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163 FABRIKSTRASSE 6 Hörsaalgebäude des Hochschulzentrums vonRoll, ehemals Weichenbauhalle der von Roll AG 1914, Architekt unbekannt Kartenausschnitt: H4, Farbbilder: T22–T24 1_ Giebelseite zur Fabrikstrasse. Bild: Karin Gauch und Fabien Schwartz, 2010 © Chronos Verlag, 2013 / aus: ISBN 978-3-0340-1192-1 Denkmalpflege der Stadt Bern

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faBrikStraSSe 6

Hörsaalgebäude des Hochschulzentrums vonRoll, ehemals Weichenbauhalle der von Roll AG

1914, Architekt unbekanntKartenausschnitt: H4, Farbbilder: T22–T24

1_ giebelseite zur fabrikstrasse. Bild: karin gauch und fabien Schwartz, 2010

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2_ Vogelschau über das fabrikgelände von 1891. Die Weichenbauhalle wurde später im Vorder-grund links erstellt. Bild: Die länggasse. Herausgegeben vom Berner Heimatschutz, regional-gruppe Bern, und dem länggass-leist. Bern: 1990, S. 71. 3_ Seitenfassade mit originalen fenstern und vorgesetzten rahmen samt isolierverglasung und integriertem Sonnenschutz. Bild: karin gauch und fabien Schwartz, 2010 4_ Detailansicht der gebäudeecke. Bild: Walter mair, 2010

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Im Gegensatz etwa zu Zürich war Bern nie ein klassischer Industriestandort. Umso bedeutungsvoller sind daher die relativ raren Zeugen industriellen Bauens. Es ist ein denkmalpflegerischer Erfolg, dass mit dem Umbau und der Sanierung der Weichenbauhalle ein Industriedenkmal für die Zukunft gesichert werden konnte, obwohl dessen Erhalt lange infrage gestellt war.

auf dem areal der Von roll ag am rande des länggassquartiers wur-de 1914 die sogenannte Weichenbauhalle erstellt.1 Das gelände war bereits seit den 1860er-Jahren ein industriestandort, als sich hier die Waggonfabrik Bern ansiedelte. für die Weichenbauhalle ist keine autorschaft überliefert; möglicherweise wurde sie gar nicht von einem architekten, sondern von in-genieuren konzipiert, vielleicht sogar von mitarbeitern der firma selbst. Der Bau ist denn auch nicht aufgrund baukünstlerischer eigenschaften bemer-kenswert, sondern wegen seiner auf das Wesentliche reduzierten konstruk-tion bei sparsamster Verwendung von Baumaterial. es handelt sich um ei-nen giebelständigen, dreischiffigen Stahlfachwerkbau, dessen metallprofile mittels nieten verbunden sind und dessen aussenwände mit Zementstein ausgefacht wurden. Das Satteldach wird von einem gläsernen firstoberlicht bekrönt. Der sachliche und ausschliesslich nutzungsorientierte Bau öffnet sich traufseitig zwischen jedem Binder mit einer grossen hochrechteckigen fensteröffnung mit Sprossenverglasung. in den giebelfassaden hatten sich ursprünglich je drei toreinfahrten befunden, die an der nordwestseite jedoch aufgrund späterer eingriffe fehlten. ansonsten präsentierte sich die Halle vor dem Umbau in annähernd originalem Zustand.

als der kanton Bern das areal für eine künftige erweiterung der Univer-sität erwarb, existierte bereits ein gestaltungsplan, der von den Stadtberner Stimmberechtigten 1999 genehmigt worden war. Diese in sorgfältiger abwä-gung erstellte grundlage sah vor, ein paar historische fabrikgebäude zu er-halten, darunter auch die Weichenbauhalle. Dafür sprach nicht nur die relativ geringe Zahl von industriebauten in Bern, sondern auch der bisher erfolgrei-che einsatz der Stadt für die Zeugen ihrer industriellen Vergangenheit. So war die Stadt Bern 1997 für die Umnutzung von industriebauten, wie beispiels-weise die Unitobler oder die ryff-fabrik, mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet worden.

