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6 Nr. 1 2008 Entzündung und Ernährung Anhaltender Stress kann, wie man heute weiss, eine Reihe von Erkran- kungen sowie chronische Entzün- dungen auslösen und zu gravierenden Störungen der hormonellen Homöo- stase führen. Lange waren die zu- grunde liegenden pathologischen Me- chanismen unklar. Jüngste Ergebnisse experimenteller, klinischer und epide- miologischer Forschung erbrachten je- doch neue Einsichten und den Nach- weis biologischer Zusammenhänge. Wie sich herausstellt, greift Stress auf verschiedensten Ebenen in den Ablauf inflammatorischer Prozesse ein. So kann er beispielsweise auch ein Risi- kofaktor für ausbleibende Schwanger- schaften sowie für Fehl- und Frühge- burten sein. Der vorliegende Beitrag fasst die entsprechenden Erkenntnisse zusammen. Hannes Bielas 1 und Petra C. Arck 2,3 Historischer Rückblick und Definition Der österreichisch-kanadische Medi- ziner und Biochemiker Hans Selye (1907–1982) bezeichnete die Reaktion des Organismus auf Belastungen als «Stress» und das, was belastend ein- wirkt, als «Stressor». Selye unterschied bereits zwischen dem positiven Eu- stress (gr. eu = gut) und durch Über- forderung entstehendem negativem Disstress und begründete damit die Stressphysiologie. Die aktuelle Definition von Stress wurde vor einigen Jahrzehnten um die kognitive Stresstheorie erweitert. Stress wird nunmehr als jedes Ereignis be- schrieben, in dem äussere oder innere Anforderungen (Hitze, Kälte, Infektio- nen, seelische Erregungen, Sauerstoff- mangel u.a.) die Anpassungskapazitäten des Organismus zu übersteigen drohen beziehungsweise vom Individuum so er- lebt und bewertet werden (1). Vom Allgemeinverständnis aus be- trachtet existiert seit jeh ein Zusam- menhang zwischen Nerven- und Immunsystem. Einen der ersten wis- senschaftlichen Beiträge zu diesem Thema publizierte Louis Pasteur, der in seinen frühen Versuchen Hühner dem Stressor «Eiswasserschwimmen» aussetzte und im Vergleich zu nicht gestressten Hühnern eine erhöhte In- fektanfälligkeit beobachtete (2). Die eigentliche Geburtsstunde der Psycho- neuroimmunologie (PNI) liegt jedoch im Jahr 1975, als Robert Ader und Nicholas Cohen in ihrem Mausmodell nach klassischer Konditionierung (im Pawlow’schen Sinn) mit einer Saccha- rinlösung die Wirkung des Immunsup- pressivums Cyclophosphamid hervor- rufen konnten (3). In jüngerer Zeit liess sich mithilfe eines vergleichbaren Ansatzes im Human-Modell nach Kopplung von Brausebonbon und gleichzeitig applizierter Adrenalin- spritze der Anstieg der Aktivität natür- licher Killerzellen (NK-Zellen) in einem zweiten Schritt durch das Brau- sebonbon allein provozieren (4). Aufgrund interindividueller Unter- schiede in der Stresswahrnehmung und -bewertung sind tierexperimen- telle Versuchsaufbauten im Bereich der PNI-Forschung besonders attraktiv. So lassen sich standardisierte Proto- kolle an genetisch identischen, geklon- ten Versuchstieren durchführen und die Provokation des Immunsystems durch Stressreize nicht nur transpa- rent machen, sondern darüber hinaus auch therapieren. Aus den Studien zur PNI im Human- bereich lässt sich hervorheben, dass kurzfristige Belastungen (Fallschirm- sprung, Bungeejumping und vergleich- bare mentale Belastungen) einen stimulierenden Effekt auf immunolo- gische Parameter haben. Langfristige Belastungen (Arbeitslosigkeit, die Be- treuung von Angehörigen mit unheil- baren Erkrankungen, der Verlust eines nahen Angehörigen, Scheidung, Ein- samkeit, Raumflüge oder Schlafdepri- vation) lösen hingegen eine Suppres- sion der Immunkompetenz aus. Inwieweit Letztere vom Individuum tatsächlich als Stressor wahrgenom- men wird, ist von dessen subjektiver Bewertung der Situation und Einschät- zung der eigenen Kapazitäten zur Be- wältigung dieser Anforderungen ab- hängig. Daher sollte Stress mithilfe eines Fragebogens, zum Beispiel nach Levenstein, (5) operationalisiert und quantifiziert erfragt werden, ohne da- bei auf spezifische Lebensereignisse zu fokussieren. Stress in der Schwangerschaft Nur etwa 20 Prozent der Frauen sind bei Kinderwunsch schon in ihrem er- sten Menstruationszyklus mit dem Ver- such einer Schwangerschaft erfolg- reich (6). Diese Angabe ist vom Alter der Frau abhängig und setzt voraus, dass während der sensiblen sechs Tage vor Ovulation auch ein Sexualverkehr stattfand. Wie sich in einer europawei- ten Studie aus dem Jahr 2002 heraus- stellte, betrug die maximale Wahr- scheinlichkeit einer Empfängnis am zweiten Tag vor der Ovulation für die Altersgruppe der 19- bis 26-Jährigen 53 Prozent und für die 35- bis 39-Jährigen 29 Prozent (7). Darüber hinaus endet eine Vielzahl früher Schwangerschaf- ten in einer Fehlgeburt. Vielfach sind die Gründe für diese eingeschränkte Fruchtbarkeit unbekannt, und häufig Der Einfluss von Stress auf inflammatorische Prozesse am Beispiel der Schwangerschaft 1 Rhein-Ruhr-Universität Bochum, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin 2 Charité, Universitätsmedizin Berlin, Centrum für Innere Medizin und Dermatologie 3 Brain Body Institute, McMaster University Hamil- ton, Kanada

