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Nomos Demokratiedefizit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU? Analyse des deutschen, britischen und Europäischen Parlaments Julian Böcker

Demokratiedefizit der Sicherheits- und ... · PDF fileKritik am liberalen Intergouvernementalismus 45 ... the debate about the de- ... many researchers tend to apply the German case

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Demokratiedefizit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU?Analyse des deutschen, britischen und Europäischen Parlaments

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Julian Böcker

ISBN 978-3-8329-7206-6

Inhalt: Das vermeintliche Demokratiedefizit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU basiert auf einem normativen Problemlösungsansatz, der die unterschiedlichen Demokratieverständnisse der Mitgliedstaaten nicht ausreichend berücksichtigt. Die empirische Untersuchung des deutschen, britischen und Europäischen Parlaments ermöglicht eine umfassendere Analyse.

Der Autor: Julian Böcker, geb. 1983, studierte European Studies und Politikwissenschaften in Maast-richt (NL) und Salamanca (ES). 2006 Master of Arts in European Studies, 2011 Promotion an der Uni-versität Duisburg-Essen. Seit 2007 parlamentarischer Referent von Elisabeth Jeggle MdEP im Euro-päischen Parlament in Brüssel.

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Analyse des deutschen, britischen und Europäischen Parlaments

Demokratiedefizit der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU?

Nomos

Julian Böcker

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1. Auflage 2012© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2012. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Zugl.: Duisburg-Essen, Univ., Diss., 2011

ISBN 978-3-8329-7206-6

Diese Arbeit wurde vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaftender Universität Duisburg-Essen als Dissertationzur Erlangung des Doktorgrades (Dr. rer. pol.)genehmigt.

Name der Gutachter:1. Prof. Dr. Heinz-Jürgen Axt2. Prof. Dr. Tobias DebielTag der Disputation: 4. Juli 2011

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Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis 15

Abkürzungsverzeichnis 17

Abstract 19

Einleitung1. 21

Forschungsfrage1.1. 23Forschungsstand und Forschungslücke1.2. 23Methodik1.3. 27Theoretischer Rahmen1.4. 31

Theoretische Debatte2. 33

Politische Integration auf verschiedenen Abstraktionsniveaus2.1. 33Intergouvernementalismus2.2. 35Liberaler Intergouvernementalismus2.3. 39Kritik an intergouvernementalen Integrationstheorien2.4. 43Kritik am liberalen Intergouvernementalismus2.5. 45Leidet die EU unter einem Demokratiedefizit?2.6. 49Argumente für ein Demokratiedefizit in der EU2.7. 51

Fehlende Transparenz und Undurchsichtigkeit der EU2.7.1. 52Die schwache Rolle des Europäischen Parlaments2.7.2. 53Unterhöhlung demokratischer Prozesse auf nationaler Ebene2.7.3. 55Das Fehlen einer kollektiven europäischen Identität(Demos)

2.7.4.56

Fehlende Repräsentanz der Politikpräferenzen derWählerinnen und Wähler

2.7.5.59

Argumente gegen ein Demokratiedefizit in der EU2.8. 59Nationale Regierungen verbleiben die wichtigsteLegitimationsquelle in der EU

2.8.1.60

Kein Defizit bei Vergleich Praxis auf EU-Ebene zur Praxisauf nationaler Ebene

2.8.2.63

Existierende Standards demokratischer Kontrolle sind nichtdefizitär

2.8.3.65

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Entparlamentarisierung – ein weitverbreitetes Phänomen im21. Jahrhundert

2.8.4.66

Erneuerung des permissiven Konsens bleibt aufgrund desanhaltenden Desinteresses der Bürger an der EU-Politik(normativ) begründet

2.8.5.

67Warum die EU nicht per se unter einem Demokratiedefizit leidet2.9. 69

Die Entstehung der GASP/GSVP3. 72

Vorboten der GASP/GSVP in den Anfängen der EuropäischenGemeinschaft

3.1.73

Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft3.1.1. 73Charles de Gaulle und der Fouchet-Plan3.1.2. 75Europäische Politische Zusammenarbeit3.1.3. 76

Europa als sicherheitspolitischer Akteur – die Schaffung der GASP3.2. 79Auslöser für die GASP/ESVP3.2.1. 79Der Vertrag von Maastricht – die Europäische Union und dieGASP sind geboren

3.2.2.81

Der Vertrag von Amsterdam3.2.3. 84Die Schaffung der Europäischen Sicherheits- undVerteidigungspolitik

3.3.87

Das französisch-britische Gipfeltreffen in St. Malo3.3.1. 88Europäische Rat von Köln – die Geburtsstunde der ESVP3.3.2. 89Europäische Rat von Helsinki – Ausbau militärischerFähigkeiten

3.3.3.89

Europäische Rat von Feira – Ausbau ziviler Fähigkeiten –Auflösung der operativen Aufgaben der WEU

3.3.4.90

Der Vertrag von Nizza und die GASP/ESVP3.3.5. 91Europäische Rat von Brüssel – Schaffung der EuropäischenSicherheitsstrategie

3.4.92

GSVP-Missionen in Aktion3.5. 95Vertrag von Lissabon – Auswirkungen auf die GASP/GSVP3.6. 97Das Ende der Zivilmacht Europa?3.7. 100Beziehungen zwischen EU und NATO in Bezug auf die GSVP3.8. 105Die Zukunft der GSVP – Erwartungen und Ziele3.9. 106

Die demokratische Legitimität der GSVP in der wissenschaftlichenDiskussion

4.109

Normative vs. empirische Legitimität4.1. 109Demokratische Legitimität der GSVP – ein Definitionsversuch4.2. 110

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Ergebnisorientierte Legitimation (Output-Legitimität)4.2.1. 114Intergouvernementale verfahrensorientierte Legitimation(Input-Legitimität)

4.2.2.116

Supranationale verfahrensorientierte Legitimation(Input-Legitimität)

4.2.3.119

Internationale demokratische Legitimität – Bindung an dasVölkerrecht

4.2.4.122

Demokratische Legitimität – ein „zweischneidiges Schwert“4.2.5. 123Defizite der demokratischen Legitimität der GSVP4.3. 124Das „doppelte“ Demokratiedefizit der GSVP4.4. 126Maßnahmen zur Verbesserung der demokratischen Legitimität derGSVP

4.5.127

Maßnahmen zur Verbesserung demokratischer Legitimitätauf nationaler Ebene

4.5.1.128

Maßnahmen zur Verbesserung demokratischer Legitimitätauf internationaler Ebene

4.5.2.129

Standardisierung parlamentarischer Kontrolle in der EU-274.6. 131Die Kluft zwischen normativen und empirischen Argumenten4.7. 132Argumente gegen ein Demokratiedefizit in der GSVP4.8. 137

