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Leseprobe aus: Bernard Cornwell Das Zeichen des Sieges Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de. Copyright © 2009 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Das Zeichen des Sieges - rowohlt.de · ROWOHLT BUCH - Cornwell, Das Zeichen des Sieges Agincourt ist unt er all den dramatischen Episoden der englischen Geschi chte einer der am unmittelbarsten

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Leseprobe aus:

Bernard Cornwell

Das Zeichen des Sieges

Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

Copyright © 2009 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Azincourtist für meine Enkelin

Esme CornwellIn Liebe

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Inhalt

Prolog11

Teil eins Sankt Crispin und Sankt Crispinian 47

Teil zwei Normandie 163

Teil drei Zum Fluss der Schwerter 347

Teil vier Sankt-Crispins-Tag 423

Epilog535

Nachwort des Autors541

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« Agincourt ist unter all den dramatischen Episoden derenglischen Geschichte einer der am unmittelbarsten undanschaulichsten vergegenwärtigten Momente . . . Es ist einSieg der Schwachen über die Starken, des gemeinen Sol-daten über den berittenen Edelmann, der entschlossenenTat über große Reden . . . und es ist eine Geschichte vongrausamen Schlächtern und unvorstellbaren Gräueln.»

Sir John Keegan, Das Antlitz des Krieges

« . . . Da liegen viel Erschlagene und große Haufen Leich-name, dass ihrer keine Zahl ist und man über die Leich-name fallen muss.»

Buch Nahum 3.3

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Prolog

A n einem Wintertag des Jahres 1413, kurz vor Weih-nachten, beschloss Nicholas Hook, einen Mord zu be-

gehen.Es war ein kalter Tag. Über Nacht hatte strenger Frost

geherrscht, und noch um die Mittagszeit lag Reif auf denWiesen. Kein Windhauch regte sich, die ganze Welt war fahl,frostig und still, als Hook auf dem Hohlweg, der vom hoch-gelegenen Wald zum Mühlengrund führte, Tom Perrill ent-deckte.

Nick Hook bewegte sich wie ein Geist. Er war Forst-mann, und sogar an Tagen, an denen der vorsichtigsteSchritt wie brechendes Eis klingen konnte, ging er lautlos.Langsam arbeitete er sich den Hohlweg hinauf, auf demPerrill eines von Lord Slaytons Zugpferden an den Stammeiner gefällten Ulme geschirrt hatte. Perrill zog den Baumzur Mühle, um daraus neue Blätter für das Wasserrad zumachen. Er war allein. Das war ungewöhnlich, denn TomPerrill entfernte sich selten ohne seinen Bruder oder einenanderen Begleiter so weit von zu Hause, und Hook hatteihn noch nie ohne seinen Bogen über der Schulter in diesemTeil des Waldes gesehen.

Nick Hook blieb an der Baumgrenze stehen und verbargsich hinter einem Stechpalmengebüsch. Er war noch hundertSchritt von Perrill entfernt, der fluchte, weil die Karrenrillenim Weg gefroren waren, sodass der große Ulmenstamm inden Furchen hängen blieb und das Pferd sich gegen die An-

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strengung sträubte. Perrill hatte das Tier blutig geschlagen,aber das hatte nichts geholfen, und jetzt stand er mit derGerte in der Hand da und verfluchte das unglückliche Ge-schöpf.

Hook zog einen Pfeil aus der Tasche, die an seiner Seitehing, und überprüfte, ob es der war, den er benutzen wollte.Es war ein Breitkopf mit langer Halterungszunge, dessenSpitze so gearbeitet war, dass sie tief in den Körper einesHirschs eindringen konnte, ein Pfeil, der die Schlagaderaufriss, sodass das Tier verblutete, falls Hook das Herz ver-fehlte – allerdings verfehlte er es nur selten. Mit achtzehnJahren hatte er den Drei-County-Wettbewerb gewonnen,ältere, in England weithin berühmte Bogenschützen ge-schlagen, und auf hundert Schritt verfehlte er sein Ziel nie-mals.

