88
Zeichen im Raum Denkzeichen für Schöneweide

Denkzeichen für Schöneweide

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Zwölf Studierende des Studiengangs Kommunikationsdesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin entwickelten im Sommersemester 2011 Gestaltungskonzepte zur Visualisierung historischer Orte in Berlin-Schöneweide. Beidseitig der Spree verweisen sie auf Spuren der Industrie-, Sozial- und Kulturgeschichte, des jüdischen Lebens und des Nationalsozialismus. Es werden Signalisationsformen erprobt, die jenseits konventioneller Informationstafeln neugierig machen und anregen sollen, anstatt zu belehren.

Citation preview

Zeichen im Raum

Denkzeichen für Schöneweide

Ein Entwurfsprojekt

des Studiengangs Kommunikationsdesign

Zeichen im Raum

Denkzeichen für Schöneweide

Einführung Florian Adler

EinführungFlorian Adler

Honorarprofessor fürKommunikationsdesign

Die einst idyllische Wald- und Auenlandschaft am Ufer der Spree im heutigen Südosten Berlins wird seit dem 17. Jahrhundert als »Schöne Weyde« beschrieben. Heute wird der nördliche Ortsteil des Bezirks Treptow-Köpenick gelegentlich noch als »Oberschweineöde« bezeichnet. Dazwischen liegt die Entwicklung zu einem beliebten Berliner Aus-flugsziel und, Ende des 19. Jahrhunderts, die rasante Industrialisierung des Gebiets. Insbesondere die Familie Rathenau prägte mit der Allgemeinen Elek-tricitäts-Gesellschaft (AEG) maßgeblich das Stadt-bild: Schöneweide wurde zum entscheidenden Schauplatz der »Elektropolis«, der Industriemetro-pole Berlin. Architekten wie Peter Behrens, Ernst Zwiesel und Gottfried Klemm schufen bedeutende Werke der Industriearchitektur im typischen gelben »Schöneweider Klinker«. Die enorme Zuwanderung von Arbeitern und Angestellten führte zu umfang-reichem Wohnungsbau und dem strukturellen Aus-bau der Verkehrswege.

Im Nationalsozialismus verlagerte sich die Industrie-produktion hin zu kriegswichtigen Gütern. Über 6000 Gefangene aus ganz Europa und KZ-Insassen wurden in den ansässigen Unternehmen zur Arbeit gezwungen und in Barackenlagern inmitten der Wohnquartiere untergebracht.1945 sprengte die SS beim Rückzug vor der Roten Armee den Kaisersteg, eine der wichtigsten Verbin-dungen zwischen Ober- und Niederschöneweide.

Nach dem Krieg wurde die Kabelproduktion in der DDR als Kabelwerk Oberspree (KWO) fortgeführt. Mit dem Ende der DDR endete jedoch auch Schöne-weides Ära als Industriestandort, Tausende von Menschen verloren ihre Arbeit.

Mit der Ansiedlung der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) 2006 bis 2009 ist ein erster großer Schritt zur Revitalisierung des Standortes gelungen.

Im Sommersemester 2011 erarbeitete eine Projekt-gruppe des Studiengangs Kommunikationsdesign der HTW experimentelle Gestaltungskonzepte zur Visualisierung der wechselvollen Geschichte Schöne-weides im Stadtraum.In den ersten Wochen befassten sich die Studieren-den des 4. Semesters fast ausschließlich mit der industriellen, sozialen und kulturellen Entwicklung des Standorts. Der Förderverein und das Dokumenta-tionszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide, das Heimatmuseum Treptow-Köpenick und der Industriesalon Schöneweide e.V. leisteten uns dabei wertvolle Hilfe.Im Ergebnis markieren die hier vorgestellten 14 Einzel- und Gruppenarbeiten exemplarisch eine Auswahl historischer Orte der Industrie- und Sozial-geschichte, des Nationalsozialismus und des weit-gehend zerstörten jüdischen Lebens. Konventionelle, verstellende Beschilderungen im Stadtbild waren ausdrücklich zu vermeiden. Statt-dessen entwickelten die Studierenden überraschende gestalterische Lösungen und entdeckten Strom-masten, Brückengeländer oder gar die Wasserober-fläche der Spree als Informationsträger. Unser Anliegen ist es, Passanten durch ungewöhnli-che Zeichen im öff entlichen Raum neugierig zu machen, Interesse an der Geschichte Schöneweides zu wecken und nicht zuletzt Identifi kationsmöglich-keiten mit dem Ort zu schaff en.

Mit einer viel beachteten Ausstellung, die in Koope-ration mit der Entwicklungspartnerschaft Schöne-weide/BIWAQ umgesetzt wurde, und mit der vorlie-genden Dokumentation stellen wir unsere Arbeiten vor, um gemeinsam mit den örtlichen Initiativen und weiteren Interessierten mögliche Wege zur Realisie-rung des Konzeptes oder einzelner Bausteine zu eruieren.

Besonderer Dank gebührt der Historikerin Iris Helbing für ihre engagierte Begleitung im Rahmen des Pro-jekts »Geschichtslehrpfad Schöneweide« sowie den hoch motivierten Studierenden.

