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Der Begriff der "menschlichen Natur" hsing in der Vor-Ch'in-Philosophie von Rüdiger Machetzki {Hamburg) Der menschliche Naturbegriff ist eine der wesentlichen Grundkategorien im philo- sophischen Denken aller großen Kulturkreise. In der abendländischen Welt entwik- kelte er sich aus der anfänglichen lateinischen Bedeutung des " Zeugens und Wachsens' zur "ursprünglichen Verfassung" und schließlich zur "Eigenheit des ganzen Wesens '. Auch in der chinesischen Philosophie zeigte das Bewußtsein von der menschlichen Na- tur hsing eine besondere Vielschichtigkeit und wurde von den einzelnen Denkschulen in Gehalt und Aussehen unterschiedlich bewertet und verstanden*. Auffallend er- scheint nach außen hin die ungewöhnliche Bedeutungszunahme des menschlichen Na- turbegriffs von einer ursprünglich nebenrangigen Position. So sah Konfuzius, einer der geistigen Urväter chinesischen Denkens, die Betrachtung der menschlichen Natur noch als etwas verhältnismäßig an. Sein Satz "Von der Natur her einander ähnlich sein, sich aber durch das Ausüben unterscheiden . . . Nur die höchsten Weisen und die niedersten Unwissenden ändern sieb nicht 1 '' weist nicht nur auf einen wertneutralen Naturbegriff hin, vielmehr auch auf die insgesamt un- tergeordnete Bedeutsamkeil des " Natürlichen" . Im Mittelpunkt der Auslegungen ste- hen vor allem das unermüdliche Lernen, die rechte Bewußtseinsbildung und die geistig- ethischen Bemühungen des Menschen. Nicht von ungefähr setzt das Lun-Yü mit den Worten ein: " Zu lernen und es dauerhaft auszuüben, ist das nicht angenehm?" Über- haupt dienen die "Liebe zum Lernen" hao hsüeh[t] und das "ausgedehnte Studium der Lehren" po hsüeh wen[ 2 ] als Leitmotive des Lun- Yü, durch die allein der Mensch die ethische "Selbstvervollkommnung" hsiu chi(3] zu erreichen vermag. Der ursprüngli- chen Gleichartigkeit der menschlichen Natur steht also eine Abstufung der geistig-ethi- schen Bemühungen und Ziele gegenüber. Die menschliche Natur ist keine selbständige Größe, die sich unter dem Einfluß bewußten menschlichen Handeins zu behaupten vermag. Sie istaprioriweder zum "Guten" hsing shan[ 4 ] noch zum "Schlechten" hsing o[ 5 ] orientiert. Vielmehr scheint eine Naturvorstellung impliziert, die sich zu entwickeln vermag, die gestaltet werden kann und keinerlei Vorbestimmung unterliegt. 1 Lun-Yü , Yang Huo Buch 17, Kap. 2. Eine eingebende Untersuchung aller im mit dem stehenden philosophischen Termini - konnte 1Dl Rahmen Arbett nicht vorgenommen werden. Schlüsselbegriffe Wie Jen,! te daher so.all- gemein wie möglich übersetzt, um ihre nicht zu versperren. Fürjen wird deshalb "Mitmenschlichkett benutzt, für t wußtsein" und für te moralische Wirksamkeit", ausgenommen Chuang Tzu-Zttate. Dort wrrd der einfache Begriff .:\Virksamkeit ' benutzt, weil Chuang Tzu 's te kein moralisches, sondern ein mystisches Moment verkörpert. 53

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Der Begriff der "menschlichen Natur" hsing in der Vor-Ch'in-Philosophie

von Rüdiger Machetzki {Hamburg)

Der menschliche Naturbegriff ist eine der wesentlichen Grundkategorien im philo­sophischen Denken aller großen Kulturkreise. In der abendländischen Welt entwik­kelte er sich aus der anfänglichen lateinischen Bedeutung des "Zeugens und Wachsens' zur "ursprünglichen Verfassung" und schließlich zur "Eigenheit des ganzen Wesens ' . Auch in der chinesischen Philosophie zeigte das Bewußtsein von der menschlichen Na­tur hsing eine besondere Vielschichtigkeit und wurde von den einzelnen Denkschulen in Gehalt und Aussehen unterschiedlich bewertet und verstanden*. Auffallend er­scheint nach außen hin die ungewöhnliche Bedeutungszunahme des menschlichen Na­turbegriffs von einer ursprünglich nebenrangigen Position.

So sah Konfuzius, einer der geistigen Urväter chinesischen Denkens, die Betrachtung der menschlichen Natur noch als etwas verhältnismäßig Unwesentliche~ an. Sein Satz "Von der Natur her einander ähnlich sein, sich aber durch das Ausüben unterscheiden . . . Nur die höchsten Weisen und die niedersten Unwissenden ändern sieb nicht1'' weist nicht nur auf einen wertneutralen Naturbegriff hin, vielmehr auch auf die insgesamt un­tergeordnete Bedeutsamkeil des " Natürlichen" . Im Mittelpunkt der Auslegungen ste­hen vor allem das unermüdliche Lernen, die rechte Bewußtseinsbildung und die geistig­ethischen Bemühungen des Menschen. Nicht von ungefähr setzt das Lun-Yü mit den Worten ein: " Zu lernen und es dauerhaft auszuüben, ist das nicht angenehm?" Über­haupt dienen die "Liebe zum Lernen" hao hsüeh[t] und das "ausgedehnte Studium der Lehren" po hsüeh yü wen[2] als Leitmotive des Lun- Yü, durch die allein der Mensch die ethische "Selbstvervollkommnung" hsiu chi(3] zu erreichen vermag. Der ursprüngli­chen Gleichartigkeit der menschlichen Natur steht also eine Abstufung der geistig-ethi­schen Bemühungen und Ziele gegenüber. Die menschliche Natur ist keine selbständige Größe, die sich unter dem Einfluß bewußten menschlichen Handeins zu behaupten vermag. Sie istaprioriweder zum "Guten" hsing shan[4

] noch zum "Schlechten" hsing o[5] orientiert. Vielmehr scheint eine Naturvorstellung impliziert, die sich zu entwickeln vermag, die gestaltet werden kann und keinerlei Vorbestimmung unterliegt.

1 Lun-Yü, Yang Huo Buch 17, Kap. 2.

• Eine eingebende Untersuchung aller im Zusam.menban~ mit dem ~enschlichen t;laturbe~ stehenden philosophischen Termini - obgl~ich ~ot~en~g - konnte 1Dl Rahmen .die~r Arbett nicht vorgenommen werden. Schlüsselbegriffe Wie Jen,! un~ te .~~rden daher abstc~tb.cb so.all­gemein wie möglich übersetzt, um ihre ver~leichswet~ Vl~l~~lttgen De~tu;'lgs~og~ch~etten nicht zu versperren. Fürjen wird deshalb "Mitmenschlichkett benutzt, für t "!Uchttgketts~e­wußtsein" und für te moralische Wirksamkeit", ausgenommen Chuang Tzu-Zttate. Dort wrrd der einfache Begriff .:\Virksamkeit ' benutzt, weil Chuang Tzu 's te kein moralisches, sondern ein mystisches Moment verkörpert.

