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1 COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Den Tatort im Visier Deutschsprachige Krimis und seine Produktionsformen - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Autor: Rolf Cantzen Personen: Erzählerin (Kommentare und Überleitungen) Zitator (Zitate) Zitatorin (Zitate) Im O-Ton: Richard Birkefeld (Autor) D.B. Blettenberg (Autor) Bodo Dringenberg (Autor in einer Lesung) Karola Hagemann (Autorin) Norbert Horst (Autor) Andreas Izquierdo (Autor und Sprecher des „Syndikat“) Susanne Mischke (Autorin) Ingrid Noll (Autorin) Thomas Przybilka (Krimiexperte, Bonner Krimi-Archiv) Christian Oelschläger (Autor) Frederike Schmöe (Autorin in einer Lesung) Georg Simader Literaturagent) Dr. Thomas Wörtche (Kritiker) Günther Zäuner (Autor in einer Lesung) …sowie Lesungen, Laudatien, Krimistammtisch Musik: Fanfares en Délire: Golden Bras Summt (Takes im Text) Kap. Wlodek: Aus glücklichen Tagen (Takes im Text) Titelmusik „Tatort“ (Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 0.03 ein, bei 0.08 aus.) Zitatorin: Grüß Gott! (Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 0.08 ein, bei 0.10 aus.)

Den Tatort im Visier - deutschlandfunkkultur.de · 3 (Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 0.12 ein, bei 0.14 aus.) O-Ton 2: Thomas Przybilka Krimischreiben ist gar nicht so einfach. Man

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COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt

werden.

Den Tatort im Visier Deutschsprachige Krimis und seine Produktionsformen

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Autor: Rolf Cantzen

Personen: Erzählerin (Kommentare und Überleitungen) Zitator (Zitate) Zitatorin (Zitate) Im O-Ton: Richard Birkefeld (Autor)

D.B. Blettenberg (Autor) Bodo Dringenberg (Autor in einer Lesung) Karola Hagemann (Autorin) Norbert Horst (Autor) Andreas Izquierdo (Autor und Sprecher des „Syndikat“) Susanne Mischke (Autorin) Ingrid Noll (Autorin) Thomas Przybilka (Krimiexperte, Bonner Krimi-Archiv) Christian Oelschläger (Autor) Frederike Schmöe (Autorin in einer Lesung) Georg Simader Literaturagent) Dr. Thomas Wörtche (Kritiker) Günther Zäuner (Autor in einer Lesung) …sowie Lesungen, Laudatien, Krimistammtisch

Musik: Fanfares en Délire: Golden Bras Summt (Takes im Text) Kap. Wlodek: Aus glücklichen Tagen (Takes im Text) Titelmusik „Tatort“ (Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 0.03 ein, bei 0.08 aus.) Zitatorin: Grüß Gott!

(Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 0.08 ein, bei 0.10 aus.)

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Zitatorin: Grüß Gott …

Zitator: … hat der Franz überrascht gesagt.

O-Ton 1: Thomas Przybilka Und einen guten Krimi zu schreiben, so dass die Leute dabei bleiben zu lesen, das ist schon schwierig.

Zitator: Sagen wir mal so. Der Franz hat keinen Lappen in der Hand

gehabt, er hat eine Hand in der Hand gehabt. Angefühlt hat sie

sich natürlich schon ein bisschen wie ein Lappen. Das musst du

dir vorstellen wie einen Handschuh, nur ohne Handschuh und

dafür mit Hand. Und diese Hand war es, die der Franz so höflich

geschüttelt und gegrüßt hat.

Zitatorin: Grüß Gott!

Zitator: … hat der Franz dann noch einmal zu der Hand gesagt. Er ist in

die vollbesetzte Dachkirche hineingestolpert, und die

zweihundert singenden Köpfe haben sich überrascht nach im

umgedreht.

Zitatorin: Grüß Gott!

Zitator: Gesang natürlich sofort verstummt. Weil beim Anblick der

abgehackten Hand in der Franz-Hand ist ein Silentium

ausgebrochen.

Erzählerin: Wolf Haas: „Silentium“.

Zitator: … praktisch Totalsilentium.

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(Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 0.12 ein, bei 0.14 aus.) O-Ton 2: Thomas Przybilka

Krimischreiben ist gar nicht so einfach. Man muss einen bestimmten Kodex einhalten. Es gibt da zwischen 10 und 23 Regeln …

Erzählerin: Thomas Przybilka ist Krimiexperte und Betreiber des Bonner

Krimiarchivs.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 0.14 ein, bei 0.16 aus.) Zitator: Die Klinge witschte ansatzlos durch die Luft, und plötzlich

fehlten dem Mann mit der Kalaschnikow Arme und Kopf.

„Fünf!“ verkündete der Rotschwarze.

O-Ton 3: D.B. Blettenberg Thriller sind Unterhaltungsromane, dann geht es nur um eins: Anspruchsvoll …

Erzählerin: … diesen Anspruch stellt der mit Krimipreisen ausgezeichnete

Krimiautor Blettenberg an sich und an das Subgenre „Thriller“.

O-Ton 4: D.B. Blettenberg

Das kann einem ja auch sehr schnell zur Volkshochschule geraten, wo man mit erhobenem Zeigefinger etwas vermitteln will: Zum Beispiel, wie war das wirklich mit den Sandinsten in Nicaragua und jetzt müssen wir das alle mal nachholen. …

Zitator: „Die Technik scheint doch durchaus Tradition in der hiesigen

Widerstandsbewegung zu haben“, stellte Nordmann fest.

Pablo gefiel die Tonlage nicht. Was willst du denn damit sagen?“

Nordmann erzählte ihnen von General „Pedrón“ Altamirano …

dass der Rotschwarze einen Mitstreiter Sandinos kopierte …

(Musik: Kap. Wlodek, Take 7. Ab Anfang, bei 0.02 aus.)

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(wie Fernsehwerbung) Zitatorin: Kleine Trickkiste für Krimi-Schreiber:

Erzählerin: von Helga Schimmer: www.mordstalent.de

(Musik: Kap. Wlodek, Take 7. Ab 0.02, ab 0.04 dem Folgenden unterlegen.)

Zitatorin: Wollten Sie sich schon immer einmal im Krimischreiben

versuchen? Es ist wirklich keine Hexerei! Hier finden Sie ein

paar bewährte Kniffe in Kurzfassung.

Zitator: Trick 1:

Zitatorin: Schreibtisch-Täter schwören auf Planung.

Zitator: Trick 2:

Zitatorin: Der Schluss kommt vor dem Anfang. … (Sie müssen) den

Schluss schon kennen, bevor Sie mit der Niederschrift anfangen.

(Musik aus.) O-Ton 5: Thomas Przybilka

Schreiben ist ein Handwerk und das sollte man eigentlich schon können. Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 0.21 ein, bei 0.24 aus. Zitator: …hinterher, durch den Flur in die Küche, auf den Fliesen,

schwarz-weiß, da liegt er, in seinem Blut liegt er, schwarz-weiß,

rot, aus seinen Armstümpfen pulsiert es, immer schwächer, nur

noch Rinnsale, er kniet sich vor ihn, greift in den Beutel, gibt ihm

die Hände zurück, die linke, die rechte …

(Musik: Kap. Wlodek, Take 3 nochmal hoch)

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Zitator: … legt die Säge weg, das Teppichmesser, sie stehen auf, die

Gesichter glatt, Köpfe wie kubistische Statuen, setzen sich in

Bewegung, rückwärts, in den Gesichtern erste Schatten, werden

Konturen, sie gehen weiter Schritt für Schritt …

O-Ton 6: Norbert Horst

In den Mordkommissionen, in denen ich gewesen bin, da hat man jemanden, der liegt da und ist tot, und dann arbeitet man sehr, sehr intensiv in einer relativ großen Gruppe, und man hat dann nach vier Wochen Mosaiksteinchen um Mosaiksteinchen zusammengelegt ...

Erzählerin: Norbert Horst ist Kriminalhauptkommissar im Brotberuf, als

Krimi-Autor wurde er ausgezeichnet mit dem Deutschen

Krimipreis und dem Glauser-Krimipreis.

O-Ton 7: Norbert Horst

Das läuft unter „Polizeikrimi“. Natürlich schreibe ich eine Geschichte. Da ist jemand tot, und mit diesem Sterben passiert irgendetwas.

