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Der augenblickliche Stand der Ausbreitung der Blau- saure in der Schadlingsbekampfung.') Von Dr. W. Rawh, Frankfurt a. M. (Mit 1 Abbildung.) In der Zeit vom 16.-22. Htli fand in Paris und Le Havre die Con- ference internationale du Rat stntt, in der Deutschland allein durch 9 Dele- gierte vertreten war. Im Zusammenhang mit dieser Conference stehen die Arbeiten einer internationalen Kommission zum Studium der besten Methoden zur Schiffsentrattung mit Blausaure. Allein diese Tatsache be- weist, welche Bedeutung heute der Blausaure in der Offentlichkeit bei- gemessen wird. Uber die einzelnen Portschritte, die auf dem Gebiete der Verwendung der Blausaure und blausaureabgebenden Stoffe zur Schad- lingsbekampfung in der Hygiene und in der Volkswirtschaft iiberhaupt erreicht morden sind, ist verschiedentlich hier berichtet worden. Wir stehen heute am AbschluB einer gewissen Entwicklungspgriode, so daB es sich lohnt, in einer kurzen Ubersicht auf die bisher gebrauchlichen Ver- fahren, die Anwendungsgebiete und ihre Bedeutung fur die Gesundheits- pflege und die Volkswirtschaft der einzelnen Staaten einzugehen. Wenn wir die Verfahren als solche betrachten, so konnen wir zu- nachst zwei grole Gruppen unterscheiden: in der einen wird die zu ver- wendende Blausaure am Orte der Anwendung selbst entwickelt, in der anderen sehen wir den Herstellungsprozel in die Fabrik verlegt, so dal also die fertige Blausaure an den Verwendungsplatz transportiert und dort in irgendeiner Form zur Wirkung gebracht wird. In der ersten Gruppe, bei der, wie gesagt, die Herstellung der Blausaure erst am Orte der An- wendung stattfindet, mussen wir je nach den Anwendungsgebieten zwei , Moglichkeiten unterscheiden: in dem einen Falle handelt es sich darum, daB eine hohe Gaskonzentration moglichst schnell erreicht wird; in dem anderen Halle miissen ganz niedrige Gasstarken langere Zeit verfugbar sein, wozu man eine langsam einsetzende und dann aucb langsam gleichmaBig l) V,ortrag gehdten auf der 7. Jahresversammlung der Deutsohen Ges. f. ang. Ent. in Miinohen.

Der augenblickliche Stand der Ausbreitung der Blausäure in der Schädlingsbekämpfung

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Der augenblickliche Stand der Ausbreitung der Blau- saure in der Schadlingsbekampfung.')

Von

Dr. W. Rawh, Frankfurt a. M. (Mit 1 Abbildung.)

In der Zeit vom 16.-22. Htli fand in Paris und Le Havre die Con- ference internationale du Rat stntt, in der Deutschland allein durch 9 Dele- gierte vertreten war. Im Zusammenhang mit dieser Conference stehen die Arbeiten einer internationalen Kommission zum Studium der besten Methoden zur Schiffsentrattung mit Blausaure. Allein diese Tatsache be- weist, welche Bedeutung heute der Blausaure in der Offentlichkeit bei- gemessen wird. Uber die einzelnen Portschritte, die auf dem Gebiete der Verwendung der Blausaure und blausaureabgebenden Stoffe zur Schad- lingsbekampfung in der Hygiene und in der Volkswirtschaft iiberhaupt erreicht morden sind, ist verschiedentlich hier berichtet worden. Wir stehen heute am AbschluB einer gewissen Entwicklungspgriode, so daB es sich lohnt, in einer kurzen Ubersicht auf die bisher gebrauchlichen Ver- fahren, die Anwendungsgebiete und ihre Bedeutung fur die Gesundheits- pflege und die Volkswirtschaft der einzelnen Staaten einzugehen.

