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37 doppel punkt 2/2005 Das Wertequadrat und seine Darstellung Geschichte und mögliche Weiterentwicklung Das Wertequadrat ist ein Denkwerkzeug, das Paul Helwig 1967 „erfunden“ hat, zu dem Aristoteles „Vorarbeit“ geleistet hat, und das Friedemann Schulz von Thun in seinem zweiten Band von „Miteinander reden“ bekannt gemacht hat. 1 In diesem Artikel soll die Geschichte des Wertequadrats und vor allem die seiner Darstellung nachgezeichnet werden, und es soll die Botschaft des Quadrats hervorgehoben werden. von Bernhard Possert Aristoteles und das rechte Maß „Bei jedem ausgedehnten und teilbaren Dinge kann man ein Zuviel oder Zuwenig und ein rechtes Maß unterscheiden, und dies entweder in Hinsicht der Sache selbst oder in der Beziehung auf uns. Das rechte Maß liegt in der Mitte zwischen dem Zuviel und Zuwenig. Unter der Mitte eines Gegenstandes verstehe ich das, was von jedem der beiden Enden gleichen Abstand hat, und das gilt für alle Gegenstände als eines und dasselbe. In bezug auf uns aber bedeutet die rechte Mitte das, was weder zuviel noch zuwenig ist: das aber ist keineswegs bei allen eines und auch nicht dasselbe. So, wenn zehn viel, zwei aber wenig ist, so nimmt man in Hinsicht auf die Sache als die Mitte sechs an, weil es um ebensoviel das eine übertrifft, wie es vom anderen übertroffen wird; das aber bedeutet die Mitte im Sinne der arithmetischen Proportion. Dagegen darf man es nicht so fassen, wo es sich um die Beziehung auf uns handelt. Wenn für jemand zehn Pfund zu essen zuviel, zwei aber zuwenig sind, so wird ihm der Leiter in der Ringschule nicht gerade sechs Pfund vorschreiben; denn möglicherweise ist auch dies noch für denjenigen, der es bekommen soll, zuviel oder zuwenig. Für einen Milo 2 wäre es zuwenig, für einen, der mit den Übungen erst beginnt, aber zuviel. Ebenso ist es mit Lauf und Ringkampf. Und so meidet denn jeder vernünftige Mensch das Zuviel und das Zuwenig und sucht dagegen die Mitte herauszufinden, und für diese entscheidet er sich; die Mitte aber, das heißt hier nicht die der Sache, sondern das Mittlere in bezug auf uns.“ 3 Aristoteles spricht also vom rechten Maß, der rechten Mitte zwischen zu viel und zu wenig. Das könnte man so darstellen: zu viel zu wenig das rechte Maß Vergleichen wir diesen antiken Text mit einem „modernen“: Gregory Bateson, Kybernetiker der ersten Stunde, bietet in seinem Artikel „Jeder Schuljunge weiß“ sechzehn verschiedene Denkwerkzeuge an. Nr. 11: „In der Biologie gibt es keine monotonen ‚Werte’“ „Ein monotoner Wert ist ein solcher, der entweder nur zu- oder nur abnimmt. Seine Kurve hat keine Schleifen; das heißt, seine Kurve verändert sich nie von Zunahme zu Abnahme oder umgekehrt. Begehrte Substanzen, Dinge, Muster oder Erfahrungssequenzen, die in gewissem Sinne „gut“ für den Organismus sind (z.B. Nahrungsmittel, Lebensbedingungen, Temperatur, Unterhaltung, Sex und so fort), sind niemals so beschaffen, dass mehr von der Sache stets besser ist als weniger davon. Vielmehr gibt es für alle Objekte und Erfahrungen eine Quantität, die einen optimalen Wert hat. Jenseits dieser Quantität wird die Variable toxisch. Unter diesen Wert zu fallen bedeutet Entbehrung. Dieses Charakteristikum des biologischen Werts ist nicht auf Geld übertragbar. Geld wird immer transitiv bewertet. Mehr Geld ist vermeintlich immer besser als weniger Geld. Beispielsweise sind 1001 Mark 1000 Mark vorzuziehen. Das gilt aber nicht für biologische Werte. Mehr Kalzium ist nicht immer besser als weniger Kalzium. Es gibt eine optimale Kalziummenge, die ein gegebener Organismus in seiner Ernährung benötigen mag. Darüber hinaus wird Kalzium toxisch. Ähnlich gilt für den Sauerstoff, den wir