Schöneweide entdeckenSusanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich

Villa Off ensivNatalie Rauch, Nora Römer

Martha Ruben WolfNatalie Rauch, Nora Römer

Villa Lehmann/Hasselwerder VillaClaudine Palm, Julia Längert

KaiserstegMaria Stier

Entwicklung SchöneweideMaria Ernicke

Der BulleAlexander Köpke

ZeiträumeCaroline Viola von Zadow

Wilhelm FirlCaroline Viola von Zadow

SozialgeschichteTim de Gruisbourne

ElektropolisTim de Gruisbourne

TreskowbrückeTim de Gruisbourne

Denkzeichen NS-ZwangsarbeitTim de Gruisbourne, Ove Numrich

Der letzte SchattenSusanne Chmela

EinführungFlorian Adler

ProjektgruppeImpressum

»Schöneweide entdecken« stellt das verbindende Modul des Gesamtprojektes dar und ist gleichzeitig sein kleinster Baustein. Die Idee: verteilt über ganz Schöne weide sind auf Gehwegen und Plätzen zu-nächst rätsel hafte Begriff e auf dem Boden zu fi nden. Sie thematisieren am jeweiligen Ort einen Aspekt der Geschichte Schöneweides und bilden die Verbin-dung zwischen den weiteren Denkzeichen. Die Be- griff e sind mit einem gekennzeichnet, welcher die Besucher auff ordert, die dazugehörigen Erklärungen – gewissermaßen die »Fuß noten der Geschichte« – in der näheren Umgebung zu ent decken und damit etwas über die Besonderheit dieses Ortes zu erfahren.

Die zurückhaltende Gestaltung integriert sich unauf-dringlich ins Stadtbild und die Liste der geschichts-trächtigen Orte kann ohne großen Aufwand sukzes-sive erweitert werden. Damit möchten wir Bewohner und Besucher dazu animieren, sich flanierend mit Schöneweide ausein-ander zu setzen. Das zufällige Entdecken macht neugierig auf mehr.

01 Schöneweide entdecken Susanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich

Schöneweide entdecken

Susanne Chmela, Maria Ernicke,Nadine Hädrich

01 Schöneweide entdecken Susanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich

Die Bodenbeschriftung wird in einer Schablo-niertechnik umgesetzt. Jedoch erfolgt, bis auf den blauen Stern, kein Farbauftrag, sondern es wird mittels eines Hochdruckreinigers innerhalb der einzelnen Buchstabenformen der Schmutz aus den Bodenplatten gereinigt. Dadurch wer-den die Begriff e als hellere Flächen sichtbar gemacht. Anschließend werden die gereinigten Flächen mit einer Nano-Imprägnierung versie-gelt. Diese zieht in den Stein ein, ist abriebfest, schmutz- und wasserabweisend und verhindert somit die erneute Verschmutzung der Schrift-zeichen.

Als Schrift kommt die für das Schablonierverfah-ren prädestinierte »DIN Stencil« zum Einsatz.

Die Schriftgröße wird entsprechend dem Unter-grund und der Umgebung angepasst, ist jedoch bereits aus weiterer Entfernung lesbar.

01 Schöneweide entdecken Susanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich

Schwindsucht:Die von der AEG 1898 errichtete Fußgängerbrücke Kaisersteg wurde im Volksmund als »Schwindsuchtbrücke« bezeich-net. Wenn man im Gleichschritt über die Brücke ging schwankte sie auf jeder Seite einen halben Meter, sodass man sich leicht die »Schwindsucht« holen konnte.

K.K.K.K.:Mit der Eröff nung des Kinos »Weltbiographen-Theater« am Marktplatz, kurz »WBT« hatten unsere die Schöneweider damals ihre gewünschten vier großen »Ks« am Marktplatz zusammen: Kirche, Kneipe, Klo und Kino.

Die Erläuterungstexte zu den jeweiligen Boden-beschriftungen werden mittels Schablone und Farbe auf Wände, Mauern, Geländer oder andere geeignete Informationsträger gebracht. Dabei variiert die Versalhöhe der Schrift je nach Umge-bung und Lesebedingungen von 10 bis 40 mm. Entsprechend den Vorgaben der DIN-Norm 1450 zur Leserlichkeit von Schrif ten wird gewährleis-tet, dass der Erläuterungstext immer gut lesbar ist.

Neben der Möglichkeit, Erläuterungen in Schrift-form zu platzieren, bieten sich optional auch Audio-Informationen an. Diese könnten beispiels-weise über Klingelanlagen an den Wohnhäusern historischer Persönlichkeiten in Schöneweide abgerufen werden.

01 Schöneweide entdecken Susanne Chmela, Maria Ernicke, Nadine Hädrich

»1933 wurde Fritz Kirsch von der SA verhaftet und sollte zugeben, dass er »Pflaume« sei. Pflaume war jedoch der Deckname seines Bruders Otto Kirsch, dem Leiter des Widerstand leistenden kommunistischen Jugendverbandes. Um seinen Bruder zu schützen, bestätigte Fritz »Pflaume« zu sein und wurde dafür drei Monate in einem Konzen trationslager inhaftiert. 1939 wurde er erneut verhaftet und ins KZ Sachsenhausen deportiert, wo er umkam.«

02 Villa Off ensiv Natalie Rauch, Nora Römer

Villa Off ensivHasselwerder Straße 40

Natalie Rauch, Nora Römer

Die »Villa Off ensiv« wurde 1890 errichtet und ab Juli 1945 durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD für Gefangennahmen, Verhöre und Folterungen genutzt. Gefangene wurden in der Villa zusammen-getrieben, geschlagen und anderweitig gequält. Dies geschah rund um die Uhr und die Schreie der Gepei-nigten drangen bis auf die Straße hinaus. Im Keller des Hauses wurden zahlreiche Menschen interniert und von hier aus in Straflager deportiert, wo viele von ihnen umkamen. Später beherbergte die Villa eine Dienststelle der Stasi. Die Geschichte dieses Hauses droht in Vergessen-heit zu geratenen und darf nicht gänzlich aus der Erinnerung der Menschen verschwinden.