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Dementsprechend heißt es auch: , Tzu Kung äußerte, daß die Darstellungen des Mei­ster und ihre Beschreibungen erfahrbar sind. Äußerungen über die men chliche Natur und den Weg des Himmel vermag man nicht zu erfahren2

."

Mit den Darstellungen des Meisters sind hier die Lehransichten gemeint und mit ih­ren Beschreibungen das Shih-Ching, Shu-Ching und Li- Yüeh. Die Stelle selbst ist chwierig zu deuten und läßt mehrere Möglichkeiten zu. Schon vor der Zeit des Konfu­

ziu gab es die Auffassung daß ein bestimmter ,Weg" taodem Menschen durch den Himmel t'ien offenbart und auferlegt würde. Andererseit weist das Wort Natur hsing auf die Möglichkeit eine unbeeinflußten Wachstums im Leben hin, und es finden sich keine Au sagen bei Konfuzius, die dem widersprechen. Eher tärken Sätze wie "Aus ich elb t heraus Mitmenschlichkeit entfalten ' und "Dafür sorgen, daß sich der Geist

nicht von der Mitmen chlichkeit abkehrt '3 den Eindruck einer menschlichen Natur al einer ge taltbaren natürlichen nlage chih[6 ]. Wahr cheinlich deutet daher auch die obige Stelle auf eine gei tig ethi ehe Bemühung und Zielsetzung hin. Durch den in­tellektuellen Zu ammenhalt de Gei tes erreicht man nach oben den objektiven und tran zendenten , Weg des Himmels" t'ien-tao und gestaltet seine subjektive Natur. Die antithetische Po ition von t'ien-tao und menschlicher Natur hsing, die in der vorkonfu­ziani eben Zeit wirksam war, wird im Denkende Konfuzius durch intellektuelle Ent-chlos enheit und Bemühung überwunden. Diesen engen Zusammenhalt zwischen bei­

den Begriffen haben alle päteren Konfuzianer als unumstößlich anerkannt, wenn­gleich auch in ver chiedenartiger Weise dargelegt.

So sah Mencius die enge Beziehung zwischen t'ien-tao und menschlieber Natur hsing dadurch als unauflö lieh gegeben daß die Natur das Regulativ des vom Himmel ausge­lösten menschlichen Lebens war. Hsün Tzu hingegen betonte, auf Konfuzius gestützt, die Unerläßlichkeit der geistig-ethischen Bemühungen durch Riten und Musik li-yüeh und machte ie zur Grundlage für einen Wandel der menschlichen Natur. Kao Tzu und Chuang Tzu blieben bei dem Begriff einer natürlichen Natur" tzu-jan hsing[7] und führten von hier aus auf die Verbindung von "himmlischer Wirksamkeit 't'ien-te und men hlicher Natur zurück.

Menciu hatte seine Theorie von der guten Natur des Menschenhsing shan als Reak­tion auf die Angriffe anderer philosophischer Schulen gegen die Lehren des Konfuzius entwickelt. Ferner muß eine Natur-Theorie in der Auseinandersetzung mit den An­hängern de Mo Tzu gesehen werden. Konfuzius sah "Mitmenschlichkeit und Richtig­keit bewußt ein" jen i al von der Natur und vom Verhalten her erlaßbar an. Natur be­zeichnet etwa Innermenschlichesnei, während ich "Verhalten" auf etwas nach außen Siebtbare wai bezieht. E mußte ein objektiver Standard gefunden werden, auf dem ich die Verbindung des Verhaltens und des Richtigkeitsbewußtseins begründen ließ.

Die Moi ten ahen in dem Begriff Richtigkeit bewußtsein i ihr Zentralkonzept und be­tonen daß der letzte Maß tabhierfür der "göttliche Wille" t'ien-chih[&] sei. T'ien ist ein

L_un- Yü , Kung Ye Ch'ang, Buch 5, Kap. 12. Stehe: Schriftzeichen 5a.

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außermenschliches Moment, ein allanwesender Gott. Sein Wille liegt in der univer a­len Liebe" chien-ai[9

]. Menschliches Handeln, das mit dem göttlichen Will;n zur uni­versalen Liebe übereinstimmt, ist daher als richtigkeitsbewußt yi zu bezeichnen. Menschliches Handeln, das gegen den göttlichen Willen verstößt, ist unrecbtens. Der objektive göttliche Wille und der subjektive menschliche Wille sind also keineswegs von vornherein gleichzusetzen. Es bedarf eines äußeren Zwanges um Gehorsam ge­genüber dem göttlichen Willen zu bewirken. Dieser Zwang besteht in der Ang t de Menschen vor göttlicher Strafe und in der Hoffnung auf göttliche Belohnung. ,Göttli­che Strafe und Belohnung" t'ien chih shang-fa(1°] bilden laut Mo Tzu die Grundlagen des Richtigkeitsbewußtseins, das von außen i wai bestimmt wird. Eine gesonderte Be­wertung des menschlichen Naturbegriffs wird daher von Mo Tzu außer acht gelassen.

Eine gewisse Weiterentwicklung der Theorie des Mo Tzu läßt sieb in den Aus agen des Philosophen Kao Tzu feststellen. Für Kao Tzu ist das Richtigkeitsbewußtsein eben­falls von außen bestimmt. In der Auseinandersetzung mit Mencius entwickelt er jedoch eine enge Verbindung mit dem menschlichen Naturkonzept Andererseits führt Kao Tzus Naturbegriff in die Nähe der Taoisten.

Der Diskussion mit Mencius liegt Kao Tzus Vorsteilung zugrunde, daß die " Natur weder gut noch schlecht ist4" . Das heißt, entscheidend ist keineswegs, ob die Natur gut oder schlecht sei, ob sie wandelbar ist oder nicht, entscheidend ist, daß über gut und schlecht nicht a priori, sondern durch das individuelle menscbJiche Verhalten elbst ent­schieden wird. Daher führt Kao Tzu auch aus, daß "die Natur quirlendem Wasser glei­che, das in die Richtung fließt, die man ihm öffnet5' . Sie unterscheidet sich nicht nach gut und schlecht. Die Entscheidung hierüber ist jederzeit offen. Deshalb betont Kao Tzu auch die sogenannten "geistigen Bemühungen ' hsiu-yang kung-fu[11

] . Der Zu­sammenhang zwischen den Idealen des Guten und der Natur des Menschen i t nicht mehr als eine Potentialität. Von der Theorie her ist Kao Tzus Naturkonzept höher ein­zustufen als alle " Gute Natur"- und "Schlechte Natur ' -Thesen die den Naturbegriff von vornherein determinieren. Die menschliche Natur - durch individuelle Willens­und Bewußtseinsentscheidung beweglich- ist somit gleichsam die Verkörperung aller vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Handlungsweisen eines Menschen. Jede Art der menschlieben Lebensäußerung ist ein Ausdruck der menschlichen Natur. Es gibt kein Leben, das in diesem Sinne widernatürlich wäre. In Kao Tzus Worten: " Das

Leben stellt die Natur dar sheng chih wei hsing(12] ".