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Das Wertequadratund seine DarstellungGeschichte und mögliche Weiterentwicklung

Das Wertequadrat ist ein Denkwerkzeug, das Paul Helwig 1967 „erfunden“hat, zu dem Aristoteles „Vorarbeit“ geleistet hat, und das Friedemann Schulzvon Thun in seinem zweiten Band von „Miteinander reden“ bekannt gemachthat.1 In diesem Artikel soll die Geschichte des Wertequadrats und vor allem dieseiner Darstellung nachgezeichnet werden, und es soll die Botschaft desQuadrats hervorgehoben werden. von Bernhard Possert

Aristoteles und das rechte Maß

„Bei jedem ausgedehnten und teilbaren Dinge kann man ein Zuviel

oder Zuwenig und ein rechtes Maß unterscheiden, und dies entweder

in Hinsicht der Sache selbst oder in der Beziehung auf uns. Das

rechte Maß liegt in der Mitte zwischen dem Zuviel und Zuwenig.

Unter der Mitte eines Gegenstandes verstehe ich das, was von jedem

der beiden Enden gleichen Abstand hat, und das gilt für alle

Gegenstände als eines und dasselbe. In bezug auf uns aber bedeutet

die rechte Mitte das, was weder zuviel noch zuwenig ist: das aber

ist keineswegs bei allen eines und auch nicht dasselbe. So, wenn

zehn viel, zwei aber wenig ist, so nimmt man in Hinsicht auf die

Sache als die Mitte sechs an, weil es um ebensoviel das eine

übertrifft, wie es vom anderen übertroffen wird; das aber bedeutet

die Mitte im Sinne der arithmetischen Proportion. Dagegen darf

man es nicht so fassen, wo es sich um die Beziehung auf uns

handelt. Wenn für jemand zehn Pfund zu essen zuviel, zwei aber

zuwenig sind, so wird ihm der Leiter in der Ringschule nicht gerade

sechs Pfund vorschreiben; denn möglicherweise ist auch dies noch

für denjenigen, der es bekommen soll, zuviel oder zuwenig. Für

einen Milo2 wäre es zuwenig, für einen, der mit den Übungen erst

beginnt, aber zuviel. Ebenso ist es mit Lauf und Ringkampf.

Und so meidet denn jeder vernünftige Mensch das Zuviel und das

Zuwenig und sucht dagegen die Mitte herauszufinden, und für

diese entscheidet er sich; die Mitte aber, das heißt hier nicht die

der Sache, sondern das Mittlere in bezug auf uns.“3

Aristoteles spricht also vom rechten Maß, der rechtenMitte zwischen zu viel und zu wenig. Das könnte man sodarstellen:

zu viel zu wenig

das rechte Maß

Vergleichen wir diesen antiken Text mit einem„modernen“: Gregory Bateson, Kybernetiker der erstenStunde, bietet in seinem Artikel „Jeder Schuljunge weiß“sechzehn verschiedene Denkwerkzeuge an. Nr. 11: „Inder Biologie gibt es keine monotonen ‚Werte’“

„Ein monotoner Wert ist ein solcher, der entweder nur zu- oder

nur abnimmt. Seine Kurve hat keine Schleifen; das heißt, seine

Kurve verändert sich nie von Zunahme zu Abnahme oder

umgekehrt. Begehrte Substanzen, Dinge, Muster oder

Erfahrungssequenzen, die in gewissem Sinne „gut“ für den

Organismus sind (z.B. Nahrungsmittel, Lebensbedingungen,

Temperatur, Unterhaltung, Sex und so fort), sind niemals so

beschaffen, dass mehr von der Sache stets besser ist als weniger

davon. Vielmehr gibt es für alle Objekte und Erfahrungen eine

Quantität, die einen optimalen Wert hat. Jenseits dieser Quantität

wird die Variable toxisch. Unter diesen Wert zu fallen bedeutet

Entbehrung.

