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MICHAEL IMHOF VERLAG DER CODEX DES ANTONIO DA F AENZA Timo Strauch BAND 1: Text Die Traktatsammlung eines Künstlers im frühen 16. Jahrhundert

DER CODEX DES ANTONIO DA FAENZA - Michael Imhof Verlag · Timo Strauch: Der Codex des Antonio da Faenza. Die Traktatsammlung eines Künstlers im frühen 16. Jahrhundert Zugl.: Dissertation,

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MICHAEL IMHOF VERLAG

DER CODEX DES ANTONIO DA FAENZA

Timo Strauch

BAND 1: Text

Die Traktatsammlung eines Künstlers im frühen 16. Jahrhundert

INHALTSVERZEICHNIS

Abbildungen auf dem Einband: Einband des Codex sowie Details aus fol. 81 r, 107 v, 28 v und 71 v (Privatbesitz; Aufnahmen: Antonia Weiße und Timo Strauch; Archiv des Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance, Humboldt-Universität zu Berlin) © 2019 Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG Stettiner Straße 25 | D-36100 Petersberg Tel. 0661/2919166-0 | Fax 0661/2919166-9 [email protected] | www.imhof-verlag.com Alle Rechte vorbehalten Gestaltung und Reproduktion: Margarita Licht, Michael Imhof Verlag Druck: Druckerei Rindt GmbH & Co. KG, Fulda Printed in the European Union (EU) ISBN 978-3-7319-0440-3

BAND 1 – TEXT Dank 9 Einleitung 10 Gegenstand, Fragestellungen und Vorgehensweise 10 Forschungsstand 11 Teil I ANTONIO DA FAENZA – LEBEN UND WERK 15 I.1. Zur Quellenlage 16 I.2. Die Biographie anhand der Quellen 18 I.2.1. Antonios Herkunft und erste Lebenshälfte (1456/57–1494) 18 I.2.2. Antonios Arbeiten in Velletri (1507–1513) 20 I.2.3. Ancona, Loreto und Umgebung (1513–1514) 21 I.2.4. Die Jahre in Montelupone – Pater Giovanni Antonio da Camerino (1516–1525) 23 I.2.5. Zwischen Sanseverino Marche, Faenza, Recanati, Norcia und Macerata (1526–1533) 29 I.2.6. Die letzten Jahre in Faenza (1533–1535) 32 I.2.7. Nach Antonios Tod 33 I.3. Antonio als Maler 35 I.3.1. Die Chronologie der bekannten Arbeiten Antonios 35 I.3.2. Stilanalyse 36 a) Bildaufbau und Komposition 36 b) Figuren 36 c) Physiognomien 37 d) Bildhintergründe, Beiwerk und Details 38 e) Farben 39 I.3.3. Einflüsse, Reflexe und Spuren zeitgenössischer Kunst in Antonios Werk 39 I.3.4. Die verlorenen Arbeiten Antonios 46 I.3.5. Antonios Rahmen – gemalte Anteile 46 I.3.6. Fazit 47 I.4. Antonio als Architekt 50 I.4.1. Das Teatro della Passione in Velletri 50 I.4.2. Der Campanile-Entwurf für die Kathedrale von Faenza 57 I.4.3. Antonios gemalte und gezeichnete Architekturen 63 I.4.4. Fazit 64 I.5. Antonios Bibliothek 65 Teil II DER CODEX DES ANTONIO DA FAENZA 69 II.1. Provenienz, Zustand, Inhalt, Zuschreibung und Datierung des Codex 70 II.1.1. Provenienz 70 II.1.2. Der Einband 71 II.1.3. Die Einbandinnenseiten 74 II.1.4. Die Vorsatzblätter 75 II.1.5. Der Buchblock – Papier und Bindung 75 II.1.6. Der Inhalt 77 II.1.7. Zuschreibung 78 II.1.8. Datierung 81

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Timo Strauch: Der Codex des Antonio da Faenza. Die Traktatsammlung eines Künstlers im frühen 16. Jahrhundert Zugl.: Dissertation, Humboldt-Universität zu Berlin, Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät, 2014

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

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INHALT

II.8.7. Weitere Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu zeitgenössischen Perspektivtraktaten 161 II.8.8. Praktische Hilfsmittel des Malers 165 II.8.9. Die kunsttheoretischen Aussagen 167 II.8.10. Fazit 167 II.9. Rezeptsammlung 169 II.9.1. Gestaltung 169 II.9.2. Struktur und Inhalt 169 II.9.3. Antonios Sammlung im Kontext zeitgenössischer ricettari 171 II.9.4. Fazit 173 II.10. Der Codex – Antonios persönliche summa, Werkstattbuch oder Publikationsvorlage? 175 Schluss 179 Anmerkungen 181 ANHÄNGE 203 1. Dokumente mit Erwähnung von Antonios Namen 204 2. Antonios Bücher 222 3. Katalog der erhaltenen und verlorenen Gemälde 225 4. Lagendiagramme des Codex 262 5. Konkordanz zur Portolankarte 266 6. Konkordanz zu Luca Paciolis Polyeder-Darstellungen 276 7. Konkordanz zum Rotunda-Alphabet 279 8. Konkordanz zum Antiqua-Alphabet 284 9. Konkordanz zu John Pechams „Perspectiva communis“ 288 10. Stammbaum der Familie Riario-Sansoni-Della Rovere 290 VERZEICHNISSE 291 Abkürzungsverzeichnis 292 Verzeichnis ungedruckter Quellen 293 Verzeichnis gedruckter Quellen und der Sekundärliteratur 294 Verzeichnis abgekürzt zitierter Codices und Zeichnungsbücher 312 Index der Personennamen 313 Index der Orts- und Monumentnamen 318 Index der Codices und Zeichnungsbücher 323 Abbildungsnachweis 325 BAND 2 – EDITION, KOMMENTAR DER ARCHITEKTURZEICHNUNGEN UND FAKSIMILE Allgemeine Vorbemerkung zur Edition 335 Arithmetik 338Geometrie 350Architektur 365Optik 572Perspektive 610Rezeptsammlung 633 FAKSIMILE 664