Zitator: … immer schneller aus der Küche, eine Nase über den Flur,

rückwärts, der Mund, durch die Eingangstür, fast ein Gesicht, in

die Dunkelheit, immer schneller, Augen, immer schneller ins

Dunkel, weg.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 0.27 ein, bei 0.30 aus.)

O-Ton 8: Thomas Przybilka Es soll unterhalten, es soll spannend sein und wenn man das nicht kann, wird es schlecht, unheimlich langweilig.

(„Lore-Roman“) Zitatorin: … diesmal hatte er Justus neben sich und Livius … Schwert und

Dolch gezückt wie er. Sie bildeten einen Schirm aus Körpern um

das Mädchen, und ihr Schluchzen … der Hoffnungslosigkeit war

herzzerreißend. „Quintilianus“, hörte er sie wimmern, „lass mich

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nicht wieder in ihre Hände fallen. Töte mich, bevor sie mich

bekommen, bitte!“

Erzählerin: Karola Hagemann und Ilka Stitz: “Jung stirbt, wen die Götter

lieben“. Subgenre: Historischer Kriminalroman. Neu auf dem

Buchmarkt.

O-Ton 9: Karola Hagemann

Ich kann noch nicht davon leben. Beruflich bin ich verantwortlich für den Bereich Fortbildung im Landeskriminalamt hier. Ich schreibe zusammen mit einer alten Schulfreundin. Wir haben zwei Serien und ich sage auch ganz explizit begonnen, weil wir beide weitermachen können. Die erste war in der heutigen Türkei, die damalige Provinz Asia, denn wir schreiben über die alten Römer.

Zitatorin: „Quintilianus, versprich mir eines, verlass mich nicht, nie wieder,

bleib bei mir für immer“. Fuscia löste ihre Hand aus seiner, hob

sie und strich über seine Wange.

O-Ton 10: Karola Hagemann

Wir hatten keine Probleme, Verlage zu finden.

Zitatorin: Er fing ihre Finger, hielt sie fest. „Ich verspreche es dir, Fuscia.

Noch heute werde ich deinen Vater um deine Hand bitten …

O-Ton 11: Georg Simader

Eheanbahnung ist vielleicht auch ein Wort, das ein gutes Wort ist für die Arbeit des Literaturagenten. Natürlich müssen wir auch darauf schauen, dass die andere Seite die Mitgift und vor allem die richtige Mitgift mitbringt.

Erzählerin: Georg Simader ist so ein Eheanbahner. Er „bahnte“ die Ehe

zwischen dem Autorinnenduo Hagemann/Stitz und dem Grafit-

Verlag.

O-Ton 12: Georg Simader

90 oder 95 Prozent der Manuskripte, die wir annehmen, die verkaufen wir auch. Das liegt schlichtweg daran, dass wir nun mit den besten arbeiten wollen.

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(ergriffen) Zitatorin: „Quintilianus, versprich mir eines, verlass mich nicht, nie wieder,

bleib bei mir für immer.“

O-Ton 13: Georg Simader

Auch da steht eine monetäre Überlegung dahinter. Wenn ich 20 Manuskripte habe und pro Manuskript für den Autor 5000 Euro erlöse, da ist mir eins lieber, wo ich Hunderttausend Euro erlöse.

Erzählerin: Er und sein Büro „copywrite“ sind auf Krimis spezialisiert.

O-Ton 14: Georg Simader

Der Agent ist der bezahlte Freund des Autors.

Erzählerin: … und der bezahlte Freund profitiert vom derzeitigen

Aufschwung deutschsprachiger Krimis.

O-Ton 15: Georg Simader

Es geht darum, eine Marke aufzubauen, einen Autor, gerade wenn man von Krimiautoren spricht – die Markenbildung voranzutreiben.

Erzählerin: Der Krimimarkt boomt, aber er hat sich geändert: Früher hatten

einige Verlage Krimireihen, quasi neben der „seriösen“

Belletristik. Heute ist die Kriminalliteratur meistens in das

Belletristik-Programm integriert. Zudem gibt es Verlage, die sich

auf Krimis spezialisiert haben.

O-Ton 16: Thomas Przybilka

Früher: Kriminalliteratur war ja Schundliteratur. Es wird kolportiert, dass die Krimis als Taschenbuch ihre 120 oder 140 Seiten hatten, damit man den Krimi versteckt hinter einer Zeitung in der Zugfahrt von Dortmund nach München lesen konnte und den Krimi dann weggeschmissen hat.

Erzählerin: So der Buchhändler und Krimiexperte Thomas Przybilka.

O-Ton 17: Thomas Przybilka

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Inzwischen will jeder Verlag einen Krimi haben, weil Krimi trendy ist, Krimi wird gekauft. Wie die exakten Verkaufszahlen aussehen, das kann ich Ihnen nicht sagen.

Erzählerin: …es gibt keine genauen Zahlen, schätzungsweise sind aber ein

Viertel in der Rubrik Belletristik/Unterhaltungsliteratur Krimis in

weitestem Sinne.

O-Ton 18: Dr. Thomas Wörtche

Ich bekomme pro Monat für meine Jury-Tätigkeit und andere Rezensionstätigkeiten ca. 170 bis 180 Titel auf den Tisch.

Erzählerin: … nicht nur englische, US-amerikanische und skandinavische

Krimis. Mit steigender Tendenz auch deutschsprachige.

O-Ton 19: Dr. Thomas Wörtche

Der deutsche Anteil ist größer geworden, auf jeden Fall. „Gefühlt“ hat er sich in den letzten 15 oder 20 Jahren verdoppelt, wenn nicht verdreifacht. Das hat damit zu tun, dass die Verlage natürlich den deutschen Krimi entdecken, weil der deutsche Krimi einen großen Vorteil hat, er kostet kein Übersetzungsgeld und er hat auch weiterhin den Vorteil, dass deutsche Autoren bei den Vorschüssen – Verlage sagen oft – sehr vernünftig sind. Das heißt, entweder nehmen sie keine oder sie kaufen auch noch 300 Exemplare ihrer eigenen Werke.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 7. Bei 0.02 ein, bei 0.04 aus.) (wie Fernsehwerbung) Zitatorin: Kleine Trickkiste für Krimi-Schreiber:

Zitator: Trick 3:

Zitatorin: Der Autor ist der Chefermittler.

Bestimmt wollen Sie eine besondere, einzigartige Geschichte

schreiben - eine, die lange in Erinnerung bleibt.

Erzählerin: … was selten so gut gelingt wie bei Wolf Haas.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 0.50 ein, bei 0.52 aus.)

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Zitator: Das war schon ein Reflex bei der Manu, immer jeden Hund

umarmen. (…) Aber du darfst nicht vergessen: Die Manu den

Umarmungsreflex, der Hund den Beutereflex.

Pass auf. Die Manu bückt sich hinunter, umarmt den Argentino

und küsst ihn auf den Hals. Und was macht der Hund? Umarmt

die Manu auch und küsst sie auch auf den Hals. Oder sagen wir

mal so. Beißt ihr mit einem einzigen Biss die Gurgel durch.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 3. Bei 1.02 ein, bis Ende.)

Erzählerin: Viele Krimis werden gelesen, noch mehr publiziert und noch

mehr geschrieben.

O-Ton 20: Georg Simader

Es ist ja so, dass bei meiner Kollegin die Manuskripte hereinkommen. Das sind im Jahr um die 1000. Man entwickelt im Laufe der Zeit ein sehr feines Gefühl dafür, was jetzt Schrott ist und was kein Schrott ist. ..

Erzählerin: Etwa 98 Prozent werden von der Krimi-Agentur „copywrite“

freundlich abgelehnt.

Zitator: 80 Prozent der Produktion ist Schrott und Schotter, 10 Prozent

Konfektion, 10 Prozent Literatur …

Erzählerin: … schreibt der Kritiker und Juror des Deutschen Krimipreises

Thomas Wörtche.

O-Ton 21: Dr. Thomas Wörtche

Der deutsche Krimi ist für den Verleger irgendwie ein risikoloses Ding, und soweit es um Regionalkrimis geht, ist sozusagen auch der Absatz in der Region garantiert …

Erzählerin: Münster, Kassel, Celle - kaum eine Stadt, in der nicht Tote auf

Marktplätzen, an Flussufern und in Nachbars Garten

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herumliegen. Sauerland, Lüneburger Heide, Sylt und Bodensee -

kaum eine Region, in der nicht mürrische Hauptkommissare und

frische Kommissarinnen ermitteln. Professorinnen, Pfarrer,

Förster, Studienrätinnen – kaum ein Berufsstand, aus dem nicht

Täter oder Opfer stammen.