Kategorisierung nationaler Parlamente im Entscheidungsprozess derGSVP

5.143

Sachstand Literatur – Kategorisierung nationaler Parlamente5.1. 143Parlamentarische ex ante vs. ex post Kontrolle5.2. 148Eingrenzung und Klassifizierung der EU-275.3. 149Fallstudie Deutschland vs. Großbritannien5.4. 152

Positionierung Deutschlands zur GSVP5.4.1. 153Positionierung Großbritanniens zur GSVP5.4.2. 155

Rolle des deutschen Parlaments in der GSVP6. 159

Historische Entwicklung des deutschen Parlaments in derVerteidigungspolitik

6.1.159

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz aus dem Jahr 20056.2. 163Beteiligung des deutschen Parlaments im Rahmen ziviler GSVP-Missionen

6.3.165

Beteiligung des deutschen Parlaments im Rahmen militärischerGSVP-Missionen

6.4.167

Demokratische Legitimität der GSVP in Deutschland ausnormativer Sicht

6.5.169

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Demokratische Legitimität der GSVP in Deutschland ausempirischer Sicht

6.6.172

Rolle des Deutschen Bundestages in der GSVP aus deutscherSicht

6.6.1.173

Rolle des Europäischen Parlaments in der GSVP ausdeutscher Sicht

6.6.2.176

Demokratische Legitimität der GSVP aus deutscher Sicht6.6.3. 178Rolle der Europäischen Union im globalen Kontext ausdeutscher Sicht

6.6.4.181

Ausblick – der Deutsche Bundestag als Vorreiter parlamentarischerKontrolle?

6.7.184

Rolle des britischen Parlaments in der GSVP7. 186

Historische Entwicklung des britischen Parlaments in derVerteidigungspolitik

7.1.187

Parlamentarische Einflussmöglichkeiten des britischenUnterhauses auf die GSVP

7.2.189

Parlamentarische Einflussmöglichkeiten des britischenOberhauses auf die GSVP

7.3.193

Einfluss des Irakkriegs 2003 auf die parlamentarische Kontrolle7.4. 196Demokratische Legitimität der GSVP in Großbritannien ausnormativer Sicht

7.5.199

Demokratische Legitimität der GSVP in Großbritannien ausempirischer Sicht

7.6.201

Rolle des britischen Parlaments in der GSVP aus britischerSicht

7.6.1.203

Rolle des Europäischen Parlaments in der GSVP ausbritischer Sicht

7.6.2.208

Demokratische Legitimität der GSVP aus britischer Sicht7.6.3. 212Rolle der Europäischen Union im globalen Kontext ausbritischer Sicht

7.6.4.217

Ausblick – das britische Parlament als Partner einer effektivenRegierungsführung?

7.7.221

Rolle des Europäischen Parlaments in der GSVP8. 223

Position des Europäischen Parlaments zur GSVP in derPrimärliteratur

8.1.224

Rolle des Europäischen Parlaments in der GSVP aus europäischerSicht

8.2.226

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Demokratische Legitimität der GSVP aus europäischer Sicht8.3. 229Rolle der Europäischen Union im globalen Kontext auseuropäischer Sicht

8.4.233

Ausblick – das Europäische Parlament als Garant zusätzlicherdemokratischer Legitimität?

8.5.234

Fazit9. 237

Das deutsche Leitbild parlamentarischer Außenpolitik als Modellfür Europa?

9.1.244

Politische Empfehlungen für eine sichtbarere und stärkerakzeptierte GSVP

9.2.246

Das demokratisch legitimierte Demokratiedefizit der GSVP9.3. 249

Übersicht Einfluss nationaler Parlamente der EU-27 in derGSVP

Anhang 1 –253

Bibliographie 261

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Abstract

The question whether the European Union suffers under a democratic deficit hasbeen debated ever since the end of the permissive consensus in the early 1990s andthe introduction of qualified majority voting. With the ongoing development of theintergovernmental Common Foreign and Security Policy, the debate about the de-mocratic legitimacy of the European Union has been extended specifically to theCommon Security and Defence Policy (CSDP). The majority of academic articlesgive a variety of reasons for a considerable democratic deficit in the realm of CSDP.Some authors even talk about a double democratic deficit as national parliamentsare sidelined by decisions taken increasingly in Brussels, while the European Par-liament remains a weak player in foreign and security affairs even after the Treatyof Lisbon. However, most of the academic writings fall short of precisely definingtheir theoretical framework when making assumptions about possible deficits inthe democratic legitimacy of CSDP. A normative viewpoint, taking parliaments asthe “central locus of accountability”, seems to be taken for granted. In this respect,many researchers tend to apply the German case of parliamentary foreign policyas a role model in comparison to other modes of governance in the EU-27. Thisapproach creates a fait accompli which does not properly take into account thedifferent perceptions of legitimacy and democracy in the Member States. In orderto remedy that situation, this paper intends to define three frameworks for analysis:a procedural normative framework, an intergovernmental normative frameworkand an empirical framework for analyzing the democratic legitimacy of CSDP. Bydistinguishing a normative and an empirical framework for analysis, this papershows that general conclusions about a democratic deficit fall short of taking intoaccount the variety of historically grown perceptions and traditions of democracyregarding foreign and security policy in the 27 Member States. In particular, theempirical study in form of in-depth qualitative interviews in the German, the Britishand the European Parliament demonstrates that neither the procedural nor the in-tergovernmental normative framework can be fully applied to the discussion aboutthe democratic legitimacy of CSDP. The empirical findings clearly show that manyMembers of Parliament are less concerned about a democratic deficit while thegovernments of the Member States remain the key sources of legitimacy in CSDP.Nevertheless, there is a certain tendency for an increased involvement of nationalparliaments in order to legitimize decisions on the use of force. This tendency,however, is more of an ad hoc phenomenon than a general trend towards parlia-mentarisation of foreign and security policy. Thus, the democratic legitimacy ofCSDP remains sufficiently guaranteed as long as the existing national proceduresfor parliamentary involvement are fully complied with.