Wenn wir die Verfahren als solche betrachten, so konnen wir zu- nachst zwei grole Gruppen unterscheiden: in der einen wird die zu ver- wendende Blausaure am Orte der Anwendung selbst entwickelt, in der anderen sehen wir den Herstellungsprozel in die Fabrik verlegt, so d a l also die fertige Blausaure an den Verwendungsplatz transportiert und dort in irgendeiner Form zur Wirkung gebracht wird. In der ersten Gruppe, bei der, wie gesagt, die Herstellung der Blausaure erst am Orte der An- wendung stattfindet, mussen wir je nach den Anwendungsgebieten zwei

, Moglichkeiten unterscheiden: in dem einen Falle handelt es sich darum, daB eine hohe Gaskonzentration moglichst schnell erreicht wird; in dem anderen Halle miissen ganz niedrige Gasstarken langere Zeit verfugbar sein, wozu man eine langsam einsetzende und dann aucb langsam gleichmaBig

l) V,ortrag gehdten auf der 7. Jahresversammlung der Deutsohen Ges. f. ang. Ent. in Miinohen.

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weitergehende Gasentwicklung braucht. 1rn einzelnen stellen sich die Verfahren, wie folgt, dar:

Wir haben zunachst das sogenannte Bo t t i chve r fah ren , das als das aiteste Verfahren angesehen werden muB. Bei ihm wird die Blausaure durch chemische U msetzung von Cyansalzen und Mineralsauren entwickelt, und zwar gewohnlich in der Art, daB in verdiinnte Schwefelsaure festes Cyannatrium oder Cyankali eingegeben wird, wobei eine chemische Um- setzung der Schwefelsaure und des Cyansalzes zu Blausaure und Natrium- oder Kaliumsulfat stattfindet. Eine Modifikation dieses Verfahrens besteht darin, daB statt der festen Cyansalze eine verdunnte Losung genommen wird, die man langsam in die Schwefelsaure eintropfen 1aBt. Bei einer anderen ModiEikation wird statt der Schwefelsaure Salzsaure genommen. Dies geschieht vor allem dam, wenn auBer der Entwicklung von Blau- saure die Entwicklung eines Reizstoffes, besonders des Chlorcyans, be- absichtigt ist. Die praktische Anwendung der Methode geschieht derart, daIj in dem zu durchgasenden Gebaude an verschiedenen Stellen die Bottiche aufgestellt werden, so daB eine moglichst gleichmaBige Entwick- lung und Verteilung des Gases in dem Raum gewahrleistet wird.

Grundsatzlich das gleiche Prinzip hesteht bei der sogenannten Gene- ra tormethode , die gewissermaBen nur eine elegantere, wenn auch nicht immer zweckm5Bigere Form des Bottichverfahrens darstellt. Hier wird in, einem groBen Kessel ebenfalls verdunnte Saure mit festen oder in Losung befindlichen Cyaniden zur Reaktion gebracht, und die entstehende gas- formige Blausaure wird mittels Rohrleitungen in die zu durchgasenden Raume durch ihren eigenen Expansionsdruck hineingepreBt. Die schnelle gleichmaBige Verteilung des Gases ist wie bei dem Bottichverfahren ge- wahrleistet, wenn statt der einzelnen Bottiche entsprechend viele Rohr- mundungen vorhanden sind. Das Generatorverfahren hat den Nachteil, daB ReaktionsgefaBe und Rohrleitungen oft undicht werden und daB die Hantierung mit langen Rohrleitungen zu umtandlich und zu gefahrlich ist. Beide genannten Verfahren gelangen hauptsachlich da zur Anwendung, wo es sich um die schnelle Erreichung einer hohen Gaskonzeutration handelt, und sind nur da beprundet, wo lediglich eine toxikologische Wirkung auf Schadinsekten beabsichtigt wird, wo man aber keine Ruck- sicht darauf zu nehmen braucht, ob unmittelbar noch andere lebende Wesen geschadigt werden oder nicht. DemgemaB finden wir die Methode nur angewandt zur Vernichtung von krankheitsubertragenden Parasiten, zum Vorratsschutz und auch noch zur Baumbegasung, wo sie uberliefert und auch nur deswegen berechtigt ist, weil der zu begasende Baum sich. als auBerordentlich widerstandsfahig erwiesen hat. Worauf diese Wider- standsfahigkeit zuruckzufuhren ist, ist noch nicht ganz klar, doch durfte von wesentlicher Hedeutung hierfur der Umstand sein, daR es sich durch- weg um sogenannte Hartlaubgewachse handelt, das heiBt uin Gewachse, deren Blatter mit einer sehr starken Cuticula bedeckt siud.