O-Ton 22: Dr. Thomas Wörtche

Krimi ist sozusagen das erzählerische Superparadigma unserer Zeit. Ich denke, über Krimi wird alles kommuniziert. Man kommuniziert Fußballergebnisse, Bundestagsdebatten, Gesetzesentwürfe, you name it. Alles spannend wie ein Krimi, also das ist ein Verständigungskürzel sozusagen. Also: Krimi scheint so eine Globalformel zu sein. Irgendeiner hat mal gesagt, das Universalgenre des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts.

Erzählerin: Literaturwissenschaftler unterscheiden zwischen Kriminal- und

Detektivliteratur – der Kriminalroman erzähle das Verbrechen,

der Detektivroman dessen Aufklärung.

Jochen Schmidts frisch überarbeitetes Standardwerk „Gangster,

Opfer, Detektive. Eine Typengeschichte des Kriminalromans“

gibt ganz hervorragend und zudem sehr unterhaltsam Auskunft

über alles rund um den Krimi. Genannt werden verschiedene

Subgenres: Thriller, Agentenroman, Polizeikrimi, Soziokrimi,

Frauenkrimi etc. Nicht genannt werden der deutsche Katzen- ,

Hunde und: Schafskrimi:

(Musik: Kap. Wlodek, Take 12. Ab Anfang ein, bei 0.02 aus.)

Zitatorin: Der Schäfer lag … im grünen Gras und rührte sich nicht mehr.

„Er war kein besonders guter Schäfer“, sagte Heide, die noch fast

ein Lamm war …

„Genau!“ Das war Cloud, das wolligste und prächtigste Schaf …

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Erzählerin: „Glennkill“ von Leonie Swann – ein Schafskrimi, der zum

Bestseller wurde. Ein weiterer Schafskrimi wurde vom

Goldmann-Verlag für das Frühjahr angekündigt.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 12. Bei 0.02 ein, bei 0.04 aus.)

O-Ton 23: Ingrid Noll

Nun sagen mir natürlich die Buchhändler, dass zu allen Lesungen mehr Frauen kommen, dass Belletristik sowieso fest in weiblicher Hand ist. Und bei mir ist es dann noch einmal extrem, denn ich bin eine Frau, und meine Heldinnen sind auch Frauen. Es interessiert also Frauen mehr, und es wird aus weiblicher Sicht berichtet. Frauen können sich identifizieren und können es besser nachvollziehen. Das ist also ein klarer Fall.

Erzählerin: … in Indrid Nolls erstem Roman „Der Hahn ist tot“.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 12. Ab Anfang, bei 0.02 aus.)

Zitatorin: Ich besah mir die Nackte und fühlte den Puls, war mir aber nicht

ganz sicher, ob ich ihn schwach spüren konnte oder nicht. …

Meine Ärmel durften nicht nass werden. Ich krempelte sie hoch,

setzte mich auf den Wannenrand und schob ihren Kopf langsam

hinunter, bis er ganz unter Wasser war, dafür aber die Beine aus

der kleinen Wanne ragten.

O-Ton 24: Ingrid Noll

Man hat mir auch vorgeworfen, dass man wie in meinem ersten Roman nicht um einen Mann zu kriegen, andere Frauen umbringen darf, das wäre also das Gegenteil von feministisch.

Erzählerin: Ingrid Noll war trotz weiblicher Leichen so etwas wie die

feministische Initialzündung für den deutschsprachigen

Frauenkrimi.

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(Musik: Kap. Wlodek, Take 12. Bei 0.16 ein, kurz stehen lassen, dann dem Folgenden unterlegen.)

Zitatorin: „Schieß endlich los!“ sagte ich. „Du willst mir doch von deinem

Honeymoon in der Toskana berichten.“

„So würde ich diesen Pipikram lieber nicht nennen“, sagte Cora,

„es geht um Wichtigeres. Ich plane einen Mord.“

O-Ton 25: Ingrid Noll

Natürlich, das muss sorgfältig gemacht werden, nicht gepfuscht.

Zitatorin: Mit offenem Mund starrte ich sie eine Weile an. Bisher hatten wir

noch nie einen Mord geplant; die Todesfälle in unserer

unmittelbaren Umgebung hatten sich stets ganz zwanglos und

spontan ergeben. „Soll ich etwa deinen Vetter kaltmachen?“

fragte ich.

O-Ton 26: Ingrid Noll

… überhaupt auch wie Frauen morden, doch häufiger durch Gift und das kann ich auch nachvollziehen, denn man macht sich die Hände nicht so schmutzig.

Zitatorin: „Und wer hat die Ehre von uns abgestochen zu werden?“

„Maja, das ist kein lausiger Witz, sondern blutiger Ernst. Wir

müssen leider die Amerikanerin beseitigen, um endlich an das

toskanische Landgut zu kommen.“

O-Ton 27: Ingrid Noll

Meine Lieblinge kommen immer ganz gut weg, und ich bringe es nicht übers Herz, die dann in den Knast zu sperren.

Erzählerin: „Selige Witwen“ heißt ein Roman von Ingrid Noll:

Zitatorin: Ihr ließ also die toskanische Traumvilla immer noch keine Ruhe!

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„Cora“ sagte ich beschwörend „wir bringen keine Frauen um, das

haben wir noch nie gemacht! Deine Idee ist absolut Scheiße. Ich

wüsste zwei Männer, bei denen sich die Mühe lohnt.“

O-Ton 28: Ingrid Noll

Es sind nicht immer Männer, die umgebracht werden. Ich hatte sogar anfangs an eine Quotenregelung gedacht, aber die habe ich jetzt nicht ganz stur eingehalten.

Zitatorin: „Okay“, sagte Cora, „mir kann es nur recht sein, wenn es auch

anders geht.“

(Musik aus.) Erzählerin: In diesem Fall geht es anders, sonst oft nicht.

O-Ton 29: Ingrid Noll Meine Leser und Leserinnen sind viel blutrünstiger als ich.

Zitator: Das Beiseite-Schaffen lästiger (männlicher) Störenfriede wird

geradezu Nolls Markenzeichen. …

Erzählerin: Kritikerinnen stört das meistens nicht. Sie meinen es gut mit

Ingrid Noll, Kritiker dagegen nicht immer:

Zitator. Sie lässt in gewohnter, bedenkenloser Munterkeit ihre Heldinnen

über ihr Leben plappern …

Erzählerin: … moniert zum Beispiel Jochen Schmidt.

O-Ton 30: Ingrid Noll Einmal kam ein Satz, den ich nicht vergessen werde. Da stand: „In jeder Zeile müffelt es nach Klimakterium.“ Da war ich richtig sauer. Denn: Klimakterium müffelt ja nicht mehr, und ich fand das extrem frauenfeindlich.

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Erzählerin: Der heimische Garten hält für spezifische Anwendungen einiges

bereit:

O-Ton 31: Ingrid Noll

Ich habe durchaus Pflanzengift schon einmal benutzt, Eisenhut, der sehr giftig ist und der auch schwer nachzuweisen ist. Der ist giftiger als Fingerhut. Aber jetzt will ich kein Rezept dafür liefern, das dann die Hörer anwenden.

Zitator: … ein windschief konstruiertes Märchen, das Gewalttätigkeit

verharmlost …

Erzählerin: … noch ein Kritiker.

O-Ton 32: Ingrid Noll

Ich verharmlose Gewalt, glaube ich, wirklich nicht. Ich verachte Gewalt sehr. Und ganz persönlich habe ich es fertig gebracht, drei Kinder aufzuziehen ohne sie je zu verhauen, noch nicht mal eine Ohrfeige.

Erzählerin: Erst nach einem Leben als Mutter und als helfende Arztgattin ….

O-Ton 33: Ingrid Noll

Ich habe 20 Jahre bei meinem Mann mitgearbeitet in der Praxis. Daher habe ich auch viel Erfahrung in Todesursachen.

Erzählerin: … nach einem Leben als Angehörige der gehobenen Mittelschicht

O-Ton 34: Ingrid Noll … ich lebe ja selbst ein bürgerliches Leben und kenne mich in dieser Mittelschicht ganz gut aus. Ich weiß, wie es da zugeht. Ich kenne da auch viele Berufe, aber wenn ich jetzt die Drogenmafia in Südamerika beobachten sollte, dann müsste ich wahrscheinlich ein paar Jahre dort leben. Das geht, so wie ich lebe, nicht.