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INHALT

II.2. Portolankarte 83 II.2.1. Beschreibung 83 II.2.2. Original oder Kopie? 87 II.2.3. Das Verhältnis der Portolankarte zum Codex 87 II.2.4. Eingrenzung der Vorlage 88 II.2.5. Fazit 91 II.3. Arithmetik 94 II.3.1. Gestaltung 94 II.3.2. Struktur und Inhalt 94 II.3.3. Antonios Vorlagen 95 II.3.4. Fazit 96 II.4. Geometrie 97 II.4.1. Gestaltung 97 II.4.2. Struktur und Inhalt 97 II.4.3. Antonios Umgang mit seinen Vorlagen 99 II.4.4. Antonios Illustrationen 101 II.4.5. Fazit 106 II.5. Architektur 107 II.5.1. Gestaltung 107 II.5.2. Inhalt und Struktur 108 II.5.3. Antonios Verständnis vom Beruf des Architekten 112 II.5.4. Antonio und Vitruv 113 II.5.5. Antonios Terminologie 118 II.5.6. Antonio und die Säulenordnungen 119 II.5.7. Antonio und die Antike 124 II.5.8. Antonio und die zeitgenössische Architektur 125 II.5.9. Antonios Zeichnungen 127 II.5.10. Antonio und zeitgenössische Architekturzeichnungen 130 II.5.11. Antonios Proportionsangaben 132 II.5.12. Fazit – Antonios Architekturtheorie im Kontext seiner Zeit 134 II.6. Buchstabenkonstruktion 137 II.6.1. Gestaltung 137 II.6.2. Antonios Rotunda-Alphabet im Vergleich 137 II.6.3. Antonios Antiqua-Alphabet im Vergleich 141 II.6.4. Antonios Alphabete im Kontext der geometrisch konstruierten Schriften der Renaissance 142 II.6.5. Fazit 144 II.7. Optik 145 II.7.1. Gestaltung 145 II.7.2. Inhalt und mögliche Vorlage 145 II.7.3. Zur Übersetzung 147 II.7.4. Die Zeichnungen 148 II.7.5. Der Optiktraktat im Kontext des Codex und zeitgenössischer Künstlerschriften 150 II.7.6. Fazit 151 II.8. Perspektive 152 II.8.1. Gestaltung 152 II.8.2. Inhalt und Struktur 152 II.8.3. Das Problem der Autorschaft 155 II.8.4. Der Kontext: weitere Perspektivtraktate der Renaissance 157 II.8.5. Antonios Terminologie 158 II.8.6. Antonios Version der Schnittpunkt-Methode 159

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I.2. DIE BIOGRAPHIE ANHAND DER QUELLEN

Doch in dem schwer lesbaren Dokument finden sich keine Hinweise darauf, dass jener „Maestro Antonio“ aus Faenza stammte, dass er Maler war oder dass er für die Abtei ein Bild angefertigt habe,159 weshalb ein Zu-sammenhang mit der Verkündigung in Lanciano zwei-felhaft ist.

In dem Zeitraum von 1516 bis 1526 ist Antonio also mit hoher Wahrscheinlichkeit in Montelupone ansässig und betreibt unter der Anleitung von Giovanni Antonio da Camerino vielseitige theoretische Studien, deren Er-gebnisse er schon um 1520 in seinem Codex festhält. Da sich im darin enthaltenen Architekturtraktat mehrere Bau-werke des zweiten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts in Rom wiederfinden, ist anzunehmen, dass Antonio in dieser Phase auch eine oder mehrere Reisen dorthin unternom-men hat. Gleichzeitig nimmt er aber auch in der näheren Umgebung von Montelupone sowie im weiter entfernten Norcia Aufträge für Altargemälde an. Die acht erhaltenen

Gemälde aus dieser Zeit bilden den größten Teil seines heute bekannten Œuvres. I.2.5. Zwischen Sanseverino Marche, Faenza, Recanati, Norcia und Macerata (1526–1533) Nach dem Aufenthalt in Montelupone, dessen Ende sich nicht eindeutig bestimmen lässt, beginnt für Antonio eine Phase seines Lebens, die nach Lage der erhaltenen Do-kumente von häufigen Ortswechseln und teilweise erfolg-los verlaufenden Aktivitäten gekennzeichnet ist.

Nachdem ihn das bereits erwähnte Grundstücksge-schäft vom 12. April 1526 ein erstes Mal in Sanseverino Marche zeigt,160 ist er im selben Jahr auch in seiner Hei-matstadt präsent. Am 13. Juni 1526 beschließt der Stadtrat von Faenza, einen neuen Campanile für die Kathedrale S. Pietro nach einem Entwurf von Antonio zu errich-

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TEIL I ANTONIO DA FAENZA – LEBEN UND WERK

Predella enthalten die Verkündigung an Maria sowie vier Heiligenfiguren (Abb. 8).