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Es gibt aber, insbesondere auf dem Gebiete der Bekampfung von Schad- lingen der Landwirtschnft, Falle, bei denen es darauf ankommt, Insekten auf zarten, weichlaubigen Pflanzen zu vertilgen. Dieses Anwendungsgebiet ist verhaltnismaflig neu und konnte erst ausgebildet werden, als es gelang, Praparate zu schaffen, die es gestatten, einen ahgeschlossenen Raum wahrend verhaltnismaflig langer Zeit einer niedrigen gleichbleibenden Kon- zentration des Blausauregases auszusetzen. An erster Stelle dieser Produkte steht das sogenannte Cyanogas, das amerikanischer Provenienz ist. Es stellt eine Kalkstickstoffkochsalzschmelze dar und wird auch Calciumdust, Cyan- dust, Cyankalk crder, nach seinem wirksamen Bestandteil, Kalziumcyanid genannt. Es ist eine schwarzliche Masse, die aus Calciumcyanamid oder Kalkstickstoff hergestellt wird, indem gepulverter Kalkstickstoff mit Zu- siitzen, wie z. B. Kochsalz, vermischt und einem SchmelzprozeS unter- worfen wird. Die fliissige Schmelze wird aus dem Ofen abgezogen und mit Hilfe einer besonderen Apparatur in Plattchen gegossen. Die Plattchen werden nach dew Erstarren gebrochen und gemnhlen. J e nach dem Ver- wendungszweck wird das Material dann entweder in Flocken (flakes) oder in Kornern (granular) oder in Pulver (dust) in den Handel gebracht. Der wirksame Bestandteil ist das Calciumcyanid, das zu etwa 40 O/o enthalten ist. Der Rest besteht aus Calcium- und Natriumchloriden, sowie tech- nischen Verunreinigungen von Calciumkarbid, Kohle und nicht umgesetztem Kalkstickstoff. Wenn das Cyanogas mit der Luft in Beruhrung kommt, so wird durch die Einwirkung der Luftfeuchtigkeit und durch die Luft- kohlensaure eine chemische Reaktion eingeleitet, die in dem Sinne ablauft, daB unter Aufnahme der Feuchtigkeit und der Kohlensaure der Luft gas- formige Blausaure abgespalten wird. Die Blausaureentwicklung geht ganz langsam und gleichmaljig nach Maljgabe der an das Calci umcyanid heran- tretenden Feuchtigkeit und Kohlensaure vor sich und erstreckt sich uber einen Zeitraum von mehreren Stunden. Die in den ersten 4-5 Stunden auftretenden Gasverluste, die selbst bei gut abgedichteten Raumen durch Undichtigkeiten und auch durch die Oberflachenadsorption auftreten, werden also hier durch die Gasnachentwicklung geniigend ausgeglichen. Bin weiterer Vorteil des Cyanogases liegt in seiner pulverformigen Be- schaffenheit und zwar insoiern, als diirch die gleichmal3ige Verteilung des Pulvers iiber den Boden des ganzen zu durchgasenden Raumes eine un- zahlige Menge kleinster Qasentwicklungsstellen erzengt wird. Die Mog- lichkeit einer Bildung von Gasschwaden, die fur empfindliche Pflanzen sehr rerhangnisvoll werden kann, ist sornit vollkommen ausgeschlossen.

In letzter Zeit sind auch h o c hprozentige Calciumcyanidpraparate (Calcyanide, Citrofume) mit einem Calciumcyanidgehalt von etwa 60 bis

herausgebracht worden, fur deren Anwendung und Wirkung im wesentlichen das gleiche gilt wie fur Cyanogas.

