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368 | Chemie in unserer Zeit | 35. Jahrgang 2001 | Nr. 6 Mit Thermogravimetrie und Raman-Spektroskopie Dem Fälscher auf der Spur HANS G. WIEDEMANN Laut europäischer Statistiken existieren über eine Million illegaler Nachdrucke von Chagall, Picasso-, Dalí- und Miró-Lithographien. Auch von asiatischen Holzschnit- ten wurden Raubdrucke angefertigt. Thermoanalysen ermöglichen es, zwischen Original und Fälschung zu unterscheiden. Abb. 1 Originaler Ukiyoe-Druck von Kunisada (1786-1864): Schauspieler auf der Bühne, 1846, (38 x 26 cm). Signiert mit Toyokuniga- und Toshidama-Siegel.

Dem Fälscher auf der Spur: Mit Thermogravimetrie und Raman-Spektroskopie

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368 | Chemie in unserer Zeit | 35. Jahrgang 2001 | Nr. 6

Mit Thermogravimetrie und Raman-Spektroskopie

Dem Fälscher auf der SpurHANS G. WIEDEMANN

Laut europäischer Statistikenexistieren über eine Millionillegaler Nachdrucke vonChagall, Picasso-, Dalí- undMiró-Lithographien. Auchvon asiatischen Holzschnit-ten wurden Raubdrucke angefertigt. Thermoanalysenermöglichen es, zwischenOriginal und Fälschung zuunterscheiden.

Abb. 1 Originaler Ukiyoe-Druck vonKunisada (1786-1864): Schauspieler aufder Bühne, 1846, (38 x 26 cm). Signiertmit Toyokuniga- und Toshidama-Siegel.

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T hermoanalytische Verfahren werden zur Untersuchungvon Papier und papierähnlichen Materialien eingesetzt

und ermöglichen eine Unterscheidung zwischen dem vomGraphiker benutzten originalen Papier und möglichen Imi-taten. Hierzu bedarf es aber oft der kombinierten Anwen-dung mehrerer Methoden, z.B. Massen- und Raman-Spek-troskopie; die jeweils benutzten Pigmente sind zusätzlichmittels Raman-Spektroskopie auseinander zu halten. Dievorliegende Untersuchung erstreckt sich von asiatischenHolzschnitten aus China und Japan bis zu Lithographien eu-ropäischer Künstler wie Marc Chagall, Pablo Picasso, JoanMiró und Salvador Dalí.

Utamaro (1753-1806) ist einer der vielgepriesenen Meister des traditionellen japanischen Holzschnitts. SeineDarstellungen hübscher Frauengestalten charakterisierendie populären Halbwelt-Idole der Tokugawa-Zeit, die be-liebten Kurtisanen der Vergnügungsviertel und die Bedien-steten der damals modischen „Teehäuser“ in der großenStadt Edo, dem heutigen Tokio. Er wurde zu einem derberühmten Maler des „Ukiyoe“ (Ukiyo-e: flüchtige, ver-gängliche Welt); auch in China wurden seine Bilder ge-druckt. Unterschiede gibt es beim Papier: Die Japaner be-nutzten Mitsumata-Papier, die Chinesen Bambuspapier. Hu-jü-zong (Nanking, 1619) und eine Gruppe chinesischer Meister entwarfen das „Buch der Zehnbambushalle“, wel-ches Holzschnitte als Anleitung für Nachwuchskünstler ent-hielt. 1717 erschien ein Nachdruck; ein Raubdruck tauch-te 1817 in Japan auf. Durch Thermogravimetrie kann man

die Zugehörigkeit anhand der unterschiedlichen landes-typischen Papiersorten (s.o.) feststellen.

Laut europäischen Statistiken sollen über eine Million illegaler Nachdrucke von Chagall, Picasso-, Dali- und Miró-Lithographien existieren.