Eine Natur, die mit dem Leben identisch ist, richtet sich in erster Linie auf die Selb t­und Arterhaltung aus. Sie beinhaltet das Streben nach Nahrung und Sexualität shih se hsing[tJ]. In diesem Zusammenhang finden gut und schlecht als ethische Kategorien ihre Lehrberechtigung. Sie dienen als sinnvolle Bewertungsmaßstäbe für die Verhal­tensweisen eines existenten Einzellebens gegenüber anderen existenten Einzelleben. Beeinträchtigt ein Mensch bei der ~efriedigung seiner eigenen Lebensbedürfnisse das Leben anderer Menschen, so hat er die Grenze zun;1 "Schlechten' im konkreten Sinne überschritten. Jeder einzelne Mensch muß auf einen Ausgleich einer äußeren Bezie-

4 Meng Tzu, Buch Kao Tzu~ Teil 1, Kap. 6. 5 Meng Tzu, Buch Kao Tzu, Teil 1, Kap. 2.

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hungen bedacht sein. Sein eigenes Leben und das anderer zu achten, i t eine ethische Verpflichtung, Ricbtigkeitsbewußtsein i genannt. Nur im Bezug zum Leben anderer Men chen kann von Richtigkeitsbewußtsein und ethlscher Pflicht gesprochen werden. Richtigkeitsbewußtsein kann zwar innerlich erlaßt werden, ist aber nicht in der inneren Natur angelegt. Deshalb pricbt Kao Tzu davon, daß Richtigkeilsbewußtsein äußerlich i wai ei. Men chticbkeit hingegen ist innerlich jen nei , weil sie sich als Liebe manife­stiert. Liebe richtet ich zwar auf andere Menschen, wird aber im Ionern bestimmt und geht vom Selbst aus. Sie ist daher " innerlich' . Kao Tzus Schwäche liegt in der notwen­digen Voraussetzung, daß die Verpflichtung zur Achtung anderer Leben vom Ich aner­kannt werden muß. Diese Anerkennung der Verpflichtung führt jedoch wieder zurück zu Mencius' Vorstellung eines internen Richtigkeitsbewußtseins i nei.

GrundJage der Mencius-Theseist, daß der Mensch in sich selbst weiß, daß er die Ver­pflichtung zur Achtung eines anderen Lebens hat und daß er diese Verpflichtung aner­kennt. Das Selb t empfindet die Achtungswürdigkeit allen äußeren Seins aus sich elb t. Die e innere Anerkennung kann nur aus dem Geist de Menschenhsin erfolgen

und sich nicht aus einem natürlichen Leben begründen, das auf Selbst- und Arterhal­tung bedacht ist. Laut Mencius muß also der Geist hsin und nicht einfach das Leben sheng den Urgrund der menschlichen Natur hsing verkörpern.

Wenn Mencius davon spricht, daß der Geisthsin Ausdruck der guten Natur des Men-chen hsing shan sei o muß er sich auf einen moralisch qualifizierten Geist te-hsing­

hsin[14] beziehen der durch spontane Regungen seine Güte beweist. Dieser moralische Gei t unterscheidet sich also von den Instinkten oder den Reaktionen, die durch natür­liche Bedürfnisse timuliert werden und die Kao Tzus Naturbegriff umgrenzten. Men­cius ,geistigeN atur' hsin chih hsing ist "gut ', was in der spontanen Freude des Geistes an und in einer pontanenLiebe zu eben diesem Guten sichtbar wird. Geistig-ethische Bemühungen yang hsin[t 5

] dienen nur dazu, diese spontanen Geistesäußerungen äu­ßerlich zu entfalten. Das Vorbanden ein natürlicher Bedürfnisse und Begierden neben diesem ethisch qualifizierten Geist wird keineswegs verneint. Mencius sieht sich somit or da Problem gestellt, wie eben dieser " Geist der Mitmenschlichkeit und des Rich­

tigkeit bewußtseins Jen i chih hsin als der eigentliche Ausdruck der menschlichen Na­tur zu gelten hat und nicht die gleichfalls existenten natürlichen Begierdenshih se chih yü[16

]. Mencius gebt von folgender Grundlage aus: "Mitmenschlichkeit, Richtigkeits­bewußt ein, rechtes Verhalten und Weisheit werden dem Ich nicht von außen her ein­gegeben ondern wir be itzen ie unabdingbar. Darüber denkt man nicht nach. Des­halb heißt es: Wer sucht, der findet sie, und wer vernachlässigt, der verliert sie6. '

Mitmen chlichkeit, Richtigkeitsbewußtsein, rechtes Verhalten und Weisheit sind al o ursprüngliche Bestandteile des menschlichen Ichs und Zeugen seiner wahren Natur.

Daß der Mund nach angenehmem Ge cbmack, das Auge nach schönen Farben, das Ohr nach schönen Tönen die Na e nach Wohlgerüchen und di.e vier Gliedmaßen nach Ruhe und Bequemlichkeit trachten, i t natürlich. Aber es gibt eine Zuweisung für sie,

6 Meng Tzu Buch Kao Tzu, Teil 1, Kap. 6.

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und der Edle bezeichnet sie nicht als seine Natur. Mitmenschlichkeit zwischen Vater und Sohn, Richtigkeitsbewußtsein zwischen Herr eher und Untertan rechte Zeremo­niell zwischen Gast und Gastgeber, die Weisheit gegenüber den Begabten und der himmlische Weg für die Weisen haben ihre Zuweisung. In ihnen liegt die Natur. Der Edle bezeichnet sie nicht als auferlegt7. '

Da Begierden und Sinne des Menschen zwar auferlegt sind aber nicht eine wahre Natur ausmachen, kann der moralische Geist als Au druck die er Natur lenkend herr­schen. Mencius sieht daher die Verwurzelung von Mitmenschlichkeit, Richtigkeitsbe­wußtsein, rechtem Verhalten und Weisheit im menschlichen Gei t als men chliche Na­turhsing an. Mit derThe e, daß derGeist die Naturseihsin weihsing[t7 ], wird KaoTzu Aussage, daß das Leben die Natur ausmache, überwunden. Gleichzeitig wird Kao Tzus Theorie übernommen und zum Bestandteil einer umfassenden Neudar tellung ge­macht. Mencius führt die Vorstellung von einem , hohen Teil" und einem " niederen Teil" des Menschen ta-t'i hsiao-t'i (1 8] ein und gelangt zu folgenden Aussagen:

1. Der Men eh unterliegt natürlichen Bedürfnissen. Wenn er ich zur Selb t- und Arterhaltung zufriedenstellt, lehnt er sich nicht gegen seinen Geist der Mit­menschlichkeit jen-hsin auf, weil dieser Geist es nicht erträgt wenn jemand hun­gert oder friert, oder wenn ein Kleinkind in den Brunnen fällt, um dort eventuell zu sterben. Der Gei t der Mitmenschlichkeit sorgt sich auch um das Leben ande­rer. Er ist ein Geist, der es nicht erträgt daßMännerund Frauenverein amt ind, ein Geist, der auf die Erhaltung des natürlichen Leben bedacht ist. So beinhaltet der "hohe Teil' des Menschenta-t'i immer den "niederen Teil" hsiao-t'i, niemal jedoch ersetzt der niedere Teil den hohen. "Zum Geist gehört die Aufgabe des Denkens. Durch das Denken erlangt man es. Durch Nichtdenken erlangt man e nicht. Das ist, was der Himmel uns gegeben hat. Wenn man sich zuer t auf das Hohe ausrichtet, dann vermag das Niedere es nicht fortzuziehen. Das und nichts anderes macht den großen Menschen au 8

."

2. "Mencius sagte: Da , was der Mensch vermag, ohne es zu lernen, i t seine ur­sprüngliche Befähigung liang neng(1 9]. Das, was er weiß, ohne es verbedacht zu haben, ist sein ursprüngliches Wissen liang chih[20]. Kinder, die noch auf dem Arm getragen werden, wissen alle ihre Eltern zu lieben, und wenn sie aufgewach­sen sind, wissen sie alle, ihre älteren Brüder zu lieben. Die Liebe zu den Eltern be­deutet Mitmenschlichkeit, und die Achtung vor den Älteren bedeutet Richtig­keitsbewußtsein. Es gibt keine anderen Gründe, und ie erfassen die ganze

Welt9.'

Der Geist der Mitmenschlichkeit und des Richtigkeilsbewußtsein wurzelt also in der Liebe des Menschen zu Eltern und Geschwistern sowie in der Achtung vor den Älteren. Eine Entfaltung dieser spontanen Empfindungen i t zugleich die Entfaltung von Mit­menschlichkeit und Richtigkeitsbewußtsein. Daß Eltern Kinder zur Welt bringen, die wiederum Kinder zeugen, ist Ausdruck des natürlichen Lebens. Hierin unterscheidet

7 Meng Tzu, Buch Chin Hin, Teil 2, Kap. 24. Meng Tzu, Buch Kao Tzu, TeiJ 1, Kap. 15.

9 Meng Tzu Buch Chin H in, Teil 1, Kap. 15.

( 19)N.~ (20) N. ~

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sich der Mensch nicht vom ,,wilden Tier". Jedoch empfindet der Mensch nach seiner Geburt gegenüber den Eltern, Geschwi tern und Älteren Liebe und Achtung, die wei­ter auf die Ahnen ausgedehnt werden. So wird aus der einseitigen Ausrichtung des na­türlichen Leben eine zweite Dimension des Zurückblickens. Sie beinhaltet das Moral­bewußtsein des Menschen und macht seinen moralischen Geist aus.

3. Der Men eh vermag sein physisches Da ein unter Bewahrung der Prinzipien sei-

nes Moralbewußtseins zu erhalten. Wa die Natur de Edlen ausmacht, das sind Mitmenschlichkeit, Richtigkeitsbe­

wußt ein, rechte Verhalten und Weisheit. Sie wurzeln in seinem Geist. Ihr Wachsen und ihre Äußerungen sind mild harmonisch in seinem Gesiebt erkennbar, stärken sei­nen Rücken und dehnen sich auf die vier Gliedmaßen aus. Die vier Gliedmaßen begrei­fen ohne daß man es ihnen sagt10. ' ,Nimmt man seinem Geist voll wahr und begreift iboals eine Natur chin-hsin chih-hsing[21]", dann wird ich auch das physische Leben als Au druck der wahren Natur ge talten und beweisen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die phy ischeNaturnur ein Aspekt der wahren Natur. Wird dieser Zusammenhang nicht erkannt, dann kann der Mensch nicht seiner Natur gemäß leben. Er verliert die in­nere Au geglichenbeit und ist sich selbst entfremdet.

4. Der moralische Geist vermag das physi ehe Leben insofern zu übersteigen, als er den Verlauf die es Lebens frei bestimmt. In Normalzeiten kann der Mensch den Forderungen seines Geistes folgen ohne die physiseben Bedürfnisse mißachten zu mü sen.ln einer Sondersituation jedoch, in der die Forderung des Geistes nach Mitmenschlichkeit und Richtigkeit bewußtsein, die über das Ich hinausgehen, mit der physi chen Haltung des Ich nicht vereinbar sind, kann der Mensch eine Ent­scheidung für den Geist und gegen sein physisches Leben treffen.

"Wenn es für den Menschen nichts Begehrenswerteres gibt als das Leben, dann kann er ich da Leben tet erhalten. Weshalb nutzt er (die Möglichkeit) nicht aus? Wenn es für den Men eben nicht Verab cheuenswürdigeres gibt als den Tod, dann kann er Un­heil tets meiden. Warum tut er da nicht? So ergibt sich, daß man (die Möglichkeit) zum Leben hat und doch nichts nutzt, daß man Unheil meiden kann und es doch nicht tut. Da heißt also, daß es Begehrenswerteres gibt al das Leben und Verabscbeuens­würdigeres al den Tod11. "

Au den obigen Au sagen geht hervor, daß nicht das Leben als solches, sondern der moralische Gei t die letzte Entscheidungsinstanz des Menschen ist und daher auch seine wabre Natur verkörpert. Mencius verwendet Natur hsing und Geist hsin als ge­trennte Begriffe, die er dennoch gleichsetzt. Mit hsing bezeichnet er offensichtlich das "Wach turn des Geistes hsin chih sheng[22]", also direkt die Regungen von ,Mitleid, Scham, Einfühlungsvermögen und Empfinden für das Rechte und Falsche".