Preisgekrönte Umnutzung statt Abbruch Dass historische Bauten inner-halb grösserer neubaugebiete wichtige identifikationsfaktoren darstellen und planern und architektinnen einen willkommenen anknüpfungspunkt geben, ist mittlerweile auch bei professionellen investoren unbestritten. Bei der Vorbereitung des Wettbewerbs für das Hochschulzentrum setzte die Bau-herrschaft2 gleichwohl durch, dass die Weichenbauhalle zum abbruch freige-geben wurde. Viele Wettbewerbsbeiträge, darunter auch das Siegerprojekt,3

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wiesen indessen nach, dass sie erhalten und sinnvoll genutzt werden kann. in der folge wurde ein Hörsaalzentrum für den neuen Hochschulcampus ge-plant. nach dem klassischen «Haus-im-Haus-prinzip» wurden zwei Volumen in die bestehende Struktur integriert, die insgesamt sieben Hörsäle mit rund 1500 Sitzplätzen aufnehmen. Die Bereiche, die zwischen der gebäudehülle, also der historischen Halle, und den eingestellten Volumen liegen, weisen ein Zwischenklima auf und sind nur sehr reduziert beheizt. Sie dienen als foyer.

Architektonische Herausforderungen Die planungsphase begann bereits 2005 mit einer intensiven auseinandersetzung zwischen Denkmalpflege und architekten. mit dem konzept der eingestellten gebäudekörper wurde zwar ein einfaches und stringentes prinzip gewählt, die konkrete Umsetzung erwies sich aber als grosse technische wie auch architektonische und gestalterische Herausforderung. Zum einen ging es darum, die originale Halle möglichst un-angetastet und damit als glaubwürdigen Zeugen des industriellen Bauens zu belassen. Zum anderen musste der einbau der neuen Hörsäle höchsten bau- und installationstechnischen anforderungen genügen. ein moderner Hörsaal ist eine veritable «Hightech-Box», die mit allen denkbaren medien versorgt werden muss. ebenso muss das raumklima perfekt gesteuert, eine optimale raumakustik gewährleistet sowie ein guter Schallschutz garantiert werden können. Die für die neuen Volumen gewählte hochwertig gedämmte Holzkon-struktion erfüllt diese anforderungen. Die Verkleidung der Hörsaalbereiche mit zementgebundenen Holzfaserplatten steht in der tradition des industri-ellen Bauens und schafft so eine konzeptuelle Verbindung zum altbau.

konstruktiv und gestalterisch bestand die Schwierigkeit darin, die neuen kuben in eine bestehende dreischiffige Halle zu integrieren, die nicht einfach aus einem leeren luftraum besteht, sondern mit ihren beiden Stützenreihen und der komplexen fachwerkstruktur der Dachkonstruktion für vielfältige Durchdringungen von neu und alt sorgt. Zunächst war in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege aber zu ermitteln, wie die neubauvolumen in der Halle angeordnet werden sollen, damit die historische Hallenstruktur auch nach dem Umbau wahrnehmbar bleibt. So wurden die beiden neuen körper im laufe der planungen weiter auseinandergeschoben, damit mindestens ein Hallenbinder vollständig freigestellt werden konnte. an dieser Stelle ist die konstruktion der gesamten Halle pars pro toto nachvollziehbar. gleichzeitig waren jene punkte architektonisch zu bewältigen, wo Hallenpfeiler und fach-werkträger die Wände, Decken und Böden der neuen Hörsäle durchdringen. Schliesslich musste die frage nach dem Umgang mit dem historischen Be-stand geklärt werden. Denkmalpflege und architekten waren sich einig, dass der vorgefundene Zustand möglichst beibehalten werden sollte. glücklicher-weise liess sich die Bauherrschaft überzeugen, nur eine sanfte reinigung