Die Verfahren der zweiten Gruppe charakterisieren sich, wie erwahnt, dadurch, daB der ProzeB der Herstellung der Elausaure in die Fabrik ver-

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legt worden ist. Wir haben es hier mit der flussigen Biausaure und dem Zyklonverfahren zu tun. Die f I u s s i g e R l a u s a u r e wird nach ver- schiedenen Verfahren hergestellt und in Stahlflaschen in den Handel ge- bracht. Bei der Anwendung wird die Blausaure entweder durch PreBluft aus den Stahlflaschen heraus in ein Verteilungssystem von Rohren ge- driickt und durch Spriihdusen vernebelt, oder man erwarmt die Flaschen bis etwas uber den Siedepunkt der Blausaure, so daB die Blausaure ver- dampft und als gasformige Blausaure ebenfalls durch ein Rohrensystem verteilt wird. I n beiden Fallen hat man mit denselben Nachteilen wie bei der Anwendung des Generatorverfahrens zu rechnen. AuBerdem konnen sich durch gerinpe Verunreinigungen die Spruhdiisen verstopfen. Der wesentlichste Nachteil besteht jedoch darin, daB fliissige Blausaure als chemisch sehr labiler Korper zur Polymerisation neigt, die oft unter explosionsartigen Erscheinungen vor sich geht. Bus diesem Grunde und wegen dea niedrigen Siedepunktes durfte fliissige Blausaure in den Ver- einigten Btaaten nur naohts auf Automobilen mit besonderer Riihlvorrichtung transportiert werden. Der Transport auf der Eisenbahn ist erst in letzter Zeit zugelassen worden. Verschiedenen Herstellern ist es jedoch gelungen, durch besondere Znsatze eine chemische Stabilisation zu erreichen. Der- artig stabilisierte Produkte sind in Deutschland fur den Eisenbahntransport zugelassen. I n eiligen Fallen ist sogar bei zwecken tsprechender Verpackung die Zuladung zu Lebensmitteln erlaubt.

Uber das zweite hier in Betracht kommende Verfahren, das Zyklon- ver fahren , ist wiederholt berichtet worden, und ich mochte mich darauf beschranken, zu wiederholen, daB es eine Verrollkommnung des flussigen Blausaureverfahrens insofern darstellt, als die fliissige Blausaure nach einem besonderen Verfahren stabilisiert, mit einem Reizstoff gemischt und danc in einem inerten porosen Trager, meisten teils Diatomit, aufgesaugt wird. Hierbei entsteht ein feuchtes, grobkorniges Pulver, das in Blech- biichsen hermetisch verschlossen wird. Fur die Versendung auf der Eisen- bahn gelten die gleichen Vorschriften wie fur flussige Blausaure. Diese Vorschriften sind das Ergebnis eingehender Yrufung seitens der Chemisch- technischen Reichsanstalt, die dnruber auf 24 Druckseiten in ihrem IV. Jahresbericht (1924/25) berichtet hat. Bei dem Gebrauch werden die Blechbuchsen, in denen sich das Zyklon befindet, geoffnet und ihr Inhalt ausgestreut. Die in dem Pulver enthaltene Blausaure verdampft alsbald und erfullt den zu durchgasenden Raum. Das Zyklonverfahren hat also eine gewisse Ahnljchkeit mit den Calciumcyaniden, doch mu13 als Unterschied hervorgehoben werden, daB die Blausaure aus den Calcium- cyaniden durch eine che misc h e Umsetzung gewonnen wird, wahrend sie aus dem Zyklon durch Abdampfung, also durch einen phys ika l i schen Vorgang, frei wird.

Die Gebiete, auf denen die Anwendung d e r Blausaure zur Bekamp- fung von Schadinsekten vorzugsweise stattfindet, sind aufierordentlich zahl-

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reich und dienen sowohl der F o r d e r u n g d e r Hyg iene , als auch der Er- ha l tung von Vorraten u n d ~ i n r i c h t u n g s g e g e n s t ~ ~ n d e n , sowie dem Schutz der Pflanzen. Seit Mitte der SOer Jahre ist die Anwendung von Blau- saure LU diesen Zwecken bekannt und wird von da an in steigendem Umfang ausgefuhrt. Die Entwicklung uahm ihren Ausgang von Amerika und Ring spater nach Sudafrika und woh! erst zuletzt nach Europa. Da es sich bei der Blausaure urn einen Stoff handelt, dessen toxische Wirkung auf den Menschen unter Urnstanden zu bedenklichen Schadigungen fuhren kann, haben die

/.yesaid in DeutJchfand mit dem 6Yausaureverfihpen dudgostep Rauminhalt t i Miionen m?