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Einleitung

In einer Demokratie darf es nicht die Exekutive sein, die über Angelegenheiten von Krieg undFrieden entscheidet. Mehr noch als in anderen Bereichen der Politik muss dieses die Befugnisdemokratisch gewählter Parlamente sein. Bei der Entwicklung einer europäischen Verteidigungs-politik muss das Europäische Parlament diese Aufgabe gemeinsam mit den Parlamenten der Mit-gliedsländer wahrnehmen.1

Das einleitende Zitat des ehemaligen Vorsitzenden des Unterausschusses für Si-cherheit und Verteidigung (SEDE) im Europäischen Parlament veranschaulicht aufprägnante Art und Weise, welche Spannungen es zwischen Exekutive und Legis-lative, d. h. zwischen Regierung und Parlament, im Hinblick auf die Ausübung vontraditionell den souveränen Regierungen vorbehaltenen Rechten gibt. Dies giltinsbesondere für die Entscheidung zur Entsendung von Soldaten in Krisenregionen.In der politischen, parlamentarischen und akademischen Debatte gibt es in denletzten Jahren vermehrt eine Tendenz, die Rolle von demokratisch gewählten Par-lamenten verstärkt zu betonen und eine Ausweitung ihrer Rechte im Entschei-dungsprozess einzufordern. Diese Forderungen variieren von einer frühzeitigenInformationspflicht durch die Exekutive gegenüber dem nationalen Parlament bishin zu einem Parlamentsvorbehalt zur Entsendung von Soldaten. Die Debatte umdie grundsätzliche Notwendigkeit einer Beteiligung demokratisch gewählter Par-lamente in einem nicht gesetzgeberischen, sondern primär strategischen Politikfeld– wie der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik – hat in den vergangenenzehn Jahren an politischer Brisanz gewonnen. Dies liegt in erster Linie an der sichseit 1999 rapide entwickelnden Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik(GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) derEuropäischen Union (EU). Mit dem Ende des Kalten Krieges, der politischen In-stabilität im ehemaligen Jugoslawien und dem partiellen Rückzug der USA ausEuropa war die EU gefordert Maßnahmen und Mittel zu ergreifen, um ihre eigenesicherheitspolitische Stabilität zu gewährleisten.2 Beginnend mit der ersten eigen-ständigen Operation im Jahr 2003 hat die EU bis heute über 20 zivile und militä-rische Missionen im Rahmen der GSVP auf drei Kontinenten durchgeführt. Auchwenn die Entscheidung zur Entsendung von nationalen Streitkräften im Rahmeneiner EU-Mission einstimmig im Rat entschieden werden muss, so bemängeln vieleBeobachter eine unzureichende Beteiligung der nationalen Parlamente und des

1.

1 Von Wogau, 2003a, S. 14-15. Dr. Karl von Wogau war von 1979-2009 Europaabgeordneterim Europäischen Parlament und war dort zuletzt, unter anderem, Vorsitzender des Unteraus-schusses für Sicherheit und Verteidigung.

2 Dinan, 1999; Howorth, 2007; Kohler-Koch, Conzelmann & Knodt, 2004. Vgl. Kapitel 3.2.1.

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Europäischen Parlaments im Entscheidungsprozess der GSVP. Zwar sind dieRegierungen der 27 EU-Mitgliedstaaten gegenüber ihren nationalen Parlamentendirekt rechenschaftspflichtig. Aufgrund der unterschiedlichen Historien und Tra-ditionen haben die nationalen Parlamente allerdings teilweise stark voneinanderabweichende Kompetenzen. Während es in manchen Mitgliedstaaten einen Parla-mentsvorbehalt zur Entsendung von nationalen Streitkräften gibt, werden andereParlamente lediglich über die Entscheidungen ihrer Regierungen im Nachhineininformiert.3 Gemeinsam mit der konsultativen Rolle des Europäischen Parlaments,welches GSVP-Missionen zwar intensiv diskutiert, aber keinen rechtlichen Ein-fluss auf die Entscheidung der Regierungen im Rat hat, führt dies einige Beobachterzu dem Schluss, dass die GASP/GSVP sowohl auf nationaler als auch auf euro-päischer Ebene unter einem sogenannten Demokratiedefizit leidet. Dieses Demo-kratiedefizit könne nur behoben werden, wenn die nationalen Parlamente und dasEuropäische Parlament, als zentrale Orte demokratischer Legitimität, in die Lageversetzt würden, die Regierungen effizient und frühzeitig zu kontrollieren.4 DieThese, dass die demokratische Legitimität der GASP/GSVP nur durch eine um-fassende parlamentarische Kontrolle gewährleistet werden kann, wird vor allemvon Anhängern des deutschen Leitbilds parlamentarischer Außenpolitik gestützt.Dieses Leitbild basiert auf dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli1994 zum Einsatz von Streitkräften im Ausland sowie dem daraus resultierendenParlamentsbeteiligungsgesetz aus dem Jahr 2005.5 Demnach bedarf jeder Einsatzder Bundeswehr einer Zustimmung des Deutschen Bundestages. Das Recht desDeutschen Bundestages, den Einsatz von Soldaten per Parlamentsbeschluss zu au-torisieren bzw. zu untersagen, hat vermehrt Wissenschaftler und Politiker dazubewogen, dieses Leitbild parlamentarischer Außenpolitik als best practice Modellfür andere europäische Länder heranzuziehen.6 Da das Parlament in einer reprä-sentativen Demokratie die einzig direkt vom Volk gewählte Institution darstellt,wird der Parlamentsvorbehalt und die damit verbundene Parlamentarisierung derAußen- und Sicherheitspolitik als stärkster Garant demokratischer Legitimitätidentifiziert.

Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Wissenschaftlern und Politikern,die aus verschiedenen Gründen davor warnen, die Rolle der nationalen Parlamenteund des Europäischen Parlaments in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungs-

3 Während in Finnland eine parlamentarische Autorisierung noch vor der Annahme einer JointAction im Rat gegeben sein muss, wird in Griechenland der zuständige Ausschuss für Ver-teidigung und Auswärtige Angelegenheiten lediglich vom Verteidigungsminister über dieEntscheidung zur Entsendung von Streitkräften informiert. Vgl. Kapitel 5 und Anhang 1.

4 Born und Hänggi definieren das Parlament als den „central locus of accountability for go-vernmental decision making concerning the use of force“. Born & Hänggi, 2005, S. 3.

5 BVerfGE, 1994; ParlBG, 2005. Vgl. Kapitel 6.1. und 6.2.6 Bono, 2006; Dieterich, Hummel & Marschall, 2009; Dieterich, Hummel & Marschall, 2007;

Mittag 2003.

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politik überzubewerten. Zum einen sei die politische Dimension der GSVP nichtmit den vergemeinschafteten Politikfeldern zu vergleichen. Zum anderen beinhalteder Entscheidungsprozess der GSVP wichtige Aspekte nationaler Sicherheit undsei daher von einem hohen Grad an Vertraulichkeit geprägt. Darüber hinaus erfor-dere das sich ständig wandelnde sicherheitspolitische Umfeld von den Mitglied-staaten ein hohes Maß an Flexibilität und Entscheidungseffizienz, dem ein vollparlamentarisiertes Politikfeld diametral entgegenstünde. Die vorliegende Arbeithat zum Ziel, diese beiden Argumentationslinien sowohl theoretisch als auch em-pirisch zu untersuchen, um eine konkrete Bewertung der demokratischen Legiti-mität der GSVP vorzunehmen.