Zusammensetzung von Papier variiert Papier ist ein Material, das weltweit bei der Entwicklung vonKulturen eine Hauptrolle gespielt hat. Je nach regionalerVegetation war die Entstehung verschiedener Papiersortenan unterschiedliche Rohstoffe geknüpft. Die Rinde be-stimmter Pflanzen diente in vielen Epochen und Gegendenzum Schreiben und Zeichnen. Papier im eigentlichen Sinnewurde um das Jahr 105 n. Chr. in China erfunden, wo Ts'aiLun aus Baumrinde und Pflanzenfasern, aber auch aus Lum-pen oder ausgedienten Fischernetzen das erste brauchbareSchreibmaterial herstellte. Von da an kam in China Papierallgemein in Gebrauch.

Später wanderte über die Seidenstraße die Kenntnis desPapiers westwärts, erst nach Turkestan, dann in die arabi-schen Länder. Doch die Produktionsmethoden für Papier(und Seide) hielt man gegenüber den Arabern streng geheim – bis zum Jahre 751, als nach der Schlacht von Sa-markand ein chinesischer Kriegsgefangener das Geheim-nis preisgab. In Europa kann bis zum Zeitalter der Kreuz-züge (12./13. Jahrhundert) noch nicht von einer Anwen-dung derartiger Papierherstellungstechniken ausgegangenwerden.

A B B . 2 | T H E R M O G R AV I M E T R I E

DTG-Kurven unterschiedlich alter Mitsumata-Drucke.

A B B . 3 | D I F F E R E N Z K A LO R I M E T R I E

Charakteristische DSC-Kurven von vier verschiedenen asiatischen Papiersorten.

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Über Korea erreichte die Papiergewinnung auch Japan,wo um 610 in Kyoto die Produktion begann. Über Jahr-hunderte hinweg wurde die Technologie kontinuierlich ver-feinert und auf die verfügbaren Rohstoffe abgestimmt. Vom18. Jahrhundert an bis zum heutigen Tag stellen die Japa-ner das sehr dichte und reinweiße Kozo-Papier aus Maul-beerbaumrinde her; als Bindemittel dient ein Gemisch ausReisstärke und -wurzeln. Man entdeckte danach auch an-dere Rohmaterialien in Gestalt der Mitsumata- und Gampi-Pflanzen, ist dabei jedoch auf deren wildes Vorkommen an-gewiesen, wohingegen die Rohstofflieferanten für Kozo-apier angebaut werden.

Angelpunkt dieses Artikels ist die Charakterisierung undder Vergleich von Papiersorten, die für japanische Ukiyoe-Farbholzschnitte benutzt werden. Sowohl die Materialienaus den traditionellen Kunstschulen seit dem 17. Jahrhun-dert als auch ähnlich aufgebaute heutige Japanpapiere sinddurch thermoanalytische und spektroskopische Methoden(z.B. Raman-Mikroskopie) hinsichtlich Art sowie Werdegang[1,2] zu bestimmen, was zu einer einfachen und zugleichdefinitiven Klassifikation führt.

ExperimentellesGeräte

Das METTLER TOLEDO Thermosystem TA8000 (TG850)wurde für die thermogravimetrische Untersuchung (TG)der Papierproben eingesetzt. Die erste Ableitung (DTG)diente für die quantitative Auswertung. Die Versuche wurden mit Heizrate von 5 K min–1 in strömender Luft (5 ml/min) in Tiegeln aus Aluminiumoxid ausgeführt. DasOxidationsverhalten der verschiedenen Fasern wurde auchmit Differtial Scanning Calorimetry (DSC825) in Alumi-niumoxid-Tiegeln mit Heizraten zwischen 0,5 and 5 K min–1

untersucht. Die gemessenen Kurven gestatten die Identi-fikation des Papiertyps und ermöglichen auch bei den Lithographien eine Zuordnung.

Raman-Messungen: RENISHAW System 1000 Raman-Mikroskop. Dieses System besteht aus einem Leica-DM-LM-Mikroskop mit einem 50fach vergrößernden Objektiv, ei-nem Gitterspektrometer mit 1200 Linien/mm und eine bisin den NIR-Bereich erweiterte Peltier-gekühlte CCD-Kamera.

Für die spektroskopische Anregung der blauen und grünen Pigmente diente ein luftgekühlter 20-mW-Argon-

Abb. 4 Nach-druck einerUkiyoe-Graphikvon Kiagawa Utamaro (1753-1806): TakshimaOhisa, Tochter eines Laden-inhabers, 1793.