Dieses Charakteristikum des biologischen Werts ist nicht auf

Geld übertragbar. Geld wird immer transitiv bewertet. Mehr Geld

ist vermeintlich immer besser als weniger Geld. Beispielsweise sind

1001 Mark 1000 Mark vorzuziehen. Das gilt aber nicht für

biologische Werte. Mehr Kalzium ist nicht immer besser als weniger

Kalzium. Es gibt eine optimale Kalziummenge, die ein gegebener

Organismus in seiner Ernährung benötigen mag. Darüber hinaus

wird Kalzium toxisch. Ähnlich gilt für den Sauerstoff, den wir

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einatmen, für Speise oder für Komponenten der Nahrung und

wahrscheinlich für alle Bestandteile von Beziehungen, dass genug

besser ist als ein Gelage. Wir können sogar zu viel Psychotherapie

bekommen. Eine Beziehung ohne Kampf ist langweilig, und eine

Beziehung mit zu viel Kampf ist toxisch. Wünschenswert ist

eine Beziehung mit einem gewissen Optimum an Konflikten. Wir

können sogar zu der Auffassung kommen, dass Geld, nicht an

sich selbst, sondern in seiner Wirkung auf Menschen, die es

besitzen, jenseits eines bestimmten Punktes toxisch wird. Jedenfalls

ist die Philosophie des Geldes, die Menge von Voraussetzungen,

nach denen man nie genug Geld haben kann, vollkommen

antibiologisch. Nichtsdestoweniger scheint es so, als könne man

Lebewesen zu dieser Philosophie erziehen.“4

Das eigentliche „Wertequadrat“:

1967 erscheint Helwigs Buch „Charaktereologie“.Neben vielem anderen Wissenswerten findet man aufdreieinhalb Seiten das Wertequadrat.5

„Die Charaktereigenschaften sind immer zugleich Charakter-

Werte (bzw. Unwerte). Es gibt keine Charaktereigenschaft, die

nicht einen Wert oder Unwert darstellte.

Die Vieldeutigkeit jedes dieser Charakterwerte bildet ein ständiges

Ärgernis in der Diskussion:

A sagt etwa, dass er die „kleinliche“ Art des X nicht mag. B

erwidert, dass er dann offenbar „schludrig-oberflächliche“

Charaktere mehr liebe. A erwidert, er liebe die „Großzügigkeit“.

B antwortet, ihm sei „Gründlichkeit“ und „Genauigkeit“ wichtig.

Im Folgenden soll nun ein, wie mir scheint, recht praktischer

„Kunstgriff“ beschrieben werden, der eine schnelle und radikale

Präzisierung dieser Begriffe und zugleich eine Präzisierung des in

ihnen liegenden Problems ermöglicht.

Alle diese Wert behafteten Begriffe (ich nenne sie im Folgenden

abgekürzt „Werte“ schlechthin) ordnen sich zu einer „Vierheit“

von Werten bzw. Unwerten. In jedem Wert liegt eine „Quaternität

von Werten“ eingeschlossen. An einem Beispiel ist das am

einfachsten klarzumachen.

In diesem Wertequadrat steht zunächst die „Großzügigkeit“ als

positiver Wert (Nr.1) der „Kleinlichkeit“ (Nr. 4) als ihrem

negativen Gegenpol in der Diagonale gegenüber. Außerdem steht

sie (in der Vertikale) der „Entartungsform“ der Großzügigkeit

gegenüber : das ist die „Oberflächlichkeit“ („Schludrigkeit“,

„Ungenauigkeit“). Diese steht als Unwert zugleich in konträrem

Gegensatz (diagonal) zu Nr. 2, der „Gründlichkeit“, und die

wieder in steht im Gegensatz (vertikal) zu Nr. 4, der

„Kleinlichkeit“, die ihre Entartungsform darstellt. (Von den

positiven Werten aus gesehen bezeichnen also die Vertikalen die

Entartungsformen, die Diagonalen die komplementären

Unwerte.)“

Und später:

„Die „Großzügigkeit“ (Nr. 1) bedarf, um bei ihrer Steigerung

nicht in ihre Entartungsform (Nr. 3) vertikal abzugleiten, der

Gegenspannung zur „Gründlichkeit“ (Nr. 2). Die

„Gründlichkeit“ bedarf, um nicht in ihre Entartungsform (Nr.4:

„Kleinlichkeit“) vertikal abzugleiten, des Gegendrucks der

„Großzügigkeit“. ...

