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www.grabbe-contacts.de 1 Das Wesen der Kirchenkantaten Johann Sebastian Bachs auf der Basis des Textgehaltes und dessen musikalischer Interpretation durch die Knabensolisten An meine jungen Freunde Wer sich hier umsehen und verstehen möchte, was ich mit diesen Analysen bezwecke, soll vorab wissen, worauf er sich einlässt. Zunächst setze ich diese Besprechungen nicht auf die Seite „allgemein“, denn der Komponist hat mit Kindern gearbeitet und ihnen das Höchste, was ein Mensch wissen kann, zur Ausgestaltung anvertraut. Wer also wissen will, was diese Musik und die hier besprochenen Interpretationen durch Kinder ausmacht, muss sich zu Euch, also auf diese Seite, begeben. Wer sich mit Kirchenkunst befasst, sollte wissen, dass sie keineswegs die Meinung wiedergeben muss, die zu der Zeit gültig war, als der Künstler lebte. Sie codierten ihre Gottesgewissheit oder übertrugen ihre Aussagen bildnerisch oder musikalisch in Symbole, die die Menschen ihrer Zeit kannten und verstanden. Dieses Wissen ist heute verloren gegangen, es wird nur noch von „Insidern“ genutzt. Darum entgeht dem heutigen Hörer vielfach der Kern der Botschaft, die der Künstler in sein Werk gesetzt hat. Kinder tragen allesamt in sich eine Botschaft, weil sie Teil der Gesamtschöpfung sind. Was ihnen eingegeben ist und was ihnen durch die Ausübung ihrer Kunst, etwa durch ihr Singen oder textgestaltendes Sprechen, durch ihre Bildwerke und andere künstlerischen Mittel zu sagen ermöglicht wird, vermischt sich in der Nachgestaltung wie in den hier besprochenen Aufnahmen dreier Knabenchöre und ihrer Solisten. Sie sind Zeugen des Kosmischen Wissens, das Ihr alle in Euch tragt. Darum ist diese meine Ausarbeitung der kommenden Jahre Euch gewidmet, die Ihr mich auf dieser Seite gefunden habt. An dieser Schrift wird also fortwährend gearbeitet, neue Besprechungen hinzugefügt oder durch neue Erkenntnisse schon Niedergeschriebenes korrigiert, also erweitert und vertieft. Dass es so ist, sollte Euch nicht kränken. Aber ich entschuldige mich schon vorab, weil es nicht vermeidbar sein wird.

Das Wesen der Kirchenkantaten Johann Sebastian Bachs auf ...€¦ · Herz und Mund und Tat und Leben BWV 147 CD 45 S. 742* Höchsterwünschtes Freudenfest BWV 194 CD 58 S. 789* Ein´

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    Das Wesen der Kirchenkantaten Johann Sebastian Bachsauf der Basis des Textgehaltes und dessen musikalischer Interpretation

    durch die Knabensolisten

    An meine jungen FreundeWer sich hier umsehen und verstehen möchte, was ich mit diesen Analysen bezwecke, soll vorabwissen, worauf er sich einlässt.Zunächst setze ich diese Besprechungen nicht auf die Seite „allgemein“, denn der Komponist hat mitKindern gearbeitet und ihnen das Höchste, was ein Mensch wissen kann, zur Ausgestaltung anvertraut.Wer also wissen will, was diese Musik und die hier besprochenen Interpretationen durch Kinderausmacht, muss sich zu Euch, also auf diese Seite, begeben.Wer sich mit Kirchenkunst befasst, sollte wissen, dass sie keineswegs die Meinung wiedergeben muss,die zu der Zeit gültig war, als der Künstler lebte. Sie codierten ihre Gottesgewissheit oder übertrugenihre Aussagen bildnerisch oder musikalisch in Symbole, die die Menschen ihrer Zeit kannten undverstanden.Dieses Wissen ist heute verloren gegangen, es wird nur noch von „Insidern“ genutzt. Darum entgehtdem heutigen Hörer vielfach der Kern der Botschaft, die der Künstler in sein Werk gesetzt hat.Kinder tragen allesamt in sich eine Botschaft, weil sie Teil der Gesamtschöpfung sind. Was ihneneingegeben ist und was ihnen durch die Ausübung ihrer Kunst, etwa durch ihr Singen odertextgestaltendes Sprechen, durch ihre Bildwerke und andere künstlerischen Mittel zu sagen ermöglichtwird, vermischt sich in der Nachgestaltung wie in den hier besprochenen Aufnahmen dreierKnabenchöre und ihrer Solisten. Sie sind Zeugen des Kosmischen Wissens, das Ihr alle in Euch tragt.Darum ist diese meine Ausarbeitung der kommenden Jahre Euch gewidmet, die Ihr mich auf dieserSeite gefunden habt.An dieser Schrift wird also fortwährend gearbeitet, neue Besprechungen hinzugefügt oder durch neueErkenntnisse schon Niedergeschriebenes korrigiert, also erweitert und vertieft. Dass es so ist, sollteEuch nicht kränken. Aber ich entschuldige mich schon vorab, weil es nicht vermeidbar sein wird.

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    Datum der aktuellen Bearbeitung: 03.08.2013Die hier besprochenen Kirchenkantaten (BWV = Bach-Werke-Verzeichnis):

    Titel der Kantate BWV CD Nr. Dürr Seite Solisten: Sopran Alt1. Der innere Kreis:Nun komm, der Heiden Heiland BWV 61 und 62 CD 19 S. 101/104*Weihnachts-Oratorium, Kantate IV BWV 248,4 Video DGG S. 190*Der Himmel lacht, die Erde jubiliert BWV 31 CD 10^ S. 307*

    2. Der mittlere Kreis:Selig ist der Mann BWV 57 CD 18 S. 144*Ach Gott, wie manches Herzeleid BWV 58 CD 18 S. 199*Wer mich liebt, der wird mein Wort halten BWV 59 CD 18 S. 396*Mein Herze schwimmt in Blut BWV 199 CD 18 S. 546*Ich geh´ und suche mit Verlangen BWV 49 CD 16 S. 657*Ich bin vergnügt mit meinem Glücke BWV 84 CD 26 S. 265*Falsche Welt, dir trau´ ich nicht BWV 52 CD 17 S. 694* (Die Solokantaten für Knabenalt entfallen, wenn sie durch Paul Esswood gesungen werden. Seine künstlerische Qualität steht außer Frage. Es gehtum den Bedeutungsgehalt eines falsettierenden Mannes gegenüber einem Knaben-Alt. In den folgenden Besprechungen werde ich mich bemühen,dessen Stimmeigenschaften mit der Persönlichkeit eines Knaben in Verbindung aufzuzeigen.)

    3. Der äußere Kreis:Ich hatte viel Bekümmernis BWV 21 CD 07 S. 456*Herz und Mund und Tat und Leben BWV 147 CD 45 S. 742*Höchsterwünschtes Freudenfest BWV 194 CD 58 S. 789*Ein´ feste Burg ist unser Gott BWV 80 CD 25 S. 780*Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit BWV 106 CD 33 S. 832*Wachet auf, ruft uns die Stimme BWV 140 CD 43 S. 718*Gottlob, jetzt geht das Jahr zu Ende BWV 28 CD 09 S. 173*Sehet, wir geh´n hinauf gen Jerusalem BWV 159 CD 48 S. 288*Sie werden euch in den Bann tun BWV 183 CD 55 S. 389*Bereitet die Wege, bereitet die Bahn BWV 132 CD 41 S. 114*Ach, wie flüchtig, ach, wie nichtig BWV 26 CD 09 S. 708*

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    Titel der Kantate BWV CD Nr. Dürr Seite Solisten: Sopran Alt(Wer weiß, wie nahe mir mein Ende* BWV 27 CD 09 S. 615 WSK – Sopran und Alt ohne Namen)Erfreute Zeit im neuen Bunde* BWV 83 CD 26 S. 724 nur Alt – WSK ohne NamenDas neugebor´ne Kindelein* BWV 122 CD 38 S. 170 Markus Huber, TKC Thomas Schilling, TKCLiebster Immanuel, Herzog der Frommen*BWV 123 CD 38 S. 210 nur Alt – Stefan Rampf, TKCMeinen Jesum lass´ ich nicht* BWV 124 CD 38 S. 220 Alan Bergius, TKC Stefan Rampf, TKCHerr Gott, Dich loben alle wir* BWV 130 CD 40 S. 768 Alan Bergius Stefan RampfWarum betrübst du dich, mein Herz* BWV 138 CD 43 S. 591 Alan Bergius Stefan RampfSchau, lieber Gott, wie meine Feind´* BWV 153 CD 46 S. 195 nur Alt – Stefan RampfNur jedem das Seine* BWV 163 CD 49 S. 687 Tobias Eiwanger, TKC – Panito Iconomou, TKCIhr Menschen, rühmet Gottes Liebe* BWV 167 CD 50 S. 753 Helmut Wittek, TKC Panito IconomouTue Rechnung! Donnerwort* BWV 168 CD 50 S. 529 Helmut Wittek Christian Immler, TKCGott, wie Dein Name, so ist auch* BWV 171 CD 51 S. 187 Helmut Wittek Christian Immler,Erhöhtes Fleisch und Blut* BWV 173 CD 51 S. 405 Alan Bergius/Stefan Gienger(?) – Chr. ImmlerIch liebe den Höchsten von ganz. Gem.* BWV 174 CD 52 S. 411 nur Alt - Christian ImmlerIch ruf´ zu Dir, Herr Jesu Christ’ BWV 177 CD 53 S. 474 Helmut Wittek Panito IconomouWo Gott, der Herr, nicht bei uns hält’ BWV 178 CD 53 S. 511 nur Alt Panito IconomouSiehe zu, dass deine Gottesfurcht* BWV 179 CD 53 S. 550 Helmut Wittek ohne AltGott, der Herr, ist Sonn´ und Schild* BWV 79 TV-Mitschnitt S. 785 Thomanerchor Leipzig 31.10.2012

    Diese hier zusammengestellten Kantaten weisen im Begleitbuch Sopran- wie auch Alt-Knabensolisten aus.Demnach werden die Werke hier auch auf die Wirkung ihrer Besetzung hin besprochen.

    Die mit einem Sternchen versehenen Titel sind inzwischen analysiert worden.Abkürzungen:WSK = Wiener Sängerknaben TCL = Thomanerchor LeipzigTKC = Tölzer Knabenchor DKC = Dresdner KreuzchorKCH = Knabenchor Hannover CNCO = Choir of New College OxfordRDS = Regensburger DomspatzenKCC = King´s College Cambridge

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    Vorab folgende Überlegungen:Der Musikwissenschaft bleibt es überlassen, mit Fakten der Historieund der musikalischen Gesetze den Rahmen abzustecken. Meine Ab-sicht ist es dagegen, Behauptungen zu widerlegen, dass die Abkehrvon der Diktionskraft der Alten Musik auf die Textunverträglichkeitdes heutigen Zuhörers zurückzuführen sei. Jedes Wort, das mit Musikerweitert wird, öffnet den Weg zur Mehrdeutigkeit seiner Aussage-wirkung.Das stört den Normativen. Ist ihm verwehrt, dem Genie gleich durchZeiten und Räume ungehindert gehen zu können, so kann er mit derSinngebung des gesungenen Wortes nicht verbindlich und eindeutigaufwarten. Aber unter den Normativen bringen es jene mit ihrerHauptbegabung auf philosophisch-ethisch-religiösem Gebiete

    dennoch zu erstaunlichen Erkenntnissen, und mit ihnen ist eineSymbiose mit den zahlenmäßig weit unterlegenen schöpferischBegabten möglich und wünschenswert. Auf diese Brücke zähle ich,und somit erschließt sich der Text endlich zeitlos gültig.Das Prinzip aller Interpretation ist die vielschichtige Nutzung derAusdrucksmittel auf dem gleichen Niveau wie das nachzuschaffendeWerk. Das setzt voraus, dass Form und Inhalt übereinstimmen, alsoInterpret und der Gegenstand seiner Verkündigung auf faktischer,ethischer und der dritten Ebene, der Absicht und Sinngebung desSchöpfers dieses Werkes, entsprechen müssen. Diesen Bedingungenlege ich meine Analysen zu Grunde.