> Abb. 6 Raub-druck einesUkiyoe-Originalsnach KitagawaUtamaro (1753-1806): Ein Paarbeim Entfernenvon Genickhaar-büscheln, ver-mutlich China,18./19. Jh., (Bam-busfaserpapier).

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Ionenlaser bei einer Wellenlänge von 514 nm; im Falle dergelben und roten Pigmente ein stabilisierter Diodenlaser(785 nm, 250 mW). Falls erforderlich, verringerte man dieLeistung des Lasers, dessen zurückgestreute Strahlung vonzwei holographischen Supernotch-Filtern am Eindringen inden Spektrographen verhindert wurde. Die Spektrenauf-

zeichnung erstreckte sich für die Anregung bei 785 nm von2000 bis 100 cm–1 und bei 514 nm von 3500 bis 50 cm–1.Alle Spektren sind basislinienkorrigiert.

Die pulverröntgenographischen Untersuchungen wur-den mit einem Philips-X’pert MPD PW 3040 System (Philips,

A B B . 5 | R A M A N S PE K T R E NAbb. 5 a Raman-spektren des Kunisada-Holz-schnitts: oben = rote Stelle;unten = unge-färbte Stelle.

Abb. 5 b Refe-renz-Ramanspek-tren von Zinno-ber, Marsrot, El-fenbeinschwarzund Ruß [5] derKunisada- undUtamaro-Drucke.

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Eindhoven, NL) mit CuKa1 Strahlung (1=0.1541 nm) durch-geführt.

Die morphoIogichen Unteruchungen und die Bestim-mung der eIetmentaren Zusamrnensetzung der Farbpig-mente erfolgte mit einem Raststerelektronenmikroskop LEOGemini 982 dcr Firma Zeiss Oberkochen Deutschland, wel-ches mit einern M-Serie Röntgenspektrometer (Si/Li-De-tektor) der Firma RÖNTFC ausgerüstet ist.

MaterialienEine Papierprobe entstammte einer Ukiyoe-Graphik, 1820vom Meister Kunisada gedruckt; dargestellt ist ein Schau-spieler auf der Bühne (Abbildung 1). Zum Vergleich wurdeein typverwandtes Mitsumata-Papier von 1952 ebenfalls un-tersucht. Zusätzliche Messungen fanden an anderen Papie-ren aus japanischer Fertigung statt, welche uns Fa. E. Mül-ler in Zürich zur Verfügung stellte. Dabei handelt es sich umKozo-Papier aus Maulbeerbaumrinde bzw. eine anderesPflanzenpapier (Ohmi-gampi-shi) aus den 1950er Jahren.Andere Papierproben wurden Drucken des Künstlers Uta-maro von 1786 entnommen und einem möglicherweise inChina hergestellten Utamaro-Nachdruck.

ErgebnisseDie Ergebnisse der Thermogravimetrie (TG) bei den zweiMitsumata-Proben (Mitsumata 1952 und Kunisada 1847)sind in Abbildung 2 als DTG-Kurven ohne die gleichzeitigaufgenommenen TG-Kurven wiedergegeben. So lassen sichdie individuellen Komponenten der Papiersorten am bes-ten unterscheiden; die Massendifferenzen sind sozusagen inder ersten Ableitung deutlicher erkennbar. Für eine quan-titative Auswertung müssen beide Kurven (TG und DTG)herangezogen werden; man projiziert die Distanz zwischenzwei Minima auf die TG-Kurve, und erhält daraus die ent-

sprechenden Massendaten, wie sie in Tabelle 1 zu findensind.

Der erste Knick in den Kurven ist dem Wasserverlust zu-zuordnen (30-100 cm3). Die folgenden kleinen Signale bei140-160oC zeigen an, ob das Papier während der Produkti-on gegautscht worden war, was nur auf die Kunisada-Pro-be zutraf. Dabei wurden die Pflanzenzellen zerquetscht,und die freigesetzte Oxalsäure bildete mit CalciumionenCalciumoxalat-Monohydrat. Die geringfügige Massenab-nahme entsteht, wenn dieses sein Kristallwasser abgibt.