Erzählerin: … nach einem Leben als Hausfrau – der Autor lässt noch einmal

danken für die hervorragende Ochsenschwanz-Suppe, auch dafür,

dass ihn die Autorin am Bahnhof in Weinheim abgeholt hat – …

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also nach ihrem Leben als Hausfrau begann Ingrid Noll – - das

ist übrigens ihr Pseudonym - zu schreiben …

O-Ton 35: Ingrid Noll

An die heile Welt glaube ich in meinem Alter schon lange nicht mehr. Deswegen will ich die auch nicht am Schluss produzieren.

Erzählerin: … Ingrid Noll wurde schlagartig Anfang der 1990er Jahre zur

gutverdienenden Bestseller-Autorin.

O-Ton 36: Ingrid Noll

Die Amoralität – auf die bin ich stolz. (lachen) Ein Krimi ist durch und durch amoralisch. Das ist einfach das Thema. Da wird gestohlen und gemordet und die Menschen gönnen sich nicht die Butter aufs Brot. Es geht um das Böse. Deshalb muss ein Krimi amoralisch sein.

O-Ton 37: Dr. Thomas Wörtche

… ich verstehe zum Beispiel nicht, wie man sich nicht langweilen kann bei dem 539 Millionenfachsten „wer hat Onkel Erwin umgebracht“.

Erzählerin: Ordnung – Störung der Ordnung durch ein Verbrechen –

Wiederherstellung der moralischen Ordnung durch Aufklärung

des Verbrechens – auch bei D.B. Blettenberg gibt es derlei Plots

nicht.

O-Ton 38: D.B. Blettenberg

Zu der Moral zitiere ich ja immer Pitigrilli „Kokain“: Da steht drin: „Die Moral ist wie die Trichine. Sie sitzt im Schweinefleisch.“ Entweder man hat eine Haltung zu irgendetwas, und dann scheint die raus. Aber Moral an sich ist weder etwas, mit dem ich antrete, einen Roman zu schreiben, noch sollte der meiner Ansicht nach als Pflichtübung in einem Roman aufscheinen.

Erzählerin: D.B. Blettenberg schreibt seit knapp 30 Jahren mit Preisen

bedachte Kriminalromane …

O-Ton 39: D.B. Blettenberg

Ich habe die drei Preise innerhalb von 10 Jahren gewonnen. Das ist auch etwas, was mich beruhigt.

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Erzählerin: Er schreibt einfühlsame und genaue Psychokrimis, reflektierte

und gut recherchierte Politthriller, überraschende

Schnüfflergeschichten – immer spannend, nie „mainstreamig“.

Es wird heftig gesoffen und lautstark gefickt, - alles geschildert

mit ungebrochenem Machoblick. Zu lachen gibt es wenig.

O-Ton 40: D.B. Blettenberg

Ich habe eigentlich einen Teil des Geldes immer mit artverwandten Arbeiten gemacht, mit der Prosa an sich hätte ich nie überleben können. Da muss man schon Bestseller-Autor sein. Das war bei mir immer eine Mischkalkulation. .. Ich bin jetzt ungefähr 15 Jahre freier Schriftsteller, und davor war ich 15 Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Ich habe ja einen Brotberuf gehabt. Das geht.

Erzählerin: Die Romane spielen oft dort, wo Blettenberg gearbeitet hat – etwa

in Thailand im Prostitutionsmilieu.

(Musik: Fanfares en Délire: Golden Bras Summt (Take 9) Ab Anfang, bei 0.03 aus.)

Zitator: „Also in den letzten vier Monaten, ungefähr seit Beginn der

Hauptsaison für Touristen Anfang November, sind in Pattaya und

näherer Umgebung sechs Urlauber umgebracht worden. Alles

Ausländer. Zwei Amerikaner, männlich. Drei Italiener, zwei

Frauen, ein Mann. Eine Dame aus Holland. Große Titten.“

„Das sind die Details, die du dir merkst!“

„Was?“

„Große Titten!“

„Vom Messer bis zum Würgen jede Technik, die keinen Krach

macht.“

O-Ton 41: D.B. Blettenberg

Man muss diese exotische Seite auch als Köder auslegen, die ist da, aber man darf sich nicht darin suhlen, die Hängematte etc., die Thai-Frauen, ja, sondern man muss auch die andere Seite der Medaille sehen.

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Erzählerin: „Farang“ heißt der Roman und der halbdeutsche halbthailändische

Held. Er ist eine Art Privatdetektiv, legt schnell mal ein paar

Leute um, kennt sich aus mit korrupten Militärs, schmierigen

Diplomaten und bei der thailändischen Drogenmafia.

O-Ton 42: D.B. Blettenberg

Ich bezeichne mich ja auch gerne als Auslandsdeutscher. Weil, ich habe einen Großteil meines Lebens in der sogenannten Dritten Welt, in Übersee, gelebt und gearbeitet.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 7. Bei 0.07 ein, bei 0.09 dem Folgenden unterlegen.) (wie Fernsehwerbung) Zitatorin: Kleine Trickkiste für Krimi-Schreiber:

Zitator: Trick 5:

Zitatorin: „Verhaften“ Sie Ihre Leser umgehend. Philosophierende

Einleitungen oder beschauliche Beschreibungen am Beginn eines

Krimis finden sie unerträglich.

(Musik aus.)

Zitator: Buenos Aires. Santander glaubte nicht mehr an die Gerechtigkeit.

O-Ton 43: D.B. Blettenberg Ich habe ja angefangen in Lateinamerika ...

Erzählerin: … als Entwicklungshelfer.

O-Ton 44: D.B. Blettenberg

Im Grunde genommen bin ich in Lateinamerika politisiert worden unter einer Militärdiktatur. Ich habe gesehen, was Gewerkschaften, auch die fortschrittliche Kirche, Gutes tun können gegen solche Folterer und Unterdrücker, und da habe ich mir meine Sichtweise erst einmal zugelegt.

Erzählerin: Einige seiner Romane spielen in Lateinamerika. Darin ist

Blettenbergs Sympathie für den Widerstand gegen die in den

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1980er Jahren dort herrschenden Militärdiktaturen spürbar. Einer

seiner Protagonisten ist Auftragskiller und arbeitet gegen sie.

Blettenberg interessiert aber auch, was aus den Revolutionären

nach der Revolution wird.

O-Ton 45: D.B. Blettenberg

Die Revolution frisst ihre Kinder. Es ist natürlich ungeheuer wichtig, solche Despoten wie Somoza wegzuputzen. Und das ist auch ein Verdienst. Das kann man auch niemandem nehmen, die das gemacht haben. Aber man lernt auch, dass die, die das machen, wenige Jahre später ähnlich agieren.

Erzählerin: Das ist das Thema in „Null Uhr Managua“ und in seinem gerade

neu als Taschenbuch erschienenen Roman „Land der guten

Hoffnung“, der in Südafrika spielt.

O-Ton 46: D.B. Blettenberg

Natürlich hat mich erst einmal wieder, wie immer die Politthriller-Seite interessiert …

Erzählerin: Der ANC hatte seine Leute für die dreckigen Aufgaben, die

Vertreter des Apartheitsregimes auch. Nach der Befreiung und

scheinbaren Versöhnung der Kontrahenten organisierten sich die

Kräfte neu …

O-Ton 47: D.B. Blettenberg

… als ich dort war und habe mit Anwälten gesprochen und anderen Leuten, habe diese Geschichte erzählt bekommen, dass die Wahrheitsfindungskommission jetzt Schluss gemacht hat und dass viele sich gar nicht erklärt haben, und dass unheimlich viele frustriert sind und jetzt im Umfeld der Staatsanwaltschaft zuarbeiten, weil jetzt das andere Recht greift, um die zu überführen. Einfach ein Gefühl der Enttäuschung.

Erzählerin: Hier siedelt Blettenberg seine Geschichte an. Sein behutsam

vorgehender Protagonist soll einen Mann finden, der im Fortgang

des Romans unwichtig wird. Er fährt durch Südafrika. Beim

Leser entstehen einprägsame Bilder von Land und Leuten. Der

Ich-Erzähler trifft auf Rena, eine Frau, die vor längerer Zeit in

Deutschland entführt wurde und in psychischer Abhängigkeit zu

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ihrem früheren Entführer Bertrand lebt. Bertrand ist ein

selbstherrlicher Rassist und Folterknecht des Apartheitsregimes.