Der Einfluss von Stress auf inflammatorische Prozesse am ... · ziner und Biochemiker Hans Selye (1907–1982) bezeichnete die Reaktion des Organismus auf Belastungen als «Stress»

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Page 1: Der Einfluss von Stress auf inflammatorische Prozesse am ... · ziner und Biochemiker Hans Selye (1907–1982) bezeichnete die Reaktion des Organismus auf Belastungen als «Stress»

6 Nr. 1 • 2008

Entzündung und Er nähr ung

Anhaltender Stress kann, wie man

heute weiss, eine Reihe von Erkran-

kungen sowie chronische Entzün-

dungen auslösen und zu gravierenden

Störungen der hormonellen Homöo-

stase führen. Lange waren die zu-

grunde liegenden pathologischen Me-

chanismen unklar. Jüngste Ergebnisse

experimenteller, klinischer und epide-

miologischer Forschung erbrachten je-

doch neue Einsichten und den Nach-

weis biologischer Zusammenhänge.

Wie sich herausstellt, greift Stress auf

verschiedensten Ebenen in den Ablauf

inflammatorischer Prozesse ein. So

kann er beispielsweise auch ein Risi-

kofaktor für ausbleibende Schwanger-

schaften sowie für Fehl- und Frühge-

burten sein. Der vorliegende Beitrag

fasst die entsprechenden Erkenntnisse

zusammen.

Hannes Bielas1 und Petra C. Arck2,3

Historischer Rückblick und Definition

Der österreichisch-kanadische Medi-ziner und Biochemiker Hans Selye(1907–1982) bezeichnete die Reaktiondes Organismus auf Belastungen als«Stress» und das, was belastend ein-wirkt, als «Stressor». Selye unterschiedbereits zwischen dem positiven Eu-stress (gr. eu = gut) und durch Über-forderung entstehendem negativemDisstress und begründete damit dieStressphysiologie.

Die aktuelle Definition von Stresswurde vor einigen Jahrzehnten um diekognitive Stresstheorie erweitert. Stresswird nunmehr als jedes Ereignis be-schrieben, in dem äussere oder innereAnforderungen (Hitze, Kälte, Infektio-nen, seelische Erregungen, Sauerstoff-mangel u.a.) die Anpassungskapazitätendes Organismus zu übersteigen drohenbeziehungsweise vom Individuum so er-lebt und bewertet werden (1).