    Den hier ausgewählten Kantaten Bachs liegt primär die Einspielung durch N. Harnoncourt zu Grunde. Falls vorhanden,werden andere Tondokumente vergleichend hinzugezogen. Der wissenschaftlichen Unterstützung Alfred Dürrs vertraueder Leser mit jenen Einschränkungen, die sich aus den Ergebnissen unserer Betrachtungen ergeben werden.Dürr macht aus dem Prinzip der Parodie eine Tugend, die unterstellt, eine unlösbare Verbindung zwischen Text und Musiksei dem Komponisten wohl nicht so wichtig gewesen (vgl. S.134 der dtv-Ausgabe von 1985). Gottesdienst-Musik schreibtund führt man nicht auf, wie wenn man einen Zigaretten- oder Kondom-Automaten nachfüllt. Bach war sich der verän-dernden Wirkung seiner gesungenen Texte durch die Knaben mehr als bewusst: Er hat ihre Diktionseigenschaften zurtheologisch grundlegenden Verkündigung eingesetzt. Das wird zu beweisen sein, bleibt aber letztlich der Empfängnisbereit-schaft des Hörers für inspirative Botschaften vorbehalten. Mit dieser Datei beabsichtige ich, die Kantaten Bachs, soweit siesich mir öffnen, zu besprechen und ihren Aussagegehalt im einzelnen offenzulegen.

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    Nach dem Eintreffen der 60 CD´s aller Bach-Kantaten war eine erste Bestandsaufnahme nötig. Sie enthält Bemerkenswertes:1. Fast durchgängig sind die mit alto bezeichneten Solostimmen mit einer falsettierenden Männerstimme besetzt. Wir wissen um die Diskussion, Bach habe seine Kantaten so aufgeführt. Aber die Logik wird dem widersprechen.2. Die Solokantate für Sopran: „Mein Herze schwimmt in Blut“ wird mit einer Frauenstimme besetzt. Wer sich den Text an- schaut, wird sich fragen, warum Bach diese Gedanken einem seiner Schüler in den Mund gelegt haben soll. Wir werden darauf an passender Stelle antworten.Zunächst bedeutet das für den analysierenden Hörer, dass ihm die Wirkung der Knabenaltstimme verwehrt bleibt. Welchen Schaden man damitangerichtet hat, soll die folgende Graphik verdeutlichen:

    Bach hat den Stimmen einen Bedeutungsgehalt zugeschrieben – nicht der Stimmlage wegen, sondern bewusst die Knaben als Solisten eingeplant.Danach sieht diese Zuordnung in ihrer Ausdehnungscharakteristik so aus:

    1. Schöpfer / Schöpfung

    Sopran als Vermittler zwischenSchöpfung / Schöpfer undethischer Ebene des Menschen

    2. Ethische Ebene desMenschen

    Alt als Vermittler zwischenethischer und Handlungs-Ebene

    3. Handlungs- oder faktischeEbene des Menschen

    Bass als das Fundament des Schöpfungsgeschehens –es erklärt, warum Bach für die Jesus-Stimme diese

    Stimmlage gewählt hat

    Tenor als Initiator, als nach Fort-schritt drängendes Element des

    Irdischen

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    In eine vertikale Bedeutsamkeit umgeschrieben, nimmt sich das so aus:

    Die Vermittler:

    W E G

    D E R

    A N A

    L Y

    S E

    Ebene des Schöpfers /des Schöpferischen

    Ebene des Ethischen

    Ebene des Handlungsvollzugs

    Sopran

    Alt

    Tenor als Initiator

    Bass = das Fundament des Geschehens in der Schöpfung

    Zu 1: Wer die Bedeutsamkeit der Klangfarben inBachs Kantaten begriffen hat, wird mein Misstrau-en gegenüber der Behauptung teilen, Bach habe anStelle seiner Jungen lieber einen Kapaun imitierenlassen. Die Musikwissenschaft hat schon einigesbehauptet, an dem wir stetig Verbesserungen oderWiderrufe studieren konnten.Zu 2: Wir haben das Kastratentum glücklich über-standen und die Jungen als potenzielle Opfer die-sen Perfektionswahn ebenso: Nun schleust manuns durch die Hintertür dieses Trockenpulver derVirtuosität um ihrer selbst willen in die Kantaten-welt Bachs ein und stiehlt den Jungen in der Alt-lage ihren Auftrag und dem Zuhörer die Chance,das original hören zu dürfen, was Bach auszu-drücken hatte.In jedem Kinde steckt eine Botschaft des Schöp-fers. Wenn Musikgeschichte, dann vermisse ichdie Kenntnis von den Lebensumständen einesInternatschülers wie die Thomaner zu Bachs Zeit!Wir wissen um die Problematik um die Ängste ei-nes Jungen, der in die Pubertät rutscht und durchnichts und niemanden Unterstützung erfährt. Wasman ihm an Schuldgefühlen aufbürdete, lässt sichin Werken einiger Mediziner noch zu Beginn des20. Jahrhunderts nachlesen. Und als Internatschü-ler hat man selbst die oft verzweifelte Lage einigerJungen unter den Kameraden durchaus wahrneh-men können. Was nun, wenn Bach seinen Kinderneine so verständnisvoll hoffnungsfrohe Botschaftübergeben hat wie in der Kantate BWV 199?

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    Die bedeutungsperspektivische Zuordnung Bachscher Aussage von ihrem Kern ihrerGottesgewissheit her in einer horizontal sich ausweitenden Verkündigung

    1 = Innerer Kreis:Kantate IV des WO: Echo-Arie /Kantate 31. Rez. + Aria Sopran

    als Erfüllung zu IV2 = Mittlerer Kreis: Die Kantaten mit Dialogen Jesus - Seele sowie Solo-Kantaten für Sopran (Alt nicht möglich)3 = Äußerer Kreis: Die Knaben-Solostimmen in den übrigen Kirchenkantaten und den großen Formen Passion – Messe - Oratorium

    Den versierten Musikwissenschaftlernbleibe vorbehalten, die MusikspracheBachs in den Freien Orgel- und übrigenInstrumentalwerken zu analysieren undentsprechend dieser Grafik zu deuten.Es bedarf keines weiteren Wirkungskreises.

    1

    2

    3

    Diese Grafik entspricht dem Vorschlagfür ein neues Menschenbild und besagt,dass sich um den nicht materiellenSchöpfungskern als Schutz das kosmi-sche Wissen mantelt, darum die Materie,die mit dieser Schutzhülle eng korrespon-diert, diese wiederum mit dem Zentrum.

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    Ludwig Prautzsch stellt uns in seiner Schrift „Bibel und Symbol inden Werken Bachs“ (Thomas-Morus-Bildungswerk Schwerin,Schriftenreihe Band 4, S. 60, Zusammenfassung, vor, dass amBeispiele des Weihnachts-Oratoriums beim Studium der hand-schriftlichen Partitur Bach Symbole und Zeichen benutzte, die er infolgende Teile gliedert:

    1. Musikalische Figuren (Motive, Akkorde) und Satzformen2. Symbolik der verschiedenen Instrumente und Singstimmen3. Symbolische Zeichen4. Psalmhinweise5. Zahlensymbolische Strukturen

    Zu 1:In der Johannes-Passion konnte ich auf weitere Merkmale hinweisen: Auf die Stellung eines Tones innerhalb seiner Leiterzugehörigkeit bzw. als Schlüssel zum Verlassen derselben, Auf die Bedeutung der Intervalle, die innerhalb der Tonleiter den Tönen untereinander ihre Beziehung regelt, auf die Bedeutung des Terztones innerhalb des Akkordes: große Terz zur Tonika = auf das Laben gerichtet – kleine Terz zur Tonika = auf den Ursprung, den Schöpfer gerichtet Die 7. Stufe ist stets der Eintritt in die Schöpfung bzw. der Moment der Unmittelbarkeit zum Schöpfer selbst: Wer die 7. Stufe erreicht hat, muss folgerichtig zum Schöpfer zurück und damit in den Beginn des neuen Lebens eintreten. Das erklärt Bachs Logik der Leittöne, etwa im Orgelchoral „Nun komm, der Heiden Heiland“ mit den Leittönen im Pedal. H-moll ist also die optimale Tonart aller Verkündigung vom „Reiche“ Gottes.

    Zu 2:Der Aspekt der Zuweisung der Instrumente zu Text- und damit Hand-lungsdeutung ist außerordentlich wichtig. Innerhalb eines Werkes sindsie also einer festen Funktion zugeordnet; das bezieht sich nicht aufihre grundsätzliche Bedeutung ihrer Klangfarbe oder der Art, sie zuhalten und zu spielen. Dennoch muss man den Charakter einer Sing-stimme mit seinen Begleitinstrumenten gesondert betrachten. Habendie Traversflöten bei „Schreibe nicht: Ich bin der Juden König“ – oder„Sei gegrüßet, Judenkönig“ oder „Wir haben keinen König, denn denKaiser!“ einen grell leuchtenden Charakter, so führen sie den Gesangdes Soprans mit Wärme und Intimität bei: „Ich folge Dir gleichfallsmit freudigen Schritten“. Das beweist, dass Bach durchaus die Dop-pelfunktion eines Instrumentes einzusetzen wusste, ohne dass es zuDeutungsmissverständnissen kommen könnte.

    Zu 3: Symbolische Zeichen finden sich in Bachs Handschriften derPartituren, die kein Verleger übernehmen wird, die aber, so Prautsch,von tiefer Bedeutung erfüllt sind. Er zieht den einzig richtigenSchluss: Die Absicht des Komponisten kann der Hörer zwar nichtoptisch nachvollziehen, aber die Gesinnung durchzieht das ganzeWerk und nimmt uns in sein Wesen auf.

    Zu 4: Hinweise auf Psalmtexte sind jesuanische Tradition; Bach hattediese Vorgehensweise längst erkannt, denn Jesus bezog seine Thema-tik des Alltags seiner Tage auf die im AT ausgesprochenen Probleme,wie sie die Propheten und Psalmdichter formuliert hatten. So sagt er:„Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben, sondern zu erfül-len.“ – also den Wahrheitsgehalt über alle Zeiten hinaus aufzugreifenund die Lösung für diesen Konflikt anzubieten. Die Verankerung inder Prophetie des AT bestätigt immer wieder den Kontext zum Auf-trage des Messias: Seine Botschaft ist die Antwort auf die stetigen

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    Fragen der Menschheit auf ihre Konflikte und Missverständnisse.Bach setzt also die Rolle des Verkündigers, des Botschafters nachLuther lückenlos fort.Zu 5: Zahlensymbolische Strukturen berufen sich auf die Kenntnis derZahlensymbolik, die mit dem Hebräischen beginnt und in den Deutun-gen der Kirchendogmatik verändernd eng gefasst zum Gesetz erhobenwurde.Zahlensymbolik ist nötig, weil wir eine Tür brauchen, durch die wirdie Prinzipien der Schöpfung und des Schöpfers, auf unser Hierseinbezogen, erkennen und akzeptieren sollen. Dabei gibt uns Prautzscheine Aufstellung der gebräuchlichen Deutungen (S. 67), zu der wirWidersprüche finden, was z. B. die Zahl 5 und die Zahl 11 angeht,wenn wir Friedrich Weinreb (= Zahl, Zeichen, Wort – das symbo-lische Universum der Bibelsprache, Thauros-Verlag Weiler) nachderen Bedeutung im Hebräischen befragen. Auf S. 42 erläutert derAutor an Hand des Schöpfungsberichtes die Bedeutung der Zahlen1 = These: männlich / 2 = Antithese: weiblich /3 = Synthese: dasKind.Was nicht 1 ist, ist deren Teilung in das Vielfache, und die Zusam-menführung des Vielfachen auf die Einheit ist das Resultat Kind. Ermacht es am Pythagoras fest: Auf den 2. Schöpfungsbericht bezogen,bedeutet die Zahl 3 das Männliche, die Zahl 4 das Weibliche, die Zahl5 das Kind, die Hypothenuse. Es geht aber auch so:Die Zahl 3 ist die Trinität und umfasst Vater, Sohn und Heiligen Geist(oder Schöpfungsgeist), die Zahl 4 ist 2 x 2, und 2 ist die Zahl fürJesus, aber auch für Zeit und Ewigkeit.Spielen wir mal bei dieser Symbolik mit, so ergeben 2 und 3 die Zahl5, das heißt, Jesus in der Trinität gibt sich als Zielpunkt für das Wesendes Kindes, und da er sich auf den Psalm 84 bezieht, kommt es zu derKernaussage Matthäus 18, 1-11!