, Damit, daß alle Men chen einen ei t haben der da Leiden anderer nicht erträgt, i t gemeint, wenn jetzt Men eben plötzlich sehen, daß ein Kind dabei ist, in den Brunnen zu fallen, haben ie alle das Empfinden von Erschrockenheit und Mitleid. Es istnicht so,

10 Meng Tzu , Buch Chin Hsin Teil 1, Kap. 21. 11 Meng Tzu , Buch Kao Tzu Teil 1, Kap. 10.

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weil sie sich einen Ruf bei Nachbarn und Freunden machen möchten, und auch nicht, weil sie einen schlechten Leumund haßten. So gesehen, bedeutet es, nicht menschlich zu sein, wenn ein Geist voll Mitleid nicht vorhanden ist, und es bedeutet, nicht men eh­lieh zu sein, wenn ein Geist voll Scham und Abneigung (gegen das Schlechte) nicht vor­handen ist, und es bedeutet, nicht menschlich zu sein wenn ein Geist der Rücksicht­nahme und Bescheidenheit nicht vorhanden ist, und es bedeutet nicht menschlich zu sein, wenn ein Geist für (die Unterscheidung) des Richtigen und Falschen nicht vor­handen ist. Der Geist ·des Mitleids ist der Ursprung der Mitmenschlichkeit jen . Der Geist der Scham ist der Ursprung des Richtigkeitsbewußtseins i. Der Geist der Rück­sichtnahme und Bescheidenheit ist der Ursprung des rechten Verhaltens Li. Der Geist für (die Unterscheidung) des Richtigen und Falschen ist der Ursprung der Weisheit chin. Die Menschen haben diese vier An ätze, wie sie vier Gliedmaßen haben. Wenn sie diese vier Ansätze haben aber von sich selbst sagen, daß sie es nicht vermögen, so be­rauben sie sich selbst . . . Da alle Menschen diese vier Ansätze in sich selbst haben soll man sie erkennen lassen, wie man sie entfaltet und ausfüllt. Das wird dem Feuer glei­chen, das begonnen hat zu brennen der Quelle die begonnen hat, einen Auslaß zu fin­den. Wenn man sie ausfüllen kann, dann bewirkt das die Bewahrung aller innerhalb der Vier Meere. Wenn man sie nicht ausfüllt, dann reicht es nicht einmal für den Dien t an den Eltem12."

Die geistigen Empfindungen sind also spontane Äußerungen des innermenschlichen Guten mit einem ihnen eigenen Drang zur Ausdehnung. Dieses immanente Wach turn wird als die ,Natur des Geistes" hsin chih hsing verstanden. Die "men chliche Natur' ist also letzten Endes das Leben des Geistes selbst, de senorganisches Wachsturn sich vor allem in Ausdrücken wie Feuer, Quelle, Baum und Gras widerspiegelt.

"Und so ist es auch mit dem, was zum Menschen gehört. Wie sollte es da einen Geist ohne Mitmenschlichkeit und Richtigkeitsbewußtsein geben? Das, wodurch man seinen ursprünglichen Geist liang hsin[Z3] verliert, gleicht also dem, womit Äxte und Haumes­ser Bäume kahl schlagen. Wenn er Tag für Tag gefällt wird, wie kann er (Geist) da seine Schönheit behalten? . .. Wenn er seine Nahrung erhält, dann gibt es nichts das nicht wächst. Wenn er seine Nahrung vernachlässigt, dann gibt es nichts, was nicht verkürn-

mert13." Mencius ieht das elb tändige Wachsende Gei tes also al ein eigene Wollen, da

als " Natur de Gei te " hervorgehoben wird. Da der Geist der Teil des Menschen ist, der ihn letztlich als Menschen kennzeichnet, ist das Wachstum des Gei tes zugleich auch Ausdruck der menschlichen Natur. Diese Ausdeutung der Natur hsing als Wachs­tum des Geistes hsin chih sheng fällt auch mit der ethymologischen Erklärung des Schriftzeichens hsing zusammen. die später von den Sung- und Ming-Konfuzianern des öfteren angeführt wurde. Wenn also das Wachstum des Geistes und sein innewohn.en­der Drang zur Ausdehnung die menschliche Natur dar teilen. dann kann die Natur we­der als neutral noch als schlecht dargestellt werden, höchstens a1 noch nicht voll ent-

12 Meng Tzu , Buch Kung Sun Ch'iu, Teil 1, Kap. 6. 13 Meng Tzu, Buch Kao Tzu, Teil 1 Kap. 8.

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wickelt im Verhältnis zu den absoluten Idealen des Guten. Natur als Wach turn des Geistes bezeichnet einen Prozeß, durch den die einseitige Möglichkeit des Geistes zum Guten hin Wirklichkeit wird. Sie kann daher nur als gut oder, genauer, als die Entfal­tung des Guten verstanden werden. Daß das menschliche Handeln im Gegensatz zu seiner Natur gut oder chiecht sein kann, ist eine auf das Außen bezogene Aussage und kann sich nicht auf die Äußerungen des Geistes selbst beziehen.

Auf die ent cbeidende Frage, we halb der Menschtrotz seiner guten Natur schlecht zu handeln vermag oder weshalb ich die Ansätze des Geistes nicht bis zu den Idealen des Guten hin au dehnen, bleibt Menciu die Antwort schuldig. E ließe sich höchstens einwenden, daß das Wachstum des Geistes nicht unbedingt kontinuierlich zu sein braucht. Wenn der Geist nun nicht fortdauernd wächst, die physischen Bedürfnisse und Begierden hingegen ununterbrochen fortleben, dann kann der Mensch in eine Situation geraten nur die niederen Teile seiner Per onhsiao-t'i zu nähren und die hobenta-t'i zu übergehen. Auf die e Weise würde er ich elbst verletzen und aufgeben.

,Menciu sagt: In guten Jahren ind Kinder und jüngere Brüder größtenteils gut, während ie ich in chiechten Jahren größtenteils der Gewalt hingeben. Sie verhalten ich nicht so unter cbiedlich weil der Himmel ihnen solche Anlagen gegeben hat. Das

ist vielmehr o weil ie ihren Geist ertränken und sperren14."

Die Selb tentfremdung und Denaturierung des Menschen sind also letzten Endes die Ursache für die Existenz de Schlechten. Gerade diese Tatsache aber verstärkt die The e, daß der Gei t und seine Natur die Ursache und Quelle des Guten sind.

Al eine der ent chieden ten Reaktionen auf diese Theorie von der guten Natur des Men eben muß H ün Tzus Vor tellung von einer grundsätzlich minderwertigen men chlichen Natur verstanden werden, die nur durch bewußte menschliebe Leistung überwunden werden kann.

Da die Di ku sion um die "Gute-Natur' -These hsing-shan des Mencius und die "Schlechte-Natur' -Tbe e hsing o de H üo Tzu in der einschlägigen Fachliteratur be­reit au führlieh abgehandelt ist und im Rahmen dieser Studie nur ein begrenzter Raum zur Verfügung tebt, wird auf Hsün Tzu's Lehrwerk nicht näher eingegangen.

Im Gegensatz zu Menciu und auch zu Hsün Tzu sowie zu dem anderen großen Vor-Ch'in-Taoi ten Chuang Tzu tritt der Begriff der menschlieben Natur hsing in den Lehren Lao Tzu's nicht auf. Zwar finden sich auch bei ihm einzelne Gedanken, die in einem gewis en Zu ammenbang mit der menschlichen Natur stehen, aber in erster Li­nie i t Lao Tzu' Lehre om Tao objektiver Art und enthält kaum subjektive Elemente. Da aber der Naturbegriff zum Subjekt de Menschen gehört, findet er ebenso wenig eine Beachtung wie im Werk Mo Tzus, dessen Zentralkonzepte "göttlicher Wille rien chih" und univer aleLiebe chien ai' objektive Prinzipien bilden. Das Subjekt Men eh handelt nach die en Prinzipien, verkörpert sie aber nicht als seine Natur.