Das Wertegesetz, das sich dabei zeigt, lautet: Jeder Wertist nur in ausgehaltener Spannung zu seinem positivenGegenwert ein wirklicher Wert. Vor allem lässt er sichin sich selbst nur steigern, wenn zugleich die Spannungzu diesem Gegenwert gesteigert wird, also wenn derpositive Gegenwert entsprechend mitwächst. – Die„Großzügigkeit“ bedarf, um in gesteigerter Form auchan Wert zu wachsen, der Steigerung der „Gründlichkeit“und umgekehrt. Mit anderen Worten: Kein Wert ist ansich allein schon, was er sein soll – er wird es erst durchEinbeziehung des positiven Gegenwertes

Miteinander Reden

Friedemann Schulz von Thun hat durch sein Buch„Miteinander Reden 2: Stile, Werte, Persönlichkeits-entwicklung“ dasWertequadrat einem breiteremPublikum angeboten. Er ziehtdie Verbindung zu Aristotelesund auch zum Yin-Yang-Verhältnis: „Sie durchdringen sich

gegenseitig und enthalten doch jeweils

schon selbst ein Spurenelement des

Gegenpoles.“

Schulz v. Thun adaptiert das Wertequadrat insofern, alser daraus auch ein Entwicklungsquadrat macht:Das Beispiel zeigt ein mögliches Entwicklungsquadratfür den Umgang mit Konflikten: Menschen, die dazuneigen „friedhöflich“ zu allem Ja und Amen zu sagenund alles zu schlucken, haben als Entwicklungsrichtung

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die „Konfrontation“, Personen, die dazu neigen, andere

aggressiv zu entwerten, „sollen“ in Richtung

„Akzeptierung“ an sich arbeiten.

Die Darstellung des Wertequadrats

Die Darstellung der Begriffe als Quadrat ist an sich schon

ein riesiger Fortschritt. Wer je versucht hat, Leuten das

Wertequadrat zu erklären (besonders wenn es ein Thema

ist, das die Leute persönlich betrifft!), weiß, dass ein paar

Begriffe verbunden mit Strichen auf einem Blatt Papier

oder einem Flipchart wahre Wunder vollbringen können.

anders sein

ist ok

die anderen sind mir

„wurscht“

genau hinschauen, sich

eine Meinung bilden

alles, was anders ist,

ist schlecht

In „Miteinander Reden 3: ‚Das Innere Team’ und situationsgerechte Kommunikation“ habe ich dann, zugegebenermaßen

leider erst im Zuge der Recherchen für den Artikel, folgende zumindest für mich wirklich brauchbaren Darstellungen

gefunden:6

Hier wird durch den liegenden

8er und die Gewitter-Pfeile klar,

wie die Werte zueinander

stehen.

Und doch war ich (nach der Lektüre von Miteinander

Reden 2) immer auf der Suche nach Möglichkeiten, wie

man darstellen kann, dass die oberen

„Schwesterntugenden“ zueinander gehören. Ich behalf

mir mit einem dicken waagrechten Strich zwischen den

oberen beiden und den unteren beiden Werten und fügte

die Botschaft hinzu: Wichtig ist nicht so sehr, ob wir

links oder rechts liegen, sondern dass wir oberhalb dieser

Linie liegen!

Das Wertequadrat am Hügel

Ich könnte mir noch eine andere Darstellung vorstellen:

Das Wertequadrat auf einem Hügel.

Die Idee: durch den Hügel wird sichtbar, dass es gilt, nicht

aus dem Gleichgewicht zu kommen: Wenn man nur auf

eine Seite setzt (z.B. Leistung belohnen), rutscht man

unweigerlich ins Extrem (Kampf jeder gegen jeden ...).

Durch das Kästchen wird der Zusammenhang der beiden

positiven Werte noch deutlicher.

Teamarbeit der Gegenzwillinge (oben),

Gefahr: Spaltung und Gegeneinanderarbeit (unten)

Hilfe für die,die Hilfe brauchen

Leistungbelohnen

Kein Anreiz fürEigeninitiative

Schwachebleiben auf der

Strecke

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Im Miteinander Reden 3 finden sich aber auch noch ganzandere Zeichnungen von Verena Hars. Schulz von Thunschreibt, dass er mit ihr wohl über fünfzig Mal zusammengesessen ist, bis die über hundert Zeichnungen (nichtnur Wertequadrate ...) fertig entwickelt waren! So wieoben der Hügel, steht hinter dem nächsten Wertequadrateine Balancemetapher: Die Waage.7

Durch die Zeichnungen werden wir ganzheitlicherangesprochen: Es macht einen Unterschied, ob ich nur„Tagträumerei“ lese, oder ob ich jemanden in derHängematte sehe!