Den bedeutendsten Massenverlust jedoch verursachtdie Verbrennung der Cellulosebestandteile des Papiers. Inbeiden Kurven ist noch eine Gruppe von drei Peaks auszu-machen, die man der thermischen Zersetzung dreier Lig-nintypen zuordnen kann. Diese sind aufgrund verschie-dener Polykondensationsgrade der substituierten Coni-ferylalkohole [3] von unterschiedlicher thermischer Stabi-lität. Mit der Zeit schreitet die Polykondensation bei stei-gender Temperatur unter Wasserstoffabspaltung voran, bisschließlich die Zersetzung der verschiedenen Ligninsortenin diskreten Schritten erfolgt, woraus man das Alter des je-weiligen Papiers abschätzen kann. Das von Kunisada be-nutzte Mitsumata-Papier ist über 150 Jahre alt und zeigt un-terschiedliche Signalhöhen, was auf eine ausgedehnt langeSonnenlichteinwirkung deutet. Tabelle 1 gibt die Anteileder Einzelkomponenten beider Papiersorten wieder.

In Abbildung 3 sind DSC-Kurven der verschiedenen hi-storischen und zeitgenössischen Japanpapiere synoptischzusammengestellt. Der Kurvenverlauf ist dabei jeweils socharakteristisch, dass man rasch entscheiden kann, welcheFasern in der gerade vorliegenden Papierprobe vorhandensind.

Kitagawa Utamaro (1753-1806) gilt als einer der tüch-tigsten und bekanntesten Meister des Farbholzschnitts vor

Abb. 7 MarcChagall (1957),Opfer der Zeit.

> Abb. 8 MarcChagall (1958),Hahn in der Land-schaft.

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9 b TG-DTG-Kur-ven; die beidenPapiere zeigengleiches Zerset-zungsverhalten.

Abb. 9 a Raman-spektren der Cha-gall-Lithographi-en: gelbe und ro-te Farben (Per-manentrot 112[13] und Chrom-gelb PbCrO4 [5]).

A B B . 9 | R A M A N S PE K T R E N U N D T H E R M O G R AV I M E T R I E KU RV E N

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Kunisada. Diese Kunstrichtungentwickelte sich in Japanhauptsächlich aus einer be-stimmten Malerschule des 17.Jahrhunderts. Man bezeichnetden einschlägigen Stil als„Ukiyoe“, was grob übersetzt„Bilder der vergänglichen Welt“bedeutet Diese Art der Malereibeschäftigt sich eher mit klei-nen Alltäglichkeiten, wohinge-gen die „Ewigen Wahrheiten“vorzugsweise das Sujet der äl-teren Schulen waren. 1995 or-ganisierte das British Museumeine Ausstellung in London mitüber 1000 Bildern unter dem

Motto The Passionate Art of Kitagawa Utamaro [4]. Ein zeit-genössisches Bild (Abbildung 4) zeigt Takashima Ohisa, dieTochter von Takashima Chohei, dem Inhaber eines Laden-geschäfts für Reisgebäck.

Wenn solche Holzschnitte angefertigt wurden, kam esnicht nur auf die Mitwirkung des Zeichners und des Gra-veurs an, auch dem Papiermacher schrieb man einen we-sentlichen Anteil am Gelingen zu: Die hervorragende Struk-tur und die Oberflächenbeschaffenheit des Papiers aus derMitsumada-Manufaktur bewirkt einen blumenhaft zartenGlanz der Farbgebung.

Dem Vergleich der roten Pigmente in den Kunisada- undUtamaro-Holzschnitten diente die Raman-Spektroskopie. InAbbildung 5 sieht man das Ramanspektrum einer roten undeiner ungefärbten Stelle der Kunisada-Arbeit. Abbildung 5bzeigt die Ramanspektren von Zinnober, Marsrot, Elfenbein-schwarz und Ruβ zum Vergleich [5], d. h. das rote Pigmenteaus den Holzschnitt Kunisadas (Abbildung 1) ist Marsrot(Fe2O3). Der Utamaro-Druck (Abbildung 4) enthält eben-falls Marsrot, als schwarze Farbe diente jeweils Ruß. Derzweite Utamaro-Holzschnitt (Abbildung 6) gibt ein Paarbeim Entfernen von Genickhaarbüscheln wieder. Die Ra-man-Mikroskopie ergab für den roten Farbstoff Zinnober[6] und für den schwarzen Elfenbeinschwarz. All diesspricht eher für chinesische, denn japanische Provenienz