Forschungsfrage

Eine hinreichende demokratische Legitimität der GSVP bildet den Grundpfeilereiner von den europäischen Bürgern anerkannten Sicherheits- und Verteidigungs-politik. Nur wenn die EU es schafft die Akzeptanz der Bürger für die GSVP zugewinnen, kann sie ihre Glaubwürdigkeit und Legitimität als aufstrebender sicher-heitspolitischer Akteur untermauern. Eine unzureichende demokratische Legiti-mität der GSVP kann wiederum die weitere Entwicklung der EU in diesem Bereichstark gefährden. Ziel dieser Arbeit ist es daher, die Diskussion um das vermeintlicheDemokratiedefizit zu vertiefen und anhand einer empirischen Analyse eine belast-bare Antwort auf die Frage zu finden, inwieweit die GSVP tatsächlich unter einemsolchen Defizit leidet. Dafür werden insbesondere die Wahrnehmungen und Mei-nungen der Abgeordneten des deutschen und britischen Parlaments sowie desEuropäischen Parlaments in Form von qualitativen Experteninterviews untersucht.Bei der Auswertung der Interviews geht es in erster Linie um die Frage, ob dieAbgeordneten die demokratische Legitimität der GSVP als ausreichend gewähr-leistet sehen bzw. wo sie mögliche Defizite und Verbesserungsmöglichkeiten iden-tifizieren. Darüber hinaus wird eine Einschätzung der These erfolgen, ob das deut-sche Leitbild parlamentarischer Außenpolitik tatsächlich als Modell für andere eu-ropäische Staaten gelten kann, oder ob die nationalen Legitimitätsvorstellungen zuunterschiedlich sind, um ein europäisches Leitbild einer parlamentarisierten Au-ßen- und Sicherheitspolitik zu ermöglichen.

Forschungsstand und Forschungslücke

Der Begriff des Demokratiedefizits fand erstmals eine intensive Auseinander-setzung in der Literatur Mitte der 1990er Jahre in Folge der Einführung von Qua-

1.1.

1.2.

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lifizierten Mehrheitsentscheidungen (QMV) durch den Vertrag von Maastricht.7Während man bis dato von einem permissiven Konsens,8 d. h. einer allgemeinenAkzeptanz der Bürger gegenüber dem von den politischen Eliten vorangebrachteneuropäischen Integrationsprozess sprach, wuchsen durch die Aufhebung des Ein-stimmigkeitsprinzips in vielen Mitgliedstaaten Zweifel, ob die nationalen Interes-sen in den Entscheidungen auf europäischer Ebene weiterhin ausreichend Berück-sichtigung finden würden. Die demokratische Legitimität europäischer Politik kamso in den Fokus wissenschaftlicher Studien, von denen eine Vielzahl der EU einallgemeines Demokratiedefizit unterstellt.9 Auf der anderen Seite gibt es eine Reihevon Autoren, in deren Augen der EU kein Demokratiedefizit angelastet werdenkann.10 Im Zuge der Entwicklung der GASP/GSVP wurde die Debatte über einmögliches Demokratiedefizit der EU auf den Bereich der Außen-, Sicherheits- undVerteidigungspolitik ausgeweitet. Während der intergouvernementalen GSVP nurwenige Wissenschaftler eine ausreichende demokratische Legitimität direkt oderindirekt unterstellen,11 ist die Mehrheit der Literatur der Auffassung, dass dieGSVP unter einem teilweise erheblichen Demokratiedefizit leidet.12 Die unter-schiedlich ausgeprägten Kompetenzen der nationalen Parlamente und die aufgrundvon vermehrten Entscheidungen auf europäischer Ebene zunehmende Entparla-mentarisierung sowie die vergleichsweise schwach ausgeprägte Rolle des Europä-ischen Parlaments haben viele dazu bewogen sogar von einem doppelten Demo-kratiedefizit in der GSVP zu sprechen.13 In den verschiedenen Studien wird ins-besondere die nationale und supranationale verfahrensorientierte Legitimation (so-genannte Input-Legitimität), d. h., die Rolle der nationalen Parlamente und desEuropäischen Parlaments im Entscheidungsprozess der GSVP, sowie die ergeb-nisorientierte Legitimation (sogenannte Output-Legitimität) untersucht.14 Die vor-liegende Arbeit untersucht die demokratische Legitimität sowohl anhand der Input-

7 Vgl. Kielmansegg, 1996; Schimmelfennig, 1996; Zürn, 1996.8 Lindberg & Scheingold, 1970, S. 41.9 Decker, 2002; Føllesdal, 2005; Føllesdal, 2004; Føllesdal & Hix, 2005; Fuchs & Klingel-

mann, 2002; Holzinger et alia, 2005; Höreth, 1999; Kielmannsegg, 2003; Kohler-Koch,Conzelmann & Knodt, 2004; Mitchell, 2005; Neuhold & Versluis, 2004; Norris, 1997; Otero,2004; Vaubel, 1996; Weiler, Haltern & Mayer, 1995.

10 Ipsen, 1972; Kirchof, 1992; Majone, 1998; Mestmäcker, 1994; Mestmäcker, 1978; Mora-vcsik, 2004; Moravcsik, 2003; Moravcsik, 2002.

11 Majone, 1998; Moravcsik, 2004; Moravcsik, 2003; Moravcsik, 2002; Moravcsik, 1998;Scharpf, 2004; Steinhilber, 2006; Tsebilis, 1999; Thym, 2008; Thym, 2006.

12 Barbé, 2004; Barcelona Report, 2004; Bendiek, 2006; Bono, 2006; Born, 2009; Born etalia, 2008; Born et alia, 2007; Born & Hänggi, 2005; Born & Hänggi, 2004; Dieterich,Hummel & Marschall, 2009; Dieterich, Hummel & Marschall, 2007; Føllesdal & Hix, 2005;Gourlay, 2004; Lord, 2000; Mittag, 2006; Mittag, 2003; Nickel & Quille, 2007; Stavridis,2003; Von Ondarza, 2010; Wagner, 2006; Wagner, 2005; Wagner, 2005a; Wagner, 2004.

13 Barbé, 2004; Barcelona Report, 2004; Bendiek, 2008; Bono, 2006; Born, 2009; Born &Hänggi, 2005; Born & Hänggi, 2004; Gourlay, 2004; Mittag, 2003; Stavridis, 2003; VonOndarza, 2010. Vgl. Kapitel 4.4.

14 Scharpf, 1999; Scharpf, 1970; Wagner 2005; Wagner, 2004.

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Legitimität einerseits als auch anhand der Output-Legitimität andererseits. Darüberhinaus wird zwischen einer normativen und einer empirischen Betrachtungsweiseunterschieden, um eine zusätzliche Analyseebene zu ermöglichen.