Links sieht man eine etwas einfachere Form ausMiteinander Reden 3:8 Hier gibt es keine Balance-Metapher, dafür klare Zeichnungen für die 4 Begriffe.

Was ist die Frage?

Was meines Erachtens in der Darstellung noch ein wenigzu kurz kommt: Was ist die Frage, zu der dasWertequadrat Stellung bezieht? Was ist der Kontext? AlsÜberschrift z.B. für das Quadrat mit den Begriffen„Großzügigkeit“ und „Abgrenzungsfähigkeit“ könntedienen: „Wenn meine Großzügigkeit ausgenützt wird“.Das klärt den Kontext und erleichtert meines Erachtensden Transfer in den Alltag.

Statt einer Frage könnte natürlich auch ein Begriff überdem Quadrat stehen, der die Synthese der positivenWerte darstellt und andererseits vom Wertequadraterläutert wird. Der Synthese-Wert zum Wertequadrat mitdem waagrechten Strich könnte also lauten:

anders sein

ist ok

die anderen sind mir

wurscht

genau hinschauen, sich

eine Meinung bilden

alles, was anders ist,

ist schlecht

TOLERANZ

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Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen Überbegriffzu finden, der bereits die beiden Pole beinhaltet. ZumBeispiel könnte der Titel des Hügel-Quadrats lauten:„Soziale Marktwirtschaft“, der Titel des Waagen-Quadrats: „gelassene Zielstrebigkeit“. Zugegeben: Dasklingt jetzt ein wenig billig: Einfach aus einem Wert einAdjektiv machen und damit den anderen bezeichnen?Aber wenn ich eine Klausur moderiere, und dieTeilnehmer ringen nach einer Formel, mit der alle lebenkönnen und die trotzdem noch Substanz hat, dann kannmir nichts Besseres passieren als so einen Überbegriffmit einem Wertequadrat darunter anzuwenden.

Legende:

li oben: Der Pferdeflüsterer: Bedürfnisse hören, individuell auf Menschen eingehen

re oben: Es geht dahin: Der Kutscher treibt die Pferde an

li unten: den Pferden immer hinten nach sein und den Dreck wegputzen ...

re unten: Der Karren steckt im Dreck, die Pferde bekommen die Peitsche

Metaphern und Wertequadrate

Über meine Arbeit mit Metaphern kam ich auf die Idee,Wertequadrate in Metaphern zu übersetzen und die vierWerte in dieser Metapher nur bildlich auszudrücken.Johannes Zollner hat nach meinen Vorstellungenfolgendes Wertequadrat zum Thema Führunggezeichnet. Meines Erachtens sind diese Bilder geeignet,um mit Führungskräften und Mitarbeitern über Führungins Gespräch zu kommen und verschiedeneVorstellungen abzugleichen.

Komplexe Darstellungsformen

Eine weitere (auf den ersten Blick für mich verwirrende)Variante des Wertequadrats findet sich auf der Websiteder Firma „Parcon“ in der Schweiz.9

„PARCON verwendet seit einiger Zeit auf der Basisdes Wertequadrates einen einfachen, wissenschaftlichzwar nicht erhärteten, jedoch trotzdem sehraussagefähigen Fragebogen, der als Resultat jeweils eineGrafik nach nebenstehendem Beispiel ergibt. Dabeiverknüpft wurden die beiden Eigenschaften «Personen-orientiertes Verhalten» (waagrechte Linie) mit denbeiden Schwestertugenden Nähe (C.G.Jung: fühlen) undDistanz (C.G.Jung: denken) sowie «Aufgaben-orientiertes Verhalten» (senkrechte Linie) mit den

Schwestertugenden Dauer (C.G.Jung: introvertiert) undWechsel (C.G.Jung: extrovertiert), zu einer einzigenDarstellung.Der Hintergrund ist aus der untenstehenden Darstellungersichtlich. Daraus ergibt sich, dass die beiden WerteDauer und Distanz zusammengefasst werden könnenzum neuen Wert Strukturiertheit. Der Unwert dazu(negative Übertreibung) wäre [Eiskalte Verdinglichung].Dies bedeutet, dass eine Person mit einer sehr hohenAusprägung in Distanz und Dauer grundsätzlich dazutendiert, dass sie zu sehr auf sich selbst bezogen ist, somitdas personale Umfeld und die zwischenmenschlichenBeziehungen unberücksichtigt lässt und von derArbeitserledigung her als übertrieben pedantischwahrgenommen wird.