Vom Allgemeinverständnis aus be-trachtet existiert seit jeh ein Zusam-menhang zwischen Nerven- undImmunsystem. Einen der ersten wis-senschaftlichen Beiträge zu diesemThema publizierte Louis Pasteur, derin seinen frühen Versuchen Hühnerdem Stressor «Eiswasserschwimmen»aussetzte und im Vergleich zu nichtgestressten Hühnern eine erhöhte In-fektanfälligkeit beobachtete (2). Dieeigentliche Geburtsstunde der Psycho-neuroimmunologie (PNI) liegt jedochim Jahr 1975, als Robert Ader undNicholas Cohen in ihrem Mausmodellnach klassischer Konditionierung (imPawlow’schen Sinn) mit einer Saccha-rinlösung die Wirkung des Immunsup-pressivums Cyclophosphamid hervor-rufen konnten (3). In jüngerer Zeitliess sich mithilfe eines vergleichbarenAnsatzes im Human-Modell nachKopplung von Brausebonbon undgleichzeitig applizierter Adrenalin-spritze der Anstieg der Aktivität natür-licher Killerzellen (NK-Zellen) ineinem zweiten Schritt durch das Brau-sebonbon allein provozieren (4).

Aufgrund interindividueller Unter-schiede in der Stresswahrnehmungund -bewertung sind tierexperimen-telle Versuchsaufbauten im Bereich

der PNI-Forschung besonders attraktiv.So lassen sich standardisierte Proto-kolle an genetisch identischen, geklon-ten Versuchstieren durchführen unddie Provokation des Immunsystemsdurch Stressreize nicht nur transpa-rent machen, sondern darüber hinausauch therapieren.

Aus den Studien zur PNI im Human-bereich lässt sich hervorheben, dasskurzfristige Belastungen (Fallschirm-sprung, Bungeejumping und vergleich-bare mentale Belastungen) einenstimulierenden Effekt auf immunolo-gische Parameter haben. LangfristigeBelastungen (Arbeitslosigkeit, die Be-treuung von Angehörigen mit unheil-baren Erkrankungen, der Verlust einesnahen Angehörigen, Scheidung, Ein-samkeit, Raumflüge oder Schlafdepri-vation) lösen hingegen eine Suppres-sion der Immunkompetenz aus.Inwieweit Letztere vom Individuumtatsächlich als Stressor wahrgenom-men wird, ist von dessen subjektiverBewertung der Situation und Einschät-zung der eigenen Kapazitäten zur Be-wältigung dieser Anforderungen ab-hängig. Daher sollte Stress mithilfeeines Fragebogens, zum Beispiel nachLevenstein, (5) operationalisiert undquantifiziert erfragt werden, ohne da-bei auf spezifische Lebensereignisse zufokussieren.

Stress in der Schwangerschaft

Nur etwa 20 Prozent der Frauen sindbei Kinderwunsch schon in ihrem er-sten Menstruationszyklus mit dem Ver-such einer Schwangerschaft erfolg-reich (6). Diese Angabe ist vom Alterder Frau abhängig und setzt voraus,dass während der sensiblen sechs Tagevor Ovulation auch ein Sexualverkehrstattfand. Wie sich in einer europawei-ten Studie aus dem Jahr 2002 heraus-stellte, betrug die maximale Wahr-scheinlichkeit einer Empfängnis amzweiten Tag vor der Ovulation für dieAltersgruppe der 19- bis 26-Jährigen 53Prozent und für die 35- bis 39-Jährigen29 Prozent (7). Darüber hinaus endeteine Vielzahl früher Schwangerschaf-ten in einer Fehlgeburt. Vielfach sinddie Gründe für diese eingeschränkteFruchtbarkeit unbekannt, und häufig

Der Einfluss von Stress auf inflammatorischeProzesse am Beispiel der Schwangerschaft

1Rhein-Ruhr-Universität Bochum, Klinik für Kinder-und Jugendmedizin2Charité, Universitätsmedizin Berlin, Centrum fürInnere Medizin und Dermatologie3Brain Body Institute, McMaster University Hamil-ton, Kanada

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wird das Ausbleiben einer Schwanger-schaft ganz allgemein auf «Stress»zurückgeführt, ohne dass man bis an-hin ein klares Verständnis für diePathomechanismen zu haben.