Er legte den Pfeil über den Bogenschaft. Dabei beobach-tete er Perrill, denn auf den Pfeil oder den Bogen musste erkeinen Blick verschwenden. Sein linker Daumen hakte sichüber den Pfeil, und seine rechte Hand spannte die Sehneleicht an, sodass sie in die kleine, mit Horn verstärkte Kerbeam Ende des befiederten Pfeils rutschte. Dann hob er denBogen, die Augen immer noch auf den ältesten Sohn desMüllers gerichtet.

Er zog die Sehne ohne erkennbare Anstrengung zurück.Die meisten Männer, die keine Bogenschützen waren, hättendie Sehne nicht halb so weit zurückziehen können. Er da-gegen spannte sie bis zu seinem rechten Ohr.

Perrill hatte sich umgedreht und sah in Richtung des Müh-lengrundes, in dem sich der Fluss als silbriges Band unter denwinterkahlen Weiden dahinwand. Er trug Stiefel, Kniehosen,eine Jacke und darüber einen Mantel aus Hirschleder, und erahnte nichts davon, dass sein Tod nur noch ein paar Herz-schläge entfernt war.

Hook gab den Pfeil frei. Er schnellte glatt davon, die Hanf-

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sehne löste sich ohne das geringste Zittern von Daumen, Zei-gefinger und Mittelfinger.

Der Pfeil beschrieb eine gerade Linie. Hook sah dengrauen Federn nach, beobachtete, wie der sich verjüngendeEschenschaft mit der Stahlspitze auf Perrills Herz zuraste.Er hatte die keilförmige Stahlspitze geschärft, und er wusste,dass sie Hirschleder so leicht wie Spinnweben durchdringenwürde.

Nick Hook hasste die Perrills, genau wie die Perrills dieHooks hassten. Die Fehde reichte zwei Generationen zu-rück. Damals hatte Tom Perrills Großvater Hooks Großvaterim Dorfgasthaus getötet, indem er ihm einen Schürhaken insAuge rammte. Der alte Lord Slayton hatte erklärt, es habesich um einen redlichen Kampf gehandelt, und sich gewei-gert, den Müller zu bestrafen. Seitdem suchten die Hooksnach einer Gelegenheit zur Rache.

Sie hatten nie eine gefunden. Hooks Vater war bei demalljährlichen Fußballspiel zu Tode getrampelt worden, undman hatte niemals jemanden dafür zur Verantwortung ge-zogen, obwohl jeder wusste, dass es einer von den Per-rills gewesen sein musste. Der Ball war ins Schilf hinterdem Obstgarten des Herrenhauses geflogen, ein DutzendMänner waren ihm nachgelaufen, doch nur elf waren zu-rückgekehrt. Der neue Lord Slayton hatte bei der Vor-stellung, das als Mord zu bezeichnen, nur gelacht. «Wennman jeden aufhängen wollte, der beim Fußball einen um-bringt », hatte er gesagt, «dann müssten wir halb Englandaufknüpfen ! »

Hooks Vater war Schäfer gewesen. Er hatte eine Witweund zwei Söhne zurückgelassen, und die Witwe war nachzwei Monaten bei der Geburt ihrer toten Tochter gestorben.Ihr Tod fiel auf den Tag von Sankt Nikolaus und war zugleichNick Hooks dreizehnter Geburtstag, und seine Großmuttersagte, dieses Zusammentreffen sei der Beweis dafür, dass auf