    Eine außergewöhnlich wichtige Erkenntnis gibt uns Prautzsch in derAufdeckung der Parodie als Symbol. Er macht es an den Vorlagen derweltlichen Kantaten fest, die Bach dann für das Weihnachts-Oratoiumverwendet und sich damit über die Parodie in die politischen Irritatio-nen zwischen Sachsen und Polen einmischt. Es ist kein politischesKonzept, das Bach hier benutzt, sondern er ist als Kirchenmusiker inder Lage, das vormals Gepriesene und Erwünschte als das Notwendi-ge einzufordern, ohne aus seinem Amtsverständnis ausbrechen zumüssen.Wir wissen von Dürr, dass er das Problem der Parodie gering schätzt,weil man unter ehemals weltliche Musik geistliche Texte wiederfin-det. Er meint, Bach könne den Texten musikalisch nicht bedingungs-los gefolgt sein. Daraus leiten die heutigen Pop-Strategen ihr „Recht“ab, Alltagssprache unter kunstvolle Musik zu placieren oder banalesGewimmer über anspruchsvolle Texte kleistern zu können.Die Parodie erhält sich durchaus das einmal eingeschlagene Niveau inMusik wie Text, und damit der geistliche Sinn sich über den weltli-chen erhebe, wählt Bach neue Instrumentierungen und Gesangsmittel,die bei der weltlichen Musik nicht erforderlich sind. InstrumentaleEntscheidungen weist uns Prautzsch laufend nach, und somit ist Dürrwiderlegt. Nur geht unser Autor nicht so weit, dass er die Bedeutungder Knabenstimme als das von Bach optimal verfügbare Klangmittelmit in seine Entdeckungen einbezieht. Dieser Aufgabe möchte sichdie hier vorliegende Ausführung widmen.Der Glaube, Bach habe „bibeldogmatisch“ gedacht, ist ebenso einefromme Illusion wie die Annahme, Michelangelo habe in der Sixti-nischen Kapelle streng katholische Theologie dokumentiert. UndMurillo spitzt seine Botschaft in der „Zwiefachen Dreifaltigkeit“dahin zu, dass er das Wesen des Kindes in den Mittelpunkt desLebens stellt und zugleich in den direkten Bezog des Vaters imHimmel, also der unmittelbar spürbaren Gegenwart des Schöpfers.Den Eltern fällt eine zentrale Rolle zu, die seit jeher heftig bestritten

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    und durch die „Emanzipation“, gleich, welcher Strategen, auf denHund gekommen ist.Kunst erfindet ohne Zaumzeug und Stachelhalsband. Normativehaben zu ihr keinen Zugang, solange sie die Ethik nicht als Kern ihresWesens akzeptieren.(Normativ-schöpferisch vgl. „Begabungssuche“)

    Zum Prinzip der „langsamen“ Musik:Der heutige Zuhörer wird von visuellen wie akustischen Sensationen vorwärtsgetrieben und nervlich auf den Gipfel seinerBelastbarkeit gepeitscht. Man hat für nichts mehr Zeit; wer betrachtet, vermittelt Stillstand und wirkt dadurch initiativ tot.Die Musik früherer Zeit wurde langsamer ausgeführt. Es gab dafür zwei Gründe: Zum einen war es die Suche nach demauszulotenden Gefühl des Zuhörers, das emotionale Vereinnahmen und das Verkleben befreiender Gedankenflüge. Zumanderen muss man Persönlichkeiten wie Kurt Thomas oder den Nachfolge-Thomaskantoren nicht unterstellen, sie wolltengefühlsbefrachtetes Klanggut von der Empore niederwallen lassen. Diese Art der langsamen Musik verzichtet auf das künst-liche Tremulo der Knabenstimmen, wie es in den Nachkriegsjahren noch üblich war, belässt ihren statischen Chorklang undgibt dafür dem Zuhörer wie Interpreten die Möglichkeit, sich gedanklich und nüchtern-enthusiastisch empfindend einzelnenKlangereignissen zu widmen, sich dort einzugraben, Stellung zu beziehen, im Detail seine Heimat wiederzufinden.Wir wissen aber, dass Bach sich keinesfalls mit einem unveränderbaren Klangkörper zufrieden gegeben hätte, sondern er nutztdie jeweilige instrumentale Zuordnung innerhalb eines Werkes und die dem Text gewidmete „Begleitung“ (in Wahrheit einDialog zwischen Gesang und Instrumenten) zu dramaturgischen Zwecken. Kein Gedanke ist ohne Bedeutung, darum mussjeder auf seine Weise zum Klingen und zur Gültigkeit gebracht werden. Zudem nutzt Bach die Knabenstimme in ihrertypischen klanglichen Bedeutsamkeit in allen ihren Facetten.Wenn Biller die Matthäus-Passion endlich aus ihrem kontemplativen Dunstkreis zog und als dramatisches Werk der Johannes-Passion zur Seite gestellt hat, dann entrümpelt er die musikalische Denkart der Vorgeschichte dieses Werkes und befreit sievon emotional süßlicher Schmerzensschwere. Dass es Naseweise gibt, die erklären, man könne dieses Werk wie auch dieMesse h-moll in den Solopartien keinem 11-jährigen Solisten zumuten, rührt nicht von besorgter Menschlichkeit her. Diegroße Form soll das Refugium der großen Stimmen, der Stars der Opernmanege, bleiben und nicht zu „Kinderkram ver-kommen“. Man macht es davon abhängig, dass die Kleinen ja viel früher in den Stimmbruch kämen und somit keine Zeit dafürhätten, sich auf solche Rollen vorzubereiten = Harnoncourt habe das längst erkannt….!

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    Gerade er hat den Beweis erbracht, wie man solche Werke vorbereitet und die Last der großen Gesangspartien auf verschie-dene Schultern verteilt. Es ist Neid, üble Nachrede und Gehässigkeit gegenüber dem erstaunlichen Leistungsvermögen derKinder, die solche Partien auch heute noch beherrschen, obwohl die Schulpolitik ihnen gnadenlos das gleiche Pensum ingleicher Zeit auf die Schultern frachtet wie den übrigen Leidensgefährten in den Gymnasien. Es ist keine Ruhmestat, vielmehrdie Absicht des allmählichen Zermürbens der Arbeitsmoral. Vor allem in Norddeutschland ist die Hoffnung auf Knabenchörelängst begraben, und der weitere Umstand, dass die heutigen Stimmbildner den Belcanto nicht mehr lehren (können),erschwert den Jungen, die Stimmkraft in allen Lagen gleichermaßen zu nutzen. So erreicht uns die Kritik, dass solcheChorsänger oft „sehr hoch“ sängen, was meint, dass ihr Stimmvolumen von der Mitte her ausgebaut wird und nicht vomFundament aus.Was uns dennoch in diesem Kantatenwerk unter Harnoncourt erwartet, soll hier bezeugt und zurechtgerückt werden!

    1. Der innere Kreis: Die Gottesgewissheit Bachsa)BWV 61/62 /CD 19 /Dürr: 101/104Nun komm, der Heiden Heiland

    Handlungsebene Ethische Ebene Prophetische Ebene

    Anders als der Zeitgeist vorschreibt, setzenwir die beiden Kantaten BWV 61 und 62in Beziehung und erleben damit, wie sichBach in der thematischen Sinngebungnicht wiederholt und auch nicht wider-spricht. Vergleichen wir den Aufbau bei-der Kantaten, bestehen sie aus 6 Teilen:Nr. 61: Nr. 621. Eingangschor2. Rezitativ Tenor Aria Tenor3. Aria Tenor Rezitativ Bass4. Rezitativ Bass Aria Bass5. Aria Sopran Rezitativ Sopran SchlusschoralTonart:

    auf a auf hChor 1stg. 1. Zeile durchgehend4stg. homophon 2./4. kontrapunktisch4stg. kontrapunktisch 3

    Der Mittelteil wird also von denMännerstimmen erfüllt. Jeweils der5. Teil in beiden Kantaten bleibt demSopran vorbehalten. – Was habendie Solostimmen zu verkünden?Die Nr. 2 in Nr. 62 verweist auf dieBedeutung der Ankunft Jesu. In Nr.61 hören wir ein Gebet für das Heilder Kirche (3. Aria Tenor).In Nr. 61 hören wir dann die StimmeJesu, der bei uns Einlass fordert, (4.Rezitativ) in Nr. 62 ist es das Gebetum Kraft durch Jesus, der für unserHeil streite und siege.Solange Harnoncourt konzertant-dramatisch entschlüsseln kann, ist erunerreicht. Sobald er sich mit Cho-ralsätzen befasst, hämmert er lehr-satzgetreu die Aussagen fest. Da ist

    In Nr. 61 singt der Sopran: „Öffne dich,mein ganzes Herze!“, denn die Unschuldmuss vor dem Schöpfer keine Furcht emp-finden. In Nr. 62 beschränkt sich der Kom-ponist auf ein Rezitativ für den Sopran, deres auf den Punkt bringt: „Die Dunkelheitverstört uns nicht, wir sehen Dein unend-lich´ Licht!“– Der Sopranstimme kommt inbeiden Kantaten eine erschließende Funk-tion zu, in Nr. 61 beginnt sie auch die Chor-fuge und sammelt in die Tiefe hinab diemenschlichen Stimmen. Wie nun entspre-chen sich Chorstimme Sopran und die So-lostimme?Zur Wahl der Solisten: Bei den Männer-stimmen beeindruckt Dietrich Fischer-Dies-kau, weil er auf dem Fundament seinerStimme seine Stimmkraft aufbaut und sodurchsetzungsfähig macht. Eine Bass-Stim-

    Die Besetzung mit Frauenstimmen nimmt dieVeränderung der Aussagefähigkeit in kauf,ohne sich ernsthaft darüber Sorgen zumachen. Erwachsene haben ihre Probleme,ihr Wissen und ihre Bedenklichkeiten imHintergrunde. Kinder sorgen sich allein umdie Qualität ihres Gesanges und entwickelnunglaubliche Kräfte, um sich ausdrücken zukönnen. Was ist nun in diesen Kantaten ihreWirkung?In BWV 61 öffnet Seppi Kronwitter im Na-men aller Gleichgesinnten sein bebendesHerz, damit Jesus einziehe und der Mensch inseiner Nichtigkeit Seine Wohnung werde.In 62 sekundiert der Knabenimitator Ess-wood Peter Jelosits´ Dank an die Herrlich-keit Gottes in der Krippe, aber jetzt stört dendie Dunkelheit nicht mehr angesichts des un-endlichen Lichtes, das in ihm leuchtet….

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    Die Fehlbesetzung einer Stimmlage kannsich als Blockade auf die Gesamtgestal-tung auswirken. Der Hörer empfindet esals unter Quarantäne gestellt, als dürfe esnicht am Leben insgesamt teilnehmen.Denn indem der Sopran original besetzt er-klingt, vermisst man die Logik des Kna-benalt, und jeder noch so brillante Ersatzbricht die Verkündigungsfunktion diesesdafür vorgesehenen Jungen.Dass Harnoncourts Einspielung dennocheine einzigartige Dokumentation des bis-her musikalisch Angestrebten gewordenist, verdanken wir der Wahl der Künstler,also der Besetzung insgesamt, und derPhantasie des Dirigenten, unter dessenImpulsen Bach hochaktuell bleiben wird.

    er Mose, der die Gesetzestafeln be-arbeitet und die wenigen Symbole inden Stein meißeln muss.Wenn auch die Gemeinde vormalsdiese Choralstrophen hätten singensollen, muss man doch diese Unartendes „Häuschenbauens“ zwischen denTextzeilen nicht auch noch als histo-risch gegeben dokumentieren! Es ge-nügt, wenn Bach sie kanonartig un-terbricht.Historismus ist eine Krankheit, undda wir just den Beweis erbringen,was an gewollter kompositorischerBotschaft dabei zertrümmert wird,sollten sich die Großen unter denDirigenten überlegen, was sie eigent-lich als ihren Auftrag ansehen.

    me, die in der Tiefe erblasst, garantiertnicht das notwendige Fundament, auf demsich Schöpfung offenbart!

    Zu den Frauenstimmen darf man sagen,dass es die Großen ihres Faches durchausals ihre Aufgabe angesehen haben, dentheologischen Inhalt einer geistlichenMusik zu überbringen.Aber in keiner der Aufnahmen entdecktsich mir ein Offenbarungscharakter wie beiKindern! Und daher ist nicht die sängeri-sche Leistung der Kern unseres Problems,denn das können die Jungen hervorragend,sondern es ist die Botschaft, die in den Kin-dern angelegt ist und die sich äußernkönnen soll. Ihre Basis sind die Tugendeneiner Gesinnung, die sich äußern!