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der Halle vorzunehmen und gebrauchs- und arbeitsspuren, die patina jahr-zehntelanger produktionstätigkeit, im Halleninneren wie an den fassaden zu belassen. Dennoch waren einige bedeutende eingriffe in den Bau aus dem Jahr 1914 nötig: So war beispielsweise die der Stadt abgewandte giebelfront (wohl aufgrund veränderter produktionsbedingungen) teilweise aufgebro-chen und nur notdürftig mit Wellblech und provisorischen Verglasungen wie-der geschlossen worden. Diese Seite wurde nun fachgerecht rekonstruiert, so dass sie heute wieder ihr ursprüngliches gesicht zeigt. Das Hallendach, das wie die Wände ursprünglich keinen klimatischen Bedingungen zu ge-nügen hatte, nun aber den oberen abschluss der Hörsäle bildet, musste ge-dämmt werden. Dabei war es allen Beteiligten ein anliegen, die fachwerkträ-ger im inneren sichtbar zu belassen und die Dachrandabschlüsse möglichst schlank auszubilden. für das firstoberlicht kam nur ein ersatz in frage, da dieses weitgehend über die neuen Hörsaalbereiche läuft. Hier waren nicht nur klimatische, sondern auch beschattungstechnische Herausforderungen zu meistern. Das gewählte glas erinnert mit seiner Vlieseinlage heute an die alte technik, mit der gewächshäuser mittels kreideschlämme vor allzu star-kem Sonnenlicht geschützt wurden. in der foyerzone zwischen den neuen Baukörpern und der durch die historische Weichenbauhalle gebildeten Hülle musste eine minimale temperierung garantiert werden. eine Dämmung der aussenwände war aufgrund von Berechnungsmodellen jedoch nicht nötig. erforderlich war indessen eine energetische Verbesserung der grossen, ge-sprossten und nur einfach verglasten gussmetallfenster. Die zunächst ins auge gefasste kasten fensterlösung mit einer innen angeschlagenen isolier-verglasung musste aufgrund bau physikalischer und reinigungstechnischer Überlegungen verworfen werden. Die schliesslich gewählte lösung mit den aussen aufgesetzten Vollverglasungen verändert zwar das äussere erschei-nungsbild der Weichenbauhalle stark, kann aber auch als Zeichen für die neue Zukunft des historischen Baus gelesen werden. Umso authentischer wirkt dafür der innenraum.

Der neue Wert von Industriebauten Der Umbau der Weichenbauhalle zum Hörsaalzentrum zeigt beispielhaft, dass der Wert historischer industriebau-ten heute mindestens in fachkreisen unbestritten ist. mehrfach wurde das projekt denn auch mit architekturpreisen bedacht, so dass sich der kanton, der sich auch heute noch gegen den erhalt von industriebauten auf dem Von-roll-areal wehrt,4 im erfolg sonnen darf. Dankbar nehmen architekten, planende und investoren heute das angebot an, das industriegeschichtliche Bausubstanz darstellt, und zwar selbst dann, wenn neubauten möglich und vielleicht einfacher zu realisieren wären. aus denkmalpflegerischer Sicht wurden mit diesem spannenden Umbau auch fachliche grenzen ausgelotet.

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in die als einfache Hülle gebaute Struktur, die nur gerade den Witterungs-schutz gewährleisten sollte, wurde eine hochkomplexe nutzung eingebaut und damit konzeptuell eine maximale kontrastwirkung erzeugt. gerade in dieser gegenüberstellung liegt aber auch der reiz dieses ausserordentlichen projekts. Wenn der Umbau der Weichenbauhalle architektonisch und denk-malpflegerisch überzeugt, so ist dies der unermüdlichen recherche der ar-chitekten und deren kompromisslosem einsatz für Qualität in allen Belangen zu verdanken.

Denkmalpflegerische Betreuung: Jean-Daniel grosstext: Jean-Daniel gross

Anmerkungen

1 frühere adresse: fabrikstrasse 6a. 2 Bauherrschaft: kanton Bern, vertreten durch das amt für grundstücke und gebäude. 3 architekten: giuliani.hönger ag, Zürich. 4 im november 2011 überwies der grosse rat des kantons Bern eine motion, welche den

regierungsrat beauftragt, den abbruch der denkmalgeschützten sogenannten Schreinerei muesmatt auf dem Von-roll-areal in auftrag zu geben, obwohl der Schutzwürdigkeit des Objekts ein Volksentscheid zugrunde liegt. Der Zonenplan «Von roll-areal mit Vorschriften und Überbauungsordnung» war am 28. november 1999 mit einem Ja-Stimmenanteil von 79 prozent von der Stadtberner Stimmbevölkerung angenommen worden. Der baurechtliche Status der historischen industriebauten wurde darin festgelegt. Der Zonenplan wurde vom kanton genehmigt. Der kanton übernahm das gebiet später im Wissen um die baurechtlichen rahmenbedingungen. Bereits im infrastrukturvertrag vom 2. Juni 1999 wurden die kosten für die erhaltung der schützenswerten Bauten in hohem masse angerechnet. Bei der Übernah-me durch den kanton verzichtete die Stadt wegen eines allfälligen minderwertes des grund-stücks aufgrund geschützter gebäude (darunter auch der Weichenbauhalle) gegenüber dem kanton nochmals zusätzlich auf einen erheblichen teil der mehrwertabschöpfung, nämlich 1,2 millionen franken, und gewährte zusätzlich einen rabatt. Dass solche Zeugen der indus-triezeit städtebaulich und architektonisch auch eine Chance darstellen, hat der mehrfach preisgekrönte Umbau der Weichenbauhalle auf demselben areal gezeigt.

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