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Als Entwicklungsempfehlungkann dann dieser Persönlichkeitgeraten werden, dass sie sichund den andern mehr Raumgewähren und damit von einerZiel- vermehrt zu einer[Prozessorientierung] (sowohlaufgaben- wie auch personen-orientiert) verändern muss.

Das gleiche Verhalten, jedochmit anderer Wirkung, gilt fürPersonen mit hoherAusprägung im BereichKohärenz (Zusammenhang),was sich im Unwert[Verschmelzung undAbschottung gegen Außen]darstellt. Diesen ist alsEntwicklungsempfehlung zuraten, dass sie ihren Blick, ihreOhren und Ihre Zunge schärfenmüssen.Der Wert Individualitätbedeutet analog in dernegativen Übertreibung(Unwert) [Kontaktverlust undZerfall] und kann mit derbewusst angegangenenEntwicklung in Richtung[Verbindlichkeit schaffen] aktivkompensiert werden.Lebendigkeit als letzter Wert imQuadrat verkommt zu[Beziehungsverstrickungen]und endlosem Gelaber, welchein sich aufgefangen werdenkönnen mit [konsequentemStrukturieren] (Aufbau- und Ablauforganisation,Sitzungsorganisation, ...).“

Im Gegensatz zum „normalen“ Wertequadrat mit zweipositiven Werten und zwei Unwerten finden sich hiervier positive Werte und dazu jeweils vier Unwerte. Wases noch kompliziert aussehen lässt: Die vier positivenWerte werden jeweils generiert aus derZusammenfassung von zwei Begriffen der Polaritäten„Nähe-Distanz“ und „Dauer-Wechsel“. Ich halte daskonkrete Blatt für großartig, wenn man es für sich selbstdurchgearbeitet hat, aber leider für ziemlich ungeeignet,wenn man es zur Vermittlung in Gruppen verwendenmöchte – zu groß wäre meine Sorge, dass einige Leute„aussteigen“.Die Struktur selbst finde ich faszinierend: Theoretischbraucht man nur zwei grundsätzliche Polaritäten-Achsen– und der Rest ergibt sich (fast) von selbst! Es fehlennur noch die Zeichnungen, und das Blatt ist mit Lebenerfüllt!

Das Wertequadrat hat immer recht?

Bei der Internet-Recherche für den Artikel bin ich aufnebenstehendes Wertequadrat gestoßen.10

Aus dem Begleittext:„In unserem Kulturkreis sind vor allem die Werte „obenrechts“, aber auch teilweise noch die Unwerte „untenrechts“ jeweils hoch im Kurs. Vor diesem Hintergrundwird es verständlich und für die Humanisierung desMenschen erstrebenswert, wenn die Entwicklungslinievon unten rechts („Zwangs“-Monogamie) nach oben

Verschmelzung, Abschottung nach

außen

Eiskalte Verdinglichung

Endloses Gelaber, Beziehungs-

verstrickungen

Kontaktverlust, Zerfall

Dauer: * Struktur

* Ordnung * Systematik

Distanz: * Abgrenzung

* Ordnung

* Beurteilung * Solistentum

Nähe:

* Akzeptanz

* Harmonie * Wir-Gefühl

Wechsel:

* Spontaneität * Kreativität

* Bewegung

Kohärenz:

* Verbindlichkeit * Wir-Gefühl

* Kuh-Wärme

Strukturiertheit:

* klares Ziel- und Rollenbewusstsein

* Sachlichkeit

Lebendigkeit:

* synergetische Bewegung

* 3m über Boden

Individualität:

* persönliche Freiheit

* „Eigen-Sinn“

Kontakt, Verbindlichkeit, Koordination fördern!

Regeln vereinbaren!

Struktur! Rollen- und Lenkungsklärung! Und

nochmals Struktur!

Kontakt und Gefühle fördern! Prozess-

beobachtung einführen!

Unterschiede sehen! Zu Konflikten ermutigen!

Konfrontationen wagen!