Unsere Gestaltungsidee basiert auf den undurch-sichtigen Machenschaften von Geheimdiensten. So wie uns die tatsächlichen Ereignisse in den Folter-kellern der Villa nur bruchstückhaft und verschlüs-selt überliefert sind, ist auch das kryptische Buch-staben labyrinth nur auf den zweiten Blick Stück für Stück zu entziff ern.

Die Keller der Villa Off ensiv wurden ab 1945 durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD für Verhöre und Folter genutzt. Zahlreiche Bürger wurden von hier aus in Straflager deportiert, wo viele von ihnen umgekommen sind.

02 Villa Off ensiv Natalie Rauch, Nora Römer

03 Martha Ruben Wolf Natalie Rauch, Nora Römer

Martha Ruben WolfSpreestraße 1

Natalie Rauch, Nora Römer

Das Haus in der Spreestraße 1 diente der jüdischen Ärztin Martha Ruben Wolf als Praxis und Wohnung. Mit der Machtübernahme Hitlers ist ihr Leben und das ihrer Familie bedroht. Als aktive Kommunistin und Frauenrechtlerin emigriert sie 1933 in die Sowjet-union, wo die Familie jedoch etwa sechs Jahre später dem stalinistischen Terror unterliegt und umkommt. Sie wurde vom »Rassenfeind« zum »Klassenfeind«.

Mit dem Begriff »Rassenfeind« wurde eine Person bezeichnet, welche die arische Rasse »bedrohte« und »verunreinigte«. Zumeist bezog sich das auf Juden. »Klassenfeind« hingegen war in den frühen Jahren der Sowjetunion der zentrale Begriff bei der Verfol-gung missliebiger Personen, Andersdenkender und Oppositioneller. Später lieferte diese Anschuldigung die Rechtfertigung für Massenverhaftungen, Exe-kutionen und Deportationen.

Der Schriftzug kann per Schablonierverfahren auf die Hauswand aufgebracht werden. Die Wahrnehmung von beiden Seiten des Platzesum das Michael-Brückner-Haus wäre damitauf eine unaufdringliche, aber durchaus sicht-bare Art gewährleistet.

03 Martha Ruben Wolf Natalie Rauch, Nora Römer

Eine andere Möglichkeit der Umsetzung besteht in der Bodenmarkierung, entsprechend dem Konzept »Schöneweide entdecken« (01). Der Erläuterungstext könnte hier z.B. an der Unter-seite des Balkons im 1. OG zu fi nden sein.

04 Villa Lehman, Hasselwerder Villa Claudine Palm, Julia Längert

Villa Lehmann, Hasselwerder VillaHasselwerder Straße 22

Claudine Palm, Julia Längert

Die Hasselwerder Villa erinnert an die jüdische Fami-lie Lehmann, die mit ihrer 1880 gegründeten Textil-fabrik starke Impulse für die Wirtschaft in Ober-schöneweide gegeben hat. Das Haus wurde eigens für den Direktor der Textil-fabrik Richard Lehmann erbaut, damit dieser mit Frau und Kindern in der Nähe seiner »Plüschfabrik« residieren konnte. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 flohen die Kinder nach England. Else und Richard Lehmann jedoch blieben: »Uns werden ›die‹ doch nichts tun.« 1942 wurden sie verschleppt und ein Jahr später nach Theresienstadt deportiert, wo Richard 1943 ermordet wurde. Else wurde 1944 in Auschwitz umgebracht.

Das Konzept setzt bei der Verbindung der Familien-geschichte im Zusammenhang mit der Textilfabrik und dem Nationalsozialismus an. Dafür wurde eigens eine Schrift aus einem Kreuzstichmuster ent wickelt, die für die Fertigung von Textilen, aber auch für Handarbeit und Stickereiarbeiten, und damit für die menschliche Nähe und Bodenständigkeit der Familie steht. Denn die Lehmanns glaubten bis kurz vor ihrer Deportierung noch an ein gutes Ende. Das verdeut-licht das verwendete Zitat, das auch eine verzwei-felte Hoff nung widerspiegelt. Dieses zentrale Zitat erstreckt sich über die Haus-fassade, erschließt sich jedoch erst, wenn der Be -trach ter um das Haus herum geht. Auch die weiteren Informationen sind eher versteckt und wollen gefun-den werden.

Die Kreuzstich-Schrift wird per Schablonierverfahren auf die Außenwände der Villa aufge-bracht. Sie ist in einem auf die Fassade abgestimmten Grau-ton gesetzt, damit sie nicht zu sehr kontrastiert und sich so dem Ort anpasst. Mit einer Versalhöhe von 31cm ist die Schrift bereits von der Straße aus lesbar.

04 Villa Lehman, Hasselwerder Villa Claudine Palm, Julia Längert

»Uns werden ›die‹ doch nichts tun.«

Der Schriftzug am Zaun ent-steht aus einer wetterfesten Kunstfaser, die in den Maschen draht gewebt wird. Die Größe der einzelnen Buch-staben richtet sich nach dem Zaungeflecht, welches ein Ras-ter von 4x6 Einheiten vorgibt. Die Versalien sind ungefähr 50 cm hoch und damit schon von Weitem erkennbar.

Die Kreuzstich-Schrift verbindet die Textilfabrik und die Villa nicht nur inhaltlich miteinander, sie passt sich auch dem Zaun geflecht vor der ehe-maligen Fabrik perfekt an: Das früher häufi g ver-wendete Wort »Plüschfabrik« wird in den Zaun gewebt.