Trotz einer stetig wachsenden Literatur zur demokratischen Legitimität derGSVP unterscheidet die Wissenschaft kaum zwischen einer normativen und einerempirischen Sichtweise. Es scheint so als würde eine normative Sichtweise, dieden Grad der demokratischen Legitimität anhand der Einflussmöglichkeiten derParlamente erfasst, generell vorausgesetzt. Zwar gehen einige Publikationen, teil-weise explizit, von normativen Ansätzen aus.15 Doch wird eine empirische Her-angehensweise nicht weiter verfolgt, geschweige denn empirische Argumente imDetail analysiert.16 Dies führt dazu, dass insbesondere in der deutschen Literaturein Verständnis geprägt wird, wonach die demokratische Legitimität umso höhersei, desto stärker die Einflussmöglichkeiten eines Parlaments sind. Aus diesemGrund erklärt sich auch die in der Literatur grundsätzlich vorhandene Befürwor-tung des deutschen Leitbilds parlamentarischer Außenpolitik, der ein sehr hohesMaß an demokratischer Legitimität zugewiesen wird. Für die vorliegende Arbeitsoll es einer der zentralen Bestandteile der Untersuchung sein, zwischen einer nor-mativen und einer empirischen Legitimität zu unterscheiden, um wichtige empiri-sche Argumente in der Debatte um ein Demokratiedefizit in der GSVP zu berück-sichtigen. Während bei der normativen Legitimität der Schwerpunkt auf dem theo-retischen bzw. abstrakten Ansatz einer Problemlösungsfähigkeit liegt, beschäftigtsich die empirische Legitimität überwiegend mit der Frage, inwieweit der Souve-rän, d. h., die Bürgerinnen und Bürger, die Entscheidungsfindung als gerechtfertigtansehen und unterstützen. Die empirische Legitimität soll in dieser Arbeit in Formvon qualitativen Experteninterviews mit Abgeordneten untersucht werden. DiePerzeption und die Meinungen der Abgeordneten müssen zwar nicht eins zu einsmit der Meinung der Bürger übereinstimmen. Die Abgeordneten sind aber durchihre Rolle als Multiplikatoren und durch ihre direkte Beteiligung in den Politik-feldern sehr legitimitätsrelevant und haben zudem eine hohe Sensibilität für dieRechte der Parlamente.

Bei der normativen Legitimität soll darüber hinaus zwischen einem verfahrens-orientierten und einem intergouvernementalen Modell unterschieden werden.Während die verfahrensorientierte normative Legitimität von existierenden Nor-men eines parlamentarisierten Politikbereiches ausgeht und die Parlamentarisie-rung der GSVP als Problemlösungsansatz definiert, orientiert sich die intergou-vernementale normative Legitimität an den Normen des (liberalen) Intergouver-

15 Dieterich, Hummel & Marschall, 2009, S. 3-5; Lord, 2000, S. 5, 12, 21-22; Peters & Wagner,2009; Thym, 2008, S. 212, 228-232; Wagner, 2005, S. 29; Wagner, 2005a, S. 12; Wimmel,2008, S. 3, 7-8, 10.

16 Einige der wenigen Ausnahmen hierzu sind Bono, 2005; Born et alia, 2007; Peters & Wagner,2009.

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nementalismus und rückt damit ihren Schwerpunkt auf die Rolle der Exekutivenauf der nationalen Ebene. Die verfahrensorientierte normative Legitimität unter-scheidet eine nationale, sowie eine europäische Ebene parlamentarischer demo-kratischer Legitimität, wobei der Input einerseits von den nationalen Parlamentenund andererseits vom Europäischen Parlament bereitgestellt wird. Auch wenn dieverfahrensorientierte normative Legitimität ihren Schwerpunkt grundsätzlich aufdie allgemeine Parlamentarisierung der Außen- und Sicherheitspolitik legt, um einhinreichend erforderliches Maß an demokratischer Legitimität sicherzustellen, soist es wichtig, zwischen einer nationalen und einer europäischen Ebene zu unter-scheiden. Gerade im Hinblick auf die Frage, ob das deutsche Leitbild parlamenta-rischer Außenpolitik auch für andere Länder als Modell vorstellbar ist, wird dieseinhärente Unterscheidung zwischen den nationalen und der europäischen Ebene imZuge der vorliegenden Arbeit von großer Bedeutung sein.

Im Vergleich zu den beiden normativen Ansätzen, die ihren Schwerpunkt auftheoretischen Problemlösungsansätzen haben, untersucht der empirische Ansatzdas erfassbare demokratische Verständnis des Souveräns und seine Zufriedenheitmit dem Output eines politischen Systems. In der vorliegenden Arbeit soll die em-pirische Analyse durch die seitens der Bürger demokratisch gewählten Abgeord-neten und ihre parlamentarischen Funktionen im Entscheidungsprozess der GSVPerfolgen. Der Fokus liegt dabei auf der Auswirkung politischer Entscheidungen,auf die der Bürger mittelbar durch die Abgeordneten Einfluss nehmen kann. Inanderen Worten, während der normative Ansatz sich an objektiv legitimierendenKriterien fixiert, untersucht der empirische Ansatz die Unterstützung bzw. Ableh-nung politischer Entscheidungen der von den Bürgern demokratisch gewähltenVertreter. Je stärker die Betroffenen die politischen Entscheidungen gut heißen,desto höher ist der Grad an empirischer Legitimität. Die Grundlage für diese poli-tikwissenschaftliche Operationalisierung der Output-Dimension von Legitimitätstammt von David Easton, dessen Konzept der Unterstützung eines politischenSystems bereits auf vielfache Resonanz in der Literatur gestoßen ist.17 Durch diequalitative Befragung von Abgeordneten und Administratoren des deutschen, bri-tischen und Europäischen Parlaments werden auf der einen Seite die beiden natio-nalen, sowie die europäische Dimension der Input-Legitimität empirisch unter-sucht. Auf der anderen Seite wird durch die Befragung der Abgeordneten in ihrerRolle als Multiplikatoren, die in ständigem Austausch mit den Bürgern stehen undderen Meinung sie in den Politikprozess mit einbringen, die Output-Legitimität derGSVP und die Unterstützung der Bürger für dieses Projekt analysiert.

17 Easton 1975; Easton, 1965. Vgl. Fuchs, 1989; Kaase, 1985; Klingemann & Neidhart, 2000;Niedermayer, 2001; Norris, 1999; Westle, 1989.