TA B . 1 | E RG E B N I S S E D E R TG - A N A LYS E

U N T E R S C H I E D L I C H A LT E R

M I T S U M ATA - PA PI E R E

Wasser 4,94 % 6,67 %

Calciumoxalat · H2O 0 % 0,50 %

Hemicellulose 0 % 25,66 %

Cellulose 70,45 % 42,71 %

Lignin 1 9,64 % 10,74 %

Lignin 2 8,50 % 5,06 %

Lignin 3 1,28 % 4,51 %

Asche 4,08 % 5,04 %

Zusammen- Mitsumata Kunisada setzung 1952 1846

Abb. 10 Pablo Picasso (1933)Trinkender Minotaurus mitzurücklehnenderFrau, Radierung[16].

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des Druckes Das Papier enthält laut TG-DTG Bambusfasern,was für China typisch ist.

Zeitgenössische LithographienÜber eine Million schwarzer Kopien von Lithographien dermodernen Klassiker Picasso, Dali, Chagall Miró usw. sollensich im Umlauf befinden. Die Thermoanalyse ermöglichteine Unterscheidung zwischen Original und Fälschung, undRaman-Mikroskopie zwischen den jeweils benutzten Pig-menten [5].

Marc ChagallAbbildung 7 zeigt eine Lithographie von Marc Chagall „Op-fer der Zeit“ [10], erschienen in Jacques Lassaignes Mono-graphie „Chagall“ (bei Maeght, Paris). Wir verglichen die gel-ben und roten Farben mit denen einer anderen Chagall-Lithographie „Hahn in der Landschaft“ [11] (Abbildung 8),herausgegeben 1958 bei Mourlot. Abbildung 9a zeigt die Ra-man-Spektren an einer roten und einer gelben Stelle: Of-fenbar wurden in beiden Drucken Chromgelb (PbCrO4)und Permanentrot 112 als gelber beziehungsweise roter

Farbstoff eingesetzt. Seit etwa 1980 ist man vom parallelenGebrauch anorganischer und organischer Pigmente im glei-chen Druck abgekommen und verwendet nur noch orga-nische Verbindungen als Farben [12, 13].

Die Thermoanalyse (TG und DTG) kam bei den Papie-ren der Chagall-Drucke ebenso zum Zuge. Die Kurven (Ab-bildung 9b) zeigen jedoch kein nennenswert unterschied-liches Zersetzungsverhalten, demnach besteht der Unter-grund jeweils aus Papier mit de facto gleicher Zusammen-setzung.

Pablo PicassoNicht zuletzt wurde die Testmethode auch auf Schwarz-Weiß-Lithographien angewandt: Zwei bekannte Werke Pi-cassos unterzog man der TG sowie DTG: „Les Dejeuners“[14] und aus der Vollard-Serie „Der Minotaurus“ (Abbildung10), trinkender Minotaurus mit einer sich zurücklehnen-den Frau“ Die Messungen ergaben auch hier kein unter-schiedliches Verhalten bei der Zersetzung der Druckpapie-re (Abbildung 11). In der Raman-Mikroskopie erwies sichder schwarze Farbstoff als Ruß.

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TG-DTG Kurven,die beiden Papie-re zeigen gleichesZersetzungs-verhalten.

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Die Vollard-Serie enthält nach aktueller Einteilung 27zwischen 1930 und 1936 erschienene separate Blätter mitverschiedenen Sujets sowie 73 Blätter aus fünf thematischenGruppen: Der Kampf der Liebe (5 Blätter von 1933), DasBildhaueratelier (46 Blätter – die ersten 40 in regelrechtemSchaffensrausch zwischen März und Mai 1933, die rest-lichen von Januar bis März 1934 entstanden), Rembrandt (4 Blätter vom Januar 1934), Der Minotaurus (11 Blätter,Mai/Juni 1933), Der blinde Minotaurus (4 Blätter, Septem-ber/Oktober 1934) und schließlich drei 1937 verfertigte

Portraits von Ambroise Vollard [15].