In den Au agen Cbuang Tzu s tritt da Bewußtsein des Subjektiven deutlich und ausgeprägt hervor. Im äußeren Buch Wai P'ien 'und im, gemischten Buch Tsa P ien finden ich vielfältige Au agen zum Naturbegriff hsing, aus denen sich eine geschlos­ene Theorie der men chlichen Natur er tellen läßt

lm Urbeginn herrschte das Nichtsein. Es gab kein Sein und keinen Namen. Daraus ent tand das Eine. E gab da Eine aber es hatte keine Gestalt. Die Dinge erlangten es

14 Meng T u Buch Kao Tzu Teil 1, Kap. 7.

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und lebten dadurch, und man nannte es Wirk amkeit te. Bevor sie Gestalt annahmen hatten sie (Dinge) ihre Zuteilung. Dabei war~n sie doch nicht voneinander getrennt und man nannte es Bestimmungming[24). Aus dem Fluß der Bewegungen zeugten ich die Dinge. Als die Dinge sich vollendeten, schufen sie sich ihre (eigenen) Grundprinzi­pien. Man nennt sie die Gestalten. Die Gestalten und Körper bewahren in sich ihren Geist. Jeder hat seine eigenen, festgelegten Verhaltensweisen, das nennt man seine Na­tur. Wird die Natur gepflegt, wendet man sich zur Wirksamkeit zurück, und die Wirk­samkeit in ihrem Höchsten ist gleich mit dem Beginn. Ist man gleich (mit dem Beginn) dann ist man leer. Wenn man leer ist ist man groß. Man mag sich dem Schnattern und Schnarren anschließen, und wenn man sich dem Schnattern und Schnarren ange chlos­sen hat, mag man mit Himmel und Erde eine Gemeinsamkeit bilden. Dieses Gemein­samsein ist konfus und, als ob man dumm und umnachtet wäre. Das nennt man die my­stische Wirksamkeit hsüan te[25], und man wird eins mit dem großen Einklang15. "

"Der Weise durchdringt Verwirrung und Verstrickung und erstreckt sich vollkom­men in einem Körper (Kosmos), aber er weiß nicht, warum das so i t. Es ist seine Natur. Er wendet sich zu seiner Bestimmung zurück und handelt nach deren Bewegungen und nimmt den Himmel (Natur) zu seinem Lehrer ... Der Weise liebt die Menschen, und die Menschen geben ihm eine Kennzeichnung, und wenn man es ihm nicht sagt dann weiß er es nicht, daß er die Menschen liebt. Ob er es weiß oder nicht weiß ob er davon hört oder nicht hört, seine Liebe zu den Menschen ist endlos und daß die Menschen darin Sicherheit finden, ist ebenfalls endlos. Es ist (Ausdruck der) Natur16

."

"Man möge die Irrungen des Willens reinigen l.lnd die Verfehlungen des Herzen lö­sen, die Behinderungen für die Wirksamkeit entfernen und die Sperren für den Wegtao durchstoßen. Reichtum und Ehren, Anerkennung und Autorität, Ruf und Gewinn diese sechs sind die Irrungen des Willens. Äußeres Aussehen und Bewegen, Wille und Eigenschaften, Wesen und Haltung, diese sechs sind die Verfehlungen des Herzens. Haß und Begierde, Freude und Ärger, Trauer und Glück, diese echs ind die Behinde­rungen der Wirksamkeit. Verwerfen und Anerkennen, Nehmen und Geben, Wissen und Fähigkeit, diese sechs sind die Sperren des Weges tao. Wenn diese vier Sechser nicht mehr in der Brust herumströmen, dann ist man aufgerichtet. Wenn man aufge­richtet ist, dann ist man ruhig. Wenn man ruhig ist, dann ist man erleuchtet. Wenn man erleuchtet ist, dann ist man leer. Wenn man leer ist, dann handelt man nicht (wider­natürlich), dennoch gibt es nichts anderes, das nicht getan ist. Der Weg ist der Gebieter der Wirksamkeit. Das Leben ist der Glanz der Wirksamkeit. Die Natur hsing i t die Substanz des Lebens. Die Bewegungen der Natur nennt man Handeln wei. Vom Men­schen ausgehendes Handeln nennt man Aufgeben der Natur. Mit Wissen erfaßt man und mit Wissen plant man, aber das Begreifen dessen, was man nicht wissen kann, gleicht dem unbewußten Wahrnehmen eines Kindes. Handeln aufgrund dessen, daß es keine andere Möglichkeit gibt, wird Wirksamkeit genannt. Handeln, worin es ni~ht an­deres als das Selbst gibt, wird rechte Ordnung chih [26) genannt. Dem Wort nach md das Gegensätze, in Wirklichkeit aber steht das miteinander im Einklang

17·"

15 Chuang Tzu , Wai P'ien, Buch 12 T'ien Ti. 16 Chuang Tzu , Tsa P'ien, Buch 25 Tzu Yaog. 17 Chuang Tzu, Tsa P'ieo, Buch 23, Keng Sang Cb'u.

(24) ~ ( 25) ~r!\ (26) ~

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,Konfuziu blickte auf Lü-liang, wo das Was er 30 Klafter tief hinunterstürzt und vierzig Li weit brodelt und strudelt, so daß kein Fi eh und keine Wassertiere darin chwimmen können. Er sah einen Mann, der hineinschwamm, und er glaubte, daß jener

voll Leid wäre und terben wolle. Er ließ seine Schüler am Strom Aufstellung nehmen, um ihn herau zuziehen. Aber nach einigen 100 Schritt stieg jener heraus und wanderte am Ufer entlang mit hängendem Haar und ein Lied singend. Konfuzius ging hinter ihm her und fragte ihn : Ich hielt dich für einen Geist, aber bei Ansehen bist du ein Mensch. Darf ich dich fragen, ob du eine besondere Methode ha t, um im Wasser zu bleiben? Je­ner antwortete: Ich habe keine (be andere) Methode. Ich begann mit dem Gewohnten und wuchs heran gemäß meiner Natur hsing und las e sie meiner Bestimmung gemäß vollenden. Ich gehe mit den Strudeln unter und komme mit den Wirbeln wieder herauf. Ich folge dem Lauf de Wassers und handle nicht für mich selbst ... Ich wuchs heran mit dem Wa er und war sicher im Wa ser. Das ist meine Natur. Ich weiß nicht, weshalb ich e so tue, da ist meine Be timmung18• '