Alles endet in einem klassischen sadomasochistischen

Psychospiel. Rena bekommt von ihrem Entführer die Chance,

sich zu befreien.

Zitator: (Er legte ihr) behutsam die Pistole in den Schoß.

„Hier sie ist fertig geladen und entsichert. Du brauchst sie nur

einmal auf mich zu richten, um den Ballast auf deiner Seele

loszuwerden. Mit Hilfe dieser Waffe hatte ich damals dein Leben

in der Hand – und ich habe es dir nicht genommen. Jetzt kannst

du gleichziehen. Es wird uns miteinander aussöhnen.“

Zitator: Das erste Projektil traf Bertrand in den Unterleib.

Erzählerin: Blettenbergs Bücher sind als Taschenbuch noch fast alle erhältlich

– vor allem beim Krimi-Verlag „Pentagramm“. Sein neues Buch

erscheint im Herbst zunächst als Hardcover bei DuMont.

O-Ton 49: D.B. Blettenberg

Ich würde mehr Geld verdienen, wenn ich mich dieser Normierung unterwerfe, den Formaten …

Erzählerin: … den üblichen Krimiformaten, zwei Ermittler in einer Stadt …

O-Ton 50: D.B. Blettenberg … hat aber auch den Nachteil, dass viele „Grimi“-Leser, die sich sehr stark am Fernsehen orientieren, mit meinen Büchern nicht so viel anfangen können. Das ist so. Da muss ich mit leben. Ich habe keine Kommissare …

Erzählerin: … und Kommissarinnen, wie im „Tatort“, und am Schluss wird

auch kein Mörder überführt.

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O-Ton 51: D.B. Blettenberg Mit meinem dritten Roman „Barbachs Bilder“ passte ich nicht in diese Reihe von Goldmann. Das wurde mir auch sehr freundlich vermittelt. Voyeur, Sex und was da nicht alles drin ist, ich will das jetzt nicht erzählen – und: Umschreiben! Und dann habe ich gesagt, nein, das schreibe ich nicht um. Und dann war meine Karriere als Taschenbuchschreiber bei Goldmann beendet. Drei Jahre später, nachdem ich angefangen hatte, stand ich wieder auf der Straße und hatte keinen Verlag. Das war die Konsequenz.

Erzählerin: Inzwischen hat Blettenberg einen Agenten - aber nicht Georg

Simader.

O-Ton 52: Georg Simader

Der Agent ist der bezahlte Freund des Autors.

Erzählerin: … und er betont:

O-Ton 53: Georg Simader

Es geht darum, die Markenbildung voranzutreiben.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 7. Bei 0.07 ein, bei 0.09 dem Folgenden unterlegen.) (wie Fernsehwerbung) Zitatorin: Kleine Trickkiste für Krimi-Schreiber:

Zitator: Trick 6:

Zitatorin: Spannung – Spannung – Spannung.

Enttäuschen Sie den Leser nicht, indem Sie einen flauen Mittelteil

liefern oder Ihr Pulver zu schnell verschießen. Und legen Sie

dem Helden Stolpersteine in den Weg!

(Musik aus.) O-Ton 54: D.B. Blettenberg

Von dem Moment an, wo ich ein Buch anbiete, ist es ein Stück Seife. Es heißt, es ist Marktpolitik, es geht nur um Geld. Nicht weil ich so gierig bin, sondern ein Buch hat nie eine Chance, wenn das Buch nicht beworben wird, .. und da ist die Stunde der Wahrheit: Wie viel tut der deutsche Verlag für den Autor oder die Autorin.

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Erzählungen: … und wie viel tut ein Autor für sein Buch. Veranstaltet er

Lesungen?

O-Ton 55: Atmo, Musik vor der Lesung

(Musik ggf. verlängern und dem Folgenden unterlegen.) O-Ton 56: Dr. Thomas Wörtche

Da eine Lesung ja inzwischen ein Event ist, sieht man am besten toll aus, ist witzig, ist eine Rampensau oder ist – das geht auch – als Genie kann man auch konzentriert und in sich gekehrt sein. Aber wenn man davon gar nichts ist, hat man Pech gehabt, dann fliegt man aus dem Lesungszirkus heraus oder gilt als schwierig oder langweilig.

(Applaus) O-Ton 57: Lesung. Begrüßung

(Ansage auf Schweitzerdeutsch: Ich darf Sie begrüßen zur Criminale 2009)

Erzählerin: Die Criminale ist eine jährlich organisierte Veranstaltung des

„Syndikats“, einer Vereinigung von etwa 600 deutschsprachigen

Krimiautoren. 2009 fand sie im Länderdreieck Deutschland,

Österreich und der Schweiz statt. Im Umkreis der Stadt Singen

fand sich reichlich Publikum für 175 Lesungen.

O-Ton 58: Lesung. Begrüßung

(Ansage auf Schweitzerdeutsch) Es ist da der Bodo Dringenberg, der Günter Zäuner und die bereits bekannte Frederike Schmöe. Der Kulturpräsident wird noch auf die Autoren eingehen und sie vorstellen)

Erzählerin: Ein kulturelles Großereignis im schweizerischen Thayngen. Es

gibt den heimischen Wein, einen kleinen Imbiss, der Saal ist

mehr als gut besetzt, etwa zweihundert Leute, die örtlichen

Honoratioren werden begrüßt, die Organisatoren …

O-Ton 59: Lesung. Begrüßung (Danke vielmals. Applaus) Machen wir erst Musik.

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O-Ton 60: Ansage Ich möchte Ihnen den ersten Autoren des Abends vorstellen: Bodo Dringenberg. Er ist 1947 geboren und lebt seit 1972 in Hannover. Er hat Germanistik und Politische Wissenschaften studiert …

Erzählerin: … der Kulturpräsident stellt sehr gründlich vor, verweist auf

Leben und Werk…

O-Ton 61: Ansage

… und immer spielt im Erzählstil von Bodo Dringenberg ein leiser feiner Humor mit. Hören Sie selbst. (Dringenberg) Vielen Dank für die Vorstellung. Ich lese aus der zweiten Erzählung im genannten Band „Kleiner Tod im großen Garten“, sie heißt „Listenschnitte“:

O-Ton 62: Lesung Bodo Dringenberg

Ach es wäre toll als Lehrer. Einen hohen Dispositionskredit, schöne Kiefernmöbel, einen Weinkeller anlegen, einen dicken Schnurrbart tragen, in den Sommerferien 4 Wochen in die Toskana. – Diesen Rittlinger Kiesteich in Hannover kenne ich seit 10 Jahren. Seit meinem Studienbeginn bin ich dort hineingegangen. Ich beobachte sie dort am Nacktbadekiesteich, versteckt mit dem Fernglas von gegenüber. Nun ist es soweit. In kompletter Taucherausrüstung fast ganz in Neopren mit Druckausgleichsmaske und Pressluftgerät schlappe ich auf Schwimmflossen aus dem Ufergebüsch hinein ins dumpfbräunliche Element als die geübte, ausdauernde Schwimmerin zum letzten Mal das warm-trübe Gewässer besteigt.

Erzählerin: Dringenberg hat zwei Romane publiziert, der historische

Kriminalroman „Mord auf dem Wilhelmstein“ bekam beste

Kritiken. Diverse Kurzgeschichten folgten. Die vom

leistungsbereiten aber infolge Lehrerschwemme stellenlosen

Nachwuchslehrer Manfred liest der bühnenerfahrene Autor.

O-Ton 63: Lesung Bodo Dringenberg „Manfred“, sage ich mir, „Leistung trotz Handicap. Überwinde die Schwierigkeiten“. Dieses verdammte Amt

Erzählerin: … der stauballergische Manfred arbeitet als „Aktenzieher“ weit

unter seinen intellektuellen Möglichkeiten.

O-Ton 64: Lesung Bodo Dringenberg

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Ich lernte den fetten Hacker beim Frustsaufen kennen. Er war eine Art Kollege, ein stellungsloser Physik- und Sportlehrer, der seine autistischen Tendenzen als Computerfan stilisiert und sich schließlich zum Computerhacker perfektioniert hatte. Ein prahlerischer Trinker auf der Suche nach einem Freud oder mindestens einem interessanten Saufkumpanen. Im Gegensatz zu mir war seine Stimmung von einem grundsätzlichen Weltekel getragen, der keine echte Leistung mehr zuließ.