    Der Hörer erkennt 2 Selbstverständlichkeiten:Die erste ist die längst angekündigte Ankunftdes Messias; in der Aufnahme 61 mit Richterkommt dies im Eingangschor überwältigendzum Ausdruck; Harnoncourt serviert uns da-gegen Hackfleisch. Die zweite ist die Er-kenntnis aus Psalm 84, dass der Mensch dieWohnung des Schöpfers sei – wie jede Krea-tur -, aber das darf man Kirchens nicht wissenlassen, dann geht die hoch! Bach lässt es dieJungen singen; Peter Jelosits von den WienerSängerknaben hat die Chance, einem Alt un-ter seinen Chorgeschwistern gibt man sienicht . Harnoncourt schleppt Esswood durchalle Kantaten wie ein Abführmittel bei Ver-stopfung. Ich begreife es nicht – entschuldigtbitte!

    b)Weihnachts-OratoriumFallt mit Danken, fallt mitLoben (BWV 248, IV / D.190

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Schon an anderer Stelle verwies ichauf diese Kantate, die sowohl dasOratorium scheitelt, als es auch imAufbau seiner Form die Echo-Ariezum Kern dieser Kantate macht.Folglich muss man der Frage nach-gehen, welche Wirkung von einerFrauen-, welche von einer Kna-benstimme ausgeht, und da stehtuns sogar die Videoaufzeichnungmit Harnoncourt und den Tölzernzur Verfügung, um über das rein

    Mit folgenden Punkten solltesich der kundige Leser nocheinmal befassen:Das Wesen einer weltlichen Erstfassung bei J.S.BachDas Wesen der Parodie alsinhaltliche und textliche Neu-formung des musikalischenGehaltesDie erhöhende Wirkung durchdie Klangfarbe und den Ge-staltungstypus der Knaben-

    Der Mensch richtet sein Wesen inFrageform auf den Schöpfer, und ererfährt im Dialog mit seiner Seele(Sopran) und deren Spiegelung imAngesicht des Schöpfers (= Echo)die lebensnotwendige endgültigeAntwort.Jetzt kann der Mensch die richtigenSchlüsse ziehen und sein Fundamentso einrichten, dass von unten herkeine niederträchtige Gesinnungmehr einziehen kann.

    Die Knabenstimme als Symbol derzwischen Universum und Materieangesiedelten Existenz des Schöp-ferischen, wie es die Grafik oben ver-anschaulichen soll, offenbart nicht nurdas Genie Bachs, sondern seine Uni-versalität, die ihm zu eben dieserSichtweise verhalf und den Jungenihren Verkündigungsplatz ganz obenin der Werteskala vorbehielt, umnicht zu sagen, freiräumte. Denn derHimmel ist das Erleben der unmittel-

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    Musikalische auch die visuellenSignale – Aktion und Reaktion –zwischen Dirigenten und Solistenerleben zu können. (vgl. Dido undÄneas: Rezensionen im BereichMusik, u.a. Harnoncourts „Johan-nes-Passion“ und „Weihnachts-Oratorium“)Es wurden auch zu Rate gezogen:a) die Einspielung Kurt Thomas´ab die Einspielung Karl Richtersc) die Einspielung BeringersWir vergleichen die Kopfthemen:Kantate IV des Weihnachts-Orato-riums:

    Kantate 31 (Oster-Kantate)

    stimme – und hier scheitertdas Bewusstsein der Musik-wissenschaft, denn es zählteinzig die „Perfektion“ (auchals Modewort unserer Tage,was den Mangel an selbigerbeweist). Natürlich haben jeneAufführungen nur mit Er-wachsenen auch ihren Sinn,aber wer denkt über das nach,womit sich Bach mit seinenAusführenden befassen undwem anvertrauen wollte?Auswertung 1:Auf „Flößt“ liegen 3+2 Werte undzeigen an: Die Trinität in Zeit undEwigkeit (8. Stufe) neigt sich zu unsMenschen herab (5. Stufe)! Es fließtder Segen Gottes nieder und erhebtsich auf der Tonika in der Oktave zuneuem Leben.

    Auswertung 2:Andere Werte, gleiche Tonart, glei-ches Start-Intervall: die reine Quarte,das Jesus-Intervall (vgl. Joh.-Pass.),der zu uns kommt und in unseremLeben bestimmend wirken will. Dieletzte Stunde ist zugleich der Beginnder Ewigkeit.

    In Kantate 31 (Oster-Kantate) hörenwir den Sopran mit dem sich füllen-den Thema der Echo-Arie noch ein-mal, und was sie uns zuzusichernhat, ist die Botschaft des Schöpfersaus dem Munde dieses Kindes.Bach war, wie Luther, Eidetiker undnutzte diesen Weg der unmittelbarenBegegnung, nicht nur mit der Seeleder ihm Anvertrauten, sondern mitdem Sohne Gottes insgesamt, getreuMatthäus 18, 10.

    Zum Text 1:Flößt Dein Name den kleinsten Schreckenein? Du, Jesus, sagst ja selber nein. Sollt´ich nun das Sterben scheuen? Nein, Deinsüßes Wort (Jesus, Dein Name) ist da – unsgegenwärtig: Wo immer Du bist, wir kön-nen Dich (über die Eidetik) zu uns bitten.(Wichtig: Wer je auf diese Weise einenWeggefährten zu sich gebeten hat, darf ihnnicht wieder wegschicken wollen! DieserGast bleibt uns für immer erhalten!)Zum Text 2:Letzte Stunde (= Anfang für die Ewigkeit),brich herein, mir die Augen zuzudrücken.Lass mich Jesu Freudenschein und Seinhelles Licht erblicken. Lass mich Engelnähnlich sein. Letzte Stunde, brich herein.So etwas kann nur singen, wer sich seinerSache völlig unbeirrt sicher ist!

    baren Gegenwart des Schöpfers, undsolche Erlebnisse hat jeder, der sichauf den Dialog mit der Seele einesKindes einlässt. Der Weg führt überdie Augen, den Vorhöfen, und wasauf uns zurückkommt, ist die Äuße-rung des Kindes mit künstlerischenMitteln aus dem Allerheiligsten.Warum also sollte sich Bach und da-mit auch den Kindern dieses täglicheErlebnis vom Herzen absparen wol-len? Ich weiß und glaube es nicht.

    Zu Botschaft 1:Fast alle Sopran-Arien treten in thematisch-melodischen Dialog mit der Oboe d´amore.Als Doppelrohrblatt-Instrument verweist esauf das Hirteninstrument – auf die Unmittel-barkeit Jesu - dem Sopran aufgetragen, zu be-zeugen („… und sein Zeugnis ist wahr, aufdass ihr glaubet!“)Zu Botschaft 2:Das Echo auf das Ja bzw. Nein durcheinen zweiten Knabensopran entfällt;die Oboe übernimmt dies, indem sieihre Motive durch Echo bestätigt. Dasheißt: Die Nähe des Hirten war zuge-sagt und erfüllt sich für die Seeleunabdingbar! Darüber kann sich eineüberaus beglückende neue Melodikerheben und in der Stimme des Kin-des erblühen (Psalm 84/Matth. 18,10)

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    c)BWV 31/CD 10 Dürr:307Der Himmel lacht, die Erde jubi-liert (Oster-Kantate)

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Zur Charakteristik der Knabenstimme istviel zusammengetragen worden. Sicher ist,dass im Kirchengesang diesen jungenMenschen die Arbeit an sich und deroptimalen Werkgestaltung deshalb soerfolgreich war und ist, weil auf das Re-sultat Rückmeldungen verschiedener Prä-gung zu erwarten sind. Es ist einmal dasLeistungsniveau bei doppelter Belastung(Schule und Musikausbildung), das diesejungen Künstler formt, sodann die Ausein-andersetzung mit ihrem Wachstum, dessenFortschritt zugleich den unwiderruflichenUntergang ihrer Stimmlage und Klang-farbe bedeutet. Diese Vergänglichkeitverleiht ihrem Ausdrucksvermögen einetranszendentale Weite, einen Ausblick indas Vergängliche, das ihnen eine so fas-zinierende künstlerische Reife verleiht. BeiMädchen gibt es dieses Problem nicht: Beihohem Leistungsniveau können sie sichZeit lassen – wenn nicht auch bei ihnendas gleiche Phänomen wie bei den Jungenauf Erfüllung drängt: ihre in ihnen ange-legte Botschaft der Schöpfung, die mitdem Verschwinden ihrer Kindheit erlischt.Ein weiterer entscheidender Punkt ist dieunterschiedliche Absicht auf das Leben:Mädchen denken und empfinden in Inter-essensrotationen, Jungen dagegen in ziel-fassendem Streben auf Veränderung, undzielt diese auf Verbesserung, muss auchdas ethische Empfinden die Absicht be-

    Das Ostergeschehen ist den meistenChristen so suspekt, dass sie – alsNormative – sich den Hals verren-ken, um doch noch eine „wissen-schaftlich erklärbare Interpretation“der Auferstehungshistorie präsen-tieren zu können. Mit diesem Ge-schehen haben sie endgültig den Ballverloren. Das Spiel geht ohne sieweiter. Aber gibt es überhaupt einenGegner? Ist es der Himmel, der lacht– etwa über die Verlierer? Und werjubiliert, wenn nicht das Showge-geschäft, der Tourismus und derEinzelhandel? – Die Kantate fasstzusammen, was die Botschaft für dieMenschen – also die Gläubigen – be-deutet, und der Sopran zieht dieKonsequenz, wenn er sagt: Stimmtes, dass der Schöpfer unverweslichist, kann ich mich dieser Tatsachegetrost anschließen, denn Er ist dasHaupt, ich, das sterbliche Wesen, binder Leib, die Glieder, und was demHaupte nicht fehlt, das hat auch dergesamte Leib zur Verfügung.Aber Bach geht natürlich, dem Texteentsprechend, auch noch den letztenSchritt und lässt den Sopran singen:„Letzte Stunde, brich herein,mir die Augen zuzudrücken!Lass mich Jesu Freudenscheinund sein helles Licht erblicken!

    Zur Ethik der Namensgebung ge-hört, dass sich einerseits mit demsel-ben eine Bedeutung, ein Wunsch,ein Omen für die Zukunft verbindet,andererseits das Leben in der Mate-rie sich seine Wohnung wählt, weiles eine unverwechselbare, unwider-rufliche Existenz mit Antlitz, Indi-vidualität und eben Namen bekom-men möchte, damit man es über alleZeiten hinweg über die Eidetik zusich laden und bei sich leben lassenkönne.Nun haben wir bei dieser großarti-gen Kantatensammlung in den mei-sten Fällen die Namen der Künstler.Bei einigen Einspielungen – unddazu gehört diese der BWV-31-Aufnahme – hält man den jungenKünstler verborgen. Offensichtlichgenügt es den Verantwortlichen,dass wir den Gesang hören, aberman enthält uns den Namen, dieIndividualität mit Antlitz und Ge-stalt, mit dem Flair einer bewun-dernswürdigen Persönlichkeit vor,und das schmerzt – nicht, weil die

    Schriftbildlich verstehe man die bei-den Festkreise so: Klammer auf:Weihnachten = Ostern: Klammer zu)Was sich dazwischen ereignet, ist dieSumme alttestamentlicher Offenba-rungen.Wer soll uns, an Stelle des Gottes-sohnes, zukünftig die Botschaft indieser unabdingbar unbeirrbarenschlafwandlerischen Sicherheit über-bringen? Welcher Rang unter denMächtigen oder Weisen ist nötig? -:„Jesus rief ein Kind zu sich undstellte das mitten unter sie.“Bach beruft den Sopran – die stimm-lich bis zum Grenzbereich sich auf-oder vorausschwingende Endgültig-keit, und er beruft – entgegen der For-schung - den Alt als die glasklareethische Wärme unter den Lebewesenund stellt sie den Maßstäbe setzendenAkteuren des Diesseits gegenüber.Die Knabenstimmen – lebenserfülltund zugleich in Gottesnähe – verkör-pern die Unantastbarkeit des Heiligen.( = Wer ein Kind berührt, weckt nicht denAufforderungscharakter einer hormonellenVorbereitung. Kinder empfinden so nicht und

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    stimmen können, mit der sich ein Knabeseiner Aufgabe widmet. Das ist das Feuer,das aus den Knabenchören auf die Zuhö-rer übergreift: Mit kernigem Klange undhoher geistig-emotionaler Wendigkeitformt ihr Sinnen und Trachten nach Voll-endung den Einsatz für das jeweiligeWerk, dem sie sich widmen. Die Ästhetikder Mädchen findet andere Aussagewege,und würde man beide Klangkörper koor-dinieren, könnte man mit solcher Symbio-se völlig neue künstlerische Erlebnistiefenöffnen. Wir konnten es an einer Auffüh-rung der Matthäus-Passion erleben, dieBiller mit den Thomanern und dem Kin-der- und Jugendchor des Gewandhausesdirigierte.Bach nutzt also das ihm verfügbare Mitteluniversaler Ausdehnung, um seine Posi-tion mit der der Kinder in gleiche Schwe-bung zu bringen. Bedauerlich, dass er dieMusikhistoriker nicht befragen konnte, wiees hätte richtig gemacht werden sollen ...!

    Lass mich Engeln ähnlich sein!Letzte Stunde, brich herein!