Joan MiròAn zwei Original-Lithographien des berühmten und

weltweit bekannten Künstlers des 20. Jahrhunderts, desSpaniers Joan Mirò, wurden verschiedene Untersuchungen.ausführt. Das in Abb. 12 gezeigte Werk wurde unter demTitel Miró & Artigas, Céramiques, von Adrien Maeght in Pa-ris 1974 editiert [16] und dekoriert mit einer weiteren Li-thographie die Zusammenfassung aller Keramikarbeiten derbeiden Künstler.

Sein Freund und Landsmann Artigas, der seit seiner An-kunft in Paris sein Begleiter wurde, hat in ihm die Freudeam Kunsthandwerk und die Liebe zu dieser Materie wie-

Abb. 13 Papier-streifen des Originals (Abb,19), Abschnitt 1 mm Breite

Abb. 12 a JoanMiró, Lithogra-phie vom EinbandMiró der Litho-graph II [17].

Abb. 12 b TG-DTG-Kurven; diebeiden Papierezeigen unter-schiedliches Zer-setzungsverhal-ten, d. h. der Um-schlag ist keinOriginallitho.

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Röntgendiffrak-togramm und Standard einergelb bedrucktenProbenstelle.

Die mittels Rönt-genemissions-spektren, EDX,bestimmte ele-mentare Zusam-mensetzung derProbenstelle des Bildes von Miró.

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dererweckt. Diese angewandte Kunst, die er in der Schulein Barcelona praktiziert hatte, sieht Miro mit anderen Au-gen; jetzt ist sie Wahrheit, Ziel, nicht Mittel oder Technik.

Untersucht wurde auch der Umschlag des II. BandesMiró der Lithograph. Das Werk enthält chronologisch ei-nen Teil der lithographischen Arbeiten Mirós. In der Litho-graphie hatte Miró ein Ideal einer neuen Formensprache ge-funden. Mit künstlerischen Elan schuf er Bilder der Kom-position, es sind Bilder der Konstellation der Anti-Monstren,die Mallorca und dem Mittelmeer-Himmel darstellen, dieBefreiung und Lösung sind.

Wie erwähnt wurden ab 1972 für Lithographien nurnoch organische Farbstoffe eingesetzt. Die methodischenUntersuchungen der verschiedenen Farben erfolgte am Pa-pierstreifen des Originals (Abbildung 13), da nur kleinsteAbmessungen der Probe am Messgerät angebracht werdenkonnten; d. h., es standen deshalb nur kleinste Mengen derFarbe zur Verfügung. Die röntgendiffraktometrischen Mes-sungen haben deshalb nur eine eingeschränkte Aussage-kraft. Immerhin lieβen sich drei Farbstoffe: Permanentrot112, 2,4,5-Trichloranilin-2-hydroxy-3-naphtho-2-toluidin(rot) Permanentgelb G, C34H30C12N6O4 (gelb) und Thio-xanthon C13H8SO (grün) als kristalline Phasen identifizieren(Abbildung 14).

Als Nachweismethode, ob nur organische Farbstoffe ein-gesetzt wurden, bot sich die energiedispersive Analyse vonRöntgenemissionsspektren (EDX) an. Es konnte gezeigt wer-

den, das mit großer Wahrscheinlichkeit ein Bleipigment (rotund oder gelb) für den Druck verwendet wurde. Dieser Be-fund ist sehr spezifisch und kann auch bei der Identifikati-on von Originalen bzw. Fälschungen als Unterscheidungs-merkmal dienen.

Ramanspektroskopische Messungen (Abbildung 16) ge-ben farbspezifische Spektren, die sich als „Fingerprints“ fürVergleichszwecke mit Standardfarbstoffen einsetzen lassen.Insgesamt ergibt sich durch die komplementären Methodeeine zusätzliche Möglichkeit zur Bestimmung.

Untersuchungen der beiden Papiere der Miró Bilder mit-tels Thermogravimetrie zeigen in den TG-DTG Kurven keingleiches Zersetzungsverhalten, der Umschlag des Miró Li-thograph II ist vom Papier her keine Orginallithographie.