- meisten Staaten Gesetze er- lassen, die die Anwendung der Blausaure zur Pchadlings- bekampfung regeln, und diese Verordnungen beziehen sich auf alle oder nur auf einzelne Anwendungsgebiete, je nnch der Rolle, die diese in der Volkswirtschaft des betreffen- den Staates spielen. Alle diese Gesetze im einzelnen aufzu- fuhren, muB einer i m Gang befindlichen zusam men fassen- den Arbeit vorbehalten blei- ben. Die ausfuhrlichsten Tor- schriften sind erlassen von den Vereinigten Staaten, von Belgien, Australien, Deutsch- land, Osterreich, Spaniea, Jugoslavien, Schweden und Finnland. Alle diese Vor- schriften haben das eine ge- meinsam, da13 sie fur Gebrauch der Blausaure

den eine

besondere Eonzession seitens der eustandigen Regierung erfordern und daB besondere SchutzmaBnahmen vorgeschrieben sind. Diese SchutzmaB- nahmen erstrecken sich sowohl auf den Schutz des ausfuhrenden Perso- nals, als auch auf Vorsichtsmafinahmen, die die Gefahrdung Unbeteiligter nach MGglichkeit ausschlieBen sollen. Leider sind einigu dieser Ver- ordnungen nur in Hinsicht auf e in bestimmtes Anwendungsgebiet ab- gefalt, und die scharfe AusleguEg seitens der Rehorden fuhrt oft dazu, daB ein anderes Anwendungsgebiet, das vollstandig andersartig behandelt werden muBte, unter die gleichen Bestimmungen fallt und sehr erschwert wird. Urn ein Beispiel zu nennen, sei darauf verwiesen, daB die jetzt noch gultigen preul3ischen Ausfuhrungsbestimmungen zur Ausfiihrung der Reichsverordnung uber die Schadlingsbekampfung mit hochgiftigen Stoffen

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seinerzeit nur jm Hinblick auf die Wohnraurndurchgasungen aufgestellt vorden sind. Infolgedessen konnten ihre Bestimmungen unmoglich auf die Gewachshausdurchgasung ubertragen werden und deshalb sind vor kurzem hierfur besondere Regeln anfgestellt worden, wahrend spezielle Vorschriften fur die Schiffsdurchgasungen auch heute noch fehlen. Schiffe, i n denen Wohnraurne gegeu Ungeziefor durchgast werden, miissen naturlich don allgemeinen Vorschriften unterliegen, dagegen halte ich es fur eine Erschwerung, wenn fur die Durchgasung von Laderaumen, die mit der fur Wohnraume ublichen Gaskonzentration erfolgt, die gleichen strengen Vorschriften hinsichtlich der Luftung aufgestellt werden ; denn nach den allgemeinen Erfahrungen sind Laderaume innerhalb 2 bis 4 Stunden voll- kommen gasfrei, so da13 hier die Forderung einer mindestens 20stundigen Luftungszeit nicht berechtigt erscheint. In anderen Landern wiederum wird fur die Durchgasungen in sogenannten Entmottungskammern, die abseits auf einem Hofe liegen, ebenfalls die Erfiillung der gleichen Vor- schriften wie fur Wohnraumdurchgasungen gefordert. So zum Beispiel sollen bei einer solchen Kammerdurchgasung, bei der die Gasentwicklung vollkommen unter AbschluB der AuBenweIt erfolgt, stets zwei Mann mit Gasmasken anwcsend sein, rind das Oelande sol1 i m Umkreis von 150 m abgesperrt sein. I n Schweden wiederum ist es gestattet, daB man bei Luftung eines Zimmers ohne Anwendung eines Atmungsgerates den zu entluftenden Raum betritt, indem man einfach ein Taschentuch vor Mund und Nase halt. Solche Freiheit kann naturlich eine groBe Gefahren- quelle sein.