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43doppel punkt 2/2005

Bernhard Possert

arbeitet vor allem als Moderator von Klausuren, Mediator und Coach in NPOs, NGOs,Verwaltung und politischen Organisationen. Inhaltliche Schwerpunkte derzeit: VisuelleDarstellung von Company-Maps, Darstellung von Lernzielen, u.a. für Kinder[„Weltwissen der 7-Jährigen ...], Persönliches WissensmanagementKontakt: [email protected]

Fußnoten

1 Kurzeinführungen finden Sie auch im Internet: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOMMUNIKATION/Wertequadrat.shtmlhttp://www.kca.ch/unternehmen/philosophie/management-by-values/werte-quadrat.htm (beide: 29.9.2005)2 Milo von Kroton, berühmter Ringer des Altertums3 Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch 2, 5. Kapitel, Deutsch: Adolf Lasson, Jena 1909, http://www.aristoteles-heute.de/SeinBewegtBelebtBewusst/Ethik/Ethik0205.htm (29.9.2005)4 Gregory Bateson, Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Frankfurt 19975, 72f.5 Paul Helwig, Charaktereologie, Freiburg 19692, 65ff6 Friedemann Schulz von Thun, Miteinander Reden 3, 2003, 198.7 Miteinander Reden 3, 152.8 Miteinander Reden 3, 220.9 http://www.parcon.ch/i_wertequadrat.htm (29.9.2005)10 http://www.timowendling.de/fl/ (30.9.2005)

links verläuft („Freie Liebe“) - auch umdie Gefahr, dass das Gegenpendelgelegentlich zu weit schlägt („narzistischeBeziehunglosigkeit“). Deshalb ist daraufzu achten, dass die neuen Werte bezüglichder Idee der „freien Liebe“ nicht zu einerArt Pflichtprogramm werden. ...“

Ich will mit diesem Beispiel zeigen:Man kann mit Wertequadraten allesargumentieren. Nur weil man eineBalance darstellt, heißt das nicht, dass siefür den Menschen, um den es geht, aucheine ist (vgl. Aristoteles oben: „die Mitte aber, das heißt

hier nicht die der Sache, sondern das Mittlere in bezug auf uns.“)Ich könnte z.B. auch ein Wertequadrat zum ThemaErziehung erstellen mit den positiven Begriffen „leichtePrügel“ und „psychischer Druck“, und denÜbertreibungen „Schlagen, das Spuren hinterlässt“ und„psychische Folter“; Auch das wäre eine Art vonBalance...

Dialektik – zur Lösung oder Polemik

Das ist wohl auch der Grund, warum die Dialektikimmer wieder in Verruf gekommen ist: Ich kann dasWertequadrat durchaus auch verwenden, um jemandenschlecht zu machen, anstatt gemeinsam Fortschritt zuerzielen: Wenn A sagt: „Wir müssen mehr sparen“, könnte Bsagen: „Ja, schon, aber eben nicht Kaputt-Sparen, sondern auch

großzügig sein bei Bereichen wo es notwendig ist und wo es etwas

bringt. Gleichzeitig bin auch ich gegen Verschwendung. Wo können

wir die Linie ziehen: Wo ist es zuviel Sparen, und wo ist es zu

viel Großzügigkeit?“ Aber B könnte auch sagen: „Sie sagen

immer, Sie wollen sparen: In Wahrheit wollen Sie alles Kaputt-

Sparen! Sie wollen Dinge kaputt machen, die notwendig sind und

die etwas bringen! Man muss großzügig sein, schon mit Augenmaß,

aber großzügig!“ Je nach Stimmung und je nach Ziel und jenach Kultur ...

Zusammenfassend:

Das Wertequadrat ist großartig, um aus polarisiertenSituationen herauszukommen.Zu beachten ist:

� grafische Darstellung� Begriffe, mit denen die Zielgruppe etwas

anfangen kann� Das Wertequadrat ist kein wasserdichter

Qualitäts-Check für eine gute Balance: Wenn manwill, kann man alles argumentieren; es gibt keinerichtigen Wertequadrate

� Werte-Quadrate malen will geübt sein!

Freie Liebe

Freiheit

Abenteuersexualität

Abwechslung

narzistische

Beziehungslosigkeit

Bindungslosigkeit

Selbstsüchtige Egozentrik

Sexualkonsum

Zweierliebe

Bindung (Hingabe an

den/die PartnerIn), Intimität

Kontinuität

„Zwangs“-

Monogamie,

Gebundensein

Symbiotische Verschmelzung,

Selbstlosigkeit, asketische

Selbstentfremdung