MAXIE Den Familiennamen vom Lukas.

130SÜDEN Das macht nichts.

131MAXIE Echt jetzt?

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132SÜDEN Sie werden ihn für mich finden, Maxie.

133MAXIE Ich?

134SÜDEN Wer sonst?

135MAXIE Wie soll ich den finden? Sie sind doch der Supersucher.

136SÜDEN Ich bin kein Supersucher.

137MAXIE Klar. Sie haben ja sogar mich in Südtirol gefunden, und damit hat

niemand gerechnet.

138SÜDEN Vor allem Sie nicht.

Sie kichert.

139SÜDEN Ich mache Sie zu meiner Assistentin.

140MAXIE Äh … Das geht nicht, ich bin … Nein, ich möcht‘, dass Sie die Lia

finden. Weil das meine Freundin ist. Sie müssen sie suchen.

141SÜDEN Wenn Sie mir einen Auftrag erteilen, müssen Sie mich bezahlen.

142MAXIE Mach ich.

Sie kramt in ihren Taschen und zieht ein Kuvert heraus, das sie auf den Tisch legt.

143MAXIE Da! In dem Kuvert ist Ihr Geld. Jetzt können Sie nicht mehr raus.

144SÜDEN So geht das nicht.

145MAXIE Klar geht das so. Das sind tausend Euro, und wenn Sie die Lia

gefunden haben, kriegen Sie noch mal fünfhundert.

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Sie steht auf.

Und jetzt muss ich wieder gehen.

146SÜDEN Sie fahren zurück nach München.

147MAXIE Ich hab die Woche frei, ich bleib noch hier und spann aus.

148SÜDEN Was arbeiten Sie?

149MAXIE Zahnarzthelferin, also Angestellte …

150SÜDEN Von wem haben Sie das Geld, Maxie?

151MAXIE Das ist mein Geld.

152SÜDEN Nein.

153MAXIE Klar ist das mein Geld.

Schweigen.

7. Siebte Szene – Haus Carlo – Dienstag

Schwarzwald-Melodie.

154CARLO Ich geb doch nicht mein Geld her, um den Typen einzulullen, und du

heulst hier rum. Hallo?

155NATALIA Ich heul nicht.

156CARLO Dann hör auf damit.

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157NATALIA Ja.

Sie schnieft.

Bitte mach meine Hände frei.

158CARLO Damit du Ärger machst? Vergiss es, Lia.

159NATALIA Ich mach keinen Ärger, meine Finger sind schon ganz taub.

160CARLO Dir kann man nicht trauen.

161NATALIA Dir auch nicht.

Er gibt ihr eine Ohrfeige.

Schweigen.

Natalia schnieft.

162CARLO Tut mir leid. Verdammt!

Er stapft durch die Wohnung.

Das darf doch nicht wahr sein! Ich bitt dich um einen kleinen

Gefallen, und du stellst dich so an. Wer kann denn mit so was

rechnen? Was soll das, Lia? Und? Und? Was ist das Resultat? Du

bist trotzdem hier, wo ich dich haben will. Und wenn du nicht machst,

was ich will, dann …

163NATALIA Dann? Bringst du mich dann um? So wie den Mann, wegen dem du

hergekommen bist?

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164CARLO (laut)

Was weißt du denn? Halt die Fresse!

Er geht zu ihr und packt sie, schüttelt sie.

Du hast keine Ahnung, was gespielt wird und führst dich auf, als h-

hättst du hier was zu s-sagen! Du hast nichts zu s-sagen! Du hast zu

gehorchen! K-Kapierst du das? J-Ja? Ja?

165NATALIA (verzagt)

Ja. Bitte … Ich kann meine Finger nicht mehr bewegen, schau doch!

Carlo schnauft, denkt nach.

166CARLO W-Wehe, du machst irgendwas, i-irgendwas, dann kommst du in den

Keller …

Er knotet die Fesseln auf.

167NATALIA Danke.

Sie reibt sich die Handgelenke.

Danke, Carlo.

168CARLO Halt die Klappe.

Er senkt seine Stimme, die jetzt so klingt wie als „Steinhaus“ beim Telefonat mit

Süden.

Das war das Elternhaus von Robert, meinem besten Freund. Hier ist

er aufgewachsen. Und hier sind sie gestorben, seine Eltern, beide in

einer Nacht. Hörst du mir zu?

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NATALIA (leise)

Ja.

169CARLO Sie haben geschlafen. Sie waren müde vom Fest. Da waren ein

Haufen Leute, und Robert durft bei mir übernachten, im Hotel.

Niemand hat sich hinterher erklären können, warum seine Eltern den

Grill ins Zimmer gestellt haben. Es hat angefangen zu regnen, aber

sie hätten ihn ja trotzdem draußen stehen lassen können, wen

juckt’s, ob das Ding nass wird. Trocknet von selber. Sie sind im

Schlaf erstickt. Ein Polizist ist gekommen, und der Robert hat erst

mal gar nix kapiert.

Schweigen.

170NATALIA Wie alt war dein Freund damals?

Schweigen.

171CARLO Neun.

172NATALIA Ist er in ein Heim gekommen?

173CARLO (heftig)

Nein! K-kein H-Heim! Er ist in den W-Wald gegangen und hat sich a-

aufgehängt, a-am Baum. Und ich h-hab ihn g-gefunden, den R-R…

Robert…

174NATALIA Entschuldige, ich wollt dich nicht aufregen, bitte …

Sie will ihn umarmen, er stößt sie weg.