Neben den fünf bisher genannten dokumentierten bzw. datierten Gemälden sind während der rund zehn Jahre, in denen sich Antonio wohl in Montelupone niedergelassen hatte, noch drei weitere Arbeiten entstanden, zu denen je-doch keine Dokumente oder gesicherten Daten vorliegen. Zwei davon befinden sich in Treia bzw. Cingoli, wo Antonio somit jeweils zwei Werke hinterlassen hat. In S. Michele in Treia schmückt eine Tafel mit der Darstellung der mystischen Vermählung der hl. Katherina die Stirnwand der Chorkapelle (Abb. 9). Die Zuschreibung an Antonio da Faenza erfolgte 1981 durch Rodolfo Battistini.154 In der Sakristei von S. Esu-peranzio in Cingoli wird eine Tafel mit der Verlobung Ma-riens aufbewahrt (Abb. 10). Auch die Zuschreibung dieses Gemäldes an Antonio stammt von Battistini.155

Im Castello di Lanciano bei Castelraimondo schließ-lich wird heute als Teil der Sammlung der ehemals dort

ansässigen Familie Bandini-Giustiniani eine Tafel mit der Verkündigung an Maria aufbewahrt, die 1999 von Matteo Ceriana Antonio da Faenza zugeschrieben wurde (Abb. 11).156 In der Bildinschrift wird Antonio Sansoni aus Savona als Stifter genannt. Dieser ist zwischen 1512 und 1531 als Prokurator seines Bruders Girolamo San-soni nachweisbar, der von 1512 bis 1536 Abt der Zis-terzienserabtei S. Maria di Chiaravalle di Fiastra bei Ma-cerata war. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammt das Gemälde daher aus dieser Abtei, die im 18. Jahrhundert in den Besitz der Bandini-Giustiniani überging, worauf-hin es in das Schloss der Familie gelangte.157 Ceriana be-tont die Verwandtschaft des Auftraggebers Antonio San-soni mit Papst Sixtus IV.158 Er zieht außerdem ein Dokument aus dem Archiv der Abtei von 1516 zur Da-tierung heran, in dem ein gewisser Francesco di Maestro Antonio, in dem Ceriana einen Sohn von Antonio da Faenza vermutet, von der Abtei ein Haus anmietet.

8 | Antonio da Faenza: Madonna und Kind mit den hll. Michael, Sperandia, Ursula, Barbara und Johannes dem Täufer (Cingoli, S. Sperandia)

9 | Antonio da Faenza: Mystische Vermählung der hl. Katherina von Alexandria (Treia, S. Michele)

10 | Antonio da Faenza: Verlobung Mariens (Cingoli, S. Esuperanzio, Sakristei)

11 | Antonio da Faenza: Verkündigung an Maria (Lanciano, Castello Bandini-Giustiniani)

in die Türöffnung des dorischen Geschosses, der sowohl eine Draufsicht auf den Boden als auch eine Untersicht des Sturzes zeigt, in krassem Gegensatz zur Augenhöhe des Betrachters auf Höhe eben dieses Sturzes. Die zen-trale Rundnische des ionischen Geschosses ist frontal von vorn gezeigt und nicht wie die Öffnungen der üb-rigen Geschosse leicht von rechts. Das gleiche Problem ergibt sich für die Darstellung des Turmaufsatzes, die ebenfalls mit einem Betrachterstandpunkt mittig vor der Fassade rechnet, während der Aufsatz bei Berücksich-tigung der Zentralperspektive leicht nach rechts versetzt erscheinen müsste.

Für diese mit mehreren Fluchtpunkten operierende und auch Elemente der Orthogonalprojektion einbezie-hende Darstellungsweise prägte Wolfganz Lotz den Be-griff der „multiplen Perspektive“.329 Sie findet sich auch in zahlreichen Zeichnungen in Antonios Architektur -traktat wieder, so zum Beispiel bei einigen Fassaden für Gebäude am Forum (fol. 44 v.b, 45 r.b, 45 r.c, 45 v.c; vgl. Faksimile), wo hinter der orthogonal gezeigten Fassaden-oberfläche liegende Loggien in Zentralperspektive zu se-hen sind. Während hier der Fluchtpunkt der Perspektive immer auf der vertikalen Mittelachse der Zeichnung liegt, ist er in den zahlreichen Triumphbogenzeichnungen (fol. 61 r, 62 r–65 v) wie beim Campanile-Entwurf zu einer Seite verschoben.330

Nicht nur in der Darstellungsweise, auch in zahlrei-chen architektonischen Motiven weist der Entwurf in Fa-

enza Parallelen zu den Zeichnungen in Antonios Traktat auf. So gleichen die dorischen Kapitelle des Campanile der im Traktat angegebenen Normalform (fol. 22 v.a). Die ionischen Pilaster des Campanile ruhen auf vitruvia-nisch-ionischen Basen mit Plinthe, doppelter Kehle und abschließendem Wulst, wie sie auch im Traktat angeführt sind (fol. 25 v.a). Die Kapitelle des ionischen Geschosses sind im Campanile-Entwurf nur angedeutet, so dass Aus-sagen zum Detail nicht möglich sind. Eine Besonderheit fällt aber bei genauerer Betrachtung auf: Das rechte Eck-kapitell ist nicht mit zwei Volutenseiten ausgeführt, die an der Ecke zusammenstoßen und eine diagonal vortre-tende Eckvolute bilden, sondern mit einer Volutenseite und einer Polsterseite, als bildete es den Abschluss einer Pfeilerreihe. Dies führt jedoch wegen der doppelten Pi-laster auf der rechten Fassade zu einem direkten Neben-einander eines Kapitells mit Polsterseite und eines mit Volutenseite – eine vollkommen einzigartige und reichlich unkanonische Kombination. Am hinteren Risalit sind da-gegen beide Kapitelle wieder mit ihren Volutenseiten ge-zeigt, sodass die Ansicht dieser Fassade einen groben Feh-ler in der Symmetrie aufweist. In Antonios Traktat ist eine Vorgabe der Normalform des ionischen Eckkapitells zwar vorgesehen (fol. 25 r.B), die zugehörige Zeichnung blieb aber unvollendet (fol. 25 r.e). Ein nebenstehendes Beispiel zeigt jedoch eindeutig eine diagonale Eckvolute (fol. 25 r.f). Bei den Wiedergaben ionischer Tempel bzw. Portiken (fol. 51 v.e bzw. 61 v.b) sind die Zeichnungen nur sum-marisch ausgeführt, trotzdem sind an den Eckkapitellen diagonale Eckvoluten zu erkennen. Es ist daher wenig verständlich, wie Antonio in dem mit Sorgfalt gezeichne-ten Campanile-Entwurf eine so unkonventionelle Lösung einbringen konnte.