, Diejenigen im Altertum, die den Weg beherrschten chih tao[27] nährten ihr Wissen durch Ruhe. Das Wissen lebte in ihnen, und sie taten nichts dafür. Man nennt das: durch Wi en dje Ruhe nähren. Wi sen und Ruhe nährten ich so nacheinander gegenseitig, und Harmonie wie innere Ordnung gingen aus ihrer Natur hervor. Wirksamkeit ist Harmonie ho, und der Weg i t innere Ordnung Ii. Wenn die Wirksamkeit alles erfaßt, dann ergibt ich Mitmen chlichkeitjen. Wenn der Wegtao überall geordnet ist, dann ergibt ich Richtigkeilsbewußtsein i. Wenn Richtigkeilsbewußtsein verstanden wird und die Dinge mü ihm vertraut ind, dann ergibt ich Wesenstreue chung[28] • .• Wenn Riten und Mu ik allseitig ausgeübt werden, dann ent teht Chaos in der Welt. Dadurch, daß man andere ausrichtet, wird die eigene Wirksamkeit verdeckt, und die Wirksam­keit dehnt ich nicht mehr au . Wenn sie sich (dennoch) ausdehnt, dann verliert sie un­weigerlich ihre Natur hsing . .. Die Wirk amkeit sank weiter und verringerte sich. Dann traten Yao und Shun vor, um die Welt zu regieren. Sie hoben an, sie zu ordnen und umzuge talten, und o be ehrnutzten sie das Reine und zersplitterten das Einfache. Sie zertrennten den Wegtao um des Gutenwillen und gefährdeten die Wirksamkeit um de Verhaltens willen. Dann verwarf man seine Natur, überließ sich seinem Geist.

Gei t strebte mit Geist nach Wissen. Es gab Wissen, aber es hatte keine Möglichkeit, die Welt zu festigen. Dann ergänzte man es durch Kultur und erhöhte es durch Gelehrt­heit. Kultur löschte die Substanz aus, und die Gelehrtheit ertränkte den Geist. Dann begann das Volk, verirrt und ordnung los zu werden. Sie fanden keinen Weg, um zu ih­rer atur und zu ihrem echten Zustand zurückzukehren und um sich zum Beginn zu­rückzuwenden. Von hier her gesehen, hat die Welt den Weg verloren, und der Weg hat die Welt verloren. Weg und Welt haben einander verlorent9."

Seit der Zeit der drei Dynastien hat jedermann auf der Welt wegen (äußerer) Dinge eine Natur verändert. Der gemeine Men eh setzt sein Leben ein für den Gewinn. Der

Krieger setzt sein Leben ein für den Ruhm. Der Würdenträger setzt sein Leben ein für die Familie. Der Weise etzt ein Leben ein für die Welt. So sind die Unternehmen die-

18 Chuang Tzu, Wai P ien, Buch 19, Ta Sheng. 19 Chuang Tzu Wai P'ien Buch 16, Shan Hsing.

( 27 ) ~ ~ ( 28) ~'

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ser einzelnen Männer alle verschieden, und was Ruhm und Ruf angebt so sind ie un­terschiedlich gekennzeichnet. Aber in der Schädigung ihrer Natur durch Ein atz ihre Lebens für irgend etwas sind sie eins ... Was ich als sachkundig bezeichne, sagt nichts aus über Mitmenschlichkeit und Ricbtigkeitsbewußtsein. Es bedeutet, ich dem wahren Zustand seiner Natur und seiner Bestimmung zu überlassen und rricbts anderes. Wenn ich von gutem Hören spreche, so meine ich nicht, anderen zuzuhören, sondern auf ich selbst zu horchen. Wenn ich von gutem Sehen spreche, so meineich nicht, auf andere zu sehen, sondern nur auf sich selbst zu blicken. Wer nicht auf ich elbst bückt, sondern auf andere siebt, wer nicht in sich selbst Halt erlangt, sondern in anderen Halt erlangt, der erlangt, was andere erlangt haben, und erlangt nicht das, was er selbst erhalten bat. Er gibt sich dem hin, was anderen angeme sen ist, aber er gibt sieb nicht dem hin, was ihm selbst angemessen ist2o. '

Cbuang Tzu's Aus age, wonach ,Gestalten und Körper in ich ihren Geist bewahren und wonach jeder seine eigenen Verhaltensweisen hätte, die man al ihre Natur' be­zeichnen müsse, scheint, in sich gesehen, nahe der Mencius-These von der guten Natur des Menschen zu sein. Jedoch zeigt Chuang Tzu' Ansicht wonach das" Verwerfen der Natur und das sich dem Geist überlassen" als Ursache für den Verfall der Wirksamkeit te zu gelten habe, deutlieb auf, daß seine Natur-Theorie mit Mencius' Geist = Natur nicht viel gemein hat. So deutet Chuang Tzu's Definition des Natur-Begriffs ,Natur i t die Substanz des Lebenshsing ehe sheng chih chih yeh[29]" eher auf eine gewisse Affini­tät zu Kao Tzu's "Leben nennt man Natur" hin. Nur kennt Kao Tzu wiederum nicht das mystische Element das allen Vorstellungen Chuang Tzu s anhaftet. So vermochte er auch nicht, Chuang Tzu' Denkansatz zu vollziehen wonach es einen Unter chied zwi­schen dem Erhalten des Körpers yang hsing und dem Nähren des Lebens yang sheng gibt. Chuang Tzu geht mit dieser Unterscheidung über die Welt des Physischen hinaus und verbindet sie mit einer metaphysischen Ebene. Seine Naturtheorie muß daher als eine eigenständige Lehre angesehen werden, die zwischen Mencius und Kao Tzu ange-

iedelt ist. Cbuang Tzu erkennt die Existenz einer physischen Natur an, die allerdings in ihrer

Selbstausrichtung nicht auf Kao Tzu's Sinnesnatur verweist · denn nur "wer auf ich selbst horcht und blickt der kann sich seiner Natur zuwenden, um sich dem hinzugeben was ihm selbst angemessen ist". Es handelt sich also nicht um Kao Tzu s natürliche Sin­nesäußerungen. Zwar wird auch im Wai P'ien des öfteren von "natürlich' tzu-jan ge­sprochen, und die Taoisten der Wei-Chin-Zeit (221-419 n. Chr.) legten diesen Begriff sogar als Mittelpunkt der Chuang Tzu-Lehre aus, aber selb t der Begriff des Natürli­chen und Spontanen ,tzu-jan' verfügt über eine mystisch-metaphysische Komponente die nicht bloßer Ausdruck von Sinnesregungen sein kann. Letztere beinhalten nach Chuang Tzu's Ansicht vielmehr ein widernatürliches Moment. Diese Widernatürliche rührt von der Existenz des Begriffes ,geistiges Wissen hsin-chih[30

]" her, das im Ge­gensatz zur Natur steht. Das geistige Wissen ist die Ur ache eines abträglichen ,Zweck­und Raubdenkens chi-hsin, tsei-hsin(31)", dem man durch Reinigung, Läuterung und

Loslösung des Geists begegnen muß.