Erzählerin: … von ihm erfährt Manfred, wer auf der Liste anzustellender

Lehrer vor ihm ist und mordet sich zielstrebig an die erste Stelle.

O-Ton 65: Ansage

Meine Damen und Herren. Ich darf Ihnen nun den zweiten Autor des heutigen Abends vorstellen. Es ist Herr Günther Zäuner …

Erzählerin: … auch ein geübter Vorleser, allerdings mit einem eher

konventionell gestrickten Serien-Privatdetektiv namens

Kokoschanski …

O-Ton 66: Günther Zäuner … Servus Koko, alter Pomfilederer … Das muss man übersetzen, Servus Koko, alter Leichenflederer.“

Erzählerin: Koko mischt in Wien und auf Wienerisch chinesische

Verbrechergangs auf.

O-Ton 67: Günther Zäuner

Charlotte Gumdrang stößt einen spitzen Schrei aus und presst sich die Hand vor den Mund, während Reinhold Fuchstaler als letztes Geräusch in seinem Leben das Knacken des Genicks seiner Kollegin hört, bevor auch ihm ein wuchtiger Karateschlag der Hals bricht. Er wird nie mehr erfahren, wer dieses unbekannte Mädchen ist und ob Zeng ein „R“ aussprechen kann oder nicht. Doch das ist ja jetzt auch egal.

(Klatschen bleibt dem Folgenden untergelegt)

Erzählerin: Die Weingläser werden gefüllt. Es folgt der Höhepunkt des

Abends.

O-Ton 68: Vorstellung

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So, und nun endlich zum Thaynger Krimi, zu „unserem“ Kriminalroman. Zum dritten Mal weilt nun schon Frederike Schmöe hier bei uns in Thayngen. Letzten Sommer besuchte sie unser Dorf ….

Erzählerin: … inzwischen heuern Städte und Nordseeinseln Autoren an, die

gegen Kost und Logis und ein kleines Taschengeld vor Ort

rauben, morden und brandschanzen lassen. Warum nicht auch in

Thayngen? Es liegt landschaftlich reizvoll in der Nähe des

Bodensees.

O-Ton 69: Frederike Schmöe

Meine Recherchen vor einem knappen Jahr, die waren auch ganz klasse. Ich wurde sehr engagiert betreut vom Gemeindepräsidenten Bernhard Müller und von der Familie Gozanelli, und es war toll.

Erzählerin: So entstand der Kurzkrimi: „Der rote Milan bringt den Tod“.

O-Ton 70: Frederike Schmöe: Katinka hob ihre Baretta und zielte. Das Projektil raste durch Henni Martins Oberarm.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 7. Bei 0.07 ein, bei 0.09 dem Folgenden unterlegen.) (wie Fernsehwerbung) Zitatorin: Kleine Trickkiste für Krimi-Schreiber:

Zitator: Trick 7:

Zitatorin: Machen Sie Ihre Leser zu Komplizen. Am elegantesten streuen

Sie das Gift wie nebenbei ein.

(Musik aus.) Erzählerin: Immer mehr Autorinnen und Autoren, immer mehr Lesungen.

Finanziert werden die „Criminalen“ durch die Kulturministerien

und die beteiligten Gemeinden, vor allem aber durch Sponsoren:

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Von Karstadt, über Cola und Maggi ist alles dabei, auch die

örtlichen Autohändler, Sparkassen, Brauereien und

Buchhandlungen. Veranstalter ist das 1986 gegründete

„Syndikat“, eine Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren.

Inzwischen gehören über 550 dazu. Ziel ist die Förderung und

Verbreitung deutschsprachiger Krimis. Voraussetzung für die

Mitgliedschaft ist eine Publikation in einem Verlag. Andreas

Izquierdo ist einer der drei Sprecher.

O-Ton 71: Andreas Izquierdo Es wird immer schwieriger, und gleichzeitig freut es mich, dass es auch ein Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins ist, dass es immer mehr deutsche Krimis gibt, immer mehr Autoren gibt, und die kommen zur Criminale, weil das nun einmal der Höhepunkt des Jahres ist für die deutschsprachigen Krimiautoren und die deutschsprachigen Krimiautorinnen. Und es ist, finde ich, ganz spannend, die Leute kennen zu lernen. …

Erzählerin: … es wird getratscht und geklatscht, getrunken und gelesen.

Bekannte Autoren wie Ingrid Noll, Heinrich Steinfest und

Bernhard Jaumann treffen sich mit unbekannten. Geredet wird

über Geld …

O-Ton 72: Andreas Izquierdo

Also von der Belletristik kann ich nicht leben. Ich glaube, davon können nur ganz wenige leben. Aber trotzdem bin ich professioneller Autor. Ich arbeite sehr viel im Drehbuchbereich. Davon kann man ganz gut leben. Da wird ganz gut gezahlt.

Zitator: Für einen Fernseh-Tatort gibt es 30.000 Euro Ersthonorar.

Drehbücher für Fernsehfilme der öffentlich-rechtlichen oder die

Serien der privaten Sender werden auch nicht schlecht bezahlt.

Erzählerin: Vom Krimischreiben allein können nur wenige leben. Der Zugang

zu großen Verlagen ist fast nur über Agenten möglich.

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O-Ton 73: Georg Simader Der Agent ist der bezahlte Freund des Autors.

Erzählerin: Und die Agenten glauben, Bescheid zu wissen – wie auch die

Verlage. Andreas Izquierdo:

O-Ton 74: Andreas Izquierdo 368-

… die wissen oder glauben zu wissen, was sich gut verkauft und möglicherweise haben sie sogar Erfahrungswerte, was sich gut verkauft – und dann möchten die das und das führt teilweise zu absurden Situationen. Was mir gestern ein Verleger an der Bar erzählt hat, der sagte mir, ich habe da eine Anfrage bekommen, weil bei einem Verlag ein Buch mit Milch im Titel – also das Wort „Milch“ das lief gut. Und jetzt wollten sie irgendein Buch haben, wo „Milch“ im Titel ist. Also es ist komplett bekloppt, aber es ist dann so, dass so eine Labelisierung stattfindet und wenn dann irgendwie Katzen gut gehen, dann gibt es ordentlich Katzen, im Moment sind es Vampire, da muss alles mit Vampiren sein oder Schweinkram. Bei den großen Verlagen ist die Vermarktung extrem wichtig geworden und die müssen und wollen verkaufen, und da ist ihnen kein Trick zu schmutzig um diesen Verkauf herzustellen.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 7. Bei 0.07 ein, bei 0.09 aus.) (wie Fernsehwerbung) O-Ton 75: Georg Simader

Also es gibt schlichtweg eine Regel, die immer gelten sollte für Agenten: Der Autor schreibt, der Agent macht den Rest.

Erzählerin: Der Krimi-Literatur-Kritiker Thomas Wörtche:

O-Ton 76: Dr. Thomas Wörtche

Ich sehe natürlich auch eine relativ verwirrte Verlagslandschaft, die wirklich auch bereit ist, viele Sachen zu drucken, die man eigentlich nicht drucken dürfte und auf der anderen Seite nicht bereit ist, sehr interessante Sachen zu drucken, die man drucken müsste.

Erzählerin: Große Verlage wie Ullstein, Eichborn, Diogenes, Piper, Rowohlt

und andere publizieren wohlfeile Krimi-Konfektionsware oder

originelle Romane von Autorinnen und Autoren, die sich bereits

etablieren konnten.

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O-Ton 77: Dr. Thomas Wörtche Schauen Sie, Pendragon, der Pendragon-Verlag sammelt ja wirklich exzellente Autoren, die, so lächerlich das klingen mag, keine großen Verlage mehr haben. Während sich diese großen Verlage zustopfen mit Büchern, wo man sich wirklich in die Hände patscht und fragt, wer macht denn so was? Da herrscht schon eine gewisse Desorientierung, muss ich sagen. Die Leute wissen nicht, was sie tun.

Erzählerin: Hinzu kommt: Die Buchhandelsketten nehmen Einfluss auf den

Vertrieb …

O-Ton 78: Dr. Thomas Wörtche

… notfalls sitzt da ein tyrannischer Vertriebsmensch, der sagt, das geht nicht, das geht nicht. Es ist für viele Autoren die Hölle und die Pest mit Verlagen zu verhandeln und mit Verlagen zu arbeiten, wo 25-jährige Kerlchen sitzen, die 50 bis 60-jährigen Altmeistern sagen, was geht und was nicht geht. Und wenn es nicht passt, dann Tschüss, denn Autoren gibt es viele.