Abbildung 15 demonstriert die Möglichkeit, mit demRamanmikroskop bis zu einer Größe A3 direkt am OriginalMessungen vorzunehmen. Derartige Messungen können beider röntgendiffraktometrischen Untersuchung aus räumli-chen Gründen nicht durchgeführt werden, man benötigtvielmehr eine kleine separate Probe, und diese Art von Un-tersuchungen sind daher nicht zerstörungsfrei.

Dalis Illustrationen für die Göttlichen Komödievon Dante

Salvador Felipe Dali (Figueras 1904-89) war ein exzentri-schen Künstler, Maler, Dichter und Schriftsteller. Durch dieBekanntschaft von Breton und Eluard wurde er vom Sur-

Abb. 15 DirektePositionierung eines Unter-suchungsobjektsauf dem Tisch des Raman-mikroskops.

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A B B . 1 6 | R A M A N S PE K T R E N D E R M I R Ó - L I T H O G R A PH I E N

Abb. 16 Perma-nentrot 112, Permanentgelb Gund Thioxanthongrün.

NC

NH

O

Cl

Cl

ClCH3

C25H14Cl3N3O2

2,4,5-Trichloranilin-2-hydroxy-3-nahtan-2-tohidinPermanentrot M

N

C

S

OThioxanthon C13H8OS

CH3

NH C

CC

HO

CH3

N

Cl Cl

N N

C

COH

CH3

NH

O

CH3

N

O

Permanentgelb G C34H30C12N6O4

2,4,5-Trichloranilin-2-hydroxy-3-naphto-2-toluidinPermanentrot 112

C24H16CI3N3O2

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realismus beeinflusst und hat einen eigenen Stil entwickelt.Das Hauptelement seiner surrealistische Malerei, ist dietraumähnliche Struktur der Wirklichkeit: Die Schatten, diePerspektiven, die anschmiegsamen und zartfühlenden For-men, bringen sehr gut die Doppelsinnigkeit eines Zustand-straumes zur Geltung, welcher die Wirklichkeit reduziertund teilweise zur Unkenntlichkeit bringt. Seine umfassen-de Eigenständigkeit hat zu einer Verschmelzung des Lebensund der Kunst geführt und durch seinen Exhibitionismus ei-ne Welt ohne Grenze hergestellt, weil der Künstler Dar-steller und Regisseur seines eigenen Images, seiner Personist [18].

Anfang der fünfziger Jahre setzte Salvador Dali das Eposder Göttlichen Komödie von Dante [19], in Aquarelle um.Das aus hundert Gesängen bestehende Epos der Erlösung,ist eine visionäre Wanderung durch die drei Reiche des Jen-seits welche Hölle, Fegefeuer und Paradies darstellen.. Voneinem Teil dieser Aquarelle, wurden von Raymond Jaquet,Paris, 1962, farbige Holzstiche angefertigt, Pro Bild wurden150 Exemplare vom Künstler nummeriert und signiert. Ab-bildung 27 präsentiert ein Bild dieser Holzstiche, La Splen-deur de Béatrice [20].

Dalí stellt in seinem Buch „50 Secretsof Magic Craftsmanship” [21] eine Listemit dauerhaften Pigmenten vor. Die Ra-man-Spektren zeigen, dass das Rot der Ab-bildung 17 dem Marsrot entspricht, dasBlau der Signatur wurde als ThioxanthonC13H8SO identifiziert. Während die ther-mogravimetrischer Papieranalysen vondem untersuchten Holzstich und demnicht umgesetzten Aquarell mit Signaturkeine Unterschiede in der Kompositionzeigten, sind die Aquarelle mit Atelier-stempel deutlich verschieden, so dass an-genommen werden kann, dass es sich umImitationen handelt.