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Nick ein Fluch liege. Sie versuchte diesen Fluch mit ihreneigenen Zauberkünsten zu bannen. Sie stach ihn mit einemPfeil, trieb die Spitze tief in seinen Oberschenkel und sagte,er solle mit diesem Pfeil einen Hirsch töten, dann würdeder Fluch von ihm weichen. Hook hatte mit dem blutver-schmierten Pfeil eine von Lord Slaytons Hirschkühen ge-wildert, doch der Fluch war geblieben. Die Perrills lebtenweiter, und die Fehde auch. Als ein schöner Apfelbaum imGarten seiner Großmutter verkümmerte, beharrte sie darauf,dass die alte Mutter Perrill die Braunfäule auf den Baumherabgerufen habe. «Die Perrills waren immer bloß wider-liche Scheißefresser», sagte seine Großmutter. Sie belegteTom Perrill und seinen jüngeren Bruder Robert mit dembösen Blick, aber die alte Mutter Perrill musste einen Ge-genzauber angewendet haben, denn keiner der beiden wurdekrank. Die beiden Ziegen, die Hook auf der Gemeindewiesehielt, verschwanden, und im Dorf wurde vermutet, dass dieWölfe sie geholt hätten, doch Hook wusste: Es waren diePerrills gewesen. Aus Rache tötete er ihre Kuh, aber das warnicht dasselbe, wie die Perrills selbst umzubringen. «Es istdeine Pflicht, sie zu töten», erinnerte Nicks Großmutter ihnimmer wieder, doch er hatte niemals eine Gelegenheit dazugefunden. «Der Teufel soll dich Scheiße kotzen lassen»,verfluchte sie ihn eines Tages, «und dann soll er dich in dieHölle fahren lassen.» Sie warf ihn aus dem Haus, als er sech-zehn Jahre alt war. «Du kannst von mir aus verhungern, duBastard », knurrte sie dabei. Sie wurde zu dieser Zeit langsamverrückt, und es war zwecklos, mit ihr zu reden, also gingNick Hook von zu Hause weg, und er hätte wirklich sehrleicht verhungern können, wenn es nicht das Jahr gewesenwäre, in dem er beim Sechs-Dörfer-Wettbewerb den erstenPlatz belegt hatte, indem er Pfeil auf Pfeil in die weit ent-fernte Markierung treffen ließ.

Lord Slayton machte Nick zu einem Forstmann, was be-

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deutete, dass er den Tisch Seiner Lordschaft stets mit Wild-bret versorgte. «Besser, du tötest sie rechtens», hatte LordSlayton bemerkt, «als dass ich dich für Wilderei aufhängenlassen muss.»

Und jetzt, am Sankt-Winebalds-Tag kurz vor Weih-nachten, sah Nick Hook seinem Pfeil auf dem Weg in TomPerrills Herz nach.

Er würde ihn töten, das wusste er.Der Pfeil schnellte dahin und senkte seine Bahn leicht

zwischen den hohen, frostfunkelnden Hecken. Tom Perrillahnte nicht, dass er auf ihn zukam. Nick Hook lächelte.

Dann flatterte der Pfeil.Eine Feder hatte sich gelöst, Leim und Bindung mussten

nachgegeben haben, und der Pfeil schwenkte etwas nachlinks, schlitzte die Flanke des Pferdes auf und bohrte sich inseine Schulter. Das Pferd wieherte, bäumte sich auf, warf sichnach vorn und zerrte dabei den großen Ulmenstamm aus dengefrorenen Furchen des Weges.

Tom Perrill fuhr herum und starrte zum hochgelegenenWald hinauf, dann begriff er, dass einem ersten Pfeil leichtein zweiter folgen konnte, drehte sich erneut um und ranntedem Pferd hinterher.

Wieder war Nick Hook gescheitert. Er war verflucht.

Lord Slayton ließ sich in seinen Stuhl fallen. Er war in denVierzigern und litt bitter darunter, dass ihn bei der Schlachtvon Shrewsbury ein Schwerthieb ins Rückgrat zum Krüppelgemacht hatte, sodass er niemals mehr in den Kampf würdeziehen können. Schlecht gelaunt betrachtete er Nick. «Wowarst du am Sankt-Winebalds-Tag? »

«Wann war der, Mylord? », fragte Hook anscheinend inaller Unschuld.

«Bastard », zischte Lord Slayton, und der Verwalter zogihm von hinten den Horngriff einer Pferdepeitsche über.

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«Ich weiß nicht, welcher Tag das war, Mylord», sagteHook starrköpfig.

«Vor zwei Tagen », sagte Sir Martin. Er war Lord SlaytonsSchwager und zugleich der Priester des Herrenhauses unddes Dorfes. Er war genauso wenig ein Ritter wie Hook, dochLord Slayton bestand in Anerkennung seiner hohen Geburtdarauf, dass er mit «Sir » angesprochen wurde.