Uber den Urnfang der Blausauredurchgasungen in den einzelnen Landern lalt sich kein klares Bild gewinnen. Die fur Deutschland vorliegen- den Zahlen lassen erkennen, daB bis Ende 1927 iiber 51 Millionen Kubik- meter Rauminhalt durchgast worden sind, wozu rund 500 0000 kg Blausiiure erforderlich waren. In den Vereinigten Staaten von Amerika durfte der, jahrliche Umsatz auf mehrere Millionen lbs Blausaure zu schatzen sein. Weitere Hauptverbrauchslander sind Italien, Sudafrika, Agypten, Australien Holland, Schweden, Ungarn, England, Osterreich.

Wie gesagt, ist die Bedeutung der einzelnen Anwendungsgebiete in den einzelnen Landern sehr verschieden, und es ist auch darum nicht moglich, die Anwendungsgebiete nach ihrer Bedeutung zu ordnen. Die sanitlre GroBraumdurchgasung ist besonders in Deutschland, bterreich, der Schweiz und Holland ausgebildet. In Deutschland werden vorzugs- weise Truppenunterkiinfte, wie die im besetzten Gebiet liegenden, von den alliierten Truppen geraumten Kasernen mit Blausaure behandelt, urn die, wie in fast allen Massenquartieren, so in Kasernen insbesondere herrschende Wanzenplage zu beheben und eine schadliche Ruckwirkung auf die Be- volkerung zu vermeiden. Daneben spielte fruher die Ungeziefervertilgung in Arbeiterquartieren, Schlafhausern uud Ledigenheirnen der grol3en Gruben und Zechen eine bedeutende Rolle. In Osterreich werden die Uba-

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nachtungsgebaude der Eisenbahnbearnten fast regelmafiig behandelt. Dann waren hier noch zu nennen die Durchgasung von Industriegebauden, auf die spater Burs eingegangen werden soll. Die Kleinraumdurchgasung, das heifit die Durchgasung von Einzelwohnungen in bewohnten Gebauden, ist in Deutschland noch verboten. Sie erreicht gro13en Umfang in Schweden, Osterreich und Ungarn. In Stockholm werden an den Umzugsterminen etwa je 6 bis 700 Wohnungen durchgast und im ganzeu jahrlich etwa 8 bis 10000 Wohnungen. Fur Ungarn ist aus den abgesetzten Blausaure- praparaten der Umfang von Wohnungsdurchgasungen auf 1 Million Kubik- meter jahrlich zu schatzen. Auch in Italien, Jugoslavien spielt die Klein- raumdurchgasung eine Rolle. In Osterreich wurden 1927 etwa 200000 m3 durchgast. Auch aus Ruljland wird grole Ausdehnung berichtet. Hotels werden vielfach durchgast, in Spanien besteht sogar gesetzlicher Zwang.

Von besonderer Bedeutung ist die Durchgasung der Verkehrsmittel, wie Eisenbahnen, Schiffe und Automobile, die zum Teil aus hygienischen Grunden, zum Teil aus Grunden des Vorratsschutzes erfolgt. In den meisten Staaten ist auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarungen vor- geschrieben, da13 einlaufende Sc h if f e besonderen Vorsichtsmaljregeln zur Verhutung der Einschleppung der Pest und anderer Infektionskrankheiten unterliegen. Auch der Qolkerbund hat sich dieser Angelegenheit an- genommen, und es steht zu erwarten, dd3 in absehbarer Zeit eine ein- heitliche internationale Regelung erfolgt. Ferner kann die Verschleppung ron Insekten durch Schiffe gelegentlich die Vornahme einer Blausaure- durchgasung erforderlich machen. Ich mochte hier nur daran erinnern, daB schon wiederholt die Annahme von Schiffdadungen be1 der Loschung verwejgert worden ist, weil das beforderte Gut auf der langen ubersee- reise so von Schadlingen beschadigt wurde, daB es nicht mehr verwertbar erschien. In einem besonderen Falle handelte es sich um eine Mehl- ladung im Werte von 70000 Dollar, die von Schadlingen, wie Tribolium, Tenebrio und anderen befallen war. In anderen Fallen wurden Darnie durch Dermestes, Tabakladungen durch Lasioderma und Dermestes, Kopra- ladungen durch den Koprakafer beschadigt. In hygienischer Hinsicht ist der Befall der Mannschafts- und Zwischendeckra~ime der Schiffe durch Wanzen, Lause und Flohe von Bedeutung; auch hier hat sich die Blau- sauredurchgasung als wirksamstes Nittel zur Vernichtung der Insekten gc- zeigt und wird von einzelnen Landern von Gesetzes wegen gefordert.