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Durch eine Unterteilung demokratischer Legitimität in diese drei Analyseebe-nen18 soll eine umfassendere Diskussion zum vermeintlichen Demokratiedefizitder GSVP ermöglicht werden. Eine rein verfahrensorientierte normative Sichtwei-se, wie sie in den meisten wissenschaftlichen Studien zumindest in Deutschland zufinden ist, berücksichtigt nicht in ausreichendem Maße wichtige intergouverne-mentale normative und empirische Implikationen. In diesem Zusammenhang sollauch untersucht werden, inwieweit das deutsche Leitbild parlamentarischer Au-ßenpolitik im Vergleich mit der intergouvernementalen normativen Legitimitäts-theorie, sowie in empirischer Hinsicht an mögliche Grenzen stößt. Durch eine klareUnterscheidung zwischen normativen und empirischen Argumenten soll eine de-zidierte Darstellung der demokratischen Legitimität der GSVP ermöglicht werdenund eine nützliche Brücke zwischen der objektiv analysierenden akademischenWelt und der pragmatisch argumentierenden Politik gebildet werden. Basierendauf diesen Erkenntnissen sollen dann eine belastbare Aussage über ein Demokra-tiedefizit der GSVP ermöglicht und politische Empfehlungen zur Verbesserung derdemokratischen Legitimität formuliert werden.

Methodik

Die Methodik in dieser Arbeit erfolgt deduktiv, d. h., dass die allgemeine Debatte,einschließlich der historischen Entwicklung der GASP/GSVP, erst generell erläu-tert wird, bevor dann die Rolle der nationalen Parlamente und des EuropäischenParlaments in Bezug auf ihren Beitrag zur demokratischen Legitimität der GSVPanalysiert wird. Zuerst wird der theoretische Teil die Gründe für eine sektoraleIntegration in diesem exekutivdominierten Politikbereich darlegen. Dies soll ins-besondere durch die Anwendung von den Integrationstheorien des Intergouverne-mentalismus und des liberalen Intergouvernementalismus erfolgen. Ferner wirderörtert werden, inwieweit die EU generell unter einem Demokratiedefizit leidet.Dazu werden jeweils fünf Argumente pro und contra Demokratiedefizit identifi-ziert (Kapitel 2). Diese allgemeine Analyse der demokratischen Legitimität der EUsoll helfen, einen theoretischen Rahmen für die Untersuchung eines möglichenDemokratiedefizits speziell in der GSVP zu erstellen (Kapitel 4). Zuvor wird diehistorische Entwicklung der GASP/GSVP und ihrer Vorboten beleuchtet, was auchim Hinblick auf die Legitimität der GSVP nach dem Vertrag von Lissabon vonBedeutung ist. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage erläutert, inwieferndie EU als ernstzunehmender globaler Akteur in diesem Bereich wahrgenommenwird und wie sie als Akteur in internationalen Beziehungen klassifiziert werden

1.3.

18 Intergouvernementale normative Legitimität, verfahrensorientierte normative Legitimitätund empirische Legitimität.

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kann (Kapitel 3). Der Hauptteil dieser Arbeit wird sich der Rolle der nationalenParlamente, insbesondere des deutschen und des britischen Parlaments sowie desEuropäischen Parlaments in der GSVP widmen. Anstatt sich aber auf Fallstudien,d. h. die Analyse von zivilen und militärischen EU-Missionen zu fokussieren, wirdsich diese Arbeit auf die demokratische Legitimität und damit primär auf die Rolleder Parlamente im Entscheidungsprozess der GSVP konzentrieren. Dazu soll einÜberblick über die Beteiligung der nationalen Parlamente im Entscheidungspro-zess der GSVP gegeben werden. Eine Kategorisierung der 27 Parlamente der EU-Mitgliedstaaten wird skizzieren, welchen Einfluss die Parlamente besitzen, zivileund militärische GSVP-Missionen zu autorisieren (Kapitel 5). Anschließend wer-den die ausgewählten Fallbeispiele des deutschen (Kapitel 6) und des britischenParlaments (Kapitel 7) empirisch darlegen, inwieweit die GSVP in den Augen derParlamentarier unter einem Demokratiedefizit leidet und wie die Abgeordnetenihre Rolle im Entscheidungsprozess der GSVP wahrnehmen. Schließlich soll danndie empirische Untersuchung des Europäischen Parlaments (Kapitel 8) Aufschlussdarüber geben, ob es eine zusätzliche demokratische Legitimität für die GSVPbereitstellen und mögliche Defizite auf nationaler Ebene ausgleichen kann. Nebender Literatur und einer Auswertung von Primär- und Sekundärquellen werden ins-besondere qualitative Experteninterviews mit Abgeordneten und Administratorenaus dem Europäischen Parlament bzw. aus den britischen und deutschen Parla-menten zur Analyse herangezogen. Aufgrund der in der Literatur überwiegendnormativ geführten Debatte zur demokratischen Legitimität der GSVP soll mithilfeder Interviews empirisch untersucht werden, inwieweit mögliche Schlussfolge-rungen der verfahrensorientierten und intergouvernementalen normativen Legiti-mitätsdebatte den empirischen Ergebnissen widersprechen bzw. diese bestätigen.

Die gängige Variante zur Untersuchung empirischer Legitimität europäischerPolitik ist die Analyse von Umfragen des Eurobarometers.19 Für die vorliegendeArbeit ist die Analyse von Eurobarometer Umfragen leider nicht sonderlich nütz-lich, weil bislang keine Erhebungen konkret zur demokratischen Legitimität derGSVP vorliegen. Zwar gibt es eine Reihe von allgemeinen Umfragen zur Außen-und Verteidigungspolitik bzw. zur Zufriedenheit der Bürger mit dem demokrati-schen System in der EU und in den Mitgliedstaaten.20 Allerdings werden die The-

19 Das Eurobarometer ist ein Instrument der Europäischen Kommission, welches zu einer Viel-zahl europäischer Fragestellungen in regelmäßigen Abständen Umfragen in der EU-Bevöl-kerung durchführt. Europäische Union, 2011. Vgl. Reif & Inglehart, 1991; Saris & Kaase,1997.

20 Vgl. Europäische Union, 2010. In der großen Umfrage (Standard Eurobarometer 73), die imNovember 2010 veröffentlicht wurde, gibt es einzelne Umfragen zur Demokratiezufrieden-heit in den Mitgliedstaaten (Ibid, Frage 24a, S. 110) bzw. der EU (Ibid, Frage 24b, S. 111)und zur Rolle der Außen- und Verteidigungspolitik (insbesondere Frage 21, S. 87 und Frage

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men Verteidigung und Demokratiezufriedenheit nur separat voneinander betrach-tet. Aus diesem Grund konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf eine empirischeUntersuchung von qualitativen Experteninterviews mit Abgeordneten und Admi-nistratoren des deutschen, britischen und Europäischen Parlaments. Obwohl mandie Meinungen der Abgeordneten nicht pauschal mit denen der Bürger gleichsetzenkann, so lassen sich aus den ausgewerteten Interviews klare Tendenzen zum Gradder Informiertheit und zur Akzeptanz der Bürger in Bezug auf die GSVP aufzeigen.