«Oh ! » Hook täuschte eine plötzliche Erleuchtung vor.« Ich habe die Eschen unter Beggar’s Hill auf den Stock ge-setzt, Mylord.»

«Lügner », sagte Lord Slayton sofort. William Snoball,Verwalter und Bogenschützenführer Seiner Lordschaft,schlug Hook erneut. Der Peitschengriff traf hart auf denHinterkopf des Forstmanns, und Blut tröpfelte an HooksSchädel herunter.

«Bei meiner Ehre, Mylord», log Hook mit schmerzver-zerrter Miene.

«Die Ehre der Hooks», bemerkte Lord Slayton trocken,bevor er seinen Blick Hooks jüngerem Bruder Michael zu-wandte, der siebzehn Jahre alt war. «Und wo warst du? »

«Ich habe die Vorhalle der Kirche mit Stroh gedeckt, My-lord », sagte Michael.

«Das hat er wirklich», bestätigte Sir Martin. Der Priester,mager und hoch aufgeschossen in seiner fleckigen schwarzenRobe, ließ Nick Hooks jüngerem Bruder eine Grimasse zu-teilwerden, die bei ihm ein Lächeln darstellte. Jeder mochteMichael. Sogar die Perrills schienen ihn von dem Hass aus-zunehmen, den sie für die gesamte restliche Hook-Sippehegten. Michael war blond, während sein Bruder dunkel-haarig war, und im Gegensatz zu Nick Hooks düsteremWesen war seines heiter.

Die Brüder Perrill standen neben den Hook-Brüdern.Thomas und Robert waren groß, dünn und schlaksig, ihreAugen lagen tief in den Höhlen, ihre Nasen waren lang, und

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ihr Kinn stand hervor. Ihre Ähnlichkeit mit dem Priester SirMartin war unverkennbar. Die Dorfleute wahrten, mit derEhrerbietung, die man einem Kirchenmann von vornehmerGeburt schuldete, den Schein, die Perrill-Brüder seien dieSöhne des Müllers, während sie ihnen zugleich mit beson-derem Respekt begegneten. Die Perrills besaßen unausge-sprochene Privilegien, denn jeder wusste, dass die Brüdersich auf Sir Martins Hilfe verlassen konnten, wann immer siesich bedroht fühlten.

Und Tom Perrill war nicht einfach nur bedroht, sondernbeinahe getötet worden. Der graubefiederte Pfeil hatte ihnnur um eine Handbreit verfehlt, und dieser Pfeil lag nun aufdem Tisch im großen Saal des Herrenhauses. Lord Slaytondeutete auf den Pfeil und nickte seinem Verwalter zu, der dar-aufhin an den Tisch trat. «Das ist keiner von unseren, My-lord », sagte William Snoball, nachdem er den Pfeil in Au-genschein genommen hatte.

«Die grauen Federn, meint Ihr? », fragte Lord Slayton.«Niemand hier in der Gegend benutzt Graugans»,

sagte Snoball zögernd und warf Nick Hook einen mürri-schen Blick zu, «nicht zum Befiedern. Und auch für sonstnichts ! »

Lord Slayton ließ seinen Blick auf Nick Hook ruhen. Erkannte die Wahrheit. Jeder im Saal kannte sie, außer viel-leicht Michael, diese arglose Seele. «Peitsch ihn aus», schlugSir Martin vor.

Hook starrte die Tapisserie an, die unter der Galerie desSaales hing. Sie zeigte einen Jäger, der einem Keiler denSpeer in die Eingeweide rammte. Eine Frau, die nichtsweiter trug als einen Hauch durchsichtigen Stoffes, beob-achtete den Jäger, der mit einem Lendenschurz und einemHelm angetan war. Die Eichenstämme, auf denen die Ga-lerie ruhte, hatte der Kaminrauch von hundert Jahren ge-schwärzt.

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«Peitsch ihn aus», wiederholte der Priester, «oder schneidihm die Ohren ab.»