Die Entwesung des zweitwichtigsten Verkehrsmittels, der Eisenbahn, ist in Europa nur fur die Bekampfung von menschlichen Parasiten von allgemeinem Interesse. Sie wird von Gesetzes wegen in Spanien verlangt und geschieht freiwillig in Italien, Runianien und J ugoslavien. In den auBereuropaischen Landern wird sie jedoch an Umfang uberragt durch die Bekarnpfung der Vorratsschadlinge, vor allem deswegen, weil die klimatischen Verhaltnisse eine in Europa nicht gekannte Vermehrungs- fahigkeit dieser Schadlinge zur Folge haben. Zu erwahnen sind hier ins-

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besondere die groBen Quarantane- Anlagen, die langs der nordamerikanisch- mexikanischen Grenze errichtet wurden und in denen hauptsachlich Guter- waggons, die fur den Transport von Baumwolle dienen, entwest werden, um die Verschleppung des Raumwollrusselkafers zu verhindern. Zur An- wendung gelangt hier in erster Linie flussige Blausaure, doch ist man an manchen Stellen bereits zu Zyklon iibergegangen.

Bei der Entwesung von Automobilen handelt es sich weniger urnb menschliche Parasiten als urn Kleidermotten, die die Yolster zerfressen. Dieses Gebiet ist vorlaufig noch wenig umfangreich.

Das Anwendungsgebiet, das sich in Deutschland besonders entwickelt hat, ist die Entwesung von Mu h len und Nahrungsmittelbetrieben gegen Mehlmotten. Um mich nicht zu wiederholen, will ich hier nur erwahnen, da13 bisher etwa 1000 Muhlen mit einem Gesamtrauminhalt VOD 10000000 m3 durchgast worden sind. Neben Deutschland werden Muhlendurchgasungen regelmal3ig ausgefuhrt in Nordamerika, Argentinien, der Schweiz, Oster- reich, Ungarn, Rumanien, Danemark, Schweden, Norwegen und England. Woitere aussichtsreiche Lander sind Frankreich, Italien, Belgien, Holland uncl andere. Aul3er der Miihlenindustrie ist die kakaoverarbeitende lndustrie an dem Blausaureverfahren insofern interessiert, als sie sehr oft unter starkem Befall durch Plodia interpunctelln, Ephestia elutella und anderen Insekten zu leiden hat. In dieses Gebiet gehort ferner die Entwesung von Kiihlhausern zur Vernichtung der Ratten und Mause.

Fiir den Vorratsschutz ist weiter von Bedeutung die Regasung in- dus t r i e l l wicht iger Produk te, wie zum Beispiel Tabak und Baumwolle. Bei diesen wird in manchen Uebieten bis zu der gesamten Ernte durch% Schadlingsbefall vernichtet, und, wenn die Ernte nicht einer radikalen Entwesung unterzogen wird, so werden die Schadlinge weiterverschleppt, das Material wird weiter zeratort und durch Beschmutzung fur die Ver- arbeitung unbrauchbar gemacht. Fiir den Tabak wird beispielsweise an- gegeben, daB allein auf Sumatra der durch RaupenfraB verursachte Schaden 21/, Millionen Gulden betragen hat. Man hat fruher die geernteten Tabak- blatter in den Trockenscheuern niit Rlausaure begast, ist jedoch von dem Verfahren abgekommen, weil angeblich die Tabakbliitter durch Flecken- bildung beschadigt worden sind. Ich glaube, da13 hier ein PehlschluS vor- liegt, insofern, als die Fleckenbildung auf den Blattern nicht auf Behand- lung mit der Blausaure zuruckzufuhren ist, sondern eine sekundare Er- scheinung darstellt; denn bei der Entwicklung der Blausaure nach dem Bottichverfahren wird Schwefelsaure teils aus den Bottichen herausgespritzt, teils durch die sich entwickelnde Blausaure mitgerissen, und dann ver- ursacht diese Schwefelsaure die Zerstorungen an den Blattern. Auch fermentierter Tabak ist schon erfolgreich mit Blausaure zur Bekampfung von Lasioderma und Dermestes behandelt worden.