Eigens für den Direktor der Textilfabrik, Richard Lehmann, wurde in unmittel barer Nähe der Fabrik die Hasselwerder Villa erbaut. Richard lebte dort mit seiner Frau Else und ihren Kindern. Infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 wurde die Villa an die Stadt Berlin verkauft und unter anderem als Gesund heitsamt genutzt. Wegen der jüdischen Herkunft der Familie wanderten Kinder und Enkel-kinder nach der Machtübernahme der National-sozialisten nach England aus. Else und Richard blieben: »Uns werden ›die‹ doch nichts tun«. 1942 wurden sie verschleppt und ein Jahr später nach Theresienstadt deportiert, wo Richard 1943 ermor-det wurde. Else wurde 1944 in Auschwitz umge-bracht.

04 Villa Lehman, Hasselwerder Villa Claudine Palm, Julia Längert

Im Siebdruckverfahren wird der Erläuterungstext auf einen Stein an der ehemaligen Textil-fabrik aufgedruckt. Der Text in der Schrift Meta, mit einer Versalhöhe von 20 mm, ist mit einem Kreuzstich-Initial ver-sehen und führt so das Konzept der Kreuzstich-Typografi e fort.

05 Kaisersteg Maria Stier

KaiserstegHasselwerder Straße/Laufener Straße

Maria Stier

Mit der zu Ehren Wilhelm II. benannten Fußgänger-brücke, dem »Kaisersteg«, entstand 1897 ein zweiter Spreeübergang und die Verbindung zwischen Nieder- und Oberschöneweide. Die von der AEG errichtete Brücke erleichterte den Arbeitern den Weg vom S-Bahnhof Schöneweide zu den Fabrikhallen der AEG.Die fi ligrane Eisenfachwerkkonstruktion, entworfen von Heinrich Müller-Breslau, zählte zu den bedeuten-den Leistungen der Ingenieurbaukunst um 1900. Im April 1945 sprengte die SS die Brücke, um den Einmarsch der Roten Armee zu verzögern. Im Sep-tember 2007 wurde der neue Kaisersteg wieder eröff net.

Die dem historischen Kaisersteg nachempfundenen allegorischen Bildmotive der Elektrifi zierung – Blitze, Sonne, Mond und Sterne, Rosette und Glühlampe – stellen eine Verbindung des alten zu dem neuen Bauwerk her. Als Informationsträger werden die Brüstungen verwendet. Auf den Innenseiten der beiden Pylone erinnern Fotos aus den Jahren 1897 und 1900 an den Vorgängerbau.

Das Zitat auf der äußeren westlichen Seite »Im Gleichschritt wurde nicht gelaufen« signalisiert mehrdeutig und bereits aus der Ferne, dass es sich hier um einen geschichtsträchtigen Ort in Schöne-weide handelt. So soll bei den Passanten das Inter-esse an der Geschichte des Kaiserstegs geweckt und seine Bedeutung für das Industriegebiet Schöne-weide verdeutlicht werden.

Nebenbei kann durch die sorgsame Gestaltung auch auf eine zurückgehende Beschädigung durch Graffi -ties gehoff t werden.

05 Kaisersteg Maria Stier

Zerstörung

Am 22. April 1945 sprengten Einheiten der SS den Kaisersteg, um die anrückende Rote Armee aufzuhalten. Die Industrieland-schaft in Schöneweide verlor damit eines ihrer prägenden Wahrzeichen.

Baukosten

Die Baukosten des neu gebauten, 140 Meter langen und ca. 400 Tonnen schweren Kaiserstegs betrugen rund 4 Millionen Euro.

Schmuck

Die Portale des Kaiserstegs waren durch Kunstschmiede-arbeiten reich verziert. Rosetten, wappenähnlicher Schmuck, Sonne, Mond, Sterne und Blitze dienten allegorischen Darstel-lung von Elektrizität.

Neueröff nung

Mit der Neueröff nung des Kaiser-stegs im September 2007 wurde diese Fußgängerverbindung zwischen Nieder- und Oberschö-neweide nach 60 Jahren wieder hergestellt.

Konstruktion

Die fi ligrane Eisenfachwerk-konstruktion, entworfen von Heinrich Müller-Breslau, zählte zu den bedeutenden Leistungen der Ingenieursbaukunst um 1900.

Erbauung

Mit der durch die AEG errichte-ten und zu Ehren Wilhelm II benannten Fußgängerbrücke »Kaisersteg« entstand 1897 ein zweiter Spreeübergang und eine Verbindung zwischen Nieder- und Ober schöne weide.

Links: Ist–ZustandRechts: Idee Eine sinnvolle und sorgfältige Gestaltung kann potenziell gefährdete Flächen vor erneu-ter Verunstaltung schützen.

05 Kaisersteg Maria Stier

Die von der AEG 1897 errichtete Fußgängerbrücke Kaisersteg wurde im Volksmund als »Schwindsucht-brücke« bezeichnet. Wenn man im Gleichschritt über die Brücke ging schwankte sie auf jeder Seite einen halben Meter, sodass man sich leicht die »Schwindsucht« holen konnte.

06 Entwicklung Schöneweide Maria Ernicke

Entwicklung SchöneweideStadtplatz

Maria Ernicke

Dieses Konzept thematisiert die Entwicklungs phasen Schöneweides vom ländlich verschlafenen Vorort, über die Industrialisierung im 20. Jahrhundert, bis zum heutigen Standort für Wissenschaft, Technik und Kunst.

Auf dem Platz am nördlichen Flussufer zwischen Wil helminenhofstraße, Reinbeckstraße und dem Kaisersteg bietet sich ein freier Blick über das Indu-striegebiet nördlich der Spree und das südlich gele-gene Wohngebiet.