    Nun ist uns um das Prinzip der Engelnicht bange, man muss sich nur mitder Definition so weit nach vornwagen, dass kein Zurück in profaneGefilde mehr möglich ist:Sagen wir, der Schöpfungskern lebeund wirke in jeder Kreatur, so sagtSchweitzer: „Alles ist belebt!“, wo-mit der meint, dass alle Materie ei-nes Geistes Schöpfung ist und somitderen Geist in sich einschließt, egal,was man mit ihr gemacht hat.Ist der Schöpfungskern also in jederKreatur intakt, verleihe man ihm imMenschen eine Stimme, ein Gesicht,eine Aktivität zu ihrem Ursprunge,und schon haben wir die unauflös-bare Verbindung zur Ewigkeit.Aber warum können das nicht Tenoroder Bass verkünden – warum musses ein Kind sein?

    Neugier nicht zu befriedigen wäre:die gibt es hier nicht! – sondern weiluns verwehrt wird, einem, der Gastauf Erden ist wie wir, unsere Be-wunderung, ja, Bruderschaft zuüberbringen.So forme ich diese Besprechung vordem verschleierten Bildnisse einesJungen, der uns mit seinem Gesang,seiner Botschaft des Schöpfers be-schenken konnte.Die Wirkung auch gerade dieserKantate ist, sie umfassend als dasAusloten des Ostergeschehens zu er-leben. Um das beschreiben zu kön-nen, fehlen die Worte. Es sei: Wirsetzen Wegmarkierungen zum Zieledieses Werkes und hoffen, annä-hernd bekannt zu haben, was längstüberfällig gewesen ist.

    fühlen statt dessen den besitzbestimmendenZugriff des Unerlaubten, und könnten sie sichwehren, suchten sie die Ferne. Anders dieUmarmung als rückhaltlose Bejahung ihresWesens durch vertrauensvolle Personen! Undganz gewiss empfindet ein Kind die Liebko-sungen durch ein Tier nicht als Übergriff.)Somit sind sie nach alter Kirchentra-dition die geeignetsten Boten dergöttlichen Botschaft in der Musik.Wenn Murillo die zwiefache Dreifal-tigkeit malt, dann nicht nur symbo-lisch. Ihm ist es Wahrheit, und seineZahlensymbolik ist so codiert, dasssie die Harmonie zwischen Himmelund Erde sicht- und fühlbar macht.Der Himmel lacht – er war nie ver-schlossen und bleibt uns offen,solange es Kinder geben wird, die alsMittler zwischen Ihm und uns leben!

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    2. Der mittlere Kreis: Die Kantaten mit Dialogen / Solokantaten für Sopran (Alt entfällt)

    BWV 57 / CD 18 / Dürr: 144Selig ist der Mann (Dialogus)

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    In den oben besprochenenKantaten gibt sich Bach in sei-ner Gottesgewissheit zu er-kennen und zeigt uns sogar,welchen Weg er dazu genom-men hat: die Eidetik, die un-mittelbare Vorstellung desGottessohnes, durch die ihmder Dialog möglich ist, mehrals das Gebet als Verhaltens-formel und aus der aktuellenNot geboren. Es geht um dieganze Wahrheit.Nun, da sie steht und sich inder Sopran-Arie der Kantate31 als gültig zu erkennen gibt,muss sich jeder fragen: Wielautet jetzt die Botschaft desThomaskantors an seine Schü-ler wie an die Gemeinde?

    In den Kantaten 57 bis 60 setztsich Bach mit der Frage derTodesfurcht und der ständigenBedrohung durch den „Höl-lenrachen“ auseinander. Ist dasunmännlich, Schwäche zu zei-gen? Bach: „Selig ist derMann, der die Anfechtung er-duldet, denn nachdem er be-währet ist, wird er die Kronedes Lebens empfahen.“Aber es sterben auch Frauenund vor allem Kinder, auchGeschwister seiner Chorkna-ben können dabei sein, undwas hat der Kantor seinenSchutzbefohlenen auf ihreFrage nach dem Warum zuantworten?Es kommt zum Dialog zwi-schen der Schöpferebene unddem Knabensopran, dem Ver-mittler zu den Fragen des Le-bens. .

    Es geht um die ethische Ebene der Gesin-nung, als wir der Verursachung des Leidensauf die Spur kommen:Sopran/Seele: Du kannst die Feinde stürzenund ihren Grimm verkürzen – das bleibtaktuell! Unmittelbar vom Sopran stelltBach die Verbindung zum Bass als demFundament des Schöpfungsgeschehens her,die sich in der Gestalt Jesu als entscheiden-der Trost und als verlässliche Zusicherungerweist. In lebhafter Bewegung als Demon-stration des „Ich kann die Feinde stürzen,die dich nur stets bei mir verklagen!“ gibtEr dem verzagten Herzen Auftrieb und er-teilt penetrant lehrhaften Theologen undPädagogen in ihrem Dünkel eine Absage!Es geht nicht um Verdrängung der Notwen-digkeit des Sterbens, sondern um die Bedin-gungen, das Wie und das Wohin. Als dieSeele weiß, dass sie ihr Ziel erreichen wird,kann sie es kaum abwarten, entgegen allenAnschuldigungen gegen ihr Wesen demSohne Gottes voll bedingungslosen Ver-trauens in die Arme zu sinken und auszu-ruhen.Ihr Kern ist sprachlich so gestaltet, dass siesich vollendet im Gesang des Knabenspiegelt, der da bezeugt:

    „Ich wünschte mir den Tod, den Tod,wenn Du, mein Jesus, mich nicht lieb-test.Ja, wenn Du mich annoch betrübtest,so hätt´ ich mehr als Höllennot.“Wer diese Arie je hören sollte, undwem dabei vor Augen schwebt, einKelch mit Rebensaft verwandele sichzu diesen Klängen zu einem Getränk,das auf eins die Welt von seiner Ei-telkeit und Selbstsucht befreite und zuden höchsten Tugenden, die in jedemKinde angelegt sind, zurückfände,und könnte dies auch in Duft undFarbe wahrnehmen, und dürfte denersten Schluck daraus tun, der hat er-lebt, was unter Harnoncourts Leitungund durch die Kunst des Gesangs-lehrers in diesem Jungen, PeterJelosits, von den Wiener Sängerkna-ben, zum Erblühen seiner ihm aufge-gebenen Botschaft gebracht wordenist.

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    BWV 58 / CD 18 / Dürr: 199Ach Gott, wie manchesHerzeleid

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Nicht nur die Wahl der Instru-mente, auch die Aussageformder Kantate passt der Kompo-nist auf den Textinhalt.Harnoncourt greift diesesMittel auf und besetzt die So-pranstimme zweifach:Den Dialog bestreitet PeterJelosits (Wiener Sängerkna-ben) mit dem Bass, Rezitativund Arie vertraut der DirigentSeppi Kronwitter an.So erhöht sich die Aussage-kraft durch diese Parallele un-terschiedlicher Ausdrucks-möglichkeiten, und wir hörendie Basis der Frage- bzw. Pro-blemstellung um so deutlicher– und auch entschiedener.

    1. Geht es dir noch so übel, sohast du Gott zum Freunde.Wir sehen es an Joseph, der imTraum zur Flucht aufgefordertwurde.2. Können die Menschen nichtmit ihrem Hass gegen michaufhören, so ziehe auch ich inein anderes Land – das machtmich in meinem Leiden froh.3. Meine schwere Reise insParadies ist von Angst erfüllt –aber es erwartet mich dort dieHerrlichkeit.Können wir zwar dem Todenicht ausweichen, stellt unsGott vor Augen, wofür erseinen Sohn hat leben undsterben lassen: Was uns mitFurcht erfüllt, wird sich alsgrundlos erweisen!Wer kann die Wahrheit dieserBotschaft glaubwürdig leben?

    Peter Jelosits führt mit seiner Stimmeeinem Cantus firmus gleich die Grund-frage allen Lebens: Wie werde ich denWeg zurück zum Schöpfer bestehen,was wird mir begegnen, womit mussich rechnen, was wird man von mirverlangen? Die Stimme dieses Jungenist von der Tongebung elastisch gerad-linig, die Kraft entwickelt sich amWort, so scheint es.Seppi Kronwitter werden Rezitativ undArie anvertraut. Seine Tonbildung dertiefen Lage geschieht hörbar vomZwerchfell her; insgesamt wirkt dieseStimme filigran, sehr jung, aber auchsehr spontan. Natürlich sind das nurEindrücke: Beide Jungen beherrschenihre Partie hervorragend – aber „Ich binvergnügt in meinem Leiden“ klingt ausdem Munde Seppi Kronwitters geradein den Tiefen sehr bodenständig – es istSchmidt-Gadens Stimmbildung – undverstärkt die Glaubwürdigkeit beiderKnabenaussagen – vom Kern ihres We-sens her - entscheidend!

    Zunächst verkörpert Peter Jelosits dieUnabwendbarkeit der Todesgewiss-heit als ein Fragender, der das Wortfür alle ergreift Er ist nicht wandelbarin seiner Grundfurcht - also keinhappy end, fast schon ein status quo,nur welcher Art, erweist sich durchden zweiten Stimmeneinsatz SeppiKronwitters als mit dem Gesamtpro-blem identisch - und nach dem Will-len des Schöpfers schon einmal vor-geführt immer wieder lösbar, indemdie Seele ihr Wesen behält und lebenwird, wobei sie ihre Wohnung auf-geben und dem Verfall preisgebenmuss. Klagt die Seele einerseits umden Verlust ihres Hierseins, hat siedennoch alle Aussicht auf die Vollen-dung ihres Wesens im Angesicht desVaters und in den Armen Jesu, mitdem sie diese Dialoge führen kann, sooft sie möchte und muss. Harnoncourtidentifiziert zwei als eines Geistes!Das erfordert Mut in dieser Form mu-sikalischer Offenbarung.

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    BWV 59 / CD 18 / Dürr 396Wer mich liebt, der wirdmeine Worte halten

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Geht es in den Kantaten 57 und 58um die bange Frage, welche Bot-schaft uns zu Teil wurde, die unsdie Angst nehmen soll, so bildet inKantate 59 der Choral „Komm,heiliger Geist“ den Gipfel allenMühens um die letzte Wahrheit umden Verbleib der Seele.So entwickelt sich der Anfangssatzals Dialog zwischen Sopran, alsodem Vermittler zwischen Schöp-fung und ethischem Beginnen, undBass zum Duett der Gemeinsam-keit. Ist sie als die Basis der Er-kenntnis erreicht, kann durch dieLiebe, die das ermöglicht hat, derWeg nur zum Schöpfer führen. DasHiersein wird zum Geschenk aufZeit, aber kein ausschließlichesMuss, und dass man dafür auchnoch gequält wird, erhöht die Fra-ge nach dem Sinn des Lebens na-türlich noch.

    Der Satz wird von der Konse-quenz geformt, dass nur durchdie Liebe der Schöpfer er-reichbar bleibt, und diese Me-lodik durchflutet die beidenStimmen der Sänger wie auchden gesamten Instrumentalbaudarum herum. Mit Pauken undgroßem Schall des Dankensfüllen sich die Gedankenge-bäude, nichts mehr an Ver-zagtheit, an Unsicherheit: dieFormel ist gefunden: Wen dieLiebe zum Schöpfer führt,kann gar nichts anderes mitsich führen als den Beweis,dass Sein Wort seit jeher ge-golten hat: (Die Bibel bietetdafür den Beleg, wie sehr sichder Mensch auf Gottes Zusageverlassen konnte. Hat er etwasbekommen, was er nicht er-wartet hatte, war es eine Fra-ge der Interpretation ….)

    Dieser Gedankenschritt ist in derFolge der Kantaten ebenso notwen-dig wie logisch. Schalten wir daschinesische Sprichwort vor: „Werdas Meer liebt, kommt nicht darinum!“, so meint die Botschaft Jesu esdirekt: „Wer mich liebt, kommt inseiner Seele unbeschadet zu mir zu-rück!“ An diesem Zurück haben sichdie Konfessionen die Hirne gespal-ten und das Wort in den Bann ge-tan, denn wozu noch Sünde, Hölle,Tod und Teufel, wenn man damitnicht drohen und erpressen kann?Dieser vierfach beschworene Un-geist ist von Menschen erdacht – esist nichts Göttliches an ihm!Und eben aus dieser ersichtlichenAbsage an Drohungen, Erpressun-gen, an das „stete Verklagen vorGott“ ersteht die Kraft des Tröstens,und wenn die aus einem Kindeströmt, ist die Wirkung elementarund verbindlich.