Die korinthischen Pilaster sind mit attischen Basen versehen, so wie es auch der Traktat als Normalform vor-gibt (fol. 29 r.a). Die Kapitelle des korinthischen Geschos-ses sind korinthisierend mit nur einem Blattkranz und S-förmigen Voluten, zwischen denen eine auffällig große Abakusblüte aufragt. Vergleichbar ist in Antonios Traktat eine Variante zum korinthischen Normalkapitell, die al-lerdings noch einen Eierstab unterhalb der Abakusplatte aufweist (fol. 28 v.d). Aber auch eine Variante des „tos-kanischen“ Kapitells (fol. 33 r.i) ähnelt der Form auf dem Faentiner Pergament.

Auch auf allgemeinem motivischen Gebiet ergeben sich Parallelen zwischen Antonios Campanile-Entwurf und seinem Traktat: Das Prinzip der rhythmischen Travée, welches das wesentliche Gestaltungsmerkmal des Cam-panile darstellt, findet sich mehrfach im Traktat, so zum Beispiel in zwei unkommentierten Beispielfassaden (fol. 44 v.c bzw. fol. 45 v.b) sowie bei den Triumphbögen

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I.4. ANTONIO ALS ARCHITEKT

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TEIL I ANTONIO DA FAENZA – LEBEN UND WERK

47 | Antonio da Faenza: Codex, fol. 62.a, Entwurf eines Triumphbogens

49 | Antonio da Faenza: Entwurf für einen Campanile für den Dom von Faenza, 1526, Ausschnitt

50 | Montepulciano, Campanile der Madonna di S. Biagio

48 | Antonio da Sangallo d. Ä.: Entwurf für S. Lorenzo in Florenz (Florenz, GDSU, inv. 280 A, Ausschnitt)

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II.2. PORTOLANKARTE

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TEIL II DER CODEX DES ANTONIO DA FAENZA

76 | Codex des Antonio da Faenza, Innenseite des vorde-ren Deckels, Portolankarte, Ausschnitt Mittelitalien und Adria

77 | Anonym: Weltkarte, Ausschnitt Mittelitalien und Adria (Vatikanstadt, BAV, Borg. Carte naut. V, © Biblioteca Apostolica Vaticana)

78 | Andrea Benincasa: Weltkarte, Ancona 1508, Ausschnitt Mittelitalien und Adria (Vatikanstadt, BAV, Borg. Carte naut. VIII, © Biblioteca Apostolica Vaticana)

79 | Battista Agnese: Porto-lanatlas, Venedig um 1544, fol. 10 v–11 r, Ausschnitt Mittelitalien und Adria (Washington, D.C., Library of Congress, Ms. G1001.A4 1544 Vellum 5)

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II.6. BUCHSTABENKONSTRUKTION

Abstrich versehen, während sie bei Tagliente und Da Car-pi ohne ihn endet.

Es gibt allerdings auch Merkmale, die belegen, dass Ve-rini nicht immer alle Einzelheiten nach dem Vorbild Fantis übernahm: Das beginnt bereits beim Grundquadrat selbst, das er mit zusätzlichen horizontalen Linien gliedert, die bei allen anderen Autoren fehlen, und auch die Anzahl und die Positionierung der Verweiszeichen differieren deutlich von denen Fantis. Des Weiteren findet Verini für die Buch-staben eine Reihe individueller Details, die sich von den Ausführungen der anderen Autoren unterscheiden, so bei-spielsweise am unteren Ende des senkrechten Strichs des d, beim rechten Abwärtsstrich des g und am unteren Ende der rechten Abwärtsstriche des m, des n und des u. Außer-dem liefert er als einziger zwei Varianten für das k.

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TEIL II DER CODEX DES ANTONIO DA FAENZA

Kreise markiert, die mit dem Zirkel gezogenen Kreise rei-chen aber selten über die zum Buchstaben gehörenden Abschnitte hinaus. Da Antonio die eigentliche Buchsta-ben- bzw. Zeichenform nicht schwärzte, ergeben sich manchmal Unklarheiten darüber, welche Linien als Hilfs-linien zu deuten sind und welche zum Buchstaben gehö-ren.

Vor der Ausführung mit Feder und Tinte wurden die meisten Linien vorgeritzt. Es sind aber an mehreren Stel-len Korrekturen der Ausführung erkennbar, so beispiels-weise bei f und g auf fol. 80 r und beim langen s, beim t und beim &-Zeichen auf fol. 80 v.

Zu Antonios Lebzeiten erschienen vier Schrifttraktate in gedruckter Form, die eine geometrisch konstruierte Rotunda enthalten: Sigismondo Fantis „Theorica e pratica de modo scribendi“ von 1514,653 Giovannantonio Tag-lientes „Lo presente libro“ von 1524,654 Ugo da Carpis „Thesauro de scrittori“ von 1525655 und Giovambattista Verinis „Luminario“ von 1527.656 Zum besseren Vergleich wurden die vier gedruckten Alphabete und Antonios Va-riante in einer tabellarischen Übersicht nebeneinander ge-stellt (vgl. Anhang 7).

Auf den ersten Blick bilden die gedruckten Alpha-bete zwei Gruppen: auf der einen Seite Fanti und Ve-rini, auf der anderen Tagliente und Da Carpi. Diese Un-terscheidung rührt in erster Linie daher, dass bei Fanti und Verini die über das Grundquadrat hinausreichenden Kreislinien fast immer vollständig wiedergegeben wer-den und die einzelnen Konstruktionsschritte, die im be-gleitenden Text beschrieben werden, mit Verweiszeichen – Buchstaben bei Fanti, Zahlen bei Verini – versehen sind. Tagliente und Da Carpi verzichten auf die Ver-weise, da es bei ihnen keinen begleitenden Text gibt. Auch die über das Grundquadrat hinausreichenden Hilfslinien sind bei ihnen seltener wiedergegeben, so-dass ihre Darstellungen insgesamt reduzierter und klarer wirken.