2° Chuang Tzu, Wai P ien, Buch 8, P'in Mu.

(30) •L' 1dl 63

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Chuang Tzu' gei tige Wissen als Zweckdenken steht al o im Gegensatz zu Mencius' gei tigern Wi en als pontanem Ver tehen eines moralischen Geistes. Nach Chuang­Tzu mißbraucht der Mensch das Zweckdenken zur Erfüllung seiner Sinnswünsche und verur acht somit jene widernatürliche Element, das den Verlust des wahren Zustandes der Natur bedingt. Infolgedessen verliert sich die Wirk amkeit des Weges tao, und der Men eh ist einer endlosen Kette von Leid und Unzufriedenheilen unterworfen. Chuang Tzu kennt demnach den Unter chied zwi eben pontanen, natürlichen Bedürfnissen und unendlichen durch ein Zweckdenken stimulierten widernatürlichen Begierden und Wunschvorstellungen. Zu die er letzteren Kategorie sind auch alle Morallehren und ethischen Konzeptionen zu zählen, da ie dem Men eben vorgeformte Verhaltens­wei en auferlegen und nicht in der Lage ind, die originären und spontanen Reaktionen der menschlichen Natur zuzulas en.

Unterdie em Ge icht punktwird ver tändlich, daß ChuangTzu die AufgabederNa­tur und da Unterwerfen unter den Geist ch'ü hsing ts'ung yü hsin[32] als Ursache für den Verfall der Wirk arnkeit de tao an ieht. Verlust der Natur bedeutet nichts anderes als daß da Zweckdenken seine Grenzen überschritten hat und den Menschen zu wi­dernatürlichen Handlungen verleitet. Widernatürliche Handlungen sind alle jene Handlungen die nicht spontane Reaktion sondern bedachte Aktion darstellen, gleich, ob e ich dabei um ein Streben nach Ruhm oder Gewinn handelt oder ob man Moral und menschliebe Ordnung zu erlangen hofft.

,Die es Gemein amsein i t konfu , a1 ob man dumm und umnachtet wäre. Das nennt man die my ti ehe Wirk amkelt und man wird eins mit dem großen Einklang. '

"Wenn ich von gutem Sehen spreche, o meine ich nicht auf andere zu sehen, son­dern nur auf sich selbst zu blicken."

Der Schwerpunkt der zweiten Zitat teile dürfte auf dem Begriff "andere pi" liegen. Der Men eh kann nicht umhin, zu hören und zu eben. Wenn aber das Gehörte oder Ge eh nein ent prechendem Rahmen tehen, dann ind ie Teil des Selbst und nicht des anderen. Er t wenn der Men eh darüber nachzudenken beginnt und sich danach au zurichten beginnt, tehen da Gehörte oder Ge ebene außerhalb seiner selb t chien pi, wen pi(33] und ind Teil des anderen. Zweckgerichtetes vorbedachtesHandeln führt zu Widersprüchen mit der eigenen Natur, zur Selbstentfremdung und Versklavung des Men eben durch ich selbst. Deshalb fordert Chuang Tzu auch: "Man möge die Irrun­gende Willen reinigen und die Verfehlungen des Geistes löschen und die Behinde­rung für die Wirk amkeit entfernen und die Sperren für den Weg durchstoßen."

Die Hinwendung zum wahren Zu tand der Natur und der Bestimmungfu ch'i hsing ming chih ch'ing[34

] i t also nichts anderes al die Auslöschung des nach außen gerichte­ten Denken und die Freisetzung eine natürlichen, spontanen Wissens, das das Sein in einem ruhigen Gleichgewicht hält.

, Diejenigen im Altertum, die den Weg beherrschen, nährten ihr Wissen durch Ruhe. Da Wi sen lebte in ihnen und ie taten nichts dafür. Man nennt das: durch Wissen die Ruhe nähren. Wi en und Ruhe nährten ich so gegenseitig, und Harmonie wie innere Ordnung gingen aus ihrer Natur hervor."

Da Element, das Chuang Tzu a1 Be timmung ming bezeichnet, entsteht aus den fortwährenden Reaktionen des Men eben auf äußere Stimuli. Sie führen zu Empfin-

(33) j! ~ , 00 ~ 64

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dungen und Gefühlen. Die bestimmte, unverkennbare Art, in der ein einzelner Men eh reagiert, empfindet und fühlt, ist eben seine Bestimmung ming. Daß der Mensch über­haupt zu reagieren vermag und Empfindungen hat, i t Ausdruck seiner Natur hsing. Bestimmung ming und Natur hsing gemeinsam legen die Selbstverwirklichung und Selbstanpassung tzu te, tzu shih[35] im Leben eines Menschen fest. Solange men chli­ches Zweckdenken nicht von diesem Wege der Selbstverwirklichung und der Selbstan­passung hinwegführt, ruht der Mensch in einer eigenen Natur und Bestimmung. Von dieser Erklärung her wird verständlich, wenn Chuang Tzu von der unbewußten endlo­sen und ruhigen Liebe eines Weisen zu den Menschen spricht. Die er Zustand verkör­pert die Natur, die unbewußte und pontane Existenz, die keiner gedanklichen Analyse bedarf. Werden diese Eigenschaften und Haltungen in Bereich des Gewollten und Zweckbewußten versetzt stören sie das ruhige Gleichgewicht der Natur und verhin­dern deren spontane Reaktion.

,Dadurch, daß man andere au richtet wird die eigene Wirksamkeit verdeckt, und die Wirksamkeit dehnt sich nicht mehr aus. Wenn sie sich (dennoch) ausdehnt, dann verliert ie unweigerlich ihre Natur hsing. '

Zweckdenken und gewolltes Handeln verletzen nicht nur die eigene Natur, deren unbehinderter Ausdruck die Wirksamkeit te ist, sondern führen auch durch künstliche, widernatürliche Bemühungen um die verlorene Wirksamkeit zur Beeinträchtigung des Naturzustandes anderer. Verlust des eigenen natürlichen Gleichgewichts und Beein­trächtigung des natürlichen Gleichgewichts der Umwelt bilden einen integrierten

Prozeß. , Die Gestalten und Körper bewahren sich ihren Geist. Jeder hat seine eigenen fe t-

gelegten Verhaltenswei en, und das nennt man seine Natur." Die bestimmte unverkennbare Reaktion eines Menschen in einer bestimmten Situa­

tion unbeeinfluBt durch das Äußere, ist die Grundeigenschaft eines Lebens, ist eine Natur hsing. So versteht sich auch Chuang Tzus Aussage, daß "die Natur die .sub t~nz des Leben ist" . Das Leben wiederum ist nichts anderes als die konkrete Marufe tat10n der Natur. Der Begriff Sub tanz chih läßt sieb also nicht ohne weiteres al . Char~er oder Veranlagung im herkömmlichen Sinne deuten, da er ohne seinen mystlschen Hin-

tergrund nicht interpretiert werden kann.

( 35) § ~ , § J11 65