Hier informiert eine dreiteilige Tafelkonstruktion mittels Kartenansich ten über die Bebauungsstruktur der Jahre 1839, 1907 und 2010 und visualisiert so die wichtigen Etappen in der Entwicklung des Gebietes. Die in einem Metallrahmen gefassten Tafeln lassen sich mit Hilfe eines im Boden verankerten Schienen-systems neben- und übereinander betrachten. Die Halbtransparenz der Kartenauschnitte erlaubt somit den direkten Vergleich der dargestellten Entwick-lungsstufen.

5 cm 50 cm

200 cm

Die Tafeln haben ein Maß von 50 x 200 x 5 cm. Die Karten werden halbtransparent auf ESG-Glas gedruckt. Die dahinterliegende Karte kann so mit der davor befi ndlichen verglichen werden. Die Karten sind nach Osten aus gerichtet, um mit der Blickrichtung des Betrachters zu korrespon-dieren.

Der untere Bereich der Tafeln besteht aus Metall und bietet Raum für die Legende sowie einen kurzen Text zu den historischen Hintergründen des auf der Karte dargestellten Zeitabschnitts.

Die Versalhöhe der Schrift beträgt 5 mm.Dies gewährt nach DIN 1450 gute Lesbarkeit bis 1,5 Meter Leseabstand.

06 Entwicklung Schöneweide Maria Ernicke

07 Der Bulle – Die Industriebahn von Schöneweide Alexander Köpke

Der Bulle –Die Industriebahn von SchöneweideWilhelminenhofstraße 20–25

Alexander Köpke

Oberschöneweide galt als einer der wichtigsten Industriestandorte Berlins. Auf der Suche nach einer Verbindung zwischen den zahlreichen Betrieben, die damals und – zu einem geringen Teil – auch heute noch ansässig sind, stößt man auf den »Bullen«. »Bulle« ist die Bezeichnung für die Industriebahn, die von 1890 bis 1995 über 30 Werksanschlüsse in der Region bediente und eine Strecke von ca. 13 km Länge hatte.

Die Idee ist es, den »Bullen«, der eine Art industrielle Herzschlagader der Region darstellte, wieder sicht-bar zu machen. Dies soll mittels einer In stalla tion auf den Fenstern und dem Einfuhrtor der ehema ligen Industriebahn an den Rathenau-Hallen realisiert wer den.

Die stilisierte Darstellung des »Bullen« erfolgt, nahe zu in Originalgröße, durch polymere Klebefolien. Auf den Fenstern bleiben die dunklen Flächen der Wagons frei, lediglich Hintergründe, Linien und Texte werden durch halbtransparente Folien in Sandstrahl-optik heller abgesetzt. So entsteht außen der visu-elle Eindruck einer Spiegelung, während in den Hallen der Lichteinfall kaum beeinträchtigt wird.Die Zitate, die sich auf den Wagons befi nden, stam-men von ehemaligen Angestellten des TRO, KWO und WF. Sie stellen neben dem »Bullen« einen weite-ren Bezug zur weitgehend verschwundenen Indus trie in Oberschöneweide dar.

07 Der Bulle – Die Industriebahn von Schöneweide Alexander Köpke

44

08 Zeiträume Caroline Viola von Zadow

ZeiträumeReinbeckstraße 9

Caroline Viola von Zadow

Vor mehr als 120 Jahren wurden die ersten Fabriken in Schöneweide errichtet. Seitdem sind Gesellschafts -systeme aufgestiegen und untergegangen, aber die Mauern der Fabriken stehen noch immer. Hunderttausende Menschen haben ihre Schatten an die Mauern dieser Gebäude geworfen. Sie haben an diesem Ort gearbeitet, gelebt, gelitten, gekämpft und gelernt. Hier haben sie gehoff t, geliebt, gelacht und geweint. Und sie haben hier verloren und gewon-nen.

Die südliche Fassade der Reinbeckhallen bietet fünf Flächen, die von Spaziergä ngern und Bootsfahrern bereits aus großer Entfernung wahrgenommen wer-den. Die Gestaltung dieser Flächen soll an all die Menschen erinnern, die diesen Ort am Leben erhal-ten haben. Jedes der Piktogramme steht für die Menschen einer Epoche.

Dass Erinnerungen verblassen, gehört zum Lauf der Dinge. Das Vergessen ist nicht zu verhindern. Und trotzdem: Diese Zeichen stemmen sich dagegen und hellen die Erinnerungen auf.

08 Zeiträume Caroline Viola von Zadow

21369 Arbeiter waren hier 1910 bereits beschäftigt. 1890 entstan-den in Schöneweide die ersten Fabriken.

26057 Zwangsarbeiter waren im Januar 1944 offi ziell in Schöne-weide gemeldet.

1290 Widerstandskämpfer aus Schöneweide widmeten ihr Leben dem Kampf gegen den Nazional-sozialismus.

32290 Gestapo-Mitarbeiter waren 1945 für die Bekämpfung »staatsfeindlicher Bestrebungen« zuständig.

6614 Studenten und Angestellte der HTW Berlin studieren und arbeiten seit 2009 auf dem neuen Campus.

59 Künstler arbeiten heute auf dem Gelände des ehemaligen Industriegebiets in Schöneweide.

30000 Fabrikarbeiter waren von 1950 bis 1989 in Schöneweide beschäftigt.

29500 Fabrikarbeiter verloren hier zwischen 1990 und 1996 ihre Arbeitsplätze.

08 Zeiträume Caroline Viola von Zadow

Gesamtansicht der Fassade mit Maßen, Schriftgrößen und Leseentfernungen.

Piktogrammentwürfe für die Menschen der verschiedenen Epochen

09 Wilhelm Firl Caroline Viola von Zadow

Wilhelm FirlFirlstraße/Wilhelmienenhofstraße

Caroline Viola von Zadow

Wilhelm Firl (1894–1937) war überzeugter Kriegs-gegner und Kämpfer für die Freiheit. Unter den schweren Bedingungen des Nationalsozialismus nahm er am organisierten Widerstand Teil. 1937 wurde er zum Tode verurteilt und noch im selben Jahr in Berlin-Plötzensee enthauptet.