Weitere Merkmale unterstreichen die Einteilung der gedruckten Alphabete in zwei Gruppen: Fanti und Verini zeigen das -Zeichen, während es bei Tagliente und Da Carpi fehlt. Die Cedille des gespiegelten ç ist bei Fanti und Verini lebhaft geschwungen, während er bei Tagliente und Da Carpi schlicht herabhängt. Die Unterlänge des y ist bei Fanti und Verini mit einem nach rechts gerichtetem

99 | Luca Pacioli: Divina Proportione, Venedig 1509, Tafel o. Nr. 100 | Sigismondo Fanti: Theorica et pratica, Venedig 1514, o. Fol. 101 | Sigismondo Fanti: Theorica et pratica, Venedig 1514, o. Fol.

102 | Giovannantonio Tagliente: Lo presente libro, Venedig 1524, fol. 23 r 103 | Giovambattista Verini: Luminario, Toscolano o.J. [1527], fol. 20 v

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II.8. PERSPEKTIVE

II.8.8. Praktische Hilfsmittel des Malers An zwei Stellen des Perspektivtraktats beschreibt Antonio in insgesamt vier Kapiteln Methoden für die Übertragung eines Motivs auf den Bildträger, bei denen der Maler nicht mit der geometrischen Konstruktion von Perspektive ope-rieren muss, sondern sich etwas handfesterer Hilfsmittel bedient. Diese Kapitel finden sich am Ende des ersten Abschnitts und im Nachtrag des letzten Abschnitts. An-tonio behandelt diese Hilfsmittel also nicht systematisch als einen geschlossenen Komplex.

In Kapitel Nr. I.XXII (fol. 100 v) rät Antonio für den Fall, dass eine unebene, gewölbte Oberfläche so zu be-malen sei, dass im Bild dennoch gerade Linien erscheinen, zur Verwendung einer Art flexiblen Schablone („opera flexibile et apta ad formarsi in ciascuna revolutione et concavità“), die in dieselbe Form gebracht werden solle

wie die künftige Bildfläche, um darauf den Entwurf in geeigneter Proportion anlegen zu können.

Im Nachtrag des letzten Abschnitts beschreibt Antonio dann die Verwendung eines Gitters („grata“) zur korrekten Übertragung der Motive aus der Natur auf die Bildfläche, und zwar ausdrücklich für diejenigen, die von den Regeln der Geometrie und Perspektive, auf die er zuvor verwiesen hat, keine Kenntnis haben („Et quelli che de tal ragione non hanno cognitione, mandano ad effecto el medesmo con la grata [...]“, fol. 110 r, Nr. IV.[XII]). Dieses Gitter (von handlicher Größe) halte man im richtigen Abstand vor das abzubildende Objekt, so dass es dieses ganz ab-decke („[...] quale se colloca tanto in dereto o tanto innanti, fin ché sia capace de tucta la pyramide dela cosa viduta“). Auf die Bildfläche trage man ein entsprechend propor-tioniertes Raster auf, um dann Punkt für Punkt das Objekt anzupeilen und aufs Bild zu übertragen.

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TEIL II DER CODEX DES ANTONIO DA FAENZA

überhaupt nicht nachvollziehbar wäre. Serlio verzichtet in den meisten Fällen auf eine Beschriftung seiner Illus-trationen, achtet aber gleichzeitig darauf, dass alle im Text erwähnten Elemente auch in den Holzschnitten eindeutig wiedererkennbar sind. Im Vergleich steht Antonios Vor-gehensweise derjenigen Serlios näher, aber er ist nachläs-siger, was die nachvollziehbare Korrelation zwischen Text und Illustration angeht: Mal zeigt die Zeichnung längst nicht alle Arbeitsschritte und Hilfslinien, die zum Ver-ständnis der schriftlichen Anleitung notwendig wären, mal reduziert er den Text auf ein Minimum, während die zugehörige Zeichnung vor Konstruktionslinien nur so strotzt.

Einige inhaltliche Parallelen ergeben sich auch zwi-schen Antonios Traktat und Albrecht Dürers „Under-weysung der Messung“, und hier vor allem zu Dürers viertem Buch. Dort geht es unter anderem um das Kon-

struieren regelmäßiger und unregelmäßiger Polyeder, wo-zu auch Antonio in seinem dritten Abschnitt einige Bei-spiele liefert. Beide behandeln den abgestumpften Ok-taeder, den Dodekaeder, den Ikosaeder und den 26-Flächner („Icosiexaedron“),758 aber die Vorgehens-weise ist unterschiedlich: Dürer breitet die den Körper konstituierenden Flächen netzförmig in einer Ebene aus, wie um eine Schablone zum Ausschneiden vorzubereiten. Antonio projiziert dagegen die Flächen in mehreren La-gen übereinander und um einen gemeinsamen Mittel-punkt gruppiert in die Ebene, worunter einerseits die An-schaulichkeit der Darstellung leidet, andererseits aber neue, faszinierende geometrische Muster entstehen (Abb. 132, 133). Größere Ähnlichkeit im Ergebnis weisen le-diglich Dürers und Antonios Darstellungen von Grund- und Aufriss des Dodekaeders auf (Abb. 134, 135).