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175CARLO Geh bloß w-weg von mir!

Er öffnet den Kühlschrank – das Klirren von Flaschen –, nimmt eine Bierflasche

heraus, öffnet den Deckel, der auf den Boden fällt, und trinkt.

176NATALIA Davon hast du noch nie erzählt. Mir hast du immer gesagt, der

Robert wär früh gestorben und …

177CARLO (heftig)

Ist er ja a-auch!

Er trinkt gierig. Knallt die Flasche auf den Tisch. Beruhigt sich wieder.

Ich will nicht saufen. Und du fängst jetzt an. Da drüben steht dein

Arbeitskoffer, den hat Maxie extra aus deiner Wohnung geholt. Wo

auf einmal dieser Detektiv auftaucht, verflucht!

178NATALIA Was für ein Detektiv?

179CARLO Den … den, der in deiner Wohnung war. Süden heißt der. Maxie

kennt den von früher. Pech für ihn. Sie hat was vor mit dem.

180NATALIA Was denn?

181CARLO Geht dich nix an. Kennst du den etwa auch?

182NATALIA Nein, aber …

183CARLO Ja?

184NATALIA Ich glaub, Maxie hat mir mal von ihm erzählt. Er hat sie doch damals

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185CARLO Fang an zu arbeiten.

186NATALIA Nein!

Sie stößt ihn von sich weg, er stolpert über einen Stuhl und stürzt zu Boden. Natalia

nimmt die Bierflasche und wirft sie nach ihm. Er dreht sich weg, und die Flasche

zersplittert.

Natalia rennt zur Tür, reißt sie auf – und stößt mit jemandem zusammen. Natalia

schreit erschrocken auf.

187MAXIE Wo rennst’n hin, Lia? Das ist doch verboten.

188NATALIA Maxie!

8. Achte Szene – Geländewagen Steinhaus – Dienstag

Ein Geländewagen brummt die Serpentinen des Nordschwarzwalds hinauf.

Steinhaus lässt den Motor aufheulen und scheint bester Stimmung zu sein.

189STEINHAUS Wildschweine, Füchse, Rehe, Hirsche – alles, was Sie schießen

wollen, alles da. Der Nordschwarzwald ist ein Paradies, man merkt’s

nicht auf den ersten Blick, ist aber die Wahrheit. Hab hier mein

halbes Leben verbracht. Als Kinder sind wir die steilen Kurven mit

den Fahrrädern hochgerast, und wehe, einer hat schlapp gemacht,

der kam in die Schlucht, hehe.

190SÜDEN Was bedeutete das: in die Schlucht kommen.

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191STEINHAUS Runter eben, wo’s finster ist, wo die bösen Mächte wohnen. In die

Höhle! Und zwar die ganze Nacht, und draußen hat einer Wache

geschoben. Damit der Schwächlich nicht abhaut. Lustige Zeit.

Er gibt Gas und fährt weiter bergauf.

Ihnen wird aber nicht schlecht von den Kurven, oder sind Sie immer

so bleich?

192SÜDEN Mir geht’s gut.

193STEINHAUS Sicher? Ich hab den Wagen erst vor zwei Tagen sauber machen

lassen, innen und außen.

194SÜDEN Viele Häuser stehen leer.

195STEINHAUS Fast alle. Auch Hotels. Wer hier schon alles investieren wollte:

Araber, Russen, Schweizer Bankiers, das meiste ist gescheitert.

196SÜDEN Warum?

197STEINHAUS Bad vibrations. Schlechte Anbindungen. Das Wetter ist natürlich

schon hart. Da drüben, sehen Sie die kahlen Flächen mitten in den

Wäldern? Folgen eines Orkans. Da sind Sie machtlos, wenn so ein

Sturm übers Land zieht. Andererseits wächst alles zu, die goldenen

Zeiten der Land- und Forstwirtschaft sind vorbei.

Der Geländewagen bremst auf einem Kiesplatz.

Steinhaus stellt den Motor aus.

Stille.

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198STEINHAUS Ich muss dann mal wohin. Steigen Sie aus, klingeln Sie, klopfen Sie

an, die Dame des Hauses serviert uns Kaffee, Kuchen und Schnaps,

da bin ich sicher. Nur zu! Das Hotel sieht etwas verfallen aus, ist es

aber nicht, nur ein wenig vernachlässigt. Ok?

Er steigt aus, schlägt die Tür zu. Auch Süden steigt aus. Steinhaus geht hinters

Haus.

199STEINHAUS (ruft Süden zu)

Einfach: Knock knock knock on heavens door!

Süden geht über den Kies und klopft an die Tür.

Eloise Valéry öffnet.

200ELOISE Wer sind Sie?

201SÜDEN Mein Name ist Tabor Süden. Herr Steinhaus hat mich hergefahren.

202ELOISE Walter Steinhaus?

Schwarzwald-Melodie.

203SÜDEN (Erzähler)

Die schlanke Frau im schwarzen Kleid – sie mochte Ende 50, Anfang

60 sein - hörte nicht auf, mich anzusehen. Dann blickte sie an mir

vorbei, zum Geländewagen und über den Parkplatz. Sie schien

Ausschau nach Steinhaus zu halten, sagte aber nichts. Als von ferne

Schritte zu hören waren, griff sie mit beiden Händen nach meinem

Arm.

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204ELOISE (mit gesenkter Stimme)

Dieser Mann ist ein Dämon. Er hat uns alle geschändet.

Schwarzwald-Melodie.

Ende der zweiten Folge