Insgesamt wurden 34 qualitative Experteninterviews in der Zeit von Mai bis Juli2009 geführt, wobei mindestens zehn in jedem der ausgewählten Parlamente21

stattgefunden haben. Da es sich um eine qualitative und keine quantitative Auswahlvon Gesprächspartnern handelt, ist der repräsentative Wert der Interviews ehergering, auch wenn Gespräche mit Abgeordneten fast aller vertretenden Parteienstattgefunden haben.22 Der Mehrwert liegt in der Zusammentragung der Argu-mente inhaltlicher Art und darin, dass begründete Argumentationslinien mit derHaltung der Abgeordneten zur GSVP in den relevanten Ländern untersucht werden.Um Zugang zu den wesentlichen Akteuren der deutschen, britischen und europä-ischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu erhalten, wurde im Falledes Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments direkter Kontakt mitden Fraktionsmitarbeitern und Administratoren aufgenommen. Nach einer Erläu-terung des Forschungsvorhabens und nach mehreren Telefonaten wurde in Ab-sprache mit den Administratoren für jede Fraktion eine Liste mit den Abgeordnetenfestgelegt, die die größte Expertise in diesem Bereich bzw. das größte Engagement(z. B. als Berichterstatter, Obmann des Verteidigungsausschusses etc.) aufweisen.Im Falle des britischen Parlaments wurde Kontakt mit den Gesandten des Unter-und Oberhauses23 im Europäischen Parlament aufgenommen. Auch hier konntenach mehreren persönlichen Gesprächen eine Liste mit den wesentlichen Akteurenzum Thema der GASP/GSVP erstellt werden.24 Schließlich wurden nach einer in-

22.5, S. 94). Während im EU-Durchschnitt 54 % der Befragten insgesamt zufrieden sind, wiedie Demokratie in ihrem Land funktioniert, sind es in Deutschland sogar 62 % und in Groß-britannien 59 %. Hingegen sind in der EU durchschnittlich 44 % (Deutschland 37 %, Groß-britannien 38 %) insgesamt nicht zufrieden, wie die Demokratie in ihrem Land funktioniert.Interessant ist auch, dass in Bezug auf die Außen- und Verteidigungspolitik im EU-Durch-schnitt nur 31 % der Bürger (Deutschland 25 %, Großbritannien 58 %) der Meinung sind,dass die Außen- und Verteidigungspolitik allein von der nationalen Regierung entschiedenwerden sollte. 65 % (Deutschland 73 %, Großbritannien 38 %) befürworten ein gemein-schaftliches Handeln im Rahmen der EU-27.

21 Deutscher Bundestag, britisches Parlament (Unterhaus und Oberhaus) und EuropäischesParlament.

22 Vgl. Anhang 2-5.23 House of Commons bzw. House of Lords.24 Außerdem wurde insbesondere mit den britischen Administratoren eine genaue Herange-

hensweise zur Kontaktaufnahme, sowie kleine, aber wichtige Details (z. B. die genaue An-rede der Abgeordneten und Lords, Zeitpunkt der Kontaktaufnahme etc.) im Vorfeld bespro-chen.

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tensiven Vorbereitungs- und Recherchezeit im Frühjahr 2009 32 Anfragen (26Abgeordnete und sechs Administratoren) an den Deutschen Bundestag, 23 Anfra-gen (elf Abgeordnete, neun Lords und drei Administratoren) an das britische Par-lament und 22 Anfragen (19 Abgeordnete und drei Administratoren) an das Euro-päische Parlament per Brief gerichtet.

Von diesen insgesamt 77 Interviewanfragen kamen letztlich 34 zustande (zwölfim Deutschen Bundestag, zwölf im britischen Parlament und zehn im EuropäischenParlament). Für jedes Parlament wurde ein spezieller Fragebogen mit 21 Fragenzu mehreren Themenblöcken25 zusammengestellt. Die Interviews liefen in der Re-gel so ab, dass alle Fragen in ihrer Reihenfolge gestellt und beantwortet wurden.Bei bereits beantworteten Themen wurden manche Fragen auch übersprungen bzw.bei auftretendem Zeitmangel nur gezielte Fragen zur Einschätzung der Abgeord-neten zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gestellt.26

Darüber hinaus haben vier Abgeordnete (drei im Deutschen Bundestag, einer imbritischen Unterhaus), die keine Zeit für ein persönliches Gespräch hatten, einenFragebogen ausgefüllt und zur (teilweise anonymen) Verwendung zurückge-schickt. Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass von den 34 geführten und tran-skribierten Interviews insgesamt 25 sowie ein Fragebogen von den Abgeordnetenzur Veröffentlichung freigegeben wurden.27 Dadurch wird nicht nur der empirischeCharakter dieser Arbeit gestärkt, sondern es wurde auch eine Vielzahl neuer Pri-märquellen geschaffen, die für künftige Diskussionen rund um die GSVP von Nut-zen sein können.

Was die Auswahl der Fallstudien angeht, so haben sich Großbritannien undDeutschland aus mehreren Gründen angeboten. Zum einen zählen beide Länder zuden größten und einflussreichsten Mitgliedstaaten der EU und können damit dieweitere Entwicklung der GSVP wesentlich mitgestalten. Zum Anderen haben sie

25 Beim deutschen und britischen Parlament sind es vier Themenblöcke: Rolle des eigenenParlaments in der ESVP, Rolle des Europäischen Parlaments in der ESVP, demokratischeLegitimität der ESVP und die Rolle der EU in internationalen Beziehungen. Beim Europä-ischen Parlament sind es die letzten drei Themenblöcke.

26 Da zum Zeitpunkt der Interviews der Vertrag von Lissabon noch nicht in Kraft getreten war,wird in den Interviews durchgängig Bezug auf die ESVP und nicht auf die GSVP genommen.

27 Vgl. Anhang 2-5. Für den Deutschen Bundestag: Ernst-Reinhard Beck MdB (CDU), Dr. Ste-phan Eisel MdB (CDU); Gerd Höfer MdB (SPD), Winfried Nachtwei MdB (Bündnis 90/DieGrünen), Paul Schäfer MdB (Die Linke), Dr. Rainer Stinner MdB (FDP), Jörn Thießen MdB(SPD). Für das britische Unterhaus (House of Commons): Rt Hon David Heathcoat-AmoryMP (Conservative), Bernard Jenkin MP (Conservative), Paul Keetch MP (Liberal Demo-crats), Andrew Mackinlay MP (Labour), Dr. Denis MacShane MP (Labour). Für das britischeOberhaus (House of Lords): Lord Anderson of Swansea (Labour), Lord Hannay of Chiswick(Crossbench), Lord Inge (Crossbench), Lord Teverson (Liberal Democrats), Lord Wallaceof Saltaire (Liberal Democrats). Für das Europäische Parlament: Elmar Brok MdEP (EVP-ED), Glyn Ford MdEP (PSE), Anna Maria Gomes MdEP (PSE), Dr. Ģirts Valdis KristovskisMdEP (UEN), Helmut Kuhne MdEP (PSE), Philippe Morillon MdEP (ALDE), Dr. JanuszOnyszkiewicz MdEP (ALDE), Dr. Gerrard Quille (DG EXPO), Dr. Karl von Wogau MdEP(EVP-ED).