130 | Antonio da Faenza, Codex, fol. 108 r, Nr. III.XXIIII, perspektivische Verkürzung eines Mazzocchios

132 | Antonio da Faenza, Codex, fol. 106 r, Nr. III.X, Konstruktion eines abgestumpften Oktaeders

133 | Albrecht Dürer: Underweysung der Messung, Nürnberg 1525, fol. Nij v, Abb. 38, Flächennetz eines abgestumpften Oktaeders

131 | Piero della Francesca: De prospectiva pingendi, perspektivische Verkürzung eines Mazzocchios (Parma, Biblioteca Palatina, Ms. 1576, fol. 37 v)

135 | Antonio da Faenza, Codex, fol. 106 v, Nr. III.XII–XIIII, Konstruktion, Grundriss und Aufriss eines Dodekaeders

134 | Albrecht Dürer: Underweysung der Messung, Nürnberg 1525, fol. [Miiiij v], Abb. 33, Flächennetz, Aufriss und Grundriss eines Dodekaeders

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KATALOG DER ERHALTENEN UND VERLORENEN GEMÄLDE

Gemeinhin wird angenommen, dass Antonio die Außenseiten der Flügel bemalte, sodass die Verkündigung in geschlossenem Zustand sichtbar war. Eine Analyse der Perspektivkonstruk-tion zeigt jedoch, dass die Tiefenlinien beider Flügel nicht in einem Punkt fluchten, wenn sie direkt nebeneinander ange-ordnet sind. Ein gemeinsamer Fluchtpunkt ergibt sich viel-mehr, wenn der Abstand zwischen den Bildfeldern auf ein Maß gebracht wird, das in etwa ihren addierten Breiten ent-spricht (Abb. 140, 141). Antonios Leinwände müssten also die Innenseiten der Flügel geschmückt haben und nur in ge-öffnetem Zustand sichtbar gewesen sein, wenn man annimmt, dass die Perspektive beider Bildräume konsequent auf einen Betrachterstandpunkt ausgerichtet war. In diesem Fall wäre der Kontrast der zwei so unterschiedlichen Architekturen ab-gemildert. Vor allem aber würde das direkte Nebeneinander der vom Piedestal bis zum Gebälk verschieden gegliederten und proportionierten Stützen der Bögen im Bildvordergrund vermieden. Unklar ist, wie die beiden Leinwände, die heute ohne jede Rahmung sind, in den übrigen Orgelprospekt in-tegriert waren, wie die Außenseiten der Flügel gestaltet waren und ob Antonio möglicherweise auch für deren Bemalung zuständig war. Nachdem die Flügel 1796 anlässlich eines Um-baus der Orgel abgenommen worden waren, wurde die Orgel selbst zu einem unbekannten Zeitpunkt demontiert, ohne dass Nachrichten über ihr Aussehen erhalten sind.4

Für Antonios Figuren ist eine ganze Reihe von Vorbildern und Einflüssen vorgebracht worden: Den Verkündigungsengel mit seinem reich bewegten Gewand und flatterndem Tuch vergleicht Battistini (LOTTO NELLE MARCHE 1981, S. 147) mit den Engeln in Peruginos Gemälde in Lyon. Die Pose der Maria leitet er von derjenigen der Verkündigung in der Va-selli-Kapelle von S. Petronio in Bologna her, die von Lorenzo Costa oder Francesco Francia um 1497 gemalt wurde (Abb. 16). Das Modell der Maria und Partien des Faltenwurfs über

ihrem rechten Bein verweisen seiner Meinung nach auf Gi-rolamo Genga. Der Kopf des Jesaja erinnere an den alten Weisen im Fresko des Weltenendes in der Cappella Nova im Dom von Orvieto von Luca Signorelli. Auch BUSCAROLI (1931, S. 302) hält die strähnigen Locken in Haupthaar und Bart des Propheten für ein signorelleskes Motiv. BURY (1996, S. 23) sieht in der Haltung der Maria das Streben des Malers, ihr eine freie Bewegung im Raum zu verleihen. Darin zeige sich deutlich der Einfluss Raffaels, und als Parallelen in dessen Werk nennt BURY die hl. Katherina in der National Gallery in London sowie die Zeichnung einer Verkündigung in Stock-holm (Abb. 25, 26). Arnold Nesselrath (mündliche Mittei-lung) schlägt einen Vergleich von Antonios Jesaja und Lukas mit den Propheten in der Lünette über der Chigi-Kapelle in S. Maria della Pace vor, die Timoteo Viti nach Entwürfen Raffaels um 1511 ausführte (Abb. 27).

Den größeren Eindruck haben bisher aber bei jedem Autor die Bildarchitekturen der Orgelflügel hinterlassen. GIANUIZZI (1894, S. 148) erkannte unter allen möglichen Vorbildern – er nennt Brunelleschi, Francia, Perugino, Pin-turicchio, Raffael, Giuliano und Antonio da Sangallo sowie Bramante – einzig bei Michelangelo in der Sixtinischen Ka-pelle eine vergleichbar ingeniöse und meisterliche Leistung in der Erfindung architektonischer Formen. BUSCAROLI (1931, S. 302) nennt Antonios Werk eine „dimostrazione di virtuosismo“, und später (1955, S. 156) „due fantasie teatrali“ und fühlt sich an Theaterkulissen erinnert. In den gleichen Zusammenhang bringt Battistini (LOTTO NELLE MARCHE 1981, S. 147) die Orgelflügel und stützt damit seine These vom Einfluss Girolamo Gengas, der für ihn nicht nur als wichtigster Vermittler raffaelesker Motive in Frage kommt, sondern in diesem Fall auch als erfahrener Szenograph hilf-reich gewesen sein könne. BURY (1996, S. 23–24) benennt einige mögliche Vorbilder für die Architekturen der Orgel-

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ANHANG 3

bevor im Hintergrund eine Apsis den Raum abschließt. Ent-lang der Seiten stehen kannellierte Säulen mit korinthisie-renden Kapitellen auf Piedestalen, die zu einem durchlau-fenden Sockel verbunden sind, frei vor der Wand. Sie tragen das verkröpfte, um den ganzen Raum laufende, kräftig pro-filierte Gebälk, dessen Fries mit Trophäen geschmückt und teilweise vergoldet ist. Hinter jeder Säule ist der Wand ein Pilaster aufgelegt. Zwischen den Säulen sind rundbogig ge-schlossene Nischen in die Wand eingelassen, die durch ein flaches Band in Kämpferhöhe miteinander verbunden sind. Auch auf diesem Flügel fällt der Blick durch einen Bogen im Vordergrund in den Bildraum. In den Zwickeln der Ein-gangsbögen beider Flügel sind Medaillons mit lorbeer ge -krönten Porträts im Profil sichtbar, die jedoch wenig indi -vidualisiert und zudem angeschnitten sind, sodass eine Identifizierung der Dargestellten nicht möglich ist.