    Man könnte interpretieren, zu überle-ben als christliche Aufbewahrung imHimmel bedinge die Liebeserklärung– aber Liebe fordert nicht, erpresstnicht, bedingt nichts: sie ist ein Ge-schenk ohne die Erwartung, dafür et-was wiederzubekommen. Die meistenEhen fliegen deswegen auseinander,weil die Leute zu spät dahinter kom-men, dass man mit Liebe keine Ver-träge schließen kann. Was uns wirk-lich hilft, ist die Hingabe an den Geistder Schöpfung, von dem ein Kernunseren Leib als Wohnung sich amLeben in der Materie beteiligen lässt– aber deswegen von Todessehn-sucht zu plaudern, halte ich für einFreud´sches Gespräch am Frühstücks-tisch. Indem ein Kind bekennt, sindwir schon angekommen; betten wiruns in den Gesamtklang als Dank anden Geist Gottes. Da ist das Zieldieser Aussage Peter Jelosits´ präsent

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    BWV 199 / CD 60 / Dürr: 546Mein Herze schwimmt inBlut ( = nicht jugendfrei?)

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Dieses Werk ist nicht für besondere An-lässe komponiert, sondern für den 11.Sonntag nach Trinitatis regulär eingeplantgewesen.Der Text stützt sich auf das Gleichnis vomPharisäer und Zöllner, von der überhebli-chen Selbstgerechtigkeit und ihrem Ge-genteil, der Reue und der Bereitschaft, seinLeben zu korrigieren.Wenn Bach diese Dichtung der Sopran-Solostimme zuspricht, statt eine der Män-nerstimmlagen zu wählen, dann aus einembesonderen Grunde.Er will ein Signal dafür setzen, dass ihmdie Notlage eines Internatsschülers mehrals bekannt ist, dass er um die Seelenlageund die sich verändernde körperliche Ver-fassung seiner Schützlinge weiß und dasser darüber im Bilde ist, unter welchem mo-ralischen Druck ein solcher Junge zuleiden hat. Es gibt wohl keinen unterihnen, der freimütig über seine Problemezu reden bereit sin dürfte, und so bleibt einjeder damit allein.In dieser Notlage verweist Bach auf den,der ihm, dem Bedrängten, in jeder Lagebeistehen wird, und darum gehört dieseKantate in die Hände der Jungen, wenn sieihren dramatischen Charakter behaltensoll.

    Wir zitieren aus dem Anfangsrezita-tiv:„Mein Herze schwimmt im Blut,weil mich der Sünden Brut in Gottesheil´gen Augen zum Ungeheuermacht …. Verhasste Lasternacht, du,du allein hast mich in solche Not ge-bracht! Und du, du böser Adams-samen, raubst meiner Seelen alleRuh´ und schließest ihr den Himmelzu!“Der Text war schon von Graupnervertont worden; Bach komponierteihn noch in Weimar und übertrugseine Botschaft später den Thoma-nern.Wenn jemand Einspruch erhöbe,dass ein Knabensolist diesen Textnicht zu singen habe, weil er anstös-sig oder brüskierend sei, so vergesseman nicht, dass die heutigen Ver-hältnisse in den Internaten für Kna-benchöre weit offener und vor allemtheologisch nicht zwischen Tabuseingekeilt sind. Und studiert man diegroßen Regisseure mit ihren Filmenüber Kinderschicksale, macht sichjeder Einwand nur lächerlich, einJunge zwischen 10 und 13 Jahrenmüsse sich unsittlich angesprochenfühlen und daher vor solcher Kunstgeschützt werden!

    Jeder Chorleiter, der mit Kindern arbeitet,muss eine besondere Sensibilität entwickelnund praktizieren, und dennoch sind die Kin-der ihm überlegen, wenn es um das Grenz-wertempfinden geht.Es gehört, will man schon Musikgeschichtepraktizieren, unbedingt dazu, die Lebens-verhältnisse der Kinder zu Bachs Zeitenaufzuzeigen und die Gewissensnöte derChorknaben beim Namen zu nennen, dennes waren nicht nur sie: das Erziehungsprin-zip früher verfuhr mit Tabus rigoros bisbrutal. Wenn dann ein verständnisvollerWink des Kantors signalisierte, dass maneben doch kein „versauter Kerl“ war, son-dern ein schutzbedürftiger Junge, konntedas sehr tiefe Bindungen und damit erhöhteArbeits- und Opferbereitschaft auslösen.Und das Pensum für die Chorknaben warund ist kein Pappenstiel. Sie arbeiten dop-pelt belastet, künstlerisch bedingungslosexakt, körperlich bis zur Erschöpfung, unddazu waren sie von zu Hause fort, und soetwas wie Rücksicht auf Heimwehplagenhat man sicherlich nicht gern genommen.Um Kinder zu Hochleistungen zu motivie-ren und auf Dauer sich steigern zu lassen,muss man für ihr Seelenleben ein hochemp-findliches Gespür zeigen, damit das Zwi-schenmenschliche gesund gedeihen kann.Darum diese Kantate!

    Die CD Nr. 60 erweist sich in der Wieder-gabe der Solostimme gegenüber den Instru-menten als zurückhaltend bis anstrengendleise. Dazu kommt, dass Barbara Bonney dieKantate als Sperrgebiet natürlicher Empfin-dungen fast mystisch diffizil einbehält, d.h.,sie verkörpert nicht als Vortragende das all-gemeine Anliegen einer Gruppe Schicksals-gleicher, sondern macht es zu ihrer ganz pri-vaten Audienz. Das sei ihr unbenommen, undes veranschaulicht auch die Mittel professio-neller Gesangstechnik, die man einsetzensollte, wenn man um das Optimum des Aus-drucks bemüht ist. Daran lässt die Aufnahmeauch keinen Zweifel.Aber wenn aus dem Chor ein Solist aufstehtund diese Kantate interpretiert, so tut er es imNamen aller Kameraden und als Sprachrohrfür ein gemeinsames Anliegen an die Ver-antwortlichen.Die Rückkopplung zu einer anderen Aussagewäre bei völlig Verzweifelten auch denkbar:„Wenn mich sowieso die nicht in Ruhe las-sen, die mich hassen, ziehe ich fort in einanderes Land!“Unschätzbar ist der Verlust, den die Nichtein-spielung mit einem Knabensolisten verur-sacht. Ebenso, wie die Kantaten für Alt-Solonicht zu vernehmen sind, wird diese Lückenicht mehr zu schließen sein. Denn auch soist diese Gesamtaufnahme eine Jahrhundert-leistung, daran gibt es keine Zweifel.

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    BWV 84 / CD 26 / Dürr: 265Ich bin vergnügt mit meinemGlücke

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Solist: Wilhelm Wiedl, SopranTölzer Knabenchor- Glück ist, wenn man seine Freudemit anderen teilen kann. Neid undMissgunst haben hier nichts verlo-ren. Bescheidenheit und Demut fürdas Empfangene und Dank für dieWertschätzung des Schenkendenkennzeichnen die Freude unseresSängers. Maulen, Unzufriedenheit,Anspruchsdenken – das wäre ver-messen, denn Gott ist uns gegen-über zu nichts verpflichtet.Damit hat der Dichter ja recht:Mutter Teresa meinte: Schenkenohne Liebe ist eine Beleidigung.Auf keinen Fall gewährt Gott aberKredit. Ein Kind ist keine Kapital-anlage, wie viele Eltern meinen, indie man investiert, um mit Zinsenzurückzubekommen, was man in soeinem Menschen mal angelegt hat.Aber dass es solche Gedanken gibt,sollte niemand noch so Gutgläubi-ge von sich schieben.Das Verhältnis eines Kindes zumSchöpfer ist indes klar beschrieben.

    Das Glück basiert auf Minimal-ansprüchen – zu Bachs Zeitkonnte man froh sein, wenn dasLeben so lief. Nun gibt es zweiMöglichkeiten, sich zu bedanken.Man kann das Geschenkte alsLebenskapital zu stärken, zusichern und möglichst lange zuerhalten suchen, und man kann esnach Entwicklungsmöglichkeitendurchforschen, um mit mehr zumSchöpfer zurückzukehren, alsman ins Leben entlassen wurde. Bach lässt diese Kantate einenSopran singen. Als Sinnbild derSeele spiegelt der das Wesen desSchöpfungskerns in uns, und daist nirgend die Rede davon, die-sen durch Eigenleistung vor Gottauszustechen. Wir pflegen ihnmit einem ruhigen Gewissen,einem fröhlichen Geist, einemdankbar lobenden und preisendenHerzen, so dass sich der Segenvermehrt und die Not zu ver-süßen hilft. Den Himmel verdie-nen kann man sich nun mal nicht,einen Anspruch auf einen mög-lichst komfortablen Platz meldetman umsonst an.

    Was der Komponist an stimmlicherVirtuosität seinen Thomanern zuge-mutet hat, lässt auf den außerordent-lich hohen Standard seiner Gesangs-ausbildung schließen. Es ist keinpietistisch betuliches Predigen immeditativen Stil, sondern explodie-rende Lebensfreude eines Jungen,dem Wilhem Wiedl eine dramati-sche Aktualität verleiht. Man weißsehr wohl, dass man ein Kosten-faktor für die Stadtkasse ist, aberman stellt keine unbescheidenenAnsprüche und will sein Brot mitAnstand und im Schweiße seinesAngesichts verdienen, und davongibt der hier singende Knabensopranunmittelbar eine Probe.Die Stimme wird ohne Schonungzum Zeugnis eines so wertvollenChores und einer so qualifiziertenAusbildung, dass die Jungen denUnterhaltern nichts schuldig bleibenund dennoch sich dem Schöpfergegenüber verantwortlich fühlen:Ein musikalisch hochstehender ma-kelloser Rechenschaftsbericht!

    Bachs Musik steckt den Zuhörerförmlich an: So fühlt sich jemand, deres vor Glück nicht mehr aushaltenkann.Nehmen wir an, der Schöpfer fragtdie Seele, was sie sich denn nun fürdie Zukunft wünscht, damit das Glückanhalte, so ähnelt das meinem Be-handler, der mich fragte, in welcherWeise ich ihn denn in Anspruch zunehmen gedächte, da es mir aufGrund meiner schöpferischen Aktivi-täten so gut ginge, dass ich mich nichtkrank fühle.Da bat ich ihn, doch zukünftig derWächter über meine Gesundheit zuwerden. Und so wird sich die kind-liche Seele dem Schöpfer anvertrau-en und bitten, Wächter seines zukünf-tigen Glückes sein zu wollen.Man muss wissen, was man schon zuseinem Glücke hat. Es ist ja nicht zufaul, um sich vom Lager zu erheben(Telemann), es ist ein Geschenk, dasman sich durch Antrag nicht aushän-digen lassen kann. Es basiert auf demErlebnis, sich in der Unmittelbarkeitdes Schöpfers geborgen zu wissen.

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    BWV 52 / CD 17 / Dürr: 694Falsche Welt, dir trau´ ichnicht

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Solist: Seppi Kronwitter, Tölzer K.Wenn Bach in der Kantate IV desWeihnachts-Oratoriums das Fazitmit den Worten zieht: „Ich will nurDir zu Ehren leben, mein Heiland,gib mir Kraft...“, dann muss er sichfragen, wie ein Kind zu seinem re-ligiösen Empfinden Stellung bezie-hen kann und mit welcher Reaktionvon außen es zu rechnen hat.Flagge zeigen Kinder, bevor siemerken, was das für sie an Folgenhat. Es gilt also, Stellung zu sichselbst zu beziehen, und es gilt als-dann, sich darüber klar zu werden,was das Umfeld verträgt und wo-rauf es „allergisch“ reagiert.Bach bezieht nicht mehr das Wa-rum einer Entscheidung für odergegen etwas ein. Der Alt ist hiernicht nötig: Kinder sitzen immer imgleichen Boot, ganz gleich, wel-cher Funktion man sie unterordnet.Und so überträgt der Komponistdem Sopran diese Markierung ihrerunverrückbaren Position vor, nichtunter dem Schöpfer, und er teilt esin zwei Aussagen.

    Die erste bezieht sich auf dieunauslöschbare Verbundenheitdes kindlichen Schöpfungs-kernes mit dem gesamtenGeiste Gottes, die zweite rech-net mit der Falschheit und dervorgespiegelten Kompetenzder Meinungsverteiler ab.„Ich geh´ und suche mit Ver-langen“ stellt die VerbindungMensch – Schöpfer = Kind –Jesus her und lässt nicht dengeringsten Zweifel an der lu-penreinen Entscheidungstiefeeines kindlichen Herzens.„Falsche Welt, dir trau´ ichnicht“ sammelt die Gesinnun-gen und hängt sie in denPflaumenbaum menschlicherDünkel, denn selbst im Winterkann man von dieser SorteObst massenhaft herunter-schütteln: die Mode, der Zeit-geist, die Profitgier fangenalles auf, was zu vertilgen ist.In der Dürr-Ausgabe notiereich das Jahr: 2013. Es ist einealso eine Momentaufnahme.