Bei der Baumwolle sind der Baumwollrusselkiifer und der rote Kapsel- wurm zu bekampfen. Uber den ersteren habe ich bereits bei der Be-

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kampfung in den Eisenbahnwagen gesprochen. Die Bekampfung des roten Kapselwarms mit Blausaure findet am zweckmaBigsten durch Behandlung der Baumwollsamen statt.

SchlieBlich waren als bedeutende Anwendungsgebiete noch die Land- wirtschaft zu nennen, insbesondere die B e h a i d l u n g de r Orangen- u n d C i t r u s k u l t u r e n , s o w i e d e r G e w a c h s h a u s e r . Die Begasuog der Citruskulturen ist das alteste Gebiet, auf dem uberhaupt die Schad- lingsbekampfung mit Blausaure angewandt wurde. Hier wird in einigen Landern immer noch das Bottichverfahren bevorzugt. Andererseits ver- wendet man z. B. in Ealifornien nur flussige Blausaure. Die Calcium- cyanide haben bis heute die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfullt. Dasselbe trifft mit einer Einschrankung fur Zyklon insofern zii: als die in den einzelnen Landern gemnchten Erfahrungen sich widersprechen. In Agypten und Spanien waren die Erfolge nicht ganz befriedigend, wahrend sie in Sudafrika absolut ausreichend waren. Der Anwendung der Blau- saure ist es uberhaupt zu serdanken, daB eine weitere Ausdehnung der Plagen nicht stattgefunden hat. Eine vollstiindige Vernichtung der Schad- linge ist jedocb nicht zu erwarten, wenn es nicht gelingt, alle Plantagen durch die BekampfungsmaBnahmen zu erfassen. Aulerdem mu13 hierbei eine interessante Tatsache erwahnt werden. Es hat sich in Kalifornien gezeigt, daB die Widerstandsfahigkeit verschiedener Schildlause, insbesondere dcr sogenannten ,,red scaleGL (Chrysomphalus aurantii) gegen die Blausaure .erheblich zugenommen hat. Wahrend fPdher durchschnittliche Abtotungs- erfolge von 98-1000/,, erreicht wurden, kommt man jetzt sebr oft nur auf 80-85°/0, obwohl nach dem gleichen Verfahren und in genau der gleichen Weise wie fruher gearbeitet wird. Es scheint, als ob man eine blausaureresistentere Schildlausrasse allmahlich herangezuchtet hatte. Bei

.der Baumbegasung werden vorzugsweise Hartlaubgewlchse behandelt, wahrend uber die Wirkung der Blausaure auf Weichlaubgewachse noch wenig bekannt ist. Ein aussichtsreiches Gebiet ist die Bekampfung der Zwetschenschildlaus Lecanium corni, besonders in verschiedenen Balkan- Iandern.

Auch in ihaen nimmt mit der hohen Entwicklung der Gemuse- und Blumen- zuchterei auch die Entwicklung der Schadlinge zu, da meistens hoch- geziichtete Sorten den Insekten gegenuber weniger widerstandsfahig sind, und ferner die in den Gewachshaosern herrschenden Temperaturen und Feuchtigkeitsbedingungen den Insekten mehr . zusagen ais die im freien Land herrschenden. Auch auf diesem Gebiete sind die Amerikaner voran- gegangen, nachdetu sie in dem Cyanogas ein Nittel gefunden hatten, das sich ganz besonders aus den schon auseinandergesetzten Grunden fur die Gewachshausdurchgasung eignete.

Oben wurde die Durchgasung der Gewachshanser beruhrt.