Erzählerin: Gut dass es Literaturagenten gibt …

O-Ton 79: Dr. Thomas Wörtche

… weil die Agenten die Verlagslandschaft besser kennen und besser verhandeln können, auf der anderen Seite problematisch, weil genau dieselben Zugangsprobleme eine Stufe nach vorn verlegt worden sind.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 7. Bei 0.07 ein, bei 0.08 aus.) O-Ton 80: Dr. Thomas Wörtche

Es gibt sogar eine literarische Agentur im Moment, die sozusagen schon ein Trainingscamp für angehende Krimischreiber anbietet, wo sozusagen die Bedürfnisse der Verlage schon in die Agentur vorgezogen werden, wo die Agentur Leuten für Geld natürlich beibringt, wie man Krimis schreibt, die ankommen. Also um den Verlagen das zu bieten, was Verlage haben möchten. Es ist interessant.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 7. Bei 0.07 ein, bei 0.09 aus.) Zitator: Krimischreiber-Trick 10:

Zitatorin: Schaffen Sie unvergessliche Figuren. Die meisten Leute aber

lesen Geschichten nicht wegen des intellektuellen Vergnügens.

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Sie wollen schlicht aus der Realität flüchten. Das gelingt nur,

wenn der Leser sich mit dem Helden identifiziert.

(Musik: Tatort-Titelmusik einspielen, dann aus.) Zitator: Eine Hauptkommissarin, ihr Partner ein Oberkommissar.

Erzählerin: … oder umgekehrt, doch dann muss der Hauptkommissar ein

bisschen dümmlich, aber herzensgut sein.

(Musik: Tatort-Titelmusik einspielen, dann aus.)

Erzählerin: Auf der „Criminale“ zeigten die Veranstalter einen „Tatort“-

Krimi. Regisseur und Schauspieler waren anwesend sowie der

gutbezahlte Drehbuchautor.

O-Ton 81: D.B. Blettenberg Der Krimi-Boom in Deutschland lebt vom Fernsehen, in einem Format, das ich überhaupt nicht bediene. Ich habe in den letzten zehn Jahren zwei Tatorte geguckt, weil befreundete Regisseure die gemacht haben. Ich mag dieses Format schon nicht. Ich mag diese redundante Vorgabe nicht: Der Ermittler, seine Assistentin, immer wieder dieses - das ist ja wie Buttercremetorte, da wird einem ja schlecht, wenn man die immer hinunterschlingt.

Erzählerin: Blettenberg entzieht sich dem tapfer. Bei ihm gibt es auch keine

coolen Gerichtsmediziner.

O-Ton 82: D.B. Blettenberg

Ich würde mehr Geld verdienen, wenn ich mich dieser Normierung unterwerfe, den Formaten.

(Musik: Tatort-Titelmusik einspielen, dann aus.) Erzählerin: Norbert Horst weiß um die Gefahr der Normierung.

O-Ton 83: Norbert Horst

Wenn man das guckt, ist das immer in einem drinnen. Ich bin jemand, - ich verfolge das, ich sehe mal Tatort und ich versuche es weder bewusst nachzuahmen noch es zu vermeiden, aber ich glaube, wenn man diese Dinge

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guckt, und wir sind einfach Kinder unserer Zeit, und ich glaube, dass das schon prägt, irgendwie. Und die Tatorte, die haben so ein eigenes dramaturgisches Konzept. Die haben immer zwei Ermittler – in der Regel zwei Ermittler – und das prägt die ja ganz stark. …

Erzählerin: Eine feministische Ermittlerin, ein ihr zur Seite gestellter

Normalo-Mann namens Manni zum Beispiel.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 9. Ab Anfang, bei 0.02 aus.) Zitatorin: „Judith, komm schon. … Es geht hier um weit mehr als um ein

Beziehungsdelikt.“

„Es geht um Gewalt gegen Frauen. Ob in sogenannten

Beziehungstaten oder in der Prostitution.“ Der Blick der Krieger

Erzählerin: … die Krieger ist die oft traurige und beziehungsfrustrierte

Kriminalhauptkommissarin Judith Krieger, die Heldin des

Romans „Nacht ohne Schatten“. Er erhielt 2009 den Friedrich-

Glauser-Preis. Der Laudator versichert …

O-Ton 84: Preisverleihung. Laudatio …

Und auch wenn wir dies alles schon einmal gehört haben, bleibt uns unser scheinheiliges „Du, das ist aber schlimm“ bei der Lektüre dieses Buches im Hals stecken …

Zitatorin: … der Blick der Krieger ist so intensiv, dass Manni sich fühlt wie

unter einem Mikroskop.

„Du willst doch nicht im Ernst die Niedertracht von

Menschenhändlern, die blutjunge Mädchen auf den Strich

zwingen und verkaufen wie Vieh, mit einem aus dem Ruder

gelaufenen Beziehungsstreit gleichsetzen.“

„In gewisser Weise schon, weil es in beiden Fällen Männer sind,

die Frauen mit brutaler Gewalt ihren Willen aufzwingen.“

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„Eine Ehefrau oder Freundin ist ein freier Mensch. Sie kann

gehen.“

Die Krieger schüttelt den Kopf. „Ich habe während des Studiums

in einem Frauenhaus gearbeitet, da habe ich was ganz anderes

gesehen.“

Erzählerin: Das ErmittlerInnenduo hat noch einen bürokratischen Chef und

Kollegen, aber sie klären die Geschichte auf, während sie sich

aneinander reiben – „der“ Manni und „die“ Krieger. „Nacht ohne

Schatten“ ist bereits der dritte Roman mit diesem Personal.

O-Ton 85: Dr. Thomas Wörtche

Ich denke allein die Beugungen, die ein Autor macht, um möglicherweise seinen Roman als Tatort-Drehbuch wiederzufinden, ist eine derartige Art von vorauseilendem Gehorsam, dass es schon lächerlich ist. Man weiß genau, Polizeiarbeit sieht nicht so aus, dass ein Kommissar mit einem Assistenten durch die Gegend trabt, ist aber im Tatort so, also schreibt man es so ins Buch.

(Musik: Tatort-Titelmusik einspielen, dann aus.) O-Ton 86: Susanne Mischke

Und ich finde, da sollte sich die Literatur stärker abgrenzen von den Bildmedien, indem sie zum Beispiel sagt, eine Criminale ist eine Criminale, und die ist von Autoren für ihre Leser und da haben diese Fernsehfuzzis überhaupt nichts verloren in meinen Augen.

Erzählerin: Susanne Mischke ist Krimiautorin, eine seit Jahren erfolgreiche.

O-Ton 87: Susanne Mischke

Die sind überflüssig wie ein Kropf und wenn man dadurch sein Publikum ziehen muss, dann stimmt mit den Büchern etwas nicht. Das haben wir doch eigentlich gar nicht nötig.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 9. Bei 0.08, bei 0.10 aus.)

Zitatorin: Blausamtig spannt sich der Himmel über die Dächer von Linden.

Erzählerin: Linden ist ein Stadtteil von Hannover. Hier wohnt Susanne

Mischke, eine Krimi-Profi-Schreiberin. In Hannover spielen ihre

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Regionalkrimis „Der Tote vom Maschsee“ und „Tod an der

Leine“. Und in Hannover treffen sich regelmäßig einige

Krimiautoren zum Krimiautorenstammtisch, um Lesungen zu

verabreden, ihre Werke zu diskutieren und nicht zuletzt, um sich

zu motivieren. Es wird türkisch gegessen und kräftig getrunken.

(unter dem Vorangehenden einblenden) O-Ton 88: Krimiautorenstammtisch

Tatsache ist – und man hat ja einiges gelesen – es ist anders, und es ist richtig gut anders. Kriminalsatire ist schon angebracht, weil es köstlich ist, absolut köstlich, und es ist ein Super-Fall, es sind Super-Protagonisten. Es ist völlig anders als andere Krimis.

Erzählerin: Richard Birkefeld - er und sein Coautor Göran Hachmeister haben

2003 den Friedrich Glauser-Preis für ihr Buch „Wer übrig bleibt,

hat recht“ als das beste Debüt bekommen - … Richard Birkefeld

packt sein dickes Manuskript auf den Kneipentisch.

(unter dem Vorangehenden einblenden,) O-Ton 89: Krimiautorenstammtisch

Weil die Zeiträume zwischen den Romanen zu groß sind. Es ist immer wieder ein neuer Anfang. Ich habe dann bei Eichborn veröffentlicht. Aber das heißt nicht, wenn ich das jetzt an Eichborn gebe, ja, auf dich haben wir nur gewartet. Das ist immer wieder ein neuer Kampf.