Aus der Todeszelle schrieb Firl Briefe an seine Frau. Im Warten auf den gewissen Tod fand er Worte voller Hoff nung und Ermutigung. Diese sollen in der Firl-straße zitiert werden, um an ihn zu erinnern. Ohne dabei deprimierend oder provozierend wirken zu wollen.

Durch die unterschiedlichen Schriftgrößen kommu-nizieren die Zitate auf zwei Ebenen. Dem Vorbei-eilenden erscheinen die Worte leicht. Die Schwere der Bedeutung drängt sich nicht auf, was sich auch in der zurückhaltenden Gestaltung widerspiegelt.Nur wer einen Moment inne hält und näher heran tritt, kann den tieferen Sinn der Zitate erfassen.

09 Wilhelm Firl Caroline Viola von Zadow

»Denke vorwärts. Auch ich denke nicht zurück. In meiner letzten Stunde denke ich noch vorwärts. Und so aufrecht, wie Du mich hier immer gesehen hast, bin ich bis zuletzt.«

Wilhelm Firl

10 Sozialgeschichte Tim de Gruisbourne

Sozialgeschichte

Tim de Gruisbourne

Einhergehend mit der Geschichte der Industrialisie-rung entwickelte sich in Schöneweide schon sehr früh ein soziales Bewusstsein. Zunächst vereinzelt initiiert wie beispielsweise durch Wilhelmine Rathe-nau, die sich mit ihrer Stiftung schon 1898 um die Bedürfnisse der Arbeiterinnen und deren Kinder kümmerte. Initiativen dieser Art ziehen sich bis heute durch die Geschichte Schöneweides. Von Werkskrippen und Kindergärten über öff entliche Waschhäuser, Sozialstationen mit Essensausgabe und Kriegs küchen bis zu den viel genutzen Clubhäu-sern der Fabriken oder den werkseigenen Wasser-sportvereinen zeichnet sich ein sozialgeschichtliches Bild mit vielen Facetten.

Das Denkzeichenkonzept zur Sozialgeschichte Schö-neweides greift die lokalen Besonderheiten auf und bringt diese in Bildform ins Stadtbild.

Als Träger für die Zeichen werden die vorhandenen Straßenbahnmasten entlang der Wilhelminenhof-straße genutzt. Sie sind dauerhafte Bestandteile des Stadtbildes und durch ihre breiten Profi le für diesen Einsatz prädestiniert. Außerdem stellen sie auch auf inhaltlicher Ebene den Zusammenhang zwischen Industrialisierung und sozialgeschichtlicher Entwick-lung her.

*Hinter dieser Mauer befand sich ab 1900 das Casino. Als erste soziale Einrichtung in der Arbeiter kostenlos Mittagessen aus eigener Küche bekommen konnten, gehört es zu den Grundsteinen der sozialen Entwicklung Schöneweides.

10 Sozialgeschichte Tim de Gruisbourne

Die Gaststätte »Zum Roten Stern« war in der Zeit der Wei-marer Republik die Zen trale der KPD-Kreisleitung von Treptow. Das Ehepaar Jahncke, das die Gaststätte leitete, wurde für sein soziales Engage-ment geschätzt. Anna Jahncke war bis weit über ihren Tod hinaus als »Mutter Jahncke« bekannt.

*Hier befand sich in der Zeit des Ersten Weltkriegs eine Kriegsküche für die Arbeiter Schöneweides und deren Kinder. Man kam vorbei auf »einen Schlag Essen«, um danach zur Arbeit oder in die Schule zu gehen.

*Um im Klubhaus der VEB Kabel Musik spielen zu dürfen, musste man eine Prüfung zum »staatlich geprüften Schall-plattenunterhalter« ablegen. Die Prüfung vermittelte unter anderem, dass nur »60 /40« gespielt werden durfte: 60% Ost- und 40% Westmusik.

ElektropolisWilhelminenhofstraße 20–25 & 78

Tim de Gruisbourne

Oberschöneweide war einst das größte Industrie-gebiet Europas. Die hier vornehmlich ansässige Elek-troindustrie beschäftigte zu Spitzenzeiten bis zu 50.000 Menschen. Der Stadtteil war dadurch einer der lebendigsten Orte Berlins und einer der Kerne der Elektrifi zierung Deutschlands. In der DDR wurde hier weiter produziert. Da aber keine nennenswerte Modernisierung statt fand, musste mit der Wende ein Betrieb nach dem anderen schließen.

Über die Jahre sind die architektur- und industrie-historisch wertvollen Gebäude in einen Dornröschen-schlaf gefallen. Viele von ihnen stehen heute leer. Doch langsam regt sich dort neues Leben.

Die Möglichkeiten der Besichtigung von Schönewei-des Industriebauten sind äußerst beschränkt. Der neugierige Besucher kann meist nicht mehr als einen Blick durch die großen Fenster der Fabrikhallen werfen. Mit dem Denkzeichenkonzept für die Elek tro-industrie Schöneweide sollen die Gebäude mehr von sich und dem ehemaligen Industrieleben preisgeben.

»Die Industrielandschaft Schöneweide ist für die Elek tro-polis Berlin nicht weniger charakteristisch – und nicht weni-ger wichtig – als die Museumsinsel für Spree-Athen.«

Prof. Dr. Norbert Huse, Denkmalpfleger

11 Elektropolis Tim de Gruisbourne

Das Leben rund um die Elektro-industrie brachte ein ganz eigenes Vokabular hervor. Nur noch wenige wissen heute, dass das »Grüne Ungeheuer« eine riesige Wickelmaschine für Großtrafos war oder die »Trojaner« – die Arbeiter des Transformatorenwerks Ober-schöneweide (TRO) – hier ihr tägliches Brot verdienten.