Die Orgelflügel wurden 1894 von Pietro Gianuizzi als Arbeiten Antonios da Faenza bekannt gemacht. Er berief sich auf die Zahlungsnachweise im Archiv der Santa Casa, ohne diese jedoch ausführlich zu zitieren. Später wurden sie mehr-fach in Form von Regesten publiziert. Zuvor waren irrtümlich Jacopo da Bassano und Bacicio als Autoren angeführt worden.2 Der ursprüngliche Ort, an dem sich die Orgel be-fand, war wohl über der Außenseite der Sagrestia di S. Marco.3

140–141 | Analyse der Fluchtpunkte beider Orgelflügel

142 | Girolamo Bonsignori: Letztes Abendmahl (San Benedetto Po)

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KATALOG DER ERHALTENEN UND VERLORENEN GEMÄLDE

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ANHANG 3

KAT. 4 Norcia, Castellina, Museo Civico e Diocesano Madonna mit Kind und den hll. Franziskus, Ludwig von Toulouse, Ludwig von Frankreich, Antonio von Padua, Bonaventura und Klara Predella: Verkündigung an Maria; Schmerzensmann 1518–19 Tempera auf Holz, mit Rahmen 335 x 245 cm, Haupttafel 275 x 193 cm, Predella 28 x 245 cm Inschriften: im Bogen des Rahmens (nicht original?): SOCIETATIS OPUS TERTII ORDINIS CURA CON-FECTUM auf dem Blatt in Händen von Franziskus und Ludwig von Frankreich: „concessa a d[omi]no/ vobis pari/ iure largior“ Provenienz: Norcia, Cappella di S. Elisabetta bei SS. Annunziata; ab ca. 1854 in SS. Annunziata; ab ca. 1920 in S. Benedetto; ab ca. 1958 im Palazzo del Municipio; ab ca. 1967 im Museo della Castellina; 1979 nach einem schweren Erdbeben in ein provisorisches Depot ausgelagert; 2003 Rückkehr in das wiedereröffnete Museum der Castellina Restaurierung: 1967 Dokumente: Norcia, Archivio Storico Comunale, Archivio Storico No-tarile, prot. 326, Atti di Giacomo Antonio Ramiscini (1518–1519), fol. 44 r–44 v: 8. November 1518 Antonio erhält den Auftrag für einen Altar mit der Darstel-lung der Madonna mit Kind und Heiligen; Transkript bei CORDELLA 1984 Literatur: ANTONIO DA ORVIETO 1717, S. 287; 1864–1866, CRO-WE/CAVALCASELLE 1864–66, Bd. 3, S. 332, Anm. 2; PATRI-ZI-FORTI 1869, S. 322–323; GUARDABASSI 1872, S. 147; PARIS 1906, S. 64–65; CROWE/CAVALCASELLE 1895–1911, Bd. 10, S. 117, Anm. 1; ANGELINI ROTA 1920, S. 245–246, 251; BERENSON 1932, S. 30; MASSIMI 1939, S. 29 und Taf. 37; MORELLI 1958, S. 30; SANTI 1967; FABBI 1975, S. 48–50; MILLS 1978, S. 330, Nr. 20; LOTTO NELLE MARCHE 1981, S. 144 (Battistini); CORDELLA 1984; PINA-COTECA DI BRERA 1992, S. 123 (Ceriana); BURY 1996, S. 24, 25, 39, Anm. 33; CLERI 2014, S. 70–73. Die „Tavola dei Terziari“ in Norcia ist eines der sicher datier-ten Gemälde Antonios. Der Vertrag zwischen dem Minister des dritten Ordens der Franziskaner in Norcia und Antonio ist im Archivio Notarile von Norcia erhalten und publiziert. Er datiert vom 8. November 1518 und enthält präzise Be-stimmungen zur Ikonografie des Gemäldes und lässt den Schluss zu, dass Antonio auch für den ebenfalls erhaltenen Rahmen verantwortlich war.

Maria sitzt auf einem sehr hohen Thron, über den ein reich ornamentierter Teppich gelegt ist, der zu ihren Füßen