Bereits im Jahr 1984 hatten B. und S.Stray-Pedersen in ihrer Studie zuFrauen mit anamnestisch gesichertenhabituellen Fehlgeburten einen kom-plikationslosen Schwangerschaftsver-lauf nach Psychotherapie nachweisenkönnen (8). Auch O’Hare und Creedberichteten 1994 von einem Zusam-menhang zwischen erhöhter Stress-wahrnehmung und dem Auftretenspontaner Aborte bei chromosomalunauffälligem Embryo (9). Über diepathologischen Hintergründe war mansich jedoch lange Zeit im Unklaren.Genetische, endokrinologische, ana-tomische oder mikrobiologische Ur-sachen sind gegenüber auto- und allo-immunen Prozessen seit Längerembekannt. Letztere scheinen auf einemUngleichgewicht von ansteigenden,die Schwangerschaft schädigenden,inflammatorischen Zytokinen und ab-nehmenden Spiegeln schwangerschafts-protektiver, antiinflammatorischer Zy-tokine zu beruhen.

Die Schwangerschaft ist ein komple-xer Prozess und erfordert signifikantephysiologische Veränderungen, unteranderem auch des Immunsystems. Esbedarf einer Anpassungsfähigkeit undBereitschaft des Organismus, diedurch äussere Faktoren, wie zum Bei-spiel eine zunehmende Unsicherheitoder Veränderungen der sozialen undphysischen Umwelt, den Verlust einesNahestehenden, eine Negativbilanzdes Energiehaushaltes aufgrund vonMangel- beziehungsweise Unterernäh-rung sowie Naturkatastrophen odereine relevante körperliche Erkran-kung, eingeschränkt sein können. DerOrganismus nimmt all diese Heraus-forderungen als Stressoren wahr. Stressdient, so die Hypothese, letztlich zurÜberprüfung der Angemessenheiteiner Schwangerschaft unter den je-weiligen Bedingungen.

Verschiedene auf Fragebögen basie-rende Studien wiesen den negativenEinfluss von psychischem Stress mitverminderter Fekundität (Wahrschein-lichkeit der Empfängnis in einem ge-gebenen Menstruationszyklus), frühenFehlgeburten und Unfruchtbarkeitnach. So haben prospektive Studien anFrauen, die sich einer Fruchtbarkeits-therapie unterziehen, einen negativenZusammenhang zwischen wahrgenom-mener oder tatsächlich höherer Ar-

beitsbelastung (im Sinne eines psychi-schen Stresses) und der Empfängnisnachgewiesen. Auch die erfolgreicheVollendung der Schwangerschaft warvon diesen Faktoren abhängig (10).Die Fertilität von Nullipara liegt beiniedrigen Scores psychosomatischerSymptome, wenigen negativen Lebens-ereignissen, Stabilität des Körperge-wichts und regelmässigen religiösenBetätigungen über dem Altersdurch-schnitt (11).

In den letzten Jahren konnten durchNepomaschy et al. (12) in einer pro-spektiven Langzeitstudie Daten zuMenstruationszyklen und biologischenMarkern der Fortpflanzung erhobenwerden. Sie begleiteten über ein Jahr61 Frauen der Volksgruppe der Mayaund dokumentierten täglich ihre Be-obachtung zu den relativ häufig auftre-tenden physischen, immunologischenund psychologischen Herausforderun-gen wie zum Beispiel eine zeitweiligeNahrungsmittel-Unterversorgung, In-fektionskrankheiten und soziale Ge-walt. Der von den Frauen wahrgenom-mene Stress korrelierte eng mit derKortisonkonzentration im Blut. Diesewiederum war mit Veränderungen imHormonhaushalt assoziiert, insbeson-dere dem Anstieg von Gonadotropinund Progesteron in der Follikelphasedes Menstruationszyklus. Während derLutealphase hingegen war eine hoheKortisonkonzentration mit erniedrig-tem Progesteronspiegel assoziiert. Dys-regulationen wie diese beeinflussendie Empfängniswahrscheinlichkeitmassgeblich (13, 14). In dieser Studieliess sich bei erhöhtem Kortisonwährend der ersten drei Wochen desGestationszyklus das Auftreten einerFehlgeburt eindeutig vorausbestim-men (15). Diese Ergebnisse stützen dieoben genannte Hypothese, dass Stressden weiblichen Körper über die Qua-lität des Umfeldes quasi «informiert»und deshalb massgeblich zur Fort-pflanzungsfähigkeit beiträgt.