Hooks Blick glitt zu Lord Slayton zurück, und er fragtesich wie bei tausend anderen Gelegenheiten, ob er geradeseinen eigenen Vater ansah. Hook besaß das grobknochigeGesicht der Slaytons, die gleiche stark gewölbte Stirn, dengleichen breiten Mund, das gleiche schwarze Haar und diegleichen dunklen Augen. Er hatte die gleiche Größe unddie gleiche Kraft, die Seine Lordschaft besessen hatte, bevordas Aufrührerschwert in seinen Rücken gefahren war undihn an die ledergepolsterten Krücken gezwungen hatte, diean seinem Stuhl lehnten. Seine Lordschaft erwiderte denBlick, doch seine Augen verrieten nichts. «Diese Fehde istbeendet », sagte er schließlich, ohne die Augen von Hook zulösen. «Verstehst du? Es wird nicht mehr getötet.» Er deu-tete mit der Hand auf ihn. «Wenn einer von den Perrillsstirbt, dann töte ich dich und deinen Bruder. Hast du michverstanden? »

«Ja, Mylord.»«Und wenn Hook stirbt», Seine Lordschaft ließ den Blick

zu Tom Perrill wandern, «dann werdet du und dein Bruderan der Eiche aufgeknüpft.»

«Ja, Mylord.»«Der Mord müsste zuerst bewiesen werden», warf Sir

Martin ein. Ihm war die Entrüstung deutlich anzuhören. Dermagere Priester wirkte oft, als lebte er in einer anderen Welt,als sei er mit seinen Gedanken weit fort, und wenn seine Auf-merksamkeit dann plötzlich wieder in die Gegenwart zu-rückkehrte, platzte er mit seinen Worten so schnell heraus,als wolle er die verlorene Zeit einholen. «Bewiesen », sagte ererneut, «bewiesen. »

«Nein ! », widersprach Lord Slayton seinem Schwager,und um seinem Standpunkt Nachdruck zu verleihen, schluger mit der Hand auf die hölzerne Armlehne seines Stuhls.

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« Wenn irgendeiner von euch vieren stirbt, dann hänge ichden Rest von euch! Ganz einfach! Wenn einer von euch inden Mühlenbach fällt und ertrinkt, ist das für mich ein Mord.Habt ihr verstanden? Ich will, dass diese Fehde augenblick-lich beendet wird! »

«Es wird keinen Mord geben, Mylord», sagte Tom Perrilldemütig.

Lord Slayton sah Hook an, von dem er das gleiche Ver-sprechen erwartete, doch Nick Hook sagte nichts. «Ein paarPeitschenhiebe werden ihn Gehorsam lehren, Mylord»,schlug Snoball vor.

«Er ist schon oft genug ausgepeitscht worden! », sagteLord Slayton. «Wann war das letzte Mal, Hook? »

«An Michaeli, Mylord.»«Und was hast du daraus gelernt? »«Dass Master Snoballs Arm schwächer wird, Mylord»,

sagte Hook.Ein unterdrücktes Kichern lenkte seinen Blick nach oben,

wo Ihre Ladyschaft aus den Schatten der Galerie herausdie Szene beobachtete. Sie war kinderlos. Ihr Bruder, derPriester, zeugte einen Bastard nach dem anderen, doch LadySlayton war unfruchtbar. Hook wusste, dass sie auf der Suchenach einem Heilmittel heimlich seine Großmutter besuchthatte, doch ihre Zauberkünste hatten es nicht geschafft, einBaby hervorzubringen.

Snoball hatte bei Hooks Dreistigkeit wütend geknurrt,doch Lord Slayton hatte seine Belustigung durch ein unver-mitteltes Grinsen verraten. «Raus !», befahl er jetzt. «Alleraus, bis auf dich, Hook. Du bleibst.»