Diese Wortschöpfungen prägen auf eine besondere Art und Weise das ehemals größte Industriegebiet Europas und wecken unsere Fantasie.

11 Elektropolis Tim de Gruisbourne

Das inspirierende Vokabular wird in diesem Konzept einzel-nen Gebäuden zugeordnet und durch individuelle Lichtinstal -lationen hinter den Fenstern in Szene gesetzt. So gewinnen wir durch die Fenster einen Ein blick in die Geschichte der Elektroindustrie Oberschöne-weides.

Je nach Art der Inszenierung wird Elektrolumi niszenzfolie direkt von innen an die Fens-terscheiben der zu bespielen-den Gebäude geklebt oder auch mit Abstand hinter der Scheibe aufgestellt. Elektroluminiszenzfolie zeich-net sich gleich mehrfach für dieses Vorhaben aus:

Zum einen ist sowohl ihr An -schaff ungspreis als auch der Stromverbrauch im Vergleich zu allen anderen großflächigen Beleuch tungen sehr gering. Zum anderen ist sie einfach zu verarbeiten, zu montieren und hat eine Lebensdauer von bis zu 50.000 Stunden. Über Span-nung und Frequenz lassen sich Leuchtkraft und Farbe steuern.

64

Die beiden Beispiele zeigen, wie durch die Art der Inszenie-rung auf das jeweilige Gebäude und den dazugehöri-gen Begriff Bezug genommen werden kann.

Das Wort »Elektropolis«, das für das gesamte Industrie-gebiet steht, birgt in sich eine Reihe von Begriff en, die eben-falls im Zusammenhang mit der Elektrostadt Schöneweide stehen. Durch unterschiedli-che Lichtintensität und Farbe werden diese sichtbar und verschwinden wieder, um eine neues Wort zu bilden.

Am Abspannwerk mit seiner prägnanten Architektur wird »Abspannen« als Bewegung aufgenommen und in eine Kreisbewegung gebracht.

TreskowbrückeBrückenstraße

Tim de Gruisbourne

Der preußische Stadtrat Johann Carl Sigismund von Treskow veranlasste 1904 den Bau einer Brücke über die Spree, um die Ortsteile Nieder- und Oberschöne-weide miteinander zu verbinden. Von Treskow gilt als Pionier des Straßen-, Schienen- und Kanalisationsbaus, sowie der modernen gesund-heitlichen Infrastruktur. Mit dem Bau der Treskow-brücke schuf er eine entscheidende Voraussetzung für die Bildung des damals größten Industriegebie-tes Europas.

Mit ihren 163 Metern Gesamtlänge ist die Treskow-brücke auch heute noch die mit Abstand längste Spreebrücke Berlins. Die ursprüngliche Brücke, 1904 nach den Plänen von Karl Bernhard errichtet, erfuhr zahlreiche Umbauten und wurde im zweiten Welt-krieg komplett zerstört.

Das Denkzeichen Treskowbrücke möchte einerseits auf die Bedeutung und Geschichte der Brücke hin-weisen und andererseits an ihren Namensgeber erinnern.

12 Treskowbrücke Tim de Gruisbourne

Mitten auf der Treskowbrücke gerät das Denkzeichen an einer der am stärksten frequentieten Bereiche Schöneweides täglich in das Blickfeld vieler Menschen.

12 Treskowbrücke Tim de Gruisbourne

Das Denkzeichen soll beidseitig auf der inneren Brückenbrüstung angebracht werden. Die dazuge-hörigen Infotexte befi nden sich auf der Rückseite der Brüstung.Die Farbigkeit von Bild und Typo-grafi e orientiert sich an der Farbe der Brückenbrüstung. Die Grafi k wird als wetterfeste Folie aufgebracht.

Der Mund des Herrn Treskow, also Sigis Mund, bildet das Motiv des Denkzeichens. Mit einem Augenzwinkern erregt das Bild Aufmerksamkeit, gerade weil es zunächst in keinem Bezug zur Brücke zu stehen scheint.

(Fotomaterial von Herrn Treskow befi ndet sich gegenwärtig im Zulauf, weshalb der hier abgebil-dete Mund nicht dem des Origi-nals entspricht.)

13 Denkzeichen NS-Zwangsarbeit Tim de Gruisbourne, Ove Numrich

Denkzeichen NS-ZwangsarbeitUferweg zwischen HTW undKranhaus-Café

Tim de Gruisbourne, Ove Numrich

Als wichtigster Standort der deutschen Elektroindus-trie wurden Produkte aus Schöneweide für Licht und Ton der NS-Propaganda sowie für Bomber, Kampf-flugzeuge und U-Boote genutzt. Elektronische Bau-teile für »Wunderwaff en« sollten die kommende Niederlage des »Dritten Reiches« abwenden.

Um die Produktion aufrecht zu erhalten und auszu-weiten, wurden ab 1938 in Schöneweide auch Berli-ner Juden zur Arbeit gezwungen. In den Jahren darauf folgten Menschen aus Westeuropa sowie ab 1941/42 aus Polen und den besetzten Gebieten der damali-gen Sowjetunion.

Die Unterkunftslager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden in unmittelbarer Nähe zu den Fabriken und in Wohnvierteln errichtet.1944 folgten auch in Schöneweide Außenlager des KZ Sachsenhausen, von wo aus weibliche Häftlinge zur Arbeit im KWO und in der Batteriefabrik Pertrix gezwungen wurden. Dies geschah vor aller Augen, unter dem unmittelbaren Blick der deutschen Öff ent- lichkeit oder deren aktiver Beteiligung.