Konzert der drei «Super-systeme» – Psycho-Neuro-Immunologie

Bei der akuten und chronischenStresswirkung bedarf es der Kommuni-kation und Interaktion mindestensdreier, häufig separat betrachteter Ein-heiten – des endokrinologischen, desimmunologischen und des neuronalenSystems (16). Daher werden bei Stress –neben der HPA-Achse (hypothalamic-pi-tuitary-adrenal, englisch für Hypothala-

mus-Hypophyse-Nebennierenrinde) –auch das adrenerge System und das au-tonome Nervensystem aktiviert. In derPeripherie werden dann Neurotro-phine, Glukokortikoide und Katechol-amine gleichzeitig wirksam und hem-men die «Fortpflanzungsachse» aufallen Ebenen (17). Die beiden Letzte-ren hemmen, ebenso wie Beta-En-dorphin (das durch die Proopiomelano-cortin-[POMC-]-bildenden Neuronensezerniert wird), den Effekt des Gonado-tropin-Releasing-Hormons (GnRH), derGonadotropine, wie auch die Sekretiondes luteinisierenden Hormons (LH) alssolche. Dabei werden die Gonaden alsZielorgane quasi resistent gegen ihreWirkung (18).

Auch das im Hypothalamus gebil-dete Corticotropin-Releasing-Hormon(CRH) unterdrückt die AktivitätGnRH-bildender Neurone (19). SeineRezeptoren werden auch ausserhalbder HPA-Achse im ZNS exprimiert.CRH findet sich unter anderem imNebennierenmark, den Ovarien, demMyo- und Endometrium, der Plazentaund den Hoden (20). Letztlich verläuftdie Interaktion mit der «Fortpflan-zungsachse» bidirektional. So kannÖstrogen über die sogenannten Estro-gen-Responsive-Elemente (estrogen re-sponsive elements) in der Promotorre-gion des CRH-Gens dessen Expressionund Bildung beeinflussen (21).

Vergleichbar mit dem Konzept vonEu- und Disstress lässt sich sowohl imMausmodell als auch beim Menschenein kurzzeitiger LH-Anstieg durch aku-ten Stress provozieren (18) – eineverlängerte Stressexposition hemmtdagegen die LH-Ausschüttung unddamit die Ovulation. Eine stressbe-dingte chronische Aktivierung derHPA-Achse ist durch erhöhte Spiegelproinflammatorischer Faktoren wie In-terleukin(IL)-1, Tumor-Nekrose-Fak-tor-(TNF)alpha und IL-6 gekennzeich-net. Beobachten lässt sich dieseKonstellation bei Leistungssportlern,Anorexiepatienten oder bei Unter-ernährten. Vergleichbares tritt bei Pa-tienten mit einem Cushing-Syndromauf, deren HPG-Achse (hypothalamic-pituitary-gonad) supprimiert ist, wasebenfalls zu einer sekundären Ame-norrhö führt (22). Zusätzlich wird imOvar die Steroidproduktion überCRH- und IL-1-Rezeptoren gehemmt,was mitunter eine Follikelatresie undLuteolyse zur Folge haben kann (24).Daher mag es überraschen, wenn imSchwangerschaftsverlauf die CRH-Pro-duktion in Plazenta, Dezidua und feta-

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len Membranen stetig – in den letztenzwei Monaten sogar exponentiell – zu-nimmt. Der zirkadiane Rhythmusbleibt hierbei ebenso erhalten, und dieCorticotropin-(ACTH)Sekretion gehtnicht über den Normbereich hinaus(24). Die Plasmakonzentration desfreien Kortisons hingegen erreicht imdritten Trimester das Dreifache desNormbereiches. Es konkurriert mitProgesteron um die Regulation der Ex-pression und Bildung des plazentarenCRH. Die fetale HPA-Achse wiederumreagiert auf dieses mit einer verstärk-ten Bildung von Dehydroepiandro-steron, das in der Plazenta durch Aro-matisierung zu Östrogen umgewandeltwird. Hierdurch verstärkt sich die Kon-traktilität des Myometriums – das Ri-siko einer Frühgeburt steigt.