Lady Slayton sah zu, wie die Männer den Saal verließen,und verschwand in einem Zimmer, das hinter der Galerielag. Ihr Gatte betrachtete Nick Hook ohne ein Wort, bis erschließlich auf den graubefiederten Pfeil deutete, der auf demEichentisch lag. «Woher hast du den, Hook? »

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«Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen, Mylord.»«Du bist ein Lügner, Hook. Du bist ein Lügner, ein Dieb,

ein Gauner und ein Bastard, und ich habe keinen Zweifeldaran, dass du auch ein Mörder bist. Snoball hat recht. Ichsollte dich bis auf die Knochen auspeitschen. Oder vielleichtsollte ich dich einfach hängen. Damit würde ich der Mensch-heit einen großen Gefallen tun, sie müsste sich dann nämlichnicht mehr mit Nick Hook abgeben.»

Hook sagte nichts. Er sah Lord Slayton einfach nur an.Ein Holzscheit im Kamin zerbrach und ließ einen Funken-regen niedergehen.

«Aber du bist auch der verdammt beste Bogenschütze, denich je gesehen habe», fuhr Lord Slayton grimmig fort. «Gibmir den Pfeil.»

Hook nahm den graubefiederten Pfeil und reichte ihnSeiner Lordschaft. «Hat sich beim Flug die Befiederung ge-löst ? », fragte Lord Slayton.

«Sieht danach aus, Mylord.»«Du bist kein Pfeilmacher, oder, Hook? »«Ich mache schon welche, Mylord, aber sie werden nicht

so gut, wie sie sein sollten. Ich kann die Schäfte nicht ordent-lich verjüngen.»

«Dafür brauchst du ein gutes Abziehmesser», sagte LordSlayton und zupfte an den Federn. «Also, woher hast du denPfeil ? », fragte er noch einmal. «Von einem Wilderer ?»

«Ich habe letzte Woche einen getötet», sagte Hookwachsam.

«Du sollst sie nicht töten, Hook, du sollst sie zum Herren-haus bringen, damit ich sie töten kann.»

«Der Bastard hatte im Drosselwald eine Hirschkuh ge-schossen », erklärte Hook, «und dann ist er weggelaufen.Also habe ich ihm einen Breitkopf in den Rücken gejagt undihn hinter Cassell’s Hill begraben.»

«Wer war es? »

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«Ein Vagabund, Mylord. Ich vermute, er ist einfachnur hier durchgezogen, und er besaß nichts außer seinemBogen. »

«Einen Bogen und eine Tasche voll graubefiederterPfeile », sagte Seine Lordschaft. «Du kannst dich freuen, dassdas Pferd nicht draufgegangen ist. Dafür hätte ich dich ge-hängt. »

«Caesar hat kaum einen Kratzer abbekommen, My-lord », sagte Hook wegwerfend, «er hat nichts als eine kleineSchramme. »

«Und woher weißt du das, wenn du nicht dort warst? »«Ich höre so manches im Dorf, Mylord», sagte Hook.«Ich höre auch so manches, Hook», sagte Lord Slayton,

« und du lässt die Perrills in Frieden! Hast du verstanden?Lass sie in Ruhe! »

Hook besaß wenige Überzeugungen, doch er lebte in derfesten Überzeugung, dass er von dem Fluch erlöst würde,der über seinem Leben lag, wenn es ihm nur gelänge, diePerrills umzubringen. Er war nicht ganz sicher, worindieser Fluch bestand – vielleicht ja in dem beunruhigendenVerdacht, dass das Leben mehr zu bieten haben müsse alsden Dienst auf diesem Herrensitz. Doch schon bei dem Ge-danken daran, seinem Dienstherrn Lord Slayton wegzu-laufen, überfiel ihn die düstere Angst, von einem unsicht-baren und unbegreiflichen Verhängnis erwartet zu werden.Das war die Wirkung des Fluches, und er wusste nicht, wieer ihn anders loswerden sollte als durch Mord. Dennochnickte er gehorsam. «Ich habe gehört, was Ihr gesagt habt,Mylord. »

«Du hast es gehört, und du wirst gehorchen», sagte SeineLordschaft. Er warf den Pfeil ins Feuer, wo er einen Mo-ment lang lag, bevor er hell aufloderte. Ein guter Breitkopfverschwendet, dachte Hook. «Sir Martin mag dich nicht,Hook », sagte Lord Slayton mit gesenkter Stimme. Er sah an

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