Erzählerin: Er hat eine Krimiparodie geschrieben. Seine Kollegen haben das

Manuskript bereits gelesen.

O-Ton 90: Krimiautorenstammtisch

Es ist auch philosophisch! Und unanständig! (Mischke) Eher anzüglich. (Birkefeld) Obszön. Aber das ist immer schon mein Thema gewesen. Obszönität als Gesellschaftskritik. Das ist radikale Kriminalliteratur, das kann man so sagen (Lachen.)

Erzählerin: Richard Birkefeld ist Historiker, publiziert Fachliteratur, arbeitet

für Museen. Sein Krimiliteraturagent äußert sich zögerlich zum

neuen Skript.

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O-Ton 91: Georg Simader Der Agent ist der bezahlte Freund des Autors.

Erzählerin: Kolleginnen und Kollegen meinen, der neue Roman sei „anders“.

O-Ton 92: Georg Simader

Nein, die Gefahr des normierenden Effekts, die sehe ich schlichtweg nicht.

Erzählerin: … versichert der Literaturagent, aber es geht ums Geschäft. Und

wenn die Tatort-Krimis gern gesehen und die Krimis so

geschrieben werden - und wenn die Leserinnen und Leser dann

noch im Krimi das Kaufhaus wieder finden, in dem sie ihre

Krimis kaufen?

O-Ton 93: Dr. Thomas Wörtche

Dem Regionalkrimi geht es darum, was bei Müllers nebenan auf dem Tisch steht und ob Herr Mayer wieder mit seiner Sekretärin herum vögelt und ob der Garten von Schulzes gepflegt ist oder nicht. Das interessiert den Regionalkrimi, das interessiert die Leute, das wollen sie sehen. Dass Zahnarzt XY seine Gattin erschlägt ist relativ beiläufig und uninteressant.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 13. Ab Anfang, bei 0.04 aus.)

(frisch) Zitator: Moment mal, was war das?

Da lugte doch tatsächlich ein Gesicht aus dem Fichtengrün

hervor. Mitten im Zentrum des Streckenplatzes.

Erzählerin: Auf dem „Streckenplatz“ wird das geschossene Wild nach einer

Treibjagd ausgelegt. Der Förster Christian Oehlschläger packt

sein geballtes Fachwissen in seinen unterhaltsamen Roman.

Zitator: Tatort: Südheide. Kommissariat: Celle. Titel des Krimis: Die

Wolfsfeder.

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Erzählerin: Der Autor Christian Oehlschläger lädt seine Kollegen vom

Krimistammtisch zur Treibjagd ein.

O-Ton 94: Krimiautorenstammtisch

Ich gehe dann als Schütze mit in der Treiberwehr, also mit geschultertem Gewehr für einen Fangschuss oder so. Und dann wird die Treiberwehr, da muss ich euch noch ein bisschen einordnen, damit man immer seinen Nachbarn nicht verliert, sonst wird es kritisch. Es gibt Treiber, die sind verschütt gegangen. Im Moor haben wir mal einen vermisst. (Birkefeld) Und Treiber zählen in der Jägerszene nichts? (Lachen)

(frisch) Zitator: Vorsichtig betrat der Forstwirt das Fichtengrün. Kurz vor der

Stelle, wo sich unter den Zweigen die Füße des Mädchens

befinden mussten, blieb er stehen.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 13. Bei 0.05 ein, bei 0.06 aus.)

Erzählerin: Dir ungleichen Kollegen, Polizeihauptkommissar Robert

Mendelski und seine junge Kollegin Maike Schnur, ermitteln nun

schon im dritten Roman erfolgreich im Neumann-Neudamm-

Verlag Melsungen.

O-Ton 95: Krimiautorenstammtisch Christian Oelschläger

Ich habe aber keine Verträge, dass ich irgendwelche Fristen einhalten muss. Die drucken oder bringen das Buch heraus, wenn ich es geliefert habe. Da kann ich auch mal ein halbes Jahr verlängern. Das spielt keine Rolle. Da bin ich quasi so etabliert. Ich schreibe da ja auch Jagdgeschichten, Anthologien bringe ich da raus …

(Musik: Kap. Wlodek, Take 7. Bei 0.22 unter dem Folgenden einblenden und unterlegen.)

Erzählerin: Die Romane bedienen die Leser der Region, die Förster und

Jäger. Es ist Hobbyschreiberei, sie ist spannend, es läuft …

(wie Fernsehwerbung) Zitatorin: Kleine Trickkiste für Krimi-Schreiber:

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Zitator: Trick 8:

Zitatorin: Schön der Reihe nach.

(Musik aus.) O-Ton 96: Norbert Horst

Ich glaube, dass alle Welt Kriminalromane schreibt, das ist ein tierischer Boom. Das hängt damit zusammen, ich glaube, der Krimi ist das Genre, das am meisten boomt, wo die die meisten Zuwachsraten haben.

Erzählerin: Kriminalhauptkommissar Norbert Horst schreibt schon sehr

lange, zuerst Liebesgedichte, dann Erzählungen. Er nahm an

einer Art Schreibwerkstatt teil, schrieb einen Kriminalroman –

das lag nahe. Das Skript landete über einen persönlichen Kontakt

beim Goldmann Verlag. Zwei Krimipreise folgten, „Blutskizzen“

ist der neuste Roman, wieder mit dem Teamworker Konstantin

Kirchenberg mit seiner hübschen multikulturellen Freundin

Ayse, die es irgendwie mit sich bringt, dass er nebenbei auch mal

ein paar Skinheads verprügelt.

O-Ton 97: Norbert Horst

Diese Perspektive, manche sagen stream of consciousness, also Bewusstseinsstrom, das ist also eine extrem subjektive Perspektive, das heißt, der Leser sitzt im Kopf des Protagonisten Kirchenberg und kriegt natürlich auch seine Gedanken mit.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 15. Ab Anfang, Bei 0.04aus.)

Zitator: Gute Einsachtzig, breite Schultern, grauer Igelschnitt. Mann,

Mann, ganz schöner Brocken, hätten uns mal die Beschreibung in

der Akte ansehen sollen. … Tatoos satt auf den Unterarmen, da,

noch eins an der Wade. Hat sich ziemlich aufgepumpt, der

Bursche. Ob das mit den Krafträumen in den Knästen die richtige

Beschäftigungstherapie ist?

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„Was is denn los?“ Seine Augen sind noch nicht ganz wach, an

der Unterhose vorn ein gelber Fleck. (…)

„Herr Küpper, wir haben ein paar Fragen an Sie, können wir das

drinnen machen?“

Ein kleiner Alarm durchfährt ihn …

O-Ton 101: Georg Simader Wenn mir etwas gefällt, wenn ich absolut begeistert bin, dann werde ich natürlich mit größter Begeisterung zu den großen Verlagen hingehen und sagen: Wollt ihr wirklich mainstreamige Sachen haben oder wollt ihr mal einen Autor haben, der schreiben kann.

(Musik: Kap. Wlodek, Take 25. Ab Anfang, Bei 0.06 aus.) Zitatorin: Grüß Gott!

Erzählerin: … Wolf Haas „Brenner und der liebe Gott“ …

(Musik: Kap. Wlodek, Take 25. Ab 00.6, Bei 0.08 aus.) Zitator: Pass auf, ob du es nun glaubst oder nicht, der Brenner hat auf dem

Boden der Senkgrube den lieben Gott getroffen. Also für den

Benner natürlich eine Überraschung, für den lieben Gott

natürlich nicht. Der hat nett herübergelächelt … Aber nein, hat

der Brenner gedacht … so sehr hat ihn die Begegnung in diesem

unpassenden Rahmen überrascht: Ausgerechnet in einer

Senkgrube, zwei Meter von Scheiße bedeckt, begegne ich dem

lieben Gott.

O-Ton 102: Preisverleihung

Der Friedrich Glauser-Preis in der Kategorie Roman und unglaublich viel Geld gehen an Gisa Klönne: Nacht ohne Schatten (Applaus).

Zitator: Du musst wissen, wenn du beim lieben Gott am Schoß sitzt,

gehen dir irdische Sachen völlig am Arsch vorbei.

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(Musik: Kap. Wlodek, Take 25. Ab 2.22 bis Ende.)

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