Arbeitstätige Schwangere weisen si-gnifikant höhere CRH- und IL-1-Spie-gel auf, was den zeitlichen Ablauf derSchwangerschaft massgeblich beein-flusst (25). Nach der Geburt fällt derKortisonspiegel wieder auf den Aus-gangsbereich zurück – der «Baby-Blues» wird generiert, was sich in etwa18 Prozent der Fälle bis zur postparta-len Depression steigern kann (26). Indiesen Fällen kann auch eine CRH-Ap-plikation die Corticotropinsekretionnicht nachhaltig stimulieren. Östrogenwirkt hingegen potent antidepressiv –vermutlich über die oben bereits er-wähnten Estrogen-Response-Elements-haltigen Gene. Zudem wird, wie inTierstudien gezeigt werden konnte,durch Prolaktin eine verminderte Sti-mulation der HPA-Achse bei Stress be-obachtet. Hierdurch könnte eine mög-liche, aufgrund des physiologischenCRH-Abfalls latent vorhandene depres-siv gefärbte Grundstimmung verstärktwerden, sodass die psychische Verfas-sung der Mutter und infolgedessenauch ihre Interaktionsfähigkeit («bon-ding») mit dem Neugeborenen nach-haltig beeinträchtigt wird. Das Be-wusstsein hierüber kann bei derMutter wiederum die negativ gefärbteSelbstsicht verstärken – und einen Teu-felskreis entstehen lassen, der für diepsychische Entwicklung des Kindeslangfristige Folgen haben mag.

Toleranz oder Abstossung des Feten?

Ohne abschliessende Erklärungbleibt nach wie vor die Toleranz desmütterlichen Immunsystems ange-sichts des «histo-inkompatiblen» feta-len Gewebes. Teilaspekte deuten auf

eine anfängliche Dominanz der anti-inflammatorischen Th2-Zytokine ge-genüber einer Th1-Antwort in der De-zidua hin (27). Auch die verstärkteExpression der Indolamin-2,3-Dioxy-genase in den dendritischen Zellenträgt zur «Toleranz» bei, indem siezum Abbau von Tryptophan beiträgtund so der Immunaktivierung entge-genwirkt, da die für die T-Zell-Prolife-ration notwendigen Metaboliten aus-bleiben (28). Die verstärkte Präsenzregulatorischer T-Zellen verstärkt die-sen Effekt – eine aggressive allogeneImmunantwort bleibt unterdrückt(29). Endogene Immunsuppressorenwerden vermehrt gebildet, und überdendritische Zellen wird vermutlichletztlich die langfristige Toleranz er-reicht (30). Nicht zuletzt führt auchdie lokale Präsenz von CRH (über eineInduktion der Fas-Ligand-Bildung) zurAufrechterhaltung der Schwangerschaft.Die hierbei ausgelösten Apoptosemecha-nismen beugen einem überschiessendenLymphozyten-, Trophoblasten- und De-ziduawachstum vor. So verhindernCRH-Rezeptor1-Antagonisten (wie z.B.Antalarmin®) im Tiermodell die Im-plantation von Blastozysten, indem sieeine entzündungsähnliche Reaktiondes Endometriums verhindern (31).

Dieser Zusammenhang mag nungänzlich verwirren, steht er doch imscheinbaren Widerspruch zu der ein-gangs beschriebenen Wirkung vonCRH. Hierdurch wird vielmehr dieKomplexität seiner Wirkung und dieInteraktion von Schwangerschaft auf-rechterhaltenden Regulatoren deut-lich. Ein neuro-endokrino-immunolo-gisches Ungleichgewicht ist durchStress frühzeitig auslösbar und kannbei Persistenz zu nachhaltigen Deregu-lationen und Beeinträchtigungenführen.