    Der Dichter knüpft die Schwere sei-ner Vorwürfe an eine der Pharisäer-fallen und zeigt, wie weit man gehenwird, wenn er Abners Schicksaldurch Joabs Tat als Beispiel anführt.In Bachs Arie geht es um 2 Wörter:„Ich will nur Dir zu Ehren leben“,was besagt, zu keines Menschen undzu keiner Macht werde ich mich zurVerfügung stellen. Wenn man nundie verlangten Unterwürfigkeitsfor-mulierungen, die Gesten der Unter-werfung, die tiefen Diener, dieKnixe und all die Zeichen der Ehr-erbietung, die damals verlangt wur-den, vor dem Hintergrunde einessolchen Selbstverständnisse deutenwill, gibt uns der Dichter und damitauch der Komponist einen wertvol-len Hinweis:„Also kann ich selber Spott mit denfalschen Zungen treiben.“Eine solche Weite springt sofort insAuge – aber wer will sich schon zuseinen eigenen Makeln bekennen?Da tut man so, als habe man es nichtgehört. Und wenn es schon ein Kindsingt – wen kümmert´s?

    Da sich Bach nicht scheut, den 1. Satz ausdem 1. Brandenburgischen Konzert, etwasanders instrumentiert, dieser Solokantate vor-anzustellen, soll dieses Werk nur Mut ma-chen, wo andere aufgeben. Es ist eine Anti-Mobbing-Anleitung, die folgende Schrittegeht:1. Der Zustand der Welt ist Heimtücke undUntreue, selbst unter Freunden.2. Wenn ich gleich verstoßen bin, und ist diefalsche Welt mein Feind, so meint Gott, meinFreund, es nur redlich mit mir.3. Dreimal ruft sich unser Sänger ins Herz:

    „Gott ist getreu!“ Mag darum die Weltalleine bleiben, kann ich selber Spott mit denfalschen Zungen treiben – die können michmal....Anders gesagt: Gott ist mit mir, ich bin mitGott unterwegs in dieser Welt, also könnensie über mich reden und denken, was sie wol-len! – Mit dieser Haltung wehrt man alle Nie-derträchtigkeit und üble Nachrede ab – dakann das Internet noch so gewaltig sein! -Wer kann mit solcher Charakterwaffe richtigumgehen – wer kann so etwas überzeugendsingen?Seppi Kronwitter heißt die Wahl – und dieserJunge formt diese befreienden Gedanken ausbefreiter Brust und unbescholtener Gesin-nung, aus tiefer Überzeugung und doch auchals immerhin noch Schutzbedürftiger. Beialler Courage: Das übt man nicht nur ein: Dasmuss in einem gewachsen sein!

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    BWV 49 / CD 16 / Dürr: 657Ich geh´ und suche mitVerlangen

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Solist: Peter Jelosits, W. Skn.Wie muss auf einen Jungen / aufein Kind die Erlösung gewirkt ha-ben, wenn es gewohnt war, „HerrVater“ und „Frau Mutter“ zu be-dienen, aber ihm frei stand, mitdem höchsten Wesen, das man sichvorstellen konnte und vielleichtauch durfte (?), auf Augenhöhe einGespräch zu führen!Wenn man mit Stockschlägen undKarzer über den Büchern litt oderauf dem Felde rackern musste wiedie alten, aber als Chorknabe miteiner Sprechweise zum Singen an-geleitet wurde, die Ehrerbietungnicht mit Liebe gleichsetzte, dieeine Vertrautheit erlaubte, die mansogar laut in die Gemeinde singendurfte, ohne dafür durchgeprügeltzu werden?Dieses Zwiegespräch zwischenSeele und Jesus ist nur halb symbo-lisch: der Bass übernimmt die Rol-le, der Sopran ist sich selbst, und soentwickelt sich eine Intimität, diesich nicht verspotten lassen muss.

    Diese Kantate ist eine Liebes-erklärung des Schöpfers anseine Geschöpfe, exemplarischvorgeführt an diesem Zwiege-spräch, und ist für jeden gültig– er muss es nur erkennen undauch annehmen wollen.„Ich stehe vor der Tür, machauf, mein Aufenthalt“ gibt sichsogar als angestammter PlatzJesu, und jetzt ist kein Haltenmehr: Das Verhältnis Schöpferzur Kreatur ist wie Braut undBräutigam: Einer kann ohneden anderen nicht glücklichsein.Lassen Sie das mal ein Kindsingen, mit dem Sie zuvor die-se Gedanken und Erkenntnissebesprochen haben!Es gibt sehr tüchtige Chorlei-ter und begnadete Lehrer. Esgibt kaum Menschen, die alsVertraute der kindlichen Psy-che in Ehrfurcht deren Stimmelauschen können. Aber diesenBach gibt es nur einmal!

    Kunst ist Verkündigung; Kantatensollen erbauen, belehren, Mut ma-chen, sollen Perspektiven aufzeigenbzw. erneuern und verstärken. Aberdiese hier stellen die Weichen ineine Richtung, die man nicht nurakzeptieren kann, sondern die einemklar machen, was die Welt wäre,hätten wir ihren Verkündigungsge-halt und die daraus leuchtendeWahrheit nicht erfahren. Und es istHarnoncourt und den drei großenChören zu danken, dass wir dieseEinspielung verfügbar bekommenhaben: Das ganze Spektrum derBachschen Gesinnung wie aus ei-nem Pokal genießen zu dürfen, istein unschätzbares Geschenk.Was die jungen Solisten betrifft, soist den wenigsten wohl klar, was siehinterlegt, welche Spuren sie hinter-lassen haben und wohin die führen.Ihr kurzes Wirken ist kein Glied ineiner sich stetig verlängernden Ket-te, sondern es sind Perlen auf einerSchnur, es sind kostbare Steine mitunfassbarer Leuchtkraft.

    Wer kann sie je in Würde tragen? -Auch diese Kantate beschreibt dasAktionsfeld in besonderer Weisedurch eine Sinfonia, hier nicht mitFestmusik, sondern mit obligater Or-gel, die danach in die Bass-Arie über-geht, welche die Position Jesu derSeele gegenüber beschreibt. Das jetztim Dialog beschriebene Verhältnisvon Braut und Bräutigam, die sich inHingabe küssen, darf auf keinen Fallwörtlich genommen werden. Es istdie Beschreibung des Ausmaßes anlebenslanger Sehnsucht zum Schöpferund zu Jesus, es ist eine Freundschaftmit der Reinheit eines Kindes, das anerotischem Verhalten kein Interessehat und die Natürlichkeit seines ganz-heitlichen Lebensgefühls öffnet, umdem Schöpfer nirgend etwas vorzu-enthalten.Einem Jungen diese Unantastbarkeitder Gesinnung zuzubilligen, ist wohlnur dem Künstler auf sehr hohem Ni-veau möglich, und aus diesem Gefühlso etwas zu zitieren, ist Peter Jelositsinterpretatorisches Vermächtnis.

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    3. Der äußere Kreis: Die Knaben-Solostimmen in den übrigen Kirchenkantatenund den großen Formen Passion – Messe - Oratorium

    BWV 21/ CD 7 / Dürr S. 456:Ich hatte viel Bekümmernis

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Diese zweiteilig aufzuführende Kantatelässt uns empfinden, was uns als Rück-blick auf erlittenes Leid beschäftigen wird.Es ist der Herzenskummer, der durch dieTröstungen durch die Botschaften desSchöpfers behoben wurde / ... werdenkann.Der Textdichter lässt uns Revue passieren,wo wir einmal gestanden haben und immerwieder stehen werden, und das muss be-schrieben werden, um den Wert der Hei-lung zeigen zu können.Welche Anstrengungen hat der Menschauf sich genommen, um da herauszukom-men? Und wie weit ist alle Initiative ge-lähmt, wenn wir den Weg nicht wissen?So begibt sich der Mensch in den Dialogmit dem Schöpfer, die Seele in den mitJesus, und von dort kommen die trostrei-chen Worte, obwohl wir häufig glaubenmüssen, Gott habe uns verlassen.Eine Kantate des Trostes, des Aufrichtens,der Vorstellungen der göttlichen Mittelgegenüber dem Versagen menschlichenKalküls und Schuldbelastung!

    Alt und Bass sind hier nicht gefragt. Esgeht also nicht um ein ethisches Problemoder um die Unzuverlässigkeit funda-mentaler Schöpfungsziele.

    Der Eingangschor zeichnet keineBestandsaufnahme der Belastungenoder stellt eine Liste der Eigenschuldauf. Harnoncourt entwickelt den Ge-sang als einen Prozess, um damit zuzeigen, dass in jeder Lebenslagestets die Energie der positiven Ver-änderung angelegt bleibt.Der Sopran (der Name des WienerSängerknaben bleibt ungenannt)trägt als der Vermittler zwischendem Gewissen und dem Willen Got-tes die Empfindungslage vor undlässt miterleben, was sich im Herzenabspielt. Der Tenor schildert dieVersuche, sich davon wieder zu be-freien, indem er Gott auf seine Wei-se sucht: an allen Orten, aber das istgar nicht nötig, denn Jesu Verspre-chen gilt, das er den Menschen gege-ben gab. Der Chor sammelt sich imgemeinsamen Bekennen und erinnertdurch die sich entwickelnde Chorfu-ge an „die ewigen Gesetze der Ster-ne“, an Gottes unverbrüchlicheLiebe

    Das ins Wanken geratene Funda-ment – hier: Jesus! – schaltet sichein, um die scheinbare Hilflosigkeitneu zu orientieren. Stimmt also das

    Es geht nicht ohne den Dialog zwischenMensch und Gott, zwischen Seele und Jesusals der zum Menschen gewordenen Offen-barung des göttlichen Wesens. In der Ge-meinde – und das ist ihre eigentliche Stärkedes gemeinschaftlichen Versammelns – fin-det sich der Trost in der Vielzahl gleich Be-troffener, man sammelt seine Ängste undSorgen im Gebet, das jemand für alle for-muliert. In der Eidetik findet dieses Ge-spräch zwischen Himmel und Erde zwi-schen den unmittelbar Beteiligten statt. Da-bei leistet sich der Mensch meistens dieKühnheit, sich als Opfer zu betrachten, dasGott zu verantworten und damit auch zu er-lösen habe – natürlich auf der Basis desBittens und der gewährten Gnade. Da dasaber ungehörig und undankbar wäre, ver-kleidet es der Mensch in Selbstschuld undschiebt es auf die Erbbelastung durch Adamund dessen Ungehorsam. Der Sopran fasstes in die Vermutung, Gott müsse hassen,wo er nicht gnädig sein könne. Im Dialogmit seinem Schöpfer bzw. dessen Sohn er-fährt er im Namen der Menschheit, was ansolchem Denken „dran“ ist. Und daran lässtdiese Kantate die Gemeinde teilhaben!

    Die Stimmlage des Sopran an sich und dasAusdrucksvolumen des hier eingesetzten

    An sich wäre es mit der Sentenz getan, diesich im Text des Chorals „Wer nur den liebenGott lässt walten“ spiegelt. Aber Bachs mehr-schichtige Behandlung der Texte ergibt sichaus der Notwendigkeit, einer Grundhaltungder Glaubenszweifel entgegenzutreten, diesowohl aus kollektivem als auch individuellgespeistem Misstrauen immer wieder auf-keimen wird. Während der Chor im tutti eineGesamtaussage in zwei Strophen dieses Kir-chenliedes ausführt, entwickelt sich darüberund somit sich vermischend die Stimme derWegführung, die mit dem Thema durchwirkt:„Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, dennder Herr tut dir Gutes“ – nicht: wird dir Gutestun: Es geschieht also augenblicklich!Hier ist der Sopran die Stimme der Ausfüh-rung göttlicher Verlässlichkeit, was meint:Aus wahrem Trost entwickelt sich die Urkraftneuen Lebens! Also ist auch der Irrtum nichtaus sich möglich, sondern die Folge einer Be-lastung, die sich im Fehlermachen auslässtund sich aus eigenen Kräften nicht zu wehrenweiß.Der Schlusschor könnte eine hommage anHändel und seinen festlichen Kompositions-stil sein, ein grandioser Lobgesang auf dieGröße Gottes – sofern überhaupt beschreib-bar! Und das kann nur das befreite Herz!

    Die Stimme der Höhe und Weite ist auch die

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    Der Tenor als das Prinzip der Lebensinitia-tive rotiert in Ziellosigkeit, da ihm dasRuder gebrochen scheint, der Sopran stelltsich in das Spannungsmoment Glaubens-ziel und dessen faktische Unerreichbarkeitdurch die Probleme des Lebens.