M I T D E M S C H I F F

13 Denkzeichen NS-Zwangsarbeit Tim de Gruisbourne, Ove Numrich

Das Denkzeichen verweist auf die deutsche Industrie als einem Nutznießer des Nazi Regimes. Die Banalität des Schriftzuges soll die »Normalität« der Zwangsarbeit im »Dritten Reich« themati-sieren.

Die Tatsache, dass es möglich war, große Unterkunftslager mitten in Wohngebieten zu »vergessen«, soll zeigen, wie die deutsche Gesellschaft während und nach dem Krieg mit dem Thema der NS-Zwangsarbeit umgegangen ist.

In diesem Sinne ist das Denkzeichen ein stilles Mahnmal, dass das Geschehene fortwährend zurück an die Oberfläche holen will.

Z U R A R B E I T

Der Schriftzug befi ndet sich an einer ehemali-gen Anlegestelle auf der Oberschöneweider Seite der Spree. Gelegen an dem neu geschaff e-nen Uferweg zwischen dem »Kranhaus-Café« und der HTW, befi ndet er sich in einem von Aus-flüglern und Einheimischen gleichermaßen frequentierten Gebiet.

Die aus Aluminium gefertigten Lettern befi nden sich unterhalb der Wasseroberfläche und sind vom Ufer aus gut sicht- und lesbar. Auf stähler-nen Stelen verankert, gleichen sie durch einen pneumatischen Mechanismus Tidengang und wechselnde Wasserstände aus. Die Schrift-zeichen befi nden sich so in ständiger, leichter Bewegung.

13 Denkzeichen NS-Zwangsarbeit Tim de Gruisbourne, Ove Numrich

76

Köpenicker Synagoge –Der letzte SchattenKöpenick, Freiheit 8

Susanne Chmela

Die 1910 errichtete jüdische Synagoge in Köpenick wurde in der sogenannten »Reichskristallnacht« 1938 von den Nationalsozialisten in Brand gesetzt.

Bei einem Luftangriff auf Berlin wurde das Gebäude weiter zerstört. Nach 1945 wurden die Überreste abgetragen. Seither verwies kaum etwas an die jüdische Gemeinde Köpenick und die einst prächtige Synagoge. Lediglich eine Gedenktafel auf dem an gleicher Stelle errichteten Wohnhaus verweist auf die Zerstörung.

Der letzte Schatten, den die Synagoge am späten Nachmittag des 8. November 1938 hinterließ, wird mittels eines lasierenden Farbauftrags auf der gegenüberliegenden Häuserwand nachgezeichnet.

Durch die schattenhaften Umrisse wird an die verlo-rene Synagoge und die ursprüngliche Silhouette des Straßenzuges erinnert.

14 Köpenicker Synagoge. Der letzte Schatten Susanne Chmela

Für die Rekonstruktion des »letzten Schattens« wurde an Hand alter Fotos ein Modell der Synagoge, der umliegenden Häuser sowie des Straßen zuges in einer 3D-Software nachgebaut. Über eine Simulation des Sonnenstandes am8. November 1938 wurde dann der Schattenwurf auf die gegenüberliegende Häuserfront berech-net.

14 Köpenicker Synagoge. Der letzte Schatten Susanne Chmela

Durch einen lasierenden Farbauftrag wird der Schattenumriss der Synagoge in einer etwas dunkleren Tönung der Fassadenfarbe auf die gegenüberliegende Hauswand des Gebäudes Freiheit 12a und 12b aufgebracht. Eine Versie-ge lung durch Graffi tischutzlack ermöglicht die Beseitigung eventueller Beschmierungen.

»Wer den Fortbestand der Erinnerung sichern will, der hat es unweigerlich mit der Aufgabe zu tun, die Erinnerung ständig zu erneuern, ständig neue Erinnerungen zu schaff en.«

Susan Sontag

Projektgruppe/Entwürfe von Susanne Chmela

Tim de Gruisbourne

Maria Ernicke

Nadine Hädrich

Alexander Köpke

Julia Längert

Ove Numrich

Claudine Palm

Nathalie Rauch

Nora Römer

Maria Stier

Caroline Viola von Zadow

Projektleitung und Kontakt Prof. Florian Adler

c/o Adler & Schmidt

Kommunikations-Design GmbH

Bülowstraße 66

10783 Berlin

Telefon 030. 860 00 7-0

[email protected]

Herausgeber und Redaktion Prof. Florian Adler

Gestaltung Tim de GruisbourneOve NumrichCaroline Viola von Zadow

Gesetzt in der Schrift Facit Light, Regular, Semibold

Druck bookfactoryder Verlagspartner GmbH, Bad Münder

Alle Rechte bei den AutorenNovember 2011

Impressum

Ein Entwurfsprojektdes StudiengangsKommunikationsdesign

In Kooperation mit der Entwick-lungspartnerschaft Schöneweide sowie dem Förderkreis Dokumenta-tionszentrum zur NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide, gefördert im Rahmen des Lokalen Aktionsplan Treptow-Köpenick

Zwölf Studierende des Studiengangs Kommuni -kationsdesign der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin entwickeln Ideen zur Visualisie-rung historischer Orte in Schöneweide. Beidseitig der Spree ver weisen sie auf Spuren der Indus trie -, Sozial - und Kulturgeschichte, des jüdischen Lebens und des Nationalsozialismus.Es werden neue Konzepte erprobt, die jenseits konventioneller Informationstafeln neugierig machen und anregen sollen, anstatt zu belehren.