Eine initial gesteigerte Glukokorti-koidkonzentration mag die Schwan-gere durch Hemmung einer abort-befördernden Th1-Reaktion (mitIL-12, TNF-alpha und IFN-gamma)schützen, vor allem, wenn die protek-tive Th2-Antwort (durch IL-4, IL-10und IL-13) ausgebildet wird. Dauerhaf-ter Stress führt hingegen über CRH zuproinflammatorischer Aktivität mitzellschädigender Wirkung (32). Überdas sympathische Nervensystem wirdzudem die Expression adrenerger Re-zeptoren in Lymphozyten und derenZirkulation im Blut angeregt, was wie-derum die fetale Toleranz beeinträch-tigt (33). Auch der Nerve Growth Fac-tor (NGF), ein Neutrophin, tritt bei

Stress in der Schwangerschaft ver-mehrt auf und führt unter anderem zueiner stärkeren Interaktion von Glia-und Immunzellen; zudem erleichtertes die Zellmigration durch das vas-kuläre Endothel. Die Neutralisierungdes NGF konnte im Mausmodell diedurch Stress provozierte Abstossungs-reaktion verhindern (34).

Neben den Neurohormonen undNeutrophinen ist die Aufrechterhal-tung der Schwangerschaft nicht zuletztdurch Progesteron vermittelt. BeiStress ist dessen Spiegel vermindert;seine Substitution führt jedoch zueinem erniedrigten proinflammatori-schen Zytokinprofil. Zu guter Letzt istder endokrinologische «Crosstalk» vonder Präsenz spezifischer CD8+-Zellenabhängig, ohne die sich die vorher ge-nannte protektive Wirkung des Proges-terons gar nicht erst entfalten kann(35). Für deren Ausbildung mögenuterine dendritische Zellen als anti-genpräsentierende Zellen eine ent-scheidende Schnittstelle darstellen(30). Die konkrete Pathophysiologiebleibt hier jedoch noch zu erforschen.

Zusammenfassung

Auf verschiedenen Eben kann Stresszur Unterdrückung der Fortpflan-zungsfähigkeit führen. In der heutigenZeit wird eine hierdurch verminderteFruchtbarkeit vorwiegend als nachtei-lig angesehen. In der Vergangenheitkann ihr Wert in der Vorbeugung einerSchwangerschaft unter widrigen Um-ständen gelegen haben. Dies mageinen evolutionären Vorteil bedeutethaben, was zu einer Selektion der zu-grunde liegenden Regulationsprozesseführte.

Bezüglich der Wirkung von Stressvor und während der Schwangerschaftwurde eine Vielzahl beteiligter Pro-zesse entdeckt, deren Umfang nachwie vor kontinuierlich wächst. Diesdeutet auf ein multidimensionales Ge-schehen hin, das nicht durch einen li-nearen Pathomechanismus allein ab-zubilden ist. Die weitere Erforschunginsbesondere in longitudinalen pro-spektiven Studien im Humanbereichist notwendig. Bis anhin gibt es keineErkenntnisse, die auf unterschiedlicheRegulationsmechanismen zwischen Tierund Mensch schliessen lassen. DieÜbertragung der Ergebnisse der tier-experimentellen Forschung auf denMenschen kann dennoch nur unterVorbehalt erfolgen. Kliniker undGrundlagenforscher sind hier aufge-

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Entzündung und Er nähr ung

fordert, gemeinsam Strukturen derzeitlichen und räumlichen Interaktio-nen von Schlüsselparametern währendzentraler und peripherer Stressantwor-ten zu beleuchten, um Zielgrössen fürmögliche therapeutische Interventio-nen zu bestimmen. �

Korrespondenzadresse: Professor Dr. Petra ArckBiomedizinisches ForschungszentrumRaum 2.0549Augustenburger Platz 1D-13353 BerlinTel. +49 30 450 553873Fax +49 30 450 553962E-Mail: [email protected]

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