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sehr unterschiedliche Leitbilder für eine vertiefte Außen-, Sicherheits- und Ver-teidigungspolitik auf europäischer Ebene. Während das traditionell pro-europä-ische Deutschland eine Vertiefung der GASP/GSVP ausdrücklich begrüßt und dielangfristige Entwicklung einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armeeanstrebt, so lehnt Großbritannien als vermeintlich euroskeptisches Land jede wei-tere Integration in diesem Politikbereich ab und setzt neben einer verstärkten An-bindung an die Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) auf die Beibehaltungder intergouvernementalen Struktur der GSVP. Diese vorherrschenden integrati-onspolitischen Leitideen in den beiden Ländern sind daher als most different ein-zustufen. Darüber hinaus ist die Beteiligung des deutschen und des britischen Par-laments im Entscheidungsprozess der GSVP sehr unterschiedlich. Während manin Deutschland von einer Parlamentsarmee spricht, d. h., der Bundestag muss derEntsendung von Soldaten im Vorfeld zustimmen, obliegt die Entscheidung zurEntsendung von Soldaten in Großbritannien traditionell dem Hoheitsrecht der Kö-nigin bzw. des Premierministers. Aufgrund dieser divergierenden Sichtweisen zurFortentwicklung der GSVP, sowie der unterschiedlichen Partizipation der natio-nalen Parlamente im Entscheidungsprozess der GSVP bieten Großbritannien undDeutschland zwei interessante Fallstudien, um das vermeintliche Demokratiedefi-zit in der GSVP in normativer wie in empirischer Hinsicht zu untersuchen.

Die qualitativen Interviews mit den Abgeordneten des Europäischen Parlamentssind darüber hinaus wichtig, um die zweite Ebene der verfahrensorientierten nor-mativen Debatte zu beleuchten. Hier geht es vor allem darum, inwieweit die su-pranationale Input-Legitimität eine zusätzliche demokratische Legitimität für dieGSVP bereitstellen und mögliche Defizite auf nationaler Ebene ausgleichen kann.Schließlich soll mit der Analyse des deutschen und britischen sowie des Europä-ischen Parlaments eine belastbare Aussage darüber gemacht werden, ob das deut-sche Leitbild parlamentarischer Außenpolitik ein Modell für die europäischenLänder sein könnte, in denen der Einfluss der Parlamente in der GSVP eher geringausgeprägt ist.

Theoretischer Rahmen

Um die bisherige Integration im Bereich der GASP/GSVP nachvollziehen zu kön-nen, wird zuerst der Begriff der politischen Integration auf verschiedenen Abs-traktionsniveaus definiert. Da die GSVP eine klassische intergouvernementaleStruktur aufweist, wird sich die Arbeit in erster Linie mit dem Intergouvernemen-talismus und dem liberalen Intergouvernementalismus auseinandersetzen. Andersals bei neofunktionalistischen Integrationsmodellen, die ihren Schwerpunkt grund-

1.4.

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sätzlich auf spillover28 Effekte setzen, anerkennt der (liberale) Intergouvernemen-talismus die Nationalstaaten als die zentralen, rational kalkulierenden Akteure ininternationalen Beziehungen, deren primäres Ziel die Selbstbehauptung ist. Derliberale Intergouvernementalismus mit seiner liberalen Theorie der Präferenzbil-dung, die den kollektiven Entscheidungen von Individuen einen gewissen politi-schen Einfluss einräumt, ist ebenfalls von Bedeutung für die theoretische Debatte.Dies liegt vor allem daran, da er der Rolle der Zivilgesellschaft, und damit indirektauch der Rolle der Parlamente, einen gewissen Einfluss auf die Präferenzbildungin der Gesellschaft zugesteht. Weil die theoretischen Modelle des Intergouverne-mentalismus und des liberalen Intergouvernementalismus nicht nur Befürworter inder Literatur aufweisen, soll auch ein Überblick über die Kritik an beiden Modellengegeben werden. Darüber hinaus werden die Konzepte der demokratischen Legi-timität bzw. des Demokratiedefizits ein wesentlicher Bestandteil des theoretischenKapitels sein.29 Die Frage um ein mögliches Demokratiedefizit soll erst allgemeinin Bezug auf die EU diskutiert und Argumente pro und contra definiert werden,bevor dann eine detaillierte Analyse der Argumente pro und contra Defizit in derGSVP durchgeführt wird. Für die Untersuchung der demokratischen Legitimitätder GSVP werden die bereits identifizierten Ebenen der intergouvernementalenund verfahrensorientierten normativen sowie der empirischen Legitimität heran-gezogen. Nach einer generellen Klassifizierung der 27 Parlamente der EU-Mit-gliedstaaten sollen dann die drei Ebenen im Verlauf der Arbeit konkret auf die dreiFallstudien und die damit verbundenen qualitativen Experteninterviews angewandtwerden, um den Weg für eine umfassende Analyse zur sonst primär verfahrens-orientierten normativen Debatte demokratischer Legitimität zu ebnen. Weiterewichtige Punkte der theoretischen Debatte beinhalten die Frage, wie die EU alsAkteur in außen- und sicherheitspolitischen Fragen klassifiziert werden kann. Bis-lang galt die EU als Zivilmacht, die Konflikten überwiegend mit politischen, di-plomatischen und wirtschaftlichen Mitteln begegnet ist. Seit der Entwicklung derGASP/GSVP gibt es vermehrt eine Debatte, ob sich die EU von ihrer traditionellenRolle als Zivilmacht entfernt hat und sich in Richtung einer Militärmacht entwi-ckeln könnte, die dem Einsatz von militärischen Maßnahmen zur Lösung vonKonflikten nicht abgeneigt ist. Die Frage der Klassifizierung der EU in internatio-nalen Beziehungen wird ferner einer der Schwerpunkte für die qualitativen Exper-teninterviews im deutschen und britischen sowie im Europäischen Parlament sein.

28 Wolf, 2006, S. 71-74.29 Vgl. Bieling & Lerch, 2006; Holzinger et alia, 2005; Kohler-Koch, Conzelmann & Knodt,

2004; Rosamond, 2000; Wallace, H., Wallace, W. & Pollack, 2005; Wheeler & Bellamy,2005.

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