    Fundament (= die Zusage Jesu, demMenschen seine Liebe niemals zuversagen), kann sich neue Kraft bil-den und darauf verweisen, dass die-se Zusage ja auch nie in Zweifel zuziehen war.

    Knabensolisten zitiert in der ersten Arie dieVerfassung der Schicksalsbetroffenen, dennwer will sagen, was im Herzen dieses Jun-gen tatsächlich an Schädlichem abgeladenwurde? Fragen wir es doch, indem wir inseine Vorhöfe treten ....

    der Unschuld, die sich über dem Chorgesangzusichernd entwickelt: Wer könnte es einemKinde gleichtun, das uns spiegelt, wer wirsind, was wir denken und wollen, das unsermutigt und unter dem Wahn zu leiden hat,es sei an sich selbst schuld?

    BWV 147 / CD 45 / Dürr: 742Herz und Mund und Tat undLeben

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Knabensolisten des TölzerKnabenchores:Alan Bergius, SopranStefan Rampf, AltWir erlauben uns, diese Kantate in roterSchrift hervorzuheben, weil sie mit Sopranund Alt durch Jungen besetzt ist und unssomit erlaubt, das Zusammenwirken die-ser Aussageform zu untersuchen und zubesprechen.1. Frage: Wann beziehen wir Position und zeigen in unserer Glaubensüberzeugung Flagge? Antwort: Wenn ohne jede Heuchelei das Herz befragt werden, der Mund freimü- tig reden, unser Wille zur Tat werden und unser Leben das darstellen kann, was wir bekannt haben. Wir sollen uns an Maria, Elisabeth und Johannes in ihr ein Beispiel nehmen.2. Der Tenor tut kund, was geschieht, wenn wir uns da verweigern: Es droht Strafe! Dem schickt er im 2. Teil der Kantate noch ein Gebet hinterher.

    Als Glaubensfundament bestärkt derBass den Willen, von den Wundernzu singen (= Dürr schreibt „Wun-dern“, Breitkopf & Härtel schreibt„Wunden“, aber in der englischenÜbersetzung: „Of Jesus all my soulis singing“, was zu der leisen Hoff-nung berechtigt, es handele sichdoch um einen Druckfehler und das„r“ sei dabei entfallen).Der Chor beschließt cantus-firmus-artig den 1. wie auch den 2. Teil mitdem gleichen Chorsatz, aber unter-schiedlichen Liedstrophen; das in-strumentale Geschehen bewegt sichlebhaft um das Credo der Singendenherum. Dabei droht dieser Einschubzur formalen Floskel hinabgestuft zuwerden, weil sich dickhäutige Emo-tionsbüffel die Melodie zu allerleiKurzweil mit simpelster Instrumen-talreduktion als Kirchenschlager ein-verleibt haben – und das schmerzt –ob bespielt, geträllert oder beides -ungemein!

    Wenn man bedenkt, dass „Gott ist die Lie-be“ in Religionsstunden den allzu skeptischabgelenkten Schülern unter Ohrfeigen ein-getrichtert wurde, muss man sich wehren,ein Glaubensbekenntnis von Kindern er-zwingen zu können. Es zeugt auch von un-fassbarer Ignoranz gegenüber der Kernaus-sage Jesu. So lässt Bach seine Solisten mitder Oboe als das Signal der Hirtennähe dasPrinzip Bekenntnis erklären, das aus derSeele kommen muss und nicht, aus demKatechismus abgelesen, ein Lippenrezitie-ren bleibt.Stefan Rampf singt mit seiner Altstimme:„Schäme dich, o Seele, nicht, deinen Hei-land zu bekennen, soll er dich die seinenennen vor des Vaters Angesicht.“Die Seele hat ihre eigenen Ausdrucksmittel,nicht nur den Mund, sondern in der Tat er-kennen wir ihr Anliegen. Und noch einmalauf der ethischen Ebene die Ermutigungnach innen:Der höchsten Allmacht Wunderhand wirktim Verborgenen der Erden... Gott ... will ineuch des Geistes Kraft erregen, ja Dankund Preis auf eure Zungen legen.

    In dem italienischen Film „Himmel und Höl-le“ hören wir Pater Ignatius empört sagen:„Jesus thront nicht im Himmel – er ist hierauf Erden – im Getümmel!“Tenor und Bass als die Vertreter des irdi-schen Strebens nach Erlösung schreitenstimmkräftig zur Tat. Aber der Himmel webtsich doch aus den Stimmen der Kinder.Der Sopran Alan Bergius singt:„Bereite Dir, Jesu, noch itzo die Bahn, meinHeiland, erwähle die gläubige Seele undsiehe mit Augen der Gnaden mich an“.Was der Dichter im 84. Psalm beschreibt underklärt, macht Jesus in Matthäus 18, 1-11 zurChefsache – aber tragen die Jungen mit ihremGesang nun die Eulen nach Athen -: denVogel der Weisheit in die Stadt der Philoso-phen – ihr Wesen in die Obhut der Kirche?Sachlich gesehen, dürfte kaum jemand be-griffen haben, von welcher Plattform ausihnen die Offenbarung der Knaben gesungenwurde oder wird. Wären es erwachsene Sän-ger /-innen, könnte man sagen: Sie haben ihreAufgabe erfüllt und den Text und die Musikinterpretiert. Aber die eigentliche Botschaftbleibt ihnen verborgen. Sie formt sich in der

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    Nachtrag:Wir lenken unser Augenmerk auf die bei-den Arien der Jungen. Dazu benötigen wirdie Symbolsprache Bachs:Gott / Schöpfer = 1 Ton (Tonika / Oktave)Jesus = 2 Töne, Tonika-Dominante, aberauch als Quinte oder Prime denkbar, sodass die Quinte den Raum zwischen Ur-sprung und Materie meint, also Gott undKreatur als Lebensmitte, und die Prime alsTonwiederholung „Jesus“ die Identität desKindes mit dem Vater bestätigt.Heiliger Geist = 3 Töne – der Dreiklang,Dur oder Moll, schreiend als verminderterDreiklang oder übermäßig, hängt vomText bzw. Sachverhalt ab.

    Der Alt wird in der Arie „Schämedich, o Seele, nicht“ von der Oboebegleitet, häufig in gebrochenenAkkorden, was meint, dass derRaum der Möglichkeiten durchmes-sen werden soll, den Gott uns zumLeben verfügbar macht, bis vor SeinAngesicht, und hier wird der Laufdoppelt schnell.Die Sopran-Arie übernimmt andeu-tend das Kopfmotiv der Oboe ausder Alt-Arie und weitet sie lebhaftaus. Die Begleitung der Violine anStelle der Oboe hat ihrerseits schonmit einer Variante des gleichenKopfmotivs ein bewegtes Spiel inDreiklängen begonnen, die inTriolen zu einem ruhigen Bass-Fundament eine Verkündigungeigenen Inhaltes erstrebt.

    Der Sopran zitiert das Anliegen der Gläu-bigen als perpetuum mobile einer kirchlichnotwendigen Dauerthematik – und die mei-sten Erwachsenen haben es ja auch nötig! -, während Bach das Eigenleben der Solo-Violine beauftragt, seine triolenfreudigesDreiklangssequenzen durch verschiedeneTonarten zu lenken, was meint: Währendder Mensch sich in Buße und Reue abrak-kert und nur zu gerne verzweifelt undglaubt, Gott habe ihn mal wieder verlassenoder sei in Urlaub, lässt der Schöpfer seinenGeist das menschliche Auf und Ab der Ge-sinnungen und Taten durchwirken, weil eres ihnen versprochen hat: „Ich bin bei euchbis an´s Ende aller Tage!“Wem das immer noch nicht reicht, verfolgeAlan Bergius bei der melodischen Ausge-staltung auf „Augen“, denn sie sind in ihrerHöhe lieblich zu schauen und voller Güte.

    individuellen Ton- und Melodiegestaltungder jungen Sänger: Merkt darum also auf....!

    Die thematische Verwandtschaft kennen wirbereits aus dem Weihnachts-Oratorium IVund der Arie der Osterkantate: Hier war esBachs eigene Identifikation mit der Gewiss-heit des göttlichen Wirkens in der Welt, dieer bekennen wollte.In dieser Kantate geht es um die Identität desBerufenseins zweier Kinder. Obwohl mit un-terschiedlichen Funktionsbereichen, sind siegleichwertig und im Resultat dem gleichenZiele verbunden, und darum bildet sich dar-aus der Bund der Gleichgesinnten in der Ver-kündigung.Wir dürfen davon ausgehen, dass alle in einerKantate mitwirkenden Kinder untereinandereinem solchen Bindungsprinzip verpflichtetsind, ohne dass sie davon etwas wüssten: Esist ihr „Gespür“ für ein überordnendes An-liegen des Komponisten, und er hat sein Au-genmerk auf sie gerichtet, also sind sie auchgemeint und aufgerufen.Das wissen sie.

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    BWV 194 / CD 58 / 424 / 789Höchsterwünschtes Freuden-fest

    HandlungsebeneWas geschieht? Was wird dargelegt?Worauf liegt der Schwerpunkt derDarstellung?

    Ethische EbeneWarum wurde das so verfasst? Warum die-se künstlerischen Mittel? Worauf zielt dieAussage? Warum diese Interpreten?

    Prophetische EbeneIn welche Richtung weist der Dialog Menschund Schöpfer? Welche Mittel begünstigendies, welche hätten gehindert?

    Knabensolisten des TölzerKnabenchores:Hans Stricker, SopranStefan Gienger, SopranAlfred Dürr verweist auf den Zweck dieserKantate. Es geht um eine Weihung – unddas erklärt vielleicht auch den Anlass des84. Psalms = Ein Lobgesang für das HausGottes und auf die Absichten, die mandarin verfolgt!Nun muss man wissen, dass einige Detailseinigen Krauskragen sauer aufgestoßensein könnten. Es gab zur Zeit des Psalmi-sten keinen Tempel, nur die Stiftshütte,und das Modell besagt, wie verletzlichdessen Bereich von außen war.In der Kantate werden die Eigenschaftendes Hauses Gottes schon beschrieben, undman sollte sich einmal Bachs Konzepteiner festen Burg, die Gott symbolisiert,vor Augen und Ohren führen, dann be-kommt dieses Gebilde eine ganz andereCharakteristik und wirkt symbolisch undcodiert geschützt zugleich.

    Da singt doch der Sopran alsmit der Angelegenheit bestensvertraut: Wie kann Gott einHaus gefällig sein, in das hierdoch die Eitelkeit „an allenEnden“ einzieht? Alsdann bit-tet er im Namen aller, dassGottes Feuer in uns dringe unduns Ihm heilig vor sich stellt.„Post concionem“ fordert derTenor die (somit) Heiligen auf,Gott in seinem Ehrenreiche zuloben. Und jetzt dreht Bachendlich die Rollen um: Der Bassübernimmt die Position zwei-felnder Menschheit, der Sopran,dessen Engel das Antlitz Gottesschaut (Matth. 18, 10), antwortetim Auftrage der Trinität. AlsSpiegel unserer Gesinnung darfer das nicht nur, er muss es, solautet der Auftrag des Schöpfers.Das aber verrät die Kantate nicht.

    Was nun errichtet die Botschaft der Ethik?Klar, dass man sich für diese Wohnung be-dankt, die sich der Schöpfungskern erbaut!Selbstverständlich, dass nur das auf den Al-tar des Allerheiligsten (= Herz) gehört, wasdem Schöpfer gewidmet ist! Wozu das be-fähigt, nämlich zu einem Gebet wie „SprichJa zu meinen Taten“, ergibt sich aus derGewissheit, dass Gott in eines jeden Brustwohnt, darin Ihm das Herz als eine „Hütte“gehört – wie deutlich soll man da nochwerden?Selbstverständlich muss man der Kirche alsInstitution Zoll bezahlen:„Gott wohnt nicht nur in einer jeden Brust,er baut sich hier ein Haus.“ Ja, wenn schon– inzwischen verscherbelt die Kirche ihreGotteswohnungen oder funktioniert sie um– wegen Mangels an Masse – wen küm-mert´s, hab ich doch meinen Gott – wo,wissen diese Manager dann auch nicht, aberist das so wichtig, wenn der Kontostanddoch beruhigt? –Wir hören keinen Knabenalt – keine Ariefür ihn – hat Bach ihn schlicht vergessen?Die Antwort kann nur der Text geben –oder die Sentenz dessen, was Ethik bewir-ken soll und, schlitzohrig an Gott vorbei,dann doch nicht darf.Wichtig ist: Es sind zwei Jungen, die sichdie Verkündigung aus ihrer Warte teilen:Hier hat der Dirigent d