herabfällt und den Sockel des Throns fast vollständig verdeckt. Sie hält das Jesuskind, das auf ihrem linken Bein sitzt und zu ihr aufschaut, während es in die entgegengesetzte Richtung gewandt die Rechte zum Segen erhoben hat. Am Fuß des Throns sind sechs franziskanische Heilige versammelt. Die drei in der rechten Bildhälfte bilden durch ihre Gesten und Handlungen eine Gruppe: Der Segen des Christuskinds gilt dem stehende Franziskus, der auf den neben ihm knienden, gekrönten König Ludwig IX. von Frankreich weist. Dieser empfängt aus Franzikus’ Hand ein Schriftstück, auf dem zu lesen ist: „concessa a domino vobis pari iure largior“ – offenbar der Verweis auf die Regel des dritten Ordens der Franziskaner, der im Auftrag zum Gemälde ausdrücklich gefordert ist. Ne-ben dem hl. König kniet, mit dem Rücken zum Betrachter und mit der rechten auf den König weisend, der hl. Ludwig, Bischof von Toulouse, in vollem Ornat. Sein Blick ist aufwärts zu Franziskus gerichtet. Auf der linken Seite sind ebenfalls drei Figuren platziert, die jedoch weniger miteinander inte-ragieren. Im Vordergrund knien nebeneinander der hl. Bo-naventura, ebenfalls in vollem Bischofsornat, und der – im Vertrag nicht angeführte – hl. Antonio von Padua im Mönchsgewand und mit einer Lilie in der Hand. Beide halten gemeinsam ein aufgeschlagenes Buch. Hinter ihnen, links neben dem Thron, blickt die hl. Clara zu Maria auf, auch sie hält eine weiße Lilie in der Hand. Die Figuren werden von einer großartigen Architektur überfangen. Dabei handelt es sich um ein Tonnengewölbe, welches auf einem Gebälk ruht, das links und rechts von buntmarmornen Säulen mit kom-positen Kapitellen getragen wird, die zwischen Pfeilern am vorderen und hinteren Ende des Gangs in so engen Interko-lumnien stehen, dass kein Blick zwischen ihnen hindurch möglich ist. Eine genaue Betrachtung der linken Seite – die rechte ist stark verschattet –, führt zu der Erkenntnis, dass es sich um nur zwei Vollsäulen handelt, eine mit gelbem, die andere mit rotem Schaft. Der blaue Schaft gehört mit seinem Kapitell zu einer Halbsäule, die dem hinteren Pfeiler vorge-blendet ist. Dementsprechend ragen auch hinter dem vorde-ren Pfeiler eine Volute und ein Horn der geschwungenen Abakusplatte des Halbsäulenkapitells hervor. Das Gewölbe ist mit zehn Reihen von achteckigen Kassetten versehen, deren Vertiefungen vergoldet sind. Zwischen den Oktogonen ver-laufen Reihen mit kleinen quadratischen Feldern. Von der Landschaft im Hintergrund sind lediglich zwei kleine Aus-schnitte zu sehen: Links windet sich ein Weg auf einen Berg, rechts unter Franziskus’ Arm hindurch zeigt sich in großer Ferne eine Burg oder Stadt vor Bergen am Horizont.

Erstmals ist hier ein Werk Antonios in seinem originalen Rahmen erhalten, der nach dem Wortlaut des Vertrags eben-falls von Antonio angefertigt wurde. Die Bildtafel wird von zwei Pilastern mit korinthischen Kapitellen flankiert, die einen Rundbogen tragen, der als Gebälk ausgebildet ist. Die Spiegel der Pilasterschäfte sowie der Fries des Bogens sind farbig gefasst, während die Basen, Kapitelle und Profile ver-goldet sind. Im Fries befindet sich die Inschrift: „Societatis opus tertii ordinis cura confectum“. Beide Pilasterspiegel sind weitestgehend identisch geschmückt: Grotesken mit floralen

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KONKORDANZ ZU LUCA PACIOLIS POLYEDER-DARSTELLUNGEN

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ANHANG 6

Die folgende Tabelle enthält zu Antonios zwölf Zeichnungen regelmäßiger und unregelmäßiger Polyeder die entsprechen-den Holzschnitt-Darstellungen in Luca Paciolis „Divina pro-

portione“ von 1509 (vgl. die Ausführungen in Kapitel II.4.4. „Antonios Illustrationen“). Zur besseren Vergleichbarkeit wurden die Größenverhältnisse einander angepasst.

ANHANG 6: Konkordanz zu Luca Paciolis Polyeder-Darstellungen

Pacioli 1509, Tafel I

„Tetraedron Planum Solidum“

Pacioli 1509, Tafel II

„Tetraedron Planum Vacuum“

Codex, fol. 13 r.B

„Tetraedron“

Pacioli 1509, Tafel III

„Tetraedron Abscisum Solidum“

Pacioli 1509, Tafel IIII

„Tetraedron Abscisum Vacuum“

Codex, fol. 13 r.D

„Tetraedron absciso“

Pacioli 1509, Tafel VII

„Hexaedron Planum Solidum“

Pacioli 1509, Tafel VIII

„Hexaedron Planum Vacuum“

Codex, fol. 13 r.F

„Exaedron“

Pacioli 1509, Tafel VIIII

„Hexaedron Abscisum Solidum“

Pacioli 1509, Tafel X

„Hexaedron Abscisum Vacuum“

Codex, fol. 13 v.A

„Exaedron absciso“

Pacioli 1509, Tafel XV

„Octaedron Planum Solidum“

Pacioli 1509, Tafel XVI

„Octaedron Planum Vacuum“

Codex, fol. 13 v.C

„Octaedron“

Pacioli 1509, Tafel XVII

„Octaedron Abscisum Solidum“

Pacioli 1509, Tafel XVIII

„Octaedron Abscisum Vacuum“

Codex, fol. 13 v.E

„Octaedron absciso“

Pacioli 1509, Tafel XXVII

„Dodecaedron Planum Solidum“

Pacioli 1509, Tafel XXVIII

„Dodecaedron Planum Vacuum“

Codex, fol. 13 v.B „Dodecaedron“

Pacioli 1509, Tafel XXIX

„Dodecaedron abscisum Solidum“

Pacioli 1509, Tafel XXX

„Dodecaedron abscisum Vacuum“

Codex, fol. 13 v.D

„Dodecaedron scapezo“

Pacioli 1509, Tafel XXI

Pacioli 1509, Tafel XXII

Codex, fol. 13 v.F

Pacioli 1509, Tafel XXI

„Icosaedron Planum Solidum“

Pacioli 1509, Tafel XXII

„Icosaedron Planum Vacuum“

Codex, fol. 13 v.F

„Icosaedron“