Schlagworte: Thermogravimetrie,Raman-Spektroskopie, Papier, Pig-ment, Lithographie, Fälschung

ZusammenfassungVerschiedene Papiersorten aus Geschichteund Gegenwart lassen sich durch Kombi-nation geeigneter Analysenmethoden zu-ordnen: Thermogravimetrische-Messungenermöglichen eine qualitative Abschätzungdes Alters anhand der für das Lignin ge-messenen Werte. Mechanische Einflüsse wiedas Gautschen geben sich im Kristallwas-serverlust des Calciumoxalats zu erkennen.Durch gleichzeitige Anwendung von Ther-moanalyse und Raman-Spektroskopie hatman die Möglichkeit, Druckwerke jeweilsaufgrund der eingesetzten Farben zu unter-scheiden. Der heutige Übergang zu organi-

schen Pigmenten hat wohl den Anwendungsbereich dieserVerfahren erweitert, die Identifikation der Substanzen jedochzugleich erschwert.

DanksagungHerrn Prof. Dr. A. Reller, Universität Augsburg, danke ichfür die Durchführung der Röntgenpulverdiffraktions undEDX Messungen. Frau Dr. Claudia Marcolli, Solvias AG, Basel danke ich für die Durchführung der Messung der Ramanspektren der Farbpigmente.

Literatur

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[4] S. Anso, T. Clark, The Passionate Art of Kitagava Utamaro, The BritishMuseum Company Limited, London WC1 3QQB.

Abb. 17 Salvador Dali, Pracht der Béatrice (Splendeur de Béatrice).

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[5] Ian M. Bell, Robin J. H. Clark, Peter J. Gibbs, Raman spectroscopiclibrary of natural and synthetic pigments, Spectrochimica Acta PartA 53, 11999977, 2159-2179.

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[7] Privatsammlung, CH-8708 Männedorf.[8] E. Kaempfer, Geschichte und Beschreibung von Japan, Stuttgart,

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Verlag, Schweiz 11997700.[10] J. Lassaigne, Chagall, Maeght Editeur, 13, rue de Tehèran, Paris VIIIe

11995577.[11] Marc Chagall, Derriere Miror 107 (109), Maeght Editeur, 13, rue de

Tehèran, Paris VIIIe 11995577.[12] H. Zollinger, Color Chemistry, WILEY-VCH, Weinheim 22000000.[13] H. Kittel, Pigmente, Verlagsgesellschaft, Stuttgart 11996600.[14] Douglas Cooper, Pablo Picasso, Les Déjeuners, Editions Cercle

d’ Art, Rue Du Bac, Paris VIIe 11996622.[15] Picasso’s Vollard Suite, Introduced by Hans Bolliger, Erstpublikation

von Thames and Hudson Ltd., London 11995566.[16] Mirò & Artigas, Céramiques, Maeght Editeur Paris, Lizenzausgabe

Benteli, Verlag Bern, 11997744.[17] Mirò der Lithograph II, (1953-1963) Lizenzausgabe Weber Genf,

Maeght-Paris 11997755.[18] Marisa Vescovo, Salvador Dali: la vita è sogno, by Electra,

Fondatione Editori Associati, Fondatione Palazzo Bricherasio, Torina,Italy 11999966.

[19] Alighieri Dante, Ital. Dichter, *Florenz 1265, +Ravenna 1321,Göttliche Komödie, (Devina Commedia).

[20] Salvador Dali, Auktion Katalog Koller AG, Zürich, 11997722, No.3067 [21] Salvador Dali, 50 Secrets of Magic Craftsmanship, The Deal Press,

11994488, New York, USA.[22] Frank Weyers, Salvador Dali, Leben und Werk, Könemann

Verlagsgesellschaft, Köln

Der AutorDr. Hans G. Wiedemann begann sein Chemie-studium an der Rostocker Universität, wo er 1955sein Chemie-Diplom ablegte. Später Wechsel in dieSchweiz zur Firma Mettler Instrumente AG (1960),Entwicklung von thermoanalytischen Geräten undderen Applikationen. 1966 erfolgte an der Univer-sität Bern das Doktorat auf dem Gebiet derbasischen Zinkkarbonate bei W. Feitknecht.Orientalisches Seminar der Universität Zürich.Besuch von 1978–95 verschiedener Vorlesungenüber Ägyptologie. 1993–99 Gastprofessur fürAchäometrie am Birkbeck College, UniversitätLondon. 1993 Gründung eines eigenen Labors fürArchäometrie.

Korrespondenzadresse:Dr. Hans G. Wiedemann,Tränkebachstr. 17, CH-8712 Stäfa ZH,Schweiz